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Nubische Zaubernächte

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Die ganze Wüstenstrecke im Sudan von 1‘600 Kilometern treten Sekiji und ich gegen einen hartnäckigen Nordwind an. Die Landschaft hat nur wenige Reize zu bieten. Das Quecksilber klettert tagsüber auf 45 Grad, es ist heiss, unsere Haut fühlt sich wie Backpapier an. Ein streng muslimischer Staat, eine Militärregierung, die Freiheitsrechte einschränkt und ein Präsident, der sich vor dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag verantworten muss. Klingt nicht sehr verheissungsvoll.

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Und dennoch: nach und nach werden wir um den Finger gewickelt. Der Sudan wird zu meinen Lieblingsländern in Afrika gehören. Die Leute gehören zu den gastfreundlichsten auf dem ganzen Kontinent. Das Reisen im Land ist absolut sicher, die Leute sind stets sehr hilfsbereit, man fühlt sich willkommen, wird sehr oft zu einem Tee eingeladen. Nach und nach zieht uns Nubien, wie der Sudan früher hiess, in seinen Bann. Den Sudan auf das Krisengebiet Darfur und dem Präsidenten al-Baschir zu reduzieren, wäre ungerecht.

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Meine Hoffnung, durch den Sudan mit einem Reisegefährten zu reisen, verwirklicht sich in der Person des Japaners Sekiji, den ich in Äthiopien treffe. Ich bin froh, die lange Strecke gegen den Wind mit ihm zusammen zu fahren. Das bisschen Windschatten und etwas Gesellschaft macht die Fahrt erträglicher.

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Die Einreise in den Sudan gestaltet sich problemlos. Wir sind gespannt auf dieses Land.  Der Sudan öffnet sich langsam dem Tourismus, wir haben sogar ein Zwei-Monats-Visum ausgestellt erhalten. Die bürokratische Hürde der Registrierung bei der Ausländerbehörde ist allerdings noch nicht abgeschafft. Man soll dies gleich am winzigen Grenzort in Gallabat erledigen können, hiess es. Am nächsten Morgen klappern wir vergeblich alle Ämter ab. Es heisst stets, „Khartoum, Khartoum“. Um 9 Uhr legen wir unverrichteter Dinge los. Und erhalten gleich unsere erste Lektion. Um diesen Zeitpunkt sollte man bereits zwei Drittel des Tagespensums absolviert haben.

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Im Laufe der nächsten Tage verlegen wir den Start in die Nacht, wir werden später teilweise sogar um zwei Uhr nachts starten. Es ist dann einfach ruhiger und kühler. Manchmal sogar windstill. Landschaftlich verpassen wir ohnehin nicht viel. Entweder spendet uns der Mond Licht oder wir fahren im Schein der Stirnlampe. Es sind herrliche Momente, in der Kühle und Stille der Nacht loszufahren, die Sternschnuppen zu zählen und nach ein paar Stunden anzuhalten, um die Sonne aufgehen zu sehen.

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Sekiji und ich haben glücklicherweise die gleiche Einstellung und wir machen uns das Radlerleben nicht unnötig schwer. Der Wind und die Hitze machen uns bereits zu schaffen.  Wir übernachten in der Regel in sogenannten „Cafeterias“, einfachen Restaurants am Strassenrand, Truckstopps. Man erhält dort garantiert immer einen Teller „ful“, Bohneneintop mit Brot, oft Fleisch, manchmal Leber, Eier, falafel (Kichererbsen-Küchlein). Und kann dann für wenige Rappen ein Bett, bestehend aus einem einfachen Gestell und einem geflochtenen Netz, für die Nacht mieten. Und erspart sich sämtliche Camping-Aktivitäten und kann dann rasch in der Nacht aufbrechen.

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In Wad Medani stossen wir wieder auf den Blauen Nil, der in Äthiopien in Bahir Dar beim Lake Tana seinen Anfang nimmt. Bald sind wir in Khartoum, wo uns der symphatische Couchsurfer Steve, ein 64-jähriger Amerikaner  aufnimmt. Steve arbeitet als Lehrer bei der American School in Khartoum. Zunächst verrichten wir den obligaten Behördengang, entledigen uns einer läppischen Summe von umgerechnet 50 Dollar, um uns offiziell zu registrieren.

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Khartoum ist angenehm, für afrikanische Verhältnisse sehr geordnet, sauber. Der Weisse Nil trifft hier auf das Blaue Gegenstück. Obschon ein Alkoholverbot herrscht, gibt es aber Restaurants mit Live Musik, wo man zu Schnulzen das Tanzbein schwingen kann.  Man staune. So im Papa Costa. Ulkig und unterhaltsam. Nächstentags gönnen wir uns im Schwimmbad im „Greek Club“ etwas Abkühlung.

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Und zur Unterhaltung führen uns Steve und seine Freunde ausserhalb Khartoums, um einem nubischen Wrestling-Turnier beizuwohnen. Sobald die Sonne sich dem Horizont neigt und die Temperaturen erträglicher werden, bringen die Kämpfer die Stimmung in der randvollen Arena zum Kochen.

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Von Khartoum aus unternehmen Sekiji und ich mit dem Bus einen Ausflug zu der Sehenswürdigkeit Nummer eins im Sudan: der königliche Friedhof in Meroe. Zeugnis einer Hochkultur aus der Pharaonenzeit. 13 Jahrhunderte lang, bis zum 4. Jhd. n.Chr., herrschten die Kuschiten in Nubien, lieferten Sklaven und Gold an die Ägypter.

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Die Pyramiden sind nicht derart gigantisch wie die berühmten im Nachbarstaat, dafür hat man sie für sich ganz alleine. Die Stimmung am frühen Morgen und späten Abend ist einzigartig, wird nicht durch Massen von Schaulustigen und Souvenirhändlern vermasselt. Die paar wenigen Kameltreiber, die ihre Dienste anbieten, sind charmant  und man kann ­deren Überredungsversuchen nicht widerstehen, sich für ein paar wenige sudanesische Pfund auf ein Wüstenschiff zu setzen. Einzig ein paar Tausende Besucher jährlich bekommen die Relikten zu Gesicht. Lächerlich wenig im Vergleich zu den ägyptischen Besucherzahlen.

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Busfahrten im Sudan sind übrigens untypisch afrikanisch. Moderne chinesische oder koreanische klimatisierte Busse, kein einziger Passagier zuviel. Unterwegs werden kühle Getränke und Snacks gereicht. Gefahren wird auf feinem Asphalt, keine Bodenwelle, keine Schlaglöcher. Zurück in Khartoum trudeln drei weitere Tourenfahrer bei Steve ein, Richtung Süden fahrend. Das schottisch-dänische Paar Sam und Julie und Ambrose aus der Normandie. Zeit für uns, um den Kollegen Platz zu machen und uns wieder auf die Räder zu schwingen.

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Doch allzu rasch entlässt uns Khartoum nicht. Wir fahren in der Nacht los, in einem Vorort hüllt die aufgehende Sonne den Morgenverkehr in ein goldenes Licht. Wir können selbstverständlich der Versuchung nicht widerstehen und knipsen die Szenerie gebührend ab. Bis uns ein Vespafahrer etwas unfreundlich Einhalt gebietet und uns zur Polizeistation bittet. Fotografieren im Sudan ist eine heikle Angelegenheit, das ist uns bewusst. Doch anstatt einfach die Bilder zu sichten und zu löschen, wird ein Distriktschef aufgeboten. Uns ist bange. Zum Glück erscheint der nie und nach einer Teerunde und einer Stunde werden wir, ohne dass die Fotos gelöscht werden müssen, entlassen. Und so kann ich natürlich meinen Lesern den Stein des Anstosses auch nicht weiter vorenthalten:

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Für die 500 Kilometer bis Dongola kämpfen wir uns sieben ­Tage lang ab. Zugegeben, etwas neidisch sind wir schon auf andere Radler, die in entgegengesetzter Richtung nur zwei bis drei Tage benötigen. Sekiji und ich müssen kleine Brötchen backen, 50 bis 90 Kilometer am Tag, je nachdem wie stark es der Sandsturm Habub auf uns abgesehen hat. Spätestens um Mittag wird das Fahren bei dem Sturm und der Hitze zur Tortur. An Wasser mangelt es uns glücklicherweise nicht. Am Strassenrand finden sich häufig überdeckte Wasserstellen, wo man Wasser aus riesigen Tonkrügen schöpfen kann. Und unterwegs trinken wir paradoxerweise stets gekühltes Wasser. Die Verdunstung ist derart extrem, dass wir unsere Trinkflaschen in eine Socke stecken, die wir andauernd feucht halten und dadurch abgekühlt wird.

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Die Erleichterung ist gross, wenn wir mittags endlich eine kleine Cafeteria anpeilen können, um dort umgehend ein paar kühle Soda in wenigen Schlucken zu tanken, den obligaten Bohneneintopf zu verschlingen und uns auf den Betten breitzumachen, um den Rest des Tages bis zum abendlichen Bohneneintopf  zu dösen. Nicht immer finden wir ein lauschiges Plätzchen.

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In einer solchen kleinen gemütlichen Cafeteria erleben wir eine Schrecksekunde. Weniger wegen der faustgrossen Camel Spiders, die herumirren. Als wir um vier Uhr aufstehen, bemerkt Sekiji, dass seine Spiegelreflexkamera  und weitere Gegenstände in der Lenkertasche fehlen, sie jemand geklaut haben muss. Zwei Jungs und ein betagter Mann kümmern sich um die Cafeteria. Drei andere Gäste schlafen in jener Nacht ebenfalls dort. Im Umkreis von vielleicht 20 Kilometern ist keine andere Seele zu finden, allenfalls noch ein Schakal und die besagten Camel Spiders. Mir fällt am Vorabend auf, dass die zwei Burschen ständig auf die Ausrüstung von Sekiji schielen, zwischendurch flüstern. Um zwei Uhr morgens wache ich auf, sehe, wie die beiden Kerle sich mit einer Taschenlampe an das Rad von Sekiji heranschleichen. Ich mache mich bemerkbar, sie verziehen sich. Male mir nicht das Schlimmste aus, ahne nicht, dass die zwei derart bekloppt sein können, um einen Gast zu bestehlen.

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Wir wecken die ganze Bande auf, verlangen die Kamera von den zwei Schurken zurück. Jemand anderes kann es nicht gewesen sein. Die tun nichts dergleichen, leugnen alles ab, legen sich stinkfrech wieder schlafen. Der Alte, sichtlich verwirrt, brummelt ständig „Schakal, Schakal“. Wir warten bis zum Morgengrauen, bis die ersten zwei Truckfahrer anhalten.  Erklären denen, was vorgefallen sei, ziehen sie auf unsere Seite. Nun reden wir alle auf die Halunken ein, schüchtern sie ein. Wir drohen mit der Polizei. Ich gebe ihnen zu verstehen, dass aufgrund unserer Sachverhaltsschilderung die Polizei uns Glauben schenken wird, die Täterschaft mehr als augenfällig ist, ihnen aufgrund der geltenden Schari‘a die Hand abgehauen wird. Nun bekämen sie eine Chance: Kamera oder Hand ab !

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Ein Truckfahrer redet einem der zwei Gauner ins Gewissen, führt uns dann später zu einem Gebüsch hinter dem Gebäude. Dort ist die Kamera versteckt ! Ob der Chauffeur, der früher angeblich bei der Polizei angestellt war, ein Geständnis erzwingen konnte oder einfach ein guter Fährtenleser ist, wissen wir nicht. Jedenfalls ist der Vorfall jugendlichem Leichtsinn zuzuschreiben und untypisch für den Sudan.

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In Dongola gönnen wir uns zwei Ruhetage im einzigen für westliche Besucher ausgelegten Guesthouse. Der Tourismus steckt hier im Sudan ja leider noch in den Kinderschuhen, obschon es viel zu entdecken gäbe. Der Koreaner Isa führt seit sieben Jahren mit seiner Frau und den drei Kindern das Candaca Nubian Guesthouse, spricht gut arabisch, ist an nubischer Kultur interessiert und kennt Nordsudan wie seine Westentasche. Er organisiert für uns einen Ausflug. Wir besuchen ein nubisches Dorf, unternehmen eine Fahrt in einem traditionellen Boot und legen an einer Sandbank an, wo wir dann im Nil baden.

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Nördlich von Dongola wird die nubische Wüste abwechslungs- und erlebnisreicher. Das Gebiet ist wie schon seit Jahrtausenden reich an Goldvorkommen. Überall wird nach dem Edelmetall geschürft. Die Landschaft sieht teilweise völlig durchgebürstet aus. Menschen mit Gold-Detektoren irren in der einsamen Landschaft unter der brütenden Hitze herum. Wir können der Versuchung nicht widerstehen, unsere Nase in einer solchen staubigen Gold-Siedlung zu stecken. Es gibt hier viele Cafeterias, kleine Shops, pakistanische Parfumverkäufer, fliegende Teeverkäufer äthiopischer Herkunft. Steine werde zu Pulver zermalmt, Gold von Hand gewaschen.

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Unerwartet ist eines Morgens auch das Treffen mit einer riesigen Kamelherde von schätzungsweise 300 Tieren, die an den Nil geführt werden, um gefüttert zu werden. In 40 Tagen werden sie von der Sahara hierhin geführt. Viele überleben den langen Marsch nicht und verenden kurz vor der Futterstelle. Entlang der Strasse finden sich zahlreiche Kadaver, ein richtiger Friedhof.

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Sehenswert ist auch eine Moschee aus dem Jahre 1779, von Sheikh Idris erbaut. Boras, ein Nubier, der seit 15 Jahren in den Niederlanden lebt, vorher General war und aufgrund seiner politischen Anschauung für zwei Jahre ins Gefängnis gesteckt wurde, erzählt uns bei einer Runde Tee viel über die nubische Kultur. Er setzt sich für die nubische Zivilisation ein, die durch die weiteren geplanten Staudämme weiter gefährdet ist. Ganze Städte, Dörfer und historisch bedeutende Relikte der nubischen Kultur sollen unter Wasser gesetzt werden. Wie vor 40 Jahren beim Bau des Nasser Staudammes, als zahlreiche Kulturgüter unter Wasser verschwanden und der Tempel Abu Simbel in einer aufwendigen Aktion verlegt werden musste.

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Wir stecken dann über eine Woche in Wadi Halfa am südlichen Ende des Nasser Stausees fest und müssen auf die nächste Fähre warten, die nur wöchentlich verkehrt. Trotz einem Tag lang Anstehen unter der prallen Sonne und viel Diskutieren erhalten wir kein Ticket mehr. Das historische Wadi Halfa und 30 weitere nubische Dörfer im Herzen Nubiens wurden anfangs der 60-er Jahre im Zuge des Staudamm-Projektes überflutet. Endlich geht es dann los mit der völlig überfüllten Fähre. Ich schlaufe auf dem Deck, dichtgedrängt mit vielen anderen Passagieren. Die Fahrt bis nach Assuan in Ägypten dauert 20 Stunden. Und schon nach 2 Tagen hier in Ägypten sehnt man sich zurück an die sudanesische Gastfreundschaft und die Nächte unter dem nubischen Sternenhimmel !

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Highland, Highlaaaaand !

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Assalam Eleykum ! Mein Radlerkumpane Sekiji und ich sind in Khartoum, der Hauptstadt von Sudan angekommen. Temperaturen von über 40 Grad gepaart mit Wind und staubtrockener Luft fühlen sich an wie ein Heissluftgebläse.  Doch erstmals 1‘600 Kilometer zurück nach Addis Ababa, um über das erste von zwei faszinierenden und sehr unterschiedlichen Ländern Bericht zu erstatten.

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In Addis Ababa treffe ich endlich den japanischen Radler Sekiji an, der seit über zwei Jahren eine ähnliche Route wie ich in Afrika bereist hat. Ganz zufällig hatten wir in Dakar, Arusha und Nairobi diesselben Gastgeber. Von Nairobi aus hat er die konsequente Variante gewählt, ich die konservative. Er ist die ganze Strecke gefahren, ich bin zweimal in einen Bus gesprungen. Dafür hat er sein äthiopisches Visum um fast eine Woche überzogen. Doch er hat Glück, wird nicht des Landes verwiesen, nicht gebüsst und erhält sogar eine Visumsverlängerung. Er fährt mir um drei Tage voraus.

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Nun, viele Radler reisen so schnell wie möglich durch Äthiopien, mögen die Bevölkerung nicht. Das mag vielleicht auch daran liegen, dass die meisten von Norden nach Süden, von Kairo nach Kapstadt reisen und der sudanesischen Gastfreundlichkeit und Warmherzigkeit wohl niemand auf dem Kontinent das Wasser reichen kann. Die Attribute von anderen Radlern lauten von unfreundlich, lästig und aufdringlich bis hin zu Kraftausdrücken, die ich hier lieber verschweige.

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Die Route von Addis Ababa nach Bahir Dar und an die Grenze zum Sudan geniesse ich allerdings, trotz ein oder zwei Steinen, die mir Kinder täglich nachwerfen, sehr und bin positiv überrascht. Die Vorurteile kann ich auf dieser Strecke nicht teilen. Im Süden und auf der historischen Strecke im Norden sieht es möglicherweise anders aus, insbesondere wenn es um Übernachtung und Verpflegung geht, wird man als ferenji oft übers Ohr gehauen. Aber die ländliche Bevölkerung, der ich begegne, ist freundlich, lässt sich problemlos abfotografieren, grüsst freundlich zurück, verneigt sich oft. Ich verweile häufig zu Schwätzchen­, schaue den Leuten bei der Arbeit zu.

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Einem eher für dieses Land seltenen Broterwerb gehen ausgangs Addis zwei Rennradfahrern auf edlen Karbonrädern nach. Einer davon ist Tsgabu Gebremaryam, Profifahrer beim südafrikanischen Team MTN Qhubeka. Er wagt sich auf mein Rad und kann nur noch den Kopf schütteln, wie es möglich ist, ein 60 Kilogramm schweres Rad fortzubewegen. Zahlreiche Menschen sind am Strassenrand per pedes  unterwegs, mit Säcken von Getreide, Mais oder Holz beladen. Äthiopien ist das einzige Land, in dem ich, natürlich wiederum nur Frauen oder Mädchen sehe, die das Wasser nicht in gelben Plastikkanistern sondern in schweren Tonkrügen tragen. Und dabei noch lächeln und unverschämt gut aussehen.

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Der Transport findet oft dank Eseln und Eselskarren, aus Fahrzeugachsen improvisiert, statt. Ohne in Ironie zu verfallen: ich weiss nicht, welches Land weltweit die grösste Dichte an Eseln hat, aber Äthiopien hat sicherlich die Nase vorne.

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Den Leuten wird nachgesagt, dass sie stolz seien. Stolz auf ihre Kultur, auf die amharische Sprache, auf ihre äthiopisch-orthodoxe Religion. Ihr Land bezeichnen die Abessinier gerne als die Wiege der Menschheit. Das älteste menschliche Skelett, Lucy, ist hier gefunden worden. Äthiopien war zwar kurzzeitig durch das faschistische Italien besetzt worden, ist aber das einzige Land auf dem schwarzen Kontinent, das nie unter kolonialer Herrschaft war.

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Der Einfluss der Italiener ist noch heute spürbar.  So gibt es überall Pasta und Spaghetti zu essen. Spaghetti mit Gemüse, mit Tomatensauce, mit Hackfleisch. Und die Äthiopier haben, was weltweit einzigartig ist, gelernt, die Pasta al dente zu kochen. Es herrscht gerade eine 55-tägige Fastenzeit, in der kein Fleisch gegessen wird. Mittwochs und Freitags ist ohnehin immer Fastenzeit. Das orthodoxe Fastenregime ist komplex. Aber wenn einmal Fleischzeit herrscht, hauen die Abessinier gerne rein. Am liebsten rohes Rindsfleisch am frühen Morgen. Ansonsten ist natürlich die Enjira allgegenwärtig. Ein grosser Fladen schwammiger Konsistenz aus dem Getreide Teff, auf dem Gemüse oder Fleischeintöpfe hergerichtet werden. Gegessen wird das Gericht mit der Hand.

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Der Reisende, der „ferenji“, wird oft von zahlreichen Schaulustigen umzingelt. Viele Kinder schreien mir „You, You“ oder „money, money“ nach, oftmals auch „Highland, Highland“. Gemeint sind leere Wasser-Plastikflaschen, bezeichnet nach der bekanntesten Marke Highland. Diese Kinderscharen können manchmal lästig sein, aber nur selten greift ein Lausbube zu einem Stein und wirft ihn nach. Auch das laute “You, You” ist nicht die angenehmste Begrüssungsform und so drehe ich einfach den Spiess um und schreie wie ein Bekloppter die Leute mit “you, you” an, bevor sie den Mund aufmachen können. Es wirkt, es kommt oft ein Lächeln zurück.

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Äthiopien ist das Ursprungsland des Kaffee. Und die Kaffeekultur ist nicht nur afrika- sondern weltweit einzigartig. Abgesehen von Italien und Spanien kann ganz Europa zusammenpacken inklusive der sterilen, gestylten Astronauten-Kapselkultur, das Äthiopien nicht ansatzweise das gebrühte Wässerchen reichen kann. Der Kaffe wird in einer Kanne aus dunklem Ton gereicht, oft auf einem mit Gras bedeckten Tablett, Weihrauch wird auf einem Tongefäss gebrannt. Wenn man reichlich Zeit mitnimmt, kann man zusehen, wie die Bohnen geröstet werden, anschliessend von Hand in einem Mörser gemahlen werden. Ein paar Mal muss ich mir die Augen reiben. Oftmals entdecke ich in kleinen Ortschaften Pavoni und Cimbali Kaffeemaschinen. Und wenn wir schon bei Flüssigkeiten sind. Für Afrika einzigartig ist das Wasser der Marke Ambo: gekühltes Sprudelwasser in Halblitern-Flaschen gibt es praktisch überall. Herrlich erfrischend !

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Neben Lesotho ist Äthiopien das höchstgelegene Land auf dem Kontinent. Die Hälfte des Landes liegt auf über 1‘200 M., 25 % auf über 1‘800 M.ü.M. Das Klima im Hochland von Abessinien wird von Radfahrern geschätzt, tagsüber warm, nachts kühl. Angenehm zum Ausruhen. Es sei denn, dass ein Priester um drei oder vier Uhr morgens anfängt, seine Gebetslieder stundenlang herunterzuleiern. Natürlich über Lautsprecher. Meistens bewege ich mich zwischen 2‘000 und 3‘000 Metern. Ein gutes Höhentraining. Unterbrochen wird dieses aber schon bald durch die Schlucht des Blauen Nils. Ein Alpenpass im umgekehrten Sinne. Es geht rund 1‘300 Höhenmeter runter zum Fluss. Was danach folgt, ist nicht schwer zu erraten.

IMG_7528 (1024x683) In Afrika wird einem vor allem eines gelehrt: Geduld. Am Fusse der Steigung trinke ich erstmals zwei Kaffee, warte bis einer dieser schweren Trucks im Schrittempo daherschleicht und hänge mich hinten an, um mich ein gutes Stück ziehen zu lassen. Um mir nicht das Schultergelenk auszurenken, muss ich zwar weiterhin in die Pedale treten, aber es ist einiges angenehmer so.

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Das Fladenbrot Enjira wird aus dem sehr feinkörnigen und glutenfreien Getreide Teff hergestellt, dem wichtigsten Getreide in Äthiopien. Überall sind riesige Heuhaufen zu sehen. Das Teff wird noch ganz urtümlich mit einer Handvoll Ochsen gedrescht, die im Kreise laufen. Das Land ist grösstenteils gerodet. Viele Eukalyptusbaum-Pflanzungen sind an die Stelle der ursprünglichen Wälder getreten. Rinder, Ziegen, Schafe und Esel sorgen dafür, dass kein Grashalm mehr als zwei Finger breit wachsen kann. Die Felder werden oftmals mit Hilfe von Ochsen und einem einfachen Pflug bearbeitet.

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Hotels finden sich glücklicherweise in jeder kleineren Ortschaft. Meistens ab 30 bis 50 Birr, rund 1 bis 2 Euro. Unglaublich billig. Und ohne White Skin-Tax wie im Süden. Für 4 bis 6 Euro gibt es schon ganz luxuriöse „self-contained rooms“ mit heissem Wasser. Der Blaue Nil führt in Bahir Dar in den See Tana. Ich treffe hier wieder Sekiji an. Wir entscheiden, ab hier zusammen in den Sudan zu reisen. Ich gönne mir in dieser palmengesäumten, angenehm sauberen Stadt, in der vor allem die vielen Fruchtsaft-Stände locken, einige Ruhetage. Ich besuche  ein Projekt von Helvetas, eine Hängebrücke gegenüber des Wasserfalles des Blauen Niles.

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Die Anreise in einem öffentlichen, vollgestopften Bus mit nicht gerade wohlriechenden Hirten, die sich die Zähne an Zuckerrohrstangen wundkauen, ist ein Erlebnis für sich.  Die Hängebrücke ist 81 Meter lang, erspart der Bevölkerung einen Umweg von eineinhalb bis zwei Stunden. Sie ist in Zusammenarbeit mit nepalesischen Ingenieuren gebaut worden. An dieser Stelle ein grosses Dankeschön an alle, die gespendet haben ! Und da ich noch eine Weile unterwegs sein werde, kann weiterhin gerne gespendet werden.

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In Bahir Dar unternehme ich einen Ausflug zum Lake Tana, besuche ich ein paar Klöster aus dem 17. Jahrhundert, lasse mich in die Vergangenheit zurückversetzen., bewundere die vielen Heiligenbilder und Ikonen. Am besten wird mir der heilige Georg hoch auf dem Ross in Erinnerung bleiben. St. Georg ist die berühmteste Biermarke in Äthiopien.

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Vom Lake Tana führt nun der Blaue Nil in 5223 Kilometern Richtung Norden nach Khartoum und bis ans Mittelmeer. Sekiji und ich starten gemeinsam Richtung Sudan. Wir sind gespannt auf dieses riesige Land. Vor allem der Nordwind und die brütende Hitze bereiten uns Kopfweh.  Berichte von entgegenkommenden Velofahrern, die dank des Rückenwindes bis zu 200 Kilometer an einem Tag schaffen, sind nicht ermutigend. Diesmal werden sich die Vorurteile bestätigen. Sudan hat wohl die gastfreundlichsten Menschen auf dem ganzen Kontinent. Aber davon erzähle ich das nächste Mal. Bis bald !20130320-d129 (800x531)