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Lesotho und Revolution zum Zweiten

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Nervenkitzel zum Abschluss meines Afrika-Aufenthaltes. Die Ruhe vor dem Sturm. Nachdem ich mir in Südafrika und Lesotho eine Auszeit genommen habe, fliege ich am 2. Juli nach Kairo zurück. Ich komme um 5 Uhr 40 an. Es ist bewölkt. Der Wüstenstaub und der Smog decken die 20-Millionenstadt Kairo in einen grauen Schleier ein. Sobald ich vom Flieger aussteige, kleben mir die Kleider am Leibe. Ich bin mir diese schwüle Hitze nicht mehr gewohnt. Im winterlichen Südafrika ist es derzeit angenehm frisch. Ich bin etwas besorgt und gespannt. In den letzten Tagen gab es anlässlich des einjährigen Jubiläums des neuen Präsidenten Morsi Demonstrationen und Kundgebungen auf dem Tahrir-Platz. Unzufriedenheit, Unmut macht sich breit. Wirtschaftlich geht es bergab mit dem Pharaonen-Staat. Auch die undemokratische Richtung, die Morsi und die Muslimbrüder eingeschlagen haben, behagt vielen nicht. Das Land ist tief gespalten.

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Ein Taxi bringt mich westlich des Nils in den Stadtteil Mohandiseen, wo ich mein Velo bei drei jungen Studenten aus England, Amerika und Italien untergestellt habe. Sie studieren in Edinburgh “Internationale Beziehungen” und absolvieren einen Arabisch-Intensivkurs. An diesem Tag werden sich die Ereignisse überstürzen. Nachdem ich etwas Schlaf vom Nachtflug nachgeholt habe, begebe ich mich zum Sprachinstitut, wo Steve, Sam und Marco studieren. Alle anwesenden Studenten verfolgen gespannt und aufgeregt die aktuellen Geschehnisse im Fernsehen. Die Leute fordern den Rücktritt von Morsi, während dieser, gedeckt von den Muslimbrüdern, nicht im Geringsten daran denkt. Wieso auch ? Er ist demokratisch gewählt worden. Das Militär stellt sich auf die Seite der Demonstranten – und Morsi ein 48-stündiges Ultimatum, um eine friedliche Lösung herbeizuführen. In wenigen Stunden wird es ablaufen. Was wird passieren ? Nach Ablauf der Frist entmachtet das Militär putschartig Morsi.

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Freudenjubel bricht bei den Menschen aus. In der ganzen Stadt werden Feuerwerke gezündet, Autofahrer hupen, schwenken Fahnen, Gewehrschüsse werden abgefeuert. Mit dem mitgebrachten südafrikanischen Rotwein und Billtong stossen wir auf die zweite Revolution an. Steve geht spätabends noch auf den Tahrir-Platz, um die vibrierende Volksfest-Stimmung vor Ort zu erleben, während die meisten Sprachstudenten noch in dieser Nacht unter Waffenschutz nach Jordanien evakuiert werden. Meine drei Gastgeber wollen noch in Kairo bleiben.

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Es wird eine sehr kurze Nacht werden. Ich fahre am nächsten Tag ins Zentrum. Ich habe ganz andere Sorgen. Ich will ein Paket aufgeben, um ein paar Kilogramm für den Flug nach Tunesien abzuspecken. Die dicke, sperrige Wolldecke aus Lesotho kann ich zudem in den naechsten Wochen nicht gebrauchen. Und ich muss noch den Flug buchen. Die Taxifahrer sind erfreut über den Ausgang der Demonstrationen. Das Leben in der Metropole scheint normal weiter zu gehen. Ich begebe mich zum Tahrir-Platz, wo bloss eine Handvoll Demonstranten übriggeblieben ist. Es herrscht eher Katerstimmung, viel Abfall liegt herum, beissender Gestank von Urin liegt in den Strassen. Ich wäge ab. Es ist Donnerstag, ich könnte bereits am Freitag fliegen. Aber ohne einen Blick auf die Pyramiden und die Sphinx zu erheischen, moechte ich nicht verreisen. Also buche ich für den Samstag und besuche am Freitag mit meinen Gastgebern die Pyramiden. Auf den letzten Drücker sozusagen. Wir sind praktisch die einzigen ausländischen Touristen.

Die Muslimbrüder lassen die Absetzung ihres Präsidenten nicht ohne weiteres auf sich sitzen und blasen nach dem Freitagsgebet zum Angriff, während Kampfjets den ganzen Tag lang die Macht des Militärs demonstrieren. Es folgen Gegendemonstrationen, Sitzproteste, in denen drei Mursi-Anhänger getötet werden. Die Intialzündung für weitere Tote. Abends dann erhalten meine Gastgeber die Nachricht, dass sie in den nächsten Stunden zwingend evakuiert werden. Ein Taxifahrer bringt mich um 5 Uhr morgens zum Flughafen. Die Strassen sind leergefegt, wir kommen gut voran. Doch auf halber Strecke fahren wir im Vorort Nasr City in eine Protestaktion rein, Stacheldraht und Panzerwagen versperren die Hauptverbindung zum Flughafen. Mir ist leicht mulmig. Zum Glück habe ich aber das Taxi fünf Stunden vor dem Flug (der ohnehin noch zwei Stunden Verspätung haben wird) bestellt. Wir nehmen einen Umweg. Endlich treffe ich dann im Flughafen ein und kann einchecken. Und ausatmen.

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Doch nun zurück nach Südafrika, nach Lesotho. Ich stelle mein Velo bei Sam, Steven und Marco in Kairo ein und fliege runter nach Johannesburg, wo der Winter Einzug hält. Nachts ist es kalt und eisig, tagsüber sonnig und frisch. Die Luft ist rein, der Himmel stahlblau. Zusammen mit Shawna, eine Peace Corpse Volunteer, die ich seinerzeit in Lesotho kennengelernt habe, verbringen wir zunächst einige Tage in Südafrika, in Clarens und im Golden Gate National Park.

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Dieses Bergland, drei Viertel so gross wie die Schweiz, hat mir auf meiner Durchreise bereits sehr gut gefallen, die Leute waren sehr freundlich. Die Stimmung ist enstpannt, die Leute gehen gemächlich ihren Alltagsgeschäften nach, die meisten Männer tragen einen Kobo, eine dicke Wolldecke. Verhandeln ist hier verpönt. Man wird nicht übers Ohr gehauen. Die meiste Zeit verbringe ich in Mohales Hoek, wo Shawna ihrer Tätigkeit als Peace Corps Volunteer beim Ministry of Agriculture nachgeht. Sie lebt hier in einem landestypischen Rondavel mit einem Strohdach. Einige Meter entfernt ein aus Wellblech improvisierter Stall für die vier Schafe von Ntaté Lefu, der mich wie üblich mit einem breiten Grinsen begrüsst.

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Langweilig kann es einem in einem bergigen Land nicht werden. Im Hinterhof von Mohales Hoek gibt es viele Hügel und so unternehmen wir viele Wanderungen, erkunden Höhlen, Schluchten und besteigen einige Berge. Es macht Spass, frühmorgens loszubrechen, einen Gipfel anzupeilen und dorthin zu trekken. Unterwegs treffen wir immer wieder Schafhirten an. Unser treuer Begleiter ist jeweils Seriti, auf Sesotho Schatten, ein frecher junger Hund, der stetig an Vertrauen gewinnt, es sichtlich geniesst, Berge hinaufzukraxeln und besonders Freude daran hat, Schafherden und Kinder zu verscheuchen. Bei einer Wanderung verweigert er jegliche Nahrungs- und Wasseraufnahme. Wir befürchten schon, dass er vergiftet wurde. Doch zum Glück wird er abends wieder seine gewohnte Ess-Aggression finden, um die wir für einmal froh sind.
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Als erstes nehmen wir den Hausberg von Mohales Hoek in Angriff: Thaba Linoha, der Schlangenberg. Die Tage sind kurz und so starten wir in der Dunkelheit im Schein unserer Stirnlampen. Beim ersten Aussichtspunkt eröffnet sich das Tal, Morgennebel hängt schwer in der Luft und gibt in der Dämmerung ein tolles Farbspektakel ab. Von weitem studieren wir die kahle Bergflanke, um eine geeignete Route ausfindig zu machen. Das lose Geröll und ein paar Felsstufen zwingen uns zu besonderer Vorsicht. Selbst Seriti wird es dann irgendwann einmal zu bunt, er winselt und will über ein paar Felsen getragen werden. Doch nach ein paar Stunden haben wir es geschafft, sind oben und können endlich die Aussicht auf die Berge und das benachbarte Flusstal bestaunen.
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Mit dem Mietauto unternehmen wir dann später einen Ausflug ins Landesinnere und zur höchsten Strasse des südlichen Afrika. Unterwegs bestaunen wir einige Dinosaurier Fussabdrücke und Felszeichnungen von Buschmännern. Dann geht es ständig bergauf, bis zum höchsten Punkt auf über 3’255 M zum Tlaeeng Pass, der höchsten befahrbaren Strasse im südlichen Afrika. Unser kleines Mietauto kann natürlich nicht mithalten mit den übermotorisierten SUV’s aus Südafrika, die für ein verlängertes Wochenende nach Lesotho zum Skifahren und Snowboarden brettern. Im Afriski-Resort gibt es das Ganze Drumherum, das man an einem Skiort findet: Ski – und Snowboardverleih, Après-Ski, Restaurant, Bars, Chalets, Backpacker und trendiger Laden. Ach ja, und eine niedliche, kaum halben Kilometer lange Piste, die mit Kunstschnee am Leben erhalten wird. Aber fuer  uns gibt es keinen Platz zum Schlafen. Ausser im Mietwagen, in dem wir eingepackt in den Schlafsäcken eine eisig-kalte Nacht verbringen.

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Wir fahren anschnliessend zum Katse-Dam. Ab hier ist die Strasse nicht mehr geteert und in einem schlechten Zustand. Für die 60 Kilometer nach Thaba Tseka benötigen wir fast vier Stunden. Dass wir mit dem Auto unterwegs sind, spricht sich bei den anderen Peace Corps Volunteer dank BlueBerry schnell rum und so nehmen wir unterwegs noch zwei Kolleginnen mit, die zur Hauptstadt Maseru fahren wollen.

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Diesmal habe ich ausgiebig Zeit für ein Ponytrekking, zwei Tage bin ich zusammen mit meinem 20-jährigen Guide Ntaté Ntabo auf Schusters Rappen unterwegs. Der beste Ort, um ein solches Trekking zu organisieren, ist die Malealea Lodge im Suedwesten des Landes. Es ist eindrücklich, wie die Ponies durch steile Abschnitte und loses Geröll vorankommen. Wir trekken ins Tal des Ribaneng, schlafen dann in einem kleinen Dorf.
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Eine unschoene Szene erleben wir, als wir in einem Minibus unterwegs sind. Ploetzlich haelt der Verkehr an, ein Bus hat sich aus welchem Grund auch immer quer zur Strasse gestellt. Ein entgegenkommendes Taxi weicht auf das holprige Feld aus, brettert mit unverminderter Geschwindigkeit darueber. Ploetzlich geht die hintere Tuere auf, eine uebergewichtige Mutter mit einem Kleinkind auf dem Ruecken gebunden faellt aus dem Fahrzeug und knallt auf den Boden, rollt einige Male. Die Frau blutet im Gesicht, schreit verzweifelt. Der Zustand des Kindes scheint kritisch zu sein.

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Zurück in Johannesburg habe ich einen halben Tag Zeit, die ich nutze, um ein paar Stunden im aufschlussreichen Apartheid-Museum zu verweilen. Dann geht es wieder zurück nach Kairo. Von dort fliege ich dann weiter nach Tunis. Nach Ägypten ist Tunesien eine richtiggehende Umstellung. Tunis ist sauber, europäisch, geordnet. Ein grosser Boulevard lädt zum Flanieren ein. Die Tunesier leben einen moderaten, aufgeschlossenen Islam. Frauen in Burkas sind hier nicht zu sehen. Kopftücher sind eher die Ausnahme. Abends schliessen alle Laeden. Ich fühle mich wohl hier. Die Tunesier sind kontaktfreudig. Viele Jugendliche sind neugierig auf meine Meinung über Tunesien, wo der arabische Frühling vor über zwei Jahren sich wie ein Brandfeuer ausgebreitet hat.

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Drei Tage lang absolviere ich mein Pflichtprogramm. Das touristische Städtchen Sidi Bou Said, das moderne Museum Bardo, wo viele einzigartige Mosaike aus Karthago höchst professionnel und zeitgemässs ausgestellt sind. Trotz Hitze kann ich mich doch  noch dazu überwinden, einige Steinhaufen in Karthago anzuschauen. Wohlwissend, dass  der Roemer Cato mit seinem “ceterum censeo carthaginem esse delendam” im Senat durchdrang und die Stadt im Dritten Punischen Krieg dem Erdboden gleichgemacht wurde.

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In Tunesien freue ich mich auch, wieder einmal ein traditionelles Hammam zu besuchen, wo ich von einem Masseur durchgeknetet und geschrubbt werde. Ich verirre mich in der UNESCO-geschützten Medina, wo die Händler im ägyptischen Vergleich richtiggehend zahm sind. Es ist jetzt im Juli eindeutig zu heiss, um noch das Landesinnere von Tunesien und die Wüste zu erkunden. Doch aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Inshallah ! Von Tunis nehme ich die Fähre, die mich in sechs Stunden nach Sizilien, meinem Heimatland bringt !

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Atlas, Berberaffen und Zedernwälder

Zunächst möchte ich all jenen ein grosses Dankeschön aussprechen, die eine Spende an Helvetas geleistet haben und mich so noch zusätzlich motivieren. Es wird mir eine Ehre sein, die gesammelten Spenden persönlich überbringen zu können. Bis dahin werden aber noch ein paar Schweisstropfen falle, und vielleicht auch ein paar Regentropfen.


Eine kleine Berichtigung muss ich hier zum letzten Artikel noch anbringen. Der Durchfall war alles andere als überstanden. Bereits bei der Abfahrt in Moulay Idriss stösst mir das Morgenessen auf. Ich halte die verschiedenen Gerüche der Grillstände, der open-air Metzgereien mit ihren Auslagen an fettigem Schaffleisch, den Gestank von verbrennten Haushaltsabfällen und verwesenden Hundekadavern am Strassenrand nicht mehr aus. Die schwarz qualmenden Fabriken am Rand von Meknès geben mir den Rest. Brechreiz. Ich kann gerade noch am Strassenrand anhalten, wie ein echter Rennvelofahrer verliere ich keine Zeit und steige nicht vom Velo ab. Übergebe mich und leere meinen ganzen Mageninhalt. Geschwächt fahren wir in die Stadt rein. Der Zufall will es, dass genau jetzt der erste Regen nach fünf Monaten Dürre einsetzt. Durchnässt, bereits in der Dunkelheit suchen wir nach einer Bleibe. Das Hotel, das wir im Reiseführer rausgesucht haben, ist dank der Hilfe eines Parkwächters schnell gefunden. Dieser hat die Unverfrorenheit, Geld für seine Dienste zu verlangen. Ob er sich dafür nicht schäme, frage ich ihn, sowas sei mir in einem islamischen Land noch nie passiert. Der Junge im Hotel dann das Gegenteil, alles andere als geschäftstüchtig. Die Velos müssen draussen bleiben. Wir bleiben mit den Velos draussen. Die Auberge de Jeunesse ist zum Glück schnell gefunden. In der Küche kochen wir uns Reis. Reis zum Znacht, zum Zmorge, Zmittag und Znacht. Mit Kartoffeln, Petit Henrys (so heissen hier die Petit Beurres), Apfelmus, Poulet. Jeweils als weicher Brei. Der Magen erholt sich aber endlich. Und von Loperamid und Motilitätshemmern, die wie ein Pfropfen wirken und verhindern, dass sich die Übeltäter verziehen können, lasse ich inskünftig die Hände.
Wir können unsere Velos bei einer französisch-marokkanischen Familie in Meknès unterstellen und nehmen den Zug nach Rabat. Das funktioniert einwandfrei. Die zweite Klasse ist sehr sauber und vergleichbar mit derjenigen in der Schweiz. Sogar sauberer und ohne haufenweise Gratiszeitungen und PET-Flaschen. Zugfahren ist in Marokko sehr attraktiv. Für wenig Geld kann man ein Round-Ticket kaufen. Die gebräuchlichste Art des Transportes sind natürlich motorisierte Fahrzeuge. Grand Taxis, Petit Taxis, Busse, Lastwagen. Erstaunt hat mich, wie riesig die Youngtimer, bzw. Oldtimer-Szene hier in Marokko ist, allen voran die Gilde der Mercedes-Fahrer.

Aber auch Esel und Maultiere sind vom marokkanischen Alltag nicht wegzudenken. Die werden hier nicht aus folkloristischen Gründen gehalten, sondern verrichten Schwerarbeit und müssen beispielsweise Felder pflügen. Der Anblick ist nicht selten hier. Einzig „la vache qui rit“ hat hier gut Lachen. Dieser Schmelzkäse gehört hier in Marokko schon fast neben Tajine, Couscous und Minztee zur Nationalspeise. Nichts zu lachen haben hingegen Schafe. Die werden hier auf Schubkarren, auf Eseln, eingepfercht in Lastwagen, in Kofferräumen transportiert. Hinten auf dem Mofa halbtot gebunden. In diesen Tagen haben sie ein besonders hartes Los. Am 6. November wird nämlich im ganzen Land Aïd el Kebir gefeiert. Ein wichtiges muslimisches Familienfest, an dem der Bereitschaft Abrahams gedacht wird, Gott zu folgen und seinen Sohn Isaak zu opfern. Marokkanische Flaggen werden in allen Ortschaften aufgehängt, Familienbesuche mit entsprechender Zunahme von Verkehr stehen an und die Tradition sieht eben vor, dass jeder Haushalt, der es sich leisten kann, ein Schaf schlachtet.


Zurück nach Rabat. Die Jagd auf die farbigen Stempel und Kleber im Pass ist eröffnet. Montag, Punkt 9 Uhr stehen wir vor der mauretanischen Botschaft. Bravo. Gerade einmal etwa 30 Personen stehen bereits Schlange. Senegalesen, Overlander, Expats, Individualtouristen, Töfffahrer. Die üblichen chaotischen Szenen, Geschubse, Geschrei, Rumfragerei, Rempeleien. Wo gibt es das Formular ? Am Schalter. Nach vorne drängeln, eines ergattern. Formular im Stehen ausfüllen. Adresse in Mauretanien ? Kein Problem, schreib einfach „Hotel Nouakschott, Nouakschott“ hin. Eine Stunde Vorgeschmack auf Mauretanien und Senegal. Die Hauptstadt Marokkos gefällt uns sehr: elegant, modern (mit einer neuen Strassenbahn), international (insbesondere Afrikaner aus dem ganzen Kontinent sind hier zu sehen), überschaubar. Wir quartieren uns in der Medina im Hotel Marrakesh ein (mit unserer Hotelwahl greifen wir wohl stets meine Route vor), essen praktisch täglich im Restaurant de la Libération, dem wohl besten Restaurant in der ganzen Medina. Um ein Bild der Preise zu bekommen: für zwei Suppen Harira, grilliertes Poulet, Brochettes, Cola und Kaffe bezahlen wir 74 Dirham, umgerechnet 7 Euro. Wir besuchen das Quartier „Kasbah des Oudaïas“, sehen uns die Hassan Moschee von draussen an. In Marokko dürfen Nicht-Muslime, anders als etwa in der Türkei oder im Iran, Moscheen leider nicht besuchen. Das Mausoleum des 1961 verstorbenen Königs Mohammed V dürfen wir wiederum ansehen. Und sogar die prachtvoll gekleidete königliche Garde abfotografieren. Die Marokkaner sind ansonsten eher fotoscheu und viele lehnen es zu meinem Bedauern leider ab, abgelichtet zu werden.

Fotomotive gibt es dafür mehr als genug im Souk, der vor allem am späten Nachmittag und abends sehr gut besucht ist. Enge Gassen, in denen sich kleine und kleinste Geschäfte aneinanderreihen. Das Angebot scheint sich zwar überall zu wiederholen, es gibt unzählige dieser kleinen Lebensmittelläden, die auf wenigen Quadratmetern einige hundert Produkte anbieten. Am Boden und auf Handwagen wird die Ware ausgelegt. Ansonsten findet sich im Souk alles Mögliche: Kleider, Babouches, gebrannte Musik-CD’s, Haushaltartikel, gedörrte Früchte, Oliven, Nüsse, jegliche Esswaren, imitierte Markenkleider. Ein Gewühl von Marktschreiern, Schneckenverkäufern, Bettlern, Schuhputzern.

Erwartungsgemäss können wir am Mittwoch das Visum abholen. Ins Taxi, zum Bahnhof, in den nächsten Zug nach Meknès, unterwegs halte ich einen Schwatz mit einem anderen Schweizer, der sich mit seiner Familie in Fès für einige Monate niedergelassen hat, um Arabisch zu lernen. Meine Arabisch-Kenntnisse sind da schon einiges bescheidener. Immerhin gelingt es mir, einigermassen auf arabisch einzukaufen und die Leute nehmen meine Anstrengungen sehr positiv auf.

In Meknès empfängt uns Nerjam, der junge Angestellte aus der Auberge de Jeunesse, freudig und umarmt uns beide. Am nächsten Tag regnet es Bindfäden und wir legen einen weiteren Ruhetag ein. Zeit, um die Stadt genauer anzusehen. Das Mausoleum von Moulay Ismail beispielsweise, dem grausamen Sultan aus dem 17. Jahrhundert. Aber auch Zeit, um im grossen Supermarkt Label Vie (ausgesprochen La belle vie…) einzukaufen, vor allem seit langem wieder einmal zwei kühle Bier. Spirituosen werden hier in einem separaten Raum feilgeboten und können dort diskret bezahlt werden, um sie nicht an den Hauptkassen auf das Fliessband ausbreiten und sich selber outen zu müsssen. Die Leute stehen etwas verstohlen im Alkoholraum herum, als wären sie einem Erotikladen und würden sich schmutzige Heftchen anschauen.
Endlich können wir wieder unsere Räder satteln. Richtung Mittleren Atlas und Azrou. Wir schaffen es nicht ganz und müssen auf der Passhöhe auf 1‘475 Metern Höhe hinter einem Hof zelten. Es wird eine kalte Nacht, um 5 Grad. Die Gelegenheit, um unsere neuen, vom Outdoor-Shop Landweg in Bubendorf gesponserten Daunenschlafsäcke zu testen. Am nächsten Morgen kommen wir keine 20 Meter weit: mein erster Platten ! Nachdem der Platten geflickt ist, können wir endlich einen Fotostopp auf dem Aussichtspunkt einlegen, danach geht es runter nach Azrou. Von hier dann wieder rauf in die Zedernwälder der Réserve Naturelle d’Ifrane. Und bereits nach wenigen Kilometern treffen wir, wie im Reiseführer vorhergesagt, auf wild lebende bzw. kopulierende Berberaffen. Danach führt ein Höhenweg auf rund 1‘800 Metern mit unzähligen Kurven durch Berberdörfer und eindrückliche Eichen- und Zedernwälder. Es finden sich immer wieder Monumente und Giganten von Zedern, 30 bis 40 Meter hoch. Mit solchen Wälder rechnet man nicht unbedingt in Marokko. Die Zedern scheinen aber hier gut zu gedeihen. Die Behausungen der Berber sind teilweise sehr schlicht: einfache Häuser mit Flachdächern, Plastikzelte. Vereinzelt betteln Kinder und verursachen mit ihren Begehrlichkeiten eher Heiterkeitsanfälle: „Donnez moi un carton“ (gemeint war wohl „bonbon“), „donnez moi un stylo rouge“ (wieso will niemand Papier?).


Die nächsten Tage sind ganz nach unserem Geschmack: praktisch kein Verkehr, wunderbare Landschaften, reine Luft. Besser als die stickige und staubige Luft unten. Wir kommen ins Berberdorf Aïn Leuh, die Sonne scheint, angenehme Temperaturen um 25 Grad. Hier können wir unsere Gemüse- und Früchtevorräte aufstocken, für 4 Dirham (rund 40 Rappen) kaufen wir Mandarinen, Äpfel, Zwiebeln, Karotten, Peperoni ein. Wir bestellen im Hotel Laayoune (diese Ortschaft liegt auch auf meiner Route…) auf dem Hauptplatz einen Kaffee. Die Maschine funktioniere nicht, meint der Kellner, es gebe aber Nescafé. Kein Problem. Er läuft schnell zum Laden nebenan, besorgt sich zwei Sachets Nescafé. Wir essen unsere Fladenbrote, mit fingerdicken Schichten Nutella. Bestellen nochmals zwei Café au lait. Der Kellner rennt wieder zum Nachbar nebenan. Nutella, die würzige Halal-Koutobia-Dinde-Wurst, Vache qui rit-Schmelzkäs, Bananen und Fladenbrot sind tagsüber unsere Grundnahrungsmittel.

Wohlgenährt starten wir den Tag. Ausgangs Azrou ruft mich ein Junge, der ganz offensichtlich ein mechanisches Problem an seinem Velo hat, laut mit „Hey“ an. Ich gebe ihm zu verstehen, dass man allenfalls Hunde derart anspricht, aber sicher nicht Menschen. Er und seine zwei Kumpanen begrüssen mich danach über freundlich und ich repariere ihm seine verbogene Kette. Wir radeln wieder durch dichte Wälder, unterbrochen durch steppenartige Hochebenen und karstigen Abschnitten. Gelb leuchten die Laubbäume, die den See Aguelmame Ouiouane umgeben.
Und dann geht es runter zu den Quellen des Flusses l’Oum er Rbia. Aus rund 40 Quellen mit kristallklarem Wasser bildet sich hier ein strömender Fluss. Leider sieht man nicht viel, denn sämtliche Quellen sind durch schäbig wirkende Verkaufs- und Verpflegungsstände zugepflastert. Zum Glück sind aber alle leer und wir ganz alleine. Es ist Montag Morgen, wir sind ausserhalb der Saison. Ein Berber vermietet uns ein einfaches Zimmer ohne Strom und Wasser, dafür mit Gasbeleuchtung, in das wir die Velos gleich hineinfahren können. Eher der Form halber drücke ich den Preis von 100 auf 80 Dirham runter. Immer noch teuer, aber uns soll es recht sein. Er ist um dieses gute Geschäft wohl sehr froh. Jedenfalls beauftragt Mohammed seine Mutter, uns am Morgen zu einem Tee einzuladen. Sie holt uns ab, wir laufen den steilen steinigen Weg rauf. In einem sehr einfachen aber sauberen Hof steht der Teppich mit einem kleinen, runden Holztisch bereits bereit. Uns wird ein stark gezuckerter Pfefferminztee serviert, ein leckeres Eieromelette, eine Schale mit Olivenöl, um das frisch zubereitete Fladenbrot darin zu tränken.


Um aus der modernen Grosstadt Beni Mellal rauszukommen, brauchen wir über eine Stunde. Es ist Wochenmarkt, der Verkehr auf der Durchgangsstrasse steht still. Weiter vorne liegt ein verletzter Velofahrer auf der Strasse und blockiert den Verkehr. Die Ambulanz wird Mühe haben, sich einen Weg hierhin zu bahnen. Der Unglückliche ist wohl angefahren worden, blutet aber zum Glück nicht. Obschon die Strasse danach flach ist, ziehen Wolken auf, ein Nieselregen setzt ein. Es herrscht reger Verkehr, die Strasse ist eng, ohne Pannenstreifen, wir werden immer wieder durch lautes Hupen auf den Schotter abgedrängt. Als ich auf der Höhe einer Primarschule Jagd auf einige steinewerfende Kinder mache, rutscht Mélanie, soeben in Sichtweite, auf dem nassen Belag aus und schlägt sich das Knie an. Der Schuldirektor lädt uns zu einem Tee ein, klärt uns über das marokkanische Schulsystem auf. Leider ziehen viele Familien ihre Kinder frühzeitig von der Schule ab. Für die Kinder mit dem weitesten Schulweg habe der Staat acht Velos gespendet. Da es aber unmöglich sei, festzustellen, wer den weitesten Weg hat und man sich nicht einigen konnte, sind die nigelnagelneuen Velos immer noch nicht verteilt worden. Wir fahren danach im Gegenwind weiter bis nach Imdahane. Hier ist das einzige Hotel noch nicht eröffnet. Bauschutt liegt noch herum, wir stolpern über Stromkabel, weder Lampen noch sanitäre Anlagen sind installiert, einzig ein Zimmer ist einigermassen hergerichtet. Duschen müssen wir im Restaurant nebenan. Immerhin sind wir die allerersten Gäste und weihen so das Hotel ein. Am nächsten Tag regnet es. Zeitweise setzen sintflutartige Regengüsse ein. Nach etlichen Kaffees , einem Schwatz mit Simo, dem 24-jährigen Besitzer und der Einsicht, das Velofahren an diesem Tag einer Selbstpeinigung gleichkommt, gehen wir zurück ins Hotel.

Ich nutze die Zeit für einen kleinen Spaziergang im Dorf nebenan, nach meiner Rückkehr fängt es wieder heftig an zu regnen und der erste Tourenfahrer, dem wir hier in Marokko begegnen, Stanislas, ein etwa 50-jähriger Franzose aus Belgien, fährt wie in Trance an mir vorbei. Er ist pflotschnass. Ich rufe ihn herbei und sage ihm, dass es hier in Imdahane, eine etwa 1000-Seelen-Ortschaft, unerwarteterweise ein Hotel gebe. Er ist sichtlich erleichtert, wäre er doch ansonsten weitere 40 Kilometer im Regen und Gegenwind gefahren. Und das um 4 Uhr nachmittags, wenn es um 18 Uhr bereits dunkel ist. Da er keine Beschriftung gesehen habe, sei er einfach weiter gefahren. Seit seiner Pensionierung 2005, als er das Familienunternehmen verkauft habe, unternehme er jedes Jahr 2 bis 3 monatige Velotouren, in die Türkei, nach St. Petersburg, auf der Balkan-Halbinsel. Zelt und Schlafsack habe er nur für den Notfall dabei, er habe es aber nie gebraucht bis anhin und wisse gar nicht, wie man das Zelt aufstelle. Bis jetzt hat er immer ein Hotelzimmer gefunden. In Marokko sei er einmal er vor einer „trentaines d’années“ gewesen, er habe aber keine Erinnerungen mehr daran. Originell finde ich seinen riesigen Stock gegen Hundeattacken, den er griffbereit in einer Hülse an der Vorderradgabel versorgt hat.


Endlich In Marrakesh angekommen, quartieren wir uns in einem kleinen Riad ein. Nachdem wir lange keinen Touristen begegnet sind, wimmelt es hier nur so von Kurzaufenthaltern. Ein Vorteil ist immerhin, dass das Angebot an sauberen und geschmackvoll eingerichteten Unterkünften riesig ist, man die Qual der Wahl und bereits für umgerechnet 20 Franken in einem Riad oder einer maison d‘hôte schlafen kann. Ein Riad ist ein Haus in der Medina, das rings um einen Patio gebaut ist, und heute oft zu Hotels umfunktioniert worden sind, auf der Terrasse kann dann morgens gediegen gefrühstückt werden. Der Riad-Hype hat hier in Marrakesh angefangen und Riads sind mittlerweile überall zu finden, aber insbesondere in der Küstenstadt Essaouira, Fès und eben in Marrakesh. Der Anschlag im April dieses Jahres auf dem Hauptplatz Djema el Fnaa im Café Argana scheint sich übrigens nicht negativ auf den Tourismus ausgewirkt zu haben. Mélanie wird von Marrakech wieder in die Schweiz zurückfliegen. Danke Mélanie für die vier tollen Wochen. Und für die organisatorische und moralische Unterstützung. Ohne Ihre Hilfe wäre ich heute nicht hier.