Lagunenroute
In Uyuni treffe ich endlich Sabine und Tinu an, die seit diesem Frühling in Südamerika unterwegs sind (hier ihr Bericht und ihre Fotos zur Lagunenroute: www.siempre-pedalar.ch). Wir sind seither in Kontakt und nun habe ich sie endlich eingeholt, nicht zuletzt, weil sie hartnäckige Magenprobleme hatten und Peru quasi überspringen musste.
Auf die Lagunenroute habe ich mich schon lange gefreut. Sie führt im äussersten Südwesten von Bolivien, in der Region Sur Lipez, auf einer Höhe von 4´300 bis 4´900 Höhenmetern. Starke UV-Strahlung tagsüber und sehr kalte Nächte wechseln sich ab.
Von Uyuni bis San Juan sind es flache 140 Kilometer auf Schotter, danach 350 Kilometer bis San Pedro de Atacama in Chile. Nur die letzten 45 Kilometer sind geteert, der Rest ist eine Piste, Wellblech, Schotter und Sand. Ideales Terrain, wenn man bikepack-mässig unterwegs ist. Mit einem konventionellen Tourenrad ist die Strecke schwieriger zu befahren und das Rad ist manchmal zu schieben.
Auf der Strecke, für die acht bis zehn Tage zu veranschlagen sind, ist die Versorgung schwierig. Aus der Not machen wir eine Tugend. Wir, d.h. Sabine und Tinu sowie Laura und Pierre, mit denen ich schon unterwegs war. Eine Gruppe, die gut harmoniert, wie sich herausstellen wird. Es fahren viele Jeeptouren durch die Gegend und wirbeln mächtig Staub auf. Und so geben wir einer der zahlreichen Reiseagenturen drei Pakete mit Lebensmitteln und entbehrlichen Ausrüstungsgegenständen mit, um sie unterwegs zu deponieren.
Nach drei Ruhetagen in Uyuni und vier Pizzen tut man sich schwer, wieder in die Gänge zu kommen. Wir machen daher erst relativ spät um 8 Uhr morgens ab, um langsam wieder in die Gänge zu kommen und uns an den Radler-Reisealltag zu gewöhnen. Wir wollen die Startzeit in den nächsten Tagen allmählich vorverlegen, denn am späten Vormittag setzt normalerweise Südwestwind ein, der das Fahren noch mühsamer macht. Erst um 9 Uhr ist die Karawane bereit und setzt sich in Bewegung. Weit kommt sie allerdings nicht. Nur vier Kilometer bis zum Lokomotiv-Friedhof.
Die alten Dampflokomotiven stammen aus dem 19. Jahrhundert, als sie hier noch gebaut wurden. Um 11 Uhr starten wir endlich, nachdem wir etliche Fotos geschossen haben. Es geht los !
Um die Mittagszeit treffen wir in der kleinen schmucklosen Ortschaft Vinto ein, in der wir unseren Lunch einnehmen. Die Hitze macht uns zu schaffen und wir sind danach alle schlapp und schlafen fast am Tisch ein. Nur mit Anstrengung können wir uns motivieren, in der Nachmittagshitze noch ein paar Kilometer runterzuspulen.
Gemäss Beschrieb anderer Radler können wir die kürzeste Strecke entlang der Eisenbahn nehmen und man kann so die “Hauptstrecke” vermeiden (wieso denn auch, eine halbwegs gute Piste praktisch ohne Verkehr). “Eccellent and fun cycling” wird versprochen. Mitnichten. Der Pfad neben der Eisenbahn ist butterweich und wir können nur neben den Geleisen fahren. Selbst für mich als Bikepacker ist die Strecke alles andere als lustig und wir quälen uns schliesslich eineinhalb Kilometer durch eine weiches Feld zurück zur Piste. Danach geht es flotter unterwegs bis zum Fluss Rio Grande, wo wir wild zelten.
Am nächsten Tag geht es relativ problemlos unterwegs (wobei ich nur für mich reden kann; ich bin am leichtesten unterwegs und habe 27.5 Zoll Räder, hinten 2.6 Zoll breit) und abends sind wir dann in San Juan. Hier ist die letzte Möglichkeit, um noch “richtig” einzukaufen. Wir kommen in der Cabañas de Sal für 35 Bolivianos pro Person unter (5 Dollar). Einem charmanten Hotel aus Salszteinen gebaut, das wir für uns alleine haben. Die Hochsaison ist zum Glück vorüber. Ich dusche, erledige die Wäsche, kaufe noch ein paar Fressalien und Brot ein. Ich lande im Büro der Commission de Agua, wo mir wärmstens empfohlen wird, die Nekropolis zu besichtigen.
Sie ist nur einen halben Kilometer entfernt und diente in der Inkazeit, um wichtige Persönlichkeiten zu bestatten. Aus Vulkansteinen wurden Hügel gebaut, in denen die Verstorbenen mit Beigaben beigesetzt wurden.
Das Eintrittsticket bezahle ich lustigerweise bei einem Herrn, der mich eingangs San Juan nach Trinkwasser gefragt hatte. Die Ortschaft ist sehr überschaubar.
Am nächsten Tag geht es richig los. Zunächst flott auf einer Ebene bis zum Militärposten Chiguana, wo wir unsere Wassersäcke auffüllen. Fortan sind wir als Feuerlösch-Fahrzeuge unterwegs.
Danach ein flacher Abschnitt auf einem Salzsee und schliesslich fängt ein steiniger, holpriger und teils steiler Anstieg an. Ein Vorgeschmack auf das, was uns erwarten wird.
Optimal, damit wir uns an die widrigen Umstände gewöhnen können.
Der Himmel zieht nach dem Lunch zu und wir werden von einem Sandsturm und einem kurzen Gewitter heimgesucht, der sich glücklicherweise rasch verzieht.
Nach der Passhöhe auf 4´200 Metern kommt die Sonne wieder raus und die Welt ist wieder in Ordnung, die Bergspitzen sogar verschneit.
Es ist fast windstill und wir können schon bald unser Tageswerk beenden und unsere Zelte vor dem rauchenden Vulkan Ollague aufschlagen.
Am nächsten Tag habe ich einen guten Tag, breche vor den anderen auf und fahre in meinem Tempo bis zur ersten Laguna, der Laguna Cañapa.
Wer mit Flamingos nichts anfangen kann, der sei gewarnt, sollte die Lagunenroute unbedingt meiden. Es gibt zahlreiche Lagunen mit Tausenden von Flamingos zu bestaunen.
Danach geht es bis zur Laguna Hedionda, wo ich um die Mittagszeit ankomme. Dort müsste im völlig überteuerten Ecohotel unser Paket schon seit zwei Tagen auf uns warten. Alle Jeeptouren sind auch grad hier und machen Mittag (alle Touren gleichen sich aufs Haar und halten alle zur gleichen Zeit an den gleichen Orten an). Ernüchterung macht sich bei mir (und später bei den anderen) breit, weil das Fresspaket noch nicht eingetroffen ist. Ich haue den Fahrer der Agentur Cordillera an, der nichts dafür kann, ich muss aber meinen Ärger loswerden. Er tut mir nachher leid, er kann uns aber ganz gut verstehen. Die Agentur hat uns hoch und heilig versprochen, dass das Paket rechtzeitig eintreffen werde und gutes Geld für den “Encomienda”-Dienst kassiert.
Es gibt übrigens drei Arten von Tourenfahrern auf der Lagunenroute: die leichten Bikepacker wie ich (ich habe rund 12 Kilo Gepäck, dazu Essen und teilweise bis zu 12 Liter Wasser mit dabei), die herkömmlichen Tourenfahrer mit klassischem Setup (vier Packtaschen plus Lenkertasche und Packsack) und dann gibt es noch die Spezie der “locos japoneses”, wie ich sie nenne.
Japaner, die mit 80 bis 100 Kilogramm unterwegs sind, auf abgelaufenen schmalen Reifen mit wenig Profil. Die sich auf dieser Route quälen und die grösste Zeit ihr Maulesel schieben, kaum mehr als 20 bis 30 Kilometer weit kommen an einem Tag. Und als wäre dies nicht genug. Sie bauen auf ihrer Route noch Umwege über 5´700 Meter hohe Pässe ein. Hut ab. Das Wort Stamina haben sie verinnerlicht.
An der Laguna Hedionda können wir, zusammen mit dem Japaner Tatsuro, im Esssaal schlafen. Das erspart uns, im starken Wind die Zelte aufzuschlagen. Ohnehin ist bei mir die Schlafqualität am Leiden: bei meiner leichten Exped Synmat Ultralight Liegematte gehen Tag für Tag die verklebten Nähte auf, sodass ich bald schon auf einem Ballon schlafe.
Am nächsten Tag hält tatsächlich ein Jeep der Cordillera an und überbringt uns unser Fresspaket. Vorgezogene Weihnachten ! Der Frust vom Vortag ist vergessen und nachdem wir unsere Taschen vollbepackt haben, fahren wir zwar schwer beladen aber frohen Mutes weiter.
Die Freude dauert bei mir genau 23 Minuten lang. Urplötzlich geht meine Pinion-Schaltung schwer, ich kann die Kurbel beim Schaltvorgang nur mit Mühe rückwärts drehen. Ein paar Umdrehungen später blockiert die Kurbel, ich kann nicht mehr treten. Bei einer herkömmlichen Kettenschaltung kann man sich zu behelfen wissen, doch bei einer Pinion-Getriebeschaltung, die nur von Spezialisten mit Spezialwerkzeug geöffnet werden kann ? Keine Chance. Aus die Maus. Game over. Das war´s dann gewesen. Ich male mir bereits aus, wie ich am Pistenrand zelte und nach einer Mitfahrgelegenheit nach Uyuni oder San Pedro Ausschau halte, während die anderen die Lagunenroute weiter “geniessen”.
Doch zu meinem grossen Glück fahre ich mit Tinu, der ebenfalls eine Pinion-Schaltung fährt (und sie nach 6´500 Km in Uyuni auswechseln musste…). Auf der linken Seite hat sich eigenartigerweise der Verschlussring hinter der Kurbel gelöst. Kann die Pinion-Schaltung etwa mit dem Druck auf dieser Höhe nicht gut umgehen? Tinu hat ein Spezialwerkzeug dabei, um auf der Zahnkranzseite einen Verschlussring mit acht Löchern am Kettenblatt zu lösen. Leider sind die Lochgrössen des Verschlussringes an der linken Seite unterschiedlich (wieso das Leben kompliziert gestalten?) und wir müssen die Stifte anschleifen. Mit etwas Glück schafft es Tinu, den Ring anzuziehen, sodass ich weiterfahren kann. Riesenerleichterung!
Und wenn wir schon beim Material sind, ein kurzer Erfahrungsbericht. Bei der Ortlieb-Rahmentasche ist nach wenigen Wochen der Reissverschluss bzw. der Schlitten aus Kunststoff kaputt gegangen (jedes Wolljäckchen unter 50 Franken aus Zara hat einen stabileren Schlitten aus Metall…). Die hinteren Gravel-Packs von Ortlieb in der Grösse von vorderen Packtaschen hingegen haben sich bestens bewährt. Bei Bedarf montiere ich einen zusätzlichen Packsack auf den Gepäckträger.
Ein kleiner Exkurs zu einigen Ausrüstungsgegenstände, die ich besonders gut mag, weil sie leicht, funktionell und stabil sind (von oben links nach rechts unten). Der Klappbecher von Sea to Summit ist sehr platzsparend und leicht. Bilder und Videos schiesse ich mit der Sony-DSC -RX100-III. Das Stativ von Tamrac (ZipShot Mini) öffnet sich von selbst in wenigen Sekunden und ist sehr leicht. Die Eagle Creek Kleidertasche kann satt befüllt werden und passt perfekt in die Radtaschen. Mit dem Steripen kann Wasser mühelos (mit UV-Bestrahlung) gereinigt werden. Laptop habe ich nicht dabei, dafür Handy und klappbare Tastatur. In der wasserdichten Lendentasche von Ortlieb, meine zweite Haut, hat es Platz für Dokumente und Geld. Der kleine Rucksack von Osprey ist zusammengefaltet gross wie die Faust eines Kindes und sehr praktisch. Dünne Handschuhe aus Polartec sind unentbehrlich, wenn es abends rasch sehr kalt wird. Das Schweizer Taschenmesser: kein Kommentar. Ein Muss. Und ein Buff-Halstuch gehört zu jeder Reise dazu. Mit dem dünnen habe ich selbst Minustemperaturen überlebt.
Zurück auf das Altiplano. Es wird eine anstrengende Tagesetappe, rauf zu einem Pass, danach auf Sand und im Gegenwind runter bis zum Hotel del Desierto.
Ich kann noch knapp fahren und muss nicht schieben. Im Windschutz des Gebäudes für die Unterkunft der Chauffeure können wir unsere Zelte aufstellen. Mario, der Aufpasser, hat ein grosses Herz, wie er selber betont und Mitleid mit den sich abkämpfenden Velofahrern. Der Japaner Tatsuro schafft es auch noch bis hierhin, obwohl er zu 80 Prozent sein Rad schieben muss.
Es wird eine sehr kalte Nacht bei minus 12 Grad.
Laura und Pierre kommen mit ihrer Ausrüstung an ihre Grenzen. Ich schlafe mit langer Unterwäsche, Pullover und Daunenjacke und das Zwiebelprinzip bewährt sich.
Am Morgen warten wir jeweils, bis die ersten Sonnenstrahlen sich zeigen. Zu kalt ist es, um vorher zu starten.
Eine kurze und eher entspannte Etappe führt uns zum bekannten Árbol de Piedra, ein sieben Meter hoher Pilzfelsen, von Sand und Wind geformt.
Und der eher an den Kopf eines frischgeschlüpften Krokodils erinnert.
Wir amüsieren uns über die Jeeptouristen, die alle praktisch gleichzeitig ankommen, in Flipflops, Shorts und T-Shirts aus den beheizten Jeeps aussteigen und nachdem sie sich vor dem Felsen abfotografiert haben und der Fahrer nach 20 Minuten “Vamos, vamos!” schreit, schon wieder verschwunden sind.
Die Felsformationen hinter der Hauptattraktion sind genau so faszinierend und bieten vor allem guten Windschutz, um das Zelt aufzustellen. Es ist fast Vollmond und im hellen Schein des Mondes wirken die Felsen noch mysteriöser.
In der Laguna Colorado angekommen, gönnen wir uns einen Ruhetag. Der nur eineinhalb Meter tiefe See hat eine rote Färbung aufgrund der dort herrschenden Algenart und des hohen Mineralstoffgehaltes. Und das zieht Tausende von Flamingos an.
Gestärkt können wir unsere Fahrt fortsetzen. Es wird wieder eine anstrengende Etappe werden. Zunächst bis Huayllajara, wo wir unser zweites Esspaket in Empfang nehmen.
Eine mühsame Querung eines Feldes, für die meisten heisst es dort schieben. Danach eine Steigung, wo ich oben angekommen auf die anderen warte. Ein Landcruiser fährt einige Zeit später vorbei und in breitem Baselbieterdeutsch meint Daniel “Die andere chöme au glii!”. Da er ein BL-Nummernschild hat, halte ich ihn an und geniesse es, mit Baselbietern auf 4´700 Meter einen Schwatz zu halten. Celine und Daniel sind seit zwei Jahren auf den beiden amerikanischen Kontinenten unterwegs (www.break-a-way.net). Es stellt sich bald heraus, dass wir gemeinsame Bekanntschaften aus der Reiseszene haben. Und sie vermachen mir ein Fresspaket, damit wir Älplermakronen zubereiten können, inklusive Bier zum Runterspülen.
Doch das müssen wir uns zunächst abverdienen. Es steigt weiter, der eisige Wind bläst uns ins Gesicht und wir kämpfen uns auf der Wellblechpiste, bzw. dem Strauss an Pisten, weiter voran.
Endlich erreichen wir den Pass Sol de Mañana auf über 4´900 Metern und das nahegelegene Geysirfeld.
Die letzten Sonnenstrahlen verwandeln das sehr aktive Geothermiefeld aus Geysire, Schlamm-Löchern und Fumarolen in eine unwirkliche Szenerie, die uns in den Bann zieht. Entsprechend geraten wir etwas in Verzug, um unsere Zelte im starken Wind aufzustellen.
Wir suchen uns ein Plätzchen am Rand des Feldes und kommen so in den Luxus einer prächtigen Bodenheizung. Die ist so stark, dass ich ohne Schlafsack einschlafen und die vom Baselbieter Paar geschenkten Äpfel und Gemüse am Morgen gargekocht sind.
Anderntags geht es auf einer recht guten Piste runter zur Laguna Chaviri mit Thermalbad. Umgeben von tiefblauem Himmel und farbigen Bergen.
Danach vorbei an der Salvador-Dalí-Wüste (so benannt wegen der bizarren Felsbrocken, die an die Gemälde des Surrealisten erinnern).
Endlich erreichen wir die Laguna Blanca und die Laguna Verde, wo wir in verlassenen Häusern einen guten Windschutz finden. Faszinierend sind die versteinerten Korallen, die daran erinnern, das sich hier früher ein grosses Meeresgebiet befand.
Die Vicuñas am Wegesrand werden immer zutraulicher und laufen beim Anblick eines Radlers gar nicht mehr weg sondern lächeln in die Kamera.
Wir werden mit einer bezaubernden Abendstimmung belohnt und sind froh, dass wir mit den Velos unterwegs sind und so Zeit und Muse haben, solche Momente für uns alleine geniessen zu können.
Am letzten Tag geht es an der Laguna Verde am Fuss des Vulkans Licancabur vorbei. Die Farbe wechselt je nach Wind zwischen Türkis und dunklem Grün. Blei und Arsen sind u.a. dafür verantwortlich. Das mögen die Flamingos nicht, weshalb wir hier keine antreffen.
Eine letzte Steigung, in der uns der Wind fadengerade in das Gesicht bläst. So leicht entkommen wir der Lagunenroute nicht. Eine letzte mentale Prüfung. Wir erreichen endlich den bolivianischen Zoll und danach fängt bester Asphalt an.
Wenige Kilometer und dann steht uns eine 42 Kilometer lange Abfahrt bevor mit einem Höhenunterschied von sagenhaften 2´300 Höhenmetern ! Wir fliegen regelrecht in einen Backofen nach San Pedro de Atacama. Ein sehr touristischer Ort in Chile, wo wir die Annehmlichkeiten des Tourismus geniessen und, typisch Radler, in eine Art Lethargie verfallen und uns ausgiebig ausruhen.
Man soll aufhören, wenn es am Schönsten ist. Zwar gäbe es noch ein paar abgelegene Passübergänge nach Argentinien, doch allzu viel Zeit habe ich nicht mehr. Nach dieser tollen Fahrt in einer guten Gruppe fühle ich mich gesättigt. Ich kann mich glücklich schätzen, eindrückliche und schöne Landschaften in Ecuador, Peru, Bolivien und Chile mit dem RAW von MTB Cycletech entdeckt zu haben.
Altiplano Ahoi
Mittlerweile bin ich etwas ins Hintertreffen geraten mit meinem Reisebericht. Seit dem letzten zieren sechs neue Ein- und Ausreisestempel meinen Pass und ich habe fünfmal die Grenze gewechselt.
Also zurück nach Peru und nach Cusco, der alten Inkahauptstadt, dem Zentrum des Inkareiches. Dort beschränke ich mich auf die Sehenswürdigkeiten in der Stadt und unternehme einen geführten Ausflug, um die Ruinen von Chinchero, die Salzminen von Maras, Moray, Ollantaytambo und Pisaq im Schnelldurchlauf zu besichtigen. Den Spiessrutenlauf auf Macchu Picchu zusammen mit 2´499 anderen Touristen tue ich mir nicht an.
Hingegen kann ich ein von Eco-Solidar unterstütztes Projekt in der Nähe von Pisaq besuchen. Pukllasunchis, die 1981 von einer engagierten Schweizerin gegründete Partnerorganisation, die eine interkulturelle Modellschule in Cusco unterhält, führt mit grossem Erfolg seit vierzehn Jahren ein Radioprogramm, um das kulturelle Selbstbewusstsein der indigenen Bevölkerung, von Kindern und Frauen zu stärken.
Alex, langjähriger Mitarbeiter, führt mich durch die Räumlichkeiten von Pukllasunchis und zeigt mir das Aufnahmestudio. Das Radio ist nicht Zweck sondern Mittel, um das indigene Wissen und Kulturgut, das im offiziellen Schulprogramm und in den Medien keinen Platz hat, sichtbar zu machen. Die diskriminierte indigene Bevölkerung erhält dadurch eine Stimme. Schüler und Lehrer befassen sich mit dem lokalen Wissen der ländlichen Gemeinschaft, mit den Traditionen, Bräuchen und ihrer Weltanschauung.
Die von den Schülern erarbeiteten Themen werden auf Tonband aufgenommen. Pukllasunchis und deren Mitarbeitende unterstützen dabei die Lehrer und bilden diese aus. Ethnologen und Pädagogen bereiten anschliessend die Themen auf, damit sie ausgestrahlt werden können.
Die Radioprogramme werden zweisprachig gesendet: in Spanisch und Quechua, der lokalen Sprache. Zur Prime Time abends werden die von Pukllasunchis profesionell aufgearbeiteten 15-minütigen Programme in der Gegend von Cusco und Puno ausgestrahlt. Diese erfreuen sich mittlerweile grosser Beliebtheit bei der ganzen Bevölkerung.
Die fertigen Sendungen dienen zudem auch als Unterrichtsmaterial und können so mehrfach verwendet werden.
Luis, Marco und der Chauffeur Percy holen mich frühmorgens ab und wir fahren zum hochgelegen Dorf Amaru. Dort hat eine Schulklasse gerade eine Volksfabel vorbereitet und trägt diese mit der technischen Unterstützung von Marco vor.
Nach den Aufnahmen gibt Luis ein Feedback und animiert die Lehrerin dazu, die Kinder freier vortragen zu lassen und sich nicht streng an das Manuskript zu halten. Spontaneität und Improvisation sollen Raum haben und hilft vor allem den Kindern, die weniger gut Texte auswendig lernen können, sich mutiger einzubringen.
Wir machen eine Runde durch die Schule und sehen, wie Kinder mit Bohnen, Samen und Maiskörnern Zeichnungen gestalten. Alltägliche Szenen aus dem harten Dorfleben.
Luis strahlt wie ein Maienkäfer. “Soy muy feliz”, meint er. Die Ausbildung der Lehrkräfte trägt Früchte, erzählt er begeistert. Diese Lehrerin hat die von Pukllasunchis duchgeführte Weiterbildung offenbar verinnerlicht und im Schulunterrricht umgesetzt. Das freut Luis, der seiner Tätigkeit mit Herzblut nachgeht, immens.
Vor der Schule haben sich zufälligerweise die Eltern der Schulkinder eingefunden, um sich mit dem Direktor zu besprechen. Dieser nutzt die Gelegenheit und lässt Luis eine kurze Rede halten, um die Eltern auf die Arbeit von Pukllusanchis und dem Radioprogramm aufmerksam zu machen.
Nach diesem aufschlussreichen Tag fahren wir zurück nach Cusco. Zeit für mich, weiterzuziehen. Mit dem Nachtbus fahre ich direkt nach Copacabana am Titicacasee. Das ist zumindest die Absicht. Um halb vier Uhr morgens steht der ganze Verkehr vor Juliaca still. Eine Strassenblockade: Steine, Glasscherben, Unrat und brennende Pneus blockieren praktisch den ganzen Tag den Verkehr. Die Bürger protestieren damit gegen den Bürgermeister, der ein längst überfälliges Programm, um den umliegenden Gemeinden Zugang zu Wasser zu verschaffen, immer noch nicht umgesetzt hat. Alle Reisenden sämtlicher Busse müssen aussteigen und 10 Kilometer durch Juliaca laufen und auf einen Collectivo hoffen, der sie nach Puno bringt. Nun, da ich einen fahrbaren Untersatz mit dabei habe, radle ich die 45 Kilometer nach Puno. Am Nachmittag dann kann ich per Bus nach Copacabana weiterreisen, wo ich erst bei Dunkelheit eintreffe.
Dort hole ich mir eine Magenverstimmung ein und muss drei Tage zwangspausieren. Endlich geht es weiter. Mit öV fahre ich in den Nordwesten Boliviens bis zum Dorf Curahuara de Carangas. In La Paz steige ich um, habe Riesenglück, das sich gleich ein Baño publico um die Ecke befindet und ich gleich ein Colectivo für die Weiterfahrt finde.
Endlich wieder auf dem Drahtesel ! Um wieder auf Betriebstemperatur zu kommen, steht mir gleich eine 100-Kilometer Etappe nach Sajama beim gleichnamigen Nationalpark und Vulkan bevor. Der grösste Teil auf Asphalt, die letzten 15 Kilometer auf einer sandigen Piste.
Von Sajama fahre ich bis zum Grenzort Tembo Quemado, wo ich noch bestmöglich Proviant für die nächsten vier, fünf Tage einkaufe. Von hier reise ich nach Chile ein. Das Ganze hat einen Haken: in Chile werde ich durch Nationalparks fahren und es gibt keine Läden in den wenigen winzigen Ortschaften. Und die Chilenen sind streng, was die Einfuhr von Lebensmitteln anbelangt. Alles, was nicht industriell verpackt ist, muss entsorgt werden. Sprich: keine Früchte, keine Gemüse, kein Brot etc.
Ich fahre zunächst dem Lago Chungará entlang mit Blick auf den Vulkan Parinacota. Ich dachte, dass die Strasse nach Parinacota geteert sei, doch sie wird neu gebaut und ist eine einzige Baustelle, holprig und staubig. Immerhin ist der Blick auf den Vulkan und die Lagune mit Flamingos und grasenden Alpacas einzigartig.
Vom Nationalpark Lauca geht es dann südlich zur Reserva Nacional Vicuñas. Ich bin nun ganz alleine auf einer sandigen und holprigen Piste, erklimme einen Pass und fahre runter zu heissen Quellen. Zu meinem Erstaunen entdecke ich hier viele Strausse. In der Abgeschiedenheit stelle ich mein Zelt auf. Wildes Zelten wie ich es liebe.
Am nächsten Tag gelange ich zu einer Kreuzung. Ab jetzt teile ich die Piste mit vielen Lastwagen, die zum Salar de Surire bolzen, um dort Borax aufladen. Borax oder Natriumborat ist ein selten vorkommendes Mineral und entsteht bei der Austrocknung von Salzseen. Es wird u.a für Glasuren, Keramiken und für die Emailproduktion verwendet.
Gemäss Auskunft von anderen Radlern soll es auf der ganzen Strecke von fünf Tagen keine Verpflegungsmöglichkeit geben. Umso erfreuter bin ich, als ich im Weiler Ancuta einige parkierte Lastwagen erblicke und darauf schliesse, dass sich dort ein Truck-Stop befinden muss. Tatsächlich, ein kleines Restaurant mit einem kleinen Shop, in dem ich sogar Avocados, Tomaten und Brot kaufen kann. In solch abgelegenen Gebieten gilt das Hauptaugenmerk eines Tourenradlers dem Strassenzustand, der Verpflegung und dem Zugang zu Trinkwasser.
Nach einer sehr kalten Nacht im Zelt, während der mir das ganze Wasser vereist, entdecke ich nochmals einen kleinen Truck-Stop, wo ich Brot kaufen kann. Bald erreiche ich eine Anhöhe und sehe den Salar de Surire. Nach einem kurzen Schwatz in der Polizeistation Chiclaya fahre ich östlich des Sees. Gegen zwei Uhr mache ich Halt, esse Brot, Paté und Zwiebeln, der starken UV-Strahlung und dem Wind ausgesetzt. Ich muss mich danach motivieren, um mein Tagesziel zu erreichen. Es geht nur langsam voran, die Wellblechpiste bremst mich ein. Noch 15 Kilometer, sprich mindestens eineinhalb Stunden. Doch ich habe nicht mit einer drei Kilometer langen Sandpassage gerechnet, nochmals zusätzlic 45 Minuten. Endlich erreiche ich dann die heissen Quellen von Polloquere, wo sich bereits sechs andere französische Radler eingefunden haben.
Das wohlverdiente Bad lasse ich mir nicht nehmen und springe gleich rein. Herrlich!
Am nächsten Tag starten wir alle zusammen und nehmen eine 2 km lange Abkürzung über bolivianisches Territorium, trotz Abmahnung seitens der chilenischen Polizisten.
Dies erspart uns einen Umweg über einen 4´700 Meter hohen Pass. Was uns nicht erspart bleibt, ist der Gegenwind und die Wellblechpiste. In einer verlassenen Ortschaft beschliesse ich, mich von der Gruppe zu verabschieden. Es ist erst drei Uhr und ich möchte noch weiter. Doch allzu weit komme ich nicht. Der Wind zieht noch stärker auf, die Piste wird noch sandiger. Allzu weit werde ich heute nicht kommen.
Ein Minibus hält an und der Fahrer Orlando, von einem pensionierten deutschen Paar gebucht, hat alle sechs Radler samt Velos mitgenommen. Sie grinsen mich alle an. Ich kann nicht widerstehen und steige auch ein und erspare mir eine Tagesetappe bis zur bolivianischen Grenze. Dafür kann ich ein gemütliches Beisein in der Gruppe geniessen und meine restliche Schokolade teilen.
Von Grenzort Colchane fahren Laura, Pierre und ich Richtung Uyuni, während die anderen zur Küste nach Iquique radeln. Ben und Cécile haben nämlich auf dem Gepäcktäger ihre Gleitschirme mit dabei und Iquique scheint der Thermik wegen ein weltbekannter Ort für diesen Sport zu sein.
Wir haben Glück, die anderen Pech. Mit Rückenwind fahren wir auf einer Piste dem Salar de Coipasa entgegen, dem zweitgrössten Salzsee in Bolivien. Am Rand der Wüste ist das Salz verkrustet, fühlt sich an, als würde man eine Meringue essen. Es knirscht fortwährend. Inmitten des Sees liegt die kleine Ortschaft Coipasa, wo wir übernachten.
Der Salar de Uyuni hingegen ist mit 10´000 Quadratkilometer die grösste Salzpfanne der Erde. Es ist ein unwirkliches, surreales Gefühl, 70 bis 80 Kilometer am Stück auf dieser topfebenen, weissen Fläche zu fahren. Kein Lebewesen. Nur Weite.
Das Licht ist gleissend hell. Es gibt zahlreiche Pisten, die gut zu befahren sind. Zum Glück habe ich das GPS mit dabei, denn die wenigen Inseln tauchen erst bei einer Distanz von 20 bis 30 Kilometern im Horizont auf.
Wir fahren zunächst an der Isla Pescador vorbei und später zur Isla Incahuasi, ein sehr beliebter Ausflugsort für Touristen. Wohl eine der Hauptattraktionen in Bolivien.
Zu Recht. Denn auf dieser Insel scheinen sich alle Kakteen der Umgebung der letzten Jahrhunderte versammelt zu haben. Meterhohe und bis zu 1´200 Jahre alte Exemplare der Echinopsis atacamensis finden sich hier dichtgedrängt auf dieser kleinen Insel.
Ein Naturwunder, ein unvergleichliches Spektakel. Für einen Tourenradler ist es ein Traum, auf der östlichen, windgeschützten Seite das Zelt auf dem betonharten Salar aufzustellen. Ich habe mir eigens Nägel gekauft, um die Zeltheringe nicht zu verbiegen. Vor Sonnenuntergang verschwinden ohnehin alle Touristen und man ist für sich alleine hier.
Den Sonnenaufgang um 5.43 Uhr lasse ich mir nicht entgehen, stehe bereits vor fünf Uhr auf. Ein lang gehegter Traum geht für mich in Erfüllung.
Um neun brechen wir dann auf, fahren nochmals 70 Kilometer in absoluter Monotonie bis zum Hotel de Sal, wo sich alle geführten Touren nach dem frühmorgendlichen Besuch der Isla Incahuasi einfinden, um ihre Lunchpakete zu verspeisen.
Noch wenige Kilometer bis wir wieder Asphalt unter den Pneus haben. Die letzten 23 Kilometer bis nach Uyuni fliegen wir regelrecht mit Geschwindigkeiten von 25 bis 35 Kilometern pro Stunde.
Uyuni mag nicht sonderlich attraktiv sein, die Häuser scheinen wie hier üblich, unvollendet zu sein. Nur die Fassaden werden verputzt, während man bei den Seiten die roten Backsteine sieht. Doch hier gibt es Unterkünfte, einen Markt mit einem anständigen Angebot an Früchten und Restaurants. Als erstes deponiere ich die mit einer von Schweiss mit einer Salz kruste überzogenen Kleider in einer lavanderia. Hier treffe ich auch endlich Freunde aus der Schweiz: Sabine und Tinu, die seit längerem in Südamerika unterwegs sind und mir vorausgefahren sind (www.siempre-pedalar.ch). Wir gönnen uns eine Pizza und bei einigen Flaschen Bier brüten wir darüber, ob wir die anstrengende Lagunenroute im Südwesten Boliviens wagen sollen, für die man 8-10 Tage mit dem Rad veranschlagen sollte.