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Herbstzeit in Kirgistan

Meinen letzten Reisebericht habe in Jangi Talap am Fusse des auf 3000 Metern liegenden Bergsees Song Köl geschrieben. Wegen Regenfällen blieb ich dort etwas ‘hängen’. Ein anderer Radler kam dort runter und berichtete davon, dass es in der Nacht geschneit habe und zeigt mir Fotos.

Da es wieder stark regnet (und am Song Köl schneit) sehe ich davon ab, den Moldo Pass in Angriff zu nehmen. Es geht also in einem Tag Richtung Westen durch ein sehr weites Tal bis nach Naryn. Unterwegs lässt sich eine Herde von baktrischen Kamelen, auf Deutsch Trampeltier, durch meine Anwesenheit nicht aus der Ruhe bringen. Endlich kann ich sie von der Nähe begutachten.

In der Abenddämmerung erreiche ich das auf 2’050 Metern gelegene Naryn, eine Stadt an der Seidenstrasse mit rund 41’000 Einwohnern. Von hier führt eine Strasse über den Torugart-Pass nach China. Heute die wichtigste Verbindungsstrasse zum grossen Nachbarn. Die Stadt ist mit rund 14 Kilometern extrem langgezogen. Ein wirkliches Zentrum ist nicht auszumachen. Trotzdem finde ich dank GPS ein nettes Guesthouse. Es ist bereits dunkel.

Ich habe es mir zur Angewohnheit gemacht, in den Städten die lokalen Museen zu besuchen und das Kulturprogramm etwas zu pflegen. Sonntags sind diese aber häufig leider geschlossen. Die Besitzerin meiner Unterkunft ist zufälligerweise die Museumsdirektorin und als sie mein Skizzenbuch sieht, lässt sie das Museum an diesem Sonntag eigens für mich öffnen.

Die nächsten Tage soll es schön bleiben. Also nichts wie los Richtung Tien Shan Gebirge. Wobei ich mich im Grunde genommen schon in dieser Grosslandschaft befinde, die vereinfacht gesagt von der Kysilkum-Wüste und dem Ferghana-Tal im Westen, dem Karakorum, dem Tarim-Becken mit der Taklamakan-Wüste im Südwesten und der Dschungarei begrenzt wird. Fast 2’500 Kilometer lang.

Der Tien Shan ist in mehrere, langestreckte Gebirgszüge mit Höhen bis über 7’000 Meter unterteilt, zwischen denen ausgedehnte Hochebenen bestehen. Das 198’000 Quadratkilometer umfassende Kirgistan befindet sich fast vollständig im Tien Shan. Mit rund 6 Millionen Einwohnern ist das Land eher dünn besiedelt. Der höchste Punkt des Landes ist der Khan Tengri mit 7’010 Metern an der Grenze Kasachstan, China und Kirgistan. Vom Khan Tengri aus führt der südliche Inyltschek-Gletscher, der weltweit grösste Gletscher ausserhalb der Polarregionen sage und schreibe 60 km westwärts.

Aus Schweizer, ja sogar aus Baselbieter (und genau genommen auch aus Schwarzbubenländerischer) Sicht ist der Khan Tengri, der nördlichste Siebentausender, bemerkenswert. Die Drittbesteigung erfolgte nämlich unter anderem durch Lorenz Saladin aus Nuglar-St. Pantaleon, einen Steinwurf von meiner Heimatgemeinde Liestal entfernt. Und endete leider tödlich für ihn beim Abstieg. Die (leider auch) jung verstorbene Annemarie Schwarzenbach hat die Fotos Saladins aufbereitet, recherchiert und ein Buch über seine Expedition geschrieben (https://www.sac-cas.ch/de/die-alpen/einfacher-bursche-und-reiche-tochter-18162/). Zurück zur Gegenwart. Während es im Sommer hier sehr grün ist, zeigt sich die Landschaft nun in warmen Herbstfarben. Die Farben Ocker, Gelb und Olivgrün dominieren die Landschaft. Im Kontrast dazu der blaue Himmel und die schneebedeckten Berge im Hintergrund. Die meisten touristischen Jurtcamps haben ihre Zelte jedoch bereits abgebrochen.

Bei einem Yurtcamp stehen die Jurten zwar noch, aber es ist alles verschlossen. Ich zelte nebenan, habe  eine grüne Wiese, fliessendes Wasser, Tisch und Bank und meine Ruhe. Bis ein weisser Lada vorbeifährt. Die zwei Herren sehen aus wie Förster oder Jäger. Wer sie sind und was sie dort machen, weiss ich nicht. Sicherheitshalber frage ich den stämmigen und sympathischen Adam und seinen Freund Karim, ob es in Ordnung sei, hier zu zelten. Sicher doch. Ich könne auch in einer Jurte schlafen. Ohne Teppiche ist es dort aber nicht gemütlich und ich ziehe mein Zelt vor. Sie beschenken mich mit Gemüse,  begutachten detailliert meine Ausrüstung und überzeugen sich davon, dass ich nicht kalt haben werde in der Nacht.

Die Nacht wird zwar kalt werden und das Wasser gefriert in den Trinkflaschen ein. Doch sobald sich die ersten Sonnenstrahlen zeigen, wird es wieder angenehm. Zum Radeln reichen mir tagsüber die kurzen Hosen aus.

Adam gibt mir am Vorabend zu verstehen, dass ich in der Ortschaft Oruk Tam nach seinem Bruder Kanat fragen und ihm das von uns dreien geschossene Foto geben soll. Gesagt, getan. Und so komme ich zur Mittagszeit zu einer warmen Mahlzeit. Der Bruder ist zwar nicht anwesend, aber seine Frau und die Töchter sind zu Hause und scheinen über meinen Besuch nicht überrascht zu sein. Ich bewege mich nun zwischen 2’300 und 2’700 Metern. Es geht auf und ab und ich sammle fleissig Höhenmeter. Die Landschaft erinnert zunächst an das Graubünden.

Mit zunehmender Höhe verschwinden die Birken und Tannen und ein karges, weites Hochgebirge verschafft sich Platz.

Riesige Herden von Schafen und Pferden sehen von weitem wie Ameisen aus. Der Fluss Naryn gibt die Richtung vor und sorgt für wunderbare Bilder.

Gegen Abend erreiche ich eine Anhöhe mit Blick auf den Fluss Bolgart.und den gleichnamigen Weiler.

Dort gibt es sogar Zimmer und ich kann dort schlafen. Nächstentags geht es dann ausgeruht weiter.

Bei meiner Durchschnittsgeschwindigkeit im tiefen zweistelligen Bereich sind die 65 Kilometer bis zur Passhöhe nur unter Zeitdruck zu schaffen, zumal die Tage recht kurz sind. Zudem ist es dort zum Zelten wohl nicht geeignet. ‘Prendre son temps est le meilleur moyen de n’en pas perdre’, lautete schon das Motto des Reiseschriftstellers Nicolas Bouvier. Vor allem möchte ich nochmals eine Nacht im Hochgebirge verbringen und die Abgeschiedenheit in dieser Höhe geniessen.

Nicht so hingegen ein junger britischer Radler. Er möchte unbedingt noch über den Pass. Wir furten über einen Fluss und er zieht dann eilig weiter, während ich an der Sonne ein Brot mit Erdnussbutter, Käse und eine Birne verspeise. Das Wetter scheint trotz einiger Wolken zu halten.

An einem windgeschützten Plätzchen auf 3’400 Metern finde ich ein ebenes Stück Gras, das gerade so Platz für mein Zelt hat. Die Aussicht: ganz grosses Kino.

Die Nacht ist mit minus sieben Grad erträglich. Kurz nach Sonnenaufgang wärmt die Sonne bereits das Zelt und ich freue mich, noch die restlichen 500 Höhenmeter bis zum Tossor Pass auf 3’896 Metern zu radeln, die letzten Meter dann eher das Velo schiebend.

Dass nun Wolken aufziehen und es merklich kälter wird, kann mir egal sein. Ich habe den Pass erreicht, esse meine tiefgekühlte Banane und runter gehts. Bin zufrieden, dass ich es um diese Jahreszeit noch über einen so hohen Pass geschafft habe.

Sagenhafte 2’200 Höhenmeter mit nur sehr wenigen Pedalteltritten bis runter zum Yssik-Kul See. Eine Downhill Abfahrt, die seinesgleichen sucht. Und die äusserst zahlreichen und schreckhaften Yaks suchen jeweils panikartig das Weite, wenn ich heranrausche und mich mit Interjektionen lauthals bemerkbar mache.

In Tossor kann ich endlich mein Zelt trocknen und ein Guesthouse suchen.Die Etappe bis Karakol wird nicht zu den schönsten gehören. Eine Überführungsetappe sozusagen, in der es darum geht, die 100 Kilometer möglichst rasch runterzuspulen.

Sie beinhaltet zudem eine ‘Pantalonade’, wie es im französischen Jargon heisst. Durch das wechselhafte Wetter bedingt ziehe ich mein ganzes Sortiment an Kleidern an und aus. Unterwegs fährt mir eine Radlerin aus Litauen entgegen, ein kurzer Schwatz und schon geht es weiter.

Am Morgen erheische ich noch einige Blicke zum Yssykköl. Die Besonderheit des grössten Gebirgssees nach dem Titicacasees in Südamerika liegt darin, dass er trotz seiner Höhe von über 1’600 Metern und Temperaturen von minus 20 Grad im Winter nie zugefriert.

Es ist Erntezeit und überall sieht man Berge von Äpfeln, Birnen und Kartoffelsäcken am Strassenrand aufgereiht. Alles in allem schlage ich mich gut durch bis Karakol, trotz des doch starken Verkehrs und einiger nähesuchende Vehikel. Ich werde oft vom Asphalt abgedrängt und fahre am Schluss auf der Piste nebenan.

Gegen Abend zeigt sich dann doch kurz die Sonne und sorgt für das klassische Dilemma. Eigentlich möchte ich raschmöglichst mein Tagesziel erreichen. Doch ich kann nicht anders als anzuhalten und bei diesen wunderbaren Lichtstimmungen ein paar Aufnahmen zu machen.  Vorzugsweise mit Ladas oder einem alten Gaz-Truck drauf. Es wirkt pittoresker.

Ein glücklicher Zufall ist, das ich am Samstag Abend in Karakol ankomme und sonntags jeweils der berühmte Viehmarkt stattfindet. Einziger Wermutstropfen: er fängt schon in der Nacht an. Also rasch einchecken, duschen, essen und schlafen gehen.

Von ganz Kirgistan reisen die Tiertransporte hier bereits am Samstag Abend an, um sich einen guten Platz im Bazaar-Gelände zu ergattern.

Ich laufe um 5 Uhr los, es ist still, dunkel, null Verkehr.  An einer Kreuzung biegt ein Lada ab. Zu dieser Zeit fährt man noch nicht zum Bäcker sondern einzig zum Bazaar. Ich kann mitfahren und erspare mir 30 Minuten Gehzeit.

Es herrscht ein regelrechtes Gedränge. Autos und Kleinlaster verrichten Millimeterarbeit, um durchzukommen. Zunächst passiere ich die Fraktion der Fettschwanzschafe.

Es folgen die Pferde und danach die Rinder und Kühe. Bei den Pferden halte ich gebührenden Abstand. Bei den Kühen ist dies nicht möglich. Ich komme mir vor wie an einem Openair.

Bei Sonnenaufgang herrscht so etwas wie Festivalstimmung. Als hätte man die Nacht durchgezecht. Viele sind vom weiten Weg und vom Ausharren müde. Bei Tageslicht und im Gedränge ist man dann plötzlich wieder hellwach, trägt aber eine gewisse Müdigkeit mit sich.

Ich bahne mir den Weg durch die Menschenmenge und das Vieh. Wenn man Pech hat, entleert dieses gerade seinen Darm.

Es ist ein gesellschaftliches Erlebnis, eine jahrhundertealte Tradition. Die Tiere werden penibel genau begutachtet. Es wird verhandelt, gescherzt, Geldscheine werden gezählt. Man läuft umher schaut sich die Tiere an. Eine prächtige Kuh kostet dabei rund ‘doksan besch’, diese Zahl höre ich am häufigsten. Will heissen 85’000 Som, also etwa rund 850 Franken. 

Zwischendurch suche ich die Esstände auf, trinke einen Kaffee und Mantis. Dort sind ein paar Gäste über dem Tisch eingeschlafen. Das Ereignis dauert bis etwa 10 Uhr, dann fängt sich die Masse an zu lichten und die ersten Mercedes-Transporter mit den neu erstandenen Tieren starten ihren Motor und produzieren eine Wolke von Abgasen. Nicht allen Tieren passt das.

Waren die Tiere während der Schau ruhig, herrscht nun plötzlich Aufregung. Es wird um die Wette gewiehert, geblökt und gemuht.  Gewissen Pferden merkt man, dass ihnen auf dem neuen Transporter unwohl ist.

Karakol hat rund 69’000 Einwohner und macht einen aufgeräumten Eindruck. Die Strassen sind grosszügig angelegt, grösstenteils neu asphaltiert, ebenso die Gehsteige. Die Stadt ist Ausgangspunkt für Trekkingtouren in die umliegenden Berge. Möglicherweise stammt der Wohlstand von der nicht allzu weit liegenden Goldmine Kumtor.

Karakol nennt auch auch ein kleines Ortsmuseum ihr Eigen, auf das ich mich besonders freue. Es beherbergt nämlich eine Dauerausstellung mit Original-Fotografien der Genferin und Reiseschriftstellerin Ella Maillart, die 1932 Zentralasien bereiste. Und damit schliesst sich sozusagen der Kreis zu Lorenz Saladin. 1939 fuhr Maillart zusammen mit Annemarie Schwarzenbach in einem Ford von Genf nach Kabul. Kirgistan und die Schweiz.  Die Entwicklungsorganisation Helvetas ist hier schon seit Jahrzehnten präsent. Neuerdings fördert die Schweiz hier den Wintertourismus.

Die Dauerausstellung ist von ausgezeichneter Qualität. Ich bin begeistert und kann mich an diesen alten Fotos kaum sattsehen. Die Museumsdirektorin vertraut mit dann an, dass sie im Besitz der alten Kamera von Maillart sei und ich darf diese dann auch in die Hand nehmen.

Die zwei Ruhetage in Karakol gehen rasch vorbei. Ich komme kaum zur Ruhe, mache meine ganze Wäsche, reinige mein Rad, erstelle ein Backup meiner Bilder, kaufe Esswaren ein, plane die Weiterfahrt.

Ach ja. Und man kann nicht Karakol verlassen, ohne Ashlan Fu probiert zu haben. Eine kalte würzig-scharfe Suppe mit Glasnudeln, Laghman, Gemüse und Fleisch. Sie ist derart populär, dass es sogar eine ‘Ashlan-Fu alley’ hier gibt. Das Gericht wurde von Dunganen, chinesischen Muslimen, Ende des vorletzten Jahrhunderts importiert, als sie in Karakol Zuflucht fanden.


Highland, Highlaaaaand !

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Assalam Eleykum ! Mein Radlerkumpane Sekiji und ich sind in Khartoum, der Hauptstadt von Sudan angekommen. Temperaturen von über 40 Grad gepaart mit Wind und staubtrockener Luft fühlen sich an wie ein Heissluftgebläse.  Doch erstmals 1‘600 Kilometer zurück nach Addis Ababa, um über das erste von zwei faszinierenden und sehr unterschiedlichen Ländern Bericht zu erstatten.

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In Addis Ababa treffe ich endlich den japanischen Radler Sekiji an, der seit über zwei Jahren eine ähnliche Route wie ich in Afrika bereist hat. Ganz zufällig hatten wir in Dakar, Arusha und Nairobi diesselben Gastgeber. Von Nairobi aus hat er die konsequente Variante gewählt, ich die konservative. Er ist die ganze Strecke gefahren, ich bin zweimal in einen Bus gesprungen. Dafür hat er sein äthiopisches Visum um fast eine Woche überzogen. Doch er hat Glück, wird nicht des Landes verwiesen, nicht gebüsst und erhält sogar eine Visumsverlängerung. Er fährt mir um drei Tage voraus.

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Nun, viele Radler reisen so schnell wie möglich durch Äthiopien, mögen die Bevölkerung nicht. Das mag vielleicht auch daran liegen, dass die meisten von Norden nach Süden, von Kairo nach Kapstadt reisen und der sudanesischen Gastfreundlichkeit und Warmherzigkeit wohl niemand auf dem Kontinent das Wasser reichen kann. Die Attribute von anderen Radlern lauten von unfreundlich, lästig und aufdringlich bis hin zu Kraftausdrücken, die ich hier lieber verschweige.

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Die Route von Addis Ababa nach Bahir Dar und an die Grenze zum Sudan geniesse ich allerdings, trotz ein oder zwei Steinen, die mir Kinder täglich nachwerfen, sehr und bin positiv überrascht. Die Vorurteile kann ich auf dieser Strecke nicht teilen. Im Süden und auf der historischen Strecke im Norden sieht es möglicherweise anders aus, insbesondere wenn es um Übernachtung und Verpflegung geht, wird man als ferenji oft übers Ohr gehauen. Aber die ländliche Bevölkerung, der ich begegne, ist freundlich, lässt sich problemlos abfotografieren, grüsst freundlich zurück, verneigt sich oft. Ich verweile häufig zu Schwätzchen­, schaue den Leuten bei der Arbeit zu.

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Einem eher für dieses Land seltenen Broterwerb gehen ausgangs Addis zwei Rennradfahrern auf edlen Karbonrädern nach. Einer davon ist Tsgabu Gebremaryam, Profifahrer beim südafrikanischen Team MTN Qhubeka. Er wagt sich auf mein Rad und kann nur noch den Kopf schütteln, wie es möglich ist, ein 60 Kilogramm schweres Rad fortzubewegen. Zahlreiche Menschen sind am Strassenrand per pedes  unterwegs, mit Säcken von Getreide, Mais oder Holz beladen. Äthiopien ist das einzige Land, in dem ich, natürlich wiederum nur Frauen oder Mädchen sehe, die das Wasser nicht in gelben Plastikkanistern sondern in schweren Tonkrügen tragen. Und dabei noch lächeln und unverschämt gut aussehen.

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Der Transport findet oft dank Eseln und Eselskarren, aus Fahrzeugachsen improvisiert, statt. Ohne in Ironie zu verfallen: ich weiss nicht, welches Land weltweit die grösste Dichte an Eseln hat, aber Äthiopien hat sicherlich die Nase vorne.

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Den Leuten wird nachgesagt, dass sie stolz seien. Stolz auf ihre Kultur, auf die amharische Sprache, auf ihre äthiopisch-orthodoxe Religion. Ihr Land bezeichnen die Abessinier gerne als die Wiege der Menschheit. Das älteste menschliche Skelett, Lucy, ist hier gefunden worden. Äthiopien war zwar kurzzeitig durch das faschistische Italien besetzt worden, ist aber das einzige Land auf dem schwarzen Kontinent, das nie unter kolonialer Herrschaft war.

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Der Einfluss der Italiener ist noch heute spürbar.  So gibt es überall Pasta und Spaghetti zu essen. Spaghetti mit Gemüse, mit Tomatensauce, mit Hackfleisch. Und die Äthiopier haben, was weltweit einzigartig ist, gelernt, die Pasta al dente zu kochen. Es herrscht gerade eine 55-tägige Fastenzeit, in der kein Fleisch gegessen wird. Mittwochs und Freitags ist ohnehin immer Fastenzeit. Das orthodoxe Fastenregime ist komplex. Aber wenn einmal Fleischzeit herrscht, hauen die Abessinier gerne rein. Am liebsten rohes Rindsfleisch am frühen Morgen. Ansonsten ist natürlich die Enjira allgegenwärtig. Ein grosser Fladen schwammiger Konsistenz aus dem Getreide Teff, auf dem Gemüse oder Fleischeintöpfe hergerichtet werden. Gegessen wird das Gericht mit der Hand.

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Der Reisende, der „ferenji“, wird oft von zahlreichen Schaulustigen umzingelt. Viele Kinder schreien mir „You, You“ oder „money, money“ nach, oftmals auch „Highland, Highland“. Gemeint sind leere Wasser-Plastikflaschen, bezeichnet nach der bekanntesten Marke Highland. Diese Kinderscharen können manchmal lästig sein, aber nur selten greift ein Lausbube zu einem Stein und wirft ihn nach. Auch das laute “You, You” ist nicht die angenehmste Begrüssungsform und so drehe ich einfach den Spiess um und schreie wie ein Bekloppter die Leute mit “you, you” an, bevor sie den Mund aufmachen können. Es wirkt, es kommt oft ein Lächeln zurück.

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Äthiopien ist das Ursprungsland des Kaffee. Und die Kaffeekultur ist nicht nur afrika- sondern weltweit einzigartig. Abgesehen von Italien und Spanien kann ganz Europa zusammenpacken inklusive der sterilen, gestylten Astronauten-Kapselkultur, das Äthiopien nicht ansatzweise das gebrühte Wässerchen reichen kann. Der Kaffe wird in einer Kanne aus dunklem Ton gereicht, oft auf einem mit Gras bedeckten Tablett, Weihrauch wird auf einem Tongefäss gebrannt. Wenn man reichlich Zeit mitnimmt, kann man zusehen, wie die Bohnen geröstet werden, anschliessend von Hand in einem Mörser gemahlen werden. Ein paar Mal muss ich mir die Augen reiben. Oftmals entdecke ich in kleinen Ortschaften Pavoni und Cimbali Kaffeemaschinen. Und wenn wir schon bei Flüssigkeiten sind. Für Afrika einzigartig ist das Wasser der Marke Ambo: gekühltes Sprudelwasser in Halblitern-Flaschen gibt es praktisch überall. Herrlich erfrischend !

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Neben Lesotho ist Äthiopien das höchstgelegene Land auf dem Kontinent. Die Hälfte des Landes liegt auf über 1‘200 M., 25 % auf über 1‘800 M.ü.M. Das Klima im Hochland von Abessinien wird von Radfahrern geschätzt, tagsüber warm, nachts kühl. Angenehm zum Ausruhen. Es sei denn, dass ein Priester um drei oder vier Uhr morgens anfängt, seine Gebetslieder stundenlang herunterzuleiern. Natürlich über Lautsprecher. Meistens bewege ich mich zwischen 2‘000 und 3‘000 Metern. Ein gutes Höhentraining. Unterbrochen wird dieses aber schon bald durch die Schlucht des Blauen Nils. Ein Alpenpass im umgekehrten Sinne. Es geht rund 1‘300 Höhenmeter runter zum Fluss. Was danach folgt, ist nicht schwer zu erraten.

IMG_7528 (1024x683) In Afrika wird einem vor allem eines gelehrt: Geduld. Am Fusse der Steigung trinke ich erstmals zwei Kaffee, warte bis einer dieser schweren Trucks im Schrittempo daherschleicht und hänge mich hinten an, um mich ein gutes Stück ziehen zu lassen. Um mir nicht das Schultergelenk auszurenken, muss ich zwar weiterhin in die Pedale treten, aber es ist einiges angenehmer so.

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Das Fladenbrot Enjira wird aus dem sehr feinkörnigen und glutenfreien Getreide Teff hergestellt, dem wichtigsten Getreide in Äthiopien. Überall sind riesige Heuhaufen zu sehen. Das Teff wird noch ganz urtümlich mit einer Handvoll Ochsen gedrescht, die im Kreise laufen. Das Land ist grösstenteils gerodet. Viele Eukalyptusbaum-Pflanzungen sind an die Stelle der ursprünglichen Wälder getreten. Rinder, Ziegen, Schafe und Esel sorgen dafür, dass kein Grashalm mehr als zwei Finger breit wachsen kann. Die Felder werden oftmals mit Hilfe von Ochsen und einem einfachen Pflug bearbeitet.

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Hotels finden sich glücklicherweise in jeder kleineren Ortschaft. Meistens ab 30 bis 50 Birr, rund 1 bis 2 Euro. Unglaublich billig. Und ohne White Skin-Tax wie im Süden. Für 4 bis 6 Euro gibt es schon ganz luxuriöse „self-contained rooms“ mit heissem Wasser. Der Blaue Nil führt in Bahir Dar in den See Tana. Ich treffe hier wieder Sekiji an. Wir entscheiden, ab hier zusammen in den Sudan zu reisen. Ich gönne mir in dieser palmengesäumten, angenehm sauberen Stadt, in der vor allem die vielen Fruchtsaft-Stände locken, einige Ruhetage. Ich besuche  ein Projekt von Helvetas, eine Hängebrücke gegenüber des Wasserfalles des Blauen Niles.

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Die Anreise in einem öffentlichen, vollgestopften Bus mit nicht gerade wohlriechenden Hirten, die sich die Zähne an Zuckerrohrstangen wundkauen, ist ein Erlebnis für sich.  Die Hängebrücke ist 81 Meter lang, erspart der Bevölkerung einen Umweg von eineinhalb bis zwei Stunden. Sie ist in Zusammenarbeit mit nepalesischen Ingenieuren gebaut worden. An dieser Stelle ein grosses Dankeschön an alle, die gespendet haben ! Und da ich noch eine Weile unterwegs sein werde, kann weiterhin gerne gespendet werden.

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In Bahir Dar unternehme ich einen Ausflug zum Lake Tana, besuche ich ein paar Klöster aus dem 17. Jahrhundert, lasse mich in die Vergangenheit zurückversetzen., bewundere die vielen Heiligenbilder und Ikonen. Am besten wird mir der heilige Georg hoch auf dem Ross in Erinnerung bleiben. St. Georg ist die berühmteste Biermarke in Äthiopien.

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Vom Lake Tana führt nun der Blaue Nil in 5223 Kilometern Richtung Norden nach Khartoum und bis ans Mittelmeer. Sekiji und ich starten gemeinsam Richtung Sudan. Wir sind gespannt auf dieses riesige Land. Vor allem der Nordwind und die brütende Hitze bereiten uns Kopfweh.  Berichte von entgegenkommenden Velofahrern, die dank des Rückenwindes bis zu 200 Kilometer an einem Tag schaffen, sind nicht ermutigend. Diesmal werden sich die Vorurteile bestätigen. Sudan hat wohl die gastfreundlichsten Menschen auf dem ganzen Kontinent. Aber davon erzähle ich das nächste Mal. Bis bald !20130320-d129 (800x531)


Vorhang auf für die Tour du Faso !

Endlich Zeit und Raum für eine erneute Berichterstattung, diesmal aus Burkina Faso und Benin, in denen ich meine persönliche burkinisch-beninische Rundfahrt  absolviert habe. Und an der ich mich während den letzten Wochen ein klein bisschen wie ein Tour-Star vorgekommen bin.

Burkina Faso. Bis 1984, als Thomas Sankara das Land in Burkina Faso – das Land der Aufrichtigen – taufen liess, hiess das Land Obervolta. Zwar eines der ärmsten Länder der Welt – ein Binnenland praktisch ohne Rohstoffe – dafür weist es einen unglaublichen Reichtum an Sprachen auf. Über 60 einheimische Sprachen werden in diesem Land gesprochen; praktisch alle paar Tage wechsle ich Sprachgebiet. Teilweise werden in benachbarten Dörfern, die einen Steinwurf entfernt sind, ganz unterschiedliche Sprachen gesprochen. Im Unterschied dazu herrscht in der Schweiz geradezu eine Sprachenarmut.

Das flache Land – zumeist Savannenlandschaft – weist im ersten Augenblick aus Sicht des Reisenden nicht allzu viele Sehenswürdigkeiten auf. Und dennoch ist es bei Touristen sehr beliebt: die Leute sind gastfreundlich, warmherzig. Trotz Armut sprüht das Land einen gewissen Optimismus aus und ist stolz auf sein Filmfestival FESPACO (Festival Panafricain du Cinéma). Wohl Afrikas wichtigster Filmevent, von internationalem Rang. Kein Wunder haben die Burkiner in Sachen Film in Westafrika die Nase vorne. Und worauf sie noch stolzer sind: auf die Tour du Faso, die grösste Radsportveranstaltung in Afrika. Seit über 25 Jahren wird sie mittlerweile abgehalten, für afrikanische Verhältnisse erstaunlich gut organisiert. Der Staat lässt sich diese Traditionsveranstaltung mehr als eine halbe Million Euro kosten. Das Velo ist sowohl im Volk wie auch als Sport gut verankert. Im Vergleich zu anderen Ländern ist die Dichte an Fahrrädern einiges grösser. Nicht zuletzt, weil ein Velo einiges erschwinglicher ist als ein Auto.

In Burkina Faso fahre ich zunächst im Südwesten durch eine Tafellandschaft aus Sandstein. Malerische Pisten, umzäunt von langgezogenen Baumalleen, wohl noch unter den Franzosen gepflanzt. In Banfora komme ich bei Mark und Caroline, einem englisch-burkinischem Paar, unter. Der Kontakt ist mir durch Missionare im Senegal vermittelt worden. Da Telefonieren in Afrika zwar billig ist – in jedem Land kaufe ich mir eine SIM-Karte – das Roaming aber selten funktioniert, kann ich Mark  und Caroline erst in Burkina Faso kontaktieren. Nichtsdestotrotz empfangen sie mich abends, einige Stunden später, sehr herzlich, mit offenen Armen, bereiten mir köstliche Spaghetti an Bolognese-Sauce zu. Mark weiss, was Radler mögen. Er selber hat vor über 20 Jahren auch Velotouren unternommen. Unter anderem auch in der Schweiz. Der Sustenpass ist ihm dabei in guter Erinnerung geblieben, musste er doch erschöpft auf der Passhöhe zelten. Jetzt lernt er die Sprache des Volkes der Peul, auch Fulbe genannt – Rinderzüchter und erkennbar an den Tätowierungen im Gesicht – um ihnen hier die Bibel näherbringen zu können. Glückerfüllt verlasse ich Mark und Caroline am nächsten Morgen. Anité !

In Bobo-Dioulasso gönne ich mir dann vier Ruhetage. Bobo ist mit 350‘000 Einwohnern Burkina’s zweitgrösste Stadt. Das Leben hier spielt sich gemächlicher und relaxter ab als in der Hauptstadt  Ouagadougou, im Volksmund Ouga genannt. Dank guter Gesellschaft in der zentral gelegenen Auberge „Le Cocotier“ – Achim, ein deutscher globetrottender Beamter und Jeremie, ein in Toulouse lebender Engländer und Buchhändler, geniesse ich die Zeit, schaue mir die alte Moschee und das alte Handwerkerviertel an. Und kann endlich wieder einmal ein Konzert, wiederum im Centre Culturel Français, geniessen. Diese französischen Kulturzentren in allen grossen Städten der frankophonen westafrikanischen Länder sind jeweils angenehme Rückzugsorte, um in einer lauschigen Atmosphäre ein kühles Bier – sei es eine Gazelle, ein Brakina oder eine  Béninoise – zu geniessen, Zeitungen zu lesen oder eben Konzerte, Theaterstücke oder Filme anzuhören bzw. anzuschauen.

Wieder unterwegs Richtung Ougadougou. Ich nehme einen wenig befahrenen Umweg südlich der Hauptachse, schlafe wieder in Dörfern bei den Chefs de village. Einmal in einem Maquis, für 1‘000 CFA bekomme ich ein betoniertes Zimmer. Keine zwei Minuten halte ich es dort drin aus, nicht wegen den Kakerlaken, sondern wegen der saunamässigen Hitze.  Wegen eines Regenschauers vor einigen Tagen ist die Luftfeuchtigkeit stark gestiegen. Ich bekomme einen Vorgeschmack auf das äquatoriale Klima. Das Zelt wird also draussen aufgestellt, dennoch fange ich beim Kochen wieder an zu Schwitzen.

Leider reicht die Zeit nicht, um in den Nazinga Game Park im Süden an der Grenze zu Ghana zu fahren, wo über 800 Elefanten leben und es praktisch ausgeschlossen sein soll, nicht auf einen solchen Riesen zu stossen. Hier darf man ganz offiziell die 35 Kilometer bis zum Camp mit dem Velo befahren. Macht nichts, dafür gibt es zahlreiche Begegnungen mit Velofahrerinnen. Und dem Radler Jeremie, 36 Jahre alt, den ich kurz nach Léo treffe. Das kleine klapprige Damenrad will nicht recht zu seiner hünenhaften Statur passen.  Jeden Tag fährt der Religionslehrer die 20 Kilometer von Yallé nach Léo, und zurück. Für 1000 CFA, umgerechnet zwei Franken. Nicht wie manche andere sieht er in mir zuerst den weissen Reichen, sondern „quelqu’un qui souffre beaucoup sur le vélo“. Wir fahren die letzten 15 Kilometer zu seinem Dorf, wo gerade eine vorösterliche Prozession abgehalten wird. Wir gesellen uns dazu, er hält anschliessend das Kreuz und führt es in die einfache Kirche aus Lehm. Die Dorfgemeinde ist sehr geehrt und erfreut über den spontanen Besuch. Noch nie hat ein Weisser an dieser Prozession teilgenommen. Die Kirchvertreter und ich üben uns anschliessend in der „causerie“ und plaudern über die Unterschiede zwischen Europa und Afrika. Ich stelle dann mein Zelt auf vor dem Haus von Jeremie, seiner Ehefrau Helena und den Kindern Isidor, Wilfried, Pascaline und Raoul. Wir melden dies pflichtbewusst beim „conseiller de la commune“  an. Dieser sitzt auf einer Bank, in sich zusammengesunken, breitbeinig, spielt mit einer Steinschleuder und ist nicht fähig, aufzustehen und mir anständig die Hand zu reichen. Und macht keinen Hehl aus seiner Geringschätzung für Leute, die sich noch nicht einmal ein Moped leisten können oder “qui s’emmèrdent sur le vélo“. Am nächsten Morgen schenkt mir Jeremie ein kleines fluoreszierendes Plastik-Kreuz, Made in Italy, mehr habe er nicht, er schenke es mir aber von Herzen, meint er.

In Ougadougou werde ich von Pierluigi, Direktor von Helvetas Burkina Faso, fürstlich bzw. wie ein Tourstar empfangen. Er organisiert mir ein Zimmer in einem von einer italienischen Mamma, Giuliana, und ihrem Sohn Andrea, geführten Bed+Breakfast. Und ein Treffen mit den „étalons“, den Fahrern der burkinischen Rad-Mannschaft. Diese sind soeben siegreich aus der Tour de CEDEAO zurückgekehrt, die von Lagos über Cotonou und Lomé nach Abidjan führt. Da die Burkiner offenbar besser in die Pedale treten als einen Ball treten können,  an der Coupe d’Afrique des Nations alle Spiele verloren haben und früh ausgeschieden sind, hat der Sportminister das unverbrauchte Budget umverteilt und der Radmannschaft neue Karbonräder gespendet.

Pierluigi nimmt die Gelegenheit beim Schopf und nutzt meine Anwesenheit, um eine Kurz-Reportage über ein Projekt im Osten Burkina’s drehen zu lassen. Südlich von Fada N’Gourma erwartet mich dann schon die Gemeinde Nagre. Am nächsten Morgen in der Früh erscheint dann das Kamerateam und das Helvetas-Team. Die Dreharbeiten, um die erfolgreich realisierten Projekte „Pistes rurales“ zu veranschaulichen, können beginnen. Diese „pistes rurales“, ländliche Pisten, binden die weit auseinander liegenden Gemeinden durch eine erosionsresistente Piste, die mit Steinen und Laterit aus der Umgebung gebaut wurden. Anstatt eines Bulldozer wird hier beim Bau Hand angelegt. Die lokale Bevölkerung ist mitbeteiligt, verdient und lernt etwas dazu. Die Gemeinden lernen sich untereinander besser kennen, die Zufahrtswege zum regionalen Markt wird stark verbessert. Mit dem verdienten Geld kann man sich zum Beispiel ein Velo kaufen. Das Rad schliesst sich. Die ganze Wirtschaft wird etwas angekurbelt. Zudem ist beim Bau der Projekte kein einziger Baum gefällt worden. Die Piste schlängelt sich um die Savannenlandschaft und die stämmigen Baobabs. Insgesamt also ein vorbildliches Projekt !

 

Der Harmattan-Wind bläst übrigens die ganze Zeit, von Nordosten her kommend, Staub und Sand. Einen blauen Himmel wie bei uns habe ich schon seit Monaten nicht mehr gesehen. Es fühlt sich an, als hielte mir jemand stets einen heissen Fön vor die Nase und ein anderer von hinten mit einer Schnur zöge. Die Durchschnittsgeschwindigkeiten sind nicht sonderlich hoch. Eine Hassliebe dieser Harmattan. Immerhin lässt das Lüftchen den Schweiss verdunsten. Während zweier Stunden muss ich mich aber jeweils während der Mittagshitze im Schatten flüchten, die Temperaturen sind um die 40 Grad.

Das Leben versüssen mir dafür die Früchte: Papayas, Orangen, Avocados und vor allem Mangos. Einfach göttlich. Weniger göttlich ist es allerdings, diese Frucht zu verspeisen. „There is no sexy way to eat Mangos“, meint ein Peace Corps Volunteer.  Um klebrige Hände kommt man nicht darum herum.  Die Leute sind insbesondere in Burkina sehr freundlich, winken mir oft zu, ich werde freundlich begrüsst und in Dörfern aufgenommen. Dennoch wecken afrikanische Sonderheiten auch Ärger, Kopfschütteln und Unverständnis in mir. Zum Beispiel etwa das chronisch fehlende Wechselgeld. „Y a pas de monnaie“  heisst es fast reflexartig. Man muss sich nicht wundern, wenn man auf  wird.  Und man muss sich nicht wundern, wenn man eine 500 CFA Cola mit einer 2‘000 CFA-Note bezahlt, nur 1‘000 CFA zurückbekommt und die Bedienung im „Maquis“  die Zauberworte von sich gibt, danach absitzt und ungeniert anfängt zu essen.

Verpflegungsstände gibt es an Strassenkreuzungen, an den „péages“, Stationen für Mautgebühren. In Burkina sind diese zwar leer, den fliegenden Händlerinnen bieten sie aber eine Verkaufsmöglichkeit: meist gekühltes Wasser in den Sachets, wie sie hier in Westafrika überall zu kaufen gibt. Das Angebot ist jeweils sehr lokal gefärbt, von Ort zu Ort verschieden: mal gibt es – herrlich – getrocknete Mangos und Cashewnüsse, dann nur noch getrocknetes Hammelfleisch, später nur Zitronen und selten Buschratte, plötzlich nur noch „gâteaus“. Dann Mangos zum Abwinken. Man nimmt – nicht immer – was man bekommt.

Den Frauen in Westafrika –und wohl in ganz Afrika wird am 8. März ein grosser Kranz, in Burkina ein Zahnkranz, gewunden. Beziehungsweise man nutzt die Gelegenheit, um die Garderobe aufzufrischen. Denn ein guter Teil der Bevölkerung trägt Kleider aus dem eigens für diesen Anlass hergestellten Tuch mit entsprechendem Logo, der überall mit Reden und Ständen gefeiert wird. Die Frauen haben hier eine schwere Last zu tragen: Kinder hinten eingepackt in Tücher und auf dem Kopf balancieren sie entweder 20 bis 30 Liter Wasser, Holz oder Töpfe oder Küchenmaterial. Und im Schatten liegende, vor sich hindösende Männer. Sicher ein etwas klischeehaftes Bild, das ich hier abliefere, aber halt aus dem Blickwinkel des Velofahrers oft zu beobachten.

Immerhin scheint es mir, ist die Emanzipation in Burkina ein klein wenig weiter fortgeschritten als in den Nachbarländern. Denn nirgendswo sieht man so viele Frauen auf Velos, zwar immer noch beladen mitsamt Nachwuchs im Rücken. Aber sicher weniger anstrengend als kilometerweit mit riesigen Schalen auf dem Kopf herumbalancierend herumzulaufen. In Benin hingegen sind teils die Brunnen mit zwei Meter hohen Wasserhähnen versehen, die wie Duschhähne aussehen. Clever: damit die Frauen, ohne die Schale vom Kopf zu nehmen, diese mit Wasser befüllen können !

Nur zwei Tagesetappen von Ngare entfernt stehen dann in der Region Atakora, nun bereits im Norden von Benin, die nächsten Projektbesuche an. Während drei Tagen absolvieren die Helvetas-Crew, Mitarbeiter der lokalen Nichtregierungsorganisation ERAD und ich etliche Besuche von Projekten, schütteln zahlreichen Maires, Chefs de Villages und Schuldirektoren die Hand, bedanken und erklären uns mit Hilfe von Megafonen, tauchen in die Menge von im Chor singenden Schulkindern. Jeweils begleitet von zwei Fernsehteams, lokalen Radios und einem Fotografen. Der Empfang, der unserer Delegation bereitet wird, ist überwältigend, berührend. Ein paar Mal kriege ich Gänsehaut. Musikanten, Volkstänze, Schulbands, Hunderte von Kinder, die „Monsieur Morissìo“ im Chor begrüssen .

Und natürlich kann ich dann auch endlich am 19. März – im Namen aller Spenderinnen und Spender – dem Maire der Gemeinde Matéri den Check im Betrage von CHF 7‘422.— überreichen. Mindestens CHF 6‘000.— wären nötig gewesen, um den baufälligen, mit Abfall gefüllten Wasserschacht in einen Brunnen mit Fusspumpe zu renovieren. Herzlichen Dank an alle Spender und die ganze Helvetas-Belegschaft, die mich in Benin freundlich empfangen hat ! Und weil die Projektbesuche aufschlussreich waren, werde ich im Menü “Helvetas” noch separat darüber berichten.

Weiter geht es. Richtung Süden. In den nächsten Tagen darf ich dann Bekanntschaft mit dem subäquatorialen Klima machen. Lange verdrängt, aber unvermeidlich bei einer Afrikadurchquerung. Innert ein, zwei Tagen steigt die Luftfeuchtigkeit drastisch an. Von der Savannenlandschaft geht es in eine grüne, dichtbewachsene Vegetation. Vom heissen Fön in den Dampfkochtopf. Ich leide in den ersten Tagen und werde mich noch an das feucht-heisse Klima gewöhnen müssen. Ich erinnere mich an die Worte von Ben, dem australischen Radler, der mir in der Westsahara begegnet ist: „Everything is just sticky“. Alles klebt, die Kleider sind feucht . Jegliche Tätigkeit – ausser unter einem Ventilator zu liegen  – öffnet die Schweissporen. Der von Süden wehende Wind zwingt mich zu meinem Ärger noch stärker in die Pedale zu treten. Mit der Folge, dass ich dann vollends durchnässt bin und bei der nächsten Gelegenheit fast zwei Liter kühles Wasser auf einmal runterschlucke.


In Abomey schaue ich mir die UNESCO-gechützten Paläste des Dan-Homeys Königreiches an. Endlich in Cotonou angekommen. 30 Kilometer vorher in Porto Novo, der Hauptstadt von Benin. Grosstadtverkehr. Ein Teppich von Zem – Zemidjans. Taxi-Töffahrer mit gelben Hemden als Ersatz für öffentlichen Transport. Ich treffe mich Daniel, Direktor von Helvetas Benin, er lädt mich zu sich nach Hause zu einem feinen Essen ein. Ich habe ihn kurz im Norden in Natitingou getroffen. Abends fahren wir zusammen zum Flughafen. Er und seine Ehefrau steigen in den Flieger, mit dem meine Freundin Mélanie – zusammen mit einem 20 Kilogramm schweren Fress- und Ersatzteilekoffer – mit etwas Verzögerung aus Paris ankommt. Frohe Ostern !

Die richtige Tour du Faso führt über 10 Etappen und 1‘298 Kilometer und endet am letzten Oktobesonntag auf der Avenue de l’Indépendence in Ougadougou. 2011 war ein deutsches Team, begleitet von einer TV-Produktionsfirma, dabei. Diesen Sommer soll im Kino ein Dokumentarfilm erscheinen. Dann heisst es: Vorhang auf !


Es geht weiter…

Ich werde auf dieser Homepage über meine neue Reise nach Afrika, die Vorbereitungen dazu und das Spendenprojekt mit HELVETAS berichten.

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Einige Eindrücke aus der Afro-Pfingsten in Winterthur: