Lesotho und Revolution zum Zweiten
Nervenkitzel zum Abschluss meines Afrika-Aufenthaltes. Die Ruhe vor dem Sturm. Nachdem ich mir in Südafrika und Lesotho eine Auszeit genommen habe, fliege ich am 2. Juli nach Kairo zurück. Ich komme um 5 Uhr 40 an. Es ist bewölkt. Der Wüstenstaub und der Smog decken die 20-Millionenstadt Kairo in einen grauen Schleier ein. Sobald ich vom Flieger aussteige, kleben mir die Kleider am Leibe. Ich bin mir diese schwüle Hitze nicht mehr gewohnt. Im winterlichen Südafrika ist es derzeit angenehm frisch. Ich bin etwas besorgt und gespannt. In den letzten Tagen gab es anlässlich des einjährigen Jubiläums des neuen Präsidenten Morsi Demonstrationen und Kundgebungen auf dem Tahrir-Platz. Unzufriedenheit, Unmut macht sich breit. Wirtschaftlich geht es bergab mit dem Pharaonen-Staat. Auch die undemokratische Richtung, die Morsi und die Muslimbrüder eingeschlagen haben, behagt vielen nicht. Das Land ist tief gespalten.
Ein Taxi bringt mich westlich des Nils in den Stadtteil Mohandiseen, wo ich mein Velo bei drei jungen Studenten aus England, Amerika und Italien untergestellt habe. Sie studieren in Edinburgh “Internationale Beziehungen” und absolvieren einen Arabisch-Intensivkurs. An diesem Tag werden sich die Ereignisse überstürzen. Nachdem ich etwas Schlaf vom Nachtflug nachgeholt habe, begebe ich mich zum Sprachinstitut, wo Steve, Sam und Marco studieren. Alle anwesenden Studenten verfolgen gespannt und aufgeregt die aktuellen Geschehnisse im Fernsehen. Die Leute fordern den Rücktritt von Morsi, während dieser, gedeckt von den Muslimbrüdern, nicht im Geringsten daran denkt. Wieso auch ? Er ist demokratisch gewählt worden. Das Militär stellt sich auf die Seite der Demonstranten – und Morsi ein 48-stündiges Ultimatum, um eine friedliche Lösung herbeizuführen. In wenigen Stunden wird es ablaufen. Was wird passieren ? Nach Ablauf der Frist entmachtet das Militär putschartig Morsi.
Freudenjubel bricht bei den Menschen aus. In der ganzen Stadt werden Feuerwerke gezündet, Autofahrer hupen, schwenken Fahnen, Gewehrschüsse werden abgefeuert. Mit dem mitgebrachten südafrikanischen Rotwein und Billtong stossen wir auf die zweite Revolution an. Steve geht spätabends noch auf den Tahrir-Platz, um die vibrierende Volksfest-Stimmung vor Ort zu erleben, während die meisten Sprachstudenten noch in dieser Nacht unter Waffenschutz nach Jordanien evakuiert werden. Meine drei Gastgeber wollen noch in Kairo bleiben.
Es wird eine sehr kurze Nacht werden. Ich fahre am nächsten Tag ins Zentrum. Ich habe ganz andere Sorgen. Ich will ein Paket aufgeben, um ein paar Kilogramm für den Flug nach Tunesien abzuspecken. Die dicke, sperrige Wolldecke aus Lesotho kann ich zudem in den naechsten Wochen nicht gebrauchen. Und ich muss noch den Flug buchen. Die Taxifahrer sind erfreut über den Ausgang der Demonstrationen. Das Leben in der Metropole scheint normal weiter zu gehen. Ich begebe mich zum Tahrir-Platz, wo bloss eine Handvoll Demonstranten übriggeblieben ist. Es herrscht eher Katerstimmung, viel Abfall liegt herum, beissender Gestank von Urin liegt in den Strassen. Ich wäge ab. Es ist Donnerstag, ich könnte bereits am Freitag fliegen. Aber ohne einen Blick auf die Pyramiden und die Sphinx zu erheischen, moechte ich nicht verreisen. Also buche ich für den Samstag und besuche am Freitag mit meinen Gastgebern die Pyramiden. Auf den letzten Drücker sozusagen. Wir sind praktisch die einzigen ausländischen Touristen.
Die Muslimbrüder lassen die Absetzung ihres Präsidenten nicht ohne weiteres auf sich sitzen und blasen nach dem Freitagsgebet zum Angriff, während Kampfjets den ganzen Tag lang die Macht des Militärs demonstrieren. Es folgen Gegendemonstrationen, Sitzproteste, in denen drei Mursi-Anhänger getötet werden. Die Intialzündung für weitere Tote. Abends dann erhalten meine Gastgeber die Nachricht, dass sie in den nächsten Stunden zwingend evakuiert werden. Ein Taxifahrer bringt mich um 5 Uhr morgens zum Flughafen. Die Strassen sind leergefegt, wir kommen gut voran. Doch auf halber Strecke fahren wir im Vorort Nasr City in eine Protestaktion rein, Stacheldraht und Panzerwagen versperren die Hauptverbindung zum Flughafen. Mir ist leicht mulmig. Zum Glück habe ich aber das Taxi fünf Stunden vor dem Flug (der ohnehin noch zwei Stunden Verspätung haben wird) bestellt. Wir nehmen einen Umweg. Endlich treffe ich dann im Flughafen ein und kann einchecken. Und ausatmen.
Doch nun zurück nach Südafrika, nach Lesotho. Ich stelle mein Velo bei Sam, Steven und Marco in Kairo ein und fliege runter nach Johannesburg, wo der Winter Einzug hält. Nachts ist es kalt und eisig, tagsüber sonnig und frisch. Die Luft ist rein, der Himmel stahlblau. Zusammen mit Shawna, eine Peace Corpse Volunteer, die ich seinerzeit in Lesotho kennengelernt habe, verbringen wir zunächst einige Tage in Südafrika, in Clarens und im Golden Gate National Park.
Dieses Bergland, drei Viertel so gross wie die Schweiz, hat mir auf meiner Durchreise bereits sehr gut gefallen, die Leute waren sehr freundlich. Die Stimmung ist enstpannt, die Leute gehen gemächlich ihren Alltagsgeschäften nach, die meisten Männer tragen einen Kobo, eine dicke Wolldecke. Verhandeln ist hier verpönt. Man wird nicht übers Ohr gehauen. Die meiste Zeit verbringe ich in Mohales Hoek, wo Shawna ihrer Tätigkeit als Peace Corps Volunteer beim Ministry of Agriculture nachgeht. Sie lebt hier in einem landestypischen Rondavel mit einem Strohdach. Einige Meter entfernt ein aus Wellblech improvisierter Stall für die vier Schafe von Ntaté Lefu, der mich wie üblich mit einem breiten Grinsen begrüsst.
Langweilig kann es einem in einem bergigen Land nicht werden. Im Hinterhof von Mohales Hoek gibt es viele Hügel und so unternehmen wir viele Wanderungen, erkunden Höhlen, Schluchten und besteigen einige Berge. Es macht Spass, frühmorgens loszubrechen, einen Gipfel anzupeilen und dorthin zu trekken. Unterwegs treffen wir immer wieder Schafhirten an. Unser treuer Begleiter ist jeweils Seriti, auf Sesotho Schatten, ein frecher junger Hund, der stetig an Vertrauen gewinnt, es sichtlich geniesst, Berge hinaufzukraxeln und besonders Freude daran hat, Schafherden und Kinder zu verscheuchen. Bei einer Wanderung verweigert er jegliche Nahrungs- und Wasseraufnahme. Wir befürchten schon, dass er vergiftet wurde. Doch zum Glück wird er abends wieder seine gewohnte Ess-Aggression finden, um die wir für einmal froh sind.
Als erstes nehmen wir den Hausberg von Mohales Hoek in Angriff: Thaba Linoha, der Schlangenberg. Die Tage sind kurz und so starten wir in der Dunkelheit im Schein unserer Stirnlampen. Beim ersten Aussichtspunkt eröffnet sich das Tal, Morgennebel hängt schwer in der Luft und gibt in der Dämmerung ein tolles Farbspektakel ab. Von weitem studieren wir die kahle Bergflanke, um eine geeignete Route ausfindig zu machen. Das lose Geröll und ein paar Felsstufen zwingen uns zu besonderer Vorsicht. Selbst Seriti wird es dann irgendwann einmal zu bunt, er winselt und will über ein paar Felsen getragen werden. Doch nach ein paar Stunden haben wir es geschafft, sind oben und können endlich die Aussicht auf die Berge und das benachbarte Flusstal bestaunen.
Mit dem Mietauto unternehmen wir dann später einen Ausflug ins Landesinnere und zur höchsten Strasse des südlichen Afrika. Unterwegs bestaunen wir einige Dinosaurier Fussabdrücke und Felszeichnungen von Buschmännern. Dann geht es ständig bergauf, bis zum höchsten Punkt auf über 3’255 M zum Tlaeeng Pass, der höchsten befahrbaren Strasse im südlichen Afrika. Unser kleines Mietauto kann natürlich nicht mithalten mit den übermotorisierten SUV’s aus Südafrika, die für ein verlängertes Wochenende nach Lesotho zum Skifahren und Snowboarden brettern. Im Afriski-Resort gibt es das Ganze Drumherum, das man an einem Skiort findet: Ski – und Snowboardverleih, Après-Ski, Restaurant, Bars, Chalets, Backpacker und trendiger Laden. Ach ja, und eine niedliche, kaum halben Kilometer lange Piste, die mit Kunstschnee am Leben erhalten wird. Aber fuer uns gibt es keinen Platz zum Schlafen. Ausser im Mietwagen, in dem wir eingepackt in den Schlafsäcken eine eisig-kalte Nacht verbringen.
Wir fahren anschnliessend zum Katse-Dam. Ab hier ist die Strasse nicht mehr geteert und in einem schlechten Zustand. Für die 60 Kilometer nach Thaba Tseka benötigen wir fast vier Stunden. Dass wir mit dem Auto unterwegs sind, spricht sich bei den anderen Peace Corps Volunteer dank BlueBerry schnell rum und so nehmen wir unterwegs noch zwei Kolleginnen mit, die zur Hauptstadt Maseru fahren wollen.
Diesmal habe ich ausgiebig Zeit für ein Ponytrekking, zwei Tage bin ich zusammen mit meinem 20-jährigen Guide Ntaté Ntabo auf Schusters Rappen unterwegs. Der beste Ort, um ein solches Trekking zu organisieren, ist die Malealea Lodge im Suedwesten des Landes. Es ist eindrücklich, wie die Ponies durch steile Abschnitte und loses Geröll vorankommen. Wir trekken ins Tal des Ribaneng, schlafen dann in einem kleinen Dorf.
Eine unschoene Szene erleben wir, als wir in einem Minibus unterwegs sind. Ploetzlich haelt der Verkehr an, ein Bus hat sich aus welchem Grund auch immer quer zur Strasse gestellt. Ein entgegenkommendes Taxi weicht auf das holprige Feld aus, brettert mit unverminderter Geschwindigkeit darueber. Ploetzlich geht die hintere Tuere auf, eine uebergewichtige Mutter mit einem Kleinkind auf dem Ruecken gebunden faellt aus dem Fahrzeug und knallt auf den Boden, rollt einige Male. Die Frau blutet im Gesicht, schreit verzweifelt. Der Zustand des Kindes scheint kritisch zu sein.
Zurück in Johannesburg habe ich einen halben Tag Zeit, die ich nutze, um ein paar Stunden im aufschlussreichen Apartheid-Museum zu verweilen. Dann geht es wieder zurück nach Kairo. Von dort fliege ich dann weiter nach Tunis. Nach Ägypten ist Tunesien eine richtiggehende Umstellung. Tunis ist sauber, europäisch, geordnet. Ein grosser Boulevard lädt zum Flanieren ein. Die Tunesier leben einen moderaten, aufgeschlossenen Islam. Frauen in Burkas sind hier nicht zu sehen. Kopftücher sind eher die Ausnahme. Abends schliessen alle Laeden. Ich fühle mich wohl hier. Die Tunesier sind kontaktfreudig. Viele Jugendliche sind neugierig auf meine Meinung über Tunesien, wo der arabische Frühling vor über zwei Jahren sich wie ein Brandfeuer ausgebreitet hat.
Drei Tage lang absolviere ich mein Pflichtprogramm. Das touristische Städtchen Sidi Bou Said, das moderne Museum Bardo, wo viele einzigartige Mosaike aus Karthago höchst professionnel und zeitgemässs ausgestellt sind. Trotz Hitze kann ich mich doch noch dazu überwinden, einige Steinhaufen in Karthago anzuschauen. Wohlwissend, dass der Roemer Cato mit seinem “ceterum censeo carthaginem esse delendam” im Senat durchdrang und die Stadt im Dritten Punischen Krieg dem Erdboden gleichgemacht wurde.
In Tunesien freue ich mich auch, wieder einmal ein traditionelles Hammam zu besuchen, wo ich von einem Masseur durchgeknetet und geschrubbt werde. Ich verirre mich in der UNESCO-geschützten Medina, wo die Händler im ägyptischen Vergleich richtiggehend zahm sind. Es ist jetzt im Juli eindeutig zu heiss, um noch das Landesinnere von Tunesien und die Wüste zu erkunden. Doch aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Inshallah ! Von Tunis nehme ich die Fähre, die mich in sechs Stunden nach Sizilien, meinem Heimatland bringt !
Es geht immer noch weiter…
Zum Glück. Denn ich hatte sehr aufmerksame Schutzengel. Was man drei Monate vor der Abreise am wenigsten braucht, ist ein böser Velounfall. Samstag, 21.5.2011, blendendes Wetter, ideal für eine Ausfahrt mit dem Renner über den Passwang. Die Autofahrer scheinen an diesem Samstag etwas zu spinnen, zwei Mal werde ich in einem Kreisverkehr fast abgeschossen. Beim dritten Mal könnte es schiefgehen, geht es mir einen Sekundenbruchteil durch den Kopf. Auf der Passhöhe hole ich einen anderen Velofahrer ein, wir tauschen einige Worte aus, ich kontrolliere, dass mein Helm gut angezogen ist, nach den Serpentinen warte ich auf ihn, wir fahren für kurze Zeit nebeneinander, bis ich merke, wie von hinten ein Schatten auftaucht. Ich beschleunige auf ca. 45 km/h, der andere Velofahrer reiht sich im Windschatten hinter mir ein. Die Strasse ist leicht abschüssig. Der Jeep mit Pferdeanhänger überholt uns dann langsam, einige Meter vor mir schwenkt er langsam wieder auf die rechte Seite der Fahrbahn ein. Ich denke mir: “Der hat den Überholvorgang beendet, die Luft ist rein”.
Dann geht alles sehr schnell, nur ganz wenige Sekunden vergehen. Weder der hinter mir fahrende Velofahrer noch ich sehen je die Blink- oder Bremslichter leuchten. Und tatsächlich geht der Idiot voll auf die Bremse. Der Kollege hinter mir hat die Lunte geruchen, kann noch rechtzeitig bremsen, ruft mir “Pass auf !” zu. Trotz Notbremsung realisiere ich, dass ich sogleich zum Dummy mutieren werde, kann den Kopf noch einziehen, und knalle mit der Vorderkante des Helmes voll in den Anhänger rein. Ich schlage beide Knie auf, instinktiv lasse ich den Lenker los und versuche mit beiden Händen nach irgendetwas am Anhänger zu greifen. Nach einigen Metern kommt dann der Bauer zum Stillstand und ich falle zu Boden. Der Bauer kümmert sich zunächst um seinen Schafsbock hinten im Anhänger, der es überlebt hat, ich auch zum Glück. Mein Gesicht fühlt sich warm an, ist blutüberströmt. Der Nacken tut weh. Mir ist klar: wenn ich mir jetzt was gebrochen habe, werde ich dieses Jahr nicht mehr starten können. Im Spital werde ich in die Röhre geschickt. Nach Analyse der Computertomographie dann endlich Entwarnung: weder am Schädel noch an der Halswirbelsäule etwas gebrochen. Puuuuuuhhhh !!! Der Bauer hat nun eine Strafanzeige am Hals und tut sich keinen Gefallen, als er dem Polizist gegenüber äussert, dass er ja am arbeiten sei und wir (die beiden Velofahrer) Freizeit hätten und daher besser aufpassen müssten. Eigenartige Logik.
Das Velotraining konnte ich erst vor Kurzem wieder aufnehmen. Physiotherapie und Krafttraining sind jetzt angesagt. Es geht mir aber wieder schon sehr gut und ich kann den Hals praktisch beschwerdefrei wieder bewegen. Die Vorbereitungen laufen ansonsten auf Hochtouren. Reiseinfos sammeln, Homepage auf Vordermann bringen, Gespräche und Kontakte mit Helvetas, Partnern, Sponsoren und Medien. Die Ausrüstung ist fast komplett. Vieles konnte ich beim Outdoor-Laden “Landweg” in Bubendorf beziehen, der mich während dieser Reise sponsert. Das neue Material habe ich teilweise bereits getestet (um danach sofort die Veloschuhe gegen ein anderes Fabrikat einzutauschen). Zusammen mit Wolfgang, einem Radlerkollegen, den ich letztes Jahr in Norwegen kennengelernt habe und der einen Extrabogen gemacht hat, um mich vor der Abreise nochmals zu sehen, kurven wir fachsimpelnd zwei Tage in den Freibergen des Jura umherum. Unsere Erkenntnisse: wir wissen, woher Didier Cuche stammt und in welcher Käserei 18 Monate alter Gruyère gekauft werden kann.
Nachdem ich einige Tage Strand und Sonne mit Mélanie genossen habe, werde ich diese Woche die Wohnung auflösen. Tja, und dann sind die Tage gezählt bis zur Abreise Ende August.