Reisebericht

Zum heiligen Berg der Massai

IMG_4645 (640x389)

Bevor ich über meinen letzten Ausflug berichte, liegt es mir am Herzen, meine Spendenaktion für Helvetas in Erinnerung zu rufen. Ich sammle derzeit für die letzte Etappe, fuer ein Hängebrücken-Projekt im Norden Äthiopiens, in der Region Tigray. Von Nairobi, wo ich mich gerade aufhalte, ist es nicht mehr so so weit weg. Deshalb: es wäre toll, wenn sich die Unentschlossen und die Auf-Die-Lange-Bank-Schieber sich dazu durchringen könnten, ein Zeichen der Solidarität zu setzen.

IMG_4613 (640x427)

Nun aber zurück nach Tansania. In Arusha, am Fusse des Mount Meru, komme ich beim Amerikaner Erik und seiner tansanischen Ehefrau Bernice unter. Erik lebt seit über 35 Jahren in Tansania, sein Vater hat in Tansania eine Schule gegründet. Ich lerne ihn über ein Netzwerk für Tourenradler kennen. Als ich ihn kontaktiere, hält sich gerade ein anderer japanischer Tourenradler, Sekiji, bei ihm auf. Sekiji habe ich vor Wochen bereits ebenfalls kontaktiert. Ein anderer japanischer Radler hat mir vor Monaten von ihm erzählt.
IMG_4521 (640x427)
Von Arusha führt eine gut geteerte Strasse nordwärts schnurstracks zur kenianischen Grenze. Doch irgendwie habe ich Lust, noch einen Schlenker zu machen, abseits auf Pisten zu fahren. Ngorongoro, Serengeti und Lake Manyara können nur mit organisiserten Safaris für unanständig viel Kohle besucht werden. Für mich ausser Reichweite. In zwei, drei Tagen würde ich dort mein Monatsbudget verbraten. Aber als ich die Karte genauer studiere, entdecke ich den Vulkan Oldoinyo Lengai, den heiligen Berg der Massai, nördlich des Ngorongoro Kraters. Dass „Buscharzt“ Stevens, ein Freund von Erik, in der Gegend wohnt passt perfekt. Erik kennt das Gebiet gut und gibt mir noch einige Tipps. Doch zunächst ersetze ich das Tretlager an meinem Drahtesel. Danach nichts wie los: an einem Tag fahre ich zunächst nach Mto Wa Mbu, am Rande des Lake Manyara, in einem sehr fruchtbaren Gebiet. Dort stocke ich meine Vorräte auf: Ananas, Orangen, Grapefruit, Mango, Gurken, Tomaten, Avocado, Brot. Übrigens besteht der Verkehr zwischen Arusha und Mto Wa Mbu schätzungsweise zu zwei Drittel aus Safaris-Jeeps, die zu den grossen Parks fahren.

IMG_4491 (640x427)
Auf einer recht passablen Piste fahre ich nun am westlichen Rand des Ngorongoro-Hochlandes entlang. Das Gebiet liegt in einer Senke, es kann dort sehr sehr heiss werden. Ich habe aber Wetterglück: abgesehen von einem Sandsturm macht der Himmel zu, es ist bewölkt, nicht mehr so heiss. In Engaruka esse ich einen Teller Reis und Bohnen, fahre dann sofort weiter, ohne mir die Ruinen eines über 500 Jahre, geheimnisvollen alten komplexen Bewässerungssystems anzuschauen. Eingefleischte Archälogiebegeisterte mögen mir das verzeihen. Doch ich muss weiter, Wasser gibt es nach Engaruka keines mehr.
IMG_4610 (640x427)
Nach 10 Km, als der Busch aufhört und es wüstenhafter wird, sehe ich eine Boma, eine kraalartige Festung der Massai. Die farbenprächtigen Massai sind ein Nomadenvolk, die Viehzucht betreiben, im Norden Tansanias und Süden Kenias ansässig. Sie stellen sich aktiv dem Wandel entgegen und leben wie seit Jahrhunderten. Das Vieh steht im Mittelpunkt des Lebens, liefert eine Vielzahl von wichtigen Gütern: Blut, Fleisch, Milch, Häute und Felle. Die Massai jagen so gut wie gar nicht. Frauen haben in der patriarchalischen Gesellschaft, die Vielweiberei zulässt, nicht viel zu melden. Die Zeiten haben sich geändert: Dürre, Bevölkerungsdruck, Landrestriktionen, Schulbildung und Gesundheitsfragen schränken die Lebensweise der Massai zunehmend ein. Auffallend ist der Ohrschmuck und geweitete Ohrlöcher, bei Frauen wie auch bei Männern. Junge Männer werden traditionell beschnitten. Die Beschneidung wird ohne Betäubung, ohne hygienische Massnahmen vollzogen. Die Jungen dürfen keinen Schmerz zeigen, es wäre eine Schande für die Familie. Schon wenige Tage später dürfen sie auf Vogeljad gehen. Sie kleiden sich danach noch monatelang schwarz. Tradition scheint auch die Angewohnheit zu sein, ohne Wasservorraete unterwegs zu sein. Sehr oft werde ich um Wasser gebeten.
IMG_4393 (640x427)
Nun, ich denke mir: wieso nicht in dieser Boma übernachten? Ich bekomme so einen Einblick in das Leben der Massai. Klar doch, ich darf mein Zelt innerhalb aufstellen. Als ich noch im Adamskostüm hinter einem Dorngebüsch mich mit tiefbraunem Wasser wasche, von dem ich nicht so recht weiss, ob ich danach wirklich sauberer bin, kommt schon ein Jüngling mit Speer dahergelaufen, lässt sich vom Anblick nicht beeindrucken und meint forsch, ich müsse dann der „mother“ etwas bezahlen. Selbstverständlich, ich werde ihr natürlich ein Geschenk machen. Nichts da, 50‘000 Schilling, rund 30 Dollar, solle ich bezahlen. Ein lächerlich hoher Preis – eine Nacht in einem sauberen Guesthouse, inklusive Dusche und Badtuch kostet rund 5-7‘000 Schilling. Ich habe keine Lust zu verhandeln. Obschon es schon dämmert, meine ich genervt, dass ich mein Zelt wieder zusammenpacke und ausserhalb zelten werde. Schlussendlich bleibe ich, bezahle 10‘000 Schilling und verziehe mich sofort ins Zelt. Noch in der Dunkelheit starte ich am nächsten Tag. Ich nehme es den Leuten nicht übel, die exorbitanten Preise für Safaris mögen einen falschen Eindruck erweckt haben. Doch der Weisse gilt als Krösus – und ist es auch im Vergleich zum äusserst bescheidenen Lebenstil der Massai.

IMG_4682 (640x427)

Ich fahre nun am Vulkan Oldoinyoi Kerimasi (2‘614 m) vorbei. Schon bald sehe ich dann endlich den Oldoinyo Lengai (2‘878 m), den „Berg Gottes“ in der Sprache der Massai. Der Gott Engai trohnt auf ihm. Die Massai glauben, dass Engai ihnen alle Rinder der Erde überlassen haben und alle anderen Rinderbesitzer folglich Viehdiebe sein müssen. In der Vergangenheit war dies oft Auslöser für blutige Auseinandersetzungen. Es hat ihnen den Ruf des „kriegerischen“ Massai eingebracht. Auch geologisch ist der aktive Vulkan mit einer gleichförmigen Form einzigartig. Es ist weltweit der einzige Vulkan, der Karbonatitlava fördert, das so dünnflüssig wie Wasser ist.

IMG_4701 (640x427)
Die östlich führende Abzweigung zum Dorf Gelai-Bomba finde ich nur nach einigem Suchen – ich bin ja ohne GPS unterwegs. Eine Viehpfad führt nun durch ein wunderschönes Gebiet, umgeben vom Kerimasi, dem Lengai und den Vulkanen Ketumbeine und Gelai. Es wird auch die kleine Serengeti genannt. Ich sehe Zebras, Gnus, Antilopen, Giraffen (auf dem Bild oben ist eine zu sehen!), Störche, Greifvögel und sogar Spuren einer Grosskatze. Einige Kilometer lang muss ich das Rad durch weichen Untergrund und steinige Flussbette schieben. Seit Wochen scheint hier niemand mehr vorbeigefahren zu sein.
IMG_4705 (640x427)
Als ich in Gelai Bomba ankomme, fängt es an zu regnen. Am nächsten Tag komme ich in Ketumbeine an, wo ich beim Arzt Stevens und seiner Frau Bethanie unter. Die Klinik wird von der Lutheran Church betrieben und versorgt die Massai in der Gegend. Als Haustier hält Stevens ein lustiges Tier, ein Dirkdikdik, eine kleingewachsene Gazelle. Weniger lustig ist, dass ich zusehen darf, wie Stevens einer schwangeren Patientin mit Ultraschall diagnostiziert, dass ihr ungeborenes Kind tot ist. Bethanie kümmert sich um ein Projekt, das Frauen ein geringes Einkommen sichert, indem sie Schmuck herstellen.
IMG_4704 (640x361)
Bevor ich die Teerstrasse erreiche, fahre ich einer Gruppe von neunzehn Giraffen entgegen. Schon bald bin ich dann an der Grenze zu Kenia. In zwei Tagen erreiche ich dann die Hauptstadt von Kenia, Nairobi, in Anspielung an den schlechten Ruf auch „Nairobbery“ genannt. Da ich hier die Visas für die Weiterfahrt besorgen muss, bleibt mir ein Aufenthalt nicht erspart. Doch ich habe das Gefühl, bei den richtigen Leuten zu landen. Der Couchsurfer Tristen und seine kenianische Ehefrau Gee beherbergen mich. Sie sind mir eine grosse Hilfe, mich in dieser Grosstadt zurecht zu finden. Kleine Welt: Sekiji war auch bei Ihnen und ein anderer deutscher Radler, mit dem ich einige Emails ausgetauscht habe, ebenfalls. Ich finde hier in Nairobi auch schnell Ersatz für meine billige, abhand gekommene Plastikuhr. Dass die Uhren hier in Afrika anders ticken, ist mir schon bewusst. Aber die Uhr verrichtet sozusagen im afrikanisch untypischen Eiltempo ihre Arbeit und ist nach einem halben Tag schon zwei Stunden voraus.

IMG_4495 (640x427)

Und hier noch ein kleines Video zum Abschluss:

 


A Kind Of Magic

IMG_2073 (800x577)
Den letzten Reisebericht habe ich aus Dar Es Salaam veröffentlicht. Mittlerweile sind vier Wochen vergangen, wovon ich zwei Wochen „Urlaub“ gemacht habe. Meine Schwester Maria stattet mir hier in Tansania einen Besuch ab. Sie kommt von einer tollen Safari durch die berühmtesten Parks – die Serengeti, Ngorongoro-Krater und Lake Manyara. Ich fahre ihr ein Stück entgegen. Wir machen dann in den Usambara-Bergen ab, genau genommen in der Mambo Viewpoint Lodge (LINK) ab. Ein beschwerlicher Weg, denn von der Hauptstrasse muss ein Bus nach Lushoto genommen werden, von dort sind es dann nochmals 3 Stunden mit einem überfüllten Dalla-Dalla über eine gewundene Erdpiste durch den Gemüsegarten von Tansania und vorbei an einer Anzahl von kleinen verschlafenen Dörfern. Die Landschaft ist grün, üppig. Möhren, Kohl, Tomaten werden hier auf rund 1‘500 M.ü.M. angepflanzt.
IMG_2406 (800x533)
Nach über 16 Monaten unterwegs also kann ich wieder ein Familienmitglied umarmen ! Die Freude über das Wiedersehen ist gross. Die Mambo Viewpoint Eco-Lodge ist erst vor vier Jahren eröffnet worden. Die Lage ist sensationell mit atemberaubenden Blicken auf die Buschlandschaft der Mkomazi-Ebene. Die Lodge bezieht die Dorfgemeinschaft ein, versucht deren Kompetenzen zu stärken und sie zu eigenen Geschäftsaktivitäten zu animieren. Nach einem Spaziergang durch das Dorf Mambo und einem lokalen Essen in einer Mgahawa, einer einfachen Schenke, laufen wir wieder zurück hoch zur Lodge. Die Einheimischen veranstalten Tanz und Musik, doch vor Silvester sind wir schon im Bett, denn am nächsten Tag geht es um 6 Uhr früh wieder los.
IMG_2179 (800x533)
Wir fahren zurück nach Dar Es Salaam, um die Fähre auf die Insel Sansibar zu nehmen. Der Name klingt mythisch, weckt Fernweh, bürgt für Exotik. Doch die Zeiten haben sich geändert. Nicht mit einer knarrenden Segel-Dau setzen wir über. Mit einem modernen, klimatisierten Schnellboot fegen wir mit über 30 Knoten in eineinhalb Stunden auf die Insel Unguja. Wir legen in der Altstadt von Sansibar, in Stone Town an. Zum Glück bleiben die meisten der jährlich 100‘000 Touristen, wovon alleine ein Drittel italienischer Herkunft sein sollen, nicht in Stone Town, sondern sürmen die weissen, palmengesäumten Strände rings um die Insel.
IMG_1668 (800x538)
Bereits arabische Handelsleute gründen vor über 1‘000 Jahren Handelstützpunkte auf der Insel. Persische Händler aus Shiraz segeln im 8. Jahrhundert nach Ostafrika und legen sich hier nieder. Sansibar entwickelt sich in der Folge zu einem reichen Staat, der Handel mit Sklaven, Gold, Elfenbein und Gewürzen blüht. Der Handel mit dem Osten bringt dann auch die islamische Kultur und die städtebauliche Entwicklung ins Land. Im 16. Jahrhundert schauen die Portugiesen vorbei, danach die Briten und schliesslich die Omanis, welche die alleinige Herrschaft anfangs des 19. Jahrhunderts übernehmen. Der Handel mit Nelken, Sklaven und Elfenbein erstarkt derart, dass der Sultan von Oman um 1840 seinen Hof vom persischen Golf nach Sansibar verlegt.
IMG_1650 (800x533)
Es braucht nicht viel Zeit, sich vom Zauber der verwinkelten, engen Kopfsteingassen der Altstadt einnehmen zu lassen. Tagelang kann man sich hier verirren, alten Männer mit kofias (Mützen) schlürfen gerne Kaffe, spielen das Brettspiel bao, unterhalten sich. Frauen in schwarzen Gewändern tratschen, Kinder spielen Fussball. Die Stadt ist sehr muslimisch geprägt, die meisten Frauen tragen farbige Kopftücher, auch Burkas sind zu sehen. Gut verhüllt ist ein anderes Phänomen hier in Sansibar: es gibt viele Drogensüchtige. Heroin wird direkt aus Pakistan importiert. Spottbillig. Ein US-Dollar das Gramm.
IMG_1823 (800x533)
Nicht verbergen kann Sansibar den berühmtesten Sohn der Insel, Farrokh Bulsara, besser bekannt unter dem Künstlernamen Freddie Mercury. 1946 wird er auf der Insel als Sohn einer wohlhabenden parsischen Familie geboren. Als Achtjähriger muss die Familie nach Indien fliehen, später geht er nach Indien. 1991 stirbt die Ikone für Schwule an den Folgen von HIV. HIV und Homosexualität: zwei Tabuthemen hier auf Sansibar. Entsprechend umstritten ist der Sänger von Queen auf der Insel.
IMG_1615 (800x533)
Doch die Einheimischen sind, trotz einigen kopflosen Touristen, die leichtbekleidet herumlaufen oder den Bierwanst zur Schau tragen, tolerant, freundlich, heissen uns mit einem freundlichen „Karibu“ willkommen. Besonders pittoresk ist der kleine, äusserst belebte Hafen im Norden von Stone Town, wo die ankommenden Fischer belagert werden. Nebenan finden sich etwas versteckt bedeckte Garküchen, in die sich die wenigsten Touristen wagen. Aber gerade hier kommen wir schnell ins Gespräch mit Menschen. Abends versammelt sich die schick gekleidete Bevölkerung in den Forodhani-Gärten, wo es Spiesschen am Laufmeter gibt.
IMG_3317 (800x533)
Die Strassenhändler buhlen auf recht eindringliche Weise um die Touristen, drücken einem einen Pappteller in die Hand und leiern das Angebot runter: Jumbo Prawns, Shirimpsi, Octopus Mix, Lobster spice, Lobster no spice, Chicken Masala, Chicken non Masala, Ginger Beef, Tuna, Barracuda, Snaper, Solomoni Fish, Chappati, Coconoti Breadi, Garlic Breadi, Simusi Breadi, Falafel, Samosa Vegetarian, Somasa Beef, Mahendi (Cassava), Bread Fruiti, Chipsi. Eine leckere Auswahl kann dann mit einem kräftigen Schluck frisch gepressten Zuckerrohrs, verfeinert mit Limetten und Ingwer, runtergespült werden. Der Garten ist ein beliebter Treffpunkt. Viele Jugendliche springen allabendlich bei Flut zur Belustigung der Zuschauer ins Wasser und vollziehen oftmals kunstvolle Piroutten. Die Sonnenuntergänge könnten am Strand von Stone Town nicht kitschiger sein.
IMG_2194 (800x533)
Eine halbtägige Spice-Tour auf der Gewürzinsel ist schon fast ein Muss. Mr Mitu führt täglich viele Interessierte auf einige Plantagen, und man lernt Gewürznelken, Muskatnuss, Pfeffer, Kardamom, Vanille, Kurkuma, Zitronengras und viele andere Pflanzen im Naturzustand kennen. Anschliessend wird ein feines Gemüsecurry serviert und zum Abschluss wird man noch an einen tollen Sandsttrand geführt, wo man eine Stunde lang im azurblauen, warmen Wasser planschen kann.
IMG_1766 - Kopie (800x533)
Ebenfalls nicht verpassen sollte man auf Sansibar einen Schnorcheltrip. Die Korallenriffe und die Unterwasserwelt im türkisblauen Meer vor der Insel sind weltberühmt. Zwei Stunden Schnorcheln, unterbrochen von einem leckeren Lunch mit vielen Früchten, sind ausreichend, um gehörig Sonne abzubekommen und sich von der reichen Unterwasswelt bezaubern zu lassen.   OLYMPUS DIGITAL CAMERA

Von Sansibar aus wagen Maria und ich uns auf die zweite grosse Insel, Pemba, die praktisch keine Touristen zu sehen bekommt. Man bekommt hier entsprechend auch keine netten Lodges und gestilten Restaurants mehr zu sehen. Pemba ist noch sehr ursprünglich und pittoresk. Nachts gibt es in der Hauptstadt Chake Chake eine Handvoll einfacher Holzstände, von Petrollampen notdürftig beleuchtet. Hier wird auf Zeitungspapier frittierter Pweza (Tintenfisch), Maandazi (Donuts) und Mishikaki (Fleischspiesschen) serviert. Ansonsten muss man sich mit Chipsi – Mayai, einer Art Tortilla, begnügen.
IMG_3532 (800x533)
Von Chake Chake buchen wir einen Ausflug auf die kleine Insel Misali, die seit 1998 geschützt ist. Nur Tagesbesucher sind erlaubt, Luxuslodges glücklicherweise nicht. Der Tag vergeht wie im Fluge: Schnorcheln vor dem Korallenriff, ein Spaziergang zu einem faszinierendem Mangrovenwald, in dem uns vor allem die Einsiedlerkrebse in den Bann ziehen.
IMG_3601 (800x533)
Mustafa, unser Kapitän, tischt uns ein einfaches, aber köstliches Mittagsessen mit Salaten und Früchten auf. Zur Verdauung kann man in einer Stunde man in knapp einer Stunde rings um die Insel laufen, durch lauschige Wälder, vorbei an einem kleinen Fischercamp mit grossen Baobabs, zu einem Strand, der von Meereschildkröten als Brutstätte aufgesucht wird. Oder man kann einfach im türkisblauen Meer baden, auf dem weissen Strand laufen und die Seele baumeln lassen.
IMG_3628 (800x533)
Ein weiterer Ausflug führt uns zum Städtchen Wete mit einem Dalla-Dalla, einem lokalen Bus. Pemba ist bekannt für die Gewürznelken. Wir entdecken ein Lagerhaus, in dem Nelken von der ganzen Insel zum Trocknen und zum Verkauf hergebracht werden. Am Hafen werden Oktopusse versteigert. Es ist Freitag, die Geschäftsaktivitäten ruhen zur Mittasgzeit, alle Läden und Restaurants schliessen, die Männer versammeln sich in der Moschee zum Freitagsgebet.
IMG_3741 (800x533)
Von der Insel Pemba aus gönnen wir uns einen Flug zurück auf das Festland, da dieser nur unwesentlich teurer ist als mit dem Schnellboot zurück nach Daressalam. Aus der Vogelperspektive können wir diesmal die Inselwelt von Pemba und Sansibar bestaunen. Ich darf mich besonders glücklich schätzen, da ich im Cockpit Platz nehmen darf.
IMG_3789 (800x533)
Im verschlafenen Tanga, das uns gut gefällt, ruhen wir uns einen Tag lang aus. Die indischstämmige Bevölkerung ist hier stark vertreten. Wer längere Zeit in Tanga lebe, der werde „inergetic“, meint ein Pakistani. Mit dem Bus fahren wir zurück nach Daressalam, wo ich mich dann nach zwei tollen Wochen schweren Herzens von Maria verabschiede.
IMG_3975 (800x533)
Ich bin wieder auf dem Rad. Zunächst fahre ich nach Bagamoyo, nördlich von Dar. Mitte des 19. Jahrhunderts war Bagamoyo noch bedeutend. Die Karavanenrouten vom Tanganjika-See endeten hier. Bedeutende Entdecker wie Burton, Stanley und Livingstone begannen hier ihre Expeditionen.
IMG_4243 (800x533)
Danach radle ich durch den Nationalpark Saadani, in dem Velos gestattet sind. Die Erdpiste ist gut befahrbar. Viele Affen, Flamingos, Warzenschweine und Kudus sind in der schönen Buschlandschaft auszumachen. In Pangani dann nehme ich Kurs auf die Usambara-Berge und radle nordwestlich Richtung Kilimanjaro. Endlich geht es dann etwas in die Höhe, auf rund 1‘000 M.ü.M. wird dann das Klima endlich wieder erträglicher, die Luft ist nicht mehr so feucht wie an der Küste. In Moshi, am Fusse des Kilimanjaro, mache ich dann vorerst Halt, um die Weiterfahrt nach Norden planen zu können.
IMG_4133 (800x533)


Safari Njema

IMG_1128 (1024x709)

In Mosambik leide ich noch unter der Hitze. Doch sobald ich tansanischen Boden betrete, hält die Regenzeit Einzug. Die Strasse bis Tansania ist nach Pemba zunächst noch asphaltiert, verwandelt sich danach aber zu einer sandigen Piste. Doch dank der grossen Erdöl- und Erdgasvorkommen sind  Arbeiten im Gange, um die Strasse von Palma nach Pemba zu asphaltieren. Eigennutz der Ölmultis dürfte hier eine Rolle spielen.  Die Dörfer am Wegesrand haben immer noch keinen Strom und es ist fraglich, inwiefern die Menschen von diesem Boom profitieren werden.

 

Als ich in Palma ankomme, bin ich sauer. Wohl kein guter Tag. Der Versuch, mit Einheimischen Windschatten zu fahren, scheitert. Wie immer. Jedesmal  geben sie mächtig Gas, um es dem Weissen mit seinem überlegenen Material zu zeigen. Und jedesmal biegen sie nach wenigen Minuten in eine Nebenpiste ab, die Kette springt raus oder ein anderer sonstiger Defekt legt sie lahm. Dieses mal aber fahren mir zwei Typen lange Zeit davon, lassen mich partout nicht ran.

IMG_0904 (1024x683)

In Palma habe ich das Gefühl, dass mich alle wie eine Weihnachtsgans ausnehmen wollen. Ich bin es müde, um Lappalien feilschen zu müssen, lange zu diskutieren. Ein Kilo Zwiebeln kosten 50 Meticais. Und zwei kleine Zwiebeln ? 25 Meticais ! Sapperlot. Er solle mir bitte ein halbes Kilo Zwiebeln abwägen. Fein, das sind beinahe zehn Stück. Nein, ich will nicht ein halbes Kilo, nur zwei Zwiebeln. Wieviel kosten nochmals zwei Stück ? 25 Meticais !

Aber Afrika wäre nicht Afrika, wenn nicht auf die Peitsche Zucker und Brot folgen. In Palma treffe ich zwei Motorradfahrer aus Südafrika, Bossie und sein Sohn Quinten. Nette Gesellschaft, ein unterhaltsamer Abend. Genau das, was ich brauche. Wir zelten zusammen vor einer Pension, plaudern, während mir eine portugiesische Dame aus Braga (praktisch einen Steinwurf von meiner galicischen Wurzel entfernt) die Calamari säubert, die ich dann später unter die Spaghetti mische.

IMG_0833 (1024x683)

Unterhaltsam muss dann für beide Südafrikaner auch der Grenzübertritt nach Tansania gewesen sein. Es gibt keine Brücke, nur einen Fluss mit niedrigem Wasserstand, wo man mit einem einfachen Holzboot rübersetzen kann. Mit dem Velo kein Problem. Kostet mich 300 Meticais, umgerechnet 10 Euro. Aber mit zwei schweren Motorrädern ? Alles ist möglich in Afrika. Gegen eine Kleinigkeit von 160 US-Dollar. Eine ganze Fussballmannschaft hievt die schweren Räder in das Boot rein und läuft dann rüber. Dreieinhalb Stunden dauert das Spektakel, das ich leider verpasse, weil ich ja zunächst bis zur Grenze radeln muss. Am tansanischen Zoll aber hole ich die beiden dann ein.

IMG_0796 (1024x683)

Karibu! Willkommen in Tansania. Übrigens eine Wortschöpfung aus Tanganjika und Sansibar. 1964 verband sich die ehemalige britische Kolonie Tanganjika mit Sansibar. Im Südosten leben noch vorwiegend die matriarchialisch strukturierten Makonde. Die Frauen tragen wie überall in Afrika bunte Röcke, häufig nun aber auch farbige Kopftücher. Ich entdecke die ersten Masai-Hirten am Wegesrand. Ab und zu sogar Frauen in einer Burka. Die Vollverschleierung wirkt hier im heissen, bunten Schwarzafrika, wo die Leute gerne lachen und scherzen, wie die Faust aufs Auge.

IMG_0990 (1024x682)

Einmal in Tansania angekommen, lassen die Regenschauer nicht lange auf sich warten. Oftmals fahre ich mangels Unterstand einfach im Regen weiter, bin pflotschnass, bis die Sonne wieder rauskommt und den Boden dampfen lässt. Als ich von Lindi starte, öffnet der Himmel seine Pforten. Die schliessen sich aber nicht nach einer halben Stunde, wie sonst üblich. Den ganzen Tag regnet es Bindfäden. Immer wieder suche ich Unterschlupf unter Vordächern von einfachen Lehmhütten, komme nicht voran. Ringsherum bilden sich Bäche, Rinnsale, stehendes Wasser. Nach 30 Kilometern muss ich in Michinga bereits Halt machen. Dort gibt es zum Glück ein einziges Guesthouse. Zwar etwas schäbig, aber mit Strom und immer noch besser als in einer Pfütze das Zelt aufzustellen.

IMG_0892 (1024x683)

Hier in Tansania muss ich übrigens nicht um Zimmerpreise feilschen. Zwar ist der Standard oft sehr einfach, meist ohne Ventilator. Wenn man Pech hat, läuft in einer Bude gegenüber die ganze Nacht laute Musik. Momente, in denen man sich nach einen Stromunterbruch sehnt. Doch die Preise sind unschlagbar: die billigsten Zimmer gibt es schon ab 4‘000 Schilling, rund CHF 2.50.  In der Regel finde ich für 5-10‘000 tansanische Schilling ein akzeptables Zimmer. In Dar es Salaam sieht es dann mit den Preisen freilich anders aus, dafür ist der Standard gehoben. Kein Vergleich zu den oftmals überteuerten Bruchbuden vielerorts in West- und Zentralafrika.

IMG_0811 (1024x683)

Von wenigen Ausnahmen abgesehen, spricht im  Südosten von Tansania, niemand Englisch, das keine Amtsprache ist. Gemäss offizieller Sprachpolitik ist Englisch für die Universitäten, die  höheren Gerichte und den Bereich der  Technologie vorgesehen, verliert aber zusehends an Bedeutung im gesellschaftlichen Leben. Es herrscht Swahili vor, Nationalsprache von Tansania und Kenia, eine der am weitesten verbreiteten Sprachen in Afrika, gesprochen von rund 50 Millionen Menschen. Ich kann mich nicht davor drücken, mir möglichst rasch einen Grundwortschatz zuzulegen. Jeden Tag geht es dann schon viel besser. Begrüssungsfloskeln, Zählen, Einkaufen und  Verhandeln sind mittlerweile kein Problem mehr.

IMG_0945 (1024x679)

Unterwegs halten mich nebst Regenschauer auch einige Platten auf. Eine willkommene Abwechslung und ein Schauspiel für die Dorfbewohner, dem „Mzungu“ zuzuschauen, wie er den Schlauch vom Rad demontiert. Es wird jeweils laut gelacht, wenn ich den Schlauch danach wieder aufpumpe und nicht nach afrikanischer Art in einen Kübel voll Wasser halte. Irgendein Dorftrottel beziehungsweise ein alkoholisierter Genosse sorgt dann garantiert für zusätzliches Amüsement der Dorfgemeinschaft, zieht seine Faxen, löchert mich mit Fragen, obschon ich ihn nicht verstehe. Über fahrradtechnische Probleme kann ich mich übrigens bis anhin nicht gross beklagen. Zweimal musste ich den Gepäckträger schweissen lassen.  20‘000 Kilometer fordern aber ihren Tribut. Das Tretlager fängt nun an zu lottern und muss ersetzt werden. Zum Glück erhalte ich hier in Tansania Besuch und Ersatzmaterial aus der Schweiz.

IMG_0917 (1024x683)

Die Strasse von Mtwara kurz nach der Grenze zu Mosambik bis nach Dar es Salaam ist übrigens praktisch durchgehend asphaltiert. Nach der Michelin-Karte, keine vier Jahre alt, müsste es sich um eine während der Regenzeit unbefahrbare Erdpiste handeln. Entweder können die Kartenhersteller nicht mit dem Strassenbau in Afrika Schritt halten oder sie ruhen sich auf ihren Lorbeeren aus.

IMG_1281 (1024x683)

Auf halbem Weg zwischen der Grenze zu Mosambik und Dar es Salaam gönne ich mir einen Ruhetag in Kilva Kivinje, unweit vom historisch bedeutenden Kilva Kisivani. Kivinje ist anfangs des 19. Jahrhunderts von omanischen Arabern gegründet worden, später wurde es zu einem Zentrum  für den regionalen Sklavenhandel und zu einem  deutschen Verwaltungsort. Ein Monument, mit Unrat verziert, zeugt noch von der Kolonialzeit. Die Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft hat es im Andenken an zweier ihrer Beamten, die „am 24. September 1988 in der Verteidigung ihres Hauses gegen den Aufruhr den Heldentod fanden“, errichtet.

IMG_1232 (1024x683)

Der Ort strahlt einen morbiden Charme aus. Alte Häuser mit dicken moosbewachsenen Mauern sind am zerfallen, stehen kaum noch. Die Boma, ein grosses Handelshaus am kleinen Hafen, trotzt dem Zahn der Zeit, während sich viele Jugendliche mit Kiffen die Zeit vertreiben. Ich komme in einem alten deutschen Handelshaus unter mit einem wunderbaren Ausblick auf den kleinen Hafen. Am Nachmittag ist Flut, die Boote zu den umliegenden Inseln wie Songa Songa oder Mafia nehmen ihre Fahrt auf. Strassenhändler verkaufen leckere kleine frittierte Tintenfische. Der Unterschied zwischen Ebbe und Flut hier am indischen Ozean ist eindrücklich. Der Wasserpegel wechselt um mehrere Meter. Touristen sehe ich hier keine. Nationalparks, teure Lodges und der Kilimanjaro sind weit weg. Unbemerkt kann man sich hier als Weisser nicht bewegen. Die Leute sind aber freundlich, zuvorkommend, vor allem wenn man sich um ein paar Brocken Swahili bemüht.  Abends sitze ich mit Jugendlichen zusammen, rede stundenlang über die Unterschiede zwischen Europa und Afrika.

IMG_1187 (1024x683)

Gewisse Vorurteile in Bezug auf Afrika halten sich ja hartnäckig. So soll das Essen nicht überragend sein. Zumindest in Bezug auf Früchte ist die vorgefasste Meinung aber Käse. Das Angebot ist zur Zeit einfach grossartig: die Mangosaison ist in vollem Gange. Die ganz grossen Exemplare gibt es für rund 20 bis 30 Rappen. Bananen, inklusive Frittierbananaen sind allgegenwärtig. Es gesellen sich Jack-Fruits , die ich hartnäckig verschmähe, zuckersüsse Ananas und zum Ausgleich herrlich leicht säuerliche Passionsfrüchte. Für das Bounty-Feeling sorgen Kokosnüsse, zum Essen oder zum Trinken. Nicht zu vergessen die Papayas und sogar Wassermelonen gibt es zur Erfrischung. Und wer es bissfest mag, schnappt sich eine Tüte von Cashew-Nüssen. Der Anblick eines Apfels in Dar es Salaam mutet dann schon sehr exotisch an.

IMG_1392 (1024x683)

Auf das Händewaschen legen die Tansanier grossen Wert. Bei der kleinsten Garküche steht ein Kübel, oft sogar mit heissem Wasser, und Seife parat. Morgens gibt es überall leckere Chapatis, Pfannkuchen, gekochte Eier, frische heisse Milch, frittiertes Gebäck. Mittags Reis oder Ugali, ein Maisbrei, mit Bohneneintopf, Tomatensuppe. Auch wird zu meiner Freude überall gewürzter, leicht scharfer Tee getrunken. Bei einem heissen Tee lässt sich ein Regenschauer am besten absitzen. Wer es eilig hat, giesst den Tee nach und nach auf die Untertasse und trinkt ihn laut schlürfend. Diese Sitte habe ich bereits im Iran beobachtet; dort wird freilich ein Stück Zucker zwischen die Zähne geschoben, bevor der Tee getrunken wird.

IMG_1355 (1024x683)

Keine Frage: die Ritter der Strasse sind für mich die Velofahrer, die über 100 Kilogramm schwere Säcke mit Holzkohle oder riesige Körbe voller Mangos transportieren. Beim geringsten Gefälle steigen sie ab und schieben ihr Eingang-Stahlross indischer oder chinesischer Herkunft von hinten. Der Lenker wird durch Gummibänder gerade gehalten. Die Schweissperlen laufen in diesem tropischen Klima nur so runter. Beim Anblick dieser Männer komme ich mir meiner Kettenschaltung und meinen Packtaschen wie auf einem Rennrad vor.

IMG_1495 (1024x683)

Dar es Salaam ist erreicht ! Ich habe mir angewöhnt, wenn möglich weniger als 50 Kilometer vor einer Grosstadt zu übernachten, um nächstentags ausreichend Zeit zu haben, um ausgeruht in das Verkehrschaos einzutauchen und zur Mittagszeit bereits eine Unterkunft auf Nummer Sicher zu haben. Es bedeutet aber jedesmal Stress, die volle Aufmerksamkeit ist gefragt. Busfahrer nehmen hier keine Rücksicht. Aber es geht gut, ich finde rasch das Zentrum und eine relativ günstige Bleibe. In Dar es Salaam ist der indisch-arabische Einfluss und die Swahili-Kultur stark spürbar. Eine grosse Zahl von indischstaemmigen Menschen lebt hier. Die Stadt ist am Wachsen, viele moderne Hochhäuser werden errichtet, ein breites Angebot an Supermärkten, Banken. Sicher nicht die unangenehmste Stadt in Afrika. Das Velo lagere ich für ein paar Tage ein, Weihnachten in Zanzibar sind angesagt ! Ich wünsche allen besinnliche und zufriedene Festtage. Bis bald, euer Maurizio.

IMG_1081 (1024x680)

 


Magisches Mosambik

Mittlerweile bin ich in Pemba, 2‘370 Kilometer von Maputo entfernt, angekommen. 1‘200 Kilometer bin ich in zwei Wochen geradelt, den Rest habe ich mit dem Bus absolviert, um meinen Zeitplan einzuhalten. Die Distanzen hier in Mosambik sind enorm. Doch zurück nach Maputo. Der Chauffeur von Helvetas bringt zunächst Pierluigi, den Direktor von Helvetas Mosambik an den Flughafen, und mich anschliessend aus der Stadt. Es gibt nur eine geteerte Strasse zum Norden, die N1, die aber innerhalb des Landes verläuft, 20 bis 40 Kilometer von der Küste entfernt. Die Stichstrassen zur Küste sind grösstenteils Sandpisten, unpassierbar mit dem Velo. Bis in das 500 Kilometer entfernte Inhambane eröffnet sich der Blick auf den Indischen Ozean gerade nur einmal, nämlich in Quissico.

Mosambik empfiehlt sich als Reiseland, aber nicht notwendig mit dem Stahlross. Zugegeben versprach ich mir – abgesehen vom Projektbesuch von Helvetas – nicht allzu viel von diesem Land. Doch nach einem Monat und vielen spannenden Begegnungen bin ich mittlerweile sehr angetan von diesem Land, das bis vor 20 Jahren noch in einem Bürgerkrieg steckte und erst 1975 von Portugal unabhängig geworden ist.

Immerhin verläuft die flache N1 durch das breite Küstentiefland. Will heissen es ist flach. Aber nicht windstill. Die Brise ist grundsätzlich ganz angenehm, wenn es heiss ist. Das Klima ist tropisch mit sehr schwülen Nächten. Morgengrauen ist bereits um 4.30 Uhr, sodass ich sehr früh starten muss, um möglichst vor Mittag einen Platz im Schatten zu finden. Die Sehenswürdigkeiten Mosambiks sind weit gestreut. In den ersten Tagen auf der N1 ist es noch nicht so heiss, dafür habe ich mit Gegenwind zu kämpfen. Buschbrände sind auch hier an der Tagesordnung. Im Süden herrschen riesige Palmenwälder vor. Im Norden dann Savanne und Busch mit Trockenwäldern. Es finden sich hier sehr eindrückliche Exemplare von Baobabs. Cashew-Nuss-Bäume und Mangos sind allgegenwärtig.

Unterwegs schlafe ich in Dörfern, in Polizeistationen und in den touristischen Orten in Backpackers bzw. bei Couchsurfern. Vor allem wenn man bei Leuten draussen im Zelt schläft – zum Glück weht nachts stets eine leiche Brise – kann man eine für wohl ganz Schwarzafrika beliebte Tätigkeit erfahren. Frauen lieben es hier, bei Morgengrauen, manchmal schon vorher, laut die Aufenthaltsplätze zu wischen und viel Staub aufzuwirbeln. Pfischhhh, pfisschhh. Einiges angenehmer als motorsägenlaute Laubbläser,begleitet von Strassenwischmaschinen, die täglich um 7 Uhr morgens durch die Altstadt von Liestal donnern.

Einen ersten Ruhetag lege ich in Inhambane ein, keine 20 Kilometer von der touristischen Playa de Tofo entfernt.  Die beschauliche Stadt mit einem Mix aus Kolonialarchitektur, arabischen, indischen und afrikanischen Einflüssen liegt auf einer Halbinsel, in sicherer Distanz zur geschäftigen N1. Mit einem Boot setze ich nach Maxixe über, wo ich wieder auf der N1 bin und meine Fahrt nach Vilankulo aufnehmen kann.

Vilankulo ist beliebter Stopp für Overlander und für Reisende, die sich auf den Süden von Mosambik beschränken. In Griffnähe liegt das Archipel von Bazaruto, ein Juwel Mosambiks: türkisfarbenes Meer, weisse Sandstrände, Palmen, Korallen, Tauch- und Schnorchelparadiese mit einer überbordenden Fauna. Ich komme in einem Backpacker unter, wo auch Andrew aus Melbourne kurz zuvor eingetroffen ist. Am nächsten Tag erkundigen wir uns. Wir wollen einen Schnorcheltrip buchen. Entweder auf Bazaruto oder Magaruque. Als wir am Strand entlanglaufen, winken uns Leute auf einem Boot zu. Fünf Minuten später sind wir Opfer eines Kidnappings, inmitten einer Geburtstagsgesellschaft, Bierflasche in der Hand.  Zumeist Leute aus der Tourismusbranche, Hotelbesitzer, die meisten aus Portugal, Zimbabwe, Südafrika. Wenig später legt das Boot in Dead Island an. Eine Sandbank, die nur bei Ebbe sicht- und begehbar ist. Den ganzen Tag verbringen wir dann auf der Insel Benguera, veranstalten einen Braai (Barbeque), kaufen unterwegs von Fischern lobster ein. Drei grosse Kühlboxen mit Getränken sorgen für Erfrischung. Einige versuchen sich im Kitesurfing. Geburtstagskind Tessa lädt Andrew und mich später nochmals zu herrlichen Lulas (Calamares) ein.

Von Vilankulos nehme ich den Bus nach Inchope und Nampula, wo ich abends ankomme. Bei Busfahrten kommt man in den Genuss einer anderen afrikanischen Eigenheit: 11 Stunden wird in ohrenbetäubender Lautstärke Musik abgespielt, die bei meinen Protesten für kurze Zeit zum Level ” sehr laut” gesenkt wird. Nampula mag ich nicht sehr. Hotelzimmer sind überteuert. Ich treffe hier am nächsten Tag Faizal, einen jungen Reporter und Gründer einer Online-Zeitschrift “O Nacalense”, der mir durch Marco, einem schweizer Journalisten, vermittelt worden ist.  Im Gelände der Radiostation Encontros kann ich mein Zelt aufschlagen, nachdem Faizal mich interviewt hat. Faizal lädt mich zu sich nach Hause ein. An einem Tisch unter dem grossen Mangobaum warten wir, bis seine Frau den Frango, das Hühnchen, zubereitet hat. Faizal ist Régulo, sozusagen Dorfchef des Quartiers, und beauftragt einen Nachbar, Getränke zu holen. Ich nutze die Gelegenheit, gebe dem Typen 100 Meticais, um mir eine grosse, kühle Flasche Wasser zu bringen. Zwei Stunden später, als wir schon lange mit dem Essen fertig sind, kommt dann endlich der Schlaumeier schlurfend daher. Das Wasser ist warm, dafür hat er nur 40 Meticais Wechselgeld. Er muss sich wohl für sehr klug halten oder mich für sehr dumm. Jedenfalls meint er, die 1,5 Liter Flasche habe 60 gekostet (sie kostet normalerweise 30 bis 40), weil ja eine Halbliterflasche 20 Meticais kostet. Es entsteht eine lauthalse Diskussion und Auseinandersetzung zwischen ihm und Faizal.

Der Norden ist augenfällig ärmer, weniger entwickelter als der Süden. Dies zeigt sich an der Verfügbarkeit einer gekühlten Flasche Cola. Im Süden war die noch leicht zu erhalten. Jetzt wird es immer schwieriger. Nur grössere Siedlungen und Städte verfügen über Strom. Das Essen unterwegs auf der N1 ist eher enttäuschend. Keine Strassenstände, wie sie in Westafrika zu finden sind. Verhungern muss ich aber nicht. Immerhin gibt es Brötchen und frittierte Küchlein aus Bohnenpaste. Daneben natürlich Mangos, spottbillige Cashew-Nüsse, Kokosnüsse, Papayas und Bananen. Und in Küstennähe dann wieder Fisch.

Übrigens rate ich jedem Mosambikreisenden an, eine Postkarte zu verschicken. Nachdem ich beim Postamt eine Postkarte erstanden habe, diese platzfüllend beschrieben habe und zum Kauf der „entsprechenden“ Briefmarke für Südafrika übergehen möchte, staune ich nicht schlecht, als mir sechs grosse Briefmarken überreicht werden. Wollte man sie tatsächlich aufkleben, wäre nur noch kanpp die Adresse lesbar.

In der Ilha de Moçambique komme ich bei der Couchsurferin Cristina aus Barcelon unter. Sie ist lange in Afrika umhergereist und hat viele Monate in Äthiopien gelebt. Nun hat sie eine kleine NGO “Africa sin fronteras” zusammen mit ihrer Mutter Maya gegründet, die sich ebenfalls auf der Ilha de Moçambique niedergelassen hat und daran ist, ein Haus zu einem Restaurant zu renovieren.

Die Ilha ist das einzige UNESCO geschützte Weltkulturerbe in Mosambik und eine der wichtigsten Sehenswürdigkeiten des Landes. Die Insel ist nur 3 km lang. Der Stadtteil Makuti Town, benannt nach den Strohdächern, liegt praktisch unter Meer. Denn die Steine wurden hier abgebaut, um im nördlichen Teil Stone Town die Kolonialgebäude zu errichten. Die Ilha war bereits vor Ankunft von Vasco da Gama im Jahre 1498 ein bedeutender Handelsort mit Kontakten zu Madagaskar, Persien und Arabien. Die Insel war bis zum Ende des 19. Jahrhunderts Hauptstadt von Portugiesisch-Ostafrika, bis sie durch Lorenço Marques (heute Maputo) abgelöst wurde. Auch hier ist ein interessanter Mix aus Kulturen zu finden. Moscheen, Hindu-Tempel und Kirchen sind einen Steinwurf voneinander entfernt.

Maya kocht gerne, will demnächst ein Restaurant auf der Ilha gründen. Sie lädt Freunde zu einem spanischen Abend mit einer tollen Paella ein. Auch Miguel aus Galizien ist dabei. Miguel bezeichnet sich als moderner Nomade. Mit 18 Jahren ist er losgezogen, um die weite Welt zu erkunden. Seit 22 Jahren ist er nun schon mit dem Rucksack unterwegs, wobei er jeweils für längere Zeit vor Ort arbeitet. Entsprechend viele Anekdoten kann er zum Besten geben.

Unterwegs werde ich Zeuge von Initationstänzen und Bummelzügen von jungen Männern. Mit meiner Mischung aus Italienisch-Spanisch mit einigen Wörtern Portugiesisch kann ich mich eingermassen verständigen. Das Wort “precisar” gefällt mir dabei mit Abstand am Besten. “Preciso agua”: ich brauche Wasser.  Viele Leute in den ländlichen Gebieten sind des Portugiesisch nicht mächtig, sprechen nur die lokalen Sprachen, wie etwa Makua.

Die Landschaft wird nach der Ilha etwas abwechslungsreicher, sanfte Steigungen und Zuckerhüte setzen Akzente in der trockenen Savannen-Landschaft. Die Gegend wird nicht von Touristen aufgesucht. Wie sonst nirgends in Afrika, werde ich beim Genuss eines gekühlten Getränkes von einer riesigen Schar von Menschen umzingelt. Beim Marktbesuch laufen dann etwa hundert  (!) Schaulustige hinter mir her. Richtig unheimlich. Die Leute sind aber freundlich, bloss sehr neugierig.

Im Ort Metoro zelte ich bei der Polizeistation. Der Zufall will es, dass der Niederländer Johann mit seinem Mitsubishi-Bus dieselbe Idee hat und ebenfalls am nächsten Tag die Stichstrasse nach Pemba fahren will. Johann ist seit über einem Jahr unterwegs. In Pemba werde ich von Karin, Regionalkoordinatorin und Barbara (Konsulentin) von Helvetas toll empfangen und in einem Beachhouse am Wimbi-Strand einquartiert. Ich kann hier die gesammelten Spenden symbolisch überbringen. Herzlichen Dank an alle, die mich unterstützt haben. Ich nutze die Gelegenheit, um einige von Helvetas unterstütze Kulturprojekte zu besuchen.  Ich werde noch darueber berichten.

Pemba liegt an einer grossen Bucht und soll in Zukunft dank grosser Erdölvorkommen bedeutender werden. Es herrscht zur Zeit Goldgräberstimmung. Ölgesellschaften aus aller Welt reissen sich Bohrrechte unter den Nagel. In einigen Jahren wird sich Pemba ändern.


Wiedersehen macht Freude

Durban, so heisst es, habe das beste Klima in Südafrika. Von dem habe ich leider nicht viel gespürt. In den Tagen, die ich dort bei Les verbracht habe, hat es meistens geregnet. Wir schauen uns Zulu-Tänze an und das Ushaka Aquariam , das an einem an einem bewölkten Samstagnachmittag rege besucht wird. Es ist eindrücklich, überdimensionierte Fische, Haie und Quallen hinter Glas zu bestaunen.

Abends im stroemenden Regen erhaelt die Rugby-Mannschaft aus Durban, die Sharks, dann eine kalte Dusche. Als Topfavorit gehandelt, wird sie im Final geschlagen. Les hat ein Interview bei einer Lokalzeitung, einer Art 20 Minuten, organisiert, wo ich es sogar auf die Titelseite schaffe (Titelseite, Artikel). Zum Abschied laden mich Les und seine Ehefrau Barryl in den Royal Navy Club zu einem Sonntagsbuffet ein. Aufzuzählen, welche Unmengen an Fisch, Fleisch und Nachspeisen ein hungriger Radler zu verschlingen mag, sprengt den Rahmen dieses Artikels. Les fährt mich im Auto, natuerlich regnet es, einige Kilometer der Küste entlang nach Ballito.

Dort treffe wieder das englische Paar Rob und Sarah an, die ich Nigeria beim Movieset zum Nollywood-Film „Invasion 1897“ kennengelernt habe. Zusammen sind wir danach nach Calabar gereist, von dort mit der Fähre nach Limbé in Kamerun und haben anschliessend den Mount Cameroun bestiegen. Sie arbeiten nun für ein knappes Jahr im öffentlichen Spital in Stanger.  Die Führung durch das Spital, das praktisch nur von Schwarzen und Farbigen besucht wird, ist sehr aufschlussreich. AIDS ist ein grosses Problem, aber auch Messerstechereien, Verbrennungen und Schlangenbisse gehören zur Tagesordnung. Die Platzverhältnisse sind zwar etwas knapp, im Stile eines britischen Krankenhauses aus den 80-er Jahren, aber, so meinen Rob und Sarah, funktoniert das Spital doch recht gut.

Weiter geht es. Kurz vor Mtubatuba mache ich auf einer Milchfarm Halt. Leon, Inhaber des Dannybrook Inn, hat mich vor einigen Tagen in einer Rundhütte umsonst schlafen lassen und mich ermuntert, auf dem Wege nach Norden vorbeizuschauen. Ich werde durch die Milchfarm geführt, die pro Tag über 2‘000 Liter Milch produziert, werde dem Chef als einer mit einem “brain problem” vorgestellt. Vorwiegend Sauermilch wird hier hergestellt. Dankend verbringe ich eine Nacht bei ihm. Der Ausflug in den Imfolozi Game Park fällt buchstäblich ins Wasser, den ganzen Morgen stürmt und regnet es. Erst um Mittag kann ich weiterfahren, der Wind bleibt. Für einmal von hinten.

Durch das kleine Swaziland, das oft mit Switzerland verwechselt wird, rausche ich in zwei Tagen hindurch. Ich geniesse es, nach langer Zeit wieder einmal durch eine flache Landschaft mit Rückenwind zu brausen. Swaziland hat übrigens die lustigsten Münzen, die ich je gesehen habe: nicht rund, sondern blumenförmig. Die Einfahrt nach Mozambique ist unproblematisch. An der Grenze erhalte ich das Visum, muss allerdings eine Kleinigkeit von umgerechnet 68 Euro für den farbigen Kleber hinblättern. Dafür fühle ich mich sofort wohl. Unglaublich, was für Unterschiede eine Grenze jeweils ausmacht. Es wird portugiesisch gesprochen, es werden überall „castanas“, Cashew-Nüsse verkauft. In einem kleinen Shop begrüsst mich Novela herzlich, überreicht mir sofort eine Cola, Kekse, gibt mir noch eine Flasche Wasser mit auf den Weg. Geld will er dafür nicht, obschon man sein Inventar an einer Hand abzählen kann. Was für ein Empfang ! Vor Maputo, in der Stadt Boane, ist Brotzeit. Man findet Restaurants in portugiesischem Stil, leckeren „frango“, Brathähnchen. Und was für eine Überraschung: feinen Espresso-Kaffe wie in Portugal, wie man ihn selbst in den meisten Ländern Europas vergeblich sucht.

In Maputo dann gibt es ein tolles Wiedersehen mit Pierluigi und Hélène. Pierluigi aus Chianti, dannzumal Direktor von Helvetas Burkina Faso, habe ich in Ougadougou kennengelernt, wo er mich fürstlich aufgenommen hat. Mittlerweile hat er seinen Arbeitsplatz nach Mozambique gewechselt. Voilà, hier in Maputo treffe ich ihn wieder !

In Maputo suche ich die italienische Botschaft auf, da mein alter Pass keine leeren Seiten für Visas mehr aufweist. In 15 Minuten halte  ich bereits einen neuen biometrischen Pass in Händen ! Hätte ich die Gebühr in Euro entrichten können und nicht noch eine Stunde zu Fuss durch die Stadt irren müssen, um eine Wechselstube aufzusuchen, wäre die Dienstleistung hervorragend gewesen.

Maputo hiess bis zur Unabhängigkeit „Lorenço Marques“ – nach dem gleichnamigen Seefahrer aus Portugal, der 1545 die Baia de Maputo entdeckte. In den 50er und 60er Jahren, während der Apartheid-Ära, war „LM“ bei Südafrikanern auf der Suche nach gutem Meeresfisch, Stränden und Bordellen sehr beliebt. Die Stadt ist angenehm, recht sauber. In der Baixa findet sich der alte Bahnhof, ein monumentales Gebäude, entworfen von der Schule von Gustave Eiffel. Vom Meister selbst ist die „Casa de Ferro“ gezeichnet worden, die Residenz des Gouverners, ein Haus aus Stahl, aber äusserst unwohnlich in diesem tropischen Klima. In der Baixa von Maputo finden sich alte Häuser im portugisischen Stil wie auch marxistisch angehauchte Blockhäuser. Die farbigen capulanas (Sarongs) finden sich in der Casa Elefante gegenüber dem peinlich sauberen Mercado municipal. Besonders attraktiv sind die pastelerias und Kaffehäuser, eine Reminiszenz aus der Kolonialzeit.

Die Projekte von Helvetas liegen indessen in den Provinzen Cabo Delgado und Nampula im Norden von Mozambique. Ein weiter Weg von über 3‘000 Kilometern. Und ausreichend Zeit, um vielleicht noch eine Spende für das Alphabetisierungszentrum zu tätigen ? Eine kleine Handreichung, ein Zeichen der Solidaritaet, die mich und den Menschen hier in Mosambik gluecklich macht !


Himmlisches Lesotho

 

Lesotho, ausgesprochen Lee-suu-thuu: ein Land, auf das ich mich während meiner ganzen Reise besonders gefreut habe. The Kingdom of the Sky, die Schweiz Afrikas, ist ein Kleinod im südlichen Afrika. Eine Enklave, völlig umgeben von Südafrika. Dreiviertel so gross wie die Schweiz. Weltweit das einzige Land, das komplett auf über 1‘000 Meter über Meer liegt. 80 % der Fläche sogar auf über 1‘800 M.ü.M. Ein Land, das mich von Beginn weg in seinen Bann zieht. In das ich mich verliebe. Trotz der gnadenlosen, brutalen Steigungen und Gegensteigungen, Rampen, Hügel, Kletter- und Schiebepartien. In keinem anderen Land schiebe ich das Rad soviel wie hier in Lesotho. Die Durchschnittsgeschwindigkeiten bewegen sich zwischen 7 und 11 km/h. Oftmals ist nach 50 Kilometer bereits Feierabend. Radfahrerisch sind die Verhältnisse hart bis extrem. Aber was für Landschaften und freundliche Leute ! Das Gruessen scheinen die Basotho erfunden zu haben. Es ist noch nicht aller Tage Abend, doch soviel weiss ich jetzt schon: Lesotho ist ein heisser Favorit für mein Lieblingsland in Afrika.

Doch erstmals zurück nach Port Elizabeth, wo ich mich vom sympathischen Schweizer-Paar John und Anne verabschiede und in drei Tagen der Küste entlang nach East London fahre. Eine gemütliche flache Etappe, müsste man meinen. Trugschluss. Hügel nach Hügel. Etwas, das ich in Südafrika vermisse, sind flache Etappen zwischendurch. Immerhin kann ich auf Anraten eines Einheimischen in einem Gemeinde-Naturreservat wild zelten. Das letzte Flusspferd sei vor 8 Monaten gesichtet worden, von daher könne ich beruhigt am Fluss beim Picknick-Platz mein Zelt aufschlagen. Bei der Hinfahrt sehe ich drei Giraffen, Warzenschweine, eine Herde Zebras, Antilopen. Und spüre danach eine ganze Armada von Mücken. In East London besuche ich den Bruder einer in der Schweiz lebenden, indischstämmigen Südafrikanerin, Lynette, deren Hochzeit ich vor meiner Abreise fotografieren durfte. Ich mache mit Brad an einer Tankstelle ab. Das Velo packen wir in den VW Golf, holen seine Freundin Sid ab und fahren nach Hause. Brad und Sid sind hilfsbereit und verwöhnen mich drei Abende lang mit ihren Kochkünsten. Brad hat ein paar Monate lang in Basel gelebt und mag sich noch sehr genau an Ortschaften und Lokalitäten erinnern. Thanks a lot Brad and Sid, you are wonderful !

Mit dem Bus fahre ich bis nach Kokstad durch das ehemalige Homeland der Transkei. Die wirtschaftlich am schwächsten entwickelte Region in Südafrika. Keine Bäume, erodiertes Land, einfache Hütten. Trotz sonnigem Wetter strahlt die Gegend Trostlosigkeit aus. Die Apartheid ist abgeschafft, trotzdem werden solche Gegenden es schwer haben, sich wirtschaftlich zu entwickeln. In Matatielé, entdecke ich die Touristeninformation ganz zufällig. Es fehlt ihr offensichtlich an finanziellen Mitteln aber auch an Reisenden und Informationssuchenden. Die Auskunft ist dafür nach meinem Geschmack. Der Angestellte setzt mich mit Dorfchef von Mafubé in Verbindung. Er befindet sich zufälligerweise in der Stadt. Ich darf auf seinem von fünf Hunden gut überwachtem Grundstück zelten. Einer dieser Köter scheint an Gedächtnisschwund zu leiden, bellt bis tief in die Nacht mein Zelt an und markiert sein Revier ordentlich. Zu meiner Freude zieht der Dorfchef für das Abschiedsfoto seine traditionelle Kleidung mit Leopardenfell an.

Nach einem Pass betrete ich in Qachas Nek auf knapp 2‘000 M.ü.M. Lesotho. Und es geht gleich los: rassige Abfahrten und steile Rampen wechseln sich ab. Flache Abschnitte gibt es nicht. Dafür einen kräftigen Gegenwind. Die Beine haben Mühe, hier irgendeinem Rhythmus, einer Regelmässigkeit zu folgen. Die Landschaft ist in gelben und ockerfarbenen Tönen gehalten, erinnert mich an Tadjikistan. Früher als erwartet streiche ich die Segel, suche im Dorf White Hill den Dorfchef auf. Wir diskutieren lange. Ofihlile Sekake weist mich darauf hin, dass Strom erst vor zwei Jahren eingeführt wurde, die Strassen vor zehn Jahren noch ungeteert waren. Kleine, wichtige Fortschritte.

Die Basotho, die Einwohner Lesothos, sind ein einheitliches, stolzes Berg- und Reitervolk. Sie sprechen Sesotho. Der grosse König Moshoeshoe hat es im 19. Jahrhundert verstanden, Stämme und Sippen im Kampf gegen eindringende Zulus und Buren zu vereinen. Im ehemals englischen Protektorat sind, anders als in Südafrika, keine Nachwehen der Apartheid-Politik zu spüren. Eine afrikanische Eigenheit ist den Basotho ebenfalls eigen: die Lautsprecher sind stets auf Maximalstufe eingestellt. Man hoere und staune, aus Bars, Minibussen und Geschaeftslokalen ist oft House-Music zu hören, sodass manchmal schon fast ein bisschen Street Parade-Stimmung herrscht.

In Mohales Hoek komme ich im FTC – Farmer Training Centre, unter. Es gibt hier billige Unterkünfte, zweckmässige Zimmer, Eimerdusche. Nebenan lebt in einem Rondavel, einer Rundhütte, umgeben von Bergen, ein paar Schafen und einem Froschteich, die Peace Corps Volunteer Shawna. Nach Guineé-Conakry gerate ich hier in Lesotho wieder in die Peace Corps-Mühle, werde von einem Peace Corps zum anderen weitergereicht. Am folgenden Tag ist Independence Day in Lesotho. Ich verbringe den Tag mit Shawna und Jacqueline in einem Waisenhaus der amerikanischen „Trust for Africa“ Foundation, erhalte einen Crash-Kurs in Sesotho.

Ein Abstecher führt mich über den Gates of Paradise Pass auf 2‘001 Metern nach Malealea. Das Dorf bildet eine Einheit mit der einzigen Lodge, die auf Nachhaltigkeit, sanftem Tourismus und Pony-Trekkings setzt. Von Lonely Planet sogar zu den Top 10 World Wide Value Destinations auserkoren. Im Zeltplatz treffe ich auf eine Schar von angehenden südafrikanischen Fotografen, mit denen ich – dem Maluti Mountain Beer sei dank – einen nachhaltigen und feuchtfröhlichen Abend verbringe.

Lesotho ist nicht mit Rohstoffen gesegnet, eines der ärmeren Länder auf dieser Welt. Allerdings ist die Alphabetenrate mit rund 85 % sehr hoch. Diamanten, Schafswolle (Mohair), Arbeitskraft und Wasser sind die grössten Exportprodukte. Da viele Minen in Südafrika geschlossen haben, ist die Arbeitslosigkeit in der Vergangenheit gestiegen. Erfreulicherweise hat aber Lesotho in den letzten Jahren ein grossangelegtes Dammprojekt – das Lesotho Highlands Water Project – in Angriff genommen, um den Wasserbedarf Südafrikas zu stillen. Der Katse und Mohale Dam sind bereits gebaut, haben für einen Aufschwung gesorgt. Die Infrastruktur, namentlich die Strasse, die von der Hauptstadt Maseru Richtung Osten führt, ist im Zuge dieses Projektes grösstenteils asphaltiert worden. Die Transportzeiten haben sich drastisch verkürzt.

Kurz vor Maseru biege ich nach Westen ab. In der Nähe von Nazareth komme ich beim Peace Corps Volunteer Heather unter. Zum Glück rechtzeitig, denn sobald ich in der Rundhütte im Trockenen bin, fegt ein Hagelsturm über die Landschaft. Die Sommerstürme, begleitet von Blitzen und Donnern, sind berüchtigt, töten viele Schafhirten. Selbst in kleinen, abgelegenen Dörfern finden sich Shops, die von Chinesen betrieben werden. Aber auch Pakistani sind geschäftstüchtig und laufen den Einheimischen den Rang ab. In Nazareth grüsse ich einen auf Arabisch. Er rede nur „small, small English“. Als ich die zwei Packungen Biskuits und zwei Orangen bezahlen möchte, wehrt er ab, meint das sei ein „gift“, will partout kein Geld von mir annehmen.

Nach Nazareth fängt der Alpenchallenge so richtig an: auf den nächsten 140 Kilometern gilt es zahlreiche Pässe zu erklimmen: den Bushmens Pass (2‘268 M), danach den God-Help-Me-Pass (2‘318 M), gefolgt vom Blue Mountain Pass (2‘634 M) und dem Likalaneng-Pass (2‘620 M). Jeweils um die 500 bis 800 Höhenmeter.

In Marakabei stelle ich dann nach 73 Kilometern und wohl über 2‘000 Höhenmetern mein Zelt vor der Polizeistation auf. Dort bin ich vor Dieben sicher, wiege mich in Sicherheit. Weit gefehlt ! Als ich am Morgen Kaffee kochen möchte, merke ich, dass mein Viktualien-Sack (bestehend unter anderem aus einem guten Stück Biltong) fehlt. Ein Hund muss es sich aus der Apsis geschnappt haben. Nach dieser Lektion nehme ich den Cheche’s Pass auf 2‘545 M in Angriff. In Mantsonyane kehre ich bei einem Camper ein. Das Essen (Beefragout, Cabbage und Papa) schmeckt hervorragend.

Das Hauptgericht in Lesotho ist Papa – Maisporridge. Mais wird überall in kleinen Mühlen gemahlen. Der Maiskolben ist derart bedeutend, dass er auf vielen der Decken prangt, welche die Basotho gerne tragen. Diese blankets sind allgegenwärtig. 1860 wurde der König Moshoeshoe I mit einer solchen Decke durch englische Händler beschenkt. Seitdem haben sie die Decken wie ein Lauffeuer ausgebreitet, denn sie sind praktisch, schützen vor Regen, Wind und Kälte. Traditionell ist auch der konisch geformte Basotho-Hut, der mokorotlo, der aber leider nicht mehr so häufig angetroffen wird. Seine Form hat er angeblich einem Hügel namens Qiloane Hill entliehen.

Noch ein Pass, der Mokhoabong Pass auf 2‘880 M, dann ist Thaba Tseka erreicht. Von dort schaffe ich es nicht in einem Tag bis nach Linakaneng, etwa 65 Kilometer weit entfernt. Zu viele Hügel und Steigungen. Aber schlimmer: als die mühsam erklommenen Höhenmeter zum etlichen Male wieder auf einer Abfahrt dahinschmelzen, verdunkelt sich der Himmel schlagartig. Ohrenbetäubende Donner kündigen Unheil an. Blitze schlagen in unmittelbarer Nähe nieder. Auf einer Anhöhe trotzt ein Trupp von mutigen Burschen, eingekleidet in Fellen, dem herannahenden Sturm. Ich vermute, dass diese Jungs ihren Initiationskurs zum Mann-Werden absolvieren. Die Szenerie wirkt unheimlich, wie aus einem Film. Der Hagelsturm holt mich ein. Ich habe nicht einmal Zeit, die Regenjacke aus meiner Packtasche hervorzukramen. Der Wind fegt mich auf die Seite. Kein Baum, keine Böschung. Ich kann nur noch neben dem Velo niederkauern, die Hände über dem Kopf verschränkt und lasse Hagel und Regen über mich ergehen. Nach einigen Minuten legt sich der Wind etwas. Durchgenässt, mit mulmigem Gefühl fahre ich runter zum Fluss. Unzählige Schafhirten werden in Lesotho jährlich vom Blitz getroffen, mag ich mich erinnern, irgendwo gelesen zu haben. Nicht sehr beruhigend. Bei der Brücke ruft mich ein Hirte, der unter einem Felsvorsprung Zuflucht gesucht hat, herbei. Ich klettere die erdige Böschung rauf und kann endlich ausatmen.

In Linakeng kann ich zum Glück, völlig durchnässt, beim Personalhaus einer kleinen Klinik übernachten und meine Kleider einigermassen trocknen. Auf den Menoaneng Pass auf 3‘045 M. schiebe ich praktisch durchgehend das Velo, werde aber auf der Höhe mit eindrücklichen Lichtspielen auf den Bergketten belohnt. Nach einer kurzen Abfahrt komme ich auf ein Strassenarbeiter-Camp mit einfachen Wellblechhütten. Jakob, der Aufseher, reinigt eine, die er als Hühnerstall verwendet. Für mich ein Geschenk, in dieser kalten und windigen Nacht nicht im Zelt schlafen zu müssen.  Die nächste Nacht verbringe ich am Fusse des Kotisephola Passes (3‘240 M). Im Windschutz einer grossen Wellblechhütte, in der Schafe geschert werden. Auf wunderbar weichem Schafsdung. Erst beim Zubettgehen fällt mir der beissende Geruch des Naturprodukts auf.

Es geht nun runter zum berühmten Sani-Pass auf 2‘873 M. Die Prominenz verdankt der Pass nicht seiner Höhe, sondern den sehr steilen Serpentinen und dem äusserst schlechten Strassenzustand wegen. Ich verbringe einer Nacht bei Regen, Wind und Kälte im Zelt. Am nächsten Tag laufe ich dann mit einer Gruppe von Wanderern im Regen den Pass runter. Am Grenzübergang dann scheint die Sonne wieder.

Die Fahrt bis nach Durban bzw. Pinetown ist dann wieder alles andere als flach. Ich fahre entlang von Wäldern, zumeist Eukalyptus Plantagen. Der Höhepunkt dieser Fahrt ist folgende Szene: ich sehe, wie eine Frau aus einem Tannenwald mit einer Kiste auf dem Kopf rausläuft. Eine Kiste voller riesiger Steinpilze. Ich bin aus dem Häuschen. Eine zweite, dritte und vierte Frau gesellt sich hinzu. Mir läuft das Wasser im Mund zusammen. „Let’s do business!“, meine ich. 15 Rand wolle sie für eine Kiste. Ein lächerlicher Betrag von umgerechnet knapp 2 Schweizerfränkli. Ok, ich nehme mir zehn Stück für 10 Rand. Nach der Transaktion meint die Dame, ich solle nun verschwinden. Erst als ein Lieferwagen mit der Aufschrift „Bolé“ (bolet heisst auf französisch Steinpilz) anhält und die Frauen die Ware abliefern, begreife ich. In Dannybrook kann ich dann umsonst in einer leerstehenden Rundhütte schlafen. In Pinetown dann werde ich von Les Bowden, Inhaber eines Schreinerei, die massgefertigte Küchen herstellt, herzlich empfangen. Ich habe ihn in Namibia kennengelernt, als er mit Kollegen mit dem Töff unterwegs war. Thanks for your great hospitality, Les !

 

In einigen Tagen werde ich bereits in Mosambik sein. Es kann noch fuer das Alphabetisierungszentrum gespendet werden. Jede Spende zaehlt und es wird mich freuen, das gesammelte Geld persoenlich im Norden von Mosambik ueberreichen zu koennen. Vielen Dank fuer die Unterstutzung !

 


Lekker pad

Nach zwei Ruhetagen in Hermanus mache ich mich wieder auf die Socken. Nach Gaansbai ist es bis zum südlichsten Punkt Afrikas nicht mehr weit, nur noch 80 Km. Die werden mir nicht in bester Erinnerung bleiben. Ein starker Wind bläst mir den ganzen Tag erbarmungslos ins Gesicht. Nach sechseinhalb Stunden, mit erstaunlich wenig Fluchen, dafür mit schmerzenden Kniesehnen, treffe ich zermürbt endlich in Struuisbai in einem tollen Backpacker ein. Dummerweise hat sich an diesem Tag der Sattel seitlich etwas verschoben, erst nach zwei Stunden Kampf merke ich, dass meine Knie asymmetrisch treten. Zu  spät. Die Behandlung Painkillers, Arnikasalbe und Eisbeutel bringt glücklicherweise bald Besserung. Die paar Kilometer bis zum Cape Agulhas am nächsten Tag sind dann noch ein Klacks. Viel gibt es dort allerdings nicht zu sehen. Der Indische Ozean unterscheidet sich, zumindest äusserlich, nicht vom westlichen Bruder.

Die berühmte Garden Route bis nach Port Elizabeth will ich vermeiden. Radfahrerisch sind Küstenstrassen nicht notwendig berauschend. Mit einem Cabrio und entsprechender Begleitung sicher toll zu fahren. Aber ich habe es auf die inneren Werte abgesehen: backroads, Pässe und Hügel. Eine Alternativroute für die Strecke “CT to PE” ist gefragt. Also fahre ich zunächst rauf nach Swellendam.  Unterwegs lenkt ein Schild mit der Aufschrift „Centuries old milkwood tree“ die Aufmerksamkeit von Langsamreisenden auf sich. Ich fahre die 5 Km dorthin. Da ohnehin bald Feierabend ist, frage ich die Farmer Robert und Marinda, ob ich dort zelten könne. Mit breitem Grinsen meint Robert „We make a plan!“. Der Plan ist nicht sehr kompliziert, durchschaubar. Das Gästezimmer ist frei, ich solle doch dort schlafen. Soviel habe ich nun gelernt: wer wirklich zelten möchte, sollte die Farmer lieber nicht um Erlaubnis bitten. Die Wahrscheinlichkeit ist gross, dass man gezwungen wird, in einem warmen Zimmer, auf einem weichen Bett zu schlafen, nachdem man verköstigt und zu mindestens zwei Bier genötigt worden ist.

Die Farm von Robert ist von seinen Vorfahren 1768 gegründet worden, er leitet sie in sechster oder siebter Generation, so genau wisse er es nicht. Trotz seiner stattlichen Körperstatur lässt er sich es nicht nehmen, jeweils am Cape Argus Rennen teilzunehmen. Vor wenigen Tagen habe er sich angemeldet, nun müsse er wieder trainieren. Am nächsten Tag zeigt er mir noch das nationale Monument, das in seinem Garten steht. Ein  tausendjähriger Milkwood Tree. Danke Robert und Merinda !

Die Landschaft ist sehr grün, hügelig. Gelbe Rapsfelder kontrastieren zu den blauen Bergen im Hintergrund, die auf mich warten. Im Sommer ist es hier sehr heiss, die Landschaft ausgetrocknet, gelb. Die beste bewässerte Wüste, wie Robert meint. Nach Swellendamm geht es dann auf einen kurzen aber nicht weniger eindrücklichen Pass, den Tradouws Pass. Von dort komme ich dann auf die Route 62. In Anlehnung an die berühmte Route 66 in den USA wird die Strecke als die längste Weinstrasse der Welt angepriesen. Der Verkehr ist hier deutlich ärmer als auf der N2. Immer noch zuviel für mich. Nach 18 Kilometern zweige ich auf eine Schotterpiste ab. Nun bin ich, abgesehen von einem Gemsbok, alleine. Zwar beschwerlicher, aber sofort stellt sich ein Gefühl der Erleichterung ein. So macht Radfahren Spass.

Ich frage wieder einen Farmer, ob ich zelten könne. Diesmal klappt es. Vor einer Plantage von rosa blühenden Aprikosenbäumen, unter den wachsamen Augen von zwei weissen Labrador-Hunden, stelle ich mein Zelt auf. Nachdem ich die Hunde mit einer Portion Pasta bestochen habe, verdingen sie sich als Nachtwächter. Die Ehefrau des Farmers ist übrigens eine Schriftstellerin, hat den Roman „Padmaker“ – Strassenbauer – veröffentlicht, der von ihrer Kindheit als Tochter eines umherziehenden Strassenbauers handelt, die in den Camps der padmakers aufwächst.  Indem die Hauptfigur, nun erwachsen, auf den vom Vater erbauten Strassen nachreist, begreift sie dessen Worte „To know where you are going, you must first know where you are coming from“ besser.

Wohin ich – zumindest kurzfristig gesehen – hin will, weiss ich genau. Nämlich zum Rooibergpass. Aber dass es alles andere als eine Kaffeefahrt wird, weiss ich noch nicht. Die Anfahrt enthält bereits einige Anhöhen und einen kleinen Pass. Die Landschaft und die Einsamkeit der Little Karoo entschädigen aber allemal. In Calitzdorp  treffe ich wieder auf die R62, die ich aber flugs wieder verlasse. Und zwar durch das lauschige Groenfontein Tal. Ein lauschiges Tal entlang einem Staudamm, einem Bach mit meterhohem Schilf, vielen Schildkröten, Olivenplantagen und alten Farmhäusern.

Und nun zeigen sich auch erstmals die Swartberge. Am Fuss zahlreiche Straussenfarmen. Nach einer kalten und klaren Nacht mache ich mich auf, um auch diesen Pass zu erklimmen. Zu befahren wäre gelogen, denn anfänglich lässt es sich zwar auf dem losen Schotter gut fahren, er wird aber immer steiler und steiler, bis ich zu Fuss gleich schnell bin wie tretend.

Der eine Tagesetappe entfernte und als solcher auf der Karte bezeichnete Meiringspoort Pass ist zum Glück kein Pass, sondern eine angenehme Variante dessen, wie man einen Bergkette überschreitet. Durch eine eindrückliche Schlucht entlang von Hunderten Metern hohen Felswänden. Mittendrin ein kleiner Wasserfall, der besonders im südafrikanischen Sommer zur Abkühlung rege aufgesucht wird.

Ich fahre Richtung Osten, ein weiterer Leckerbissen steht mir bevor: die Baviaanskloof Mountains. Die sportliche Variante kann am Trans Baviaans Mountain Bike Rennen absolviert werden, der von Willowmore bis zur Küste nach Jeffreys Bay, dem Surferparadies, führt. 230 Kilometer und über 2‘500 Höhenmeter. Und der Start wird so gelegt, dass die Ankunft in der Nacht geschieht. Nach dem Nuwekloofpass fahre ich durch das Tal, immer wieder gilt es Furten möglichst mit Schwung zu überqueren.

42 Kilometer führt die Strecke dann durch einen Park. Der interessanteste Teil, da sich gleich drei Pässe befinden. Es befinden sich dort aber auch noch 180 Büffel und 11 Nashörner. Grund genug, um mir den Eintritt zu verwehren. Fast einen ganzen Tag warte ich auf einem Mitfahrgelegenheit. Erst am nächsten Tag dann endlich ein Paar, das auf ihrem Landrover Platz hat. Unterwegs halten wir auf einem Blumenfeld zum Lunch an, ein kühles Bier, feine Sandwiches, Biltong, die wärmende Sonne. „Another shit day in Africa“, meint lachend Neal, Organisator des 40 Km langen Berglaufes des Vortages, an dem er selber mitgemacht hat. Und das er gleich gewonnen hat oder Zweiter geworden ist. Das will er uns nicht verraten.

Der einzige Camping-Platz vor Patensie ist geschlossen. Ich rufe den Besitzer Theo an. Kurz darauf kommt ein Junge, um mir aufzumachen. Später schaut dann Theo vorbei. Wechselgeld hat er nicht. Ich solle am nächsten Tag bei ihm zuhause zu einem Kaffee vorbeischauen. Ich könne dann dort bezahlen. Theo Ferreira heisse er. Ferreira heisst in diesem Tal jeder zweite. Und so lande ich beim falschen Ferreira. Einem begeisterten Mountainbiker, der Platz 20 im Trans Baviaan belegt hat. Ein Schweizer habe vor kurzem einen Bike-Park eröffnet, dort könne ich sicher zelten, meint er. Nach einem Telefonat hat er die Nummer von Didier, einem Walliser, ausfindig gemacht. Klar, ich solle vorbeikommen, meint Didier. Nachdem ich beim richtigen Ferreira dann meine Schuld beglichen habe, unterwegs in einem Second Hand Shop für 30 Rand (3 Euro) Ersatz für meine ausgeleierten Shorts gefunden habe, treffe ich im JBay Bike Park von Dider, Florbella  und der Tochter Ines ein. Sie haben eine Farm gekauft, letztes Jahr sind sie ausgewandert und bauen zur Zeit Lodges mit Ausblick auf das Meer und Jefferys Bay. Eröffnet werden die Lodges im Dezember. Mit Colombo, dem Dobermann, freunde ich mich schnell an. Dies hindert ihn aber nicht daran, während einer kurzen Abwesenheit meine gesamten Vorräte an Biltong, Brot, Keksen und Früchten aus einer Packtasche zu entwenden und zu verschlingen. Das Zelt wird übrigens nur zum Trocknen ausgepackt. Merci beaucoup pour votre hospitalité, Didier et Florbella !

Nicht, dass ich Heimweh hätte, aber Didier setzt mich mit John in Kontakt. Er ist Präsident des Schweizerclubs in Port Elizabeth. Dummerweise habe ich aber eine Zahl der Telefonnummer falsch aufgeschrieben. Zufälligerweise kennt der Besitzer des Bike-Shops, bei dem ich wegen eines grossen Veloservices vorbeifahre, John persönlich; seine Frau ist Eidgenössin. Und so kann ich doch noch John kontaktieren, der mich spontan zu sich nach Hause einlädt.  John und seine Ehefrau Anne, pensioniert, sind aus der Ostschweiz, sehr aufgestellt und unkompliziert, seit vier Jahren wieder in Südafrika zuhause, nachdem sie bereits in den 70-er und 80-er hier gelebt haben. John ist mit seiner „Betsy“, einem Mitsubishi Pick-Up, vor ein paar Jahren von der Schweiz nach Ghana gereist, wo er dann seinen bakkie verschifft hat. Der Zufall will es, dass ein schwedisches Paar, das ich in Senegal kennengelernt habe, ebenfalls John kennt und hier zu Besuch war. Ich bleibe fast eine Woche bei Ihnen, fühle mich wie zu Hause. Während ich auf Ersatzteile für das Velo warte, machen wir einen Ausflug in ein Tierpärkli, dem Addo Elephant National Park. Und tatsächlich: nach fast 400 Tagen kann ich  dann endlich meinen ersten Elefanten sehen. Hier oben ist er, der Knabe. Danke für die wunderbare Zeit, John und Anne !

Zu guter Letzt: Vielen Dank für die Spenden ! Die Probleme mit dem Spendenlink auf der rechten Seite sind nun gelöst, sodass nun weiterhin für das Bildungsprojekt im Norden Mosambiks gespendet werden kann.


Rooibos, Richtersveld und Regenbogen

Mittlerweile bin ich an der Südküste in der Ortschaft Hermanus angelangt. Mein Freund Ig hat mich von Franschhoek aus bis hier begleitet. Wir sind skeptisch, das Wetter sieht nicht verlockend aus. Auf dem Franschhoekpass holen uns Wolken und Nieselregen ein, verpassen uns eine Dusche. Leider keine Aussicht auf das Weingebiet. Sturmböen fegen uns auf der Abfahrt fast vom Sattel. Glücklicherweise reisst kurz später der Himmel etwas auf, ein majestätischer Regenbogen baut sich vor uns auf. ­Starker ­­­­­­­­­­Rückenwind und einige Sonnenstrahlen sorgen dafür, dass wir im Nu wieder trocken ­sind. Auf der Brücke über einen Stausee schieben wir das Velo, der Seitenwind ist zu heftig. Danach folgt eine Fahrt durch abgeschiedene Täler und Weinhügel, bis wir nach 90 Kilometern die Küste und Hermanus erblicken. Hermanus ist, wie oft angepriesen wird, die weltweit beste „land-based whale watching destination“. In diesen Monaten sind vom Land aus viele Wale zu sehen. Kurz vor 14 Uhr fängt es, wie vorhergesagt, an zu regnen. Perfektes Timing. Ig lädt mich im Restaurant Burgundy zu feinem Fisch ein. Er gibt mir die Schlüssel zu seinem gepflegten Strandhaus. „Bleib solange, wie Du willst“, bemerkt er, bevor er mit seinem „bakkie“, seinem Landcruiser, wieder zurück fährt.
Namibia liegt nun schon eine Ewigkeit hinter mir, und doch scheint es mir, als sei ich erst gestern in der Schweiz gestartet. Tatsächlich bin ich nun schon über ein Jahr lang unterwegs. Und habe immer noch keinen Elefanten gesichtet ! Nicht weiter schlimm, denn die zahlreichen Begegnungen mit den Menschen hier in Afrika sind mit das Schönste, was ich erlebt habe. Die Heimreise – per pedales – werde ich in ein paar Tagen antreten, wenn ich den südlichsten Punkt des afrikanischen Kontinents erreicht haben werde.


Doch zurück nach Namibia und Swakopmund. Dort kommen Wolfgang und ich in einem Backpacker unter, wo wir unsere Zelte im Garten aufstellen. Mitten in der Nacht will sich ein Besoffener Zugang zu Wolfgangs Zelt verschaffen, in der Absicht, seiner Liebsten ein Toastsandwich zu kredenzen. Wolfgang verjagt den Besoffski. Dieser ramponiert die Zeltstangen, nützt das Waschbecken in der Küche, um sich zu übergeben. Nächstentags stellt Wolfgang den Übeltäter – eine Gummilatsche hat er als corpus delicti behalten – und macht erfolgreich an Ort und Stelle seine Schadenersatzforderung geltend. Etwas unter Zeitdruck, nimmt sich Wolfgang ein Mietauto. Ich fahre bis Sesriem mit. Dort wird die nächste Episode seiner Zeltgeschichten geschrieben. Wir sind gerade am Kochen, als mit einem kräftigen Windstoss sein Zelt samt Heringen davonfliegt. Zum Glück nicht allzu weit weg, doch das Aussenzelt hat einen Riss abbekommen. Mein Zelt hält dem stürmischen Wind zwar wunderbar stand, dafür türmen sich drinnen die Sanddünen auf.


Die Sanddünen des Sossusvlei liegen innerhalb des eintrittspflichtigen Namib Naukluft Parks. Ausserhalb des Parks zu übernachten hat den Vorteil, dass auf dem Camping doppelt soviel bezahlt wird wie innerhalb und der Eintritt in den Park überdies erst eine Stunde später gewährt wird (erst um 6:45) und Touristen mit einem Minimum an  fotografischem Ehrgeiz garantiert das frühe Morgenlicht im 63 Kilometer entfernten Sossusvlei verpassen. Besten Dank an die Touristeninformation in Swakopmund ! Wolfgang verabschiedet sich, fährt zurück nach Swakopmund, ich wechsle Zeltplatz. Am nächsten Tag fahre ich mit Claudia und Marco, einem jungen Paar aus dem Tirol rein. In der Dunkelheit starten wir, vor uns steht bereits ein Konvoi von 4×4 und Touristenbussen ungeduldig Schlange. Marco stammt aus der gleichen Ortschaft wie Gerhard Berger, dem Ex-Formel Eins Fahrer. Er will ihm wohl alle Ehre erweisen, fährt trotz Geschwindigkeitsbegrenzung ­­­­­sehr beherzt und redbullmässig. Sein Ford Fiesta führt nach wenigen Kilometern bereits den Konvoi an. „To finish first, first you have to finish“, heisst es in Motorsport-Kreisen. Bei einer Flussdurchfahrt (ein Fluss meint in Namibia meist ein ausgetrocknetes Flussbett) halten sich ein paar Springböcke am Wegesrand auf. Hic et nunc ! Einer meint, uns seine Sprungkünste auf der Strasse vorführen zu müssen, nimmt in der letzten Sekunde einen Sprung und verfehlt um Zentimeter den stark abbremsenden Fiesta. Genau so wie der uns verfolgende Konvoi den Fiesta. Diesmal sind wir tatsächlich die ersten auf dem Dead-Vlei, einer ausgetrockneten Lehmsenke mit jahrhundertealten, abgestorbenen Kameldornbäumen, beliebtes Fotomotiv für Postkarten.

Ich fahre Richtung Süden, nehme einen Umweg über die „Traumstrasse“ D707. Die Landschaft ist weitläufig, auf meiner Linken die Tirasberge, auf meiner Rechten grasbedeckte rote Dünen des Namib. Abgesehen von Zebraherden, Springböcken und Oryxantilopen völlige Abgeschiedenheit. Die wenigen Reisenden, denen ich begegne, halten häufig zu einem kurzen Schwatz an, schenken mir Brot, Früchte und Schokolade. Ausser Farmern lebt hier niemand, die Buschmänner wurden schon vor sehr langer Zeit vertrieben. Bei einem Farmer halte ich an, frage die Dame spasseshalber: „Do you have apple pie?“ No. „Do you have Coke?“ No. „Do you have water?“ Yes. Nur das wollte ich eigentlich hören. „And what the hell does an Alfa Romeo GT Junior 1300 here?“, frage ich sie weiter. Der gehöre ihrem Mann, vor 30 Jahren gekauft, wenn er vielleicht einmal mit „farmen“ aufhöre, werde er ihn instand setzen. Hätte ich nicht vor 10 Jahren einen Drahtesel gekauft, würde ich heute wohl ein solches Stück Blech, in das man viel Geld reinsteckt, bei Liebhabern „Kantenhauber“ genannt, mein Eigentum nennen. Der Drang nach Apfelkuchen ist übrigens eine Nachwirkung der einsam gelegenen Tankstelle Solitaire. Seit 20 Jahren bäckt der übergewichtige Noose mit Spitzbärtchen vorzüglichen Apfelkuchen. 150 bis 200 Kilogramm an Spitzentagen. Endlich dann wieder Teerstrasse. Ich fahre Richtung Osten. Darf bei der luxuriösen Lodge „Alte Kalköfen“ zelten, an der ehemaligen Haltestelle Simplon, benannt nach dem Herkunftsort der Ehefrau des Gründers dieser Kalköfen.

Unweit von Ketmannshoop möchte ich mir den Köcherbaumwald ansehen. Die Köcherbäume sind genau genommen Sukkulenten und Aloepflanzen. Der Name rührt von den San – den Buschmännern – her: die ausgehöhlte Rinde der Äste diente als Köcher für die Pfeile. Sie werden bis neun Meter hoch. Die grössten Exemplare im Quiver Tree Forest bei Ketmannshoop sind 200 bis 300 Jahre alt. Ich bleibe zwei Tage, um die Pflanzen jeweils ausgiebig bei Sonnenuntergang und -aufgang fotografieren zu können. Mein Kocher wird zur Untätigkeit verdammt. Auf dem Camping werde ich morgens von einem Paar aus Pretoria zum Frühstück eingeladen, abends dann von einem holländischen Paar zu „boykie“, einem traditionellen Essen der Buren. Viel Gemüse und Fleisch in einem Topf aus Gusseisen mit Füssen, das direkt aufs Feuer gestellt wird. Und drei Hülsen Windhoek Lager zum Runterspülen. Praktisch jedes Mal, wenn ich einen Campingplatz aufsuche, geht es so weiter. Stets sehr freundliche Südafrikaner, die mich zum Essen einladen, mir einen Sack voller Energieriegel schenken, ein Sandwich mit auf den Weg geben, Kaffee kochen. Es wären zu viele, um alle aufzuzählen. Deshalb an dieser Stelle ein Dankeschön an die ganze Verpflegungscrew ! Und wenn wir schon die Gastronomie streifen: Biltong und Drywoers sollen nicht unerwähnt bleiben. Trockenfleisch und Trockenwürste, leicht, extrem proteinhaltig, ideal für Radler.

Einen Steinwurf vom Köcherbaumwald befindet sich eine Landschaft aus riesigen Blocksteinen, Giant’s Playground genannt. Man könnte meinen, Asterix, Polyphem und Herkules hätten sich hier, noch in Kinderschuhen steckend, ein Stelldichein gegeben. Entweder hat mich sich in einer Viertelstunde sattgesehen, oder man knallt sich Sigur Ros‘ auf den Ipod, verirrt sich durch die bizarren Steinformationen und lässt der Phantasie zwei Stunden lang freien Lauf.

Zehn Kilometer vor dem Eingang zum Fish River Canyon überholt mich der Magirus Deutz von Karl-Heinz „Benemsi“. Benemsi, Sohn des Deutschen, ist eine Anspielung an die Romane von Karl May. Ich habe ihn in Swakopmund kennengelernt, jetzt kommt er wie gerufen. Denn die verschiedenen Aussichtspunkte runter zum zweitgrössten Canyon der Erde sind an einem einzigen Tag mit dem Velo nicht zu bewältigen. Ich zelte in der Nähe des Trucks. Das Quecksilber erreicht in der Nacht nun regelmässig den Gefrierpunkt. Am nächsten Tag machen wir am Parkeingang ab und fahren zusammen rein. Da er ebenfalls in den Richtersveld Park möchte, fahre ich noch ein paar Tage mit ihm mit.

Karl-Heinz, 64 Jahre alt, ist eine Legende. Er hat 45 Jahre Sahara-Erfahrung. Kennt die Sanddünen in Algerien, Libyen und Tunesien wie seine Westentasche, hat dort zahlreiche Touren geleitet. Auf diesem Trip ist er seit zwei Jahren unterwegs. 150‘000 Kilometer und 45‘000 Liter Diesel-Treibstoff. Von Libyen wollte er mit seinem 12 Tonnen leichten Truck eigentlich nach Island tuckern. Bis er merkte, dass Hunde dort erst nach einer halbjährigen Quarantäne Einlass gewährt wird. Keine Frage, sein treuester Begleiter, Kali, ein Sivas Kangal – ein türkischer Hirtenhund – kommt überall mit. Also bogen sie nach Osten ab, fuhren über Russland zum Baikalsee und zur Mongolei. Danach über Zentralasien, Iran, Türkei, Syrien runter nach Libanon. Wegen der Unruhen in Ägypten mussten sie nach Saudi-Arabien ausweichen. Im Oman wurden ihm wieder die Wege abgeschnitten: in Jemen fingen die Tumulte an. Also musste der „alemani musulmani“ ein drittes Mal nach Saudi-Arabien einreisen, um dann endlich mit der Fähre nach Ostafrika überzusetzen.

Während wir gemächlich durch die Wellblechpisten tuckern, wird Karl-Heinz gesprächig, erzählt Anekdote um Anekdote. Wie er vor 30 Jahren den letzten Tropfen Alkohol getrunken hat. Wie er als junger Bursche für drei Jahre nach Namibia und Südafrika ausgewandert ist. Er erzählt von seiner Stammkneipe in Windhoek. Wie die ganze Bande, mit der er sich dort verstammelte, in Untersuchungshaft kam, weil sie mit farbigen Frauen verkehrte. Intimverkehr mit einer Farbigen konnte aber nur einem einzigen nachgewiesen werden. Der kam für einen Monat in den Knast. Verkehrte Welt, während der Apartheidzeit war dies noch verboten. Oder wie er mit Kollegen Elefanten-Stosszähne fand, die sie untereinander aufteilten, er das beste Los zog, einen ganzen Zahn behalten durfte, dieser aber dann doch zu gross war, um ihn unerkannt ausser Landes zu schaffen. Und so liegt er immer noch irgendwo in Namibia begraben. Immer wieder kommt Benemsi ins Schwärmen, wenn er von seiner Fahrt über den „hohen Pamir“ in Tadjikistan erzählt.

Wir zelten an einem idyllischen Ort neben dem Oranjefluss, nehmen dann den kleinen Genzübergang bei Senderlingsdrift. Die namibischen Grenzbeamten nehmen Karl-Heinz zwei lybische Faustkeile ab. Diskutieren nuetzt nichts. Auf Steine sind die Beamten hier besonders scharf. Vor allem Edelsteine und Diamanten. Das ganze Gebiet, auch auf der südafrikanischen Seite, ist Diamantengebiet. Sperrgebiet. Die Landschaft ist umgestaltet, überall türmen sich Sand- und Erdhügel auf, die wohl nicht von Erdmännchen stammen. Bei Senderlingsdrift nehmen wir den Ponton über den Fluss. Gewichtsbegrenzung: Fünf Tonnen. Wie schwer denn der Truck sei, erkundigt sich der Fährmann pflichtbewusst. Mit Gepäck etwas mehr als vier Tonnen, antwortet Karl-Heinz.

Wir setzen über. Willkommen in Südafrika ! In der Regenbogen-Nation mit 11 offiziellen Sprachen. Dem am weitesten entwickelten Staat auf dem afrikanischen Kontinent. Spätestens seit der Fussball-WM 2010 sind die röhrenden Vuvuzuelas in aller Munde: Südafrika ist das Sprachrohr Afrikas, Mitglied der G-20, Heimat von Nelson Mandela, Symbolfigur Afrikas. Ein ganz anderes Afrika als West- oder Zentralafrika. 1487 umschiffte der Portugiese Bartolomez Dias das Kap der guten Hoffnung. 1652 liessen sich unter der Führung von Jan van Rieebeck die ersten niederländischen Siedler in der Absicht nieder, hier eine Versorgungsstation für die Schiffe der Niederländischen Ostindien-Kompagnie auf dem Weg nach Asien zu begründen. Von dort wurden Indonesier als Sklaven hergebracht, deren Blut noch heute in vielen Farbigen fliesst. Seit 1994 ist die Apartheid abgeschafft, doch noch immer besteht ein Wohlstandsgefälle.


Ich fahre noch ein Stück mit Karl-Heinz. Er will in den Richtersveld National Park, eine wilde, trockene Gebirgswüste, in der sich viele Sukkulenten finden. Ein anderer Radfahrer, Adrian aus der Schweiz, der viele abgelegene Routen in Afrika getestet hat, beschreibt die Situation knackig: „Die Pisten sind so schlecht (Sand, Steine, Wellblech, steil), dass man immer auf die Strasse starren muss. Eher ein dauernder Kampf als Geniessen der schönen Landschaft.“ Ich glaube ihm gerne, der Gegenbeweis wird mir eh nicht gelingen. Ob das Verkehrsmittel nun 12 Kilogramm oder 12 Tonnen wiegt: miserable Piste bleibt miserable Piste. Die per GPS geplante Rundfahrt von 120 Kilometer schaffen wir immerhin ansatzweise. Nach dem ersten Pass und 28 Kilometer müssen wir wieder umkehren. Die Fahrt ist dessen ungeachtet eindrücklich, wir werden mit einer tollen Gebirgslandschaft belohnt. Karl-Heinz lenkt sein 1000-Sterne-Hotel Zentimeter um Zentimeter über sehr steile und steinige Abschnitte. Mit der Ausrede, dass ich draussen fotografieren wolle, verdufte ich aus der Fahrerkabine und schaue mir den Balanceakt aus sicherer Entfernung an.

In Springbok teilen sich dann wieder unsere Wege. Als ich losfahren möchte, zieht ein Gewitter auf. Denn ganzen Tag stürmt, regnet und hagelt es. Es ist, wie alle hier immer versichern, einer der kältesten Winter seit Jahrzehnten. Die „greatest flower show on earth“ hier im Namakwa-Land hält deshalb nur zögerlich Einzug. Die legendären Wildblumen, die hier im jeweils im südafrikanischen Frühling in riesigen Feldern blühen, sorgen für die touristische Hochsaison in dieser Gegend. Immerhin kann ich hier und da die ersten farbigen Blumenteppiche bewundern.

Auf der Hauptachse N7 fahre ich bis Vanrhynsdorp, schaffe dank des Nordwindes und trotz einigen Hügeln 150 Kilometer an einem Tag. Danach verlasse ich die N7. Auf der Suche nach attraktiveren Nebenstrassen und Pässen werde ich bald fündig. Der Vanrhynspass ist mit sieben Kilometern nicht lang, hat aber zeitweise gnadenlose Steigungen von 16 %, die mich zum Schieben zwingen. In Niewoudtville angekommen, fängt es wieder an zu regnen bzw. ich fahre dort in den Regen rein. Zelten wäre heute ein Akt der Selbstpeinigung, ich gönne mir daher den Luxus eines Zimmers, inklusive Kochecke und Heizdecke. Nach 58 Nächten im Zelt bin ich echt froh, wieder einmal in einem Bett schlafen zu können. Am nächsten Tag ist es noch frisch, aber die Sonne scheint erfreulicherweise wieder hervor.

Ich freue mich auf eine einsame Piste, die „Moedverloor“ , was auf Afrikaans- der Sprache der von den Holländern stammenden Buren – soviel heisst wie „Hoffnung verloren“. Trotz teils noch etwas aufgeweichter Piste verliere ich den Mut nicht und bin hoffnungsvoll. Und erst später werde ich darüber aufgeklärt, dass viele der Büsche in dieser Heidelandschaft Rooibos sind. In der Farm Bloemfontain frage ich, ob ich mein Zelt aufstellen könne, da mir die umliegende Landschaft eine Spur zu sumpfig und nass ist. Ich bekomme bestätigt, dass die Farmer in Südafrika als sehr gastfreundlich gelten. Ich solle doch reinkommen, draussen sei es zu kalt, meinen Susanne und Koos. Während mich Susanne verköstigt und reichlich Rooibos-Tee einschenkt, nimmt sich Koos am nächsten Tag Zeit, um mir seine Farm zu zeigen und mir viel über Rooibos, seine Farm und seine Töfftouren mit seinem Sohn zu erzählen. Das Gebiet zwischen Nieuwodtville und Citrusdal ist weltweit das einzige Anbaugebiet für Rooibos. Danke Susanne und Koos !

Es folgen weitere Pässe: der Pakhuis-Pass am Fusse der Cederberge. Kurz davor sind Felszeichnungen von Buschmännern zu bewundern. Das Gebiet ist ein Eldorado für Kletterer. Nach Clanwilliam folgt der Middelsbergpass, der in ein fruchtbares Tal führt. Der Gydopass führt runter nach Ceres, von dort geht es auf den Bainskloofpass, ernannt nach dem Ingenieur Thomas Bain, der eine Vielzahl von Strassen und Pässen in Südafrika gebaut hat. Die riesigen Früchte- und Gemüseplantagen nördlich von Ceres versorgen halb Europa, die Fruchtsäfte der Marke „Ceres“ halb Afrika.

Durch das Weingebiet komme ich schliesslich in Stellenbosch an, einem bekannten Weingebiet. Eichenalleen säumen die alten Gebäude aus dem 17. Jahrhundert. Hier empfängt mich Meiring, der Sohn von Ig, den ich in Namibia auf dem Campingplatz von Purros kennengelernt habe. Ig ist 62, seine drei Söhne sind wie er Bauingenieur, seine Tochter Architektin. Ig und seine Söhne sind, wie viele Südafrikaner, velobegeistert, sehr sportlich. Am Cape Argus Race, dem 110-Kilometer Klassiker rund um die Cape Halbinsel hat er 19 Mal teilgenommen. Mit rund 35‘000 Teilnehmern ist es die grösste Radveranstaltung. Südafrika ist ein Mekka für Mountainbiker. Die Bike-Shops sind mit den neuesten und teuersten Carbonräder ausgestattet. Noch heute setzt sich Ig viermal die Woche, jeweils um 5 Uhr morgens, mit Stirnlampe, für zwei Stunden aufs Rad, bevor er zur Arbeit geht. Wir erkunden mit dem Rad die Weinberge, probieren gute Weine aus.

In Cape Town besuche ich Shirley und Theo, auch sie habe ich im gleichen Camping in Namibia kennengelernt. Sie haben damals Wolfgang und mich zum Nachtessen eingeladen. Seit 12 Jahren wohnen sie in Kapstadt, vorher in Johannesburg. Kapstadt ist mit Abstand einer der attraktivsten Städte weltweit. Europäische Städte haben zwar viele alte Kulturbauten, die meisten können aber im Vergleich zu Kapstadt zusammenpacken. Raumplaner sollten sich das mal ansehen. Kapstadt ist aus einem Guss, sauber, gepflegt, praktisch keine Werbeplakate sind zu sehen, wenig Zäune, farblich treten alle Gebäude einheitlich auf. Alte Autos gibt es nicht, dafür reichlich Karrossen der deutschen Autobauer. Kapstadt liegt wunderbar eingebettet zwischen Ozean und Tafelberg. Reben, Eichenalleen, Strände, Klippen, Pärke. Freilich sind auch die einfachen Hüttenbehausungen zu sehen, insbesondere im Stadtteil Kyaletsha. Theo führt mich um die Kaptstadt-Halbinsel und mit Kollegen sogar eine kleine Segeltour in der Bucht. Ig, Cecile, Theo und Shirley, vielen vielen Dank für eure wunderbare Gastfreundschaft !

Mein Dank an die fleissigen Leser- und Leserinnen, die sich die Zeit genommen haben, nicht nur Bilder anzuschauen, sondern den ganzen Artikel fertig zu lesen ! Die verbliebene Aufmerksamkeit sei auf die Spendenanzeige rechts gelenkt. Was ich der Schweiz verdanke ist, dass sie mir eine gute Bildung ermöglicht hat. Das ist nicht selbstverständlich. Nur mit guter  Schulbildung vermag man aus der Armut zu treten. In rund 2 Monaten werde ich in Mosambik sein. Ich sammle Geld für ein Alphabetisierungszentrum im Norden des Landes, das vor allem Frauen zugute kommt. Rund 90% der Frauen in den ländlichen Teilen der Provinz Cabo Delgado können weder lesen noch schreiben. Vom wirtschaftlichen Aufschwung im Süden des Landes ist dort wenig zu verspüren. Vielen Dank für Eure Unterstützung und euren Beitrag!

Some words on English: It’s a long time ago that I haven’t updated my blog. Meanwhile, I am already one year on the road, but haven’t spotted any elephants. Who cares ? The most interesting part of travelling is to meet people, hear their stories, share good moments. Let’s go back to Swakopmund. Wolfgang and I left that very german-like town. As he was short on time, he rented a car to get to Sesriem. Inside the Namib Naukluft Park, the famous dunes of Sossusvlei are the main attraction. I went twice. The first time, we were only allowed to enter the gate one hour after those who camped inside the park. The second time, I got a lift from an austrian couple and we were the first to be in Dead Vlei, still in the shadow of the huge dunes. At the price of almost crashing with a springbok on the road. From Sesriem, I cycled southwards, taking scenic gravel roads through remote areas and wide spaces. Wonderful wild camping spots, with herds of zebras and oryx. Nearby Ketmannshoop, the Quiver Tree Forest is a must for photographers. The Quiver Trees are aloe plants, called « Kokerboom » because Bushmen used the branches to make quivers for their arrows. Some kilometres before the gate to the Fish River Canyon, I met Karl-Heinz, an 64-year old German, who’s travelling with a 12 tons light Magirus Deutz, both protected by his turkish dog Kali. Almost two years on the road, Karl-Heinz did an incredible trip so far, through countries like Siberia, Mongolia, Central Asia and Saudi-Arabia. Together, we visited the park and later on also the Richtersveld Park in South Africa. In the so called Namakwa-Land in the northwestern part of South Africa, the winter was one oft the coldest since ages. Rain, storms and even hail obliged me to stop. As soon as the weather cleared up, I headed for several passes, saw rock paintings from bushmen, some fields of wildflowers and enjoyed much cycling, far away from the busy N7. The South Africans I met along the road were very friendly and hospitable. In Bellville, I was hosted by Ig and Cecilia, which I met in a campsite in Namibia. The same campsite were I made acquaintance with Theo and Shirley, whom I visited in Cape Town and who hosted me for two days. All were incredibly friendly and helpful and I enjoyed much to stay with all of them. Ig, very fit on the bike, rode from Franschhoek to Hermanus, where I could stay in his beachhouse. Thanks a lot !


Himbas, Hereros, Hochstimmung

Über drei Wochen sind nun vergangen, seit Radlerkumpane Wolfgang und ich von Windhoek aufgebrochen sind. Mittlerweile sind wir, müsste man meinen, an der Nordsee angelangt. Trotz Südkurs. Das deutsche koloniale Erbe ist in Swakopmund deutlich erkennbar: in Apotheken und der Touristeninformation, in der haufenweise Hochglanz-Prospekte und Führer aufliegen,  wird Deutsch gesprochen; in der Treffpunkt-Bäckerei wird währschaftes Bauernbrot gebacken und feine Schwarzwälder-Torte angepriesen. Und in der Hansa-Brauerei Bier nach deutschem Reinheitsgebot gebraut. Der kalte Benguela-Strom sorgt für nordeuropäisch kühle Temperaturen und reichlich Nebel. Ich geniesse die Tage hier in Swakopmund, vor allem sagt mir das reichliche Angebot an Essen zu. Ich muss meine Batterien zunächst wieder aufladen.

Nun, Kinshasa und Zentralafrika liegen nun schon eine Weile zurück. Namibia ist ein ganz anderes Afrika als ich es bisher erlebt habe. Keine Garküchen am Strassenrand, keine Frauen, die Wasser auf dem Kopf tragen, keine Bretterbuden-Kioske. Keiner ruft mir jetzt „Toubab“, „Jovo“, „Oyibo“, „Mundele“ oder „Le Blanc, le Blanc“ mehr zu. Viele Weisse gibt es hier in Namibia, dem ehemaligen Deutsch-Südwestafrika, das erst seit 1990 unabhängig ist und lange von Südafrika verwaltet worden ist. Nach Marokko und Senegal das erste Land, in dem ich ohne Visum einreisen kann. Was für eine Wohltat ! Namibia setzt voll auf die Karte Tourismus, mittlerweile der zweitwichtigste Wirtschaftsfaktor. Die Devisenbringer will man nicht mit unnötigem Formalismus verärgern. Die sollen ihre Knete für Übernachtungen in teuren Lodges, Game Safaris und Mietautos ausgeben. Über 80‘000 Deutsche besuchen das Land jährlich, Tendenz steigend.

Die Luft in Namibia ist staubtrocken, kein tropisches, feucht-klebriges Wetter mehr. Keine Mücken, keine lästigen stechenden Biester. Trotz warmen Temperaturen weht ein kühler Wind in Windhoek, als ich ankomme. Nachts wird es recht kalt, teils sinken die Temperaturen bis auf drei, vier Grad runter. Als erstes kaufe ich mir in Windhoek eine Faserpelzjacke und warme Socken. An das Linksfahren mit Rechtsvortritt gewöhne ich mich schnell, nachdem ich beim Überqueren der Strasse fast angefahren worden bin. In Namibia macht das Radfahren einfach Spass: lange Distanzen auf Schotterpisten, praktisch ausschliesslich wild zelten und tagsüber Wild beobachten. Die Kehrseite: man muss Vorräte bunkern und viel Wasser transportieren. Bis zu 20 Liter. Und das auf teils üblen Pisten.

Wolfgang, Textildesigner aus Osnabrück, 62 Jahre jung, habe ich vor zwei Jahren in Norwegen beim Radeln kennengelernt. Wer ihn besser kennenlernen möchte, möge diesen gut geschriebenen Zeitungsartikel lesen. Wir haben uns sofort gut verstanden, sind über eine Woche zusammen gefahren, unter anderem auf den teils noch schneebedeckten Rallarvegen auf dem Hochplateau Hardanganervidda. In diesen Tagen schieben wir das Rad nicht durch den Schnee, sondern durch Sandpisten. Von Windhoek fahren wir zunächst mit dem Bus rauf in den Norden nach Oshakati, von der grössten Volksgruppe, den Ovambos, besiedelt. Im gleissenden Morgenlicht erscheint der helle Sand wie Schnee. Der Eindruck wird durch Wollmützen und Daunenjacken tragende Namibier noch verstärkt.  Den Türken das Ü, den Ovambos das O: alle Ortschaften fangen mit diesem Buchstaben an: Ondangwa, Oshakati, Okahao, Opuwo, Orupembe.

 

Von luxuriösen Lodges nehmen wir Abstand. Ebenso machen wir um den Etosha Nationalpark einen grossen Bogen. Lieber klopfen wir ab und zu bei Einheimischen an, um bei Ihnen unser Zelt aufzustellen. Zwei Tage rollen wir auf feinem Asphalt bis nach Opuwo. Danach ist schon Schluss mit der „tared road“. Stattdessen Schotter, Wellblech, Sand und Feinstaub.  Opuwo ist übrigens eine äusserst interessante Stadt. Hier sieht man Himba-Frauen in traditioneller Aufmachung – braun angemalt, mit Lederschürzen und viel Schmuck – neben Herero-Damen in aufwendigen, selbstgenähten Trachten in wilhelminischen Stil. Junge Frauen in Jeans und pechschwarze Nama-Frauen tumeln sich ebenso auf dem Markt. Fast schon Karnevalsstimmung.

 

Wir machen einen Abstecher in die Namib Wüste. Für die 380 Kilometer von Opuwo nach Westen bis nach Orupembe, danach südöstlich nach Purros und Sesfontain benötigen wir über eine Woche. Die Landschaft ist sehr abwechslungsreich, es ist einfach herrlich hier zu Radeln und wild zu zelten. Trotz der schlechten Strassenbedingungen, die Wolfgang einige Male zu Boden zwingt. Die Durschnittsgeschwindigkeiten bewegen sich leicht über 10 km/h, sinken sogar auf 8 km/h ! Nur sehr wenige Touristen wagen sich in diese abgelegene Gegend im Kaokoveld. Kakaofeld könnte man fast meinen, wenn man die mit rotbrauner Farbe eingefetteten Himba-Frauen sieht. Die Paste besteht aus Fett, Kräutern und eisenhaltigem Gesteinspulver und dient als Schutz vor Hitze und Kälte.

 

Nach Orupembe fängt die Wüste Namib so richtig an, die als älteste der Welt gilt. Als wir unsere Wasservorräte gefüllt haben, bemerke ich, dass wir an diesem Tag allerhöchstens zwei Fahrzeuge sehen werden. Kurze Zeit später fährt uns ein Motorradfahrer entgegen. Er winkt mir zu, will vorbeifahren. Eine BMW, Lederjacke, zerrissene Jeans, lange Haare. Der Anblick kommt mir bekannt vor. Geistesgegenwärtig rufe ich sofort: „Michael, warte !“ Ich laufe zu ihm zurück, der Fahrer nimmt den Helm ab. Tatsächlich: ausgerechnet hier in der Namib-Wüste (wo denn sonst ?) treffen wir Michael Martin, den berühmten Wüstenfotografen und einer der besten deutschsprachigen Vortragsreferenten, an. Seine Diavorträge „Die Wüsten Afrikas“, „Die Wüsten der Erde“ und „Michael Martin – 30 Jahre Abenteuer“ waren für mich ein Hochgenuss an kalten Winterabenden. Vor wenigen Wochen war er noch in den Eiswüsten von Sibirien unterwegs, bald wird er nach Grönland reisen. Davor zieht er aber noch einige Runden in der Mongolei. Und er ist nicht alleine unterwegs. Im Schlepptau hat er das ARTE-TV Team, die eine Doku-Serie über ihn dreht. Und prompt wollen sie die Begegnung mit einem seiner 2‘000 Facebook-Freunde auf Leinwand, bzw. Speicherkarte bannen. Wir stellen die Szene nach. Zum Glück habe ich ja mittlerweile etwas Erfahrung vor der Kamera sammeln können.

Das geschenkte Bier abends mitten in der Einsamkeit und der Stille der Wüste unter einem imposanten Sternenhimmel schmeckt herrlich. Am Morgen dann dringen Nebelschwaden praktisch bis an unsere Zelte vor. Dem kalten Benguela-Strom sei Dank. Auf der ganzen Strecke beobachten wir übrigens viele Tiere: Strausse, Oryx-Antilopen, Springböcke, Zebras, Kudus und sogar eine Herde von Giraffen rennt mir vor meiner Nase über die Strasse.

Am nächsten Tag erreichen wir, abgekämpft, die kleine Ortschaft Purros. Hier gönnen wir uns einen Ruhetag auf dem Campingplatz, an dem sich eine Gruppe von 18 Fahrzeugen aus Südafrika eingefunden hat. Wolfgang und ich müssen wohl etwas mitgenommen aussehen. Jedenfalls werden wir reichlich mit Bier, Cola, Orangen, Äpfeln, Billtong (getrocknetem Fleisch), Brot, einem halben Kilo Carpaccio-Fleisch und einer 2-Kilogramm-Kudu-Kochwurst (die uns dann irgendwann einmal aus den Ohren wächst) beschenkt. Das individuell reisende Paar Theo und Shirley aus Südafrika lädt uns sogar zu einem Nachtessen mit „juicy“ Bratwürsten ein. Und mich nach Cape Town . Dass uns noch das härteste Stück bevorsteht, ahnen wir nicht. Rund 8 Kilometer lang müssen wir die Räder durch roten Sand schieben. Danach grober Schotter. Endlich kommen wir dann in Sesfontain an.

Von hier geht es, immer noch auf Schotterpiste, nach Palmwag und danach zu den Felszeichnungen von Twyfelfontain. In Uis gönnen wir uns eine Nacht auf dem Campingplatz. Wir sind ganz alleine dort. Doch die Ruhe ist bald vorbei, als eine Gruppe von lauten KTM-Töffs mit vier Begleitfahrzeugen sich auf dem ganzen Campingplatz breit macht.

Nächstentags werden wir von einem freundlichen Paar in Ruhestand, Besitzer eines Guesthouses, zu Kaffee eingeladen. Wir starten spät, um 11 Uhr. Doch der starke Rückenwind schiebt uns Richtung Küste. Die ersten 77 Kilometer fahren wir mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von sagenhaften 26 km/h. Danach wechselt der Wind innert weniger Minuten abrupt und bläst uns nun frech ins Gesicht. Bis nach Hentjes Bay schaffen wir es nicht. In der Nacht dreht dann der Wind wieder ab, bis zur Küste fliegen wir wieder. Die über 70 Kilometer gegen den Wind bis Swakopmund sind anstrengend. Wolfgang ist von der ganzen Schufterei der letzten Wochen auf diesen schlechten Pisten  gezeichnet, hat einige Kilos abgenommen. Das Zelt ist ihm am Morgen beim Zusammenpacken davongeflogen, er musste hinterher rennen. Er hat dann irgendwo seine Sonnenbrille verloren, hat sich den Rücken verrenkt, als er das auf den Boden gefallene Rad aufheben wollte. Und auch ich bin langsam ausgelutscht.

Wunden lecken in Swakopmund ist angesagt. In zwei Wochen fliegt Wolfgang zurück. Die Schufterei bis zu den Sanddünen von Sossusvlei will er sich nicht mehr antun, zumal die Zeit auch knapp wird, sodass er nun motorisiert dorthin fahren wird. Danke für die tollen Radeltage, Wolfgang !

 


Gang nach Canossa

Den Aufmerksamen wird nicht entgangen sein, dass ich in den letzten zwei, drei Wochen wohl mit Siebenmeilen-Pneus unterwegs gewesen sein muss, der Kilometerzähler hingegen etwas schlapp gemacht hat.

Nun, in Yaoundé reift ein Bauchgefühl zu einem Beschluss, der sich übrigens durch die späteren Ereignisse als goldrichtig herausstellen wird: ich werde zügig durch Zentralafrika, einschliesslich Demokratische Republik Kongo, ex-Zaire, reisen  und nicht die ganze Strecke radfahren, und etwa Angola auslassen. In Kinshasa, so mein Plan, werde ich in einen Flieger steigen. Von hier gibt es bessere Verbindungen als von der Hauptstadt Brazzaville am anderen Ufer des Kongo-Flusses. Das Velo ist leicht und platzsparend und kann bei Bedarf in ein Buschtaxi, auf einem Truck oder sogar im Flugzeug mitgenommen werden.

 

Wieso ? Die Zeit rennt mir etwas davon, der schwarze Kontinent hat radfahrerisch noch Einiges zu bieten, vor allem im südlichen und östlichen Teil. Und vor allem: ein guter Freund wird mich Mitte Juni in Namibia besuchen – mit dem Rad. Ich bin nicht traurig darüber, in der tropischen Klimazone kürzer zu treten. Und dass ich das Schild „Vous franchissez l’Equateur“ nicht mit meinem Stahlross davor abfotografieren kann, sondern nur für einen Sekundenbruchteil aus dem Buschtaxi erspähe, na ja, ich werde darüber hinwegkommen. Eine Gelegenheit wird sich noch bieten l

Wie sich Radfahren in den Tropen anfühlt ?  Absolviert eine Trainingseinheit auf einem Hometrainer oder ein Spinningrad. Aber nicht im klimatisierten Fitnessstudio, sondern  im Tropenhaus, an einem Hitzetag und bei direkter Sonneneinstrahlung. Bevor man überhaupt auf dem Foltergerät Platz genommen hat, alleine vom blossen Rumstehen, sich am Kopf Kratzen und sich über die Sinnhaftigkeit des Vorhabens Gedanken zu machen, kullern die Schweisstropfen schon munter hinunter. Sobald man nun aber den Puls um einige Schläge erhöht, und anfängt zu treten, sind Trikot und Hose pitschnass. Und es ist nicht schwierig zu erraten, wann sie bei einer Luftfeuchtigkeit um die 90 Prozent wieder trocken sein werden. Um die ganze Angelegenheit noch reizvoller zu gestalten, sind vorher Mücken und Insekten bestochen worden, damit sie Hetzjagd auf Weisse mit einer leckeren weil seltenen Blutgruppe machen und allen Insektenschutzmitteln Lügen strafen. Meine Beine jucken ordentlich, sind aufgekratzt, die Schürfungen heilen in diesem Klima nur schlecht.

 

Doch zurück nach Zentralafrika, zum Gastgeber der letzten CAN – Coupe Afrique des Nations: Gabun. Landschaftlich gesehen einmalig.  Das Land auf Höhe des Äquators besteht zu zwei Dritteln aus Regenwald. Dichter tropischer Wald mit einer reichhaltigen Flora und Fauna. Eine kleine Kostprobe der Tierwelt gibt es, wie schon in Kamerun, kostenlos am Strassenrand zu bestaunen. Immerhin hat der 2009 verstorbene Diktator Omar Bongo 11 % des Landes unter Naturschutz gestellt. Übrigens: Er war (und wird es auch hoffentlich bleiben) der am längste herrschende Staatschef in Afrika: 42 Jahre lang regierte er das Land.

Nur gerade 1.5 Millionen Einwohner hat Gabun. Mit 5 Einwohnern pro Quadratkilometer einer der am dünnsten besiedelten Staaten Afrikas. Aber dank Erdöl, Rohstoffe und Tropenhölzer einer der reichsten, das Las Vegas von Zentralafrika. Von überall kommen sie her, um hier Arbeit zu suchen: aus Mauretanien, Senegal, dem Tschad, Mali, Burkina Faso, Kamerun, Congo. Ladenbesitzer sind zumeist Malier, Mauretanier oder – wie in ganz Afrika wie es scheint – Libanesen.  Alle lästern sie über die Gabuner, die nicht im Ruf stehen, ausgesprochene „Büezer“ zu sein. „Des fainéants“ bekommt man oft zu hören. Hand- und Schwerarbeit überlassen sie lieber den afrikanischen Ausländern. Lebensmittel müssen importiert werden, die Landwirtschaft wird stark vernachlässigt. Immerhin, sie verstehen sich im Organisieren von Sportveranstaltungen.

 

Vor wenigen Wochen fand die Rundfahrt „La Tropicale Amissa Bongo“ statt, geehrt durch die Anwesenheit des „blaireau“ Bernard Hinault. Der junge niederländische Arzt in spe Tom, selber begeisterter Rennvelofahrer, darf den Tourarzt assistieren und dicht hinter dem Peloton die Rundfahrt verfolgen. In seiner Freizeit steigt Tom selber viel aufs Rennrad. Und er hat als Amateur selber an einigen Frühjahrsklassikern teilgenommen: Mailand-San Remo, Golden Amstel Race, Paris-Roubaix. Er absolviert gerade ein Praktikum am Hôpital Schweitzer in Lambaréné, lebt auf dem Campus des Spitals, zusammen mit anderen jungen Ärzten und Biologen, die am Forschungslabor ein Kraut gegen die Malaria tropica züchten. Ich kann drei Tage bei Tom bleiben, das Museum von Albert Schweitzer, das alte, frisch renovierte Urwaldspital besuchen und ein bisschen am Leben im Campus teilhaben.

 

Der Friedensnobel-Preisträger Albert Schweitzer hat 1913 das berühmte Urwaldspital am Fluss Ougouée gegründet. Aus dem Oberelsass in der Nähe von Colmar stammend, promovierte er in Theologie, Philosophie und Medizin, war Professor und begnadeter Organist. Er hat eine Ethik des „Respect de la vie“, Ehrfurcht vor dem Leben vertreten. Prägend ist sein Satz: „Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will.“, der sich auch in der alten Hausordnung des Spitals niederschlägt. Der Einsatz von Insektenschutzmitteln war verpönt und es wird nahegelegt, die armen Kreaturen lieber von Hand hinaus zu befördern. Bereits 1914, als der Erste Weltkrieg ausbrach, wurden er und seine Ehefrau als Deutsche von den Franzosen unter Hausarrest gestellt. Einige Jahre später, als das Elsass zu Frankreich angeschlossen wurde, erhielt er die französische Nationalität.

Eine sympathische Begegnung habe ich in Bifoun, einem  700-Seelendorf. Respektive Strassenkreuzung. Nach Westen geht es nach Libreville, südlich liegt Lambaréné. Ich komme in der Dämmerung an, suche einen Platz zum Schlafen. Der Japaner Seko spricht mich an. Er ist ein JICA-Volunteer. Die Japanese International Cooperation Agency ist das Pendant zu den amerikanischen Peace Corps. Zwei Jahre bleibt er hier, mit Schwerpunkt Landwirtschaft. Ich darf bei ihm schlafen, er lädt mich zu einem Teller Bush-Meat ein, bereitet mir ein tolles Morgenessen, zeigt mir seinen Gemüsegarten. Ich bekomme wohl mehr von der japanischen Gastfreundschaft als von der gabunischen Landwirtschaft mit. Thanks Seko !

Der Reichtum von Gabun schlägt sich übrigens in den Preisen nieder. Ein Halbliter-Wasserbeutel kostet hier das Doppelte als in Kamerun. Die Lebensmittelpreise sind um rund 30 % teurer. Dafür ist das Essen gut, leckere Pouletspiesschen und Fisch. Mit Servietten und auf Alupapiere. Das will etwas heissen.

 

Indem ich ab und zu auf den „öffentlichen Verkehr“ umsteige, bekomme ich noch andere Facetten zu Gesicht: etwa zu sechst eingepfercht in einem Toyota Corolla durch staubige und holprige Pisten zu rasen. Oder in einem Iveco-Truck viereinhalb Stunden für eine Strecke von 55 Kilometern auszuharren – wohlverstanden irgendwo zwischen Brazzaville und Pointe Noire, den beiden wichtigsten Städten im Congo. Die Holztransporter, die grumiers, die im Halbstundentakt an mir vorbeiziehen, wirbeln mächtig Staub auf. Die Chauffeure stammen allesamt aus Malaysia. Seit Guinea habe ich keine so staubigen Pisten mehr gesehen.

Die Republik Kongo, auch Kongo-Brazzaville genannt, nicht zu verwechseln mit dem grossen Bruder, der Demokratischen Republik Kongo, ex-Zaire. Dazu später. Soviel vorweg: das Demokratisch ist reiner Euphemismus. An der Grenze Gabun – Congo treffe ich wieder das österreichische Paar Hanspeter und Sabine an. Ich werde sie bis Brazzaville noch einige Male antreffen, da ich ja nun meine Reisegeschwindigkeit angepasst habe.

Die Piste von der Grenze bis nach Dolisie ist genau nach meinem Geschmack: nicht allzu gute Piste, staubig, viele kleine Dörfer, in denen ich bei den Chefs de village übernachte. Freundliche Leute, die mir kiloweise Orangen schenken. Und der Hammer: die Leute fragen zwar auch hier nach einem cadeau, aber oft nach einer Zeitschrift, etwas zum Lesen. Worauf mein Exemplar der „Jeune Afrique“ flugs den Besitzer wechselt. Die Stadt Dolisie ist eine angenehme Überraschung, sauber, aufgeräumt. Die grosse zweistöckige Markthalle, von einem italienischen Architekten entworfen, schafft Ordnung und Übersicht im Marktgeschehen. Jedenfalls ist es nicht schwierig, das Bush-Meat auszumachen, inklusive Affen. Die „marmites“ der Mamans sind ebenfalls für Überraschungen gut. Während der Trockenzeit sind die „chauve-souris“, Fledermäuse eine Delikatesse.

In der Hauptstadt Brazzaville ruhe ich mich bei der Couchsurferin Chantal, einer Französischlehrerin, in ihrem geschmackvoll eingerichteten Haus, aus, bevor ich dann, nach einer unruhigen Nacht und leichtem Durchfall, den Weg nach Kinshasa antrete. Ich ahne es irgendwie, es wird ein Gang nach Canossa. Die Fähre nach Kinshasa habe ich schnell ausfindig gemacht. Ein heilloses Durcheinander herrscht auf dieser. Viele Polio-Kranke. Was sie auf ihren Dreirädern zu transportieren vermögen, ist zollfrei.  Kongolesen kriegen sich in die Haare. Einige, die sich auf die Fähre geschlichen haben, werden von Sicherheitsleuten unsanft hinausbefördert. Trotz allem bin ich einigermassen guter Dinge, halte ein nettes Schwätzchen mit einem Angestellten.

Kinshasa. Wir legen an. Das Durcheinander scheint nun grösser zu sein, weil alle gleichzeitig aufs Land wollen. Ich habe Mühe, mein Velo um und über Kanister, Säcke und Waren zu tragen. Werde angerempelt, Langfinger versuchen an meinen Hosentaschen Hand anzulegen. Ich bin endlich draussen, laufe die Rampe hinauf. Werde dort von Polizisten freundlich empfangen, Passkontrolle. Das Tor wird geöffnet, ich darf sogleich in ein Büro rein. Dort inspiziert ein übergewichtiger Polizist mein Visum, das ich in Kamerun für 200 Dollar erstanden habe. Es sei ungültig, weil es nicht im Wohnsitzstaat ausgestellt worden sei. Schwachsinn, alle meine zehn Visas habe ich irgendwo in Afrika erhalten. Aber mit einer solchen Tour habe ich fest gerechnet, die Korruption ist berüchtigt hier im Kongo. Ich bleibe ruhig, nehme es mit Humor. Habe schon mal ein, zwei 10-Dollarscheine parat. Gebe ihm zu verstehen, dass ich bereit bin, ihm diese zu schenken. Nichts. Der Typ füllt ein Formular aus, auf dem ich das Wort „Refoulement“  lesen kann.  Mittlerweile ist auch Jean, der Chauffeur von Richard, meinem Kontakt in Kinshasa, eingetroffen. Er kann mir aber auch nicht weiterhelfen.  Nun werde ich von drei Polizisten bestimmt wieder hinausbefördert, ich solle auf die Fähre, die in Kürze nach Brazzaville fährt, zurück. Es erscheint Luigi, ein Angestellter der italienischen Botschaft. Richard hat ihn benachrichtigt. „Il va rester ici !“, befiehlt er den Kongolesen. Konsularischer Schutz nennt sich das. Aber die Typen lassen nicht los, ich muss auf die Fähre, das Chaos ist jetzt noch grösser als vorhin. Eingepfercht in einem kleinen Raum harre ich eine halbe Stunde aus, hungrig, dummerweise macht sich der Durchfall bemerkbar. Mein Pass ist immer noch in der Gewalt des Polizisten, der mich nach Brazza begleiten wird. Ich bin zwar stinksauer, aber ruhig. Das Theater wird in Brazzaville weitergehen, wie soll ich dort mit einem  verfallenen Visum rein? Endlich werde ich gerufen, darf wieder durch das Chaos raus. Mein Visum ist annulliert, ich kriege, Luigi sei dank, nach 5 Stunden endlich ein 7-Tages-Transitvisum, für sagenhafte 310 Dollar, verhandelt wird nicht. Benvenuto al Congo !

Immerhin, ich bin heilfroh, auf Richard und Nelly zählen zu können, Freunde von Pierluigi, dem Direktor von Helvetas Burkina Faso. Beide sind hier im Kongo, wie auch rund 37‘000 weitere, bei den Vereinten Nationen tätig. Die eigentliche Verwaltung des Kongo. Und der starken Präsenz der UN sei Dank: die Preise hier in Kinshasa sind ungeheuerlich hoch. Hotelzimmer ab 100 Dollar. Ich komme bei Freunden von Richard und Nelly im Präsidentenviertel Gombe in einer luxuriösen Wohnung mit Swimming-Pool unter, mit ihren drei kleinen Kindern haben sie in ihrer Wohnung keinen Platz mehr. Als Italiener stellt Richard noch gleichentags seine Kochkünste unter Beweis. Beiden winde ich einen Kranz, sie haben sich fürsorglich um mich gekümmert und mir sehr geholfen. Merci beaucoup !

Am Sonntag dann endlich der Abflug. Das Taxi erscheint pünktlich um 7 Uhr morgens. Die 30 Kilometer bis zum Flughafen auf ausserordentlich schlechter Strasse. Vorbei an dichtbesiedelten Gebieten, am Stade des Martyrs und am völlig heruntergekommenen Stade Tata Raphaël vorbei. Dort wo 1974 der legendäre Boxkampf zwischen Muhammed Ali und George Foreman, the Rumble in the Jungle, in die Annalen einging. Der Flughafen, notabene für die zweitgrösste Stadt Afrikas mit mehr als 10 Millionen Einwohnern, ein Relikt aus den Sechzigerjahren, als „Kin la Belle“ kaum einen Zehntel der heutigen Grösse zählte. Lächerlich klein, unzeitgemäss und veraltet. 50 Dollar bezahlt jeder Passagier, Go-Pass, es bleibt schleierhaft, wozu diese Gebühr entrichtet wird. Jeder in Uniform will geschmiert werden. 200 Dollar soll ich für den Transport des Velos bezahlen. Ich bleibe standhaft, bin langsam geladen: das Velo ist ein Sportgerät und die South African transportiert diese kostenlos, ich bezahle gar nichts. Nach ein paar Telefonaten geben sie mir Recht. Ich bin froh, als der Check-In vorbei ist, trinke mit einem jungen Belgier, der bei Médecins sans frontières arbeitet, darauf ein Mützig-Bier.

In Johannesburg dann, halb so gross wie Kinshasa, ist der riesige, topmoderne und grosszügig angelegte Flughafen mit nur jedem erdenklichen Shop und Lounges der absolut krasse Gegensatz. Morgen geht es weiter nach Namibia. Mal schauen, ob ich dort endlich einen Elefanten in der Wildnis sehe, und nicht nur auf Bierflaschen oder Geldnoten.


Auf und ab in Kamerun


Mittlerweile bin ich bereits im Congo, doch zunächst einmal zurück nach Nigeria, um mit der hinkenden Berichterstattung einigermassen Schritt zu halten. In Calabar nehmen meine Reisegefährten Sarah und Rob und ich die Fähre nach Kamerun nehmen. Wir erfahren, was es heisst, in Afrika mit einem Boot unterwegs zu sein. Die Fähre legt erst am Samstag-Morgen um 6 Uhr los, doch alle Passagiere übernachten auf der Fähre. Entsprechend  herrscht daher am Freitag Abend Hochbetrieb. Wo am Vortag noch alles leergefegt war, sieht jetzt wie ein Ameisenhaufen aus. Mamans mit ihren „marmites“, ihren grossen Kochtöpfen, haben sich eingefunden. An Kiosken stapeln sich Süssgetränke, Biskuits und die im englischsprachigen Raum weitverbreiteten Toastbrote. Am Brot erkennt man hier in Afrika, wer früher das Sagen hatte. Aus Bars dröhnt laute Musik. Einige Stromgeneratoren tragen dazu bei, den Lärmpegel zu erhöhen. Geldwechsler sind ebenfalls zur Hand. Praktisch. Man erscheint einfach und der Rest ergibt sich von alleine.


Lastwagen werden entladen, die Fähre mit Kisten und Kartons vollbepackt. Mein Velo verschwindet irgendwo zwischen meterhohen Stapeln von Cargoware. Wir richten uns auf einer Sitzbank ein. Sarah schläft auf der Bank, Rob darunter, ich auf dem Gang. Beengte Verhältnisse, man hat hier aber keine Berührungsängste. Zum Glück kühlt eine riesige Klimaanlage den Raum nieder. Um 4 Uhr werden wir dann von den nigerianischen Grenzbeamten wachgerüttelt. Die Ausreiseformalitäten sind zu erledigen, alle haben das Schiff zu verlassen. Schlaftrunken warten wir vor dem kleinen Büro. Anstehen scheint nicht die Stärke der nigerianisch-kamerunischen Passagiere zu sein. Immer wieder gibt es „sneaker“, die sich irgendwo hineinschleichen. Es folgen hitzige Grundsatzdiskussionen über elementare Verhaltensregeln. Nach knapp einer Stunde sind wir endlich an der Reihe. Danach müssen sich alle Passagiere in einer Reihe aufstellen und vor dem Bootssteg nochmals eine geschlagene Stunde warten. Die einzigen drei Weisse, irgendwo mittendrin, werden aufgerufen und dürfen als erste aufs Schiff. Womit wir uns vermutlich keine Freunde schaffen.


Wir legen am Nachmittag um 16 Uhr im Militärareal von Tiko an. Der Mount Cameroon, ein 4‘090 Meter hoher, aktiver  Vulkan, der höchste Berg Westafrikas, baut sich majestätisch im Hintergrund auf. Wir verlassen mit einem Taxi das Sperrgebiet, beobachten, wie Militärs eine Zivilperson mit einem Stock verprügeln. Die nahegelegene Stadt Limbé mit den schwarzen Lava-Stränden gefällt uns sehr gut. Die Stimmung ist entspannt, der gegrillte Fisch vorzüglich. Es ist das Zentrum der anglophonen Bevölkerung Kameruns, umgeben von Bananen-, Palmöl- und Kautschukplantagen. Die Plantagen gehören praktisch ausschliesslich der CDC, Cameroon Development Corporation, dem zweitgrössten Arbeitgeber nach dem Staat.

Kamerun ist ein Scharnier zwischen West- und Zentralafrika. Kulturell und landschaftlich sehr abwechslungsreich. Als Afrika in Miniatur wird Kamerun gerne gerühmt: von den Sahellandschaften am Tschad-See ganz im Norden, bis hin zu den dampfenden Regenwäldern im Kongo-Becken,  Lebensraum von Pygmäen.

Die Regenzeit hält zwar nur zögerlich Einzug, am Fusse des Vulkanes befindet sich aber Debunscha, auf Platz Zwei der regenreichsten Orte der Welt liegend. Trotzdem wollen Rob und ich den Mount Cameroon besteigen und unser Glück versuchen. Die ersten  1‘000 Höhenmeter erklimme ich mit dem Velo. Das Klima in Buéa, früher Hauptstadt der deutschen Kolonie, ist etwas erträglicher als auf Meereshöhe, abends muss ich sogar erstmals seit Monaten die Windjacke anziehen.

Begleitet von unserem Guide Daniel und drei Trägern, machen wir auf die Socken. Wir wandern zuerst durch Bananen-Plantagen, Yamsfelder, vorbei an Jack-Fruchtbäumen, die von den Deutschen von Südamerika nach Afrika importiert wurden. Der glitschige Pfad steigt stetig an, durch dichten Wald und meterhohe Farnhaine. Grassavanne löst den Wald ab und wir sind bald im ersten Camp in „Mann’s Spring“ auf rund 2‘400 Meter über Meer. Angenehm kühle Temperaturen von 20 bis 10 Grad herrschen hier. Wir kochen unsere Spaghetti und grillieren zwei Fische. Die Sauce reichern wir mit leckeren Pilzen an, welche die Träger gesammelt haben.


Am nächsten Tag laufen Rob, Daniel und ich los. Sarah bleibt im Camp, um ihre Knie zu schonen. Normalerweise wird die direkte Route von Buéa zum Gipfel gewählt, der sogenannte Guinness-Trek.  Von Mann’s Spring hingegen zieht sich der Weg dahin, zunächst vorbei an einigen Kratern, die am Vulkanausbruch von 1999 entstanden sind.  Der Weg ist nicht allzu steil, aber langgezogen, führt stundenlang durch steinige und kantige Lavafelder, auf denen ich mit meinen Sandalen gut aufpassen muss. Daniel mit seinen Plastiksandalen und die Träger mit ihren Flip-Flops vollbringen hier hingegen wahre Kunststücke.


Fünf Stunden benötigen wir bis zum Gipfel. Da wir den gleichen Weg wieder zurück laufen müssen, legen wir nur wenige und sehr kurze Pausen ein. Die letzte Stunde vor dem Gipfel wird rutschiger. Zudem macht sich nun auch die Höhe etwas bemerkbar und ein starker Gegenwind bläst uns ins Gesicht. Erleichtert erreichen wir dann um zwölf Uhr den Gipfel. Wir haben Glück mit dem Wetter, es ist zwar bewölkt aber es fällt kein Regentropfen.

Der Abstieg ist danach ein Zuckerschlecken. Dennoch merken wir gegen den späten Nachmittag die Müdigkeit, immerhin sind wir insgesamt neuneinhalb Stunden zügig marschiert. Erschöpft treffen wir in Mann’s Spring ein. Nach dem Essen verziehen wir uns sofort in unsere Schlafsäcke und schlafen wie Murmeltiere. Am nächsten Morgen verabschieden wir uns. Rob und Sarah trekken Richtung Süden zur Küste, während ich nach Buéa zurück wandere. Rob und Sarah, Mediziner, fliegen kurz darauf nach London, werden zwei Monate lang Frankreich mit dem Rad bereisen und danach ihre Arbeit in Südafrika aufnehmen, wo ich sie dann hoffentlich in ein paar Monaten wiedersehen werde. In einem Radeltag bin ich dann in Douala, wo mich Guillaume, ein Couchsurfer erwartet.


Douala ist die wirtschaftliche Metropole von Kamerun, dem Hafen sei dank. Eine eher unattraktive Stadt mit vielen Expats. Das Leben hier ist vergleichsweise sehr teuer. Nachtschwärmer kommen aber auf ihre Kosten. Douala sei die nachtaktivste Stadt von ganz Westafrika, heisst es. Ich kann mich aber nicht dafür begeistern, mein Budget mit alkoholischen Getränken zu strapazieren und bin erleichtert, dass mich Pfarrer Jean-Pierre aufnimmt. Der Kontakt ist mir von Hubert aus Le Caylar in Frankreich vermittelt worden, der mich vor einigen Monaten ebenfalls beherbergt hat. Er bringt mich in der Procure des Missions Catholiques unter, eine Oase in dieser Stadt, Terrasse mit Aussicht auf den Mont Cameroon und Swimming-Pool. Und die Pfarrer der Eglise de Saint-Esprit von Omnisport tun alles, damit ich mein Visum für die RDC  – Demokratische Republik Kongo – rasch erhalte. Ein Taxi steht mir den ganzen Tag zur Verfügung, der Lingala-sprechende Père Chatelin aus Brazzaville begleitet mich. Gleichentags erhalte ich mein Visum – mit 180 Schweizerfranken das bis anhin teuerste.


Schneller als erwartet kann ich also aus Douala rausfahren Richtung Hauptstadt Yaoundé. Die Strecke führt durch Regenwald, steigt ständig an. Am Strassenrand wird frisch gefangenes Wild – Bushmeat angepriesen: Warane, Porc-épic, Wildkatzen, Biche. Lastwagen, die mächtige Tropenhölzer transportieren, sogenannte „grumiers“ fahren mir entgegen. Die Holzindustrie ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor in ganz Zentralafrika. Auf der häufigsten Banknote der zentralafrikanischen Währungsunion, der 1‘000 CFA-Note, sind schwere Baumaschinen abgebildet, die Hölzer abtransportieren. Beunruhigend ist die Tatsache, dass sich in den letzten 15 Jahren die Holzproduktion in Kamerun verdreifacht hat. Die Schweiz trägt übrigens fleissig zu dieser Situation bei: was die Holzimporte für die Schweiz anbelangt, liegt Kamerun an zweiter Stelle.


Yaoundé, die „ville aux sept collines“, liegt auf rund 800 Metern über Meer, das Klima ist etwas kühler. Die Orientierung fällt nicht leicht in dieser Stadt. Die Stadt liegt eingebettet inmitten unzähliger Hügel. Velofahrer gibt es bei all diesen Steigungen ganz wenige. Als ich aber nach einem anstrengenden 100 Kilometer und 1000 Höhenmeter-Ritt, bei einer Luftfeuchtigkeit nahe an 100-Prozent, endlich an  den Brasseries de Cameroun vorbeifahre, dem Nationalstolz der Kameruner, zischt ein Rennvelofahrer im „Française des Jeux“-Trikot an mir vorbei. Apollinaire, ein Sprinter, der 2003 am Giro d’Italia teilgenommen hat, und immer noch mit jenem mittlerweile in die Jahre gekommenen und arg strapazierten Alu-Rad unterwegs ist. „Un veteran“, nennt ihn Yves Ngué Ngock, der Sieger der Tour du Cameroun und 16. an der Tour du Gabon – La Tropicale Amissa Bongo – den ich ebenfalls zufällig antreffe, als ich nach einer Woche Yaoundé verlasse.  Apollinaire begleitet mich ins Zentrum. Dort holt mich dann Ernestine ab. Eigentlich hätte ich bei einem anderen Couchsurfer weilen müssen. Dieser verweist mich aber am Tag meiner Ankunft per SMS an Ernestine.


Ernestine ist sehr gastfreundlich, sie begleitet mich zu den Botschaften von Gabun und Kongo-Brazzaville, ist geduldig. Leute aufzunehmen tut der gelernten Sozialarbeiterin gut, vor einem Jahr hat sie ihre zehnjährige Tochter verloren. Sie lebt in einem Vorort von Yaoundé, in Mimboman, einem der zahlreichen Hügel. Vom Rond-Point in Mimboman geht es nochmals einen Kilometer auf einer Piste zu ihrer einfachen Bleibe, die sie mit einer überfrechen Maus teilt. Nach einem Regenfall verwandelt sich die Strasse in eine Schlammpiste. Fliessendes Wasser gibt es keines, Regenwasser wird daher gesammelt.

Ich treffe in Yaoundé übrigens wieder das österreichische Paar Sabine und Hans-Peter an, die ich in Bamako kennengelernt habe. Sie sind mit Motorrädern auf Afrikaumrundung unterwegs. In den nächsten sechs Tagen bekomme ich Etienne, den anderen Couchsurfer, nicht zu Gesicht. Und auch nicht das Fresspaket, das mir Mélanie an seine Adresse geschickt hat. Vor über zwei Wochen ist es bereits  in Douala eingetroffen. Etienne beteuert mir täglich, dass er in seinem Postfach noch nichts erhalten habe. Die Post hier in Kamerun sei halt unzuverlässig und langsam.

Ich habe ein komisches Gefühl, traue der Sache nicht ganz. Ernestine und ich begeben uns zur „Poste de colis“. Die anfänglich wenig auskunftsfreudige Dame wird mit der Zeit immer hilfsbereiter. Ein Paket aus der Schweiz sei nicht angekommen. Aber unter drei Kilo könne es als „lettre recommandée“ eingehen. Sie telefoniert einer Kollegin. Ja, ist eingegangen. Vor über zwei Wochen. Bei der Post in Nlongkak. Die Post funktioniert wunderbar in Kamerun !  Mit dem Taxi begleitet uns ein Postbeamter dorthin. Er klärt ab: ja, das Paket sei dort, Etienne sei schriftlich benachrichtigt worden. Ich telefoniere ihm: „Etienne, ich bin bei der Post in Nlongkak, das Paket ist hier, komm bitte sofort her!“ Nach wenigen Minuten trifft er tatsächlich ein, holt das Paket ab. Angeblich sei er nicht benachrichtigt worden. Was soll’s, Ende gut, alles gut.

 


Snap me, Nollywood !

Benin City, Nigeria. Einige Kilometer von der Stadt entfernt, am Rande eines Dorfes, umgeben von üppigem Wald, Bananen- und Palmenplantagen. Es ist kurz vor Mittag, heiss und feucht. Der zu gross geschnittene Soldatenanzug  mit dem „Anarchy“-Abzeichen am Arm beisst am ganzen, verschwitzten Körper. „ Mark it“, schreit Direktor Lancelot O. Imasuen. „Sound“, antwortet BBC, der Junge mit dem Clap-Board. „Rollin“ ist von irgendwo weiter entfernt in reinem  indischen Akzent zu vernehmen. „Aaaktschion“. Einige Momente Stille. Ich führe eine Gruppe von afrikanischen Soldaten an, die zwei riesige Elfenbeinzähne tragen. Wir verlassen einen Palast, ich halte vor Captain Rupert und einem anderen englischen Soldaten an, die sich kurz unterhalten.  „Hoist the flag !“, befiehlt mir danach Roupert. „Yes, Sir“ antworte ich. „God save the Queen!“ schreit der andere Soldat. „God save the Queen !“ antworte ich. „Cuuuut“ meldet sich nun wieder Lancelot.

Rückblick. Republik Benin, Cotonou. Meine Freundin Mélanie besucht mich, die zwei Wochen vergehen wie im Flug. Käse, Biskuits und Biberli sind schnell verputzt. An dieser Stelle ein grosses Dankeschön an alle, die am Fresspaket mitgewirkt haben. Wir kommen bei den Soeurs de la Providence unter. Die Zimmer sind peinlich sauber gehalten, alles funktioniert einwandfrei, nichts ist kaputt. Unüblich in dieser Preiskategorie. Am dritten Tag vermag uns während der Nacht ein Gewitter nicht zu wecken. Um 5 Uhr entdeckt aber Mélanie beim Toilettengang, dass unser Zimmer unter Wasser steht. Es bleibt ein Rätsel, woher das Wasser eingetreten ist. Vielleicht Vodoo-Kräfte ?  Jedenfalls verbringen wir die nächsten zwei Stunden zusammen mit Soeur Christiane, den Boden trocken zu kriegen.

Wir beschränken uns auf kleine Ausflüge in Cotonou: zum Strand, zu den Marchés Dantokpa und Saint Michel, und zum Pfahldorf Ganvié. Eine Stadt ganz auf Wasser. Wir sind dank des Reiseführeres „Petit Futé“ vorgewarnt. Etwas zu touristisch. Immerhin sind die Preise für den Ausflug mit der Piroge fix, mühsame Verhandlungen entfallen. Na ja, nicht ganz, denn der Guide ist obligatorisch und dessen Sold ist frei verhandelbar.  Nachdem ich mich vergewissert habe, dass die Tour eineinhalb Stunden dauert, vereinbaren wir  5‘000 CFA, westafrikanische Francs, umgerechnet zehn Schweizerfranken – ein stolzer Preis. Nach exakt 34 Minuten meint der etwas wortkarge „Guide“, die Tour sei beendet, lädt uns in einem Souvenirshop ab und haut sich für eine halbe Stunde aufs Ohr, bevor wir wieder mit der Piroge zurückfahren. Andere müssen für die gleiche Summe wesentlich mehr arbeiten. Etwa der Schneider, bei dem wir uns aus den bunten Wax-Tüchern ein Kleid, Hemd und Hose nähen lassen.

In Cotonou ist das Fortbewegungsmittel Nummer eins das „Zem“, abgekürzt für Zemidjan, Motorräder chinesischer Herkunft, auf denen ohne weiteres vier Leute Platz haben, notfalls sogar 6. Die Fahrer sind an den gelben Hemden zu erkennen. Um die 40‘000 sollen alleine in Cotonou rumkurven.  Die Fahrt ist manchmal haarsträubend, überholt wird von allen Richtungen. Erstaunlicherweise passieren aber wenig Unfälle. Abgesehen von den Zem-Fahrten sind wir aber ziemlich bewegungsfaul. Den Körper an das tropische Klima anzugewöhnen, ist für mich schon Anstrengung genug. Anfangs habe ich Hitzewallungen und Schweissausbrüche, mit der Zeit geht es dann etwas besser.  Vorzugsweise suchen wir den Ventilator im Zimmer auf, das wir aber  bei den praktisch täglichen Stromunterbrüchen fluchtartig verlassen, um danach die vor dem Balkon vorbeiziehenden Zem’s zu zählen. Wenn es ruhig ist, sind es 60 Stück pro Minute, ansonsten gut  90 !.  Während der Ostertage dann ziehen Prozessionen von weissgekleideten Menschen, tanzend und Musik spielend an uns vorbei, um uns 5 Uhr morgens aus dem Schlaf zu entreissen.

Nach zwei Wochen ist es dann wieder Zeit, um schweren Herzens von Mélanie Abschied zu nehmen. Merci beaucoup Mélanie ! Passend dazu fängt es am nächsten Tag an zu regnen. Die Regenzeit hält langsam Einzug. Die Regenschauer kommen so plötzlich wie sie wieder verschwinden. Nach nur 6 Kilometern muss ich mich beim Institut Français in Schutz bringen und kann erst nach eineinhalb Stunden meine Fahrt wieder aufnehmen. Regenklamotten bringen nichts, nur Schutz unter einem Vordach oder einer Strohhütte und warten, bis sich der Schauer verzogen hat. Von Cotonou sind es rund 50 Kilometer bis nach Porto Novo, der Hauptstadt von Bénin, danach rund 100 Kilometer wieder Richtung Norden nach Kétou.  Von hier will ich nach Nigeria einreisen. Rob und Sarah, ein englisches Paar, berichten in ihrem Blog von ihren nicht gerade ermunternden Erfahrungen mit den nigerianischen Grenzbeamten.

Marie-Josée, der Besitzer der Auberge in Abomey, hat mir von diesem Paar berichtet, da sie ebenfalls mit Fahrrädern unterwegs waren, die sie in Benin gekauft haben, um sie vor der Einreise in Nigeria wieder zu verkaufen. Ich hatte mir deren Namen notiert, deren Blog ausfindig gemacht und wollte sie später kontaktieren, um aktuelle Informationen aus  erster Hand zu erhalten. Eine Couchsurferin aus Ibadan in Nigeria, die ich um eine Übernachtungsmöglichkeit anfrage,  kommt mir aber zuvor. Rob und Sarah befänden sich gerade bei ihr. Was für ein Zufall !

Eines ist sicher, Nigeria hat einen schlechten Ruf. Schon beim Namen winken die meisten ab. „Ist es nicht zu gefährlich, durch Nigeria zu reisen?“, werde ich oft gefragt. Korruption, schikanierende Polizisten und mörderischer Verkehr. Im Norden Nigerias sorgt die Extremistenorganisation Boko Haram mit Bombenattentaten für negative Schlagzeilen. Im Niger-Delta hingegen gab es zahlreiche Entführungen von Mitarbeitern von Erdölgesellschaften. Beide Regionen liegen nicht auf meiner Reise-Route. Nigeria, Afrikas China, Westafrikas mächtigster und reichster Staat mit 150 Millionen Einwohnern, wird von Touristen wie die Pest gemieden. Dementsprechend habe auch ich gemischte Gefühle, mache mich auf alles gefasst. Zu meiner Beruhigung habe ich ein „multiple entry“-Visa für Benin ausstellen lassen. Im Notfall kann ich immer noch umkehren. Ich bin gespannt, ob die Nigerianer wirklich so böse sind.

Als ich in Kétou starten möchte, regnet es. Ich verschiebe die Einreise nach Nigeria auf den nächsten Tag, denn mein Tagesziel, die 110 Kilometer entfernte Stadt Abeokuta, scheint durch die zeitraubenden Formalitäten an der Grenze und die zahlreichen Checkpoints , zu weit weg. Am nächsten Tag bin ich pünktlich um 9 Uhr und nach 30 Kilometern an der Grenze Benin – Nigeria. Bretterbuden an beiden Strassenrändern, der erste Eindruck eines der reichsten westafrikanischen Staaten ist eher schäbig. Geldwechsler warten darauf, dass ich meine restlichen westafrikanischen CFA in Naira wechsle, bevor  ich mich zum Schlagbaum begebe.  In der Strohhütte nebenan heisst es, ich solle mich zum Immigration Office begeben, das  irgendwo im Innern dieser Siedlung versteckt liegt. Ich werde dorthin geführt, folge einem Nissan auf der holprigen Piste. Das Büro befindet sich am Stadtrand am Rande eines üppigen Waldes. Der Angestellte empfängt mich. Ein nackter Saal, ein kleiner Holztisch, zwei Stühle, ein Standventilator, ein Fernseher, der irgendwelche nationale Nachrichten sendet. Ich fülle ein Formular aus. Er verlangt umgerechnet 5 Franken als Gebühr, um meinen Pass zu kopieren. Da er bemerkt hat, dass mein italienischer Pass weder Visum noch Austritts-Stempel von Benin aufweist, er aber meine Erklärung, wonach ich zwei Nationalitäten und zwei Pässe habe, ohne weiteres akzeptiert, händige ich ihm meine restlichen CFA aus. Am Schluss meint er: „Do you have a gift for me ?“ „For sure, wait a minute, please“. Ich gehe zum Velo, hole eine Packung Schweizer Rahmtäfeli, halte sie ihm hin. Natürlich nicht die ganze Packung, es seien nämlich spezielle Täfeli, aber er dürfe sich immerhin eine Handvoll der Süssigkeiten schnappen, präzisiere ich. Er schaut mich mit grossen Augen an, nimmt sich ein paar Bonbons und bedankt sich brav.

Nach einigen Kilometern folgen dann weitere Formalitäten, vier Blockhütten. Gelbfieberkarte, Gesundheitsdienst, Immigration Officer, Security State Service. Die Beamten sind nicht unfreundlich, aber langatmig, zeitraubend. Das Thermometer steigt, heute ist ein Hitzetag, kein Regentag.

Um 12 Uhr habe ich 40 Kilometer auf dem Tacho. Endlich geht es – vermeintlich – los. Aber schon nach einigen Kilometer der erste Checkpoint: Militär. Nach einem Kilometer wieder Security Service, danach Immigration, gefolgt von Police, später wiederum vom Militär. Und klar, jeder will den Pass sehen. Fünf Kilometer fahren und das Spiel fängt von vorne an. Eine Pause kann ich mir nicht gönnen, ich will unbedingt am Abend Abeokuta erreichen, Geburtsort des exzentrischen Musikers Fela Kuti, dem King des Afrobeat. Um 17 Uhr retten mich zwei Power Riegel, eine Isostar-Tablette und eine Orange, die ich innert Sekunden verschlinge. Ich verliere keine Zeit, nehme den Endspurt in Angriff. Heute war ein langer Tag. Endlich, um 18 Uhr dann Abeokuta in Sichtweite. Ich fahre durch Vororte, der Verkehr wird dichter, lärmiger. Um 18.30 dann nehme ich kurzentschlossen ein Taxi, packe mein Velo und meine Siebensachen in den Kofferraum und lasse mich vor dem Hotel Frontline chauffieren. Ich habe keine Lust, in der Dunkelheit müde in einer Grossstadt herumzuirren. Um 19 Uhr ist es bereits dunkel, die Abenddämmerung  dauert hier nur wenige Minuten, der Wechsel von Tag zu Nacht ist abrupt. Nebenan kaufe ich noch schnell eine Ananas ein, den ganzen Tag schon habe ich Lust darauf. Ich koche im Zimmer, während im Fernsehen das Fussballspiel Chelsea gegen Real Madrid läuft. Und diesmal kann der ivorianische Spieler Drogba zur Freude der Afrikaner ein Goal gegen die Spanier schiessen.

Am nächsten Tag geht es früh los, mit nüchternem Magen. Unterwegs werde ich, wie in West-Afrika üblich, in irgendeinem Bretterbudenstand einen Milchkaffee und eine Omelette schon finden. Weit gefehlt. Ibadan ist die nächste Station, eine riesige Stadt, über 6 Millionen Einwohner. In den 60er Jahren war Ibadan die grösste Stadt Westafrikas. Ich frage nach dem Weg, doch das Pidgin English der Nigerianer, das „anglais cassé“, ist schwer verständlich. „How far“ heisst etwa „How are you“. Gerade als mir durch den Kopf geht, dass Nigeria entgegen allen Befürchtungen bis anhin gar nicht so schlimm war, winkt mir am Strassenrand ein Herr in Hemd und Hose aus den bunten Wax-Tüchern zu. Ich bin mir gewohnt, dass Leute mich oft anhalten wollen, um mit mir zu reden. Ich winke ihm zu, lächle und mache einen Bogen um ihn, besser gesagt, ich versuche es. Er reisst mich an meinem Hemd, ich falle zu Boden, schlage mein linkes Knie auf,  der Mercedes hinten mir kann gerade noch ausweichen. Erst jetzt bemerke ich, dass der Typ eine Knarre mit sich führt. Er entschuldigt sich sofort, meint aber, er sei vom SSS, „Security State Service“. Toll, woher soll ich das wissen, jedenfalls sieht man das seinem Pyjama-Anzug nicht an. Ich werde gegenüber in den Komplex des SSS abgeführt. Offenbar bin ich von weitem erspäht worden. Und wieder darf ich das doofe Formular ausfüllen, das ich bereits an der Grenze ausgefüllt habe. Die gutgekleideten jungen Beamten scheinen unterbeschäftigt zu sein. Man entschuldigt sich für den Vorfall, will sogar eine Krankenschwester für die Prellung am Knie herbeiholen. Nach einer Stunde werde ich mit vor Wut und Hunger knurrendem Magen wieder entlassen. Sicherheitshalber frage ich nochmals nach der kürzeren Route nach Ibadan. Ich sei auf der richtigen Strasse, alles geradeaus, sichern mir die Sicherheitsbeamten zu.

Nach 35 Kilometer ein Regenschauer, ich bringe mich, wie alle anderen auch,  bei einer Tankstelle in Schutz, fange an zu reden. „Du willst nach Ibadan? Wieso fährst Du dann einen solchen Umweg ?“ Danke SSS. Glücklicherweise kann ich von dort eine Abkürzung zum Lagos-Highway nehmen. Als ich um 14 Uhr auf diese stark befahrene Autobahn treffe, noch schätzungsweise 50 bis 70 Kilometer von Ibadan entfernt, treffe ich die einzige vernünftige Entscheidung:  Autostopp. Ich lasse mich von einem Kleinbus in die Stadt reinfahren. Der Highway ist in miserablem Zustand, voller Schlaglöcher. Auf dem Mittelstreifen finden sich ausrangierte, ausgebrannte Lastwagenwracks. Die bulligen amerikanischen Mack Trucks sind hier die Könige der Strasse,  müssen viel einstecken, meistens fahren sie links, wo die Strasse noch ein bisschen besser ist, überholt werden sie rechts. 95 % der Exporteinnahmen von Nigeria stammen vom Erdöl. Trotz des Reichtums am schwarzen Gold ist aber die Infrastruktur unterentwickelt. Die NEPA, National Electricity Power Authorithy, liefert nur unregelmässig Strom, Power Cuts sind an der Tagesordnung, Stromgeneratoren weitverbreitet.

Wir fahren nach Ibadan rein, ein Meer von zweistöckigen Häusern mit rostbraunen Wellblechdächern. Es ist nicht leicht, sich in dieser riesigen Stadt zu orientieren. Ich bestehe bestimmt darauf, dass mich der Fahrer wie vereinbart zum Mokola Roundabout führt. Ich habe keine Lust, im dichten Verkehr der Grosstadt noch Extrarunden zu drehen. Ich lasse meine neu erstandene SIM-Karte registrieren, inklusive Fingerabdrücke und Foto. Danach mache ich mich auf die Suche nach der Bleibe von Bimbo, die ich über  Couchsurfing kennen gelernt habe. Ich bin heilfroh, in dieser Riesenstadt einen Kontakt zu haben. Erst noch in einem ruhigen Residenzquartier. Dank Bimbo und ihren Freunden erlebe ich ein Nigeria, wie ich es sonst nie zu Gesicht bekommen hätte.


Bimbo unterrichtet Phonetik am Department of Theatre Arts der UI, wie die University of Ibadan, die älteste im Land, genannt wird. Der Universitätscampus ist riesig, über 2 Kilometer lang, mit eigenem Zoo. Die Gebäude architektonisch reizvoll, mehrheitlich durch den britischen Architekten Maxwell Fry entworfen, der auch mit Le Corbusier zusammengearbeitet hat.  Zufällig findet gerade an diesem Wochenende die“ 38th Initation Ceremony“  der Association of Theatre Arts Students statt. Die Feuertaufe der neuen Theater-Studenten, ein alter Brauch. Vor dem Theatersaal wird ein grosses Feuer entfacht, die weissgekleideten Studenten treten ein und im brütend heissen Saal verausgaben sie sich zwei Stunden lang. Mir genügt bereits eine halbe Stunde Rumstehen, um danach schweissgebadet draussen etwas Abkühlung zu suchen.

Nigeria ist ein faszinierendes Land. Das Land kann durch die zwei Flüsse Niger und Benue, die ein Y formen, grob in drei kulturelle Zonen eingeteilt werden: im Südwesten leben die Yoruba, im Südosten die Igbo und im Norden die Hausa. Der Norden ist islamisch geprägt, der Süden christlich-animistisch. In der Realität sind die Ethnien und Sprachen einiges komplexer. Über 500 verschiedene Sprachen werden in diesem riesigen Land gesprochen. Nigeria ist im Unterschied zu den meisten westafrikanischen Ländern weiter entwickelt. Es gibt viele Tankstellen, keine Holzstände am Strassenrand, in denen in Einliter-Glasflaschen Benzin „en détail“ verkauft wird. Banken gibt es im Überfluss, das Unternehmertum ist hier ausgeprägt. Im westafrikanischen Vergleich sind die Leute eher gut gebildet. Der einzige afrikanische Literatur-Nobelpreisträger stammt übrigens aus Nigeria: Wole Soyinka. Die Leute sind hier stets auf Trab, umtriebig, temperamentvoller und lauter als anderswo. Es ist keine Seltenheit, dass sich Leute wegen Lappalien, etwa bei Unstimmigkeiten über den Preis für eine Fahrt im Sammeltaxi,  in die Haare geraten und sich lauthals anschreien. „I snap you !“, „ What, you want to snap me ?“, „Yes, I snap you!“. Und so geht es minutenlang weiter. Zum Glück werden sie aber meist nicht handgreiflich und trennen sich sogar mit einem Lächeln. „Sometimes, they go crazy“, heisst es von den Nigerianern. Diebe und Räuber müssen sich hier auf Lynchjustiz einstellen.  Es sind hier vermehrt Menschen mit längerem Haarwuchs zu sehen, insbesondere Frauen tragen hier langes Haar anstelle der kurzgeschorenen Frisur. Die  Abfallbeseitigung scheint zu funktionieren. Erstmals habe ich Hemmungen, meinen Abfall einfach am Strassenrand zu deponieren. Angebote wie Eheberatung und Gewaltprävention zeigen, dass das Land auf einer anderen Stufe ist als die angrenzenden. Und sogar Big Brother hat im Fernsehen Einzug gehalten.

Nun, ich spiele mit dem Gedanken, von Ibadan aus ein Stück mit dem Bus zu fahren, um ohne Umtriebe schnell aus dem  dichtbesiedelten Gebiet rauszukommen. Die Nachbarin von Bimbo, eine Französin, die eine Doktorarbeit über die Filmszene in Nigeria schreibt, nimmt mir dann die Entscheidung ab. Ein bekannter Filmregisseur benötige „Oyibos“, Weisse, als Schauspieler und Statisten für einen historischen Film über die Invasion und Plünderung der Stadt Benin City 1879 durch die Engländer. Transport, Kost und Logis in einem guten Hotel bezahlt. Dazu ein Bündel Geldnoten für fünf Drehtage, für das der Durchschnittsnigerianer wohl sicher zwei bis vier Monate hart schuften muss. Von Ibadan nehme ich also einen Kleinbus nach Benin City. Kurz vor der Abreise steigt ein Priester ein, um eine kurze Predigt zu halten und unserer Reisegesellschaft Gottes Segen zu wünschen und  das „Message & Prayer Bulletin“ zu verteilen. In Anbetracht der schlechten Strassen und der halsbrecherischen Fahrweise ist sein Einsatz durchaus berechtigt. Die Nigerianer sind tief religiös und gläubig. Es gibt zahlreiche Kirchen: die Anglican, die Methodist, die Native Baptist, die Presbyterian, die Reedemed Church.  Jeder gehört irgendeiner Kirche an.

 

Ich bin gespannt auf den Filmdreh. Um die zehn Weisse, zumeist Expats aus Abuja und Lagos, treffen dann tatsächlich ein. Stefan, der Österreicher, Paul aus Litauen und ich kommen wegen unserer Englisch-Akzente für Sprechrollen nicht in Frage. Die Engländer und Kanadier, junge Missionare aus Jos, haben Vorrang. So auch Rob, der Couschsurfer, der auch in Benin City eingetroffen ist. Pflichtbewusst treffen die Weissen früh am Filmset auf. Bis endlich gedreht werden kann, vergehen meist Stunden. Meistens wird erst nach 10 Uhr, wenn die Sonne bereits weit oben steht, gedreht.

Lancelot O. Imasuen ist einer der Begründer der Nollywood-Filmszene. Mittlerweile die drittgrösste Filmindustrie nach Hollywood und Bollywood. Was die Quantität der Filme anbelangt, ist sie sogar die grösste. Über 200 Filme werden pro Monat gedreht, die Qualität ist nicht sehr erhaben. Alle für ein englischsprechendes afrikanisches Publikum bestimmt. Die Stories sind leicht zu überschauen, die Dialoge nicht zu kompliziert. Alles low-budget Filme. Bei diesem historischen Film ist aber etwas mehr Geld vorhanden. Zwei Inder aus der Bollywood-Szene, Dev Agarwal, Kameramann für die teure RED-Kamera und Atirek Kaushal, Soundtechniker, hat Lancelot für die Dreharbeiten einfliegen lassen. Dev meint diplomatisch, dass die Nigerianer Fortschritte machen, während Kaushal kritisiert, dass am Set undiszipliniert vorgegangen werde: kein Briefing, kein Tagesprogramm, keiner weiss, welche Szenen wann gedreht werden. Kostüme und das Team trudeln nach 9 Uhr morgens ein, wenn das beste Licht schon vorbei ist. Man verliert viel Zeit mit dem Begrüssungsritual. Zudem sind alle ständig am „snapen“. „I snap you“, alle möchten mit uns Weissen abfotografiert werden. Um 10 Uhr heisst, man solle sich umziehen, obschon man schlussendlich erst um 15 Uhr drankommt. Während einer Filmszene, als Soldat Stefan verletzt im Busch liegt, schreit die Besitzerin des angrenzenden Maisfeldes, in dem sich das Filmteam breitgemacht hat, drauflos.

Historische Inkongruenzen spielen keine Rolle. Dass wir englische Soldaten in schwarzen Converse-Turnschuhen rumlaufen und „Anarchy“ und „Psychobilly“ Abzeichen am Arm tragen, zird keinen Zuschauer stören. In den Anzügen, Einheitsgrösse, komme ich mir eher wie ein Soldat aus der Slapstick-Komödie „Top Secret“ oder einer Verfilmung eines Cartoons vor. Ich komme gleich bei der ersten Szene als „Flag-Man“ zum Einsatz, später führe ich eine Gruppe afrikanischer Soldaten an, auf dem Kopf Holzkisten transportierend, durch Bananenplantagen und durch einen dichten Wald. Wo wir dann von muskulösen Kriegern hinterhältig überfallen und erwürgt werden. Ich bin gespannt auf das Resultat. Ein anderer historischer Film von Lancelotm Adesuwa, sieht vielversprechend aus.

Ich fahre mit dem Busch-Taxi nach Calabar im Südosten von Nigeria weiter. Abfahrtszeiten gibt es hier in Afrika nicht. Gefahren wird, wenn das Fahrzeug voll ist. Ich staune nicht schlecht, 15 Passagiere mit viel Gepäck haben in dem Kleinbus Platz. Unter den Sitzen stapeln sich Säcke mit Maniok und Zwiebeln, Koffer und Taschen. Das Velo wird ganz einfach hinten an der Heckklappe befestigt. Diesmal fährt ein Priester mit uns mit, nach 5 Minuten hält er uns eine Predigt. Eine ganze Stunde lang. Endlich dann der erste Halt, mein Platz am Fenster ist gut ausgewählt. Schon rennen fliegende Händler vorbei, verkaufen Sachets mit kaltem Wasser, afrikanische Chips (frittierte Koch-Bananen), groundnuts, Soya-Sticks (Brochettes), Melonen und Ananas-Schnitze. Verpflegung muss auf einer Busreise nicht mitgenommen werden, ein paar Naira genügen.

Calabar ist eine Überraschung: die bis anhin sauberste Stadt in ganz Afrika. Gepflegte grüne Rasen, überhaupt kein Abfall auf den Strassen, sehr ordentlich und sauber. Sogar für europäische Verhältnisse vorbildlich. Und das beste Essen in ganz Nigeria soll es hier geben. Rob und Sarah treffen einen Tag später ein. Zusammen besuchen wir die alte gut erhaltene Gouverneurs-Residenz, anschliessend trinken wir ein Bier im Biergarten nebenan. Und die besten Soya-Stände -Fleisch-Brochettes- im ganzen Land soll es hier geben, die lassen wir uns natürlich nicht entgehen. Am Freitag Abend dann begeben wir uns zur Fähre, die nach Kamerun übersetzt. Nigeria war die Reise wert !

Nachtrag: der Nollywood-Film ist mittlerweile auf Youtube zu sehen…

https://youtu.be/oy_ZRLzIOGc?t=42m18s
https://youtu.be/oy_ZRLzIOGc?t=1h21m34s
https://youtu.be/oy_ZRLzIOGc?t=1h33m54s


Vorhang auf für die Tour du Faso !

Endlich Zeit und Raum für eine erneute Berichterstattung, diesmal aus Burkina Faso und Benin, in denen ich meine persönliche burkinisch-beninische Rundfahrt  absolviert habe. Und an der ich mich während den letzten Wochen ein klein bisschen wie ein Tour-Star vorgekommen bin.

Burkina Faso. Bis 1984, als Thomas Sankara das Land in Burkina Faso – das Land der Aufrichtigen – taufen liess, hiess das Land Obervolta. Zwar eines der ärmsten Länder der Welt – ein Binnenland praktisch ohne Rohstoffe – dafür weist es einen unglaublichen Reichtum an Sprachen auf. Über 60 einheimische Sprachen werden in diesem Land gesprochen; praktisch alle paar Tage wechsle ich Sprachgebiet. Teilweise werden in benachbarten Dörfern, die einen Steinwurf entfernt sind, ganz unterschiedliche Sprachen gesprochen. Im Unterschied dazu herrscht in der Schweiz geradezu eine Sprachenarmut.

Das flache Land – zumeist Savannenlandschaft – weist im ersten Augenblick aus Sicht des Reisenden nicht allzu viele Sehenswürdigkeiten auf. Und dennoch ist es bei Touristen sehr beliebt: die Leute sind gastfreundlich, warmherzig. Trotz Armut sprüht das Land einen gewissen Optimismus aus und ist stolz auf sein Filmfestival FESPACO (Festival Panafricain du Cinéma). Wohl Afrikas wichtigster Filmevent, von internationalem Rang. Kein Wunder haben die Burkiner in Sachen Film in Westafrika die Nase vorne. Und worauf sie noch stolzer sind: auf die Tour du Faso, die grösste Radsportveranstaltung in Afrika. Seit über 25 Jahren wird sie mittlerweile abgehalten, für afrikanische Verhältnisse erstaunlich gut organisiert. Der Staat lässt sich diese Traditionsveranstaltung mehr als eine halbe Million Euro kosten. Das Velo ist sowohl im Volk wie auch als Sport gut verankert. Im Vergleich zu anderen Ländern ist die Dichte an Fahrrädern einiges grösser. Nicht zuletzt, weil ein Velo einiges erschwinglicher ist als ein Auto.

In Burkina Faso fahre ich zunächst im Südwesten durch eine Tafellandschaft aus Sandstein. Malerische Pisten, umzäunt von langgezogenen Baumalleen, wohl noch unter den Franzosen gepflanzt. In Banfora komme ich bei Mark und Caroline, einem englisch-burkinischem Paar, unter. Der Kontakt ist mir durch Missionare im Senegal vermittelt worden. Da Telefonieren in Afrika zwar billig ist – in jedem Land kaufe ich mir eine SIM-Karte – das Roaming aber selten funktioniert, kann ich Mark  und Caroline erst in Burkina Faso kontaktieren. Nichtsdestotrotz empfangen sie mich abends, einige Stunden später, sehr herzlich, mit offenen Armen, bereiten mir köstliche Spaghetti an Bolognese-Sauce zu. Mark weiss, was Radler mögen. Er selber hat vor über 20 Jahren auch Velotouren unternommen. Unter anderem auch in der Schweiz. Der Sustenpass ist ihm dabei in guter Erinnerung geblieben, musste er doch erschöpft auf der Passhöhe zelten. Jetzt lernt er die Sprache des Volkes der Peul, auch Fulbe genannt – Rinderzüchter und erkennbar an den Tätowierungen im Gesicht – um ihnen hier die Bibel näherbringen zu können. Glückerfüllt verlasse ich Mark und Caroline am nächsten Morgen. Anité !

In Bobo-Dioulasso gönne ich mir dann vier Ruhetage. Bobo ist mit 350‘000 Einwohnern Burkina’s zweitgrösste Stadt. Das Leben hier spielt sich gemächlicher und relaxter ab als in der Hauptstadt  Ouagadougou, im Volksmund Ouga genannt. Dank guter Gesellschaft in der zentral gelegenen Auberge „Le Cocotier“ – Achim, ein deutscher globetrottender Beamter und Jeremie, ein in Toulouse lebender Engländer und Buchhändler, geniesse ich die Zeit, schaue mir die alte Moschee und das alte Handwerkerviertel an. Und kann endlich wieder einmal ein Konzert, wiederum im Centre Culturel Français, geniessen. Diese französischen Kulturzentren in allen grossen Städten der frankophonen westafrikanischen Länder sind jeweils angenehme Rückzugsorte, um in einer lauschigen Atmosphäre ein kühles Bier – sei es eine Gazelle, ein Brakina oder eine  Béninoise – zu geniessen, Zeitungen zu lesen oder eben Konzerte, Theaterstücke oder Filme anzuhören bzw. anzuschauen.

Wieder unterwegs Richtung Ougadougou. Ich nehme einen wenig befahrenen Umweg südlich der Hauptachse, schlafe wieder in Dörfern bei den Chefs de village. Einmal in einem Maquis, für 1‘000 CFA bekomme ich ein betoniertes Zimmer. Keine zwei Minuten halte ich es dort drin aus, nicht wegen den Kakerlaken, sondern wegen der saunamässigen Hitze.  Wegen eines Regenschauers vor einigen Tagen ist die Luftfeuchtigkeit stark gestiegen. Ich bekomme einen Vorgeschmack auf das äquatoriale Klima. Das Zelt wird also draussen aufgestellt, dennoch fange ich beim Kochen wieder an zu Schwitzen.

Leider reicht die Zeit nicht, um in den Nazinga Game Park im Süden an der Grenze zu Ghana zu fahren, wo über 800 Elefanten leben und es praktisch ausgeschlossen sein soll, nicht auf einen solchen Riesen zu stossen. Hier darf man ganz offiziell die 35 Kilometer bis zum Camp mit dem Velo befahren. Macht nichts, dafür gibt es zahlreiche Begegnungen mit Velofahrerinnen. Und dem Radler Jeremie, 36 Jahre alt, den ich kurz nach Léo treffe. Das kleine klapprige Damenrad will nicht recht zu seiner hünenhaften Statur passen.  Jeden Tag fährt der Religionslehrer die 20 Kilometer von Yallé nach Léo, und zurück. Für 1000 CFA, umgerechnet zwei Franken. Nicht wie manche andere sieht er in mir zuerst den weissen Reichen, sondern „quelqu’un qui souffre beaucoup sur le vélo“. Wir fahren die letzten 15 Kilometer zu seinem Dorf, wo gerade eine vorösterliche Prozession abgehalten wird. Wir gesellen uns dazu, er hält anschliessend das Kreuz und führt es in die einfache Kirche aus Lehm. Die Dorfgemeinde ist sehr geehrt und erfreut über den spontanen Besuch. Noch nie hat ein Weisser an dieser Prozession teilgenommen. Die Kirchvertreter und ich üben uns anschliessend in der „causerie“ und plaudern über die Unterschiede zwischen Europa und Afrika. Ich stelle dann mein Zelt auf vor dem Haus von Jeremie, seiner Ehefrau Helena und den Kindern Isidor, Wilfried, Pascaline und Raoul. Wir melden dies pflichtbewusst beim „conseiller de la commune“  an. Dieser sitzt auf einer Bank, in sich zusammengesunken, breitbeinig, spielt mit einer Steinschleuder und ist nicht fähig, aufzustehen und mir anständig die Hand zu reichen. Und macht keinen Hehl aus seiner Geringschätzung für Leute, die sich noch nicht einmal ein Moped leisten können oder “qui s’emmèrdent sur le vélo“. Am nächsten Morgen schenkt mir Jeremie ein kleines fluoreszierendes Plastik-Kreuz, Made in Italy, mehr habe er nicht, er schenke es mir aber von Herzen, meint er.

In Ougadougou werde ich von Pierluigi, Direktor von Helvetas Burkina Faso, fürstlich bzw. wie ein Tourstar empfangen. Er organisiert mir ein Zimmer in einem von einer italienischen Mamma, Giuliana, und ihrem Sohn Andrea, geführten Bed+Breakfast. Und ein Treffen mit den „étalons“, den Fahrern der burkinischen Rad-Mannschaft. Diese sind soeben siegreich aus der Tour de CEDEAO zurückgekehrt, die von Lagos über Cotonou und Lomé nach Abidjan führt. Da die Burkiner offenbar besser in die Pedale treten als einen Ball treten können,  an der Coupe d’Afrique des Nations alle Spiele verloren haben und früh ausgeschieden sind, hat der Sportminister das unverbrauchte Budget umverteilt und der Radmannschaft neue Karbonräder gespendet.

Pierluigi nimmt die Gelegenheit beim Schopf und nutzt meine Anwesenheit, um eine Kurz-Reportage über ein Projekt im Osten Burkina’s drehen zu lassen. Südlich von Fada N’Gourma erwartet mich dann schon die Gemeinde Nagre. Am nächsten Morgen in der Früh erscheint dann das Kamerateam und das Helvetas-Team. Die Dreharbeiten, um die erfolgreich realisierten Projekte „Pistes rurales“ zu veranschaulichen, können beginnen. Diese „pistes rurales“, ländliche Pisten, binden die weit auseinander liegenden Gemeinden durch eine erosionsresistente Piste, die mit Steinen und Laterit aus der Umgebung gebaut wurden. Anstatt eines Bulldozer wird hier beim Bau Hand angelegt. Die lokale Bevölkerung ist mitbeteiligt, verdient und lernt etwas dazu. Die Gemeinden lernen sich untereinander besser kennen, die Zufahrtswege zum regionalen Markt wird stark verbessert. Mit dem verdienten Geld kann man sich zum Beispiel ein Velo kaufen. Das Rad schliesst sich. Die ganze Wirtschaft wird etwas angekurbelt. Zudem ist beim Bau der Projekte kein einziger Baum gefällt worden. Die Piste schlängelt sich um die Savannenlandschaft und die stämmigen Baobabs. Insgesamt also ein vorbildliches Projekt !

 

Der Harmattan-Wind bläst übrigens die ganze Zeit, von Nordosten her kommend, Staub und Sand. Einen blauen Himmel wie bei uns habe ich schon seit Monaten nicht mehr gesehen. Es fühlt sich an, als hielte mir jemand stets einen heissen Fön vor die Nase und ein anderer von hinten mit einer Schnur zöge. Die Durchschnittsgeschwindigkeiten sind nicht sonderlich hoch. Eine Hassliebe dieser Harmattan. Immerhin lässt das Lüftchen den Schweiss verdunsten. Während zweier Stunden muss ich mich aber jeweils während der Mittagshitze im Schatten flüchten, die Temperaturen sind um die 40 Grad.

Das Leben versüssen mir dafür die Früchte: Papayas, Orangen, Avocados und vor allem Mangos. Einfach göttlich. Weniger göttlich ist es allerdings, diese Frucht zu verspeisen. „There is no sexy way to eat Mangos“, meint ein Peace Corps Volunteer.  Um klebrige Hände kommt man nicht darum herum.  Die Leute sind insbesondere in Burkina sehr freundlich, winken mir oft zu, ich werde freundlich begrüsst und in Dörfern aufgenommen. Dennoch wecken afrikanische Sonderheiten auch Ärger, Kopfschütteln und Unverständnis in mir. Zum Beispiel etwa das chronisch fehlende Wechselgeld. „Y a pas de monnaie“  heisst es fast reflexartig. Man muss sich nicht wundern, wenn man auf  wird.  Und man muss sich nicht wundern, wenn man eine 500 CFA Cola mit einer 2‘000 CFA-Note bezahlt, nur 1‘000 CFA zurückbekommt und die Bedienung im „Maquis“  die Zauberworte von sich gibt, danach absitzt und ungeniert anfängt zu essen.

Verpflegungsstände gibt es an Strassenkreuzungen, an den „péages“, Stationen für Mautgebühren. In Burkina sind diese zwar leer, den fliegenden Händlerinnen bieten sie aber eine Verkaufsmöglichkeit: meist gekühltes Wasser in den Sachets, wie sie hier in Westafrika überall zu kaufen gibt. Das Angebot ist jeweils sehr lokal gefärbt, von Ort zu Ort verschieden: mal gibt es – herrlich – getrocknete Mangos und Cashewnüsse, dann nur noch getrocknetes Hammelfleisch, später nur Zitronen und selten Buschratte, plötzlich nur noch „gâteaus“. Dann Mangos zum Abwinken. Man nimmt – nicht immer – was man bekommt.

Den Frauen in Westafrika –und wohl in ganz Afrika wird am 8. März ein grosser Kranz, in Burkina ein Zahnkranz, gewunden. Beziehungsweise man nutzt die Gelegenheit, um die Garderobe aufzufrischen. Denn ein guter Teil der Bevölkerung trägt Kleider aus dem eigens für diesen Anlass hergestellten Tuch mit entsprechendem Logo, der überall mit Reden und Ständen gefeiert wird. Die Frauen haben hier eine schwere Last zu tragen: Kinder hinten eingepackt in Tücher und auf dem Kopf balancieren sie entweder 20 bis 30 Liter Wasser, Holz oder Töpfe oder Küchenmaterial. Und im Schatten liegende, vor sich hindösende Männer. Sicher ein etwas klischeehaftes Bild, das ich hier abliefere, aber halt aus dem Blickwinkel des Velofahrers oft zu beobachten.

Immerhin scheint es mir, ist die Emanzipation in Burkina ein klein wenig weiter fortgeschritten als in den Nachbarländern. Denn nirgendswo sieht man so viele Frauen auf Velos, zwar immer noch beladen mitsamt Nachwuchs im Rücken. Aber sicher weniger anstrengend als kilometerweit mit riesigen Schalen auf dem Kopf herumbalancierend herumzulaufen. In Benin hingegen sind teils die Brunnen mit zwei Meter hohen Wasserhähnen versehen, die wie Duschhähne aussehen. Clever: damit die Frauen, ohne die Schale vom Kopf zu nehmen, diese mit Wasser befüllen können !

Nur zwei Tagesetappen von Ngare entfernt stehen dann in der Region Atakora, nun bereits im Norden von Benin, die nächsten Projektbesuche an. Während drei Tagen absolvieren die Helvetas-Crew, Mitarbeiter der lokalen Nichtregierungsorganisation ERAD und ich etliche Besuche von Projekten, schütteln zahlreichen Maires, Chefs de Villages und Schuldirektoren die Hand, bedanken und erklären uns mit Hilfe von Megafonen, tauchen in die Menge von im Chor singenden Schulkindern. Jeweils begleitet von zwei Fernsehteams, lokalen Radios und einem Fotografen. Der Empfang, der unserer Delegation bereitet wird, ist überwältigend, berührend. Ein paar Mal kriege ich Gänsehaut. Musikanten, Volkstänze, Schulbands, Hunderte von Kinder, die „Monsieur Morissìo“ im Chor begrüssen .

Und natürlich kann ich dann auch endlich am 19. März – im Namen aller Spenderinnen und Spender – dem Maire der Gemeinde Matéri den Check im Betrage von CHF 7‘422.— überreichen. Mindestens CHF 6‘000.— wären nötig gewesen, um den baufälligen, mit Abfall gefüllten Wasserschacht in einen Brunnen mit Fusspumpe zu renovieren. Herzlichen Dank an alle Spender und die ganze Helvetas-Belegschaft, die mich in Benin freundlich empfangen hat ! Und weil die Projektbesuche aufschlussreich waren, werde ich im Menü “Helvetas” noch separat darüber berichten.

Weiter geht es. Richtung Süden. In den nächsten Tagen darf ich dann Bekanntschaft mit dem subäquatorialen Klima machen. Lange verdrängt, aber unvermeidlich bei einer Afrikadurchquerung. Innert ein, zwei Tagen steigt die Luftfeuchtigkeit drastisch an. Von der Savannenlandschaft geht es in eine grüne, dichtbewachsene Vegetation. Vom heissen Fön in den Dampfkochtopf. Ich leide in den ersten Tagen und werde mich noch an das feucht-heisse Klima gewöhnen müssen. Ich erinnere mich an die Worte von Ben, dem australischen Radler, der mir in der Westsahara begegnet ist: „Everything is just sticky“. Alles klebt, die Kleider sind feucht . Jegliche Tätigkeit – ausser unter einem Ventilator zu liegen  – öffnet die Schweissporen. Der von Süden wehende Wind zwingt mich zu meinem Ärger noch stärker in die Pedale zu treten. Mit der Folge, dass ich dann vollends durchnässt bin und bei der nächsten Gelegenheit fast zwei Liter kühles Wasser auf einmal runterschlucke.


In Abomey schaue ich mir die UNESCO-gechützten Paläste des Dan-Homeys Königreiches an. Endlich in Cotonou angekommen. 30 Kilometer vorher in Porto Novo, der Hauptstadt von Benin. Grosstadtverkehr. Ein Teppich von Zem – Zemidjans. Taxi-Töffahrer mit gelben Hemden als Ersatz für öffentlichen Transport. Ich treffe mich Daniel, Direktor von Helvetas Benin, er lädt mich zu sich nach Hause zu einem feinen Essen ein. Ich habe ihn kurz im Norden in Natitingou getroffen. Abends fahren wir zusammen zum Flughafen. Er und seine Ehefrau steigen in den Flieger, mit dem meine Freundin Mélanie – zusammen mit einem 20 Kilogramm schweren Fress- und Ersatzteilekoffer – mit etwas Verzögerung aus Paris ankommt. Frohe Ostern !

Die richtige Tour du Faso führt über 10 Etappen und 1‘298 Kilometer und endet am letzten Oktobesonntag auf der Avenue de l’Indépendence in Ougadougou. 2011 war ein deutsches Team, begleitet von einer TV-Produktionsfirma, dabei. Diesen Sommer soll im Kino ein Dokumentarfilm erscheinen. Dann heisst es: Vorhang auf !


Nimm zwei

Wenn schon, dann gleich beide: Guinea-Bissau und Guinea. Letzterer wird zur Unterscheidung oft auch Guinea-Conakry genannt.  Mein Alternativprogramm zu Mopti, Djenné, Pays Dogon und Co. in Mali, um die ich aufgrund der derzeitigen Sicherheitslage einen Bogen mache.  In Westafrika haben die Guineas touristisch nicht die Nase vorne, obschon die Länder landschaftlich sehr viel zu bieten haben – das Bijagos Archipel vor Bissau zum Beispiel – und die Menschen sehr gastfreundlich sind. So habe ich in Guinea kein einziges „Donne moi un cadeau“ vernommen.

Das Visum für Guinea-Bissau bekomme ich am 20. Januar, einem Feiertag. Dem Tag der Ermordung von Amilcar Lopes Cabral. Auf portugiesisch meint der freundliche, umtriebige Konsul, ich hätte Glück gehabt, er habe eine Verabredung, ansonsten wäre er nicht am Arbeiten gewesen. Innert 15 Minuten habe ich mein Visum.

Amilcar Cabral leitete als Gründer des PAIGC (Partido Africano da Independência da Guinea e Cabo Verde) den Unabhängigkeitskrieg gegen Portugal. An seinem Geburtsort Bafata werde ich später vorbeifahren. Erst 1973 ist Guinea-Bissau unabhängig geworden. Seither will es aber mit dem kleinen Land, das rund zehn Prozent kleiner als die Schweiz ist, nicht richtig bergauf gehen. Es gab Militärputschs, Präsidenten werden ermordet, 1999 tobte in Bissau ein Bürgerkrieg. Das Land ist stark unterentwickelt, liegt nur auf Platz 164 von 169 des Human Development Index. Die Leute leben sehr einfach, sind Selbstversorger. Ein Stromnetz gibt es nicht. Einzig der Anbau von Cashew-Nuss-Bäumen vermag ein geringes Einkommen zu generieren. Immerhin liegt Guinea-Bissau weltweit auf Platz 6 der Cashew-Nuss-Exporteure.

Der Präsident ist erst vor wenigen Wochen verstorben, dennoch ist die Lage ruhig in Bissau, wo ich bei Lieve, einer Belgierin unterkomme. Lieve lebt seit mehr als 20 Jahren mehrheitlich in Afrika: in Niger, Botswana und die letzten Jahre in Guinea-Bissau. Sie kann mir entsprechend viel über das Land berichten. Ich habe doppelt Glück: der nigerianische Konsul ist über meine Veloreise sehr angetan und stellt mir prompt  ein 6-Monats Visum aus, aber erst am Montag. Und der Weekend-Trip von Lieve fällt ins Wasser, sodass ich über das Wochenende in ihrer kleinen Wohnung inmitten eines belebten Wohnquartiers bleiben darf. Moito obrigado, Lieve ! Ein einziger Wasserhahn bedient während einigen Stunden am Tag einen Hof, zu dem mehrere Familien Zugang haben. Fliessendes Wasser ist hier keine Selbstverständlichkeit. Nachts versinkt die Stadt Bissau in Finsternis, einzig durch Kerzen, wenigen Stromgeneratoren und Scheinwerfern von Autos und Motorräder notdürftig beleuchtet. Von einer Lichtverschmutzung ist man hier noch Lichtjahre entfernt !

Ausserorts herrscht auf den Strassen erstaunlich wenig Verkehr, mehr Velofahrer als Fahrzeuge. Kein Wunder:  wer kann sich hier schon ein Auto leisten ?  Entsprechend wenig, haben die Polizeikontrollen zu tun. Meistens eine Gruppe stark übergewichtiger Frauen, denen die hellblauen Hemden auf Brusthöhe zu platzen drohen. Ich werde aber meistens zum Essen eingeladen und kann mir eine gute Portion Reis und Fisch aus der grossen Schale rauslöffeln.

Meterhohe Termitenhügel säumen den Wegesrand. Als ich einige inmitten eines Dorfes bewundere, kommt der 24-jährige Nico auf mich zu und bietet mir die grünen Früchte der Rognier-Palme an. Die wollen aber zunächst auf den 20 Meter hohen Palmen gepflückt beziehungsweise abgehauen werden. Kein Problem. Ein Schulkind wird hergeholt. Mit einem Ring aus Bambusholz presst er sich mit nackten Füssen gegen den Stamm und in wenigen Augenblicken ist er bereits oben. Ratsch, ratsch, mit der Machete haut er drei Stauden ab. Die Nüsse werden dann am Ansatz mit der Machete abgehauen. Drei Öffnungen zeigen sich nun. Der Daumen wird nun kräftig hineingedrückt und hin und her bewegt, dabei wird gleichzeitig die glitschige Masse ausgelutscht. Herrlich erfrischend !

Da das wilde Zelten teils schwierig ist,  gehe ich auf Konfrontation und frage in kleinen Dörfern jeweils den Chef de village, ob ich im Dorf übernachten könne. Das hat  Vorteil, das man in Sicherheit ist, sich waschen und  kochen kann. Einziger Nachteil: man kann nicht in der Nase herumbohren, ohne dass es mindestens 20 neugierige Augen registrieren. Glücklicherweise verziehen sich aber meist alle diskret, sobald ich zu essen anfange. Im Gegenzug überreiche ich den Leuten kleine Geschenke: Seife, Maggi-Kochwürfel, eine Zwiebel, Knoblauch, Kekse, eine 1‘000 CFA-Note. Am Tag muss ich jeweils zwei- bis dreimal Wasser filtern. Da erfreulicherweise sehr viele Dörfer einen Brunnen oder eine Wasserpumpe haben, muss ich nie mehr als 5 Liter Wasser schleppen.

Die Einreise nach Guinea verläuft ohne Probleme. Grenzbeamte verfolgen gerade die Fussball-Nationalmannschaft im Fernseher. In diesen Wochen wird die Coupe des Nations d’Afrique, die CAN, abgehalten. Entsprechend schnell werde ich abgefertigt.

In Guinea fangen dann die richtig schlechten Pisten an: staubig, holprig, sandig. Und bereits nach einem Tag fresse ich derart viel Staub, dass ich eine Woche lang keine Stimme mehr habe. Das Laubwerk in unmittelbarer Nähe der Strasse ist braun bepudert. Immerhin wird das Strassennetz langsam ein bisschen modernisiert. Wird auch Zeit, weil praktisch der ganze Waren- und Personentransport auf der Strasse beziehungsweise auf diesen Pisten stattfindet. Guinea wäre eigentlich reich: es hat die drittgrössten Vorkommen an Bauxit (Aluminiumerz).  Ab Koundara ist die Strasse Richtung Süden für 70 Kilometer asphaltiert, den Chinesen sei Dank. Danach fangen die Hügel des Fouta Djalon und die schlechten Pisten an.

In Koundara begebe ich mich sicherheitshalber ins Spital, um einen Malariatest zu machen, denn ich habe leicht Fieber und Gliederschmerzen. Entwarnung. Ein halber Ruhetag, ein Hotelzimmer, Pain Killers und schon geht es am nächsten Tag weiter.

Das Fouta Djalon ist ein wald- und wasserreiches, hügeliges Gebiet. Die Flüsse Gambia und Senegal sowie grössere Zuflüsse des Niger entspringen in dieser Gegend. In Labé gibt es, wie in den meisten Teilen des Landes kein Strom, ausser in wenigen Hotels, dafür leckere Baguette. Sehenswert ist hier der Gemüsemarkt. Die Temperaturen sind hier nun merklich kühler, am Morgen fällt die Temperatur bis auf 15 Grad. In Dalaba, der Schweiz Guineas, wo die südafrikanische Sängerin Miriam Makeba einige Jahre im Exil lebte, bin ich dann bereits auf 1‘200 Metern über Meer.

Bewohnt wird die Gegend von den Fula, Viehzüchter, sehr gastfreundliche Leute. Mir fällt auf, dass diejenigen im gesetzteren Alter schöne handgestickte Hüte tragen. Bereits auf meiner Tibet-Reise habe ich auf Anraten eines guten Freundes jeweils ein Exemplar der landestypischen Kopfbedeckung als Souvenir erstanden. Nach einigem Herumfragen stellt sich heraus, dass ich in Dara, wo die Hüte hergestellt werden, durchfahren werde.

Tatsächlich: hier sind sie, die Hutmacher des Fouta Djalon. Ein Zehnergruppe von Herren, die unter einem grossen Baum neben einer Moschee den ganzen Tag Hüte sticken. Jeder hat sein eigenes Muster. Ich kaufe gleich zwei Stück. Zu meiner Freude wollen alle abfotografiert werden.  Aliou, der freundliche Herr ganz rechts auf dem Bild, meint, er kenne einen Weissen hier. Er wohne im nächsten Dorf. Er ruft Joel, einen amerikanischen Peace Corps Volunteer an. Und so werde ich praktisch eine ganze Woche lang von einem Volunteer zum nächsten durchgereicht. Und erfahre eine Menge über die Peace Corps: 1961 im Zuge des kalten Krieges auf Initiative von Kennedy ins Leben gerufen, um das Verständnis zwischen Amerikanern und anderen Völkern zu fördern. Die grösstenteils jungen Volunteers bleiben zwei Jahre im Land, leben teils in einfachen Dörfern in Strohhütten ohne Strom und fliessendes Wasser, wo sie sich integrieren und die jeweilige Sprache lernen. Jessie, Lane und Caroline haben erst vor wenigen Tagen ihren Dienst angefangen. Ich bin aber beeindruckt, wie manche von Ihnen voller Überzeugung, Stolz und Hingabe ihre Aufgabe angehen. Thanks a lot for your hospitality !

An das Finale der CAN denke ich gar nicht, als ich wieder in einem Dorf übernachte. In der Schule nebenan hat sich der männliche Teil der Dorfgemeinschaft versammelt, um vor dem einzigen, mit Stromgenerator betriebenen Fernseher gebannt das Spiel Côte d’Ivoire gegen Sambia zu verfolgen. Auch wenn ich kein grosser Fussballfan bin – ehrlich gesagt gar keiner – , wird mir aber der Abend lange in Erinnerung bleiben. Zu meinem Leidwesen geht das Spiel in die Verlängerung. Zeitweise nicke ich ein. Immerhin bekomme ich mit, dass der ivorianische Spieler Drogba ein Penalty verhaut. Im Penalty-Schiessen gewinnt Sambia. Wäre für Präsident Outtara zuviel des Guten gewesen, hätte die Elfenbeinküste den Pokal nach Hause geholt.

In kleinen Dörfern fallen mir überdimensionierte gekachelte Moscheen auf. Eigenartig, weil viele Schulen vom PAM (Programme Alimentaire Mondiale) und von der EU finanziert werden und es dringendere Infrastrukturprobleme zu lösen gäbe. Kurz vor Siguiri lässt mich aber ein Schild zu Ehren des Colonel Gaddafi selig vermuten, dass die Gebetshäuser vermutlich durch ausländische Geldgeber finanziert werden.

Nach dem Fouta Djalon bläst mir der Harmattan, der heisse Wüstenwind aus der Sahara, mit voller Wucht ins Gesicht und ich komme in Siguiri an, als es bereits dunkel ist. Unangenehm, weil in der Dunkelheit die Orientierung schwierig ist. Aus Siguiri stammte im Mittelalter das Gold und auch heute wird noch Gold abgebaut. In manchen Dörfern sieben Jugendliche den ganzen Tag lang mit Hilfe einer Kalebasse Gold und schaffen es auf 1 bis 2 Gramm Gold pro Woche. Gerade genug um zu Überleben.


Toubab geniesst Teranga

Bevor ich mich in den nächsten Tagen in Guinea-Bissau auf Portugiesisch zu verständigen versuche, wird es Zeit, um wieder Bericht über meine Reise zu erstatten. Also zurück nach Dakar, wo ich zehn Tage verbringe.

Dakar ist die Hauptstadt Senegals, eine rasch wachsende Grossstadt auf der Cap Vert Halbinsel, dem westlichsten Punkt Afrikas, mit mehr als zwei Millionen Einwohnern und sogar einem Géant Casino mit anständigen Angebot an Käse. Der Versuchung, eine ganze Packung Roquefort mit einer Baguette aufs Mal zu verzehren, kann ich nicht widerstehen.  Ich kann bei Sacha, einem Genfer,  wohnen, der selber Velotouren in Westafrika und im südlichen Afrika unternommen hat und seit acht Jahren in einer Kunstgalerie arbeitet. Zwar hat er seine Wohnung nur noch für wenige Wochen, da er bald nach Bangkok ziehen wird. Dennoch hat er ein Zimmer für mich frei und so nutze ich die Gelegenheit, um mir eine längere Auszeit zu gönnen. Sacha ist unkompliziert, „easy-going“, ein Seelenverwandter und gibt mir gute Tipps für die Weiterreise. Jeredef Sacha !

Am Morgen trinken wir gleich beim Hauseingang jeweils Kaffee auf der Strasse bei einem der zahlreichen Nescafé-Stände: Verkäufer, die eine buntbemalte Tonne, seitlich mit zwei Rädern, oben mit gebogenem Vordach, einen Café au lait mit Schaum mit Hilfe von Kaffe- und Milchpulver zaubern, indem sie das Getränk x-mal von einem Becher in einen anderen schütten  Daneben ein Stand von 1.5 Quadratmetern Grösse, in dem Omelett-Zwiebeln-Sandwichs zubereitet werden, eingewickelt in „papier recupéré“,  Alt- und Zeitungspapier. Völlig normal hier. Auf einer Schadenanzeige einer Motorfahrzeugversicherung, einer Bankvollmacht oder einem seitenlangen gescheiten Elaborat irgendeiner NGO, aus dem man etwa Folgendes in Erfahrung bringen kann: The internal challenge in the Mandara Triangle comes from the Kenyan, Somali and Ethiopian governments‘ inability to adequately address situations that they are confronted with, in this case natural disasters such as drought and flooding. Interessant. Umwelt- geht in Dakar dem Datenschutz vor !

Am Rande vom Kermel-Markt, wo Gemüse, Früchte, Fleisch und Fisch angeboten werden, reihen sich die Maman’s, die in riesigen Töpfen das Morgen- und Mittagessen zubereiten. Thiéboudienne (Fisch mit Reis) ist das Nationalgericht, aber auch Maffé (Lammfleisch an schwerer Palmöl-Erdnusssauce) und Yassa (Fleisch oder Fisch an einer Zitronen-Zwiebelsauce) findet sich hier. Eine Radlerportion für etwa einen Franken. Toll sind hier im Senegal auch die zahlreichen kühlen und süssen Fruchtsäfte:  Bissap (Hibiskus-Sirup), aus Affenbrot oder Thiakry (eine Mischung aus Sauermilch, Couscous und Zucker). Grüne Orangen aus der Casamance, gut zum Pressen und Auslutschen, finden sich überall am Strassenrand. Wie auch Erdnüsse, und viel seltener, da die Saison längst vorbei ist, leckere Cashewnüsse. Insgesamt ist das Essen hier gar nicht so übel, vor allem, wenn es mit einer kühlen Flasche Gazelle-Bier runtergespült wird. Und wer vom Fisch genug hat oder einfach eine deftige Portion Eiweiss und Fett benötigt, der kann sich in einer Dibiterie verköstigen. Ein Fleischstand, in dem Hammelfleisch in groben Stücken grilliert wird, danach mit einem Beil mundgerecht verkleinert auf einem Stück Zementsack, im Idealfall auf Backpapier, mit einigen Scheiben rohen Zwiebeln angerichtet wird. Und beim Essen kann man genüsslich beobachten, wie Ziegen und Schafe, weiter im Süden dann auch Schweine,  in Abfallresten rumstochern.

Der Sandaga-Markt in Dakar ist chaotischer und staubiger. Hier finden sich auch die bunten Wax-Stoffe mit den bunten und lebhaften Mustern. Und Kleider, die in Europa in die Altkleidersammelstelle gegeben wurden. Hier kann ich meine Garderobe vervollständigen und kaufe ein langärmliges Hemd und Shorts. Unweit davon ist das Institut Français, eine kleine Oase inmitten dieser etwas hektischen Stadt.

In der Stadt tummeln sich Verkäufer von Handy-Guthabenkarten, Kokosnüssen. Menschen, die einige wenige Artikel – Ledergürtel, Socken, Unterhosen, einige Jeans –  am Boden ausbreiten. Eindrücklich ist auch ein Spaziergang am Strand in Cambéréne, nördlich der Halbinsel. Hunderte, Tausende von Senegalesen jeden Alters, die hier spazieren, joggen, sich im Nationalsport – der „Lutte“  – versuchen, Fussball spielen, sich auf irgendeine Art und Weise körperlich ertüchtigen. Eine friedliche, gelöste Atmosphäre. Trotz der in wenigen Wochen bevorstehenden Präsidentenwahlen.

Obschon der greise Maître Wade die Verfassung dahingehend ändern liess, wonach die Amtszeit des Präsidenten auf maximal zwei Mandate beschränkt ist, steht es ihm nicht danach, sich als erster danach zu halten und kandidiert prompt ein drittes Mal. Es wird gemunkelt, dass er seinen Freund Youssou N’Dour dazu bewogen haben soll, ebenfalls anzutreten, um den Gegenkandidaten Stimmen wegzunehmen.

 

Ein Pflichtbesuch ist bei der kaum einen Kilometer langen und UNESCO-geschützten Insel  île de Gorée angesagt,  früher ein Zentrum des Sklavenhandels. Heute steht das renovierte Sklavenhaus als Symbol für eine dunkle Epoche der Menschheit. Ich übernachte auf der Insel, um ­­­unbehelligt von den Tagestouristen die 1000-Seelen Ortschaft geniessen zu können, beim Sonnenaufgang auf die Festung zu laufen und den zahlreichen Strassenkünstlern, die bei ihren Ständen übernachten, bei der Morgentoilette zu stören.  Ein gemeinsamer Velo-Ausflug mit Sacha zum 40 Kilometer entfernten Lac Rose und durch den stickig-staubigen und anstrengenden Dakar-Verkehr bildet den Abschluss meines Dakar-Aufenthaltes. Der See, eigentlich Lac Retba genannt, hat seinen Namen wegen seiner rosa Färbung, verursacht durch hohen Salzgehalt und Bakterien. Am Ufer des Lac Rose war früher das Endziel der Rallye Paris-Dakar.

Am Montag breche ich dann endlich auf. Ein letztes Mal ein Nescafé mit einer Omelette-Baguette. Und sobald ich nach rund 30 Kilometern endlich dem Stadtverkehr entflohen bin und durch die ersten Dörfer radle, höre ich wieder die Kinder, wie sie mir auf Wolof „toubab, toubab“ zurufen. Der Weisse, der Weisse ! Wolof hat übrigens jeder von euch schon einmal gehört. Wer’s nicht glaubt, höre hier rein.

Das Mittagessen, Reis mit Fischbällchen, wartet bereits auf mich. Mohammed, ein Arbeitskollege von Sacha, empfängt mich freundlich, zeigt mir den Strand von Yenne, die Küste, wo er sich vor zwanzig Jahren wegen eines Erdrutsches eine offene Fraktur am Bein zugezogen hat. Seither macht er einen grossen Bogen darum. Um vier Uhr breche ich auf, abends treffe ich dann wieder Linda und Peter, ein holländisches Missionarspaar, die ich in der Zebra-Bar kennengelernt habe. Sie unterrichten in einer Schule für die in Senegal ansässigen Missionarskinder. Wegen einer Konferenz herrscht gerade Hochbetrieb, dennoch werde ich sehr wohlwollend aufgenommen, kann einige Kontakte knüpfen und mit vielen Leuten Schweizerdeutsch reden.  Und so geht es praktisch die ganze Woche weiter.  Die Senegalesen nennen es „Teranga“: man steht füreinander da, teilt gemeinsam. „Nous sommes ensembles“, heisst es immer wieder. Genuine Gastfreundschaft.

In Joal-Fadiout, dem Geburtsort von Lépolod Sédar Senghor, Schriftsteller und erster senegalesischer Präsident, interessiert mich die kleine Insel ganz aus Muscheln. Einige Baobabs und ein islamisch-christlich-gemischter Friedhof.  „Nous sommes ensemble“ geben mir die Leute zu verstehen. Auf der Insel Fadiout eine Moschee und eine Kirche. Mit Kirchturm. Und das in einem Land, in dem sich über 90 % der Bevölkerung zum Islam bekennen. Ob es bauliche Beschränkungen gibt, konnte ich nicht in Erfahrung bringen.

Der Islam hat in Senegal eine ganz eigene Ausprägung und ist durch Brüderschaften gekennzeichnet.  Am weitesten verbreitet ist die Muridiyya Sufi-Bruderschaft, deren Mitglieder die Muriden, just in der Woche, als ich Dakar verlasse, anlässlich des Magal nach Touba pilgern. Der Gründer dieser Brüderschaft, der hoch verehrte Ahmadou Bamba Mbacké liegt dort begraben. Die Muriden  haben einen grossen Einfluss auf Wirtschaft und Politik und beherrschen beispielsweise das Transportwesen. Ein Zweig der Muriden sind die Baye Fall, eher eine Lebensform der Wolof als eine Religion. Deren Anhänger sind an den Rastas und den bunten Hosen erkennbar. Bei einem solchen Baye Fall kann ich im Dorf Samba Dia übernachten. Die Ethnie der Wolof stellt in Senegal die Mehrheit dar. Ihre Sprache, ebenfalls das Wolof, wird heute praktisch von allen Volksgruppen gesprochen. Mit der Zeit wird die Angelegenheit unübersichtlich. Da gibt es noch die Toucouleur, die Pulaar reden, und die Fulbe, die Serer, die Mandinké, in der Casamance die Diola.

Unterwegs ist es mir nicht langweilig. Grosse Plakate mit einer lachenden Kleinfamilie und der Aufschrift „espacer les naissances“ ermahnen an das heikle Thema der Familienplanung. Buschfeuer werden gelöscht. Aasgeier kreisen um einen toten Esel. Ein Senegalese hält an, verscheucht die Vögel  und sammelt die Erde, auf denen sie soeben rumgetrampelt sind. Wozu er das tue, frage ich ihn. Mit der Hilfe eines Marabouts verhelfe die Erde zu einem Zauber: so soll bei einem Totschlag der Täter für die Polizei unsichtbar sein. Oder die Erde soll, ausgestreut vor einem Laden, dazu verhelfen, möglichst viele Kunden anzulocken. Auch diese animistischen Züge gehören zum senegalesischen Islam.

Ich fahre zum Siné-Saloum-Delta, fahre durch beeindruckende Palmen- und Baobabwälder, am angeblich grössten Baobab Senegals mit einem Umfang von 32 Metern vorbei. Früher wurden im Baobab die Gebeine der Geschichtenerzähler, der Griots aufbewahrt. Heute hausen Fledermäuse darin, ab und zu gestört durch neugierige Touristen. Mit einer „courrier“-Piroge setze ich auf die kleine Insel Djirnda über. Es ist heiss, die Fahrt dauert zweieinhalb Stunden, entlang an Mangrovenwälder. Ein Paradies für einheimische Tiere und Zugvögel.

Auf der Insel Djirnda steigen keine Touristen ab, ich bin der einzige Weisse und falle entsprechend auf. Dennoch sind die Senegalesen nie aufdringlich. Die Insel liegt inmitten von Mangrovenwäldern, in einiger Entfernung liegt der Friedhof idyllisch inmitten einer Gruppe Baobabs. Ich werde auf der Anlegestelle vom jungen Bijaram empfangen, der Bruder des Senegalesen Madumaj, den ich kurz vor der Abreise kennengelernt habe. „Mach dir keine Sorgen, ich ruf meine Mutter an, du kannst bei ihr schlafen.“  Ein Zimmer ist für mich liebevoll hergerichtet worden, Nachtessen wird mir zubereitet. Vorher will aber die Tradition, dass wir beim Dorfchef vorsprechen, der über meinen Besuch sehr erfreut ist. Sie geben mit zu verstehen, dass ich zu ihnen gehöre. Ich bin beeindruckt. Die Dorfjugend hat sich derweil eingefunden, um den Nachwuchs der Kämpfer des Nationalsports „Lutte“ anzufeuern.

Nach dem Morgenessen begleitet mich die ganze Familie zur „embarcadère“ und verabschiedet mich, als sei ich ein Verwandter. Die Reise geht weiter, zunächst mit der Piroge, danach wieder mit dem Drahtesel. An der senegalisch-gambischen Grenze treffe ich auf ein sehr sympathisches deutsches Radlerpaar, Julianne und Moritz. Wir setzen mit der Fähre auf Banjul, der Hauptstadt von Gambia, über. Ich trenne mich aber sogleich von Ihnen, da ich bei einer Couchsurferin, bzw. deren Kollegin Sue, eine Engländerin im Ruhestand, im Touristenzentrum Kololi drei Nächte bleiben darf. Thanks Sue ! In Gambia, dem kleinsten Staat  Afrikas, wird Englisch gesprochen. Nice, nice ! The Gambia ist langgezogen, 10 bis 50 Kilometer breit und ganz umschlossen von Senegal.

Ich fahre in den südlichen Teil von Senegal, in die Casamance rein. Bis zum Fischerdorf Kafountine.  Dort sind die zahlreichen Öfen, in denen Fische geräuchert werden, am dicken Rauch leicht auszumachen. Schon nach wenigen Minuten brennt der Rauch unerbittlich in den Augen und ich muss in eine „épicerie“ flüchten, um mir Papiertücher zu kaufen. Ich frage mich, wie die Menschen, die allermeisten stammen aus Guinea-Conakry, ihre Arbeit tagtäglich in diesem Qualm ohne jeglichen Schutz zu verrichten imstande sind. Ich laufe fast drei Stunden durch die unwirkliche Szenerie aus Rauch und Licht.

Von Kafountine nehme ich ein Grand Taxi, um schnellstmöglich nach Ziguinchor zu gelangen. Die hundert Kilometer sind durch Militärpräsenz hinreichend gesichert. Allerdings gibt es sporadisch nördlich dieser Strecke im Landesinnern einzelne Schusswechsel zwischen Rebellen und Militär. In Ziguinchor richte ich mich im Camping Casamance ein, der von einem französisch-senegalischen Paar geführt wird. Eine Zweitagestour mit wenig Gepäck führt mich in die Basse Casamance, bereits sehr grün und dichtbewachsen. Zu den Baobabs gesellen sich nun eindrückliche riesige Kapokbäume. Unterwegs besuche ich eine Krokodilfarm. Verschwitzt komme ich in Elinkine an und schaffe es gerade noch auf die Piroge, die zur einsamen Insel von Karabane fährt. Unterwegs verschnupfe ich mich wohl und verordne mir daher zwei Tage Genesung im Camping, auf dem eine familiäre Stimmung herrscht.

Im Camping haben sich Guy und Isabelle mit ihren zwei Zwillingspaaren und ihrem Truck eingerichtet. Das belgische Paar hat jahrelang im Kongo gelebt und muss nun den Papierkram erledigen, um auf den Grimaldi-Frachter nach Angola mitgenommen werden zu können. Cees und Marjan aus den Niederlanden hingegen, mit einem 16-Tönner unterwegs (der pro Liter gerade drei Kilometer schafft…), sind ebenfalls schon seit einiger Zeit hier auf dem Camping. Cees hat fünf Jahre im Sudan gelebt und vertreibt sich die Zeit damit, eine Baumhütte zu konstruieren.


Sahara, Sahel und Senegal

Mittlerweile befinde ich mich im Senegal, wo ich das Gefühl habe, so richtig in Afrika angekommen zu sein, obschon ich ja bereits seit über zweieinhalb Monaten auf afrikanischem Boden rolle. Aber zunächst einmal zurück zur Westsahara.

Nach drei Ruhetagen in dem von Spaniern gegründeten Dakhla, vormals Villa Cisneros genannt, setze ich meine Reise durch die Westsahara, Richtung Süden, fort. Dakhla liegt auf einer Landzunge, ich muss daher 40 Kilometer wieder zurückradeln. Mir ist zwar bewusst, dass ich etwas Gegenwind haben werde, aber dass ich dreieinhalb Stunden für 40 Kilometer brauche, hätte ich nicht gedacht. Und das auf flacher Strecke ! Nachher wird es zwar etwas besser, aber Geschwindigkeiten von 11 bis 15 km/h sind mental nicht gerade erbauend, immerhin sorgen Sand und Wind für ein Dauerpeeling. Und so benötige ich für die 350 Kilometer bis zur Grenze vier Tage.

Ich schlafe bei einer Tankstelle, bei einem „Service de desenseblement“ und sogar bei der Marine Royale. Die kleinen Blockhütten des Militärs, die sich überall entlang der Küste finden, sind alles andere als königlich, sie sehen eher wie erbärmliche Fischerhütten aus. Dafür sind die beiden jungen Rachid und Hassan sehr gastfreundlich. Ich darf neben Ihnen zelten. Beziehungsweise in ihrer selbstkonstruierten, gemütlichen Strandhütte schlafen. Genial ! Den ganzen Tag kämpfe ich schon gegen den Wind, es ist recht heiss, und mir geht die längste Zeit durch den Kopf, dass es an einem solchen Tag sicher entspannendere Freizeit-Aktivitäten gäbe als durch die Westsahara zu radeln. Etwa am Strand liegen, die Kühle des Atlantiks geniessen und Riesenmuscheln sammeln. Das Angebot der zwei jungen Burschen kommt daher wie gerufen. Ohne mit der Wimper zu zucken springe ich rein ins herrlich kühle Nass ! Unterdessen bringt mir Hassan eine Kanne Tee. Ich trockne mich ab, geniesse das süsse Getränk, kühle mein Brausepulver-Getränk in einem Kübel Meerwasser. Die Anstrengung ist vergessen, ich geniesse den einsamen Strand. Das sind die tollen Überraschungen, die man nur auf dem Velo erlebt, denke ich mir. Wir kochen zusammen, verbringen einen lustigen Abend, und um 21 Uhr verziehe ich mich in die Hütte und schlafe bald ein.

Um 1 Uhr nachts klopft es an meiner Hütte. Die beiden Jungs sind auf Patrouille, um die Küste vor illegalen Einwanderern zu kontrollieren. „Ist alles in Ordnung“, rufe ich Ihnen zu. Sie lassen aber nicht locker, ich solle die Türe aufmachen. „Maurizio, nous excusons le dérangement“. Zähneknirschend mache ich auf. In der Dunkelheit, in Uniform und mit Gewehren sehen sie nicht mehr ganz so freundlich aus wie Stunden zuvor. Ich solle die Stirnlampe ausmachen, befehlen sie mir, sie wollen nicht auffallen. „La tente, la tente?“, fragt Rachid ungeduldig. Ich solle es mitnehmen und mit Ihnen zum Strand laufen. „Hey, was soll der Quatsch?“, gebe ich Ihnen zu verstehen. Mir wird etwas bange: wollen die zwei mich jetzt etwa überfallen ? Ich weigere mich und will eine Erklärung. Wegen ihrer mangelhaften Französisch-Kenntnisse brauche ich eine Weile, bis ich ihr Ansinnen durchschaut habe: jetzt seien sie auf Patrouille und nicht mehr als Zivilpersonen unterwegs, sie müssten sich an das Reglement halten. Ich dürfe daher nicht so nahe bei Ihnen schlafen, da es sich um einen militärischen Posten handle. Gleichwohl könne ich in der Strandhütte schlafen, nur müsse ich zunächst das Zelt aufstellen, für den Fall dass Ihr Vorgesetzter vorbeikomme. In diesem Fall müssten wir ihm dann vorgaukeln, dass ich nachts aufgewacht sei und die beiden darum ersucht hätte, in der Strandhütte schlafen zu können, da es draussen – mindestens 20 Grad warm – zu kalt sei. Bravo ! Das hättet ihr mir doch gleich sagen können ! Immerhin haben die beiden keine bösen Absichten und nehmen einzig ihren Job ernst. Um nicht noch einmal gestört zu werden, stelle ich also mein Zelt mitten in der Nacht auf und zügle meine Siebensachen.

Die Ausreise aus Marokko gestaltet sich problemlos. Vier Kilometer Niemandsland liegen zwischen Marokko und Mauretanien. Dem Strassenzustand nach zu urteilen, haben die beiden Staaten kein Wirtschaftsabkommen geschlossen. Eine üble, holprige Sandpiste, die man besser nicht verlässt, denn das Gebiet ist stark vermint. Im Schritttempo kämpfen sich Lastwagen über die miserable Piste mit dem Übernamen „Kandahar“. Ausgebrannte Autos, Wracks, entsorgte Elektronik-Geräte. Allerlei Leute, die auf diesem herren- und staatenlosen Abschnitt krumme Geschäfte drehen und Nummernschilder wechseln.

In Mauretanien fahre ich nach Nouadhibou rein. Die zweitgrösste Stadt Mauretaniens ist ein kleiner Schock. Das Stadtbild wird von Abfallbergen geprägt, in denen Ziegen nach etwas Fressbarem rumstochern. Überall Sand, was nicht weiter verwundert, denn ich bin ja noch in der Sahara. Die ganze Aufmachung der Läden und Geschäfte ist einiges schäbiger als in Marokko. Ein Steinwurf vom Zentrum entfernt fangen bereits die Bidonvilles an.

Mauretanien ist eines der ärmsten Länder der Welt und geniesst, nicht zuletzt wegen Entführungen in entlegenen Gebieten durch die AQM (Al Qaida im Maghreb) und organisierten Banditen, nicht den besten Ruf. In Mauretanien herrscht immer noch eine moderne Form der Sklaverei. Die Bevölkerung ist stark hierarchisch gegliedert: die Elite wird durch die weissen Mauren, den Bidhan gebildet, während die dunkelhäutigen Haratin oftmals Sklaven als Vorfahren haben. Man bekommt das im Land zu spüren, die Leute sind zurückhaltender als in Marokko.

Von Nouadhibou aus fährt der berüchtigte Eisenerzzug ins Landesinnere nach Zouérat. Er ist mit rund zwei Kilometern, 200 Waggons und bis zu vier Lokomotiven einer der längsten und schwersten Züge der Welt. Der Sahara-Sand ist dabei das grösste Hindernis. Entsandungstrupps sind alle Hundert Kilometer stationiert. Der Verschleiss von Geleisen und der Züge ist sechsmal grösser als unter normalen Umständen. Eine Fahrt auf diesem Zug – gratis in einem der Eisenerzzwaggons – muss ein einmaliges und anstrengendes Erlebnis sein und schüttelt alle Knochen richtig durch. Ich verzichte auf die Rüttelparty und fahre zur Hauptstadt weiter.

Auf der Strecke Nouadhibou – Nouakschott passiert man alle 50 bis 80 Kilometer einen Checkpoint der Gendarmerie Nationale. Ich händige jeweils die „fiche de renseignements“ mit meinen persönlichen Daten aus. Die Bevölkerung ist alarmiert und informiert umgehend die Gendarmerie über die Anwesenheit unbekannter Personen, einschliesslich Velofahrern. Beeindruckend. „Bei Kilometer 42 hast Du Tee getrunken, nicht wahr? An der Tankstelle bei Kilometer 67 hast Du eine Cola gekauft ?“ Solche Bemerkungen der Gendarmes sind nichts Aussergewöhnliches. Auch tagsüber sind mobile Einheiten auf Patrouille. Oft halten sie an und erkundigen sich nach meinem Wohlbefinden. Sicherheitshalber zelte ich jeweils bei den Postes de Gendarmerie. Eine andere Wahl habe ich eh nicht, da sie mich am späten Nachmittag bzw. abends nicht mehr weiterfahren lassen.

Die Hauptstadt Nouakchott ist der Inbegriff einer unkontrolliert wachsenden Stadt mit mangelhafter Infrastruktur. 1959 ist die Stadt im Zuge der Unabhängigkeit hastig für 30‘000 Einwohner geplant worden. Heute wohnen bzw. hausen hier mehr als eine Million Menschen, darunter sehr viele landflüchtige Nomaden.

Immerhin gibt es hier eine tolle Herberge, in der man auf viele andere „Overlander“ trifft. So auch auf die zwei Italiener Fabrizio und Paolo, Cousins aus den Abruzzen, ebenfalls mit dem Rad unterwegs. Es sind die ersten „richtigen“ italienischen Tourenfahrer, die ich in den letzten Jahren angetroffen habe. Und auch die ersten mir bekannten Tourenfahrer, die täglich mindestens eine Packung Zigaretten qualmen. Aber auch der Dokumentarfilmer Tommaso Cotronei, der eine Reportage über den Eisenerzzug drehen wird und Ivo, ein anderer 55-jähriger Italiener, haben sich in der Auberge Menata eingefunden. Eine richtige italian connection. Und da Tommaso ein fettes Stück Parmesan mitgenommen hat, nutzen wir die Gelegenheit und kochen feine Pasta.

Nouakchott scheint, obschon nicht sonderlich attraktiv, meine Stadt zu sein: überall sind Mauris zu sehen: Mauritel, Mauriart, Mauritrac, Maurigraph, Maurilab, Mauripressing, Mauricenter. Unglaublich, in welchem Zustand gewisse klapprige und völlig verrostete Autos, die jeden Moment auseinanderfallen zu drohen, hier noch ihren Dienst verrichten. Sehenswert in Nouakchott ist immerhin der Port de Pêche, ein Strandhafen, in dem auf einer Länge von über einen Kilometer die farbigen Fischerboote, die Pirogen, aneinandergereiht werden und nachmittags vom Fischfang zurückkehren. Über Rollen werden die Boote von Hand an Land gezogen. Der Fischfang wird auf Eselskarren verladen und zur Verkaufshalle gebracht. Dieser soll, zumindest für die Einheimischen, in den letzten Jahren zurückgegangen sein. Mauretanien hat vor Jahren der EU ein unbeschränktes Fischfangrecht eingeräumt – für jährlich rund 62 Millionen Euro. Der Fischfang bildet heute die wichtigste Einnahmequelle von Mauretanien.

Von Nouackchott fahren Fabrizio, Paolo und ich zusammen los. Von der Sahara geht es fliessend in die Landschaft der Dornsavanne des Sahel über. Wir übernachten im berüchtigten Grenzort Rosso.“ Ein Ameisenhaufen, aber von denen die stechen“, laut einem professionellen französischen Autoschieber. Wir fahren danach einem Damm entlang bis nach Diama. Eine tolle Etappe, entlang des Senegalflusses und von Sumpfgebieten, eine Brutstätte für viele Zugvögel. Wir befinden uns im Nationalpark Diawling. Und kurz vor der Grenze zu Senegal werden wir zur Kasse gebeten, da wir schliesslich durch den Park gefahren sind. Wenige Minuten vorher weiss ich das noch nicht, als ich für ein Landschaftsfoto anhalte. Ein Toyota Pick-Up hält brüsk vor mir an, ein Gendarm springt raus und ruft mir laut und aggressiv zu, was mir denn einfalle. Es sei strengstens verboten hier zu fotografieren. Er müsse die Kamera beschlagnahmen, ich müsse mitkommen auf das Kommissariat und das käme mir teuer zu stehen. Openair-Theater ohne Zuschauer bzw. Zeugen. Ich brauche einige Momente, bis ich realisiere, dass er seine Rolle gut spielt und muss mir schon fast das Lachen verkneifen. „50 Euro“ wolle er, dann könne ich gehen. Ich bleibe ruhig, entschuldige mich höflich für meinen Faux-pas, meine nur, dass ich weit und breit kein Gebäude, schon gar kein militärisches sehe, das Fotografierverbot daher alles andere als offensichtlich sei, wir schliesslich in einem Nationalpark seien, wo rudelweise Warzenschweine über den Weg laufen und viele Vögel beobachtet werden können. Mindestens drei Mal sei mir ein Rudel Warzenschweine über den Weg gelaufen. Und erst recht die Flamingos. Ob er auch welche gesehen habe, das seien ganz tolle Tiere. Und übrigens habe ich den ganzen Tag kein einziges Schild mit Fotografierverbot gesehen. Kurz: ich labere ihn voll. „30 Euro und ich könne gehen“. Nein, ich offeriere ihm eine halbe Packung Biskuits und bleibe standhaft, bis er von seinem Einschüchterungsversuch loslässt und davonfährt. Schade um den guten Ruf der zahlreichen Gendarmes, die sich stets um meine Sicherheit gekümmert haben.

Senegal ist dann eine angenehme Abwechslung: die Leute sind sehr freundlich und höflich. Die Dörfer sind gepflegter. Der Abfall wird nicht mehr neben den Häusern sondern auf der gegenüberliegenden Strassenseite entsorgt. Wir bleiben einige Tage in St. Louis, dem “Venedig Afrikas”. Genau genommen unweit der Hydrobase, wo in den 30-Jahren die Aéropostale Halt machte. St. Louis ist 1658 von den Franzosen gegründet worden und steht heute unter UNESCO-Schutz. Ich verbringe zwei Tage mit den Brüdern Daouda und Mukhtar, die dem Verein „Espoir des enfants de la rue de St. Louis“ vorstehen. Sie kümmern sich um bettelnde Strassenkinder, um die „talibés“, die hier in städtischen Gebieten sehr häufig zu sehen sind. Die talibés laufen in zerrissenen, dreckigen Kleidern, barfuss, mit Betteleimern umher. Sie sind Opfer einer alten senegalesischen Tradition: jede Familie hat einen Sohn einem „Marabout“, einem Koranlehrer anzuvertrauen, der die Verantwortung übernimmt und ihn den Koran beibringt. Der Marabout hat das Recht, die Kinder für sich arbeiten zu lassen und sie auf die Strasse zum Betteln zu schicken. Bringen sie den geforderten Betrag nicht „heim“, werden sie häufig misshandelt. Heutzutage werden Kinder ganz einfach zum Marabout geschickt, weil die Eltern sie nicht mehr ernähren können. Der Marabout muss sich aber um derart viele Kinder kümmern, dass eine Fürsorge schlicht nicht mehr möglich ist. Der Staat stellt immerhin Häuser, Daara, zur Verfügung.

Daouda und Mukhtar versuchen, erste Hilfe zu leisten, Wunden zu versorgen, die Kinder zu unterrichten und ihnen soweit möglich, Essen und Kleider zu beschaffen. Sie beherbergen auch Ausländer, die während Tagen oder Wochen in den verschiedenen Häuser der Marabouts helfen. Freiwillige Helfer sind bei Ihnen stets willkommen.

Weihnachten verbringen wir einige Kilometer weiter südlich, im Nationalpark Langue de Barbarie. Hier befindet sich ein Campement, die Zebra-Bar. Ein beschaulicher, ruhiger Ort inmitten von Palmen und Akazien, von einem Schweizer Paar vor 15 Jahren gegründet. Man trifft hier auf andere ganz normale Leute, wie etwa die pensionierten Ron und Linda aus England, die mit ihrem Morris Minor, Jahrgang 1953, nach Südafrika unterwegs sind.

Oder Chris und Sue, ebenfalls Engländer, und gleichfalls auf dem Weg nach Südafrika. Sie haben ihren Heissluftballon mitgenommen und fliegen diesen in jedem Land, das sie bereisen. Mit oder ohne behördliche Bewilligung. Entweder landen sie auf den Boden oder im Gefängnis. Beides haben sie schon zur Genüge erlebt.

Silvester werde ich in Dakar verbringen. Bei einem sehr gastfreundlichen Auslandschweizer, Sacha, der ebenfalls viele Velotouren unternommen hat und hier in einer Kunstgalerie arbeitet.

An dieser Stelle sei noch erwähnt, dass aufgrund der Sicherheitslage in Mali – es gab unweit des Pays du Dogon Entführungen Ende November – Helvetas und ich beschlossen haben, den Projektbesuch und die Spenden auf Benin zu verlegen. Ich hoffe, dass dies im Sinne der zahlreichen Spenderinnen und Spender ist, die jedenfalls noch persönlich von Helvetas kontaktiert werden. Ich hoffe auf Euer Verständnis. So, und spätestens jetzt ist Zeit, den Champagner kühlzustellen, um auf ein zufriedenes und erfülltes Jahr 2012 anstossen zu können. Bis bald, Maurizio.


Sahara-Express

Am 8. November ist die Zeit gekommen, mich von Mélanie zu verabschieden. Am Morgen machen wir im Souk wie Obdachlose Jagd auf Riesenkartons, um das Velo flugtauglich verpacken zu können. Ich begleite Mélanie zum Flughafen und nach einem tränenreichen Abschied fahre ich mit dem Taxi alleine zurück ins Riad. Ich esse noch einmal auf dem Hauptplatz Djema el Fnaa, wo sich Schlangenbeschwörer, Henna-Zeichnerinnen, Orangensaft-Verkäufer, Imbissbuden, Schnecken-Stände, Musikanten, Einheimische und Touristen ein Stelldichein geben. Am nächsten Tag nichts wie weg Richtung Hoher Atlas. In der charmanten Jugendherberge in Asni, die noch wie genau vor fünfzig Jahren aussieht, spartanisch aber zweckdienlich, mache ich Halt. Und halte ein langes Schwätzchen mit dem Sohn des Jugi-Betreibers. Er geniesst hier oben die Ruhe und die Kühle, den Olivenhain hinter der Jugi, amüsiert sich über das französische Paar, das auf Trekkingtour ist, sich dafür eigens einen Esel gekauft haben und nun bis am Samstag warten müssen, um im Souk Heu zu kaufen. Er hat wegen dem Fest Aïd el Kebir ein paar Tage frei und erholt sich von seinem Job im teuersten Hotel in Marrakech, wo nicht tausend und eine sondern eine einzige Nacht über 1‘000 Dollar kostet. Die fehlende Dusche bei Billighotels, in denen man ab 3 oder 4 Euros ein einigermassen anständiges Zimmer bekommt, ist nicht notwendig ein Manko. Denn meistens gibt es in der Nähe ein Hammam, wo man sich gut waschen und entspannen kann. So auch in Asni. Ab 18 Uhr sei für Männer geöffnet, die beste Zeit, um sich dort in Ruhe zu schrubben und zu waschen, meint ein Einheimischer. Wenn nicht gerade Aïd el Kebir wäre und überall der Brauch herrscht, dass Horden von Jungen mit schwarz angemalten Gesichtern und eingekleidet in schwarzen Schaffellen durch Dörfer ziehen und Geld für das Fest sammeln. Und sich danach im Hammam wieder reinmachen und ein Affentheater veranstalten. Aber amüsant ist es allemal.  So oft es geht, suche ich ein Hammam auf. Man schnappt sich zwei Kübel, füllt heisses und kaltes Wasser rein und hält sich je nach Lust und Laune in einem der drei verschieden heiss-feuchten Räumen auf, schwitzt, seift  und schrubbt sich ein und begiesst sich nach Belieben mit heissem, warmem oder kaltem Wasser.

Von Asni aus ist es nicht mehr weit bis zum Djebel Toubkal, mit 4‘177 Metern der höchste Berg Nordafrikas. Ich lasse ihn aus, zumal ich ihn bereits vor drei Jahren bestiegen habe. Besteigung ist stark übertrieben, denn es handelt sich, zumindest aus schweizerischer Sicht, um eine normale zweitägige Bergwanderung ohne Schwierigkeiten.

Die Passstrasse Tizi’n Test auf 2‘092 Metern hingegen ist, aus radfahrerischer Sicht, sehr spektakulär und die Berge des Hohen Atlas ringsherum sensationell. Auch die Abfahrt Richtung Süden ist vom Feinsten, nicht sehr steil und sehr langgezogen. Runter bis nach Taroudannt, eine angenehme Stadt um sich einen Tag zu erholen und die „tanneries“, die Ledergerbereien zu besuchen. Es ist nicht viel los, die ganze Woche wird schliesslich gefeiert. Aber es sind bereits unzählige Schafsfelle hergebracht worden, die bearbeitet werden wollen.

Agadir lasse ich aus und nehme den direkten Weg nach Tiznit. Hier muss ich mich unzählige Male durchfragen, denn einige Strassen sind auf meiner Karte nicht bzw. nicht richtig eingezeichnet. Praktisch kein Verkehr, ausser einigen mauretanischen Pantherschildkröten, die mir über die Strasse laufen und gehörig anfauchen, als ich sie anfassen möchte.  Auch die Landschaft fängt langsam an, steppen- und wüstenhafter zu werden. Als ich am Abend durch landwirtschaftliches Gebiet fahre, frage ich Einheimische, ob ich hinter ihrem Haus mein Zelt aufschlagen könne. Sicher doch. Ein Teppich wird vor meinem Zelt ausgebreitet und als ich soeben meinen Riesenpfanne Pasta fertig gegessen und abgewaschen habe, kommt Abdullah, von Beruf Schulbus-Chauffeur, und grilliert vor meinem Zelt noch Schaffleisch-Brochettes, die wir dann gemeinsam im Schulbus bei einer Runde Tee essen. Und so komme auch ich noch in den Genuss von einem Aïd el Kebir-Schaf. Stolz zeigt er mir seine 7 Monate junge Tochter Jasmin. Am nächsten Morgen ist er sehr früh schon weg, um die Schulkinder einzusammeln. Dafür leistet mir sein Vater Gesellschaft beim Morgenessen mit frisch gebackenem Brot, Konfitüre und Früchten.

Auf der Hauptstrasse Agadir-Tiznit herrscht viel Verkehr. Einige tote Ziegen am Strassenrand. Und sogar ein richtig grosses Wildschwein. Erst im Nachhinein wird mir bewusst, dass der Anblick eines Schweines ja eher selten in einem muslimischen Land ist. Spontan entscheide ich, einen Umweg über die Küste zu nehmen und nach Sidi Ifni zu fahren. Es liegt zwar eine Hügelkette dazwischen, die Anstrengung zahlt sich aber allemal aus. Sidi Ifni ist ein sehr angenehmer Ort, um sich zu entspannen, die Seele etwas baumeln zu lassen und nochmals Kräfte zu tanken. Die Stadt ist in den 1930ern von den Spaniern auf einem Felsen ganz im Art Deco Stil gegründet worden. Vorher lebte dort überhaupt niemand. Die Spanier besassen diesen Flecken Land bereits von 1476 bis 1524, als der Ort noch  Santa Cruz del Mar Pequeño hiess. Sie wurden dann vertrieben und sicherten sich die Herrschaft erst wieder 1860 im Abkommen von Tetouan.

Die Stadt versprüht einen ganz eigenen Charme und ist untypisch marokkanisch, sehr relaxt, beliebt bei Surfern, gutes Essen, guter Kaffee. Keine engen Souks. Der alte Flugplatz zieht nach wie vor einen Strich durch die Stadt und wird alljährlich für ein grosses Fest gebraucht, um den Weggang der Spanier im Jahre 1969 zu feiern. Es scheint mir aber, dass wenige Marokkaner Groll gegen die Spanier hegen. Im Gegenteil: in vielen Läden hängen F.C. Barcelona Flaggen und die Spiele der spanischen Liga werden eifrig in Cafés und Restaurants verfolgt. Und natürlich träumen viele von Spanien und Europa.

Einige Gebäude, wie der Twist Club oder das spanische Konsulat, sind am Verfallen. Andere wurden restauriert. Das älteste Hotel der Stadt, „La Suerte Loca“ – Das Wahnsinnsglück, gibt es nach wie vor und dort komme ich unter. Ein Wahnsinnzufall ist es dann abends, als ich in der Stadt rumspaziere und auf Freunde aus der Schweiz treffe. Unglaublich: Fotograf Andreas Kramer und seine Freundin Karin, die mir 2006 auf dem Pamir Highway in Tajikistan auf dem Velo begegnet sind, laufen an mir vorbei. Wer an meinem Diavortrag in Liestal in der Aula Burg anwesend war, mag sich vielleicht an ihn erinnern, da er einleitend eine kurze Rede gehalten hat. Diesmal sind sie mit ihrem neu umgebauten Landrover für vier Wochen in Marokko unterwegs.

Am nächsten Tag machen wir natürlich zum Morgenessen ab und fahren zur Legzira Beach, wo zwei eindrückliche Bögen den Strand zieren und Paraglidern als Kulisse für ihre waghalsigen Manöver dienen. Was für eine tolle Überraschung! Vor einem Jahr haben wir in Basel an der Herbstmesse noch Bratwürste gegessen, jetzt sitzen wir in der Sonne und verzehren Salami und Schweizer Käse !

Eine Wahnsinnsfreude bereite ich ungewollt dem pensionierten Julio Anton, den ich in Spanien eines Morgens in der einzigen Bar von Manzaneruela kennengelernt habe. Endlich komme ich dazu, ihm das versprochene Foto von der boccadillo-essenden und chupito-trinkenden Männerrunde zu schicken und sende ihm nebenbei Grüsse aus Sidi Ifni. Postwendend schreibt er mir zurück, dass ich ihm soeben eine Riesenfreude bereitet habe, weniger wegen des Fotos, sondern weil ich mich gerade aus dem Ort melde, in dem er 1959 als junger Bursche in einem Amphibienfahrzeug gestrandet ist und seinen Militärdienst absolviert hat. Er zählt mir einige Orte auf, die ihm noch bestens bekannt sind, unter anderem auch „La Suerte Loca“…

Mit neuen Kräften starte  ich Richtung Guelmim und West-Sahara. 1‘300 Kilometer Wüste. In der Vorstellung sieht das so aus: meterhohe Dünen, durch die man sich mehr schiebend als fahrend durch sandige Pisten durchkämpft und Sandstürmen trotzt. Zum Glück sieht die Wirklichkeit nüchterner aus: eine mehr oder weniger pfeiffengerade, gut asphaltierte Strecke, durch eine steinige, öde und karge Landschaft. Outback-mässig. Hier und da ein paar Büsche, um gerade noch das Zelt verstecken zu können. Eher selten Dünen. Einmal sogar eine alleinstehende grosse Sicheldüne. Häufig führt die Strasse nahe am Rande der Küste, die schroff um rund 50 Meter hinunterfällt. Ein böser Unfall: eine Frontalkollision zwischen einem Kleinlaster und einem Mercedes-Taxi. Vereinzelt Zelte von Fischern. Dann und wann Kamel- bzw Dromedarherden. Und Heiterkeitsanfälle, wenn man von einem Landrover mit 4 (in Worten: vier) Kamelen auf der Ladefläche überholt wird. Und es geht doch ! Aufschlussreiche Erkenntnisse, wenn der Wind den Sand aufwirbelt: bestreicht man sein Brot mit Schmelzkäse und isst es nicht sofort auf, hat man ein plötzlich ein Sand-Wich.

Strecken von 100 bis 140 Kilometer ohne Versorgungsmöglichkeiten. Ab und zu eine langersehnte Tankstelle mit Café und kleinem Laden. Aber auch einige grössere Städte mit allen Annehmlichkeiten. Insgesamt also mit ein bisschen Planung gut zu befahren. Und zudem soll meistens ein Nordwind, d.h. ein kräftiger Rückenwind blasen. Ich bin gespannt und traue der Sache nicht ganz. Am Anfang sieht es noch nicht sehr danach aus, im Gegenteil, ich habe eher Seiten- bzw. leichten Gegenwind. Besser gesagt wir. Denn ich treffe auf Jeff, einem Australier um die 50, der von Stockholm nach Dakar fährt und Richard, einem 22-jährigen Schweizer, der das gleiche Ziel anpeilt. Beide radeln seit Barcelona zusammen.

In Laayoune, der grössten Stadt in der Westsahara, legen wir einen Ruhetag ein. Unterwegs begegnen wir einem anderen, wegen seinen vielen Afrika-Eindrücken sichtlich mitteilungsbedürftigem Tourenfahrer, der von Südafrika gestartet ist und sogar durch den Kongo geradelt ist. Zufällig ist er wie Jeff auch Australier, auch aus Sydney und auch aus der Cleveland Street. So klein ist manchmal die Welt.

Auffallend ist in Laayoune die Vielzahl der weissen mit UN beschrifteten Jeeps. UN peacekeeper, die hier seit 1991 stationiert sind, als sich Marokko und die Unabhängigkeitsbewegung Frente Polisario auf einen Waffenstillstand geeinigt haben. Ziel des Frente para la Liberación de Seguiat el Hamra y Rio de Oro (Polisario) war die Unabhängigkeit der spanischen Kolonien „Rio de Oro“ mit der Kapitale Villa Cisneros (heute Dakhla) und „Seguiat el Hamra“ mit dem Hauptort Laayoune. Bereits 1966 erliessen die Vereinten Nationen eine Resolution, wonach Spanien eine Abstimmung über die Unabhängigkeit in der Sahara durchzuführen habe. Die arabischstämmigen Saharawis kamen aber vom Regen in die Traufe: der marokkanische König Hassan II organisierte la „marche verte“ und liess 350‘000 Marokkaner (und Soldaten) in die Westsahara einmarschieren und teilte sich mit Mauretanien den Kuchen in einem Abkommen, obschon auch Den Haag das Selbstbestimmungsrecht der Saharawis feststellte. 1976 gründete der Frente Polisario einen eigenen Staat, der von der Afrikanischen Union anerkannt wurde. Viele Saharawis flohen im Zuge der Auseinandersetzungen nach Algerien, wo sie noch heute unter prekären Bedingungen in einem Flüchtlingscamp mit über 200‘000 Menschen leben. Mit einem solchen Saharawi (natürlich nicht der auf dem Bild hier unten), die das Hassani, einem arabischen Dialekt sprechen, komme ich in einer Tankstelle kurz ins Gespräch: er zeigt mir seinen algerischen Pass. Um nach Boujdour zu reisen, muss er einen Umweg über Mauretanien machen, dort den Eisenerzzug nehmen. Kurz darauf verschwindet er in den Bus, der weiterfährt.

Um Fakten zu schaffen, bauen die Marokkaner entlang der Strasse kleine Siedlungen, die aber meist leer stehen. In einer solchen will ich die Arbeiter fragen, ob ich zelten könne. Einer spricht mich auf Italienisch an: „Ueglio, e tu che ci fai qui?“ Er hat lange in Italien gearbeitet. Ich darf dann sogleich in einer leerstehenden Wohnung schlafen. Ein Haus ist sogar mit „Centre de santé de soins de base“ beschriftet. Ob es je eröffnet wird, ist sehr fraglich. Gesellschaft leisten mir fünf weisse putzige Welpen. Die Mutter sei seit vier Tagen verschwunden, meint der „chef de chantier“, der mir Nektarinen, Äpfel und Datteln schenkt. Ich spende den süssen Welpen meine Wurst, wohlwissend, dass sie kaum eine grosse Chance haben werden, zu überleben. Die Mutter liegt drei Kilometer weiter vorne tot im Strassengraben.

Endlich. Nach Tarfaya, als die Strasse von Westen nach Süden abknickt, kommen Hochgefühle auf. Mit Geschwindigkeiten von 30 bis 40 Km/h blitzen wir durch die Ebene.  Ich fühle mich wie auf dem Rennvelo, einfach ge…, genial. Es gelingt mir, an diesem Tag fast 200 Kilometer zu fahren.  Aviatik-Interessierten mag Tarfaya unter dem Namen Cap Juby besser bekannt sein.  Alljährlich macht hier im Oktober die „Rallye Aérien“, die von Toulose nach Dakar führt, Halt. Tarfaya war eine Station für die Flugpost nach Südamerika und hier war auch einige Jahre der Pilot und Schriftsteller Antoine de St. Exupéry, Autor des weltweit beliebten Kinderbuches „Le Petit Prince“, stationiert. Eingepfercht in seinem kleinen Büro hatte er genügend Zeit, um seine Erzählungen niederzuschreiben. Wenn er nicht gerade mit Saharawis über das Lösegeld für die in der Wüste abgestürzten Flugpiloten am Verhandeln war. Ein kleines Museum der „Association des Amis de Tarfaya * Mussée Antoin de S. experey“ (sic!) mit vielen Informationen lädt zu einer willkommenen Auszeit ein, um in die Geschichte des Flugpostverkehrs einzutauchen.

Nach dieser langen Etappe, auf der ich mich von meinen Reisekumpanen verabschiede, ist mit Rückenwind dann auch schon Schluss, Wolken ziehen auf, sogar einige Regentropfen fallen vom Himmel und der Wind bläst mir ins Gesicht. In der gleichen Zeit wie am Vortag, aber mit viel mehr Anstrengung, schaffe ich es nur noch auf 120 Kilometer. Erst vor Dakhla stimmen Fahrt- und Windrichtung wieder überein. Hier in der Westsahara die Temperaturen erträglich. Am Morgen kühle 15 Grad, am Nachmittag um die 25 bis 30 Grad. In Dakhla werden aus einem Ruhetag drei, ich brauche Zeit, um die Weiterreise zu planen und einfach einmal ein Buch in die Hand nehmen zu können, einen Moment innezuhalten. Der Angestellte im Hotel ist übrigens in Sidi Ifni aufgewachsen, neben dem “La Suerte Loca”…Noch sind es 350 Kilometer bis zur mauretanischen Grenze.

Noch ein bisschen Werbung in eigener Sache. Zum Glück bekomme ich vom ganzen Weihnachtsrummel nicht viel mit, der in Europa wohl in vollem Gange ist. Wer den Menschen in Mali ein Geschenk machen will, damit dort ein Dorfbrunnen gebaut werden kann und diese Zugang zu etwas für uns so Selbstverständlichem aber Lebensnotwendigem wie Wasser bekommen, kann gerne spenden. Jede Spende, mag sie auch noch so klein und symbolisch sein, freut mich und noch mehr die Nutzniesser ungeheuer. Und natürlich kann sie von den Steuern abgezogen werden. Shukran !


Atlas, Berberaffen und Zedernwälder

Zunächst möchte ich all jenen ein grosses Dankeschön aussprechen, die eine Spende an Helvetas geleistet haben und mich so noch zusätzlich motivieren. Es wird mir eine Ehre sein, die gesammelten Spenden persönlich überbringen zu können. Bis dahin werden aber noch ein paar Schweisstropfen falle, und vielleicht auch ein paar Regentropfen.


Eine kleine Berichtigung muss ich hier zum letzten Artikel noch anbringen. Der Durchfall war alles andere als überstanden. Bereits bei der Abfahrt in Moulay Idriss stösst mir das Morgenessen auf. Ich halte die verschiedenen Gerüche der Grillstände, der open-air Metzgereien mit ihren Auslagen an fettigem Schaffleisch, den Gestank von verbrennten Haushaltsabfällen und verwesenden Hundekadavern am Strassenrand nicht mehr aus. Die schwarz qualmenden Fabriken am Rand von Meknès geben mir den Rest. Brechreiz. Ich kann gerade noch am Strassenrand anhalten, wie ein echter Rennvelofahrer verliere ich keine Zeit und steige nicht vom Velo ab. Übergebe mich und leere meinen ganzen Mageninhalt. Geschwächt fahren wir in die Stadt rein. Der Zufall will es, dass genau jetzt der erste Regen nach fünf Monaten Dürre einsetzt. Durchnässt, bereits in der Dunkelheit suchen wir nach einer Bleibe. Das Hotel, das wir im Reiseführer rausgesucht haben, ist dank der Hilfe eines Parkwächters schnell gefunden. Dieser hat die Unverfrorenheit, Geld für seine Dienste zu verlangen. Ob er sich dafür nicht schäme, frage ich ihn, sowas sei mir in einem islamischen Land noch nie passiert. Der Junge im Hotel dann das Gegenteil, alles andere als geschäftstüchtig. Die Velos müssen draussen bleiben. Wir bleiben mit den Velos draussen. Die Auberge de Jeunesse ist zum Glück schnell gefunden. In der Küche kochen wir uns Reis. Reis zum Znacht, zum Zmorge, Zmittag und Znacht. Mit Kartoffeln, Petit Henrys (so heissen hier die Petit Beurres), Apfelmus, Poulet. Jeweils als weicher Brei. Der Magen erholt sich aber endlich. Und von Loperamid und Motilitätshemmern, die wie ein Pfropfen wirken und verhindern, dass sich die Übeltäter verziehen können, lasse ich inskünftig die Hände.
Wir können unsere Velos bei einer französisch-marokkanischen Familie in Meknès unterstellen und nehmen den Zug nach Rabat. Das funktioniert einwandfrei. Die zweite Klasse ist sehr sauber und vergleichbar mit derjenigen in der Schweiz. Sogar sauberer und ohne haufenweise Gratiszeitungen und PET-Flaschen. Zugfahren ist in Marokko sehr attraktiv. Für wenig Geld kann man ein Round-Ticket kaufen. Die gebräuchlichste Art des Transportes sind natürlich motorisierte Fahrzeuge. Grand Taxis, Petit Taxis, Busse, Lastwagen. Erstaunt hat mich, wie riesig die Youngtimer, bzw. Oldtimer-Szene hier in Marokko ist, allen voran die Gilde der Mercedes-Fahrer.

Aber auch Esel und Maultiere sind vom marokkanischen Alltag nicht wegzudenken. Die werden hier nicht aus folkloristischen Gründen gehalten, sondern verrichten Schwerarbeit und müssen beispielsweise Felder pflügen. Der Anblick ist nicht selten hier. Einzig „la vache qui rit“ hat hier gut Lachen. Dieser Schmelzkäse gehört hier in Marokko schon fast neben Tajine, Couscous und Minztee zur Nationalspeise. Nichts zu lachen haben hingegen Schafe. Die werden hier auf Schubkarren, auf Eseln, eingepfercht in Lastwagen, in Kofferräumen transportiert. Hinten auf dem Mofa halbtot gebunden. In diesen Tagen haben sie ein besonders hartes Los. Am 6. November wird nämlich im ganzen Land Aïd el Kebir gefeiert. Ein wichtiges muslimisches Familienfest, an dem der Bereitschaft Abrahams gedacht wird, Gott zu folgen und seinen Sohn Isaak zu opfern. Marokkanische Flaggen werden in allen Ortschaften aufgehängt, Familienbesuche mit entsprechender Zunahme von Verkehr stehen an und die Tradition sieht eben vor, dass jeder Haushalt, der es sich leisten kann, ein Schaf schlachtet.


Zurück nach Rabat. Die Jagd auf die farbigen Stempel und Kleber im Pass ist eröffnet. Montag, Punkt 9 Uhr stehen wir vor der mauretanischen Botschaft. Bravo. Gerade einmal etwa 30 Personen stehen bereits Schlange. Senegalesen, Overlander, Expats, Individualtouristen, Töfffahrer. Die üblichen chaotischen Szenen, Geschubse, Geschrei, Rumfragerei, Rempeleien. Wo gibt es das Formular ? Am Schalter. Nach vorne drängeln, eines ergattern. Formular im Stehen ausfüllen. Adresse in Mauretanien ? Kein Problem, schreib einfach „Hotel Nouakschott, Nouakschott“ hin. Eine Stunde Vorgeschmack auf Mauretanien und Senegal. Die Hauptstadt Marokkos gefällt uns sehr: elegant, modern (mit einer neuen Strassenbahn), international (insbesondere Afrikaner aus dem ganzen Kontinent sind hier zu sehen), überschaubar. Wir quartieren uns in der Medina im Hotel Marrakesh ein (mit unserer Hotelwahl greifen wir wohl stets meine Route vor), essen praktisch täglich im Restaurant de la Libération, dem wohl besten Restaurant in der ganzen Medina. Um ein Bild der Preise zu bekommen: für zwei Suppen Harira, grilliertes Poulet, Brochettes, Cola und Kaffe bezahlen wir 74 Dirham, umgerechnet 7 Euro. Wir besuchen das Quartier „Kasbah des Oudaïas“, sehen uns die Hassan Moschee von draussen an. In Marokko dürfen Nicht-Muslime, anders als etwa in der Türkei oder im Iran, Moscheen leider nicht besuchen. Das Mausoleum des 1961 verstorbenen Königs Mohammed V dürfen wir wiederum ansehen. Und sogar die prachtvoll gekleidete königliche Garde abfotografieren. Die Marokkaner sind ansonsten eher fotoscheu und viele lehnen es zu meinem Bedauern leider ab, abgelichtet zu werden.

Fotomotive gibt es dafür mehr als genug im Souk, der vor allem am späten Nachmittag und abends sehr gut besucht ist. Enge Gassen, in denen sich kleine und kleinste Geschäfte aneinanderreihen. Das Angebot scheint sich zwar überall zu wiederholen, es gibt unzählige dieser kleinen Lebensmittelläden, die auf wenigen Quadratmetern einige hundert Produkte anbieten. Am Boden und auf Handwagen wird die Ware ausgelegt. Ansonsten findet sich im Souk alles Mögliche: Kleider, Babouches, gebrannte Musik-CD’s, Haushaltartikel, gedörrte Früchte, Oliven, Nüsse, jegliche Esswaren, imitierte Markenkleider. Ein Gewühl von Marktschreiern, Schneckenverkäufern, Bettlern, Schuhputzern.

Erwartungsgemäss können wir am Mittwoch das Visum abholen. Ins Taxi, zum Bahnhof, in den nächsten Zug nach Meknès, unterwegs halte ich einen Schwatz mit einem anderen Schweizer, der sich mit seiner Familie in Fès für einige Monate niedergelassen hat, um Arabisch zu lernen. Meine Arabisch-Kenntnisse sind da schon einiges bescheidener. Immerhin gelingt es mir, einigermassen auf arabisch einzukaufen und die Leute nehmen meine Anstrengungen sehr positiv auf.

In Meknès empfängt uns Nerjam, der junge Angestellte aus der Auberge de Jeunesse, freudig und umarmt uns beide. Am nächsten Tag regnet es Bindfäden und wir legen einen weiteren Ruhetag ein. Zeit, um die Stadt genauer anzusehen. Das Mausoleum von Moulay Ismail beispielsweise, dem grausamen Sultan aus dem 17. Jahrhundert. Aber auch Zeit, um im grossen Supermarkt Label Vie (ausgesprochen La belle vie…) einzukaufen, vor allem seit langem wieder einmal zwei kühle Bier. Spirituosen werden hier in einem separaten Raum feilgeboten und können dort diskret bezahlt werden, um sie nicht an den Hauptkassen auf das Fliessband ausbreiten und sich selber outen zu müsssen. Die Leute stehen etwas verstohlen im Alkoholraum herum, als wären sie einem Erotikladen und würden sich schmutzige Heftchen anschauen.
Endlich können wir wieder unsere Räder satteln. Richtung Mittleren Atlas und Azrou. Wir schaffen es nicht ganz und müssen auf der Passhöhe auf 1‘475 Metern Höhe hinter einem Hof zelten. Es wird eine kalte Nacht, um 5 Grad. Die Gelegenheit, um unsere neuen, vom Outdoor-Shop Landweg in Bubendorf gesponserten Daunenschlafsäcke zu testen. Am nächsten Morgen kommen wir keine 20 Meter weit: mein erster Platten ! Nachdem der Platten geflickt ist, können wir endlich einen Fotostopp auf dem Aussichtspunkt einlegen, danach geht es runter nach Azrou. Von hier dann wieder rauf in die Zedernwälder der Réserve Naturelle d’Ifrane. Und bereits nach wenigen Kilometern treffen wir, wie im Reiseführer vorhergesagt, auf wild lebende bzw. kopulierende Berberaffen. Danach führt ein Höhenweg auf rund 1‘800 Metern mit unzähligen Kurven durch Berberdörfer und eindrückliche Eichen- und Zedernwälder. Es finden sich immer wieder Monumente und Giganten von Zedern, 30 bis 40 Meter hoch. Mit solchen Wälder rechnet man nicht unbedingt in Marokko. Die Zedern scheinen aber hier gut zu gedeihen. Die Behausungen der Berber sind teilweise sehr schlicht: einfache Häuser mit Flachdächern, Plastikzelte. Vereinzelt betteln Kinder und verursachen mit ihren Begehrlichkeiten eher Heiterkeitsanfälle: „Donnez moi un carton“ (gemeint war wohl „bonbon“), „donnez moi un stylo rouge“ (wieso will niemand Papier?).


Die nächsten Tage sind ganz nach unserem Geschmack: praktisch kein Verkehr, wunderbare Landschaften, reine Luft. Besser als die stickige und staubige Luft unten. Wir kommen ins Berberdorf Aïn Leuh, die Sonne scheint, angenehme Temperaturen um 25 Grad. Hier können wir unsere Gemüse- und Früchtevorräte aufstocken, für 4 Dirham (rund 40 Rappen) kaufen wir Mandarinen, Äpfel, Zwiebeln, Karotten, Peperoni ein. Wir bestellen im Hotel Laayoune (diese Ortschaft liegt auch auf meiner Route…) auf dem Hauptplatz einen Kaffee. Die Maschine funktioniere nicht, meint der Kellner, es gebe aber Nescafé. Kein Problem. Er läuft schnell zum Laden nebenan, besorgt sich zwei Sachets Nescafé. Wir essen unsere Fladenbrote, mit fingerdicken Schichten Nutella. Bestellen nochmals zwei Café au lait. Der Kellner rennt wieder zum Nachbar nebenan. Nutella, die würzige Halal-Koutobia-Dinde-Wurst, Vache qui rit-Schmelzkäs, Bananen und Fladenbrot sind tagsüber unsere Grundnahrungsmittel.

Wohlgenährt starten wir den Tag. Ausgangs Azrou ruft mich ein Junge, der ganz offensichtlich ein mechanisches Problem an seinem Velo hat, laut mit „Hey“ an. Ich gebe ihm zu verstehen, dass man allenfalls Hunde derart anspricht, aber sicher nicht Menschen. Er und seine zwei Kumpanen begrüssen mich danach über freundlich und ich repariere ihm seine verbogene Kette. Wir radeln wieder durch dichte Wälder, unterbrochen durch steppenartige Hochebenen und karstigen Abschnitten. Gelb leuchten die Laubbäume, die den See Aguelmame Ouiouane umgeben.
Und dann geht es runter zu den Quellen des Flusses l’Oum er Rbia. Aus rund 40 Quellen mit kristallklarem Wasser bildet sich hier ein strömender Fluss. Leider sieht man nicht viel, denn sämtliche Quellen sind durch schäbig wirkende Verkaufs- und Verpflegungsstände zugepflastert. Zum Glück sind aber alle leer und wir ganz alleine. Es ist Montag Morgen, wir sind ausserhalb der Saison. Ein Berber vermietet uns ein einfaches Zimmer ohne Strom und Wasser, dafür mit Gasbeleuchtung, in das wir die Velos gleich hineinfahren können. Eher der Form halber drücke ich den Preis von 100 auf 80 Dirham runter. Immer noch teuer, aber uns soll es recht sein. Er ist um dieses gute Geschäft wohl sehr froh. Jedenfalls beauftragt Mohammed seine Mutter, uns am Morgen zu einem Tee einzuladen. Sie holt uns ab, wir laufen den steilen steinigen Weg rauf. In einem sehr einfachen aber sauberen Hof steht der Teppich mit einem kleinen, runden Holztisch bereits bereit. Uns wird ein stark gezuckerter Pfefferminztee serviert, ein leckeres Eieromelette, eine Schale mit Olivenöl, um das frisch zubereitete Fladenbrot darin zu tränken.


Um aus der modernen Grosstadt Beni Mellal rauszukommen, brauchen wir über eine Stunde. Es ist Wochenmarkt, der Verkehr auf der Durchgangsstrasse steht still. Weiter vorne liegt ein verletzter Velofahrer auf der Strasse und blockiert den Verkehr. Die Ambulanz wird Mühe haben, sich einen Weg hierhin zu bahnen. Der Unglückliche ist wohl angefahren worden, blutet aber zum Glück nicht. Obschon die Strasse danach flach ist, ziehen Wolken auf, ein Nieselregen setzt ein. Es herrscht reger Verkehr, die Strasse ist eng, ohne Pannenstreifen, wir werden immer wieder durch lautes Hupen auf den Schotter abgedrängt. Als ich auf der Höhe einer Primarschule Jagd auf einige steinewerfende Kinder mache, rutscht Mélanie, soeben in Sichtweite, auf dem nassen Belag aus und schlägt sich das Knie an. Der Schuldirektor lädt uns zu einem Tee ein, klärt uns über das marokkanische Schulsystem auf. Leider ziehen viele Familien ihre Kinder frühzeitig von der Schule ab. Für die Kinder mit dem weitesten Schulweg habe der Staat acht Velos gespendet. Da es aber unmöglich sei, festzustellen, wer den weitesten Weg hat und man sich nicht einigen konnte, sind die nigelnagelneuen Velos immer noch nicht verteilt worden. Wir fahren danach im Gegenwind weiter bis nach Imdahane. Hier ist das einzige Hotel noch nicht eröffnet. Bauschutt liegt noch herum, wir stolpern über Stromkabel, weder Lampen noch sanitäre Anlagen sind installiert, einzig ein Zimmer ist einigermassen hergerichtet. Duschen müssen wir im Restaurant nebenan. Immerhin sind wir die allerersten Gäste und weihen so das Hotel ein. Am nächsten Tag regnet es. Zeitweise setzen sintflutartige Regengüsse ein. Nach etlichen Kaffees , einem Schwatz mit Simo, dem 24-jährigen Besitzer und der Einsicht, das Velofahren an diesem Tag einer Selbstpeinigung gleichkommt, gehen wir zurück ins Hotel.

Ich nutze die Zeit für einen kleinen Spaziergang im Dorf nebenan, nach meiner Rückkehr fängt es wieder heftig an zu regnen und der erste Tourenfahrer, dem wir hier in Marokko begegnen, Stanislas, ein etwa 50-jähriger Franzose aus Belgien, fährt wie in Trance an mir vorbei. Er ist pflotschnass. Ich rufe ihn herbei und sage ihm, dass es hier in Imdahane, eine etwa 1000-Seelen-Ortschaft, unerwarteterweise ein Hotel gebe. Er ist sichtlich erleichtert, wäre er doch ansonsten weitere 40 Kilometer im Regen und Gegenwind gefahren. Und das um 4 Uhr nachmittags, wenn es um 18 Uhr bereits dunkel ist. Da er keine Beschriftung gesehen habe, sei er einfach weiter gefahren. Seit seiner Pensionierung 2005, als er das Familienunternehmen verkauft habe, unternehme er jedes Jahr 2 bis 3 monatige Velotouren, in die Türkei, nach St. Petersburg, auf der Balkan-Halbinsel. Zelt und Schlafsack habe er nur für den Notfall dabei, er habe es aber nie gebraucht bis anhin und wisse gar nicht, wie man das Zelt aufstelle. Bis jetzt hat er immer ein Hotelzimmer gefunden. In Marokko sei er einmal er vor einer „trentaines d’années“ gewesen, er habe aber keine Erinnerungen mehr daran. Originell finde ich seinen riesigen Stock gegen Hundeattacken, den er griffbereit in einer Hülse an der Vorderradgabel versorgt hat.


Endlich In Marrakesh angekommen, quartieren wir uns in einem kleinen Riad ein. Nachdem wir lange keinen Touristen begegnet sind, wimmelt es hier nur so von Kurzaufenthaltern. Ein Vorteil ist immerhin, dass das Angebot an sauberen und geschmackvoll eingerichteten Unterkünften riesig ist, man die Qual der Wahl und bereits für umgerechnet 20 Franken in einem Riad oder einer maison d‘hôte schlafen kann. Ein Riad ist ein Haus in der Medina, das rings um einen Patio gebaut ist, und heute oft zu Hotels umfunktioniert worden sind, auf der Terrasse kann dann morgens gediegen gefrühstückt werden. Der Riad-Hype hat hier in Marrakesh angefangen und Riads sind mittlerweile überall zu finden, aber insbesondere in der Küstenstadt Essaouira, Fès und eben in Marrakesh. Der Anschlag im April dieses Jahres auf dem Hauptplatz Djema el Fnaa im Café Argana scheint sich übrigens nicht negativ auf den Tourismus ausgewirkt zu haben. Mélanie wird von Marrakech wieder in die Schweiz zurückfliegen. Danke Mélanie für die vier tollen Wochen. Und für die organisatorische und moralische Unterstützung. Ohne Ihre Hilfe wäre ich heute nicht hier.


Auf afrikanischem Boden

 

Mélanie kommt rechtzeitig am 6. Oktober in Malaga an. Das Velo ist am Flughafen schnell zusammengepackt, nach einer kurzen Fahrt suchen wir im Zentrum ein Hotel. Die Stadt ist nachts sehr belebt. Alle Einwohner von Malaga (wie sie in einem Wort heissen, habe ich auf die Schnelle nicht rausgefunden; Malagueña ist ein Flamenco-Thema…), besonders die weiblichen, scheinen sich herausgeputzt zu haben. Nachdem ich Landpreise gewöhnt bin, erscheint mir ein Kaffee für 2 Euro oder mehr ausserordentlich teuer. Nach einem obligaten Besuch im Picasso-Museum und einem Spaziergang kehren wir der Stadt den Rücken.


Ich freue mich, wieder mit Mélanie zu radeln. Um es mir nicht allzu leicht zu machen, hat sie mir noch zusätzlich etwa 4 Kilogramm Extra-Gepäck mitgenommen: Ersatzreifen, Malaria-Tabletten, Moskitonetz, Wasserfilter, Dollars, Afrika-Reiseführer, einen nigelnagelneuen Netbook (der alte Macbook war mir definitiv zu schwer) … und eine Liegematte, die sie noch zwei Stunden vor dem Abflug eingekauft hat. Genau an jenem Morgen hat sich nämlich meine alte Liegematte langsam zu einem Ballon aufzulösen begonnen. Mit meinen letzten Rappen auf der Prepaid-Karte konnte ich Mélanie gerade noch erreichen und die entsprechenden Instruktionen durchgeben. Service in letzter Sekunde. Danke an das Dreamteam Mélanie und Grégory !
Die Strasse von Malaga nach Algeciras ist etwas vom Schrecklichsten, das man mit dem Velo befahren kann. Die alte Küstenstrasse ist in den 70-er Jahren zu einer Autovia erweitert worden, drei Kilometer weiter nördlich führt eine neue, gebührenpflichtige und deshalb unbenutzte Autobahn. Das Wort Velo, Fussgänger und Rollstuhl gabs wohl in den 70-er Jahren noch nicht oder es passte nicht zu der damals utopischen Sichtweise. Velostreifen ? Nicht die Spur. Mélanie und ich versuchen zunächst, hinter den Leitplanken einen Weg zu finden. Der Streifen zwischen den Leitplanken, Abschrankungen und Lichtmasten ist aber derart gering, dass wir öfters die Packtaschen abnehmen müssen. Wir verlieren zu viel Zeit und stürzen uns dann irgendwann mal zähneknirschend auf die Horrorautobahn.
Unvorstellbar. Womöglich noch mit EU-Geldern mitfinanziert, um die „Entwicklung“ dieser Randregion voranzutreiben. Was mich besonders nervt ist, dass absolut keine Anstrengungen ersichtlich sind, um die Scharte auszuwetzen und beispielsweise einen Velo-Fussgängerstreifen zu bauen. Ein englisches Paar kann ebenfalls nur den Kopf schütteln, die Frau ist im Rollstuhl. Kompliment an die Spanier: besser kann man eine Küste nicht verunstalten und unattraktiver machen. Immerhin attraktiv genug für Billig-All-inclusive-Reisende und solche, die sich in Marbella einer Schönheitschirurgie unterziehen wollen. Oder im Entenschritt gruppenweise blindlings in Mélanies Velo laufen. Mélanie faucht Touristen an und ich zeige den Autofahrern, die uns von der Strasse abdrängen wollen, den Stinkefinger.


Eine ganz andere Klientel peilt Sotogrande an: luxuriöse Wohnungen an einem künstlich angelegten System aus Kanälen, in denen sich die Sportboote aneinander reihen. Villen, ein perfekter Belag, grüner Rasenstreifen am Wegrand, wie man ihn an keinem Camping findet. Entsprechend das Angebot: Golf, Polo, Puerto, Playa und eine spezialisierte Herzklinik. Der Zutritt ist überwacht, nur durch eine Barriere gelangt man hinein in diese Enklave. So stelle ich mir etwa Miami vor.


Gibraltar lassen wir uns nicht entgehen und ist durch den steil aus dem Meer aufragenden Felsklotz, der im Altertum als einer der beiden mythischen „Säulen des Herkules“ galt, auch nicht zu übersehen. Wir können nun wenigstens behaupten, Fuss und Veloreifen auf britischem (oder englischem ?) Boden gesetzt zu haben. Wirklich gelohnt haben sich die wenigen Kilometer dorthin nicht wirklich. Zwei Dinge haben mich aber beeindruckt: erstens die grosse dunkle Wolke, die einsam über dem „Rock“ hing und einem das Wetter dort wirklich englisch vorkam: kühl und windig. Zweitens die Fluglandebahn, die parallel zur Grenze Gibraltar-La Linea de la Concepcion führt. Diese wird für den gesamten Verkehr geschlossen, wenn eine Landung oder ein Abflug bevorsteht. Was für die Zaungäste natürlich ein Spektakel ist, wenn ein Flieger in wenigen Metern Entfernung abhebt. Nach dem Spuk werden die Zäune geöffnet und die Massen von Duty-Free-Touristen strömen wieder zu Fuss und motorisiert über das Rollfeld des Flughafens. Ansonsten fühlt man sich in „Gib“ wirklich in England: Fish and Chips, Kinder in Schuluniform und Polizisten, die Rollerfahrer büssen, weil sie die Schnalle unter dem Helm nicht zugemacht haben.
In Algeciras quartieren wir uns im arabischen Viertel ein. Das ist schon sehr marokkanisch geprägt. Im Hotel Tetouan, eine billige Absteige, aber gut überwacht durch den Boxer am Empfang, der jeden Gast anspringt und anbellt. Endlich geht es dann am nächsten Tag auf den Catamaran, der uns in einer Stunde nach Ceuta führt. Seit dem 16. Jahrhundert und zusammen mit Melilla weiter im Osten eine spanische Enklave. Seit der Unabhänigkeit Marokkos im Jahre 1956 ist sie dies auch geblieben. Spanien sieht keinen Widerspruch darin, Gibraltar zu beanspruchen aber Ceuta den Marokkanern nicht zurückgeben zu wollen. Der Grenzübertritt gestaltet sich trotz der vielen Menschen mit übervollen Taschen, der Hektik, den verbeulten, stinkenden und schrottreifen Autos, problemlos. Wir sind gewarnt davor, dass Marokkaner uns „registrations forms“ andrehen wollen, die normalerweise nichts kosten.
Die Strasse bis nach Tetouan ist breit, mit einem grosszügigen Velostreifen. Palmen und Grünstreifen säumen den Weg. Wichtig für den ersten Eindruck. Strassenputzer befreien die Strasse von Dreck und Scherben. Daneben eine breite Fussgängeralle, mitfinanziert durch eine marokkanische Telekom-Firma. Kein Vergleich zu Spanien. In Tetouan machen wir zunächst einen Halt in der Nouvelle Ville, um unseren ersten Pfefferminztee zu trinken. Danach tauchen wir in das Gewühl der Altstadt und der Medina ein. Und quartieren uns in der heruntergekommenen Pension Africa ein. Trotz hartnäckigen Verhandlungsversuchen gelingt es mir nicht den Preis weiter zu drücken und bezahle 100 Dirham (rund 9 Euro). Immerhin werde ich danach zu einem Tee eingeladen, während sich die Anwesenden und ein Künstler aus Andalusien Haschichpfeiffen rauchen und sich die Birne so richtig zunebeln. Ein Angestellter scheint wohl in seinem Leben zu viel von diesem Zeugs geraucht zu haben, trägt er doch bereits deutliche psychotische Züge, führt Selbstgespräche und benimmt sich etwas sonderbar.

Der erste Kulturschock ist verdaut. Als Einführung in Marokko eignet sich Chefchaouen, die Stadt mit den blau getünchten Fassaden, da schon viel besser. Nichts wie dorthin. Die Michelin-Karte im Masstab 1: 1 Million lässt viel Raum für Überraschungen. Fragen ist nicht immer sehr ergiebig. So variiert die Distanz von Tetouan bis nach Chefchaouen von 20 bis 120 Kilometer (die Mitte trifft hier zu..) und ist von sehr flach bis sehr gebirgig (Letzteres bekamen wir zu spüren). Dazwischen liegen tatsächlich über 1‘000 Höhenmeter. Es steigt, und steigt. Auch das Thermometer. Mélanie ist um zwei Uhr Nachmittags sichtlich erschöpft.
Chefchouen ist 1471 gut versteckt zwischen Berghügeln des Rif-Gebirges gegründet worden. Viele während der Reconquista aus der iberischen Halbinsel vertriebene Araber und Juden haben sich hier niedergelassen. Die Lage ist strategisch ausgezeichnet. Auf der einen Seite durch Berge versteckt, die kristallklares Wasser liefern. Zahlreiche Brunnen finden sich in den Gassen der Medina. Vom Tal aus war die Stadt nicht zu sehen. Bis 1920, als spanische Truppen die Stadt belagerten, haben gerade einmal nur drei Europäer die Stadt zu Gesicht bekommen: einer während einer Stunde, der zweite wurde vergiftet und der dritte, Walter Harris, Times Journalist, hielt seine Beobachtung im Werk „Land of an African Sultan“ fest. Die Spanier staunten nicht schlecht, als sie entdeckten, dass die Juden hier eine mittelalterliche und längst ausgestorbene Form des Kastilischen sprachen. Heute ist Chefchoauen eine angenehme Stadt, anders als in anderen Städten wird man nicht konstant belästigt und von Händlern und Mittelsmännern angesprochen.


Das Haschisch-Rauchen scheint hier in Marokko, besonders im Norden, eine Art Volkssport zu sein, hat aber tatsächlich eine jahrhundertealte Tradition. Zwar verboten, aber mehr als toleriert unter Marokkanern. Der süsse, schwere Duft weht uns überall in die Nase. Bereits 1809 beschrieb James Grey Jackson in „An Account of the Empire of Morocco“ dies folgendermassen: „The Hashisha, or leaves of the plant, are dried and cut like tobacco, and are smoked in very small pipes, but when the person wishes to indulge in the sensual stupour it occasions, he smokes Hashisha pure, and in less than half an hour it operates; the person unter its influence is said to experience pleasing images: he fancies himself in company with beautiful women; he dreams that he is an emperor, or a bashaw, and that the world is at his nod.“ Was Lotfi, ein guide de montagne, dabei empfindet, wissen wir nicht. Jedenfalls ist er sehr hilfsbereit, führt uns zu einem günstigen Hotel in Chefchaouen und gibt uns Hinweise, wo wir gut essen können. Ohne danach für diesen Dienst die hohle Hand zu machen. Am nächsten Morgen machen wir an einem kleinen Platz an einem Kaffee früh ab, trinken zusammen einen Kaffee. Er zündet sich einen fetten Joint an. Eher schüchtern fragt er uns, ob wir eine Trekkinghose für ihn hätten. Nein, ich schenke ihm aber meinen alten Feldstecher, der seine besten Tage (auf meiner Tibet-Reise) hinter sich hat.


Wir bleiben vier Tage in Chauen, wie die Marokkaner sagen. Mélanie hat eine Grippe und bedarf noch etwas Erholung. Bei der Essensaufnahme sind wir etwas zu unvorsichtig und verlassen unsere zwei Stammlokale und probieren das Restaurant Paloma aus. Ein englisches Paar steht bereits bei der Suppe und dem Salat empört auf. „Lousy food“. Wir finden die Reaktion völlig übertrieben. Wir haben auch Suppe und Salat bestellt, die sind wirklich nicht sehr gut, aber der Hauptgang und die Preise stellen alles in den Schatten. Grottenschlecht. Im Ergebnis hatten sie absolut Recht. Als Geschenk gibt es für mich dafür noch den ersten Durchfall, wohl unvermeidlich auf solchen Reisen. Oder war es doch von der „friture de poissons“ am nächsten Tag ?

Jedenfalls sind wir auf der Fahrt nach Ouezzane beide nicht topfit, danach leide ich. Trotz frühem Start muss ich bereits um elf Uhr hinter einem Stück Mauer hinliegen, Mélanie macht mir einen kühlen Verband. Nach einer Stunde siechen wir uns in der Mittagshitze bis zur nächsten Ortschaft Jorf-el-Melha, das Normaltouristen nur vom Bus aus zu sehen bekommen. Es scheint uns, dass nur wenige Marokkaner, insbesondere jüngere, hier und anderswo der französischen Sprache mächtig sind. Zwar mache ich Fortschritte auf arabisch, aber um das Wort „riz“ zu übersetzen, bedarf es eines Kollegen, der es per Handy übersetzt. In dem unfreundlich wirkenden Ort gibt es kein „funduk“, kein Hotel. Also noch einige Kilometer weiter, hinter einer Tankstelle gesellen wir uns zu Hühnern, Kühen, Knochenresten und Misthaufen. Im Stehen ist mir der Gestank nicht allzu negativ aufgefallen. Vielleicht waren wir auch zu sehr beschäftigt, um unseren Reis mit Karotten und Knoblauch zu kochen. Im Liegen wird mir aber nachts ordentlich übel. Dafür sorgt der freundliche „guardien“ der Tankstelle für unsere Sicherheit. Erschöpft legen wir uns um 20.10 bereits im Zelt zum Schlafen.
Es geht danach aufwärts, vor allem die Strecke steigt wieder an. Nochmals 400 Höhenmeter. Wieder in der Mittagssonne. Aber eine Pilgerfahrt nach Moulay Idris ist nun halt kein Zuckerschlecken bzw. Couscousessen. Moulay Idriss el Akhbar ist ein wichtiger Nachfahre vom Propheten Mohammed und in Marokko der meistverehrte Heilige. Sein Schrein und die ganze Anlage sind Nicht-Muslimen leider nicht zugänglich. Bis 2005 war es diesen sogar verwehrt, hier zu übernachten. Ungewollt habe ich ein Fünftel einer Pilgerfahrt nach Mekka absolviert. Denn eine Pilgerfahrt nach Moulay Idris ist nämlich soviel wert.

Langweilig wird es uns in Moulay Idris aber nicht, denn es gibt das bis anhin beste Grillfleisch zu kosten und derart gestärkt in vier Kilometern Entfernung Volubilis zu besichtigen. Eine riesige, beeindruckende römische Stätte. Weltkulturerbe. Aber die Welt scheint sich nicht dafür zu interessieren, das archälogisch wertvolle Kulturerbe zu erhalten. Nur wenn Hollywood wieder eine tolle Kulisse braucht, ist man zur Stelle. So auch Martin Scorsese für den Film „The last temptation of Christ“. Angesichts der zahlreichen Touristen täuschen die wenigen Angestellten Beschäftigung vor, schaufeln etwas Erde in eine Schubkarre, schaufeln diese wieder zurück oder lesen versteckt Zeitung. Wer kann es ihnen verübeln, bei den Hungerlöhnen von 50 Dirham pro Tag (ca. 5 Euro)? Die Beschriftungstafeln sind unleserlich, das Café zum Davonlaufen und die zum Verkauf angebotenen, verblichenen Bücher stammen aus den 80er-Jahren. Bis zur Islamisierung wurde übrigens in Volubilis noch Lateinisch gesprochen und die Stätte war bis zum 18. Jahrhundert besiedelt, als danach der Marmor weggetragen wurde, um es in Meknes für andere Bauten zu rezyklieren.


Cortezas de cerdo – immer mit cerveza !

In Spanien habe ich das Tempo erhöht. Seit Carcassonne, das heisst seit dem 21. September habe ich mir bis Malaga, wo ich am 6.10. am Flughafen meine Freundin Mélanie in Empfang genommen habe, keinen Ruhetag gegönnt. In der Regel bin ich um die 100 Kilometer am Tag gefahren. Etwas unterschätzt habe ich die Höhenmeter. Obwohl die Landschaft eher flach wirkt und die Michelin-Karte weder Steigungen über 5 % noch viele “puertos” (gemeint sind Pässe, nicht Häfen) verzeichnet, geht es meistens auf und ab, selbst an der Küste sind 1’000 Höhenmeter an einem Tag keine Seltenheit. Viele “falso llanos”, Steigungen von wenigen Prozenten, zwei, drei Kilometer rauf, dann wieder runter.

 

Die Fahrt ist zwar nicht ausserordentlich spektakulär, wohl bedingt durch die Routenwahl “kurz und direkt”, sodass ich die grün verzeichneten Nebenstrassen der Michelin-Karte vernachlässige.  Aber nicht unangenehm. Sie führt durch die Regionen Katalonien, Aragon, Castilla La Mancha und Andalusien. Einige landschaftliche Höhepunkte gibt es dennoch. Und wegen der Hitze und der  körperlichen Anstrengung sicher eine gute Trainingseinheit. Um meinen Wasser- und Salzhaushalt auszugleichen, trinke ich literweise kühlen Gazpacho aus dem Supermarkt. Ich habe auch angefangen, legale Substanzen wie O.R.S. einzunehmen: oral rehydration salt, Mineralsalze, um einen dehydrierten Körper wieder aufzupeppeln. Gibts günstig in der Apotheke. Und ist viel billiger als die teuren Elektrolyt-Getränke.

In Katalonien fahre ich durch endlose Pfirsichplantagen. Danach, das heisst in Aragon und Castilla la Mancha, sind Mandel- und Olivenbäume vorherrschend. Ein eniziger riesiger Selbstbedienungsladen, vor allem die Mandeln haben es mir angetan. In Kastillien herrscht gerade reger Betrieb rund um die Cooperativas agricolturas. Weinernte. Bauern mit ihren Traktoren mit Anhängern stehen Schlange, um ihre Ernte abzuladen. Einer erzählt mir, dass er rund 40 Ladungen abliefern werde. 3 bis 4 Ladungen pro Tag, alles von Hand geerntet. 12 Tage wird er benötigen.

Auffallend zu Frankreich ist in Spanien die Vielzahl an Bars und Kaffees. In jeder noch so kleinen Ortschaft findet sich eine Bar. Entsprechend ist auch der Kaffee einiges besser. Er wird, wie in Italien, überall mit der Kolbenmaschine gemacht. Herrlich, mehrere Male täglich halte ich an, um einen café con leche, einen café cortado oder einen café solo zu geniessen und mit Spaniern ins Gespräch zu kommen. Dass in vielen Bars der Abfall einfach auf den Boden geworfen wird, stört mich nicht. Auch nicht, dass in der einzigen Bar einer kleinen Ortschaft irgendwo im tiefen Castilla La Mancha trotz Rauchverbot gepafft wird, während der Grosse Preis von Shanghai in voller Lautstärke gesendet wird (und Schumacher einem anderen von hinen auffährt). Dass hingegen die Serviertochter  bzw. -mutter, knochenhartes Brot serviert, finde ich weniger unterhaltsam. Es sei halt Sonntag, meint sie, und die Bäckerei habe geschlossen.

In den Bars komme ich oft ins Gespräch mit Menschen. Das Dorf Manzaneruela hatte zum Glück eines. Ich habe vorher wild gezeltet und gehofft, meinen Morgenkaffee dort einnehmen zu können. Einige Arbeiter haben sich eingefunden und verdrücken ihre halben Meter langen bocadillos. Der pensionierte Julio Anton erzählt mir, dass er den Militärdienst in der Westsahara geleistet habe. Viel habe er dort aber vom Land nicht gesehen. Es sei daher eine gute Sache, was ich da mache. Das erste, was er nach der Pensionierung gemacht habe, war, sich Computer und Internet zu besorgen, um mit der Aussenwelt in Kontakt zu bleiben. Wir tauschen die E-mail Adressen aus und nach einer Runde Schnaps löst sich die Runde auf und jeder geht seines Weges.

Einmal werde ich sogar der Zechprellerei beschuldigt. Nachdem ich schön brav den Kaffee bezahlt habe, packt mich der Besitzer an der Schulter und meint, ob ich Kaffe und Croissant bezahlt habe. Ich schaue ihn ruhig an und meine nur “Que ? Tengo cara de ladro ?” Sehe ich aus wie ein Dieb ? Pappnase. Hatte wohl schon ein paar Bierchen zuviel am Morgen.

Spanien tickt anders, die Siesta ist nach wie vor heilig. Und irgendwie scheint es auch immer heiss zu sein in der Mittagszeit. Ich habe volles Verständnis für die Spanier. Je weiter südlich man sich bewegt, desto später scheinen die Öffnungszeiten zu sein. Konnte man in Katalunien um 16 Uhr bereits wieder Einkäufe tätigen, wird es in Andalusien schon 17 oder sogar 17.30 Uhr, bis die Mittagspause rum ist. Auf der anderen Seite hat das den Vorteil, dass man noch um 15 Uhr ein menu del dia bestellen kann. In Frankreich bereits um 13 Uhr ein Ding der Unmöglichkeit. Gibt es für 8 bis 10 Euro. Drei Gänge inklusive Getränk und Kaffee. Das gönne ich mir ab und zu auf die Gefahr hin, dass danach höchstens noch ein Verdauungsspazierfährtchen drin liegt.

In der Minenstadt Escucha treffe ich auf Paco und Joaquin, 68 und 82 Jahre alt. Mit 18 Jahren sind beide in die Grube arbeiten gegangen, vierzig Jahre lang. Trotzdem wirken beide sehr heiter, munter und lebensfroh. Heute wird hier nicht mehr Kohle abgebaut. Das Kohlekraftwerk im Ort, das wie viele andere Kohleberg-Städte eher trostlos ausschaut, wird vom benachbarten Andorra geholt. Um die 3’000 Euro verdiene heute ein “minero”, damit lasse sich in Spanien gut leben.

Ob der 35-Jährige Ibrahim aus Mali, den ich im Dorf La Mata de los Olmos kennenlerne, ebensoviel verdient, entzieht sich meiner Kenntnis. Er scheint aber im Dorf gut aufgenommen worden zu sein. Er zeigt mir den alten Brunnen, der kürzlich renoviert wurde und den alten Waschplatz.

Meistens zelte ich wild. Ich stehe vor Sonnenaufgang auf (um rund 7:15) und radle meistens bis eine halbe Stunde vor Sonnenuntergang (um rund 20:00), um so möglichst lange auf dem Rad sitzen bzw. radeln zu können. Obwohl ich meistens gut versteckt bin, vermeide ich es sicherheitshalber, in der Dunkeheit Licht zu machen.l Einmal zelte ich mit einem anderen Tourenfahrer, Sean Kane. Einem Engländer, der fast zwei Jahre in Südamerika geradelt ist. Ich hatte ihn in Carcassonne kurz getroffen. Wir sind nicht lange zusammen gefahren (er ist durch Frankreich und Spanien mit einem einzigen Gang gefahren, da sein Schaltauge gebrochen ist und er keinen Ersatz fand). Wir sind uns aber immer wieder begegnet. Vor Albacete rauscht an einer Ortschaft, wo ich gerade Halt mache, eine Dreiergruppe pensionierter Velofahrer vorbei. Nichts wie hinterher ! Trotz einiger Steigungen kann ich sie nach 5 Kilometer endlich einholen. In einer Abfahrt haben sie dann mit meinem Schwergewicht und der Physik keine Chance mehr. “Eres un fenomeno”, meint Manolo. Wir fahren dann zusammen bis nach Albacete, wo ich zu Tapas und Bier eingeladen werde und danach aus Albacete hinaus eskortiert werde.

Die Morgenstimmungen sind wunderbar, wenn die ersten Sonnenstrahlen die kommende Hitze ankünden. Wildes Zelten oder Wildzelten heisst natürlich auch, dass man ein Stück Weit in der Wildnis ist. Einmal, als ich um 2 Uhr morgens aufstehen möchte, um meine Blase zu leeren, geht mir der Brunftschrei eines röhrenden Hirsches, der keine hundert Meter weit steht, durch Mark und Bein. Ich mache mir fast in die Hosen, nicht weil ich Angst habe, sondern weil ich nicht das Zelt verlassen kann. Er könnte mich ja für eine Hirschkuh halten… Bis um 5 Uhr morgens sucht er (wohl) vergebens nach einer Partnerin. Ein röhrender Hirsch, Milchstrasse und Sternschuppen: wer braucht da noch einen Fernseher, um unterhalten zu werden ?

In Caralavaca de la Cruz mache ich eine unangenehme Bekanntschaft mit einer anderen spanischen Spezialität: cortezas de cerdo. Die Übersetzung auf der Packung ist nicht sehr hilfreich: auf Englisch “fried pork rind”, auf Deutsch “fried chicharrones”. Sehen aus wie Chips, frittierte Schweinefleischrinde oder so ähnlich. 70 % Protein und 23 % Fett. Toll, denke ich mir, eine gute Eiweissquelle. Ich kaufe mir also diese Dinger im Supermarkt, wo es leider kein gekühltes Bier gibt und auf der Suche nach nach dem kühlen Nass stopfe ich mir in Krümmelmonster-Manier schon mal den Mund mit  diesen Dingern voll. Und dann bleibt mir die Spucke weg. Mein Hals fängt an zu schwellen, entzündet sich, ich kriege plötzlich keine Luft mehr, ich kann nicht einmal husten, der Hals ist wie zugeschnürt. Das kann doch nicht sein, jetzt einfach nicht in Panik geraten. Zum Glück ist auf der gegenüberliegenden Seite eine Imbissbude, ich renne rein und bringe nur noch das wort “kkola” raus. Gerettet ! Ein Junge meint, dass sei normal, diese Leckerbissen seien staubtrocken und man geniesst sie am besten mit Bier. Also, seid gewarnt ! Oder esst lieber Churros con chocolate. Ach ja, bekannt ist übrigens Caravaca de la Cruz als Heilige Stadt der Katholischen Kirche. Das Doppelkreuz aus der Basilica prägt das Stadtbild. Und toll ist, dass den Velopilgern sogar ein Denkmal gewidmet wurde, wobei der Bildhauer dem Velo durchaus ein paar Sacochen hätte verpassen können. Aus Luft und Glauben alleine kann er nicht überleben !

In Lorca ergibt sich dann wieder die Möglichkeit, bei einem Velofahrer, den ich über das Netzwerk Warmshowers kenngelernt habe, zu übernachten. Miguel und Teresa sind sehr gastfreundlich und obschon ich am nächsten Tag wieder weiter muss, geniesse ich die Zeit bei Ihnen sehr. Sie sind selber lange in der Türkei und in Marroko geradelt und geben mir einige Tips. Muchas gracias, Miguel y Teresa ! Lorca ist einigen vielleicht noch durch das Erdbeben vom 11. Mai 2011 bekannt. Die Schäden sind augenfällig. Überall Baugerüste, Mulden, zerstörte Fassaden, verlassene Häuser. Das Erdbeben war zwar nicht stark. Weil das Epizentrum aber nur rund einen Kilometer tief unter der Stadt lag, waren die Schäden beträchtlich.

Im Parque Natural Cabo de Gata dann endlich wieder eindrückliche Landschaften. Eine wilde zerklüftete Küste, unterbrochen durch kleine und versteckte Sandstrände. Schon sehr wüstenhaft. Hier und in der nahe gelegenen Wüste von Tabernas sind zahlreiche Filme gedreht worden. Etwa Szenen aus Indiana Jones und zahlreiche Spaghetti-Western. In Agua Amarga werde ich von einer Gruppe Velofahrer, die soeben einen Orientierungslauf mit Mountainbikes beendet haben, eingeladen. Einer ist Metzger und hat kiloweise Wurstwaren und bocadillos gebracht. Keine Frage, was ich dann zum Nachtessen gegessen habe.

In der Gegend um Almeria hingegen fährt man mitten durch zwei Meere: links das Mittelmeer, rechts ein Meer aus Plastik. Kilometerlang ziehen sich die invernaderos, die Treibhäuser hin. Es ist die weltweit grösste Anbaufläche unter Folie. Ein riesiger Wintergarten. Leere Plastiksäche mit Aufschriften wie “sulfato potassico” oder dergleichen finden sich hier und da. Pestizide kommen hier reichlich zum Einsatz. Und auch Schwarzarbeiter und Schwarzafrikaner. Erbärmliche Behausungen, natürlich aus Plastik, davor einige Schafe und Ziegen. Die ganze Szenerie wirkt irgendwie beängstigend. Auch finden sich ab und zu Schilder “Paraja Natural”, die eigentlich die Grenze zum Naturpark markieren sollten. Wen kümmert’s ? Die Gewinne, die mit dem Treibhausgemüse gemacht werden, sind beträchtlich. Der grösste Teil der Ernte wird exportiert, aufgekauft durch die grossen Lebensmittelhandelsketten.


Tashi Delek !

Auf tibetisch hat mich der Franzose hier oben nicht gegrüsst. Immerhin entspricht er aber dem Bild, das man landläufig von einem Franzosen hat.

Seit dem 10. September bin ich alleine unterwegs. Zuerst fahre ich Richtung Cévennen. In Orange mache ich nur für einen Espresso Halt. Für die Sehenswürdigkeiten und Sightseeing in der Hitze habe ich keine Musse. Weiter geht’s am AKW Marcoule vorbei. Ich mache mir Gedanken über die Atomenergie, über Fukushima, darüber, dass man gemeinhin über die Herkunft von Uran und unter welchen Umständen  es abgebaut wird, nicht viel weiss. Augen verschliessen und auf die lange Bank schieben. Das Uran der Bombe von Hiroshima stammte angeblich aus dem Kongo. Nur wenige Stunden später wird es hier explodieren und ein spanischstämmiger Arbeiter wird verbrennen.

Ich streife die Cévennen, eine Landschaft, die zusammen mit den Causses, den Kalk-Hochebenen, von der Unesco als Weltkulturerbe geschützt wurden. Eichen- und Kastanienbäume herrschen vor. Und langsam zeigen sich auch die ersten Pilze, insbesondere Satans- oder Hexenröhrlinge – meine rudimentären Pilzkenntnisse reichen leider nicht aus, um diese auseinanderzuhalten. Ich lasse lieber die Finger davon. Zwei Jünglinge auf einem Roller, der eine mit Helm mit Satanshörnern, überholt mich einige Tage später. Beide haben je einen Korb voller Pilze. Ich halte sie an, sie schenken mir ein halbes Kilo Röhrlinge und Steinpilze. Ihr Vater habe am Vortag 32 Kilogramm geerntet.

Die Causses sind ausgedehnte Kalkplateaus im Süden des Zentralmassivs. Im Süden öffnen sie sich zu den Ebenen des Départements Hérault und des Bas Languedoc. Karge Hochplateaus, gigantische Canons und Klüfte. Tief eingeschnittene Täler kontrastieren mit den kargen Hochebenen, die an die Steppen Zentralasiens erinnern. Zahlreiche Dolmen, Menhire und Steinzirkel zeugen von der frühen Besiedlung dieser Gegend. Regenwasser wird vom Kalkboden wie ein Schwamm aufgesaugt. Wie bei uns im Jura finden sich hier riesige Höhlen. Die Causses sind ein bevorzugtes Gebiet für die Schafhaltung. Die Milch wird zu Käse verarbeitet, der weiter nördlich in den berühmten Kellern von Roquefort-sur-Soulzon reift.

Ein besonders eindrückliches Exemplar einer solchen Karstlandschaft sind die Cirques de Navecelles. Ein 300 Meter tiefer Canon, darin findet sich eine durch einen Fluss natürlich geschaffene Pyramideninsel. Am Rande der Weiler Navecelles.  Vor 10 Millionen Jahren begann ein Mäander des Flusses Vis, sich einzuschneiden, um vor rund 6000 Jahren sein Werk zu beenden und sich einen anderen Weg zu suchen. Ich campe direkt am Aussichtspunkt, um am Morgen die ersten Sonnenstrahlen fotografisch einfangen zu können.

In Le Caylar erwarten mich Françoise und Hubert, die ich durch das Tourenfahrern vorbehaltenem Netzwerk Warmshowers kennengelernt habe. Ich bin an der richtigen Adresse. Le Caylar war seit  jeher ein wichtiger Durchgangsort für Reisende zwischen Nord und Süd, gelegen zwischen den weniger verkehrstauglichen Cévennen im Westen und den Monts du Haut-Languedoc im Osten. Es fing mit der Transhumanz an und kulminiert heute in der Autoroute A 75, eine der wichtigsten Verkehrsadern zwischen Nordeuropa und der iberischen Halbinsel. Den Verkehr bekomme ich in Le Caylar zu spüren, die Autobahn ist für wenige Stunden gesperrt, Durchreisende quälen sich durch das Dorf mit 425 Seelen.

In Le Caylar findet jährlich das Festival du Roc Castel statt, das einen Schwerpunkt auf das langsame Reisen gelegt hat. „Éloge du voyage lent“ lautet das Motto des diesjährigen Festivals. Klar, dass Velofahrer überproportional vertreten sind. Einer fehlt jedoch unfallhalber am Festival. Und so nimmt Hubert telefonisch mit Gérard Kontakt auf, da er ebenfalls in Afrika Rad gefahren ist (www.zagafrica.fr) . Hubert unternimmt zwar nur kleinere Velotouren in Europa, ist ansonsten aber in vielen Reise-Netzwerken angeschlossen und hat Freude daran, Veloreisende und allgemein Reisende aufzunehmen. Er vermittelt mir noch viele weitere Kontakte. Ganz nebenbei kann ich auch noch seine Kochkünste ausprobieren. Allerlei regionale Spezialitäten tischt er auf, unter anderem Roquefort-Würste, Crême fraiche mit Marronipaste und entsprechenden Wein. Françoise et Hubert, merci pour votre accueil et votre précieuse aide !

Kurz vor Mittag breche ich auf. Keine 13 Kilometer komme ich weit. Von Weitem fällt mir auf einem Hügel eine Installation mit Flaggen auf. Kommt mir irgendwie bekannt vor. Habe ich letztmals in Tibet am heiligen Berg Kailash gesehen. Und tatsächlich: ein tibetischer Tempel eingebettet zwischen den bewaldeten Hügeln. Was für ein Zufall ! Ich werde sofort an meine Tibet-Reise von 2006 erinnert und bin ganz entzückt.

Julien arbeitet im kleinen Verkaufslokal, er schenkt mir spontan ein vom Dalai Lama geknüpftes Band, zeigt mir trotz Besucherverbot die ganze Anlage und lädt mich zum Essen ein. Die Leute arbeiten hier hauptsächlich als „bénévoles“, erhalten Kost und Logis und Unterricht in Meditation und der buddhistischen Lehre. Die Belegschaft der Freiwilligen stammt aus aller Welt, entsprechend international ist die Atmosphäre geprägt. Aussenstehende können hier ebenfalls verweilen, die Ruhe geniessen und meditieren. Ich beschliesse, in der Nähe zu zelten. „De bonne augurues“, sei dies, dass ich hier an diesem Ort gelangt bin. Er schenkt mir ein vom Dalai Lama geknüpftes Band. Lérab Ling ist einer der grössten tibetischen Tempel in Europa , 850 Meter hoch gelegen. Der Blick reicht bis zu den Pyrenäen. Im August 2008 hat der Dalai Lama den Tempel eingeweiht.

Am nächsten Tag suche ich einen geeigneten Platz, um in der Wildnis zu zelten. Da ich nichts Geeignetes finde, fahre ich bis zur Ortschaft Verreries-de-Moussans.  Zwei Freundinnen, Célia und Frédérique, lassen mich im Garten zelten. Meine tibetischen Gebetsflaggen am Velo fallen ihnen sofort auf. Beide sind tibetische Buddhistinnen. Ihre beiden tibetischen Schosshunde bewachen mein Zelt. Die Gebetsflagge, die ich am Vortag gekauft habe, übergebe ich ihnen als Geschenk.

Der Vorzug einer Veloreise zeigt sich in den kleinen Begegnungen. Etwa in Lunas, wo eine Variante des Jakobsweges durchführt, und wo ich mit einem anderen Velofahrer ins Gespräch komme. Christian aus Lyon, der in den letzten 25 Jahren regelmässig nach Burkina Faso gereist ist, um dort mehrere Wochen als Freiwilliger zu arbeiten, ist begeistert. Die beiden älteren Damen nebenan, 78 und 90 Jahre jung, meinen, wir hätten uns viel zu erzählen gehabt. Sie erzählen mir ihre Geschichte. Ihr Vater sei aus Spanien ausgewandert, seither leben sie hier in Lunas.

In Carcassonne lege ich zwei Ruhetag bei Yves, einem Couchsurfer, ein. Yves ist Lehrer und hat einiges zu erzählen. Er ist Vater dreier erwachsener Kinder. Er hat Lebens- und Reiseerfahrung und entsprechend viel zu berichten. Auch hat er während Jahren in Hamburg gelebt und spricht perfekt Deutsch. Er weist mich darauf hin, dass Couchsurfing eine moderne Variante von Servas ist, dessen Erfolg mit der Verbreitung des Internet zusammenhängt. Demgegenüber hat Servas an Mitglieder eingebüsst. Zusammen mit Kerstin, einer deutschen Psychologiestudentin, besichtigen wir die Festung „La Cité“, wandern entlang am Canal du Midi, führen gute Gespräche und kochen zusammen. Yves, Danke vielmals für die tolle Gastfreundschaft !

Noch zwei Tage bis zur spanischen Grenze. Ich gehe nicht in Andorra über die Pyrenäen, da ich zuviel Verkehr befürchte, sondern weiter südöstlich über den Col de la Perche, zuerst an den beeindruckenden Gorges de St. Georges vorbei. Es ist nicht aussergewöhnlich, dass Leute aus Toulouse am Wochenende nach Andorra fahren, um sich mit Zigaretten einzudecken, die halb so viel kosten wie zuhause. Ich fahre die Passstrasse hinauf, dummerweise kann ich wegen der Hanglage nirgends zelten und muss in die Nacht hineinfahren, bis ich endlich hinter einem verlassenen Gebäude mein Zelt aufschlagen kann. Zum Kochen ist es zu spät. Ich verdrücke rasch etwas Salami, Käse und Brot.


Allez Richard !

Rufen mir Jan und Jan beim Abschied zu! Einen Bergpreis werde ich zwar nicht gewinnen, dennoch bin ich noch voller Eindrücke der zehn Radeltage durch wunderbare Gegenden Frankreichs zusammen mit Jan und Jan, die leider zu Ende sind. Seit dem 10. September bin ich wieder alleine unterwegs. Die Berge und Hügel der Rhônes-Alpes und der Provence liegen hinter mir.

Wir entscheiden uns für den Col de la Croix de Fer, 2067 Meter hoch. Mit einer Durschnittsgeschwindigkeit um die 8 km/h fahren wir langsam aber beständig rauf. Unterwegs machen wir eine Kaffeepause, lehnen dankend den Kräuterschnaps Génepi ab. Wir werden gewarnt, dass am Nachmittag heftige Gewitter aufziehen sollen. Im Skiort St. Sorlin-d’Arves wird es nochmals richtig steil, danach fangen die Serpentinen an. Und auch ein leichter Nieselregen fängt an, unangenehm zu werden. Er wird stärker , noch 3, dann 2 Kilometer bis zur Passhöhe. Ich wäge ab: es lohnt sich nicht mehr die Regenjacke hervorzuklauben, ich bin eh schon nass. Zum Glück ist es nicht allzu kalt. Also rauf im Regen und auf der Passhoehe  in das Restaurant rein.

Jan ist bereits im Trockenen. Zum Glück ist es nicht sehr kalt und zu unserer Erleichterung lässt der Regen nach einer wohlverdienten Tasse Kaffe nach. Nebelschwaden ziehen an uns vorbei. Ab und zu bricht ein Sonnenstrahl durch und lässt magische Lichtstimmungen entstehen.

Nach dem Col de la Croix de Fer gönnen wir uns einen Ruhetag. Ganz untypisch in einem alten Wohnwagen, der auf einem Campingplatz steht. Jan mit seinen rund 1.90 Metern fühlt sich darin nicht so richtig wohl. Es soll aber regnen und den ganzen Tag warten wir darauf, dass es anfängt. Erst in der Nacht kommt dann der Regen. Macht nichts. Dafür können wir in der Sonne unsere Velos unterhalten.

Die Alpe d’Huez lassen wir aus. Vielleicht besser so. In der Zeitung lesen wir, dass ein Norweger auf der Abfahrt (mit dem Rennvelo wohlverstanden) unglücklich ausrutscht, unter ein entgegenkommendes Fahrzeug gerät und sich schwer verletzt. Die Alpe d’Huez ist, klärt mich Jan auf, „de nederlandse berg“. Tatsächlich haben, was die Etappensiege bei diesem Berg erster Kategorie angeht, die Niederländer die Nase vorn. Ein niederländischer Pfarrer soll zudem die Kirche im Dorf eingeweiht haben (oder so ähnlich…). Jeder zweite Niederländer weiss, wie viele Spitzkehren die Bergstrasse hat. Jedenfalls wimmelt es nur so von Niederländern. Nebenan vom Campingplatz wird sogar ein Hotel-Restaurant auf niederländisch geführt. Am Vortag wollen wir dort essen, die Serviertochter antwortet uns in gebrochenem Französisch: „je demander d’abord au coq !“. Aha ! Der Hahn ist aber schon zu Bett gegangen und will nicht mehr krähen bzw. kochen. Also zurück in das Wohnmobil aus der Epoche von Louis de Funès. Zwiebel, Rübli, Tomatenmark und Spaghetti ergeben ratz-fatz ein nahrhaftes Menü.

Frankreich hat so seine Eigenheiten. Eine davon scheint zu sein, dass die Franzosen fast durchwegs zuhause nur Filterkaffee trinken. Jan hat seine liebe Mühe, trotz riesiger Auswahl entsprechend gemahlenen Kaffee für seine Espresso-Maschine zu finden. Die andere Eigenheit ist, dass viele Geschäfte, insbesondere Epiceries in kleineren Ortschaften, am Mittwoch Nachmittag schliessen. Weil am Mittwoch schulfrei ist.

Die Fahrt mit Jan und Jan gestaltet sich sehr angenehm, Tempo und Tagespensum passen. Die Landschaften sind abwechslungsreich. Wir wählen, bezogen auf die Michelin-Karte, nur weisse oder gelbe Landstrassen, vorzugsweise zusätzlich grün (für landschaftlich reizvolle Strecken) gefärbt. Und solche, die durch Nationalparks führen. Etwa durch den Parc National des Ecrins. Oder den Parc Naturel Régional du Vercors. Kurvenreiche Strecken, sehr wenig Verkehr (ausser ein paar Motorradfahrer, die Jan alles andere als liebt…), tolle Landschaften.

Was eine Velotour durch Frankreich zu einem Erlebnis macht, ist sicher die Tour de France oder besser gesagt der Velosport, der den Franzosen viel bedeutet. Und was noch angenehmer ist, das gute Essen. Wir verwöhnen uns jeden Abend mit neuen Rezepten. Meistens gibt es eine Gemüsepfanne, Pasta und Käse. Und natürlich eine Flasche Wein. Unterwegs kaufen wir direkt vom Hof Ziegenkäse bzw. Tome ein. Zusammen mit einer Baguette ergibt das ein herrliches Mittagssnack.

Wir leben wie Gott in Frankreich. Einmal fragen wir Einheimische, ob wir im Garten zelten können. Zunächst noch etwas skeptisch, doch Albert und seine Ehefrau tauen sehr schnell auf, haben eine Riesenfreude an der Abwechslung der niederländisch-kanadisch-schweizerisch-italienisch-spanischen Gesellschaft. Albert bringt uns einen Campingtisch und Stühle raus. Danach trinken wir noch gemeinsam Tee. Frische Verveine aus dem Garten. Albert mag ihn gar nicht und macht keinen Hehl daraus. Albert und seine Ehefrau kennen sich seit der Schulzeit, beide sind Urgrosseltern, waren Schullehrer.

Heute sei die „rentrée“, Schulbeginn nach den Sommer-Ferien, gewesen. Das haben wir mitbekommen. In der Schlagzeile der Tageszeitung „Dauphiné Libéré“  war die Rede von  12 Millionen Kinder und Jugendliche, für die wieder der Halb-Ernst des Lebens anfängt.  Irgendwie merkt man, dass Albert und seine Frau Lehrer waren. Man hört ihnen gern zu: „prennez cette route, vous allez vous régaler; non, le prochain col n’est pas méchant !“ Ausser im Winter, wenn sie in einer Wohnung in Grenoble sind, leben sie im schönen Landhaus von Albert, das bereits 300 Jahre alt ist und wo er zur Welt kam. Unsere Gespräche werden durch das neue Haustier unterbrochen: eine chauve-souris, eine Fledermaus, flattert durch die Küche. Seit zwei Tagen sei sie hier drin. Im Zelt sollen wir keine Angst haben, höchstens ein Dachs werde sich bemerkbar machen. Dachs auf französisch: le blaireau. Blaireau und vélo: der mehrfache Tour de France Sieger Bernard Hinault kommt ins Gespräch. Am nächsten Tag gibt uns Albert noch eine Flasche Wein mit: „Pour l’amitié.“ Sie bedanken sich nochmals, dass wir sie mit unseren Reiseerzählungen für ein paar Momente in die weite Welt entführen konnten. Merci à vous !

Unzählige Cols befahren wir, kleinere und grössere. Und ganz langsam ändert sich auch die Landschaft. Plötzlich ockerfarbene Steinhäuser mit hellblauen Fensterläden. Und dann ein angenehmer provenzalischer Duft: Thymian, Rosmarin, Lavendel. Lavendelfelder so weit das Auge reicht. Obschon die Ernte bereits vorüber ist, duftet es wie in einem Kräuterladen. Es gibt anscheinend zwei Arten von Lavendel: la lavande vraie ou fine und le lavandin. Erstere ist die noblere Variante, die zweite ist die ergiebigere. Beides ergibt jährlich 1’000 Tonnen ätherisches Öl lavandin und 90 Tonnen Öl lavande.

Hier ein paar Links:

www.routes-lavandes.com

www.grandes-traversee-alpes.com

www.lavande-provence-aoc.com

Le „géant de la Provence“, dieser eigenartige Berg, windumtost, steinig und kahl, ohne jegliche Vegetation am Gipfel. Le Mont Ventoux. Noch so ein legendärer Berg der Tour de France. Wer hält den Rekord ? Marco Pantani ? Tragisch die Etappe 1967, an der kurz vor dem Gipfel Thom Simpson an einer Herzattacke starb. Hitze, Anstrengung, Müdigkeit und – angeblich Doping – waren zuviel des Guten.

Unglaublich wie beliebt dieser Berg bei Velofahrern ist. Es ist Freitag und es wimmelt nur so von Velofahrern. Von ganz verbissenen mit aalglatt rasierten und braungebräunten, sehnigen Beinen bis hin zu bierbäuchigen Gestalten mit hochrotem Kopf auf City-Bikes, die ihr Gerät mehr stossen als fahren. Was für uns nicht in Frage kommt. Jan fährt zur Hochform auf und erniedrigt einige Rennvelofahrer, indem er sie mit vollbeladenem Fahrrad überholt. Ich fröne meiner Leidenschaft, dem Fotografieren, und büsse dies nach jedem Fotohalt mit brennenden Beinen. Allez Richard ! Nach dem Mont Ventoux campen wir nochmals zusammen, in Malaucène verabschieden wir uns dann. Danke Jan und Jan für die tollen gemeinsamen Tage ! Das war ein unvergesslicher Start für mein bevorstehendes Abenteuer !


Im Paradies der “cyclo-grimpeurs”

In Lausanne gibt es zunächst einen Empfang durch den Stadtpräsidenten, den Syndic Daniel Brélaz. Von der Korpulenz und seiner Kravatte mit Katzen-Motiv her unverwechselbar. Der Empfang findet auf der Place de Palud statt, Punkt 10 Uhr fängt das Glocken- bzw. Soldatenspiel vor dem Brunnen an, wir warten daher. Obschon Mélanie und ich am Morgen rechtzeitig abfahren, unterschätzen wir etwas die Lausanner Steigungen. Wir schaffen es aber rechtzeitig, Marie von Helvetas wartet bereits auf uns. Der Empfang selber, ganz in der Nähe des Büros von Helvetas in der Rue de la Mercerie, fällt sehr sympathisch, unkompliziert aber dennoch feierlich aus. Ein Glas Waadtländer Weisswein gehört selbstverständlich dazu. Danach gibt es Kaffee im Büro der Helvetas. Danke Marie für die Organisation.

Danach nimmt Mélanie – zum Glück nur für wenige Wochen – Abschied von mir und steigt in den Zug nach Liestal ein. Ich statte den ehemaligen Lausanner Arbeitskollegen im Schadendienst noch einen kurzen Besuch ab. Um 14.30 dann endlich los Richtung Genf, wo ich eine Kollegin aus der Kunstgewerbeschule treffe. Ich habe sie seit über zehn Jahren nicht mehr gesehen und es die Gelegenheit, kurz ein, fast zwei Jahrzehnte Revue zu passieren. Brigitte, merci beaucoup pour l’accueil sympa !

Kurz vor Veyrier sorgt ein Helvetas-Plakat für zwei Begegnungen. Als ich mein Velo vor dem Plakat ablichten möchte, grüsst mich ein Afrikaner, in rasanter Fahrt mit einem Kickboard etwas zu und zeigt auf das Plakat. „Yeahhh, je trouve ça bien ça, super !“. Ich frage ihn, woher er stamme. Aus Benin. Ja, dahin will ich hin. Er ist völlig aus dem Häuschen, schüttelt mir die Hand, kann es kaum glauben, gibt mir die Adresse seiner Tante in Cocotomé, was soviel heissen soll: Wald voller Kokosbäume. Ein Marokkaner auf einer Harley mit cooler Sonnenbrille und glitzerndem Helm fragt mich danach ganz scheu, ob ich Profifotograf sei. „Nein, wieso ?“ Er wolle seinem Sohn gerne ein Foto von sich und seiner Harley schenken. Vor dem Helvetas-Plakat posiert er trotzdem gerne für mich. Shukran !

Östlich von Annecy werde ich nächstentags von Jan und Jan erwartet. Ich habe sie 2006 in Kirgistan kurz vor der Grenze zu China nach dem Irkeshtam-Pass kennengelernt. Wir sind danach zusammen mit einem belgischen Paar nach Kashgar gefahren. Und seither haben wir den Kontakt aufrecht erhalten und sind in der Schweiz ein paar Alpenpässe und letztes Jahr von Amsterdam in die Schweiz gefahren. Sie sind soeben von einer über sechsmonatigen Velotour in Südostasien, China und der Mongolei zurückgekehrt (www.bikehiker.com) und eskortieren mich nun noch eine Weile, bevor sie sich in der Genfersee-Region niederlassen.

Um einen Monat lang einem Sprachunterricht in Annecy besuchen zu können, haben sie ein Appartement in Thônes gemietet. Die Besitzer, Laurent und Nadia, laden uns spontan ein, bei Ihnen zu übernachten. Wunderbar ! Die Nachbarn Thierry und Bernadette werden auch eingeladen und weitere Gäste kommen hinzu. Ein Barbecue mit viel Fleisch und ein Tisch voller Salate ist das Richtige, um in Form zu kommen. Laurent und Nadia leben in Thônes in einem sanft renovierten Bauernhaus, vermieten zwei niedliche Gästezimmer (www. gite-belfer.com), kennen sich in der Honigproduktion, Herstellung von Poterie und dem Pilzesammeln bestens aus und haben eine gesunde Lebenseinstellung.

Danach starten wir zu Dritt und nehmen wohlgenährt und gestärkt die ersten Hügel der Haute-Savoie in Angriff. Zunächst ein paar unbekannte und kaum grösser als den Chilchzimmersattel im Baselbiet, den Col de Marais, den Col de l’Epine. In Albertville, bekannt durch die Olympia-Winterspiele 1992, machen wir kurz Halt. Danach Camping im Tal. Am nächsten Tag dann der erste grosse Anstieg. Kräftezehrende 1’600 Höhenmeter mit vollbeladenem Velo. Aber wir schaffen es bis zum Col de la Madeleine auf 2’000 Metern. Und Jan verflucht all die Motorradfahrer. Nach einem selbstgekochtem Espresso, Käse und Brot geht es wieder runter. Um die Felgen zu schonen, halte ich vier, fünf Mal an und kühle sie mit Wasser ab.

Heute hatten wir einen Ruhetag. Oder auch nicht. Schuld daran war WiFi im Camping. Der moderne Reisende meint, alles im Vornherein organisieren zu müssen. Und so bleiben wir etwas zu lange im Netz hängen. 20 Kilometer fahren wir dennoch bis zur „La Maurienne, le plus grand domaine cyclable du monde“, wie für diese Stadt ganz unbescheiden Stadt Werbung betrieben wird: Saint-Jean de la Maurienne , dem „paradis des cyclo-grimpeurs“. So lange wie der Name sind auch die Alpenpässe, die von hier starten: Col de la Croix de Fer, Alpe d’Huez, Col du Galibier, Col du Télégraphe, Col de l’Iséran. Unverkennbar, dass diese Stadt eng mit der Tour de France und dem Velosport verbunden ist.

Überall Velos. Vor allem Rennvelos. Als Velo-Toureros sind wir hier eher die Ausnahme. In einem etwas in die Jahre geratenen Veloladen, „Cycles Solaro“, fallen mir handgemachte Laufräder auf. Die Speichen sind gebunden aber nicht gelötet. Alle würden löten, nur er könne dank spezieller Technik ohne Löten binden. Meine Aussage, wonach heutzutage handgemachte Laufräder mit gebundenen Speichen eine Rarität seien,  kommt nicht ganz an. Trotzdem zeigt uns Tonda Louis stolz seine Werkstatt, sein selbst konstruiertes Rennrad fürs Zeitfahren, ein Foto mit persönlicher Widmung von Jacques Anquetil, einer Ikone der Tour aus den Sechziger-Jahren. Seit 65 Jahren fahre er Rad. Und heute morgen sei er auch unterwegs gewesen, mit einem 38er-Schnitt, allerdings sei es ein bisschen windig gewesen. Jan packt die Gelegenheit beim Schopf und lässt sein ausgeleiertes Tretlager auswechseln.  Mal schauen, wo wir überall das neue ausprobieren werden. Bis dann !


Ein heisser Start

Bezogen auf die Temperaturen. Sicher eine gute Einstimmung auf den heissen Kontinent. Aber schweisstreibend und anstrengend. Und wie vor über fünf Jahren, als ich mit dem Velo nach Tibet aufbrach, wurde mir auf dem Anstieg von Rothenfluh nach Anwil bange. “Mamma mia, wie will ich das bloss schaffen ?” Das Gepäck fühlt sich tonnenschwer an. Die Hitze, auf welche die Schweiz seit längerem gewartet hat, ist erbarmungslos. Am liebsten würde ich bloss mit einer Unterhose reisen.

Die letzten Wochen waren mit Wohnungsauflösung, letzten Vorbereitungen, Abschieds-Grillfest und Abschied nehmen intensiv. Zum Glück reichte es wenige Tage vor der Abfahrt doch noch zu einer “gemütlichen” Ausfahrt mit dem Rennvelo zusammen mit Andy. Ueber  1’000 Höhenmeter trieb er mich durch das Baselbiet und am Schluss gab es noch Hochprozentiges: der 20 % Anstieg von Eptingen nach Läufelfingen. Danke, Andy !

Mélanie, die mich bis nach Lausanne begleitet, ist nicht traurig darüber, dass wir die erste Woche gemütlich angehen. Trotzdem wird es fast 11 Uhr, als wir am Montag, dem 22.8.2011 von einem engen Kreis von Freunden und meiner Mutter vor dem Brunnen auf dem Zeughausplatz starten. Nach über 1’000 Höhenmetern und etwa 8 Litern Wasserverbrauch pro Kopf kommen Mélanie und ich endlich in Zürich an. Gabriela, die Freundin von Beat, empfängt uns sehr herzlich und bereitet uns ein feines Znacht vor. Beat habe ich in Kashgar während meiner Tibet-Reise kennengelernt. Als einziger Radler von all denen, die sich im Chini Bagh Hotel eingefunden hatten, fuhr er nicht nach Tibet sondern nach Pakistan über den Karakorum Highway ( Hier geht es zu seiner Seite). Vor wenigen Tagen ist er in die Staaten gereist, um sich auf den Iron-Man Hawaii vorzubereiten. Beat, Dir viel Erfolg und vielen Dank für die tolle Gastfreundschaft an Dich, liebe Gabriela !

In Zürich bereitet Helvetas mir einen warmen und herzlichen Empfang vor. Helvetas Geschäftsführer Melchior Lengsfeld und Stadtrat Daniel Leupi halten eine kurze und bewegende Rede. Daniel Leupi eskortiert mich sodann bis zum Central-Platz. Hier geht es zum Newsletter von Helvetas.

Nun, die heissen Sommertemperaturen geben danach die Route vor. Wir lassen vom Vorhaben ab, noch einige Alpenpässe einzubauen. Was sich als vernünftig herausstellt, denn ich will es nach meinem Unfall vor drei Monaten ohnehin langsam angehen. Alles zu seiner Zeit. Zunächst also in die Kühle des Sihlwaldes, wo die erste Camping-Übernachtung ansteht. Und gleich die Feuertaufe für mein neues Zelt, denn abends beim wohlverdienten Bier fängt es heftig an zu gewittern. Danach suchen wir stets die Nähe von Seen auf, um im Bedarfsfall eine Abkühlung zu nehmen.

Gelegenheit, um auf mein Vorhaben und mein Spendenprojekt mit Helvetas aufmerksam zu machen, gibt es ebenfalls. In Zug an einem Kiosk am Strand lacht mich beispielsweise ein rotes Portemonnaie auf einer Sitzbank an. Jemand hat es ganz offensichtlich liegengelassen. Mit Hilfe eines Passanten und dessen Iphone finden wir rasch die Telefonnummer heraus. Die gute Frau weiss zu jenem Zeitpunkt noch gar nicht, dass ihr die Brieftasche abhanden gekommen ist. Als Finderlohn bedinge ich mir nicht etwa eine Zuger Kirschtorte per express nach Ougadougo – zu gegebener Zeit – heraus, sondern “Tilgung durch Leistung an einen Dritten”, sprich durch eine Spende an Helvetas. Besten Dank, Frau S. !

Dass Wasser lebenswichtig ist aber auch seine Tücken haben kann, finden wir am Thunersee heraus. Kurz vor Spiez halte ich es nicht mehr aus. Kurzerhand parke ich mein Velo auf dem Rasen, klettere zwei Meter die grossen Steine runter und springe nackt in den See. Mélanie will mich abfotografieren. Ihren Drahtesel hat sie dabei etwas zu nahe am Rand des Rasens geparkt, der Ständer versinkt im weichen Boden und das ganze Velo mitsamt Packtaschen dreht sich auf die Seeseite und fällt ins kühle Nass. Im Adamskostüm versuche ich zu verhindern, dass das Velo ganz ins Wasser fällt und schreie, da Mélanie ohnehin die Kamera in der Hand hält: “Schiess ein Bild, mach schon !” “Nein, nein, retten wir zuerst das Velo !”.

Von Spiez geht es weiter Richtung Simmental und Diemtig, dort wo der Schwingerkönig Kilian Wenger beheimatet ist. Endlich dann ein erstes Höhentraining. Der Jaunpass mit rund 1’500 Metern steht uns bevor. Das Wetter hat umgeschlagen, oben auf dem Pass ist es 11 Grad kalt. Anstatt einer erfrischenden Glace gibt es deshalb eine heisse Gulasch-Suppe. Von Bulle bis nach Lausanne stehen wieder einige Höhenmeter an. Doch das Training der letzten Tage macht sich langsam bemerkbar und trotz etwas Müdigkeit kommen wir bei Sonnenschein in Lausanne an. Hier können wir bei Marc-Olivier, einem Freund von Vincent, übernachten. Nach der wohlverdienten Dusche improvisieren wir einen Teller Pasta.