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Pamir Highway zum Zweiten

Nach der ersten Runde (Dushanbe-Khorog-Wakhan Korridor-Lake Zorkul-Murghab-Akbaital-Pass-Bartang Valley) bin ich wieder in Khorog, wo ich mir zwei Ruhetage gönne.

Von Khorog gibt es drei Varianten, um nach Murghab, im Herzen des Pamir zu gelangen: auf der am stärksten befahrenen und grösstenteils asphaltierten M41, dem Pamir Highway, dem Wakhan Korridor an der Grenze zu Afghanistan und dazwischen gibt es noch das Shugdara Tal. Dieses möchte ich entdecken.

Auf seinen 142 Kilometern nimmt der Fluss rund 40 Nebenflüsse von den mächtigen Bergen ringsherum auf und verwandelt sich in einen wasserreichen Fluss, der im Winter nie zugefriert. Die Vegetation ist im Tal üppig, ändert sich von Obstgärten, Auwäldern und Buschvegetation.

Als ich frühmorgens starte, merke ich, wie meine Beine etwa zittrig sind, mein Immunsystem auf Hochtouren läuft und ich am schwächeln bin. Eigentlich hätte ich auf dem Absatz kehrt machen müssen. In Tibet ist mir das einmal passiert: ich verliess das Guesthouse in einem kleinen Dorf und schaffte es keine 50 Meter weit. Mein Körper schrie nach einem Ruhetag. Ich checkte wieder im Hostel ein und verbrachte den Tag im Bett.

Ich wäge ab und wage es, fahre bis Roshtkala in gemütlichen Tempo. Immerhin fast 1000 Höhenmeter und 5 Stunden. Unterwegs esse ich fleissig Sanddornbeeren. Die sind zwar wegen der Dornen mühsam zu pflücken aber sollen viele Vitamine haben. Und die gibt es hier wie Sand am Meer.

Im kleinen Dorf Vezdara soll es ein Homestay geben. Kurz vor dem Dorf dann eine Überraschung: die Strasse ist gut einen halben Meter unter Wasser. Entweder baden gehen oder über einen Feldweg das Velo schieben. Ich entscheide mich für die zweite Variante.

Ich kann bei Atogol schlafen und vor drei Uhr lege ich mich schon mal hin und ruhe mich aus. Glück für mich. Weil er anderntags früh nach Dushanbe zurückfährt. Hier hat er sein kleines Landhaus, schlicht aber idyllisch zwischen einem Bach und der Dorfschule gelegen. Anderntags fühle ich mich etwas besser, dafür plagt mich langsam ein Husten. Die Landschaft wird dafür umso bezaubernder.

Die Menschen sind wie im Wakhan sehr gastfreundlich und meistens lehne ich die Einladungen zum Tee schweren Herzens ab, nehme dann aber vor Mittag dankend doch eine an.

Ich bin froh, dass es hier Homestays gibt und mich so etwas schonen kann. Nach der letzten Ortschaft steigt die Strasse an und gibt endlich den Blick frei auf den Peak Engels (6507 m) und Peak Karl Marx (6723 m).

Dann folgt ein etwas mühsamer Abschnitt mit ein paar Schiebepassagen. Der Mainasa Pass auf 4’244 m ist nicht mehr weit. Die Strasse wechselt die Flussseite und dort findet sich ein idealer Zeltplatz. Bei der Brücke kann ich windgeschützt kochen und schon bald bin ich im warmen Schlafsack. Es wird mit minus 7 Grad eine kalte Nacht werden.

Die letzten Kilometer am frühen Morgen sind ein Genuss. Die Abfahrt bis zum Pamir Highway wird dann ruppig. Wer hier rauf will, schiebt sein Rad drei Stunden lang. Eine Flussfurt nocj und die ersten Lastwagen erinnern mich daran, dass ich auf der M41, dem Pamir Highway, bin. Ein ganzer Konvoi von Radlern fährt an mir vorbei. Ich werde sie kurz darauf einholen. Da ich einen Abstecher nach Bulunkul, zum ‘Hohen See’ eingeplant habe, verliere ich nicht allzu viel Zeit mit Smalltalk und mache mich auf den Weg. Sie sind schwer beladen und ich fahre ihnen gleich davon. Endlich wieder ein Pass, auf dem ich mein Rad nicht schieben muss. Der Asphalt weicht zwar einem feinen Schotter. Ich kann aber bis zum Koytezek-Pass auf 4271 Metern fahren.

Hier wird die Landschaft sehr karg, weitläufig. Die Hochebene wird von den Pamir-Kirgisen als Weidefläche genutzt. Kurz vor Alichur biege ich dann links ab, noch 16 km Kampf gegen den Wind und auf einer sandigen Wellblechpiste.

Das Timing ist perfekt, die letzten Sonnenstrahlen beleuchten das 400-Seelendorf, als ich Bulunkul erreiche. Hier wurde übrigens mit minus 63 Grad der Kälterekord Zentralasiens gemessen.

Die Fahrt von Bulunkul nach Alichur ist dann recht gut und vergnüglich. Und sehr einsam. Zu Beginn fahre ich auf einen Aussichtspunkt hinauf. Der Blick auf den See ist sensationell. Danach geht es eine Ebene runter, entlang eines Flusses mit einem kontrastierenden grünen Ufer. Und bald erreiche ich einen kleinen Geysir. Danach ist die Strecke kurzweilig, wellig und kurvenreich, aber gut zu befahren.

Bald erreiche ich die Ortschaft Alichur auf 3860 Metern. Den einzigen Dorfladen möchte ich aufsuchen und frage einen Herrn mit einem Kalpak, der traditionellen Kopfbedeckung, wo sich der Laden befinde. Er sei der Ladenbesitzer und zeige mir gern den Weg dorthin.

Geistesgegenwärtig sage ich zu ihm: ‘Adin minut, pashaulsta. Ya vi snaiu!’ (Eine Minute, Bitte. Ich kenne Sie). Ich suche auf meinem Handy die alten Bilder von 2006 und zeige ihm ein Bild: “Das bin ja ich” ruft er freudig aus. Zwei Bilder habe ich damals von ihm geschossen. Eines mit seinem Sohn und eines mit seiner Tochter. Wir machen ein paar frische Fotos und verabschieden uns herzlich.

Alichur hat sich nicht gross verändert. Eine Handvoll Homestays gibt es immerhin. Ecotourismus ist angesagt und drängt sich auf, da viele, egal ob mit Rad oder Jeep, hier Halt machen wollen und sich von den Strapazen erholen möchten. Strom ist Mangelware, abends muss der Generator für ein paar Stunden angeworfen werden.

Von Alichur möchte ich das über 100 km entfernte Murghab in einem Tag erreichen und fahre deshalb früh los.

Nun, es wird die bislang schnellste Etappe meiner Reise mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 20.4 km/h werden. Unglaublich schnell, wenn ich bedenke, dass ich für 2’214 Kilometer insgesamt 190 Stunden benötigt habe. Teilweise hatte ich sogar einen Schnitt von nur 7 km/h. Dem Rückenwind gebührt der entsprechende Dank. Und den Sowjets für die gut gebaute Asphaltstrasse. Unterwegs treffe ich einen englischen Radler an und wir fliegen zusammen Richtung Murghab. Um 14 Uhr sind wir schon beim Checkpoint. Bevor ich mein Zimmer beziehe, kaufe ich mir eine Wassermelone im Basar. Zu gross ist die Lust nach dieser gesunden Erfrischung.

Zufällig ist am nächsten Tag der Unabhängigkeitstag Tadschikistans. Gleich gegenüber meinem Guesthouse finden Feierlichkeiten, Ansprachen und Tänze statt und es herrscht eine Volksfeststimmung.

Das lasse ich mir natürlich nicht entgehen gehen und mische mich unter die Menschenmenge.

Mit einem Jeep geht es dann weiter bis zum Karakul, dem Schwarzen See. Die Strecke über den Ak-Baital Pass möchte ich nicht noch einmal abfahren. Karakul ist ein 380 km² grosser abflussloser See, umgeben von Bergriesen. In der gleichnamigen Ortschaft übernachte ich mit einem sympathischen deutschen Paar, in deren Jeep ich mitfahren durfte. Ein Pass auf 4’232 Metern ist zunächst zu erzwingen. Am Pass angekommen, drehe ich mich um, geniesse nochmals diesen grandiosen Anblick. Pamir Highway at it’s best: Weite, Einsamkeit, schneebedeckte Berge, schnurgerade Strasse.

Von hier hat man einen wunderbaren Blick auf das Transalaigebirge und den höchsten Berg, den Pik Lenin, der seit 2006 nun Pik Abuali ibni Sino heisst.

Eine Abfahrt und der Schlussanstieg zum tadschikischen Zoll steht mir bevor. Die Anlage ist ausgebaut worden, Solarpanels und neue Gebäude heben die Bedeutung hervor. Doch das alte Kapäuschen mit einem Tisch und Stuhl, wo ich mit Kugelschreiber wie anno dazumal in einem Schulheft eingetragen werde, ist nach wie vor geblieben.

Nach 44 Tagen verabschiede ich mich also von Tadschikistan. Spannend war es, vor allem nach 17 Jahren die Änderungen zu beobachten und mich ein Stück weit wieder in meine Pilgerreise nach Tibet hineinversetzen zu können. Bekannte Gesichter wieder zu treffen. Erneut die unglaubliche Gastfreundschaft und Herzlichkeit der Menschen erfahren zu können. Und neue Ecken, Gegenden und Pisten zu entdecken. Anstrengend und schweisstreibend war es. Ich muss wohl sicher vier Kilo abgenommen haben.

Noch ein paar Hundert Meter und der berühmte Steinbock, der die Grenze zu Kirgistan bildet und den Kyzilart-Pass auf 4’336 Metern ziert, erhebt sich majestätisch vor mir. Nun folgen 20 Kilometer Niemandsland, wo ich mein Zelt aufstelle. Die Zeltplatzsuche ist ja eine Wissenschaft für sich. Idealerweise ist ein Zeltplatz gut versteckt und von der Strasse nicht einsehbar, windgeschützt, weist eine weiche grasige Unterlage sowie sauberes Wasser in der Nähe auf und ist landschaftlich reizvoll. Dieser gefällt mir ganz gut, ist zumindest gut vor Wind geschützt.

Nächstentags fahre ich zum kirgischen Zoll. Dummerweise folgen mir dann zwei Jeeps mit zahlreichen Touristen, wodurchich Zeit verliere. Einige von Ihnen haben keine Einreisegenehmigung und die Beamten suchen die Listen vergebens durch. Sie werden an der Grenze übernachten müssen. Ich beklage mich nicht. Nach eineinhalb Stunden werde ich endlich durchgelassen, erhalte den Stempel in meinem Pass und mit einem breiten Grinsen meint der bis anhin mürrische Beamte: Welcome to Kirgistan!

Vor meiner Abreise war die Grenze noch geschlossen und ich malte mir schon aus, mit einem Jeep nach Dushanbe zurück fahren und einen Riesenumweg über Usbekistan nehmen zu müssen. Ich bin überglücklich. Für mich heisst das, dass ich noch im September die Pässe in Kirgistan in Angriff nehmen kann.

Sary Tash ist bald erreicht. Der Gegenwind kann mir nichts anhaben. Die Sicht ist diesig. Die Schneeberge und der Pik Lenin sind von der Weite nicht mehr zu erkennen. An diesem Ort musste ich 2006 eine Zwangspause einlegen. Wer wissen will, warum, möge diesen Bericht lesen.

Der Ort ist zwar etwas bunter geworden, eine Tankstelle steht an der Hauptkreuzung. Die Strasse nach China ist nun asphaltiert und es gibt nun eine Handvoll Guesthouses mit warmer Dusche und sauberen Betten. Einige Läden, in denen ich eine SIM-Karte mit 4G-Netz kaufen kann. Getankt wird aber nach wie vor vorwiegend aus Kanistern. Und Berge von Kuhdung zeugen davon, dass Strom und Wohlstand noch keine Selbstverständlichkeiten sind.

Der Rest bis Osh, der zweitgrössten Stadt von Kirgisistan, ist schnell erzählt. Auf nun durchgehendem Asphalt sind wieder jeweils Pässe zu bezwingen.

So der Taldyk-Pass auf 3’615 Metern und später der Cherchyk-Pass auf 2’408 Metern. Die Landschaft wird grüner, die Berge sind oft rot gefärbt. Herden von Pferden sind neben oder auf der Strasse zu sehen.

Deutlich zugenommen hat auf diesen Abschnitt der Verkehr. Zahlreiche Lastwagen zeugen von der Nähe Chinas. Etwas mühsam ist einzig der Gegenwind.

Endlich in Osh angekommen. Städte sind eine Hassliebe für Radler, die sich durch den Stadtverkehr durchkämpfen müssen, abgedrängt werden, sich nicht mehr so willkommen fühlen. Andererseits ist das kulinarische Angebot gross. Man trifft auf andere Reisende und kann die Batterien wieder aufladen und Pläne für die Weiterfahrt schmieden.


Zorkul, Bartang und Peitsche

Nach fast drei Wochen bin ich zurück in Khorog, der Hauptstadt von Berg-Badakhshan. Nun heisst est erstmal Wunden lecken, den Bauch vollschlagen und mich wieder neu sortieren kann.

Eigentlich wollte ich in Murghab einen Bericht veröffentlichen, doch das Internet war leider zu langsam. Deshalb fällt dieser Post etwas länger aus. Also lieber dafür die Mittagspause nutzen.

War die Strecke ab Khailaikum aufgrund der Strassenarbeiten der Chinesen teilweise Pflicht, so ist die Fahrt ab Khorog nach Ishkashim und durchs Wakhan Korridor nun Kür. Keine Bauarbeiten mehr. Die neue Seidenstrasse führt von Khorogh direkt nach Murghab. Ich starte früh um 7 Uhr, geniesse die Morgenstimmung und mache mich erstmals wieder mit den Strassenverhältnissen vertraut. Auffallend sind die grossen Strommasten aus Metall, die entlang der Strecke neu gebaut werden. Tadschikistan möchte Strom nach Afghanistan exportieren.

Wie damals übernachte ich im Sanatorium in Avj. Dieses hat sich abgesehen von bunten Lichtern im Eingangsbereich nicht gross verändert. Die Zimmer sind immer noch heruntergekommen, die Matratzen steinhart, das Plumpsklo eklig. Und doch ist die grüne Anlage bei der lokalen Bevölkerung sehr beliebt, die sich im nicht ganz so heissen Bad, wo die Fliesen sich von der Wand lösen, aufwärmen. Es ist Samstag und entsprechend viel los. Ein soziales Erlebnis.

In Ishkashim, dem Grenzort zu Afghanistan, ist nicht viel los. Ohnehin ist Sonntag. Und die Grenze seit der Machtübernahme der Taliban geschlossen. Ab hier fängt nun der Wakhan Korridor an, die Strasse führt nun Richtung Nordosten. Schon Marco Polo hat mit seinem Vater und Onkel 1275 diese Gegend bereist. Nach ihm werden die wilden Schafe mit den mächtigen Hörnern benannt, die viele Schreine und Mazare zieren.

Der Wakhan Korridor wurde Ende des 19. Jahrhunderts während des Great Game zwischen Russland und Grossbritanien um die Vorherrschaft in Zentralasien als Pufferzone errichtet.

Die im Wakhan lebenden Pamiri betreiben vor allem Ackerbau und Almwirtschaft. Sie unterhalten ein ausgeklügeltes Bewässerungssystem, gehören dem Ismailitentum an, sind sehr aufgeschlossen und legen viel Wert auf Bildung.

Ursprünglich waren sie Zoroastrier und Buddhisten. Zeugnisse davon sind noch vorhanden. Etwa die Festung bei Qazideh.

Im kleinen Dorf Boibar gönne ich mir zur Mittagsrast eine Melone, lasse sie halbieren und verschenke eine Hälfte. Ich komme wenig später mit Männern ins Gespräch und es stellt sich heraus, dass die Ladenbesitzerin die Tochter eines Pamiri ist, der mich 2006 beherbergt hat. Ich habe ein Foto dabei und sie ist ganz gerührt, als sie sich als Kind auf dem Foto erkennt.

Seit 2014 gibt es im Pamir viele Homestays, Ausdruck eines nachhaltigen Tourismus. Unter der Federführung der Aga-Khan-Stiftung und der Pamir Eco-Cultural Tourism Association in Khorogh ist ein Netzwerk von Privatpersonen aufgebaut worden. Ich bin nicht weiter auf die spontane Gastfreundschaft angewiesen und die Menschen können ihre Haushaltskasse mit einigen Somoni aufbessern. Ich nehme diese Annehmlichkeit gerne in Anspruch, werde aber doch immer wieder zu Tee, Brot und Joghurt eingeladen. ‘Chai budisch’ (möchtest Du Tee) wird hier inflationär gebraucht.

Für umgerechnet 13 Schweizerfranken kann man in einem traditionellen Pamirhaus übernachten, erhält Tee, Nachtessen und Frühstück. Das Pamirhaus ist am erhöhten Oberlicht erkennbar und enthält die obligatorischen fünf geschnitzten Säulen: früher standen sie für die Götter des Zoroastrismus, heute für die Mitglieder der Familie Mohammeds. Die vier Ebenen der Dachluke stehen für die Elemente Erde, Wasser, Feuer und Luft.

In Zumudg werde ich vom Imam Shogumbek zum Tee eingeladen. Da Mittag ist, nehme ich die Einladung gerne an. Der Dastarkhan, ein Tischtuch, wird auf dem Teppich ausgebreitet. Nun wird Tee, entweder Schwarz- oder Grüntee gebracht. Dazu gibt es feines Brot, Aprikosenkonfitüre, Butter, getrocknete Maulbeeren, Joghurt und Konfekt. Die ganze Prozedur braucht Zeit, Eile ist hier fehl am Platz.

Das Tal ist breit und umgeben von 6000 Meter hohen Bergen. Es ist Erntezeit und entsprechend viel los auf den Feldern.

Die Strasse ist sehr schlecht, wellig, steinig, holprig. Damit finde ich mich gerne ab. Ich komme nur sehr langsam voran. Nicht weiter schlimm. Für Ablenkung sorgen Sehenswürdigkeiten in der Nähe. Etwa die alte buddhistische Stupa aus dem 8. Jahrhundert in Vrang.

Oder das Museum im Yamg, wo sich im ältesten Pamirhaus eine schöne Sammlung von Musikinstrumenten und Gebrauchsgegenständen befindet. Der Lehrer Mamadov führt mich umherum, spielt auf einem traditionellen Instrument und ich darf ihn sogar abzeichnen.

In der Ortschaft Zong zeige ich anfangs Dorf zwei Jungen ein Foto einer Familie, die mich bei meiner ersten Reise durch Tajikistan beherbergt hat. Nazar sei gleich nebenan. Tatsächlich, ich bin soeben an einer Gruppe von Herren vorbeigefahren, die an einem Auto am schrauben waren bzw. schon zum Feierabendbier bzw. -Vodka übergegangen sind.  Ich gehe auf Nazar zu, zeige ihm das Foto von damals.

Er erkennt mich sofort wieder und ist völlig aus dem Häuschen vor Freude. Er kriegt sich kaum ein. Spontan fahren wir mit einer alten Lada ans Ufer des Panj und das Wiedersehen wird zusätzlich mit Vodka begossen.

Die Fahrt mit der Lada ist ein Erlebnis für sich. Zunächst muss es angestossen werden, der Trick mit dem Kabel und dem Schraubenzieher zieht nicht. Es stinkt nach Benzin, während der Fahrt öffnet sich die Türe, es klappert und rattert. Schumi neben mir gibt Vollgas.

Natürlich kann ich bei Nazar übernachten, die Cousins kommen herbei und es wird ein lustiger Abend, insbesondere weil er sichtlich angeheitert ist. Zum Glück spricht seine Tochter etwas Englisch. Erinnerung werden wieder wach. Mit seinem damals 14-jährigen Sohn sind wir eine Ewigkeit in der Dunkelheit gelaufen, um uns in einem Hot Pool zu waschen. Derweil hatte seine Frau eigens noch Brot für mich gebacken. Als kleines Geschenk habe ich einen Kartoffelschäler und ein Sackmesser, beide von Victorinox, dabei.

Danach wird es wieder ernst. Ich bin bereits auf rund 2800 Metern über Meer. Ab der letzten Ortschaft Langar steigt die Strasse an, es geht auf 3700 Metern über Meer rauf.Oft muss ich das Rad schieben. Auf einem Hochplateau angekommen, ist die Sicht atemberaubend.

Die Strasse ist sehr einsam, ich bin fast ganz alleine unterwegs, treffe nur zwei Motorradfahrer an. Hinter einem Hügel finde ich etwas Schutz vor dem Wind und kann mein Zelt aufstellen.

Bei Kargush dann muss ich einen Checkpoint passieren. Ich möchte ins noch abgelegenere Zorkul Strict Natur Reserve einreisen, wofür ich in Khorogh ein Special Permit erhältlich machen und viermal antraben musste. Der Checkpoint scheint berüchtigt zu sein, doch nach einiger Rumfragerei und einer oberflächlichen Sichtung des Gepäcks werde ich endlich reingelassen.

Die ersten 10 km sind strassentechnisch ganz übel. Dafür ist die Sicht auf den Fluss Pamir, wo auf der gegenüberliegenden afghanischen Seite baktrische Kamele grasen, unbezahlbar. Bevor die Piste den Fluss verlässt, zelte ich wild und koche mir eine Brühe und gönne mir eine Dose Tomatensardinen. Den Überdruck auf dieser Höhe beachte ich nicht und so wird die Sauce beim Öffnen in alle Richtungen verteilt.

Das Grummeln im Bauch während der Nacht verheisst zudem nichts Gutes. Nächstentags bin ich kraft- und saftlos, habe Durchfall. Nach 10 km muss ich schon pausieren. Ein junger Franzose, Julien, fährt mir entgegen, sichtlich  mitteilungsbedürftig. Mir kommt die Ablenkung gerade recht. Irgendwann raffe ich mich auf, doch die nächste Steigung ist entmutigend.

Schilder weisen darauf hin, dass Jagen und das Halten von Tieren verboten ist. Mindestens doppelt so viele Herden sichte ich in der Ferne. Und Murmeltiere ohne Ende. Ganz fette und nicht mehr ganz so flinke.

Weit komme ich heute nicht, möchte es aber doch bis zur nächsten Wasserstelle schaffen. Ich schiebe mir lustlos einen Snickers rein und fahre die restlichen 12 Km weiter, bis ich an einem Gehöft gelange. Dort frage ich, ob ich mein Zelt aufstellen könne, doch die Oma winkt sofort ab und lässt mich rein. Ein beissender Geruch von gebranntem Kuhdung weht mir ins Gesicht, doch ich bin froh, nicht noch das Zelt aufstellen zu müssen.

Sofort erhalte ich Tee und Essen, doch nach Nahrung ist mir nicht zumute. Trotz Daunenjacke, Schlafsack und Decke ist mir kalt und kann nicht einschlafen. Um 10 Uhr nachts dann plötzlich ein heftiger Brechreiz, ich schaffe es gerade noch über die Kante des Podestes. Den Rest schildere ich lieber nicht.

Derart dehydriert und geschwächt kann ich nicht weiterfahren und bleibe daher bei Nasarbek und seiner Familie und kann ihnen dabei zuschauen, wie sie die Ziegen und Kühe melken, die Milch verarbeiten und Brot gebacken wird. Sie wohnen normalerweise im Tal, verbringen aber vier Monate hier oben und kümmern sich um die Tiere und die Milchproduktion. Es sei die beste Zeit des Jahres meint er. Ein Junge weckt mich am Nachmittag dann auf: er habe ein Murmeltier erlegt.Am späten Nachmittag kommt dann der Bruder von Nasarbek und vier Freunde vorbei. Vodka wird aufgetischt und ein Fleischgericht. An den Schenkeln vermute ich stark, dass es kein Ziegenfleisch ist.

Am nächsten Tag kann ich dann gestärkt endlich losziehen. Ein Pass auf 4455 Meter ist zu bezwingen. Vorher aber zieht eine Jurte die Aufmerksamkeit auf mich. Nun bin ich im kirgisischen Siedlungsgebiet. Aman ist gerade daran, ein Schaf zu häuten, ich darf ihm dabei zusehen.

Danach erhalte ich in der Jailoo, der Sommerjurte, den Ehrenplatz, bekomme feines Brot, Smetana, Joghurt und Tee aufgetischt. Es sei der letzte Tag hier auf der Alm, meint Aman, bevor sie wieder zurück nach Murghab ziehen. Welch ein Glück für mich, in dieser einladenden Jurte diese Gastfreundschaft noch erleben zu dürfen.

Bestens gestärkt fahre ich zur Passhöhe rauf, wo ich eine Herde Marco Polo Schafe erschrecke. Ich blicke nohmals Richtung Südwesten, nur wenige Kilometer von Afghanistan, Pakistan und China entfernt. Die Abfahrt auf der nun recht guten Piste ist herrlich. Als ich in der kleinen Ortschaft Jarty Gumbez ankomme, habe ich das Gefühl, irgendwo im Norden zu sein. Der Schwefelgeruch stammt von einem hot pot. Was für eine Wohltat, im erst 2017 eröffneten Guesthouse unterkommen zu können und mich im heissen Bad aufzuwärmen.

Die Etappe bis Murghab ist dann Hammer. Ich bin jetzt auf dem Pamir, dem Dach der Welt. Die Piste fährt sich bestens, endlose Weiten, sanfte Steigungen. Umgeben von Felsen, Berggipfeln und Hügeln.

Danach mache ich einen Abstecher zu den Felszeichnungen von Shakthi, auf knapp 4200 M.ü.M. Es handelt sich um die weltweit höchstgelegensten Felszeichnungen, rund 10’000 Jahre alt. Urban Sketchers der Steinzeit.

Der Pamir Highway, die von den Sovjets erbaute Hochgebirgsstrasse, ist bald erreicht. Auf gutem Asphalt rolle ich nun Richtung Murghab, treffe unterwegs zwei junge Radler an.

Der wilde Westen des Pamirs auf 3630 Metern über Meer weist ein paar neuere Bauten auf, ist aber ansonsten nach wie vor ein staubiger, trostloser Ort.

Der Fahrzeugpark, vorwiegend bestehend aus Ladas, Moskwitch und Gaz-Trucks, hat hier eindeutig musealen Charakter. Im Basar, bestehend aus drei Reihen Containern, mag man sich nicht lange aufhalten. Ich fülle meine Vorräte auf uns fahre anderntags auf recht gutem Asphalt bis kurz vor der Passhöhe des Ak-Baital, wo ich an einem windgeschützten Platz mein Zelt aufstelle.

Am Pass auf 4655 Metern ist es dann mit rund 4 Grad doch recht frisch und ich schaue zu, rasch abzusteigen. Doch die Strasse ist auf der anderen Seite mühsam, viel Wellblech, dazu noch Wind.

Nach einigen Kilometern biege ich dann auf eine einsame Piste nordwestlich ab. Der Wind pfeift mir auf dieser Hochebene direkt ins Gesicht. An einer Wegbiegung nach endlos langen Kilometern dann ein paar Meter Höhenunterschied und damit ein Windschutz.

Am nächsten Tag folgt dann ein malerischer Abschnitt entlang des Koikubel Flusses, wo Yaks grasen. Einzig eine Jurte sehe ich auf der anderen Flusseite. Es wird ein einsamer Tag werden.

Bei einem Meteoriten Krater führt die Piste dann wieder Richtung Nordwesten. Wieder Gegenwind und leichter Regen. Ich trete kräftig in die Pedale, das Wetter scheint umzuschlagen. Endlich dann treffe ich auf erste Hirten, bei denen ich übernachten kann.

Dann folgt die Abfahrt ins berüchtigte Bartang Tal, mittlerweile sehr beliebt bei Radfahrern. Auf einer Strecke von rund 300 km geht es 2000 Höhenmeter runter. Tönt eigentlich ganz entspannt. Nur verstecken sich dazwischen noch rund 5000 Höhenmeter Anstiege. So jedenfalls nach einschlägigen Internetseiten und Komoot. Wo genau, ist mir ein Rätsel geblieben. Laut meinen GPS-Aufzeichnungen sind es nur 2000 Höhenmeter Gegenanstiege. Immerhin. Und die Piste ist wohl die schlechteste, die ich je befahren habe. Steinig und holprig. Die vollbeladenen Radfahrer mit klassischem Setup und schmalen Reifen, denen ich begegne, tun mir leid. Aber auch ich schaffe in 5 Stunden nicht mehr als 50 km.

Wer nicht im Bartang war, hat den Pamir nicht gesehen, schrieb einst ein russischer Forschungsreisender. Das Herz des Pamirs, wo die Berge am schroffsten sind, die Wege am gefährlichsten und die Gastfreundschaft am herzlichsten. Bei den Flussfurten ist etwas Vorsicht angezeigt. Ein europäisches Paar hat die Wucht des reissenden Flusses unterschätzt und ist mit dem Leben davongekommen.

Zelten ist in dieser Gegend eher schwierig, zu viel Geröll. Abgesehen davon gibt es in jeder Ortschaft Homestays. Es ist bewundernswert, wie sich die Menschen in dieser unwirtlichen Gegend kleine Oasen geschaffen haben und Subsistenzwirtschaft betreiben. In Savnob komme ich beim Lehrer Mulkabek unter. Mit seinem Kailash-T-Shirt ist er mir sofort sympathisch. Sein Garten ist aufgeräumt, verspielt. Im Hintergrund ragt der 5990 Meter hohe Peak Labnazar.

Aufmerksam kümmert er sich um seine Gäste, heizt abends extra die Sauna für mich ein und gibt mir zum Abschied frische Tomaten und Brot.

Positiv fällt ein neues Wasserkraftwerk auf, das vor drei Jahren in Betrieb ging und Strom für sechs Ortschaften liefert. In Siponj dann kann ich uralte Petroglyphen bewundern. Und bald habe ich wieder die afghanischen Berge vor mir, statte Abdul und seiner Familie wieder einen Besuch ab und bin zurück in Khorogh.Da skorova! Bis bald, Maurizio

Gesamtkilometer 1536, Fahrzeit 136 Stunden.


Central Asia reloaded

29.7.2023 um 2 Uhr morgens lande ich in Dushanbe, der Hauptstadt Tajikistans. Trockene, heisse Luft weht mir entgegen. Es ist 27 Grad warm. Auf den Tag genau nach 17 Jahren befinde ich mich wieder in der Hauptstadt Tajikistans, einer ehemaligen Sowjetrepublik.

Da stehe ich nun, ich armer Tor, und bin so klug als wie zuvor. Etwas reiseerfahrener auf jeden Fall aber nicht ganz so tüchtig wie damals, 2006, als ich in 165 Tagen von Liestal bis hierhin geradelt bin und mit rund 40 kg Gepäck exakt 10’020 Kilometer benötigt habe. Und davor dem bosnischen Winter bei minus 18 Grad im Zelt getrotzt habe; gegen die kroatische Bora, dem Wind aus dem Landesinneren, gekämpft habe;  etliche eiskalte Regengüsse in Serbien-Montenegro erdulden musste; mich in der Türkei vor den Hirtenhunden, den Shivas Kangal, in Acht nehmen musste; bei über 40 Grad durch die iranische Wüste Dasht-el-kavir den Gegenwind verflucht habe; in Usbekistan mein Velo gestohlen wurde und ich von der Polizei zu einer Falschaussage genötigt wurde.

Ich wollte schon immer wieder diese Gegend noch einmal ausgiebig bereisen. 2009 wollte ich nach Kirgistan fliegen, aber es gab Unruhen. 2020 war ich kurz davor, einen Flug zu buchen, als aus bekannten Gründen jegliche Reisetätigkeit zum Erliegen kam.

Natürlich bin ich gespannt zu erfahren, was sich seither geändert hat. Mittlerweile hat sich der Tourismus entwickelt, gerade bei Abenteuer suchenden Radfahrern, ist dieses Land sehr beliebt geworden, aber auch viele Gruppenreisende sind nun unterwegs. Visas sind viel einfacher erhältlich oder für viele Länder gar nicht mehr nötig. Am 29.7.2018, genau vor fünf Jahren, kam Tajikistan dann leider in negative Schlagzeilen, als eine Gruppe von Radfahrern Zielscheibe eines extremistischen Angriffs wurden und vier, unter anderem auch ein Schweizer, getötet wurden.

Die Anreise über Istanbul klappt wunderbar. Im neuen, riesengrossen Flughafen Havalimani, das einem luxuriösen Einkaufstempel gleicht, stosse ich dann am Gate zum Weiterflug auf zwei Spanier, die ebenfalls mit dem Velo nach Dushanbe fliegen. Auch sie kommen im Greenhouse Hostel unter, wo sich alle Radler ein Stelldichein geben und fleissig Informationen austauschen.

Ich verstehe mich sofort prächtig mit Jurgi, einem Psychologie-Professor und Unai, einem IT-Spezialisten, beide aus Bilbao. Besser könnte meine Reise nicht anfangen. In zwei Tagen erkundschaften wir die Hauptstadt Tajikistans, besuchen das Antiken-Museum, wo sich der 13 Meter lange Buddha aus Lehm befindet und probieren das Nationalgericht Osch. Ich bin erstaunt, wie sich die Stadt entwickelt hat. Wo waren seinerzeit alle die Supermärkte nach westlichem Standard und alle Guesthouses und Unterkünfte?

Ich bin sofort im Element und im Reisemodus, betreibe fleissig Networking. Ich gönne mir in dieser Backofenhitze zunächt einmal drei Akklimatisierungstage, möchte auch mental hier ankommen, mich langsam auf das lokale Essen umstellen. Es wird fordernd genug werden. Die Temperaturen tagsüber sind unerträglich, über 40 Grad heiss. Am besten hält man es in einem gekühlten Supermarkt oder im Zimmer mit Klimaanlage aus.

Sozusagen mit dem Plan B bin ich nach Zentralasien gestartet, wollte zunächst eine Rundreise in Tajikistan unternehmen, um danach über Usbekistan nach Kirgistan einzureisen. Seit der Pandemie und wegen Scharmützeln an der kirgisisch-tajikischen Grenze ist diese seit Jahren leider geschlossen. Eine winzig kleine Hoffnung hatte ich vor meiner Abreise, dass sich dies noch ändern könnte. Just als ich im Greenhouse bin, wird die Grenze für Touristen wieder geöffnet. Die Neuigkeit macht dank Social Media schnell die Runde und so lasse ich mich nicht ein zweites Mal bitten und schreibe umgehend der zuständigen kirgisischen Behörde eine Email, die mir dann postwendend antwortet, dass ich über den Pamir Highway einreisen dürfe. Wow, damit hatte ich nicht gerechnet.

Tja, dafür habe ich dann ein bisschen zuviel Gepäck mit dabei. Ich wollte nämlich in Dushanbe ein Depot einrichten. Ich verschenke daher ein paar meiner aus der Schweiz mitgebrachten Viktualien und werde erst in Khorog ein kleines Depot einrichten können. Bevor ich dann endlich losfahre, muss ich noch eine Stunde lang Tetris spielen und versuchen, alle meine Siebensachen in meinen Taschen zu verstauen. Im Verlaufe der nächsten Tage wird sich die Packordnung dann schon noch ergeben.

Endlich geht es los. Ich bin aufgeregt und kann es kaum fassen, dass ich wieder ‘per velociped’ unterwegs bin. In den ersten Tagen geht es gleich richtig zur Sache. Nach 30 km bin ich schon durchgeschwitzt, es ist 35 Grad heiss, ich muss literweise Wasser trinken, mache Halt an einem kleinen Shop, wo mir der Besitzer einen leckeren gut gesalzenen Maiskolben reicht, gerade zur richtigen Zeit.

Danach geht es in Fayzobod an der Mineralwasser-Fabrik vorbei. Ab jetzt werde ich hauptsächlich Wasser aus Leitungen und Bächen trinken, das ich jeweils filtere oder behandle. Der limitierende Faktor in den ersten Tagen ist eindeutig die Hitze. Ich pausiere über drei Stunden im Schatten eines Baumes, wo mich ein älterer Tajike ausruhen lässt und eine zuckersüsse Wassermelone spendet. Er betreibt einen kleinen Shop nebenan und ist Selbstversorger. Ein ausrangierter LKW dient als Laden und Wohnfläche.

Am ersten Tag gönne ich mir noch ein Zimmer bei Khurshed, einem grossen Fan italienischer Popmusik der 80er Jahre. Ich bin schon auf 1600 Metern und es ist angenehm kühl in der Nacht.

Die gleiche Strecke bin ich ja schon damals gefahren, einige Abschnitte kommen mir noch sehr bekannt vor. Aber es hat deutlich mehr Verkehr. Der Fahrzeugpark ist ebenfalls moderner geworden. Auffallend: die Vielzahl der Opel Zafira, die als Minibusse fungieren.

Bis Obigarm ist die Strasse nun asphaltiert, danach kommt ein Teilstück, das den Namen Strasse nicht mehr verdient. Hier fahre ich an der grössten Baustelle Tajikistans vorbei, dem Wasserkraftwerk Roghun. Ein umstrittenes Megaprojekt mit einem Schüttdamm von eineinhalb Kilometern Länge. Die Strasse wird grösstenteils nach Fertigstellung überflutet werden.

Um die Hitze einigermassen zu ertragen, habe ich mir aus einer PET-Flasche einen Wasserspender gebastelt und besprühe mich regelmässig mit Wasser.

In einem schattigen Tal suche ich mittags Zuflucht in einer Oschchona, wo ich auf einer Tapchan, einer erhöhten, quadratischen Sitzfläche, wieder zu Kräften komme.

Ein Herr nebenan zeigt mir die noch funktionierende alte Mühle. Der grosse Stein, der unermüdlich seine Runden zieht, sei 200 Jahre alt, meint er.

Übernachten werde ich in einer Bauarbeitersiedlung. Exponiert am Fluss zu zelten macht mich nicht an und so lande ich in einer Baracke, wo ich mit Tajiken die Nacht verbringe.

Mein Eindruck ist, dass diese einfachen, kleinen Oschchonas, Gaststätten, nicht mehr ganz so häufig anzutreffen sind wie damals. Wenn ich aber eine zur richtigen Zeit finde, ist es ein Segen, dort Tee zu trinken, Spiegeleier und Brot zu essen und mit den Tajiken einfache Konversation zu führen.

Bei der Abzweigung zum Rasht-Tal mache ich einen kurzen Abstecher, um einen Schattenplatz in der ersten Ortschaft zu finden. Ich fange an einer Tankstelle an zu zeichnen und spontan werde ich von einem Herrn zu einem leckeren Essen eingeladen. Nicht auf sich warten lassen aber auch die Magenprobleme. Zum Glück aber nichts Ernsthaftes und nach ein, zwei Tagen stellt sich der Magen wieder ein.

In Qala-I-Hussein kann ich im Gästezimmer einer Moschee schlafen. Ich bin froh, mich hier wieder richtig waschen zu können, koche draussen dann meine Nudeln, um anderntags den Khaburabot-Pass auf 3´252 Metern in Angriff zu nehmen. Die Steigung ist zum Glück moderat, die Strecke zieht sich aber hin. 25 km und 1´400 Hm. Tönt nicht nach viel, aber mit Gepäck und auf einer MTB-Strecke doch ein gutes Stück Arbeit.

Die Abfahrt ist dann ein Hochgenuss, die Strasse windet sich durch Felsformationen, ist abwechslungsreich. Zahlreiche Imker am Wegesrand gehen ihrer Arbeit nach. Von dieser Gegend stammt der beste Honig Tajikistans.

Die Tajiken sind sehr gastfreundlich, viele winken mir zu und laden mich immer wieder zum Tee ein. Für kleine Einkäufe wie zwei Äpfel oder eine Packung Streichhölzer wollen sie gar kein Geld annehmen.

Junge am Wegesrand schenken mir sogar eine Melone. Sie ist dann zu meiner Enttäuschung nicht ganz so rot und schmackhaft, aber die Geste zählt.

Lustigerweise übernachte ich wieder oft an den gleichen Orten wie damals, nur dass sich die Umstände geändert haben. Beim kleinen Bergsee Hausi Kabuz konnte ich noch bei der Schenke einkehren und auf der Tapchan schlafen. Jetzt zelte ich direkt am See. Die ganze Anlage wird renoviert. Das Bad im See ist erfrischend und herrlich. Mit einem ganz alten Tretboot aus Lenins Zeiten drehen ein Arbeiter und ich noch eine Runde, als Paddel dienen zwei Schaufeln.

Ab Qhalaikum bin ich dann an der Grenze zu Afghanistan. Es ist faszinierend, jeweils die sehr sauber hergerichteten Dörfer einen Steinwurf entfernt zu beobachten und den eingehüllten Bewohnern zuzuwinken. Ab hier fangen auch die Strassenarbeiten der Chinesen an, vor denen einige Radler gewarnt haben.

Die Intention der neuen Seidenstrasse ist klar. Es geht nicht darum, die Reisezeit der Tajiken innerhalb dieses Gebietes zu verkürzen, sondern Waren, Trucks und Konvois aus China sollen möglichst schnell auf vierspurigen Strassen befördert werden können.

Kein Aufwand wird hier gescheut, um dieses Vorhaben umzusetzen. Dabei ragen 5000 Meter hohe Berge unweit des Grenzflusses Panj mächtig in die Höhe. Jeder Quadratmeter Landfläche ist für die Bewohner lebensnotwendig. Ich staune nicht schlecht. Da werden ganze Berghänge weggesprengt, Tunnels gebaut und mit der ganz grossen Keule wird hier angerichtet.

Dabei hätte es gereicht, die Strasse aus Sowjetzeiten moderat auszubauen und andauernd zu unterhalten, anstatt sie ganz verfallen zu lassen. Die Strasse ist tagsüber gesperrt, sodass ich frühmorgens um 5 Uhr starte. Ich habe Glück, bei der ersten Sperre fahre ich einfach weiter, während alle Fahrzeuge in der Hitze warten müssen. Sturheit gepaart mit Freundlichkeit helfen weiter. Der chinesische Vorarbeiter gibt mir barsch zu verstehen, ich solle rasch weiter. Dabei rollen vom Hang oben meterhohe Steinblöcke runter. Ich warte den passenden Moment ab, habe keine Lust, hier stundenlang zu warten, und in einem Kraftakt hebe ich mein Velociped über die Steine und weg bin ich.

Bei der zweiten Sperre lässt mich der Chinese dann nicht mehr durch. Hier wartet schon das deutsche Radlerpaar, Dennis und Maike aus Köln, das ich in Duschanbe kennengelernt habe. Ich mache aus der Not eine Tugend und zeichne kurzerhand den chinesischen Aufseher und kann ihm dann sogar ein Lächeln entlocken.

Zwei Tage fahre ich dann mit Dennis und Maike zusammen. Einmal zelten wir im Dorf Dashtak, tags darauf im Schulhof der Siedlung Shidz. Die Kinder sind natürlich neugierig auf die Europäer und die Bewohner jeweils sehr wohlwollend.

Nach Dashtak fängt es dann tatsächlich an zu regnen. Endlich erträgliche Temperaturen. Nach 18 km dann eine einladende Oschchona, wo wir unser zweites Frühstück zu uns nehmen. Bei Vanj fahren wir an einer grossen Arbeitersiedlung vorbei. Wie sich manche Orte doch sehr geändert haben.

Ich wurde damals ja etliche Male zum Schlafen eingeladen und habe mir daher Fotos ausgedruckt und kleine Geschenke mitgebracht, um diese Menschen aufzusuchen. Die Nachbarn erkennen jeweils die Gastgeber sofort, leider waren diese nicht mehr im Ort, sondern in Duschanbe.

Nach wie vor gibt es Abschnitte, an denen die Chinesen noch nicht Hand angelegt haben.

Wilde zerklüftete Flusstäler, kilometerhohe Berge ragen in die Höhe. Eine schroffe Bergwelt.Dem Grenzfluss entlang zu fahren, ist anstrengend. Es geht immer wieder hinauf, herab und quer und krumm, sodass auf 70 km bald 1´000 Höhenmeter gesammelt werden. So richtig in einen Rhythmus kommt man dabei nicht.

In Choshtchandez trennen wir uns dann. Eingangs der Ortschaft erkenne ich wieder die kleine Holzbank, auf der ich 2006 erschöpft von der Mittagshitze mich ausgeruht und einem vorbeigehenden Herrn gefragt hatte, ob es ein Teehaus im Dorf gebe. Die Gastfreundschaft, die ich danach von Abdul und seiner Familie erfahren hatte, verschlug mir die Sprache. Die Gastfreundschaft der Pamiri, die der Glaubensrichtung der Ismailiten angehören, ist unglaublich.

Ich wurde wie ein Gott empfangen, Speisen nach Speisen wurden aufgetischt, konnte danach ein Nickerchen machen und zum Abschied wurde ich mit handgestrickten Socken und getrockneten Maulbeeren beschenkt. Solche Momente gaben mir auf meiner damaligen Reise die nötige Motivation. Ich hatte mir damals versprochen, aus Dankbarkeit diese herzensgute Familie wieder einmal zu besuchen. Nun löse ich endlich dieses Versprechen ein. Vor vier Jahren haben Freunde aus Liestal Abdul einen Brief und Fotos von mir überbracht und er hatte eine Riesenfreude gehabt. Seither bin ich mit seinem Sohn auf Facebook befreundet und ich hatte ihm angetönt, dass ich irgendwann einmal wieder aufkreuzen würde. Ich zeige der Nachbarin ein Foto von Abdul und sie zeigt auf das Nachbarhaus. Schon nach wenigen Metern kommt mir dann freudig Abdul entgegen, wir umarmem uns lange, Freudentränen fliessen. Die damalige Begegnung ist mir immer noch in frischer Erinnerung geblieben.

Mit seinem 37-jährigen Sohn kann ich mich dank Google Translator einigermassen verständigen. Ich darf beim Cousin duschen. Als ich mit Nusrim zur Schule laufe, fährt uns ein abgekämpftes Radlerpaar aus Frankreich und Polen entgegen. Was für ein Zufall. Ich habe sie im Greenhouse kennengelernt und natürlich werden sie gleich mit eingeladen.

Nächstentags strample ich die 32 Kilometer bis nach Khorog runter. Diese Kleinstadt erkenne ich überhaupt nicht wieder. Hochhäuser, Kaffees, Homestays, Restaurants, viele Shops. Damals hatte ich meine liebe Mühe, in diesem grossen verschlafenen Dorf überhaupt eine Bleibe zu finden und konnte nach vielem Rumfragen in einem Privatzimmer schlafen. Jetzt ist hier der Bär los, sodass ich in einer netten Unterkunft meine Batterien aufladen, meine Weiterreise planen und mich um ein Permit für eine entlegene Gegend kümmern kann. In wenigen Tagen soll der seit 1994 regierende Präsident Rahmon die Stadt besuchen, fleissig wird daher noch Kosmetik betrieben und Schlaglöcher behelfsmässig ausgebessert.

Ich bin froh, nochmals nach Tajikistan gekommen zu sein. Zwar waren teils Abschnitte der Strecke Qhalaikum -Khorog aufgrund der Bauarbeiten alles andere als beschaulich. Der malerische Aspekt ist oft flöten gegegangen. Es herrscht auch viel mehr Verkehr als 2006. Lastwagen und Trucks sind Vorzeichen einer bevorstehenden Entwicklung, die tiefgreifende Änderungen nach sich ziehen wird. Es ist zu befürchten, dass die kleinen Dörfer, grüne Oasen in dieser wilden Gebirgslandschaft, vermehrt mit Landflucht zu kämpfen haben werden. Dennoch geniesse ich nach wie vor die Gebirgslandschaft und die Freundlichkeit der Menschen hier.