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Allez Richard !

Rufen mir Jan und Jan beim Abschied zu! Einen Bergpreis werde ich zwar nicht gewinnen, dennoch bin ich noch voller Eindrücke der zehn Radeltage durch wunderbare Gegenden Frankreichs zusammen mit Jan und Jan, die leider zu Ende sind. Seit dem 10. September bin ich wieder alleine unterwegs. Die Berge und Hügel der Rhônes-Alpes und der Provence liegen hinter mir.

Wir entscheiden uns für den Col de la Croix de Fer, 2067 Meter hoch. Mit einer Durschnittsgeschwindigkeit um die 8 km/h fahren wir langsam aber beständig rauf. Unterwegs machen wir eine Kaffeepause, lehnen dankend den Kräuterschnaps Génepi ab. Wir werden gewarnt, dass am Nachmittag heftige Gewitter aufziehen sollen. Im Skiort St. Sorlin-d’Arves wird es nochmals richtig steil, danach fangen die Serpentinen an. Und auch ein leichter Nieselregen fängt an, unangenehm zu werden. Er wird stärker , noch 3, dann 2 Kilometer bis zur Passhöhe. Ich wäge ab: es lohnt sich nicht mehr die Regenjacke hervorzuklauben, ich bin eh schon nass. Zum Glück ist es nicht allzu kalt. Also rauf im Regen und auf der Passhoehe  in das Restaurant rein.

Jan ist bereits im Trockenen. Zum Glück ist es nicht sehr kalt und zu unserer Erleichterung lässt der Regen nach einer wohlverdienten Tasse Kaffe nach. Nebelschwaden ziehen an uns vorbei. Ab und zu bricht ein Sonnenstrahl durch und lässt magische Lichtstimmungen entstehen.

Nach dem Col de la Croix de Fer gönnen wir uns einen Ruhetag. Ganz untypisch in einem alten Wohnwagen, der auf einem Campingplatz steht. Jan mit seinen rund 1.90 Metern fühlt sich darin nicht so richtig wohl. Es soll aber regnen und den ganzen Tag warten wir darauf, dass es anfängt. Erst in der Nacht kommt dann der Regen. Macht nichts. Dafür können wir in der Sonne unsere Velos unterhalten.

Die Alpe d’Huez lassen wir aus. Vielleicht besser so. In der Zeitung lesen wir, dass ein Norweger auf der Abfahrt (mit dem Rennvelo wohlverstanden) unglücklich ausrutscht, unter ein entgegenkommendes Fahrzeug gerät und sich schwer verletzt. Die Alpe d’Huez ist, klärt mich Jan auf, „de nederlandse berg“. Tatsächlich haben, was die Etappensiege bei diesem Berg erster Kategorie angeht, die Niederländer die Nase vorn. Ein niederländischer Pfarrer soll zudem die Kirche im Dorf eingeweiht haben (oder so ähnlich…). Jeder zweite Niederländer weiss, wie viele Spitzkehren die Bergstrasse hat. Jedenfalls wimmelt es nur so von Niederländern. Nebenan vom Campingplatz wird sogar ein Hotel-Restaurant auf niederländisch geführt. Am Vortag wollen wir dort essen, die Serviertochter antwortet uns in gebrochenem Französisch: „je demander d’abord au coq !“. Aha ! Der Hahn ist aber schon zu Bett gegangen und will nicht mehr krähen bzw. kochen. Also zurück in das Wohnmobil aus der Epoche von Louis de Funès. Zwiebel, Rübli, Tomatenmark und Spaghetti ergeben ratz-fatz ein nahrhaftes Menü.

Frankreich hat so seine Eigenheiten. Eine davon scheint zu sein, dass die Franzosen fast durchwegs zuhause nur Filterkaffee trinken. Jan hat seine liebe Mühe, trotz riesiger Auswahl entsprechend gemahlenen Kaffee für seine Espresso-Maschine zu finden. Die andere Eigenheit ist, dass viele Geschäfte, insbesondere Epiceries in kleineren Ortschaften, am Mittwoch Nachmittag schliessen. Weil am Mittwoch schulfrei ist.

Die Fahrt mit Jan und Jan gestaltet sich sehr angenehm, Tempo und Tagespensum passen. Die Landschaften sind abwechslungsreich. Wir wählen, bezogen auf die Michelin-Karte, nur weisse oder gelbe Landstrassen, vorzugsweise zusätzlich grün (für landschaftlich reizvolle Strecken) gefärbt. Und solche, die durch Nationalparks führen. Etwa durch den Parc National des Ecrins. Oder den Parc Naturel Régional du Vercors. Kurvenreiche Strecken, sehr wenig Verkehr (ausser ein paar Motorradfahrer, die Jan alles andere als liebt…), tolle Landschaften.

Was eine Velotour durch Frankreich zu einem Erlebnis macht, ist sicher die Tour de France oder besser gesagt der Velosport, der den Franzosen viel bedeutet. Und was noch angenehmer ist, das gute Essen. Wir verwöhnen uns jeden Abend mit neuen Rezepten. Meistens gibt es eine Gemüsepfanne, Pasta und Käse. Und natürlich eine Flasche Wein. Unterwegs kaufen wir direkt vom Hof Ziegenkäse bzw. Tome ein. Zusammen mit einer Baguette ergibt das ein herrliches Mittagssnack.

Wir leben wie Gott in Frankreich. Einmal fragen wir Einheimische, ob wir im Garten zelten können. Zunächst noch etwas skeptisch, doch Albert und seine Ehefrau tauen sehr schnell auf, haben eine Riesenfreude an der Abwechslung der niederländisch-kanadisch-schweizerisch-italienisch-spanischen Gesellschaft. Albert bringt uns einen Campingtisch und Stühle raus. Danach trinken wir noch gemeinsam Tee. Frische Verveine aus dem Garten. Albert mag ihn gar nicht und macht keinen Hehl daraus. Albert und seine Ehefrau kennen sich seit der Schulzeit, beide sind Urgrosseltern, waren Schullehrer.

Heute sei die „rentrée“, Schulbeginn nach den Sommer-Ferien, gewesen. Das haben wir mitbekommen. In der Schlagzeile der Tageszeitung „Dauphiné Libéré“  war die Rede von  12 Millionen Kinder und Jugendliche, für die wieder der Halb-Ernst des Lebens anfängt.  Irgendwie merkt man, dass Albert und seine Frau Lehrer waren. Man hört ihnen gern zu: „prennez cette route, vous allez vous régaler; non, le prochain col n’est pas méchant !“ Ausser im Winter, wenn sie in einer Wohnung in Grenoble sind, leben sie im schönen Landhaus von Albert, das bereits 300 Jahre alt ist und wo er zur Welt kam. Unsere Gespräche werden durch das neue Haustier unterbrochen: eine chauve-souris, eine Fledermaus, flattert durch die Küche. Seit zwei Tagen sei sie hier drin. Im Zelt sollen wir keine Angst haben, höchstens ein Dachs werde sich bemerkbar machen. Dachs auf französisch: le blaireau. Blaireau und vélo: der mehrfache Tour de France Sieger Bernard Hinault kommt ins Gespräch. Am nächsten Tag gibt uns Albert noch eine Flasche Wein mit: „Pour l’amitié.“ Sie bedanken sich nochmals, dass wir sie mit unseren Reiseerzählungen für ein paar Momente in die weite Welt entführen konnten. Merci à vous !

Unzählige Cols befahren wir, kleinere und grössere. Und ganz langsam ändert sich auch die Landschaft. Plötzlich ockerfarbene Steinhäuser mit hellblauen Fensterläden. Und dann ein angenehmer provenzalischer Duft: Thymian, Rosmarin, Lavendel. Lavendelfelder so weit das Auge reicht. Obschon die Ernte bereits vorüber ist, duftet es wie in einem Kräuterladen. Es gibt anscheinend zwei Arten von Lavendel: la lavande vraie ou fine und le lavandin. Erstere ist die noblere Variante, die zweite ist die ergiebigere. Beides ergibt jährlich 1’000 Tonnen ätherisches Öl lavandin und 90 Tonnen Öl lavande.

Hier ein paar Links:

www.routes-lavandes.com

www.grandes-traversee-alpes.com

www.lavande-provence-aoc.com

Le „géant de la Provence“, dieser eigenartige Berg, windumtost, steinig und kahl, ohne jegliche Vegetation am Gipfel. Le Mont Ventoux. Noch so ein legendärer Berg der Tour de France. Wer hält den Rekord ? Marco Pantani ? Tragisch die Etappe 1967, an der kurz vor dem Gipfel Thom Simpson an einer Herzattacke starb. Hitze, Anstrengung, Müdigkeit und – angeblich Doping – waren zuviel des Guten.

Unglaublich wie beliebt dieser Berg bei Velofahrern ist. Es ist Freitag und es wimmelt nur so von Velofahrern. Von ganz verbissenen mit aalglatt rasierten und braungebräunten, sehnigen Beinen bis hin zu bierbäuchigen Gestalten mit hochrotem Kopf auf City-Bikes, die ihr Gerät mehr stossen als fahren. Was für uns nicht in Frage kommt. Jan fährt zur Hochform auf und erniedrigt einige Rennvelofahrer, indem er sie mit vollbeladenem Fahrrad überholt. Ich fröne meiner Leidenschaft, dem Fotografieren, und büsse dies nach jedem Fotohalt mit brennenden Beinen. Allez Richard ! Nach dem Mont Ventoux campen wir nochmals zusammen, in Malaucène verabschieden wir uns dann. Danke Jan und Jan für die tollen gemeinsamen Tage ! Das war ein unvergesslicher Start für mein bevorstehendes Abenteuer !