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Safari Njema

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In Mosambik leide ich noch unter der Hitze. Doch sobald ich tansanischen Boden betrete, hält die Regenzeit Einzug. Die Strasse bis Tansania ist nach Pemba zunächst noch asphaltiert, verwandelt sich danach aber zu einer sandigen Piste. Doch dank der grossen Erdöl- und Erdgasvorkommen sind  Arbeiten im Gange, um die Strasse von Palma nach Pemba zu asphaltieren. Eigennutz der Ölmultis dürfte hier eine Rolle spielen.  Die Dörfer am Wegesrand haben immer noch keinen Strom und es ist fraglich, inwiefern die Menschen von diesem Boom profitieren werden.

 

Als ich in Palma ankomme, bin ich sauer. Wohl kein guter Tag. Der Versuch, mit Einheimischen Windschatten zu fahren, scheitert. Wie immer. Jedesmal  geben sie mächtig Gas, um es dem Weissen mit seinem überlegenen Material zu zeigen. Und jedesmal biegen sie nach wenigen Minuten in eine Nebenpiste ab, die Kette springt raus oder ein anderer sonstiger Defekt legt sie lahm. Dieses mal aber fahren mir zwei Typen lange Zeit davon, lassen mich partout nicht ran.

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In Palma habe ich das Gefühl, dass mich alle wie eine Weihnachtsgans ausnehmen wollen. Ich bin es müde, um Lappalien feilschen zu müssen, lange zu diskutieren. Ein Kilo Zwiebeln kosten 50 Meticais. Und zwei kleine Zwiebeln ? 25 Meticais ! Sapperlot. Er solle mir bitte ein halbes Kilo Zwiebeln abwägen. Fein, das sind beinahe zehn Stück. Nein, ich will nicht ein halbes Kilo, nur zwei Zwiebeln. Wieviel kosten nochmals zwei Stück ? 25 Meticais !

Aber Afrika wäre nicht Afrika, wenn nicht auf die Peitsche Zucker und Brot folgen. In Palma treffe ich zwei Motorradfahrer aus Südafrika, Bossie und sein Sohn Quinten. Nette Gesellschaft, ein unterhaltsamer Abend. Genau das, was ich brauche. Wir zelten zusammen vor einer Pension, plaudern, während mir eine portugiesische Dame aus Braga (praktisch einen Steinwurf von meiner galicischen Wurzel entfernt) die Calamari säubert, die ich dann später unter die Spaghetti mische.

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Unterhaltsam muss dann für beide Südafrikaner auch der Grenzübertritt nach Tansania gewesen sein. Es gibt keine Brücke, nur einen Fluss mit niedrigem Wasserstand, wo man mit einem einfachen Holzboot rübersetzen kann. Mit dem Velo kein Problem. Kostet mich 300 Meticais, umgerechnet 10 Euro. Aber mit zwei schweren Motorrädern ? Alles ist möglich in Afrika. Gegen eine Kleinigkeit von 160 US-Dollar. Eine ganze Fussballmannschaft hievt die schweren Räder in das Boot rein und läuft dann rüber. Dreieinhalb Stunden dauert das Spektakel, das ich leider verpasse, weil ich ja zunächst bis zur Grenze radeln muss. Am tansanischen Zoll aber hole ich die beiden dann ein.

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Karibu! Willkommen in Tansania. Übrigens eine Wortschöpfung aus Tanganjika und Sansibar. 1964 verband sich die ehemalige britische Kolonie Tanganjika mit Sansibar. Im Südosten leben noch vorwiegend die matriarchialisch strukturierten Makonde. Die Frauen tragen wie überall in Afrika bunte Röcke, häufig nun aber auch farbige Kopftücher. Ich entdecke die ersten Masai-Hirten am Wegesrand. Ab und zu sogar Frauen in einer Burka. Die Vollverschleierung wirkt hier im heissen, bunten Schwarzafrika, wo die Leute gerne lachen und scherzen, wie die Faust aufs Auge.

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Einmal in Tansania angekommen, lassen die Regenschauer nicht lange auf sich warten. Oftmals fahre ich mangels Unterstand einfach im Regen weiter, bin pflotschnass, bis die Sonne wieder rauskommt und den Boden dampfen lässt. Als ich von Lindi starte, öffnet der Himmel seine Pforten. Die schliessen sich aber nicht nach einer halben Stunde, wie sonst üblich. Den ganzen Tag regnet es Bindfäden. Immer wieder suche ich Unterschlupf unter Vordächern von einfachen Lehmhütten, komme nicht voran. Ringsherum bilden sich Bäche, Rinnsale, stehendes Wasser. Nach 30 Kilometern muss ich in Michinga bereits Halt machen. Dort gibt es zum Glück ein einziges Guesthouse. Zwar etwas schäbig, aber mit Strom und immer noch besser als in einer Pfütze das Zelt aufzustellen.

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Hier in Tansania muss ich übrigens nicht um Zimmerpreise feilschen. Zwar ist der Standard oft sehr einfach, meist ohne Ventilator. Wenn man Pech hat, läuft in einer Bude gegenüber die ganze Nacht laute Musik. Momente, in denen man sich nach einen Stromunterbruch sehnt. Doch die Preise sind unschlagbar: die billigsten Zimmer gibt es schon ab 4‘000 Schilling, rund CHF 2.50.  In der Regel finde ich für 5-10‘000 tansanische Schilling ein akzeptables Zimmer. In Dar es Salaam sieht es dann mit den Preisen freilich anders aus, dafür ist der Standard gehoben. Kein Vergleich zu den oftmals überteuerten Bruchbuden vielerorts in West- und Zentralafrika.

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Von wenigen Ausnahmen abgesehen, spricht im  Südosten von Tansania, niemand Englisch, das keine Amtsprache ist. Gemäss offizieller Sprachpolitik ist Englisch für die Universitäten, die  höheren Gerichte und den Bereich der  Technologie vorgesehen, verliert aber zusehends an Bedeutung im gesellschaftlichen Leben. Es herrscht Swahili vor, Nationalsprache von Tansania und Kenia, eine der am weitesten verbreiteten Sprachen in Afrika, gesprochen von rund 50 Millionen Menschen. Ich kann mich nicht davor drücken, mir möglichst rasch einen Grundwortschatz zuzulegen. Jeden Tag geht es dann schon viel besser. Begrüssungsfloskeln, Zählen, Einkaufen und  Verhandeln sind mittlerweile kein Problem mehr.

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Unterwegs halten mich nebst Regenschauer auch einige Platten auf. Eine willkommene Abwechslung und ein Schauspiel für die Dorfbewohner, dem „Mzungu“ zuzuschauen, wie er den Schlauch vom Rad demontiert. Es wird jeweils laut gelacht, wenn ich den Schlauch danach wieder aufpumpe und nicht nach afrikanischer Art in einen Kübel voll Wasser halte. Irgendein Dorftrottel beziehungsweise ein alkoholisierter Genosse sorgt dann garantiert für zusätzliches Amüsement der Dorfgemeinschaft, zieht seine Faxen, löchert mich mit Fragen, obschon ich ihn nicht verstehe. Über fahrradtechnische Probleme kann ich mich übrigens bis anhin nicht gross beklagen. Zweimal musste ich den Gepäckträger schweissen lassen.  20‘000 Kilometer fordern aber ihren Tribut. Das Tretlager fängt nun an zu lottern und muss ersetzt werden. Zum Glück erhalte ich hier in Tansania Besuch und Ersatzmaterial aus der Schweiz.

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Die Strasse von Mtwara kurz nach der Grenze zu Mosambik bis nach Dar es Salaam ist übrigens praktisch durchgehend asphaltiert. Nach der Michelin-Karte, keine vier Jahre alt, müsste es sich um eine während der Regenzeit unbefahrbare Erdpiste handeln. Entweder können die Kartenhersteller nicht mit dem Strassenbau in Afrika Schritt halten oder sie ruhen sich auf ihren Lorbeeren aus.

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Auf halbem Weg zwischen der Grenze zu Mosambik und Dar es Salaam gönne ich mir einen Ruhetag in Kilva Kivinje, unweit vom historisch bedeutenden Kilva Kisivani. Kivinje ist anfangs des 19. Jahrhunderts von omanischen Arabern gegründet worden, später wurde es zu einem Zentrum  für den regionalen Sklavenhandel und zu einem  deutschen Verwaltungsort. Ein Monument, mit Unrat verziert, zeugt noch von der Kolonialzeit. Die Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft hat es im Andenken an zweier ihrer Beamten, die „am 24. September 1988 in der Verteidigung ihres Hauses gegen den Aufruhr den Heldentod fanden“, errichtet.

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Der Ort strahlt einen morbiden Charme aus. Alte Häuser mit dicken moosbewachsenen Mauern sind am zerfallen, stehen kaum noch. Die Boma, ein grosses Handelshaus am kleinen Hafen, trotzt dem Zahn der Zeit, während sich viele Jugendliche mit Kiffen die Zeit vertreiben. Ich komme in einem alten deutschen Handelshaus unter mit einem wunderbaren Ausblick auf den kleinen Hafen. Am Nachmittag ist Flut, die Boote zu den umliegenden Inseln wie Songa Songa oder Mafia nehmen ihre Fahrt auf. Strassenhändler verkaufen leckere kleine frittierte Tintenfische. Der Unterschied zwischen Ebbe und Flut hier am indischen Ozean ist eindrücklich. Der Wasserpegel wechselt um mehrere Meter. Touristen sehe ich hier keine. Nationalparks, teure Lodges und der Kilimanjaro sind weit weg. Unbemerkt kann man sich hier als Weisser nicht bewegen. Die Leute sind aber freundlich, zuvorkommend, vor allem wenn man sich um ein paar Brocken Swahili bemüht.  Abends sitze ich mit Jugendlichen zusammen, rede stundenlang über die Unterschiede zwischen Europa und Afrika.

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Gewisse Vorurteile in Bezug auf Afrika halten sich ja hartnäckig. So soll das Essen nicht überragend sein. Zumindest in Bezug auf Früchte ist die vorgefasste Meinung aber Käse. Das Angebot ist zur Zeit einfach grossartig: die Mangosaison ist in vollem Gange. Die ganz grossen Exemplare gibt es für rund 20 bis 30 Rappen. Bananen, inklusive Frittierbananaen sind allgegenwärtig. Es gesellen sich Jack-Fruits , die ich hartnäckig verschmähe, zuckersüsse Ananas und zum Ausgleich herrlich leicht säuerliche Passionsfrüchte. Für das Bounty-Feeling sorgen Kokosnüsse, zum Essen oder zum Trinken. Nicht zu vergessen die Papayas und sogar Wassermelonen gibt es zur Erfrischung. Und wer es bissfest mag, schnappt sich eine Tüte von Cashew-Nüssen. Der Anblick eines Apfels in Dar es Salaam mutet dann schon sehr exotisch an.

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Auf das Händewaschen legen die Tansanier grossen Wert. Bei der kleinsten Garküche steht ein Kübel, oft sogar mit heissem Wasser, und Seife parat. Morgens gibt es überall leckere Chapatis, Pfannkuchen, gekochte Eier, frische heisse Milch, frittiertes Gebäck. Mittags Reis oder Ugali, ein Maisbrei, mit Bohneneintopf, Tomatensuppe. Auch wird zu meiner Freude überall gewürzter, leicht scharfer Tee getrunken. Bei einem heissen Tee lässt sich ein Regenschauer am besten absitzen. Wer es eilig hat, giesst den Tee nach und nach auf die Untertasse und trinkt ihn laut schlürfend. Diese Sitte habe ich bereits im Iran beobachtet; dort wird freilich ein Stück Zucker zwischen die Zähne geschoben, bevor der Tee getrunken wird.

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Keine Frage: die Ritter der Strasse sind für mich die Velofahrer, die über 100 Kilogramm schwere Säcke mit Holzkohle oder riesige Körbe voller Mangos transportieren. Beim geringsten Gefälle steigen sie ab und schieben ihr Eingang-Stahlross indischer oder chinesischer Herkunft von hinten. Der Lenker wird durch Gummibänder gerade gehalten. Die Schweissperlen laufen in diesem tropischen Klima nur so runter. Beim Anblick dieser Männer komme ich mir meiner Kettenschaltung und meinen Packtaschen wie auf einem Rennrad vor.

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Dar es Salaam ist erreicht ! Ich habe mir angewöhnt, wenn möglich weniger als 50 Kilometer vor einer Grosstadt zu übernachten, um nächstentags ausreichend Zeit zu haben, um ausgeruht in das Verkehrschaos einzutauchen und zur Mittagszeit bereits eine Unterkunft auf Nummer Sicher zu haben. Es bedeutet aber jedesmal Stress, die volle Aufmerksamkeit ist gefragt. Busfahrer nehmen hier keine Rücksicht. Aber es geht gut, ich finde rasch das Zentrum und eine relativ günstige Bleibe. In Dar es Salaam ist der indisch-arabische Einfluss und die Swahili-Kultur stark spürbar. Eine grosse Zahl von indischstaemmigen Menschen lebt hier. Die Stadt ist am Wachsen, viele moderne Hochhäuser werden errichtet, ein breites Angebot an Supermärkten, Banken. Sicher nicht die unangenehmste Stadt in Afrika. Das Velo lagere ich für ein paar Tage ein, Weihnachten in Zanzibar sind angesagt ! Ich wünsche allen besinnliche und zufriedene Festtage. Bis bald, euer Maurizio.

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Auf afrikanischem Boden

 

Mélanie kommt rechtzeitig am 6. Oktober in Malaga an. Das Velo ist am Flughafen schnell zusammengepackt, nach einer kurzen Fahrt suchen wir im Zentrum ein Hotel. Die Stadt ist nachts sehr belebt. Alle Einwohner von Malaga (wie sie in einem Wort heissen, habe ich auf die Schnelle nicht rausgefunden; Malagueña ist ein Flamenco-Thema…), besonders die weiblichen, scheinen sich herausgeputzt zu haben. Nachdem ich Landpreise gewöhnt bin, erscheint mir ein Kaffee für 2 Euro oder mehr ausserordentlich teuer. Nach einem obligaten Besuch im Picasso-Museum und einem Spaziergang kehren wir der Stadt den Rücken.


Ich freue mich, wieder mit Mélanie zu radeln. Um es mir nicht allzu leicht zu machen, hat sie mir noch zusätzlich etwa 4 Kilogramm Extra-Gepäck mitgenommen: Ersatzreifen, Malaria-Tabletten, Moskitonetz, Wasserfilter, Dollars, Afrika-Reiseführer, einen nigelnagelneuen Netbook (der alte Macbook war mir definitiv zu schwer) … und eine Liegematte, die sie noch zwei Stunden vor dem Abflug eingekauft hat. Genau an jenem Morgen hat sich nämlich meine alte Liegematte langsam zu einem Ballon aufzulösen begonnen. Mit meinen letzten Rappen auf der Prepaid-Karte konnte ich Mélanie gerade noch erreichen und die entsprechenden Instruktionen durchgeben. Service in letzter Sekunde. Danke an das Dreamteam Mélanie und Grégory !
Die Strasse von Malaga nach Algeciras ist etwas vom Schrecklichsten, das man mit dem Velo befahren kann. Die alte Küstenstrasse ist in den 70-er Jahren zu einer Autovia erweitert worden, drei Kilometer weiter nördlich führt eine neue, gebührenpflichtige und deshalb unbenutzte Autobahn. Das Wort Velo, Fussgänger und Rollstuhl gabs wohl in den 70-er Jahren noch nicht oder es passte nicht zu der damals utopischen Sichtweise. Velostreifen ? Nicht die Spur. Mélanie und ich versuchen zunächst, hinter den Leitplanken einen Weg zu finden. Der Streifen zwischen den Leitplanken, Abschrankungen und Lichtmasten ist aber derart gering, dass wir öfters die Packtaschen abnehmen müssen. Wir verlieren zu viel Zeit und stürzen uns dann irgendwann mal zähneknirschend auf die Horrorautobahn.
Unvorstellbar. Womöglich noch mit EU-Geldern mitfinanziert, um die „Entwicklung“ dieser Randregion voranzutreiben. Was mich besonders nervt ist, dass absolut keine Anstrengungen ersichtlich sind, um die Scharte auszuwetzen und beispielsweise einen Velo-Fussgängerstreifen zu bauen. Ein englisches Paar kann ebenfalls nur den Kopf schütteln, die Frau ist im Rollstuhl. Kompliment an die Spanier: besser kann man eine Küste nicht verunstalten und unattraktiver machen. Immerhin attraktiv genug für Billig-All-inclusive-Reisende und solche, die sich in Marbella einer Schönheitschirurgie unterziehen wollen. Oder im Entenschritt gruppenweise blindlings in Mélanies Velo laufen. Mélanie faucht Touristen an und ich zeige den Autofahrern, die uns von der Strasse abdrängen wollen, den Stinkefinger.


Eine ganz andere Klientel peilt Sotogrande an: luxuriöse Wohnungen an einem künstlich angelegten System aus Kanälen, in denen sich die Sportboote aneinander reihen. Villen, ein perfekter Belag, grüner Rasenstreifen am Wegrand, wie man ihn an keinem Camping findet. Entsprechend das Angebot: Golf, Polo, Puerto, Playa und eine spezialisierte Herzklinik. Der Zutritt ist überwacht, nur durch eine Barriere gelangt man hinein in diese Enklave. So stelle ich mir etwa Miami vor.


Gibraltar lassen wir uns nicht entgehen und ist durch den steil aus dem Meer aufragenden Felsklotz, der im Altertum als einer der beiden mythischen „Säulen des Herkules“ galt, auch nicht zu übersehen. Wir können nun wenigstens behaupten, Fuss und Veloreifen auf britischem (oder englischem ?) Boden gesetzt zu haben. Wirklich gelohnt haben sich die wenigen Kilometer dorthin nicht wirklich. Zwei Dinge haben mich aber beeindruckt: erstens die grosse dunkle Wolke, die einsam über dem „Rock“ hing und einem das Wetter dort wirklich englisch vorkam: kühl und windig. Zweitens die Fluglandebahn, die parallel zur Grenze Gibraltar-La Linea de la Concepcion führt. Diese wird für den gesamten Verkehr geschlossen, wenn eine Landung oder ein Abflug bevorsteht. Was für die Zaungäste natürlich ein Spektakel ist, wenn ein Flieger in wenigen Metern Entfernung abhebt. Nach dem Spuk werden die Zäune geöffnet und die Massen von Duty-Free-Touristen strömen wieder zu Fuss und motorisiert über das Rollfeld des Flughafens. Ansonsten fühlt man sich in „Gib“ wirklich in England: Fish and Chips, Kinder in Schuluniform und Polizisten, die Rollerfahrer büssen, weil sie die Schnalle unter dem Helm nicht zugemacht haben.
In Algeciras quartieren wir uns im arabischen Viertel ein. Das ist schon sehr marokkanisch geprägt. Im Hotel Tetouan, eine billige Absteige, aber gut überwacht durch den Boxer am Empfang, der jeden Gast anspringt und anbellt. Endlich geht es dann am nächsten Tag auf den Catamaran, der uns in einer Stunde nach Ceuta führt. Seit dem 16. Jahrhundert und zusammen mit Melilla weiter im Osten eine spanische Enklave. Seit der Unabhänigkeit Marokkos im Jahre 1956 ist sie dies auch geblieben. Spanien sieht keinen Widerspruch darin, Gibraltar zu beanspruchen aber Ceuta den Marokkanern nicht zurückgeben zu wollen. Der Grenzübertritt gestaltet sich trotz der vielen Menschen mit übervollen Taschen, der Hektik, den verbeulten, stinkenden und schrottreifen Autos, problemlos. Wir sind gewarnt davor, dass Marokkaner uns „registrations forms“ andrehen wollen, die normalerweise nichts kosten.
Die Strasse bis nach Tetouan ist breit, mit einem grosszügigen Velostreifen. Palmen und Grünstreifen säumen den Weg. Wichtig für den ersten Eindruck. Strassenputzer befreien die Strasse von Dreck und Scherben. Daneben eine breite Fussgängeralle, mitfinanziert durch eine marokkanische Telekom-Firma. Kein Vergleich zu Spanien. In Tetouan machen wir zunächst einen Halt in der Nouvelle Ville, um unseren ersten Pfefferminztee zu trinken. Danach tauchen wir in das Gewühl der Altstadt und der Medina ein. Und quartieren uns in der heruntergekommenen Pension Africa ein. Trotz hartnäckigen Verhandlungsversuchen gelingt es mir nicht den Preis weiter zu drücken und bezahle 100 Dirham (rund 9 Euro). Immerhin werde ich danach zu einem Tee eingeladen, während sich die Anwesenden und ein Künstler aus Andalusien Haschichpfeiffen rauchen und sich die Birne so richtig zunebeln. Ein Angestellter scheint wohl in seinem Leben zu viel von diesem Zeugs geraucht zu haben, trägt er doch bereits deutliche psychotische Züge, führt Selbstgespräche und benimmt sich etwas sonderbar.

Der erste Kulturschock ist verdaut. Als Einführung in Marokko eignet sich Chefchaouen, die Stadt mit den blau getünchten Fassaden, da schon viel besser. Nichts wie dorthin. Die Michelin-Karte im Masstab 1: 1 Million lässt viel Raum für Überraschungen. Fragen ist nicht immer sehr ergiebig. So variiert die Distanz von Tetouan bis nach Chefchaouen von 20 bis 120 Kilometer (die Mitte trifft hier zu..) und ist von sehr flach bis sehr gebirgig (Letzteres bekamen wir zu spüren). Dazwischen liegen tatsächlich über 1‘000 Höhenmeter. Es steigt, und steigt. Auch das Thermometer. Mélanie ist um zwei Uhr Nachmittags sichtlich erschöpft.
Chefchouen ist 1471 gut versteckt zwischen Berghügeln des Rif-Gebirges gegründet worden. Viele während der Reconquista aus der iberischen Halbinsel vertriebene Araber und Juden haben sich hier niedergelassen. Die Lage ist strategisch ausgezeichnet. Auf der einen Seite durch Berge versteckt, die kristallklares Wasser liefern. Zahlreiche Brunnen finden sich in den Gassen der Medina. Vom Tal aus war die Stadt nicht zu sehen. Bis 1920, als spanische Truppen die Stadt belagerten, haben gerade einmal nur drei Europäer die Stadt zu Gesicht bekommen: einer während einer Stunde, der zweite wurde vergiftet und der dritte, Walter Harris, Times Journalist, hielt seine Beobachtung im Werk „Land of an African Sultan“ fest. Die Spanier staunten nicht schlecht, als sie entdeckten, dass die Juden hier eine mittelalterliche und längst ausgestorbene Form des Kastilischen sprachen. Heute ist Chefchoauen eine angenehme Stadt, anders als in anderen Städten wird man nicht konstant belästigt und von Händlern und Mittelsmännern angesprochen.


Das Haschisch-Rauchen scheint hier in Marokko, besonders im Norden, eine Art Volkssport zu sein, hat aber tatsächlich eine jahrhundertealte Tradition. Zwar verboten, aber mehr als toleriert unter Marokkanern. Der süsse, schwere Duft weht uns überall in die Nase. Bereits 1809 beschrieb James Grey Jackson in „An Account of the Empire of Morocco“ dies folgendermassen: „The Hashisha, or leaves of the plant, are dried and cut like tobacco, and are smoked in very small pipes, but when the person wishes to indulge in the sensual stupour it occasions, he smokes Hashisha pure, and in less than half an hour it operates; the person unter its influence is said to experience pleasing images: he fancies himself in company with beautiful women; he dreams that he is an emperor, or a bashaw, and that the world is at his nod.“ Was Lotfi, ein guide de montagne, dabei empfindet, wissen wir nicht. Jedenfalls ist er sehr hilfsbereit, führt uns zu einem günstigen Hotel in Chefchaouen und gibt uns Hinweise, wo wir gut essen können. Ohne danach für diesen Dienst die hohle Hand zu machen. Am nächsten Morgen machen wir an einem kleinen Platz an einem Kaffee früh ab, trinken zusammen einen Kaffee. Er zündet sich einen fetten Joint an. Eher schüchtern fragt er uns, ob wir eine Trekkinghose für ihn hätten. Nein, ich schenke ihm aber meinen alten Feldstecher, der seine besten Tage (auf meiner Tibet-Reise) hinter sich hat.


Wir bleiben vier Tage in Chauen, wie die Marokkaner sagen. Mélanie hat eine Grippe und bedarf noch etwas Erholung. Bei der Essensaufnahme sind wir etwas zu unvorsichtig und verlassen unsere zwei Stammlokale und probieren das Restaurant Paloma aus. Ein englisches Paar steht bereits bei der Suppe und dem Salat empört auf. „Lousy food“. Wir finden die Reaktion völlig übertrieben. Wir haben auch Suppe und Salat bestellt, die sind wirklich nicht sehr gut, aber der Hauptgang und die Preise stellen alles in den Schatten. Grottenschlecht. Im Ergebnis hatten sie absolut Recht. Als Geschenk gibt es für mich dafür noch den ersten Durchfall, wohl unvermeidlich auf solchen Reisen. Oder war es doch von der „friture de poissons“ am nächsten Tag ?

Jedenfalls sind wir auf der Fahrt nach Ouezzane beide nicht topfit, danach leide ich. Trotz frühem Start muss ich bereits um elf Uhr hinter einem Stück Mauer hinliegen, Mélanie macht mir einen kühlen Verband. Nach einer Stunde siechen wir uns in der Mittagshitze bis zur nächsten Ortschaft Jorf-el-Melha, das Normaltouristen nur vom Bus aus zu sehen bekommen. Es scheint uns, dass nur wenige Marokkaner, insbesondere jüngere, hier und anderswo der französischen Sprache mächtig sind. Zwar mache ich Fortschritte auf arabisch, aber um das Wort „riz“ zu übersetzen, bedarf es eines Kollegen, der es per Handy übersetzt. In dem unfreundlich wirkenden Ort gibt es kein „funduk“, kein Hotel. Also noch einige Kilometer weiter, hinter einer Tankstelle gesellen wir uns zu Hühnern, Kühen, Knochenresten und Misthaufen. Im Stehen ist mir der Gestank nicht allzu negativ aufgefallen. Vielleicht waren wir auch zu sehr beschäftigt, um unseren Reis mit Karotten und Knoblauch zu kochen. Im Liegen wird mir aber nachts ordentlich übel. Dafür sorgt der freundliche „guardien“ der Tankstelle für unsere Sicherheit. Erschöpft legen wir uns um 20.10 bereits im Zelt zum Schlafen.
Es geht danach aufwärts, vor allem die Strecke steigt wieder an. Nochmals 400 Höhenmeter. Wieder in der Mittagssonne. Aber eine Pilgerfahrt nach Moulay Idris ist nun halt kein Zuckerschlecken bzw. Couscousessen. Moulay Idriss el Akhbar ist ein wichtiger Nachfahre vom Propheten Mohammed und in Marokko der meistverehrte Heilige. Sein Schrein und die ganze Anlage sind Nicht-Muslimen leider nicht zugänglich. Bis 2005 war es diesen sogar verwehrt, hier zu übernachten. Ungewollt habe ich ein Fünftel einer Pilgerfahrt nach Mekka absolviert. Denn eine Pilgerfahrt nach Moulay Idris ist nämlich soviel wert.

Langweilig wird es uns in Moulay Idris aber nicht, denn es gibt das bis anhin beste Grillfleisch zu kosten und derart gestärkt in vier Kilometern Entfernung Volubilis zu besichtigen. Eine riesige, beeindruckende römische Stätte. Weltkulturerbe. Aber die Welt scheint sich nicht dafür zu interessieren, das archälogisch wertvolle Kulturerbe zu erhalten. Nur wenn Hollywood wieder eine tolle Kulisse braucht, ist man zur Stelle. So auch Martin Scorsese für den Film „The last temptation of Christ“. Angesichts der zahlreichen Touristen täuschen die wenigen Angestellten Beschäftigung vor, schaufeln etwas Erde in eine Schubkarre, schaufeln diese wieder zurück oder lesen versteckt Zeitung. Wer kann es ihnen verübeln, bei den Hungerlöhnen von 50 Dirham pro Tag (ca. 5 Euro)? Die Beschriftungstafeln sind unleserlich, das Café zum Davonlaufen und die zum Verkauf angebotenen, verblichenen Bücher stammen aus den 80er-Jahren. Bis zur Islamisierung wurde übrigens in Volubilis noch Lateinisch gesprochen und die Stätte war bis zum 18. Jahrhundert besiedelt, als danach der Marmor weggetragen wurde, um es in Meknes für andere Bauten zu rezyklieren.