Bevor ich über meinen letzten Ausflug berichte, liegt es mir am Herzen, meine Spendenaktion für Helvetas in Erinnerung zu rufen. Ich sammle derzeit für die letzte Etappe, fuer ein Hängebrücken-Projekt im Norden Äthiopiens, in der Region Tigray. Von Nairobi, wo ich mich gerade aufhalte, ist es nicht mehr so so weit weg. Deshalb: es wäre toll, wenn sich die Unentschlossen und die Auf-Die-Lange-Bank-Schieber sich dazu durchringen könnten, ein Zeichen der Solidarität zu setzen.
Nun aber zurück nach Tansania. In Arusha, am Fusse des Mount Meru, komme ich beim Amerikaner Erik und seiner tansanischen Ehefrau Bernice unter. Erik lebt seit über 35 Jahren in Tansania, sein Vater hat in Tansania eine Schule gegründet. Ich lerne ihn über ein Netzwerk für Tourenradler kennen. Als ich ihn kontaktiere, hält sich gerade ein anderer japanischer Tourenradler, Sekiji, bei ihm auf. Sekiji habe ich vor Wochen bereits ebenfalls kontaktiert. Ein anderer japanischer Radler hat mir vor Monaten von ihm erzählt.
Von Arusha führt eine gut geteerte Strasse nordwärts schnurstracks zur kenianischen Grenze. Doch irgendwie habe ich Lust, noch einen Schlenker zu machen, abseits auf Pisten zu fahren. Ngorongoro, Serengeti und Lake Manyara können nur mit organisiserten Safaris für unanständig viel Kohle besucht werden. Für mich ausser Reichweite. In zwei, drei Tagen würde ich dort mein Monatsbudget verbraten. Aber als ich die Karte genauer studiere, entdecke ich den Vulkan Oldoinyo Lengai, den heiligen Berg der Massai, nördlich des Ngorongoro Kraters. Dass „Buscharzt“ Stevens, ein Freund von Erik, in der Gegend wohnt passt perfekt. Erik kennt das Gebiet gut und gibt mir noch einige Tipps. Doch zunächst ersetze ich das Tretlager an meinem Drahtesel. Danach nichts wie los: an einem Tag fahre ich zunächst nach Mto Wa Mbu, am Rande des Lake Manyara, in einem sehr fruchtbaren Gebiet. Dort stocke ich meine Vorräte auf: Ananas, Orangen, Grapefruit, Mango, Gurken, Tomaten, Avocado, Brot. Übrigens besteht der Verkehr zwischen Arusha und Mto Wa Mbu schätzungsweise zu zwei Drittel aus Safaris-Jeeps, die zu den grossen Parks fahren.
Auf einer recht passablen Piste fahre ich nun am westlichen Rand des Ngorongoro-Hochlandes entlang. Das Gebiet liegt in einer Senke, es kann dort sehr sehr heiss werden. Ich habe aber Wetterglück: abgesehen von einem Sandsturm macht der Himmel zu, es ist bewölkt, nicht mehr so heiss. In Engaruka esse ich einen Teller Reis und Bohnen, fahre dann sofort weiter, ohne mir die Ruinen eines über 500 Jahre, geheimnisvollen alten komplexen Bewässerungssystems anzuschauen. Eingefleischte Archälogiebegeisterte mögen mir das verzeihen. Doch ich muss weiter, Wasser gibt es nach Engaruka keines mehr.
Nach 10 Km, als der Busch aufhört und es wüstenhafter wird, sehe ich eine Boma, eine kraalartige Festung der Massai. Die farbenprächtigen Massai sind ein Nomadenvolk, die Viehzucht betreiben, im Norden Tansanias und Süden Kenias ansässig. Sie stellen sich aktiv dem Wandel entgegen und leben wie seit Jahrhunderten. Das Vieh steht im Mittelpunkt des Lebens, liefert eine Vielzahl von wichtigen Gütern: Blut, Fleisch, Milch, Häute und Felle. Die Massai jagen so gut wie gar nicht. Frauen haben in der patriarchalischen Gesellschaft, die Vielweiberei zulässt, nicht viel zu melden. Die Zeiten haben sich geändert: Dürre, Bevölkerungsdruck, Landrestriktionen, Schulbildung und Gesundheitsfragen schränken die Lebensweise der Massai zunehmend ein. Auffallend ist der Ohrschmuck und geweitete Ohrlöcher, bei Frauen wie auch bei Männern. Junge Männer werden traditionell beschnitten. Die Beschneidung wird ohne Betäubung, ohne hygienische Massnahmen vollzogen. Die Jungen dürfen keinen Schmerz zeigen, es wäre eine Schande für die Familie. Schon wenige Tage später dürfen sie auf Vogeljad gehen. Sie kleiden sich danach noch monatelang schwarz. Tradition scheint auch die Angewohnheit zu sein, ohne Wasservorraete unterwegs zu sein. Sehr oft werde ich um Wasser gebeten.
Nun, ich denke mir: wieso nicht in dieser Boma übernachten? Ich bekomme so einen Einblick in das Leben der Massai. Klar doch, ich darf mein Zelt innerhalb aufstellen. Als ich noch im Adamskostüm hinter einem Dorngebüsch mich mit tiefbraunem Wasser wasche, von dem ich nicht so recht weiss, ob ich danach wirklich sauberer bin, kommt schon ein Jüngling mit Speer dahergelaufen, lässt sich vom Anblick nicht beeindrucken und meint forsch, ich müsse dann der „mother“ etwas bezahlen. Selbstverständlich, ich werde ihr natürlich ein Geschenk machen. Nichts da, 50‘000 Schilling, rund 30 Dollar, solle ich bezahlen. Ein lächerlich hoher Preis – eine Nacht in einem sauberen Guesthouse, inklusive Dusche und Badtuch kostet rund 5-7‘000 Schilling. Ich habe keine Lust zu verhandeln. Obschon es schon dämmert, meine ich genervt, dass ich mein Zelt wieder zusammenpacke und ausserhalb zelten werde. Schlussendlich bleibe ich, bezahle 10‘000 Schilling und verziehe mich sofort ins Zelt. Noch in der Dunkelheit starte ich am nächsten Tag. Ich nehme es den Leuten nicht übel, die exorbitanten Preise für Safaris mögen einen falschen Eindruck erweckt haben. Doch der Weisse gilt als Krösus – und ist es auch im Vergleich zum äusserst bescheidenen Lebenstil der Massai.
Ich fahre nun am Vulkan Oldoinyoi Kerimasi (2‘614 m) vorbei. Schon bald sehe ich dann endlich den Oldoinyo Lengai (2‘878 m), den „Berg Gottes“ in der Sprache der Massai. Der Gott Engai trohnt auf ihm. Die Massai glauben, dass Engai ihnen alle Rinder der Erde überlassen haben und alle anderen Rinderbesitzer folglich Viehdiebe sein müssen. In der Vergangenheit war dies oft Auslöser für blutige Auseinandersetzungen. Es hat ihnen den Ruf des „kriegerischen“ Massai eingebracht. Auch geologisch ist der aktive Vulkan mit einer gleichförmigen Form einzigartig. Es ist weltweit der einzige Vulkan, der Karbonatitlava fördert, das so dünnflüssig wie Wasser ist.
Die östlich führende Abzweigung zum Dorf Gelai-Bomba finde ich nur nach einigem Suchen – ich bin ja ohne GPS unterwegs. Eine Viehpfad führt nun durch ein wunderschönes Gebiet, umgeben vom Kerimasi, dem Lengai und den Vulkanen Ketumbeine und Gelai. Es wird auch die kleine Serengeti genannt. Ich sehe Zebras, Gnus, Antilopen, Giraffen (auf dem Bild oben ist eine zu sehen!), Störche, Greifvögel und sogar Spuren einer Grosskatze. Einige Kilometer lang muss ich das Rad durch weichen Untergrund und steinige Flussbette schieben. Seit Wochen scheint hier niemand mehr vorbeigefahren zu sein.
Als ich in Gelai Bomba ankomme, fängt es an zu regnen. Am nächsten Tag komme ich in Ketumbeine an, wo ich beim Arzt Stevens und seiner Frau Bethanie unter. Die Klinik wird von der Lutheran Church betrieben und versorgt die Massai in der Gegend. Als Haustier hält Stevens ein lustiges Tier, ein Dirkdikdik, eine kleingewachsene Gazelle. Weniger lustig ist, dass ich zusehen darf, wie Stevens einer schwangeren Patientin mit Ultraschall diagnostiziert, dass ihr ungeborenes Kind tot ist. Bethanie kümmert sich um ein Projekt, das Frauen ein geringes Einkommen sichert, indem sie Schmuck herstellen.
Bevor ich die Teerstrasse erreiche, fahre ich einer Gruppe von neunzehn Giraffen entgegen. Schon bald bin ich dann an der Grenze zu Kenia. In zwei Tagen erreiche ich dann die Hauptstadt von Kenia, Nairobi, in Anspielung an den schlechten Ruf auch „Nairobbery“ genannt. Da ich hier die Visas für die Weiterfahrt besorgen muss, bleibt mir ein Aufenthalt nicht erspart. Doch ich habe das Gefühl, bei den richtigen Leuten zu landen. Der Couchsurfer Tristen und seine kenianische Ehefrau Gee beherbergen mich. Sie sind mir eine grosse Hilfe, mich in dieser Grosstadt zurecht zu finden. Kleine Welt: Sekiji war auch bei Ihnen und ein anderer deutscher Radler, mit dem ich einige Emails ausgetauscht habe, ebenfalls. Ich finde hier in Nairobi auch schnell Ersatz für meine billige, abhand gekommene Plastikuhr. Dass die Uhren hier in Afrika anders ticken, ist mir schon bewusst. Aber die Uhr verrichtet sozusagen im afrikanisch untypischen Eiltempo ihre Arbeit und ist nach einem halben Tag schon zwei Stunden voraus.
In Spanien habe ich das Tempo erhöht. Seit Carcassonne, das heisst seit dem 21. September habe ich mir bis Malaga, wo ich am 6.10. am Flughafen meine Freundin Mélanie in Empfang genommen habe, keinen Ruhetag gegönnt. In der Regel bin ich um die 100 Kilometer am Tag gefahren. Etwas unterschätzt habe ich die Höhenmeter. Obwohl die Landschaft eher flach wirkt und die Michelin-Karte weder Steigungen über 5 % noch viele „puertos“ (gemeint sind Pässe, nicht Häfen) verzeichnet, geht es meistens auf und ab, selbst an der Küste sind 1’000 Höhenmeter an einem Tag keine Seltenheit. Viele „falso llanos“, Steigungen von wenigen Prozenten, zwei, drei Kilometer rauf, dann wieder runter.
Die Fahrt ist zwar nicht ausserordentlich spektakulär, wohl bedingt durch die Routenwahl „kurz und direkt“, sodass ich die grün verzeichneten Nebenstrassen der Michelin-Karte vernachlässige. Aber nicht unangenehm. Sie führt durch die Regionen Katalonien, Aragon, Castilla La Mancha und Andalusien. Einige landschaftliche Höhepunkte gibt es dennoch. Und wegen der Hitze und der körperlichen Anstrengung sicher eine gute Trainingseinheit. Um meinen Wasser- und Salzhaushalt auszugleichen, trinke ich literweise kühlen Gazpacho aus dem Supermarkt. Ich habe auch angefangen, legale Substanzen wie O.R.S. einzunehmen: oral rehydration salt, Mineralsalze, um einen dehydrierten Körper wieder aufzupeppeln. Gibts günstig in der Apotheke. Und ist viel billiger als die teuren Elektrolyt-Getränke.
In Katalonien fahre ich durch endlose Pfirsichplantagen. Danach, das heisst in Aragon und Castilla la Mancha, sind Mandel- und Olivenbäume vorherrschend. Ein eniziger riesiger Selbstbedienungsladen, vor allem die Mandeln haben es mir angetan. In Kastillien herrscht gerade reger Betrieb rund um die Cooperativas agricolturas. Weinernte. Bauern mit ihren Traktoren mit Anhängern stehen Schlange, um ihre Ernte abzuladen. Einer erzählt mir, dass er rund 40 Ladungen abliefern werde. 3 bis 4 Ladungen pro Tag, alles von Hand geerntet. 12 Tage wird er benötigen.
Auffallend zu Frankreich ist in Spanien die Vielzahl an Bars und Kaffees. In jeder noch so kleinen Ortschaft findet sich eine Bar. Entsprechend ist auch der Kaffee einiges besser. Er wird, wie in Italien, überall mit der Kolbenmaschine gemacht. Herrlich, mehrere Male täglich halte ich an, um einen café con leche, einen café cortado oder einen café solo zu geniessen und mit Spaniern ins Gespräch zu kommen. Dass in vielen Bars der Abfall einfach auf den Boden geworfen wird, stört mich nicht. Auch nicht, dass in der einzigen Bar einer kleinen Ortschaft irgendwo im tiefen Castilla La Mancha trotz Rauchverbot gepafft wird, während der Grosse Preis von Shanghai in voller Lautstärke gesendet wird (und Schumacher einem anderen von hinen auffährt). Dass hingegen die Serviertochter bzw. -mutter, knochenhartes Brot serviert, finde ich weniger unterhaltsam. Es sei halt Sonntag, meint sie, und die Bäckerei habe geschlossen.
In den Bars komme ich oft ins Gespräch mit Menschen. Das Dorf Manzaneruela hatte zum Glück eines. Ich habe vorher wild gezeltet und gehofft, meinen Morgenkaffee dort einnehmen zu können. Einige Arbeiter haben sich eingefunden und verdrücken ihre halben Meter langen bocadillos. Der pensionierte Julio Anton erzählt mir, dass er den Militärdienst in der Westsahara geleistet habe. Viel habe er dort aber vom Land nicht gesehen. Es sei daher eine gute Sache, was ich da mache. Das erste, was er nach der Pensionierung gemacht habe, war, sich Computer und Internet zu besorgen, um mit der Aussenwelt in Kontakt zu bleiben. Wir tauschen die E-mail Adressen aus und nach einer Runde Schnaps löst sich die Runde auf und jeder geht seines Weges.
Einmal werde ich sogar der Zechprellerei beschuldigt. Nachdem ich schön brav den Kaffee bezahlt habe, packt mich der Besitzer an der Schulter und meint, ob ich Kaffe und Croissant bezahlt habe. Ich schaue ihn ruhig an und meine nur „Que ? Tengo cara de ladro ?“ Sehe ich aus wie ein Dieb ? Pappnase. Hatte wohl schon ein paar Bierchen zuviel am Morgen.
Spanien tickt anders, die Siesta ist nach wie vor heilig. Und irgendwie scheint es auch immer heiss zu sein in der Mittagszeit. Ich habe volles Verständnis für die Spanier. Je weiter südlich man sich bewegt, desto später scheinen die Öffnungszeiten zu sein. Konnte man in Katalunien um 16 Uhr bereits wieder Einkäufe tätigen, wird es in Andalusien schon 17 oder sogar 17.30 Uhr, bis die Mittagspause rum ist. Auf der anderen Seite hat das den Vorteil, dass man noch um 15 Uhr ein menu del dia bestellen kann. In Frankreich bereits um 13 Uhr ein Ding der Unmöglichkeit. Gibt es für 8 bis 10 Euro. Drei Gänge inklusive Getränk und Kaffee. Das gönne ich mir ab und zu auf die Gefahr hin, dass danach höchstens noch ein Verdauungsspazierfährtchen drin liegt.
In der Minenstadt Escucha treffe ich auf Paco und Joaquin, 68 und 82 Jahre alt. Mit 18 Jahren sind beide in die Grube arbeiten gegangen, vierzig Jahre lang. Trotzdem wirken beide sehr heiter, munter und lebensfroh. Heute wird hier nicht mehr Kohle abgebaut. Das Kohlekraftwerk im Ort, das wie viele andere Kohleberg-Städte eher trostlos ausschaut, wird vom benachbarten Andorra geholt. Um die 3’000 Euro verdiene heute ein „minero“, damit lasse sich in Spanien gut leben.
Ob der 35-Jährige Ibrahim aus Mali, den ich im Dorf La Mata de los Olmos kennenlerne, ebensoviel verdient, entzieht sich meiner Kenntnis. Er scheint aber im Dorf gut aufgenommen worden zu sein. Er zeigt mir den alten Brunnen, der kürzlich renoviert wurde und den alten Waschplatz.
Meistens zelte ich wild. Ich stehe vor Sonnenaufgang auf (um rund 7:15) und radle meistens bis eine halbe Stunde vor Sonnenuntergang (um rund 20:00), um so möglichst lange auf dem Rad sitzen bzw. radeln zu können. Obwohl ich meistens gut versteckt bin, vermeide ich es sicherheitshalber, in der Dunkeheit Licht zu machen.l Einmal zelte ich mit einem anderen Tourenfahrer, Sean Kane. Einem Engländer, der fast zwei Jahre in Südamerika geradelt ist. Ich hatte ihn in Carcassonne kurz getroffen. Wir sind nicht lange zusammen gefahren (er ist durch Frankreich und Spanien mit einem einzigen Gang gefahren, da sein Schaltauge gebrochen ist und er keinen Ersatz fand). Wir sind uns aber immer wieder begegnet. Vor Albacete rauscht an einer Ortschaft, wo ich gerade Halt mache, eine Dreiergruppe pensionierter Velofahrer vorbei. Nichts wie hinterher ! Trotz einiger Steigungen kann ich sie nach 5 Kilometer endlich einholen. In einer Abfahrt haben sie dann mit meinem Schwergewicht und der Physik keine Chance mehr. „Eres un fenomeno“, meint Manolo. Wir fahren dann zusammen bis nach Albacete, wo ich zu Tapas und Bier eingeladen werde und danach aus Albacete hinaus eskortiert werde.
Die Morgenstimmungen sind wunderbar, wenn die ersten Sonnenstrahlen die kommende Hitze ankünden. Wildes Zelten oder Wildzelten heisst natürlich auch, dass man ein Stück Weit in der Wildnis ist. Einmal, als ich um 2 Uhr morgens aufstehen möchte, um meine Blase zu leeren, geht mir der Brunftschrei eines röhrenden Hirsches, der keine hundert Meter weit steht, durch Mark und Bein. Ich mache mir fast in die Hosen, nicht weil ich Angst habe, sondern weil ich nicht das Zelt verlassen kann. Er könnte mich ja für eine Hirschkuh halten… Bis um 5 Uhr morgens sucht er (wohl) vergebens nach einer Partnerin. Ein röhrender Hirsch, Milchstrasse und Sternschuppen: wer braucht da noch einen Fernseher, um unterhalten zu werden ?
In Caralavaca de la Cruz mache ich eine unangenehme Bekanntschaft mit einer anderen spanischen Spezialität: cortezas de cerdo. Die Übersetzung auf der Packung ist nicht sehr hilfreich: auf Englisch „fried pork rind“, auf Deutsch „fried chicharrones“. Sehen aus wie Chips, frittierte Schweinefleischrinde oder so ähnlich. 70 % Protein und 23 % Fett. Toll, denke ich mir, eine gute Eiweissquelle. Ich kaufe mir also diese Dinger im Supermarkt, wo es leider kein gekühltes Bier gibt und auf der Suche nach nach dem kühlen Nass stopfe ich mir in Krümmelmonster-Manier schon mal den Mund mit diesen Dingern voll. Und dann bleibt mir die Spucke weg. Mein Hals fängt an zu schwellen, entzündet sich, ich kriege plötzlich keine Luft mehr, ich kann nicht einmal husten, der Hals ist wie zugeschnürt. Das kann doch nicht sein, jetzt einfach nicht in Panik geraten. Zum Glück ist auf der gegenüberliegenden Seite eine Imbissbude, ich renne rein und bringe nur noch das wort „kkola“ raus. Gerettet ! Ein Junge meint, dass sei normal, diese Leckerbissen seien staubtrocken und man geniesst sie am besten mit Bier. Also, seid gewarnt ! Oder esst lieber Churros con chocolate. Ach ja, bekannt ist übrigens Caravaca de la Cruz als Heilige Stadt der Katholischen Kirche. Das Doppelkreuz aus der Basilica prägt das Stadtbild. Und toll ist, dass den Velopilgern sogar ein Denkmal gewidmet wurde, wobei der Bildhauer dem Velo durchaus ein paar Sacochen hätte verpassen können. Aus Luft und Glauben alleine kann er nicht überleben !
In Lorca ergibt sich dann wieder die Möglichkeit, bei einem Velofahrer, den ich über das Netzwerk Warmshowers kenngelernt habe, zu übernachten. Miguel und Teresa sind sehr gastfreundlich und obschon ich am nächsten Tag wieder weiter muss, geniesse ich die Zeit bei Ihnen sehr. Sie sind selber lange in der Türkei und in Marroko geradelt und geben mir einige Tips. Muchas gracias, Miguel y Teresa ! Lorca ist einigen vielleicht noch durch das Erdbeben vom 11. Mai 2011 bekannt. Die Schäden sind augenfällig. Überall Baugerüste, Mulden, zerstörte Fassaden, verlassene Häuser. Das Erdbeben war zwar nicht stark. Weil das Epizentrum aber nur rund einen Kilometer tief unter der Stadt lag, waren die Schäden beträchtlich.
Im Parque Natural Cabo de Gata dann endlich wieder eindrückliche Landschaften. Eine wilde zerklüftete Küste, unterbrochen durch kleine und versteckte Sandstrände. Schon sehr wüstenhaft. Hier und in der nahe gelegenen Wüste von Tabernas sind zahlreiche Filme gedreht worden. Etwa Szenen aus Indiana Jones und zahlreiche Spaghetti-Western. In Agua Amarga werde ich von einer Gruppe Velofahrer, die soeben einen Orientierungslauf mit Mountainbikes beendet haben, eingeladen. Einer ist Metzger und hat kiloweise Wurstwaren und bocadillos gebracht. Keine Frage, was ich dann zum Nachtessen gegessen habe.
In der Gegend um Almeria hingegen fährt man mitten durch zwei Meere: links das Mittelmeer, rechts ein Meer aus Plastik. Kilometerlang ziehen sich die invernaderos, die Treibhäuser hin. Es ist die weltweit grösste Anbaufläche unter Folie. Ein riesiger Wintergarten. Leere Plastiksäche mit Aufschriften wie „sulfato potassico“ oder dergleichen finden sich hier und da. Pestizide kommen hier reichlich zum Einsatz. Und auch Schwarzarbeiter und Schwarzafrikaner. Erbärmliche Behausungen, natürlich aus Plastik, davor einige Schafe und Ziegen. Die ganze Szenerie wirkt irgendwie beängstigend. Auch finden sich ab und zu Schilder „Paraja Natural“, die eigentlich die Grenze zum Naturpark markieren sollten. Wen kümmert’s ? Die Gewinne, die mit dem Treibhausgemüse gemacht werden, sind beträchtlich. Der grösste Teil der Ernte wird exportiert, aufgekauft durch die grossen Lebensmittelhandelsketten.