Pamir Highway zum Zweiten
Nach der ersten Runde (Dushanbe-Khorog-Wakhan Korridor-Lake Zorkul-Murghab-Akbaital-Pass-Bartang Valley) bin ich wieder in Khorog, wo ich mir zwei Ruhetage gönne.
Von Khorog gibt es drei Varianten, um nach Murghab, im Herzen des Pamir zu gelangen: auf der am stärksten befahrenen und grösstenteils asphaltierten M41, dem Pamir Highway, dem Wakhan Korridor an der Grenze zu Afghanistan und dazwischen gibt es noch das Shugdara Tal. Dieses möchte ich entdecken.
Auf seinen 142 Kilometern nimmt der Fluss rund 40 Nebenflüsse von den mächtigen Bergen ringsherum auf und verwandelt sich in einen wasserreichen Fluss, der im Winter nie zugefriert. Die Vegetation ist im Tal üppig, ändert sich von Obstgärten, Auwäldern und Buschvegetation.
Als ich frühmorgens starte, merke ich, wie meine Beine etwa zittrig sind, mein Immunsystem auf Hochtouren läuft und ich am schwächeln bin. Eigentlich hätte ich auf dem Absatz kehrt machen müssen. In Tibet ist mir das einmal passiert: ich verliess das Guesthouse in einem kleinen Dorf und schaffte es keine 50 Meter weit. Mein Körper schrie nach einem Ruhetag. Ich checkte wieder im Hostel ein und verbrachte den Tag im Bett.
Ich wäge ab und wage es, fahre bis Roshtkala in gemütlichen Tempo. Immerhin fast 1000 Höhenmeter und 5 Stunden. Unterwegs esse ich fleissig Sanddornbeeren. Die sind zwar wegen der Dornen mühsam zu pflücken aber sollen viele Vitamine haben. Und die gibt es hier wie Sand am Meer.
Im kleinen Dorf Vezdara soll es ein Homestay geben. Kurz vor dem Dorf dann eine Überraschung: die Strasse ist gut einen halben Meter unter Wasser. Entweder baden gehen oder über einen Feldweg das Velo schieben. Ich entscheide mich für die zweite Variante.
Ich kann bei Atogol schlafen und vor drei Uhr lege ich mich schon mal hin und ruhe mich aus. Glück für mich. Weil er anderntags früh nach Dushanbe zurückfährt. Hier hat er sein kleines Landhaus, schlicht aber idyllisch zwischen einem Bach und der Dorfschule gelegen. Anderntags fühle ich mich etwas besser, dafür plagt mich langsam ein Husten. Die Landschaft wird dafür umso bezaubernder.
Die Menschen sind wie im Wakhan sehr gastfreundlich und meistens lehne ich die Einladungen zum Tee schweren Herzens ab, nehme dann aber vor Mittag dankend doch eine an.
Ich bin froh, dass es hier Homestays gibt und mich so etwas schonen kann. Nach der letzten Ortschaft steigt die Strasse an und gibt endlich den Blick frei auf den Peak Engels (6507 m) und Peak Karl Marx (6723 m).
Dann folgt ein etwas mühsamer Abschnitt mit ein paar Schiebepassagen. Der Mainasa Pass auf 4’244 m ist nicht mehr weit. Die Strasse wechselt die Flussseite und dort findet sich ein idealer Zeltplatz. Bei der Brücke kann ich windgeschützt kochen und schon bald bin ich im warmen Schlafsack. Es wird mit minus 7 Grad eine kalte Nacht werden.
Die letzten Kilometer am frühen Morgen sind ein Genuss. Die Abfahrt bis zum Pamir Highway wird dann ruppig. Wer hier rauf will, schiebt sein Rad drei Stunden lang. Eine Flussfurt nocj und die ersten Lastwagen erinnern mich daran, dass ich auf der M41, dem Pamir Highway, bin. Ein ganzer Konvoi von Radlern fährt an mir vorbei. Ich werde sie kurz darauf einholen. Da ich einen Abstecher nach Bulunkul, zum ‘Hohen See’ eingeplant habe, verliere ich nicht allzu viel Zeit mit Smalltalk und mache mich auf den Weg. Sie sind schwer beladen und ich fahre ihnen gleich davon. Endlich wieder ein Pass, auf dem ich mein Rad nicht schieben muss. Der Asphalt weicht zwar einem feinen Schotter. Ich kann aber bis zum Koytezek-Pass auf 4271 Metern fahren.
Hier wird die Landschaft sehr karg, weitläufig. Die Hochebene wird von den Pamir-Kirgisen als Weidefläche genutzt. Kurz vor Alichur biege ich dann links ab, noch 16 km Kampf gegen den Wind und auf einer sandigen Wellblechpiste.
Das Timing ist perfekt, die letzten Sonnenstrahlen beleuchten das 400-Seelendorf, als ich Bulunkul erreiche. Hier wurde übrigens mit minus 63 Grad der Kälterekord Zentralasiens gemessen.
Die Fahrt von Bulunkul nach Alichur ist dann recht gut und vergnüglich. Und sehr einsam. Zu Beginn fahre ich auf einen Aussichtspunkt hinauf. Der Blick auf den See ist sensationell. Danach geht es eine Ebene runter, entlang eines Flusses mit einem kontrastierenden grünen Ufer. Und bald erreiche ich einen kleinen Geysir. Danach ist die Strecke kurzweilig, wellig und kurvenreich, aber gut zu befahren.
Bald erreiche ich die Ortschaft Alichur auf 3860 Metern. Den einzigen Dorfladen möchte ich aufsuchen und frage einen Herrn mit einem Kalpak, der traditionellen Kopfbedeckung, wo sich der Laden befinde. Er sei der Ladenbesitzer und zeige mir gern den Weg dorthin.
Geistesgegenwärtig sage ich zu ihm: ‘Adin minut, pashaulsta. Ya vi snaiu!’ (Eine Minute, Bitte. Ich kenne Sie). Ich suche auf meinem Handy die alten Bilder von 2006 und zeige ihm ein Bild: “Das bin ja ich” ruft er freudig aus. Zwei Bilder habe ich damals von ihm geschossen. Eines mit seinem Sohn und eines mit seiner Tochter. Wir machen ein paar frische Fotos und verabschieden uns herzlich.
Alichur hat sich nicht gross verändert. Eine Handvoll Homestays gibt es immerhin. Ecotourismus ist angesagt und drängt sich auf, da viele, egal ob mit Rad oder Jeep, hier Halt machen wollen und sich von den Strapazen erholen möchten. Strom ist Mangelware, abends muss der Generator für ein paar Stunden angeworfen werden.
Von Alichur möchte ich das über 100 km entfernte Murghab in einem Tag erreichen und fahre deshalb früh los.
Nun, es wird die bislang schnellste Etappe meiner Reise mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 20.4 km/h werden. Unglaublich schnell, wenn ich bedenke, dass ich für 2’214 Kilometer insgesamt 190 Stunden benötigt habe. Teilweise hatte ich sogar einen Schnitt von nur 7 km/h. Dem Rückenwind gebührt der entsprechende Dank. Und den Sowjets für die gut gebaute Asphaltstrasse. Unterwegs treffe ich einen englischen Radler an und wir fliegen zusammen Richtung Murghab. Um 14 Uhr sind wir schon beim Checkpoint. Bevor ich mein Zimmer beziehe, kaufe ich mir eine Wassermelone im Basar. Zu gross ist die Lust nach dieser gesunden Erfrischung.
Zufällig ist am nächsten Tag der Unabhängigkeitstag Tadschikistans. Gleich gegenüber meinem Guesthouse finden Feierlichkeiten, Ansprachen und Tänze statt und es herrscht eine Volksfeststimmung.
Das lasse ich mir natürlich nicht entgehen gehen und mische mich unter die Menschenmenge.
Mit einem Jeep geht es dann weiter bis zum Karakul, dem Schwarzen See. Die Strecke über den Ak-Baital Pass möchte ich nicht noch einmal abfahren. Karakul ist ein 380 km² grosser abflussloser See, umgeben von Bergriesen. In der gleichnamigen Ortschaft übernachte ich mit einem sympathischen deutschen Paar, in deren Jeep ich mitfahren durfte. Ein Pass auf 4’232 Metern ist zunächst zu erzwingen. Am Pass angekommen, drehe ich mich um, geniesse nochmals diesen grandiosen Anblick. Pamir Highway at it’s best: Weite, Einsamkeit, schneebedeckte Berge, schnurgerade Strasse.
Von hier hat man einen wunderbaren Blick auf das Transalaigebirge und den höchsten Berg, den Pik Lenin, der seit 2006 nun Pik Abuali ibni Sino heisst.
Eine Abfahrt und der Schlussanstieg zum tadschikischen Zoll steht mir bevor. Die Anlage ist ausgebaut worden, Solarpanels und neue Gebäude heben die Bedeutung hervor. Doch das alte Kapäuschen mit einem Tisch und Stuhl, wo ich mit Kugelschreiber wie anno dazumal in einem Schulheft eingetragen werde, ist nach wie vor geblieben.
Nach 44 Tagen verabschiede ich mich also von Tadschikistan. Spannend war es, vor allem nach 17 Jahren die Änderungen zu beobachten und mich ein Stück weit wieder in meine Pilgerreise nach Tibet hineinversetzen zu können. Bekannte Gesichter wieder zu treffen. Erneut die unglaubliche Gastfreundschaft und Herzlichkeit der Menschen erfahren zu können. Und neue Ecken, Gegenden und Pisten zu entdecken. Anstrengend und schweisstreibend war es. Ich muss wohl sicher vier Kilo abgenommen haben.
Noch ein paar Hundert Meter und der berühmte Steinbock, der die Grenze zu Kirgistan bildet und den Kyzilart-Pass auf 4’336 Metern ziert, erhebt sich majestätisch vor mir. Nun folgen 20 Kilometer Niemandsland, wo ich mein Zelt aufstelle. Die Zeltplatzsuche ist ja eine Wissenschaft für sich. Idealerweise ist ein Zeltplatz gut versteckt und von der Strasse nicht einsehbar, windgeschützt, weist eine weiche grasige Unterlage sowie sauberes Wasser in der Nähe auf und ist landschaftlich reizvoll. Dieser gefällt mir ganz gut, ist zumindest gut vor Wind geschützt.
Nächstentags fahre ich zum kirgischen Zoll. Dummerweise folgen mir dann zwei Jeeps mit zahlreichen Touristen, wodurchich Zeit verliere. Einige von Ihnen haben keine Einreisegenehmigung und die Beamten suchen die Listen vergebens durch. Sie werden an der Grenze übernachten müssen. Ich beklage mich nicht. Nach eineinhalb Stunden werde ich endlich durchgelassen, erhalte den Stempel in meinem Pass und mit einem breiten Grinsen meint der bis anhin mürrische Beamte: Welcome to Kirgistan!
Vor meiner Abreise war die Grenze noch geschlossen und ich malte mir schon aus, mit einem Jeep nach Dushanbe zurück fahren und einen Riesenumweg über Usbekistan nehmen zu müssen. Ich bin überglücklich. Für mich heisst das, dass ich noch im September die Pässe in Kirgistan in Angriff nehmen kann.
Sary Tash ist bald erreicht. Der Gegenwind kann mir nichts anhaben. Die Sicht ist diesig. Die Schneeberge und der Pik Lenin sind von der Weite nicht mehr zu erkennen. An diesem Ort musste ich 2006 eine Zwangspause einlegen. Wer wissen will, warum, möge diesen Bericht lesen.
Der Ort ist zwar etwas bunter geworden, eine Tankstelle steht an der Hauptkreuzung. Die Strasse nach China ist nun asphaltiert und es gibt nun eine Handvoll Guesthouses mit warmer Dusche und sauberen Betten. Einige Läden, in denen ich eine SIM-Karte mit 4G-Netz kaufen kann. Getankt wird aber nach wie vor vorwiegend aus Kanistern. Und Berge von Kuhdung zeugen davon, dass Strom und Wohlstand noch keine Selbstverständlichkeiten sind.
Der Rest bis Osh, der zweitgrössten Stadt von Kirgisistan, ist schnell erzählt. Auf nun durchgehendem Asphalt sind wieder jeweils Pässe zu bezwingen.
So der Taldyk-Pass auf 3’615 Metern und später der Cherchyk-Pass auf 2’408 Metern. Die Landschaft wird grüner, die Berge sind oft rot gefärbt. Herden von Pferden sind neben oder auf der Strasse zu sehen.
Deutlich zugenommen hat auf diesen Abschnitt der Verkehr. Zahlreiche Lastwagen zeugen von der Nähe Chinas. Etwas mühsam ist einzig der Gegenwind.
Endlich in Osh angekommen. Städte sind eine Hassliebe für Radler, die sich durch den Stadtverkehr durchkämpfen müssen, abgedrängt werden, sich nicht mehr so willkommen fühlen. Andererseits ist das kulinarische Angebot gross. Man trifft auf andere Reisende und kann die Batterien wieder aufladen und Pläne für die Weiterfahrt schmieden.