Highland, Highlaaaaand !
Assalam Eleykum ! Mein Radlerkumpane Sekiji und ich sind in Khartoum, der Hauptstadt von Sudan angekommen. Temperaturen von über 40 Grad gepaart mit Wind und staubtrockener Luft fühlen sich an wie ein Heissluftgebläse. Doch erstmals 1‘600 Kilometer zurück nach Addis Ababa, um über das erste von zwei faszinierenden und sehr unterschiedlichen Ländern Bericht zu erstatten.
In Addis Ababa treffe ich endlich den japanischen Radler Sekiji an, der seit über zwei Jahren eine ähnliche Route wie ich in Afrika bereist hat. Ganz zufällig hatten wir in Dakar, Arusha und Nairobi diesselben Gastgeber. Von Nairobi aus hat er die konsequente Variante gewählt, ich die konservative. Er ist die ganze Strecke gefahren, ich bin zweimal in einen Bus gesprungen. Dafür hat er sein äthiopisches Visum um fast eine Woche überzogen. Doch er hat Glück, wird nicht des Landes verwiesen, nicht gebüsst und erhält sogar eine Visumsverlängerung. Er fährt mir um drei Tage voraus.
Nun, viele Radler reisen so schnell wie möglich durch Äthiopien, mögen die Bevölkerung nicht. Das mag vielleicht auch daran liegen, dass die meisten von Norden nach Süden, von Kairo nach Kapstadt reisen und der sudanesischen Gastfreundlichkeit und Warmherzigkeit wohl niemand auf dem Kontinent das Wasser reichen kann. Die Attribute von anderen Radlern lauten von unfreundlich, lästig und aufdringlich bis hin zu Kraftausdrücken, die ich hier lieber verschweige.
Die Route von Addis Ababa nach Bahir Dar und an die Grenze zum Sudan geniesse ich allerdings, trotz ein oder zwei Steinen, die mir Kinder täglich nachwerfen, sehr und bin positiv überrascht. Die Vorurteile kann ich auf dieser Strecke nicht teilen. Im Süden und auf der historischen Strecke im Norden sieht es möglicherweise anders aus, insbesondere wenn es um Übernachtung und Verpflegung geht, wird man als ferenji oft übers Ohr gehauen. Aber die ländliche Bevölkerung, der ich begegne, ist freundlich, lässt sich problemlos abfotografieren, grüsst freundlich zurück, verneigt sich oft. Ich verweile häufig zu Schwätzchen, schaue den Leuten bei der Arbeit zu.
Einem eher für dieses Land seltenen Broterwerb gehen ausgangs Addis zwei Rennradfahrern auf edlen Karbonrädern nach. Einer davon ist Tsgabu Gebremaryam, Profifahrer beim südafrikanischen Team MTN Qhubeka. Er wagt sich auf mein Rad und kann nur noch den Kopf schütteln, wie es möglich ist, ein 60 Kilogramm schweres Rad fortzubewegen. Zahlreiche Menschen sind am Strassenrand per pedes unterwegs, mit Säcken von Getreide, Mais oder Holz beladen. Äthiopien ist das einzige Land, in dem ich, natürlich wiederum nur Frauen oder Mädchen sehe, die das Wasser nicht in gelben Plastikkanistern sondern in schweren Tonkrügen tragen. Und dabei noch lächeln und unverschämt gut aussehen.
Der Transport findet oft dank Eseln und Eselskarren, aus Fahrzeugachsen improvisiert, statt. Ohne in Ironie zu verfallen: ich weiss nicht, welches Land weltweit die grösste Dichte an Eseln hat, aber Äthiopien hat sicherlich die Nase vorne.
Den Leuten wird nachgesagt, dass sie stolz seien. Stolz auf ihre Kultur, auf die amharische Sprache, auf ihre äthiopisch-orthodoxe Religion. Ihr Land bezeichnen die Abessinier gerne als die Wiege der Menschheit. Das älteste menschliche Skelett, Lucy, ist hier gefunden worden. Äthiopien war zwar kurzzeitig durch das faschistische Italien besetzt worden, ist aber das einzige Land auf dem schwarzen Kontinent, das nie unter kolonialer Herrschaft war.
Der Einfluss der Italiener ist noch heute spürbar. So gibt es überall Pasta und Spaghetti zu essen. Spaghetti mit Gemüse, mit Tomatensauce, mit Hackfleisch. Und die Äthiopier haben, was weltweit einzigartig ist, gelernt, die Pasta al dente zu kochen. Es herrscht gerade eine 55-tägige Fastenzeit, in der kein Fleisch gegessen wird. Mittwochs und Freitags ist ohnehin immer Fastenzeit. Das orthodoxe Fastenregime ist komplex. Aber wenn einmal Fleischzeit herrscht, hauen die Abessinier gerne rein. Am liebsten rohes Rindsfleisch am frühen Morgen. Ansonsten ist natürlich die Enjira allgegenwärtig. Ein grosser Fladen schwammiger Konsistenz aus dem Getreide Teff, auf dem Gemüse oder Fleischeintöpfe hergerichtet werden. Gegessen wird das Gericht mit der Hand.
Der Reisende, der „ferenji“, wird oft von zahlreichen Schaulustigen umzingelt. Viele Kinder schreien mir „You, You“ oder „money, money“ nach, oftmals auch „Highland, Highland“. Gemeint sind leere Wasser-Plastikflaschen, bezeichnet nach der bekanntesten Marke Highland. Diese Kinderscharen können manchmal lästig sein, aber nur selten greift ein Lausbube zu einem Stein und wirft ihn nach. Auch das laute “You, You” ist nicht die angenehmste Begrüssungsform und so drehe ich einfach den Spiess um und schreie wie ein Bekloppter die Leute mit “you, you” an, bevor sie den Mund aufmachen können. Es wirkt, es kommt oft ein Lächeln zurück.
Äthiopien ist das Ursprungsland des Kaffee. Und die Kaffeekultur ist nicht nur afrika- sondern weltweit einzigartig. Abgesehen von Italien und Spanien kann ganz Europa zusammenpacken inklusive der sterilen, gestylten Astronauten-Kapselkultur, das Äthiopien nicht ansatzweise das gebrühte Wässerchen reichen kann. Der Kaffe wird in einer Kanne aus dunklem Ton gereicht, oft auf einem mit Gras bedeckten Tablett, Weihrauch wird auf einem Tongefäss gebrannt. Wenn man reichlich Zeit mitnimmt, kann man zusehen, wie die Bohnen geröstet werden, anschliessend von Hand in einem Mörser gemahlen werden. Ein paar Mal muss ich mir die Augen reiben. Oftmals entdecke ich in kleinen Ortschaften Pavoni und Cimbali Kaffeemaschinen. Und wenn wir schon bei Flüssigkeiten sind. Für Afrika einzigartig ist das Wasser der Marke Ambo: gekühltes Sprudelwasser in Halblitern-Flaschen gibt es praktisch überall. Herrlich erfrischend !
Neben Lesotho ist Äthiopien das höchstgelegene Land auf dem Kontinent. Die Hälfte des Landes liegt auf über 1‘200 M., 25 % auf über 1‘800 M.ü.M. Das Klima im Hochland von Abessinien wird von Radfahrern geschätzt, tagsüber warm, nachts kühl. Angenehm zum Ausruhen. Es sei denn, dass ein Priester um drei oder vier Uhr morgens anfängt, seine Gebetslieder stundenlang herunterzuleiern. Natürlich über Lautsprecher. Meistens bewege ich mich zwischen 2‘000 und 3‘000 Metern. Ein gutes Höhentraining. Unterbrochen wird dieses aber schon bald durch die Schlucht des Blauen Nils. Ein Alpenpass im umgekehrten Sinne. Es geht rund 1‘300 Höhenmeter runter zum Fluss. Was danach folgt, ist nicht schwer zu erraten.
In Afrika wird einem vor allem eines gelehrt: Geduld. Am Fusse der Steigung trinke ich erstmals zwei Kaffee, warte bis einer dieser schweren Trucks im Schrittempo daherschleicht und hänge mich hinten an, um mich ein gutes Stück ziehen zu lassen. Um mir nicht das Schultergelenk auszurenken, muss ich zwar weiterhin in die Pedale treten, aber es ist einiges angenehmer so.
Das Fladenbrot Enjira wird aus dem sehr feinkörnigen und glutenfreien Getreide Teff hergestellt, dem wichtigsten Getreide in Äthiopien. Überall sind riesige Heuhaufen zu sehen. Das Teff wird noch ganz urtümlich mit einer Handvoll Ochsen gedrescht, die im Kreise laufen. Das Land ist grösstenteils gerodet. Viele Eukalyptusbaum-Pflanzungen sind an die Stelle der ursprünglichen Wälder getreten. Rinder, Ziegen, Schafe und Esel sorgen dafür, dass kein Grashalm mehr als zwei Finger breit wachsen kann. Die Felder werden oftmals mit Hilfe von Ochsen und einem einfachen Pflug bearbeitet.
Hotels finden sich glücklicherweise in jeder kleineren Ortschaft. Meistens ab 30 bis 50 Birr, rund 1 bis 2 Euro. Unglaublich billig. Und ohne White Skin-Tax wie im Süden. Für 4 bis 6 Euro gibt es schon ganz luxuriöse „self-contained rooms“ mit heissem Wasser. Der Blaue Nil führt in Bahir Dar in den See Tana. Ich treffe hier wieder Sekiji an. Wir entscheiden, ab hier zusammen in den Sudan zu reisen. Ich gönne mir in dieser palmengesäumten, angenehm sauberen Stadt, in der vor allem die vielen Fruchtsaft-Stände locken, einige Ruhetage. Ich besuche ein Projekt von Helvetas, eine Hängebrücke gegenüber des Wasserfalles des Blauen Niles.
Die Anreise in einem öffentlichen, vollgestopften Bus mit nicht gerade wohlriechenden Hirten, die sich die Zähne an Zuckerrohrstangen wundkauen, ist ein Erlebnis für sich. Die Hängebrücke ist 81 Meter lang, erspart der Bevölkerung einen Umweg von eineinhalb bis zwei Stunden. Sie ist in Zusammenarbeit mit nepalesischen Ingenieuren gebaut worden. An dieser Stelle ein grosses Dankeschön an alle, die gespendet haben ! Und da ich noch eine Weile unterwegs sein werde, kann weiterhin gerne gespendet werden.
In Bahir Dar unternehme ich einen Ausflug zum Lake Tana, besuche ich ein paar Klöster aus dem 17. Jahrhundert, lasse mich in die Vergangenheit zurückversetzen., bewundere die vielen Heiligenbilder und Ikonen. Am besten wird mir der heilige Georg hoch auf dem Ross in Erinnerung bleiben. St. Georg ist die berühmteste Biermarke in Äthiopien.
Vom Lake Tana führt nun der Blaue Nil in 5223 Kilometern Richtung Norden nach Khartoum und bis ans Mittelmeer. Sekiji und ich starten gemeinsam Richtung Sudan. Wir sind gespannt auf dieses riesige Land. Vor allem der Nordwind und die brütende Hitze bereiten uns Kopfweh. Berichte von entgegenkommenden Velofahrern, die dank des Rückenwindes bis zu 200 Kilometer an einem Tag schaffen, sind nicht ermutigend. Diesmal werden sich die Vorurteile bestätigen. Sudan hat wohl die gastfreundlichsten Menschen auf dem ganzen Kontinent. Aber davon erzähle ich das nächste Mal. Bis bald !