West-Sahara

Sahara, Sahel und Senegal

Mittlerweile befinde ich mich im Senegal, wo ich das Gefühl habe, so richtig in Afrika angekommen zu sein, obschon ich ja bereits seit über zweieinhalb Monaten auf afrikanischem Boden rolle. Aber zunächst einmal zurück zur Westsahara.

Nach drei Ruhetagen in dem von Spaniern gegründeten Dakhla, vormals Villa Cisneros genannt, setze ich meine Reise durch die Westsahara, Richtung Süden, fort. Dakhla liegt auf einer Landzunge, ich muss daher 40 Kilometer wieder zurückradeln. Mir ist zwar bewusst, dass ich etwas Gegenwind haben werde, aber dass ich dreieinhalb Stunden für 40 Kilometer brauche, hätte ich nicht gedacht. Und das auf flacher Strecke ! Nachher wird es zwar etwas besser, aber Geschwindigkeiten von 11 bis 15 km/h sind mental nicht gerade erbauend, immerhin sorgen Sand und Wind für ein Dauerpeeling. Und so benötige ich für die 350 Kilometer bis zur Grenze vier Tage.

Ich schlafe bei einer Tankstelle, bei einem „Service de desenseblement“ und sogar bei der Marine Royale. Die kleinen Blockhütten des Militärs, die sich überall entlang der Küste finden, sind alles andere als königlich, sie sehen eher wie erbärmliche Fischerhütten aus. Dafür sind die beiden jungen Rachid und Hassan sehr gastfreundlich. Ich darf neben Ihnen zelten. Beziehungsweise in ihrer selbstkonstruierten, gemütlichen Strandhütte schlafen. Genial ! Den ganzen Tag kämpfe ich schon gegen den Wind, es ist recht heiss, und mir geht die längste Zeit durch den Kopf, dass es an einem solchen Tag sicher entspannendere Freizeit-Aktivitäten gäbe als durch die Westsahara zu radeln. Etwa am Strand liegen, die Kühle des Atlantiks geniessen und Riesenmuscheln sammeln. Das Angebot der zwei jungen Burschen kommt daher wie gerufen. Ohne mit der Wimper zu zucken springe ich rein ins herrlich kühle Nass ! Unterdessen bringt mir Hassan eine Kanne Tee. Ich trockne mich ab, geniesse das süsse Getränk, kühle mein Brausepulver-Getränk in einem Kübel Meerwasser. Die Anstrengung ist vergessen, ich geniesse den einsamen Strand. Das sind die tollen Überraschungen, die man nur auf dem Velo erlebt, denke ich mir. Wir kochen zusammen, verbringen einen lustigen Abend, und um 21 Uhr verziehe ich mich in die Hütte und schlafe bald ein.

Um 1 Uhr nachts klopft es an meiner Hütte. Die beiden Jungs sind auf Patrouille, um die Küste vor illegalen Einwanderern zu kontrollieren. „Ist alles in Ordnung“, rufe ich Ihnen zu. Sie lassen aber nicht locker, ich solle die Türe aufmachen. „Maurizio, nous excusons le dérangement“. Zähneknirschend mache ich auf. In der Dunkelheit, in Uniform und mit Gewehren sehen sie nicht mehr ganz so freundlich aus wie Stunden zuvor. Ich solle die Stirnlampe ausmachen, befehlen sie mir, sie wollen nicht auffallen. „La tente, la tente?“, fragt Rachid ungeduldig. Ich solle es mitnehmen und mit Ihnen zum Strand laufen. „Hey, was soll der Quatsch?“, gebe ich Ihnen zu verstehen. Mir wird etwas bange: wollen die zwei mich jetzt etwa überfallen ? Ich weigere mich und will eine Erklärung. Wegen ihrer mangelhaften Französisch-Kenntnisse brauche ich eine Weile, bis ich ihr Ansinnen durchschaut habe: jetzt seien sie auf Patrouille und nicht mehr als Zivilpersonen unterwegs, sie müssten sich an das Reglement halten. Ich dürfe daher nicht so nahe bei Ihnen schlafen, da es sich um einen militärischen Posten handle. Gleichwohl könne ich in der Strandhütte schlafen, nur müsse ich zunächst das Zelt aufstellen, für den Fall dass Ihr Vorgesetzter vorbeikomme. In diesem Fall müssten wir ihm dann vorgaukeln, dass ich nachts aufgewacht sei und die beiden darum ersucht hätte, in der Strandhütte schlafen zu können, da es draussen – mindestens 20 Grad warm – zu kalt sei. Bravo ! Das hättet ihr mir doch gleich sagen können ! Immerhin haben die beiden keine bösen Absichten und nehmen einzig ihren Job ernst. Um nicht noch einmal gestört zu werden, stelle ich also mein Zelt mitten in der Nacht auf und zügle meine Siebensachen.

Die Ausreise aus Marokko gestaltet sich problemlos. Vier Kilometer Niemandsland liegen zwischen Marokko und Mauretanien. Dem Strassenzustand nach zu urteilen, haben die beiden Staaten kein Wirtschaftsabkommen geschlossen. Eine üble, holprige Sandpiste, die man besser nicht verlässt, denn das Gebiet ist stark vermint. Im Schritttempo kämpfen sich Lastwagen über die miserable Piste mit dem Übernamen „Kandahar“. Ausgebrannte Autos, Wracks, entsorgte Elektronik-Geräte. Allerlei Leute, die auf diesem herren- und staatenlosen Abschnitt krumme Geschäfte drehen und Nummernschilder wechseln.

In Mauretanien fahre ich nach Nouadhibou rein. Die zweitgrösste Stadt Mauretaniens ist ein kleiner Schock. Das Stadtbild wird von Abfallbergen geprägt, in denen Ziegen nach etwas Fressbarem rumstochern. Überall Sand, was nicht weiter verwundert, denn ich bin ja noch in der Sahara. Die ganze Aufmachung der Läden und Geschäfte ist einiges schäbiger als in Marokko. Ein Steinwurf vom Zentrum entfernt fangen bereits die Bidonvilles an.

Mauretanien ist eines der ärmsten Länder der Welt und geniesst, nicht zuletzt wegen Entführungen in entlegenen Gebieten durch die AQM (Al Qaida im Maghreb) und organisierten Banditen, nicht den besten Ruf. In Mauretanien herrscht immer noch eine moderne Form der Sklaverei. Die Bevölkerung ist stark hierarchisch gegliedert: die Elite wird durch die weissen Mauren, den Bidhan gebildet, während die dunkelhäutigen Haratin oftmals Sklaven als Vorfahren haben. Man bekommt das im Land zu spüren, die Leute sind zurückhaltender als in Marokko.

Von Nouadhibou aus fährt der berüchtigte Eisenerzzug ins Landesinnere nach Zouérat. Er ist mit rund zwei Kilometern, 200 Waggons und bis zu vier Lokomotiven einer der längsten und schwersten Züge der Welt. Der Sahara-Sand ist dabei das grösste Hindernis. Entsandungstrupps sind alle Hundert Kilometer stationiert. Der Verschleiss von Geleisen und der Züge ist sechsmal grösser als unter normalen Umständen. Eine Fahrt auf diesem Zug – gratis in einem der Eisenerzzwaggons – muss ein einmaliges und anstrengendes Erlebnis sein und schüttelt alle Knochen richtig durch. Ich verzichte auf die Rüttelparty und fahre zur Hauptstadt weiter.

Auf der Strecke Nouadhibou – Nouakschott passiert man alle 50 bis 80 Kilometer einen Checkpoint der Gendarmerie Nationale. Ich händige jeweils die „fiche de renseignements“ mit meinen persönlichen Daten aus. Die Bevölkerung ist alarmiert und informiert umgehend die Gendarmerie über die Anwesenheit unbekannter Personen, einschliesslich Velofahrern. Beeindruckend. „Bei Kilometer 42 hast Du Tee getrunken, nicht wahr? An der Tankstelle bei Kilometer 67 hast Du eine Cola gekauft ?“ Solche Bemerkungen der Gendarmes sind nichts Aussergewöhnliches. Auch tagsüber sind mobile Einheiten auf Patrouille. Oft halten sie an und erkundigen sich nach meinem Wohlbefinden. Sicherheitshalber zelte ich jeweils bei den Postes de Gendarmerie. Eine andere Wahl habe ich eh nicht, da sie mich am späten Nachmittag bzw. abends nicht mehr weiterfahren lassen.

Die Hauptstadt Nouakchott ist der Inbegriff einer unkontrolliert wachsenden Stadt mit mangelhafter Infrastruktur. 1959 ist die Stadt im Zuge der Unabhängigkeit hastig für 30‘000 Einwohner geplant worden. Heute wohnen bzw. hausen hier mehr als eine Million Menschen, darunter sehr viele landflüchtige Nomaden.

Immerhin gibt es hier eine tolle Herberge, in der man auf viele andere „Overlander“ trifft. So auch auf die zwei Italiener Fabrizio und Paolo, Cousins aus den Abruzzen, ebenfalls mit dem Rad unterwegs. Es sind die ersten „richtigen“ italienischen Tourenfahrer, die ich in den letzten Jahren angetroffen habe. Und auch die ersten mir bekannten Tourenfahrer, die täglich mindestens eine Packung Zigaretten qualmen. Aber auch der Dokumentarfilmer Tommaso Cotronei, der eine Reportage über den Eisenerzzug drehen wird und Ivo, ein anderer 55-jähriger Italiener, haben sich in der Auberge Menata eingefunden. Eine richtige italian connection. Und da Tommaso ein fettes Stück Parmesan mitgenommen hat, nutzen wir die Gelegenheit und kochen feine Pasta.

Nouakchott scheint, obschon nicht sonderlich attraktiv, meine Stadt zu sein: überall sind Mauris zu sehen: Mauritel, Mauriart, Mauritrac, Maurigraph, Maurilab, Mauripressing, Mauricenter. Unglaublich, in welchem Zustand gewisse klapprige und völlig verrostete Autos, die jeden Moment auseinanderfallen zu drohen, hier noch ihren Dienst verrichten. Sehenswert in Nouakchott ist immerhin der Port de Pêche, ein Strandhafen, in dem auf einer Länge von über einen Kilometer die farbigen Fischerboote, die Pirogen, aneinandergereiht werden und nachmittags vom Fischfang zurückkehren. Über Rollen werden die Boote von Hand an Land gezogen. Der Fischfang wird auf Eselskarren verladen und zur Verkaufshalle gebracht. Dieser soll, zumindest für die Einheimischen, in den letzten Jahren zurückgegangen sein. Mauretanien hat vor Jahren der EU ein unbeschränktes Fischfangrecht eingeräumt – für jährlich rund 62 Millionen Euro. Der Fischfang bildet heute die wichtigste Einnahmequelle von Mauretanien.

Von Nouackchott fahren Fabrizio, Paolo und ich zusammen los. Von der Sahara geht es fliessend in die Landschaft der Dornsavanne des Sahel über. Wir übernachten im berüchtigten Grenzort Rosso.“ Ein Ameisenhaufen, aber von denen die stechen“, laut einem professionellen französischen Autoschieber. Wir fahren danach einem Damm entlang bis nach Diama. Eine tolle Etappe, entlang des Senegalflusses und von Sumpfgebieten, eine Brutstätte für viele Zugvögel. Wir befinden uns im Nationalpark Diawling. Und kurz vor der Grenze zu Senegal werden wir zur Kasse gebeten, da wir schliesslich durch den Park gefahren sind. Wenige Minuten vorher weiss ich das noch nicht, als ich für ein Landschaftsfoto anhalte. Ein Toyota Pick-Up hält brüsk vor mir an, ein Gendarm springt raus und ruft mir laut und aggressiv zu, was mir denn einfalle. Es sei strengstens verboten hier zu fotografieren. Er müsse die Kamera beschlagnahmen, ich müsse mitkommen auf das Kommissariat und das käme mir teuer zu stehen. Openair-Theater ohne Zuschauer bzw. Zeugen. Ich brauche einige Momente, bis ich realisiere, dass er seine Rolle gut spielt und muss mir schon fast das Lachen verkneifen. „50 Euro“ wolle er, dann könne ich gehen. Ich bleibe ruhig, entschuldige mich höflich für meinen Faux-pas, meine nur, dass ich weit und breit kein Gebäude, schon gar kein militärisches sehe, das Fotografierverbot daher alles andere als offensichtlich sei, wir schliesslich in einem Nationalpark seien, wo rudelweise Warzenschweine über den Weg laufen und viele Vögel beobachtet werden können. Mindestens drei Mal sei mir ein Rudel Warzenschweine über den Weg gelaufen. Und erst recht die Flamingos. Ob er auch welche gesehen habe, das seien ganz tolle Tiere. Und übrigens habe ich den ganzen Tag kein einziges Schild mit Fotografierverbot gesehen. Kurz: ich labere ihn voll. „30 Euro und ich könne gehen“. Nein, ich offeriere ihm eine halbe Packung Biskuits und bleibe standhaft, bis er von seinem Einschüchterungsversuch loslässt und davonfährt. Schade um den guten Ruf der zahlreichen Gendarmes, die sich stets um meine Sicherheit gekümmert haben.

Senegal ist dann eine angenehme Abwechslung: die Leute sind sehr freundlich und höflich. Die Dörfer sind gepflegter. Der Abfall wird nicht mehr neben den Häusern sondern auf der gegenüberliegenden Strassenseite entsorgt. Wir bleiben einige Tage in St. Louis, dem “Venedig Afrikas”. Genau genommen unweit der Hydrobase, wo in den 30-Jahren die Aéropostale Halt machte. St. Louis ist 1658 von den Franzosen gegründet worden und steht heute unter UNESCO-Schutz. Ich verbringe zwei Tage mit den Brüdern Daouda und Mukhtar, die dem Verein „Espoir des enfants de la rue de St. Louis“ vorstehen. Sie kümmern sich um bettelnde Strassenkinder, um die „talibés“, die hier in städtischen Gebieten sehr häufig zu sehen sind. Die talibés laufen in zerrissenen, dreckigen Kleidern, barfuss, mit Betteleimern umher. Sie sind Opfer einer alten senegalesischen Tradition: jede Familie hat einen Sohn einem „Marabout“, einem Koranlehrer anzuvertrauen, der die Verantwortung übernimmt und ihn den Koran beibringt. Der Marabout hat das Recht, die Kinder für sich arbeiten zu lassen und sie auf die Strasse zum Betteln zu schicken. Bringen sie den geforderten Betrag nicht „heim“, werden sie häufig misshandelt. Heutzutage werden Kinder ganz einfach zum Marabout geschickt, weil die Eltern sie nicht mehr ernähren können. Der Marabout muss sich aber um derart viele Kinder kümmern, dass eine Fürsorge schlicht nicht mehr möglich ist. Der Staat stellt immerhin Häuser, Daara, zur Verfügung.

Daouda und Mukhtar versuchen, erste Hilfe zu leisten, Wunden zu versorgen, die Kinder zu unterrichten und ihnen soweit möglich, Essen und Kleider zu beschaffen. Sie beherbergen auch Ausländer, die während Tagen oder Wochen in den verschiedenen Häuser der Marabouts helfen. Freiwillige Helfer sind bei Ihnen stets willkommen.

Weihnachten verbringen wir einige Kilometer weiter südlich, im Nationalpark Langue de Barbarie. Hier befindet sich ein Campement, die Zebra-Bar. Ein beschaulicher, ruhiger Ort inmitten von Palmen und Akazien, von einem Schweizer Paar vor 15 Jahren gegründet. Man trifft hier auf andere ganz normale Leute, wie etwa die pensionierten Ron und Linda aus England, die mit ihrem Morris Minor, Jahrgang 1953, nach Südafrika unterwegs sind.

Oder Chris und Sue, ebenfalls Engländer, und gleichfalls auf dem Weg nach Südafrika. Sie haben ihren Heissluftballon mitgenommen und fliegen diesen in jedem Land, das sie bereisen. Mit oder ohne behördliche Bewilligung. Entweder landen sie auf den Boden oder im Gefängnis. Beides haben sie schon zur Genüge erlebt.

Silvester werde ich in Dakar verbringen. Bei einem sehr gastfreundlichen Auslandschweizer, Sacha, der ebenfalls viele Velotouren unternommen hat und hier in einer Kunstgalerie arbeitet.

An dieser Stelle sei noch erwähnt, dass aufgrund der Sicherheitslage in Mali – es gab unweit des Pays du Dogon Entführungen Ende November – Helvetas und ich beschlossen haben, den Projektbesuch und die Spenden auf Benin zu verlegen. Ich hoffe, dass dies im Sinne der zahlreichen Spenderinnen und Spender ist, die jedenfalls noch persönlich von Helvetas kontaktiert werden. Ich hoffe auf Euer Verständnis. So, und spätestens jetzt ist Zeit, den Champagner kühlzustellen, um auf ein zufriedenes und erfülltes Jahr 2012 anstossen zu können. Bis bald, Maurizio.


Sahara-Express

Am 8. November ist die Zeit gekommen, mich von Mélanie zu verabschieden. Am Morgen machen wir im Souk wie Obdachlose Jagd auf Riesenkartons, um das Velo flugtauglich verpacken zu können. Ich begleite Mélanie zum Flughafen und nach einem tränenreichen Abschied fahre ich mit dem Taxi alleine zurück ins Riad. Ich esse noch einmal auf dem Hauptplatz Djema el Fnaa, wo sich Schlangenbeschwörer, Henna-Zeichnerinnen, Orangensaft-Verkäufer, Imbissbuden, Schnecken-Stände, Musikanten, Einheimische und Touristen ein Stelldichein geben. Am nächsten Tag nichts wie weg Richtung Hoher Atlas. In der charmanten Jugendherberge in Asni, die noch wie genau vor fünfzig Jahren aussieht, spartanisch aber zweckdienlich, mache ich Halt. Und halte ein langes Schwätzchen mit dem Sohn des Jugi-Betreibers. Er geniesst hier oben die Ruhe und die Kühle, den Olivenhain hinter der Jugi, amüsiert sich über das französische Paar, das auf Trekkingtour ist, sich dafür eigens einen Esel gekauft haben und nun bis am Samstag warten müssen, um im Souk Heu zu kaufen. Er hat wegen dem Fest Aïd el Kebir ein paar Tage frei und erholt sich von seinem Job im teuersten Hotel in Marrakech, wo nicht tausend und eine sondern eine einzige Nacht über 1‘000 Dollar kostet. Die fehlende Dusche bei Billighotels, in denen man ab 3 oder 4 Euros ein einigermassen anständiges Zimmer bekommt, ist nicht notwendig ein Manko. Denn meistens gibt es in der Nähe ein Hammam, wo man sich gut waschen und entspannen kann. So auch in Asni. Ab 18 Uhr sei für Männer geöffnet, die beste Zeit, um sich dort in Ruhe zu schrubben und zu waschen, meint ein Einheimischer. Wenn nicht gerade Aïd el Kebir wäre und überall der Brauch herrscht, dass Horden von Jungen mit schwarz angemalten Gesichtern und eingekleidet in schwarzen Schaffellen durch Dörfer ziehen und Geld für das Fest sammeln. Und sich danach im Hammam wieder reinmachen und ein Affentheater veranstalten. Aber amüsant ist es allemal.  So oft es geht, suche ich ein Hammam auf. Man schnappt sich zwei Kübel, füllt heisses und kaltes Wasser rein und hält sich je nach Lust und Laune in einem der drei verschieden heiss-feuchten Räumen auf, schwitzt, seift  und schrubbt sich ein und begiesst sich nach Belieben mit heissem, warmem oder kaltem Wasser.

Von Asni aus ist es nicht mehr weit bis zum Djebel Toubkal, mit 4‘177 Metern der höchste Berg Nordafrikas. Ich lasse ihn aus, zumal ich ihn bereits vor drei Jahren bestiegen habe. Besteigung ist stark übertrieben, denn es handelt sich, zumindest aus schweizerischer Sicht, um eine normale zweitägige Bergwanderung ohne Schwierigkeiten.

Die Passstrasse Tizi’n Test auf 2‘092 Metern hingegen ist, aus radfahrerischer Sicht, sehr spektakulär und die Berge des Hohen Atlas ringsherum sensationell. Auch die Abfahrt Richtung Süden ist vom Feinsten, nicht sehr steil und sehr langgezogen. Runter bis nach Taroudannt, eine angenehme Stadt um sich einen Tag zu erholen und die „tanneries“, die Ledergerbereien zu besuchen. Es ist nicht viel los, die ganze Woche wird schliesslich gefeiert. Aber es sind bereits unzählige Schafsfelle hergebracht worden, die bearbeitet werden wollen.

Agadir lasse ich aus und nehme den direkten Weg nach Tiznit. Hier muss ich mich unzählige Male durchfragen, denn einige Strassen sind auf meiner Karte nicht bzw. nicht richtig eingezeichnet. Praktisch kein Verkehr, ausser einigen mauretanischen Pantherschildkröten, die mir über die Strasse laufen und gehörig anfauchen, als ich sie anfassen möchte.  Auch die Landschaft fängt langsam an, steppen- und wüstenhafter zu werden. Als ich am Abend durch landwirtschaftliches Gebiet fahre, frage ich Einheimische, ob ich hinter ihrem Haus mein Zelt aufschlagen könne. Sicher doch. Ein Teppich wird vor meinem Zelt ausgebreitet und als ich soeben meinen Riesenpfanne Pasta fertig gegessen und abgewaschen habe, kommt Abdullah, von Beruf Schulbus-Chauffeur, und grilliert vor meinem Zelt noch Schaffleisch-Brochettes, die wir dann gemeinsam im Schulbus bei einer Runde Tee essen. Und so komme auch ich noch in den Genuss von einem Aïd el Kebir-Schaf. Stolz zeigt er mir seine 7 Monate junge Tochter Jasmin. Am nächsten Morgen ist er sehr früh schon weg, um die Schulkinder einzusammeln. Dafür leistet mir sein Vater Gesellschaft beim Morgenessen mit frisch gebackenem Brot, Konfitüre und Früchten.

Auf der Hauptstrasse Agadir-Tiznit herrscht viel Verkehr. Einige tote Ziegen am Strassenrand. Und sogar ein richtig grosses Wildschwein. Erst im Nachhinein wird mir bewusst, dass der Anblick eines Schweines ja eher selten in einem muslimischen Land ist. Spontan entscheide ich, einen Umweg über die Küste zu nehmen und nach Sidi Ifni zu fahren. Es liegt zwar eine Hügelkette dazwischen, die Anstrengung zahlt sich aber allemal aus. Sidi Ifni ist ein sehr angenehmer Ort, um sich zu entspannen, die Seele etwas baumeln zu lassen und nochmals Kräfte zu tanken. Die Stadt ist in den 1930ern von den Spaniern auf einem Felsen ganz im Art Deco Stil gegründet worden. Vorher lebte dort überhaupt niemand. Die Spanier besassen diesen Flecken Land bereits von 1476 bis 1524, als der Ort noch  Santa Cruz del Mar Pequeño hiess. Sie wurden dann vertrieben und sicherten sich die Herrschaft erst wieder 1860 im Abkommen von Tetouan.

Die Stadt versprüht einen ganz eigenen Charme und ist untypisch marokkanisch, sehr relaxt, beliebt bei Surfern, gutes Essen, guter Kaffee. Keine engen Souks. Der alte Flugplatz zieht nach wie vor einen Strich durch die Stadt und wird alljährlich für ein grosses Fest gebraucht, um den Weggang der Spanier im Jahre 1969 zu feiern. Es scheint mir aber, dass wenige Marokkaner Groll gegen die Spanier hegen. Im Gegenteil: in vielen Läden hängen F.C. Barcelona Flaggen und die Spiele der spanischen Liga werden eifrig in Cafés und Restaurants verfolgt. Und natürlich träumen viele von Spanien und Europa.

Einige Gebäude, wie der Twist Club oder das spanische Konsulat, sind am Verfallen. Andere wurden restauriert. Das älteste Hotel der Stadt, „La Suerte Loca“ – Das Wahnsinnsglück, gibt es nach wie vor und dort komme ich unter. Ein Wahnsinnzufall ist es dann abends, als ich in der Stadt rumspaziere und auf Freunde aus der Schweiz treffe. Unglaublich: Fotograf Andreas Kramer und seine Freundin Karin, die mir 2006 auf dem Pamir Highway in Tajikistan auf dem Velo begegnet sind, laufen an mir vorbei. Wer an meinem Diavortrag in Liestal in der Aula Burg anwesend war, mag sich vielleicht an ihn erinnern, da er einleitend eine kurze Rede gehalten hat. Diesmal sind sie mit ihrem neu umgebauten Landrover für vier Wochen in Marokko unterwegs.

Am nächsten Tag machen wir natürlich zum Morgenessen ab und fahren zur Legzira Beach, wo zwei eindrückliche Bögen den Strand zieren und Paraglidern als Kulisse für ihre waghalsigen Manöver dienen. Was für eine tolle Überraschung! Vor einem Jahr haben wir in Basel an der Herbstmesse noch Bratwürste gegessen, jetzt sitzen wir in der Sonne und verzehren Salami und Schweizer Käse !

Eine Wahnsinnsfreude bereite ich ungewollt dem pensionierten Julio Anton, den ich in Spanien eines Morgens in der einzigen Bar von Manzaneruela kennengelernt habe. Endlich komme ich dazu, ihm das versprochene Foto von der boccadillo-essenden und chupito-trinkenden Männerrunde zu schicken und sende ihm nebenbei Grüsse aus Sidi Ifni. Postwendend schreibt er mir zurück, dass ich ihm soeben eine Riesenfreude bereitet habe, weniger wegen des Fotos, sondern weil ich mich gerade aus dem Ort melde, in dem er 1959 als junger Bursche in einem Amphibienfahrzeug gestrandet ist und seinen Militärdienst absolviert hat. Er zählt mir einige Orte auf, die ihm noch bestens bekannt sind, unter anderem auch „La Suerte Loca“…

Mit neuen Kräften starte  ich Richtung Guelmim und West-Sahara. 1‘300 Kilometer Wüste. In der Vorstellung sieht das so aus: meterhohe Dünen, durch die man sich mehr schiebend als fahrend durch sandige Pisten durchkämpft und Sandstürmen trotzt. Zum Glück sieht die Wirklichkeit nüchterner aus: eine mehr oder weniger pfeiffengerade, gut asphaltierte Strecke, durch eine steinige, öde und karge Landschaft. Outback-mässig. Hier und da ein paar Büsche, um gerade noch das Zelt verstecken zu können. Eher selten Dünen. Einmal sogar eine alleinstehende grosse Sicheldüne. Häufig führt die Strasse nahe am Rande der Küste, die schroff um rund 50 Meter hinunterfällt. Ein böser Unfall: eine Frontalkollision zwischen einem Kleinlaster und einem Mercedes-Taxi. Vereinzelt Zelte von Fischern. Dann und wann Kamel- bzw Dromedarherden. Und Heiterkeitsanfälle, wenn man von einem Landrover mit 4 (in Worten: vier) Kamelen auf der Ladefläche überholt wird. Und es geht doch ! Aufschlussreiche Erkenntnisse, wenn der Wind den Sand aufwirbelt: bestreicht man sein Brot mit Schmelzkäse und isst es nicht sofort auf, hat man ein plötzlich ein Sand-Wich.

Strecken von 100 bis 140 Kilometer ohne Versorgungsmöglichkeiten. Ab und zu eine langersehnte Tankstelle mit Café und kleinem Laden. Aber auch einige grössere Städte mit allen Annehmlichkeiten. Insgesamt also mit ein bisschen Planung gut zu befahren. Und zudem soll meistens ein Nordwind, d.h. ein kräftiger Rückenwind blasen. Ich bin gespannt und traue der Sache nicht ganz. Am Anfang sieht es noch nicht sehr danach aus, im Gegenteil, ich habe eher Seiten- bzw. leichten Gegenwind. Besser gesagt wir. Denn ich treffe auf Jeff, einem Australier um die 50, der von Stockholm nach Dakar fährt und Richard, einem 22-jährigen Schweizer, der das gleiche Ziel anpeilt. Beide radeln seit Barcelona zusammen.

In Laayoune, der grössten Stadt in der Westsahara, legen wir einen Ruhetag ein. Unterwegs begegnen wir einem anderen, wegen seinen vielen Afrika-Eindrücken sichtlich mitteilungsbedürftigem Tourenfahrer, der von Südafrika gestartet ist und sogar durch den Kongo geradelt ist. Zufällig ist er wie Jeff auch Australier, auch aus Sydney und auch aus der Cleveland Street. So klein ist manchmal die Welt.

Auffallend ist in Laayoune die Vielzahl der weissen mit UN beschrifteten Jeeps. UN peacekeeper, die hier seit 1991 stationiert sind, als sich Marokko und die Unabhängigkeitsbewegung Frente Polisario auf einen Waffenstillstand geeinigt haben. Ziel des Frente para la Liberación de Seguiat el Hamra y Rio de Oro (Polisario) war die Unabhängigkeit der spanischen Kolonien „Rio de Oro“ mit der Kapitale Villa Cisneros (heute Dakhla) und „Seguiat el Hamra“ mit dem Hauptort Laayoune. Bereits 1966 erliessen die Vereinten Nationen eine Resolution, wonach Spanien eine Abstimmung über die Unabhängigkeit in der Sahara durchzuführen habe. Die arabischstämmigen Saharawis kamen aber vom Regen in die Traufe: der marokkanische König Hassan II organisierte la „marche verte“ und liess 350‘000 Marokkaner (und Soldaten) in die Westsahara einmarschieren und teilte sich mit Mauretanien den Kuchen in einem Abkommen, obschon auch Den Haag das Selbstbestimmungsrecht der Saharawis feststellte. 1976 gründete der Frente Polisario einen eigenen Staat, der von der Afrikanischen Union anerkannt wurde. Viele Saharawis flohen im Zuge der Auseinandersetzungen nach Algerien, wo sie noch heute unter prekären Bedingungen in einem Flüchtlingscamp mit über 200‘000 Menschen leben. Mit einem solchen Saharawi (natürlich nicht der auf dem Bild hier unten), die das Hassani, einem arabischen Dialekt sprechen, komme ich in einer Tankstelle kurz ins Gespräch: er zeigt mir seinen algerischen Pass. Um nach Boujdour zu reisen, muss er einen Umweg über Mauretanien machen, dort den Eisenerzzug nehmen. Kurz darauf verschwindet er in den Bus, der weiterfährt.

Um Fakten zu schaffen, bauen die Marokkaner entlang der Strasse kleine Siedlungen, die aber meist leer stehen. In einer solchen will ich die Arbeiter fragen, ob ich zelten könne. Einer spricht mich auf Italienisch an: „Ueglio, e tu che ci fai qui?“ Er hat lange in Italien gearbeitet. Ich darf dann sogleich in einer leerstehenden Wohnung schlafen. Ein Haus ist sogar mit „Centre de santé de soins de base“ beschriftet. Ob es je eröffnet wird, ist sehr fraglich. Gesellschaft leisten mir fünf weisse putzige Welpen. Die Mutter sei seit vier Tagen verschwunden, meint der „chef de chantier“, der mir Nektarinen, Äpfel und Datteln schenkt. Ich spende den süssen Welpen meine Wurst, wohlwissend, dass sie kaum eine grosse Chance haben werden, zu überleben. Die Mutter liegt drei Kilometer weiter vorne tot im Strassengraben.

Endlich. Nach Tarfaya, als die Strasse von Westen nach Süden abknickt, kommen Hochgefühle auf. Mit Geschwindigkeiten von 30 bis 40 Km/h blitzen wir durch die Ebene.  Ich fühle mich wie auf dem Rennvelo, einfach ge…, genial. Es gelingt mir, an diesem Tag fast 200 Kilometer zu fahren.  Aviatik-Interessierten mag Tarfaya unter dem Namen Cap Juby besser bekannt sein.  Alljährlich macht hier im Oktober die „Rallye Aérien“, die von Toulose nach Dakar führt, Halt. Tarfaya war eine Station für die Flugpost nach Südamerika und hier war auch einige Jahre der Pilot und Schriftsteller Antoine de St. Exupéry, Autor des weltweit beliebten Kinderbuches „Le Petit Prince“, stationiert. Eingepfercht in seinem kleinen Büro hatte er genügend Zeit, um seine Erzählungen niederzuschreiben. Wenn er nicht gerade mit Saharawis über das Lösegeld für die in der Wüste abgestürzten Flugpiloten am Verhandeln war. Ein kleines Museum der „Association des Amis de Tarfaya * Mussée Antoin de S. experey“ (sic!) mit vielen Informationen lädt zu einer willkommenen Auszeit ein, um in die Geschichte des Flugpostverkehrs einzutauchen.

Nach dieser langen Etappe, auf der ich mich von meinen Reisekumpanen verabschiede, ist mit Rückenwind dann auch schon Schluss, Wolken ziehen auf, sogar einige Regentropfen fallen vom Himmel und der Wind bläst mir ins Gesicht. In der gleichen Zeit wie am Vortag, aber mit viel mehr Anstrengung, schaffe ich es nur noch auf 120 Kilometer. Erst vor Dakhla stimmen Fahrt- und Windrichtung wieder überein. Hier in der Westsahara die Temperaturen erträglich. Am Morgen kühle 15 Grad, am Nachmittag um die 25 bis 30 Grad. In Dakhla werden aus einem Ruhetag drei, ich brauche Zeit, um die Weiterreise zu planen und einfach einmal ein Buch in die Hand nehmen zu können, einen Moment innezuhalten. Der Angestellte im Hotel ist übrigens in Sidi Ifni aufgewachsen, neben dem “La Suerte Loca”…Noch sind es 350 Kilometer bis zur mauretanischen Grenze.

Noch ein bisschen Werbung in eigener Sache. Zum Glück bekomme ich vom ganzen Weihnachtsrummel nicht viel mit, der in Europa wohl in vollem Gange ist. Wer den Menschen in Mali ein Geschenk machen will, damit dort ein Dorfbrunnen gebaut werden kann und diese Zugang zu etwas für uns so Selbstverständlichem aber Lebensnotwendigem wie Wasser bekommen, kann gerne spenden. Jede Spende, mag sie auch noch so klein und symbolisch sein, freut mich und noch mehr die Nutzniesser ungeheuer. Und natürlich kann sie von den Steuern abgezogen werden. Shukran !