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The Big Apple Zentralasiens

Mittlerweile bin ich in Almaty, der inoffiziellen Hauptstadt Kasachstan angekommen und geniesse das kulinarische Angebot. Aber erstmal zurück nach Kirgistan und Karakol.

Ich starte spät von Karakol, kurz vor Mittag. Es ist sonnig, angenehm. Die heutige flache Etappe wird mit 50 Kilometern kurz werden. Ich möchte vor einem kleinen Pass, einige Kilometer vor der Grenze übernachten. 

Dort werde ich in einem Dorf fündig, es gibt ein Homestay uns so kann ich bei Nurlan und seiner grossen Familie übernachten. Als ich mit Nurlan auf der Holzbank vor seinem Haus sitze, flitzt ein anderer Radler an uns vorbei. Ich rufe ihm zu, doch er hört mich nicht. 

Macht nichts. Ich werde Alexandre am nächsten Tag begegnen, er hat nach dem Pass gezeltet. Der 33-jährige Maschineningenieur stammt aus der Normandie und ist seit sieben Monaten mit einem Rad am Reisen, das er selber zusammengeschweisst hat (hier sein Blog: https://ltdg-adventure.travelmap.net ). Wir werden bis Almaty zusammen unterwegs sein.

Ça passe ou ça casse. Wir verstehen uns gut und so fahren wir zusammen zur kasachisch-kirgischen Grenze, und ich habe für die nächsten Tage ein Fotomotiv und muss das Stativ nicht aufstellen und mich mühsam in Szene setzen. Obwohl der Grenzübertritt entspannt ist – ich kann 30 Tage visumsfrei einreisen – bin ich doch etwas aufgeregt. Kasachstan, das neuntgrösste Land der Welt, ist für mich Neuland. 

Auffällig ist zunächst der Strassenzustand. Es rollt sich hier besser als in Kirgistan. Das Angebot in den Märkten scheint reichhaltiger zu sein. Flach geht es in die erste Ortschaft, wo wir an der Bushaltestelle vor der Moschee einen Mittags-Picknick veranstalten. Auch hier ist die Unsitte verbreitet, an Haltestellen, Monumenten oder schönen Plätzen in geselliger Runde Vodka zu trinken. Dagegen wäre ja nichts einzuwenden, wenn nicht die Flaschen einfach liegen gelassen würden, die irgendwann kaputt gehen und einen Scherbenhaufen hinterlassen.

In der ersten Kleinstadt Kegen kaufen wir zunächst eine SIM-Karte und lassen diese einrichten. Danach fragen wir im Hotel Kegen nach einem Zimmer. Die Dame, die offenbar für ein Taxiunternehmen arbeitet, ist wenig motiviert, wimmelt uns ab und so suchen wir das zweite Hotel auf. 

Dort schaffen wir es, uns innert einer Stunde rauswerfen zu lassen. Alexandre geht als erster duschen. Die schicke Duschkabine mit vielen Knöpfen, Hebeln und Lichtern ist leider nicht richtig angeschlossen und so merkt er während des Duschens nicht, dass Wasser ausläuft und ungewollt den Gang und das Nachbarzimmer unter Wasser setzt. Ein aufgebrachter Junge beschuldigt ihn, die Kabinentüre nicht verschlossen zu haben. Ich versuche zu beschwichtigen, doch der Jüngling redet sich in Rage, möchte Schadenersatz von uns. Er erklärt uns beide zu persona non grata. Es ist uns sowieso zu blöde, derart behandelt zu werden. Ruhig packen wir unsere Sachen und gehen zum Hotel Kegen zurück und kriegen diesmal ein Zimmer. Einfach aber zweckmässig. 

Unser Plan ist es, den eindrücklichen Charyn Canyon zu besuchen und danach durch ein Naturreservat und über einen 2’800 Meter hohen Pass nach Almaty zu fahren. Den zweiten Teil müssen wir wetterbedingt ans Bein streichen. 

Nach Kegen fahren wir gestärkt auf gutem Asphalt Richtung Charyn und bewältigen einige Höhenmeter. Alexandre ist seit dreizehn Tagen ohne Ruhetag unterwegs und macht ‘mauvaise fortune, bon cœur’, gut Miene zum bösen Spiel. Die Müdigkeit ist ihm langsam anzumerken. 

An einem Parkplatz zieht ein Falke die Aufmerksamkeit auf uns. Ich habe Mitleid mit dem Besitzer, meine zu glauben, dass er den ganzen Tag untätig rumsitzen muss und lasse mich für 3’000 Tenge (rund 5 Euro) fotografieren. Danach fährt ein rappelvoller Touristenbus vor und belagert die Stätte und steht dort regelrecht Schlange.

Wir verziehen uns rasch, fahren die letzte Steigung hoch. Jetzt geht’s runter, der Charyn Canyon wartet auf uns. Nicht nur der. Sondern auch ein visitor center, ein Restaurant, eine Imbissbude und unzählige Touristen. Vor 17 Jahren, als Kathrin und Andreas, Freunde aus der Schweiz, die ich auf dem Pamir seinerzeit kennengelernt habe, dort waren, muss es noch ganz ruhig und beschaulich zu und her gegangen sein. Andreas, von Beruf Fotograf, hat einige sehr schöne Bildbände publiziert, die man hier bestellen kann: https://www.maisoncatalina.fr/de/bestellung.html (übrigens betreiben nun Kathrin und Andreas ein tolles B+B unweit von Montpellier!).

Nicht weiter schlimm, denn die Touristen verziehen sich alle am Abend und wir geniessen das Privileg, mit dem Rad durch das ‘Valley of Castle’ fahren zu dürfen und beim Fluss zu zelten. 

Dort versuche ich mich etwas in der Nachtfotografie und mein drittes Bild ist ein Glückstreffer. In doppelter Hinsicht, weil die Bildkomposition stimmt. 

Am nächsten Morgen, es ist Freitag, der 13., stehe ich früh auf, um den Sonnenaufgang zu erleben. Als ich zurück beim Camp bin, ist es schon diesig und es zieht ein unsäglicher Wind auf. Es wird ungemütlich. Wir verdrücken rasch unser Müsli und packen zusammen. 2.7 Kilometer und 250 Höhenmeter zum Aufwärmen. Am Schluss veloschiebend. Der Preis für die Übernachtung am Fluss.

Danach 9 Kilometer bis zur Abzweigung zur Hauptstrasse. Der Wind pfeift uns frontal ins Gesicht und wir benötigen tatsächlich über eine Stunde für dieses kurze Stück. Die nächste grössere Ortschaft ist rund 70 Kilometer entfernt. Wir beraten uns. Derart gegen den Westwind anzutreten, macht keinen Sinn, ausser man ist wirklich masochistisch veranlagt. Zudem verheisst der Wind schlechtes Wetter, in Almaty regnet es bereits. Zähneknirschend müssen wir in den sauren Apfel beissen und wie begossene Pudel stehen wir also am Strassenrand, den Daumen hochhaltend.

Nach einer halben Stunde hat der Fahrer eines leeren Kleinbusses Erbarmen mit uns und nimmt uns bis Shelek mit. 

Dort ist es bereits sehr bewölkt und frisch. Bald fängt es an zu regnen. Wir müssen hier einen Tag im Hotel Rosa zwangspausieren. Ein anderes französisches Radlerpaar hat sich ebenfalls hier einquartiert. Viel unternehmen kann man in dieser Ortschaft nicht, ausser eine Runde um den unattraktiven Basar zu drehen, Laghman zu essen und Tee zu trinken. Es wird praktisch den ganzen Tag lang regnen. 

Endlich geht es weiter. Den Plan mit den Bergen haben wir ja schon begraben, es hat stark geschneit. Auffallend in Shelek sind übrigens die oberirdischen Gasleitungen.  

Wir finden eine ruhige Nebenstrasse südlich der zwei Hauptachsen, die nach Almaty führen. Dort sind wir dann fast ganz alleine und begegnen einigen Reitern mit ihren Herden. 

Wir möchten nochmals wild zelten, bevor wir in Almaty ankommen. Sicherheitshalber steuere ich eine Stunde vor Sonnenuntergang in Qarakemer den Dorfladen an, um dort nach Wasser zu fragen. Dem Wasser vom Fluss traue ich nicht und wir wissen ja nicht, wo wir zelten werden. 

Es findet gerade Inventur statt und die beiden Verkäuferinnen Natalia und Natalia haben eine helle Freude an uns zwei durchgeschwitzten Radlern. Wir bekommen Vodka und Speck serviert. Es läuft laute Rockmusik. Zum Abschied gibt es umsonst Schokolade, Brot und Bier. Die lebensfrohe Natalia senior lacht über ihren Buckel. Ihre Lebensfreude lasse sie sich deswegen nicht nehmen, scherzt sie. Der Kurzbesuch in diesem Laden ist der Aufsteller an diesem Sonntag.

Endlich fahren wir los. Die letzten Sonnenstrahlen sorgen für ein paar schöne Stimmungsbilder. La pomme est pour le vieux singe. Soviel Zeit muss sein. Ein Zeltplatz ist rasch gefunden. Unter einem grossen Baum, geschützt vor dem Nachtfrost, schlagen wir unsere Zelte auf. Ein paar Hunde bellen in weiter Entfernung und der Muezzin ruft zum Gebet auf.

Die letzten 20, 30 Kilometer bis Almaty sind nervenaufreibend. Der Verkehr nimmt zu und wir versuchen, die grossen Achsen zu vermeiden. Doch viele Lastwagen und SUV’s kommen uns gefährlich nahe. Schon am Morgen berührt uns ein SUV beinahe und wir erschrecken beide. Ich zeige dem Fahrer den Vogel. Dieser hält am Strassenrand an und wartet auf uns. Wie nett von ihm. Was das soll, gibt der bärtige, rund 30-jährige, bärtige Typ in Latschen uns zu verstehen. ‘Normalni’, alles fein meint er. Nein, schön ist es nicht, was ich gemacht habe. Was er getan hat, ist auch nicht schön aber vor allem lebensgefährlich. Er merkt es mir an, dass ich da keinen Spass verstehe und zieht von dannen.

Almaty. Elektrotrotinetts, Hunde an der Leine, Nagel- und Kosmetikstudios, ein reichhaltiges gastronomisches Angebot: die fast Zwei-Millionenstadt ist europäisch geprägt. Mit dem Zentralasien, das ich im Wakhan-Korridor oder im Pamir erlebt habe, hat es nicht mehr viel gemeinsam. 

1997 hat Almaty den Status als Hauptstadt verloren, ist aber immer noch das geschäftliche, wissenschaftliche und kulturelle Zentrum des Landes. Für Alexandre ist hier erstmal Schluss. Er packt seine Satteltaschen und wird nach Bangkok fliegen, um dort seine Reise fortzusetzen.

Die Tage verbringe ich mit Museumsbesuchen, zeichnen und schlendern. So besuche ich etwa das Museum für Volksmusikinstrumente, das ganz aus Holz gebaut ist. Und gleich beim Park der 28 Panfilowzy (Soldaten) kann die wuchtige Skulptur bewundert werden. Diese ist in Andenken an eine 28-köpfige Infanterie aus Almaty errichtet worden, die im 2. Weltkrieg getötet wurde. 

Dahinter ist die russisch-orthodoxe Holzkathedrale aus dem Jahre 1907.

Almaty heisst auf kasachisch ‘Vater des Apfels’ in Anlehnung an die Apfelplantagen. Eine Sorte sticht hier heraus: die grossen Aport-Äpfel, von denen es leider in der Gegend nicht mehr allzu viele gibt. Die meisten Grundstücke, auf denen der Apfel wuchs, sind mittlerweile verbaut worden. 

Die Orientierung ist einfach in Almaty.  Aufwärts heisst Süden Richtung Ile-Alatau-Gebirge und abwärts Norden. Die Strassen sind streng in Nord-Süd-Richtung angelegt, damit die frische Luft von den Bergen besser zirkulieren kann. 

Auffallend viele Bäume hat es zudem in der Stadt, die wegen der vielen Auto-Abgase nicht zu den saubersten gehört. In Zentralasien, wo es im Sommer wegen des kontinentalen Klimas jeweils sehr heiss wird, weiss man, wie man sich dagegen schützt. Viel unversiegelter Boden, Wassergräben, Bäume und Sträucher. Helle Fassaden. Bäume und nochmals Bäume. Vielleicht wird man sich in ein paar Jahren in Europa vermehrt vom zentralasiatischen Städtebau inspirieren lassen. Im Mikrorajon Samal 1 wuchern Bäume und Sträucher um die Wette. Wilde Ecken inmitten einer Grossstadt. Es muss nicht immer perfekt sein.

Ein Besuch im ‘grünen Basar’ darf nicht fehlen. Dieser muss sehr sehenswert sein, habe ich gelesen. Absolut, einer der aufgeräumtesten, übersichtlichsten und attraktivster Basare, die ich hier in Zentralasien gesehen habe. Und mit Stil. Alle Verkäuferinnen, Metzger und Fruchthändler tragen die gleiche weiss-grüne Uniform.

Klassische Gerichte wie Plov oder Laghman gibt es hier für einen Apfel und ein Ei, umgerechnet zwei bis drei Franken. Für mich heisst es nun, während meiner Reise eine Zugreise anzutreten. Ich werde mit dem Nachtzug nach Shymkent fahren und eine flache und wenig spannende Strecke von 700 Kilometern überspringen.