Reisebericht

Noch lange nicht langweilig

Den letzten Beitrag habe ich in Almaty veröffentlicht. Mittlerweile bin ich bereits im 1’800 Kilometer entfernten Chiva in Usbekistan. Höchste Zeit für eine Aktualisierung also. 

Die fast 800 km von Almaty bis nach Shymkent sind eher flach und nicht besonders reizvoll. Abgesehen davon, dass es nicht viele Alternativrouten gibt und man auf der Hauptverkehrsachse unterwegs ist. Ich schenke sie mir und stelle dafür die kasachische Bahn auf die Probe. Am Morgen fahre ich zum Bahnhof. Innert 10 Minuten erhalte ich für umgerechnet 20 Franken ein Business-Ticket für den Nachtzug. Danach folgt der wichtigere Teil: der Velotransport. Das entsprechende Büro ist rasch gefunden. Das Stahlross wird gewogen, 5000 Tenge, rund 10 Franken, muss ich berappen und ich soll mich eineinhalb Stunden vor der Abfahrt einfinden. Es klappt alles wie am Schnürchen. Ich vertraue dem Gepäckdienst mein Rad an und warte danach eine knappe Stunde. Mein Schlafabteil im modernen, von Spaniern gebauten Zug, ist rasch gefunden. Alles sehr sauber, weisse Laken, zahlreiche Kontrolleure im tadellosen, blauen Anzug. An Freundlichkeit sind sie nicht zu überbieten. Der Zug fährt pünktlich ab und kommt genauso pünktlich um 5.10 an. Alles in allem: Daumen hoch. 

Da ich ein gutes Stück nach Westen gereist bin, ist es nun eine knappe halbe Stunde länger hell am Abend. Und dunkler am Morgen. Allerdings nur bis ich in Usbekistan bin. Dann werden die Uhren wieder um eine Stunde zurückgedreht.

Ich muss nun noch zwei Stunden in der Dunkelheit ausharren, trinke Kaffee, sitze rum und fahre dann irgendwann los, um in der Morgendämmerung eine Stadtrundfahrt zu absolvieren. 

Shymkent weist knapp eine Million Einwohner aus und ist ohne besondere Anziehungskraft. Ich möchte hier nur eine Nacht verbringen und dann gleich weiterziehen. Aber nächstentags regnet es Bindfäden. Und mein linkes Augenlid fängt an zu kratzen und schwillt an. Ich ahne es schon: eine Augenlidentzündung oder ein Gerstenkorn. Ans Weiterfahren ist nicht zu denken. Ich sehe bald aus wie Rocky Balboa nach einem Boxkampf. Eine Zwangspause von weitern vier Tagen Krankenbett, bis das Auge abschwillt, ist angesagt. Immerhin habe ich mit dem Hostel Sweet Home, von einer Griechin geführt, ein äusserst saubereres Guesthouse gefunden. Tagsüber schaffe ich es knapp bis in den nächsten Magnum Supermarkt, um ein paar Viktualien einzukaufen und mir dann etwas zu kochen. 

In einer Apotheke hole ich mir Augentropfen und eine Augensalbe. Es wird für mich die mühsamste Zeit meiner ganzen bisherigen Reise werden. Noch nicht einmal richtig lesen kann ich. Und es läuft mir Zeit davon, die ich anderweitig gebrauchen könnte. Aber fluchen nützt nichts, es ist kein Beinbruch, ich habe keinen Zeitdruck und zum Glück kann ich irgendwann einmal endlich wieder motiviert starten. 

Die Kasachen machen es mir in den drei Tagen bis zur usbekischen Grenze wirklich schwer, sie nicht ins Herz zu schliessen. Von Shymkent geht es zunächst zur Ortschaft Sajam. Sobald ich ausserhalb der Stadt bin, es ländlicher wird und ich der Anonymität entkomme, spüre ich Neugier und der Kontakt zu den Einheimischen ist schnell hergestellt. Schon nach wenigen Kilometern die erste Einladung zum Tee von einem Kasachen, der sein Pferd am Strassenrand zum Grasen ausführt.

In Sajam schaue ich mir rasch die Freitagsmoschee und ein kleines Mausoleum an und werde nochmals eingeladen. Beide Einladungen lehne ich allerdings dankend ab, denn ich will heute weiterkommen. Die Landschaft wird hügelig, ich sammle einige Höhenmeter und kann damit die sehr stark befahrene Verbindungsstrasse Shymkent nach Tashkent umgehen. 

Auf 1’000 Metern über Meer, biege ich in einen Trampelpfad ab, stosse mein Rad über Weizenstoppeln und schlage mein Zelt versteckt hinter ein paar Hügeln neben einem Acker auf. 

Als ich kochen möchte, dann die Überraschung: die Benzinpumpe des Kochers ist undicht, das Benzin fliesst regelrecht raus, sobald ich Druck erzeuge. Ich reinige alle Teile, fette die Lederdichtung, doch nichts zu machen. Nach einer Stunde, es ist bereits dunkel, gebe ich auf. Das Teil ist kaputt, muss ersetzt werden. Mein nächster Kocher wird nicht mehr von Primus sein, soviel steht fest. Ärgerlich, weil vor der Abreise die alte Pumpe ebenfalls den gleichen Defekt hatte und ich eine neue gekauft hatte. Es gibt dann halt nur Brot, Pferdesalami, Käse und Erdnussbutter zum Abendessen. Mit 14 Grad ist es noch erstaunlich warm, es ist diesig und Vollmond. 

Ich fahre dann runter zu einer Ortschaft, wo ich dann auf die ‘Autobahn’ ausweichen muss, um nicht einen Riesenumweg zu fahren. Jumadulla, ein Restaurantbesitzer Mitte 50, lädt mich dort nach einem kurzen Schwatz zu Laghman und Samosa ein. Nach 14 Kilometern Highway kann ich wieder auf einer normalen Strasse fahren. Es ist zwar noch nicht einmal 15 Uhr, doch die 50 Kilometer bis Tashkent muss ich vertagen. Erstens geht um 17.22 Uhr die Sonne unter.  Zweitens muss ich mit Chernayevka den am meisten frequentierten Grenzübergang Zentralasiens passieren. Und drittens habe ich es mir zur Angewohnheit gemacht, bereits um die Mittagszeit in eine Grossstadt reinzufahren. Im Abendverkehr nach einer Bleibe suchen zu müssen und auf die Gefahr hin, von der Dunkelheit überrascht zu werden, ist zu stressig.

Ich stelle mich also aufs Zelten – ohne Kocher – ein. Mehr aus Neugier frage ich in Qazigurt nach, ob es eine gastiniza habe. Es soll eine geben, meint ein Herr. Ob sie offen sei, ist aber fraglich. Ich frage dann nochmals nach. Mels, der gerade mit seiner Familie im Auto losgefahren ist, führt mich dahin, doch die Herberge hat wohl schon vor Jahrzehnten seinen letzten Gast verabschiedet. Kurzentschlossen meint er, ich solle ihm folgen. Er fährt zu seinen Eltern zurück, lädt mich dort ab, weist mir einen Schlafplatz im Essraum zu und verschwindet dann. Sein Name sei übrigens leicht zu merken: Mels wie Marx, Engels, Lenin und Stalin, meint der Elektroingenieur scherzend.

Um 17 Uhr kommt er mit seiner Frau und seinen vier Kindern zurück, heizt mir Wasser auf, damit ich mich waschen kann und die Frau bereitet das Abendessen vor. Eine sympathische Begegnung. Weniger jedoch seine vier riesigen Hunde – zum Glück angebunden oder im Zwinger. Da er und seine Frau am nächsten Tag zur Arbeit müssen, starte ich früh, doch die obligaten Erinnerungsbilder müssen sein.

Keine zehn Kilometer vor der Grenze fährt ein weisser Lada neben mir her und eine Babuschka wie aus dem Bilderbuch streckt mir lächelnd eine 100 Tenge-Note entgegen. Fliegendes Sponsoring. 

Mir wird fast ohnmächtig, als ich dann an der Grenze die 200 Meter lange, vierspurige Kolonne von überladenen Vehikeln, Bussen und Autos sehe. Doch ich kann den Trumpf des exotisch anmutenden Radreisenden ziehen und lächelnd fahre ich an allen vorbei. Und muss dann gar nicht so lange anstehen. Nach einer Stunde bin ich durch, habe den Einreisestempel von Usbekistan in meinem Pass, wechsle meine restlichen Tenge in usbekische Som und verlasse den hektischen Ort rasch. 

Schon fast fluchtartig habe ich vor 17 Jahren Usbekistan verlassen und mich nicht weiter um einen Termin beim Polizeikommissariat gekümmert (dazu mehr im nächsten Beitrag). Was für ein Unterschied zu 2006, als ich in einem bürokratischen  Spiessrutenlauf zwei Wochen in Ankara verbracht habe, um alle meine zentralasiatischen Visas zu sammeln. Heute kann man als Europäer visumsfrei für 30 Tage in alle zentralasiatischen Länder einreisen. Ausser Turkmenistan. Derzeit gibt es noch nicht einmal ein Transitvisum. 

Ich bin gespannt auf das neue Usbekistan, mit rund 35 Millionen Einwohnern das bevölkerungssreichste Land in Zentralasien. Seit dem Tod des Autokraten Islam Karimov 2016 und der Machtübernahme durch den neuen Präsidenten Shavkat Mirziyoyev weht ein neuer Wind. Das Land öffnet sich nach innen und aussen. Eine neue Ära hat begonnen. Touristen sind nicht mehr einfach geduldet sondern willkommen.

Tashkent ist nicht mehr weit. Der übliche üble Grossstadtverkehr und bald bin ich in meiner Unterkunft. Ich bleibe nur einen Tag, ziehe an einem ATM eine Million Som, kaufe mir eine Gaskartusche für den Kocher, besuche das historische Museum und fahre gleich wieder los. 

Auf der Karte verspricht die Strecke nach Samarkand langweilig zu werden. Flach, oft auf stark befahrenen Strassen. Ich mache das Beste daraus, plane eine Strecke auf Nebenstrassen und einen Abstecher in die Berge und ins Grenzgebiet zu Tadschikistan, vor wenigen Jahren noch unvorstellbar. 

Die ersten Tage übe ich mich als Flachland Indianer. Es macht mir Spass, meinem GPS-Trackzu folgen, an Wasserkanälen entlang, durch ländliches Gebiet und durch kleine Dörfer, wo ich oft die Aufmerksamkeit auf mich ziehe. Schnell wird klar, dass auch die Usbeken sehr gastfreundlich sind. 

In einem Mini Market möchte ich Brot kaufen. Die Lehrer von der Schule nebenan bringen mir Plov und laden mich zum Essen ein. Es sei ein tadschikischen Dorf, klären sie mich auf. Keine Chance, die Einladung abzulehnen.

Beim Fluss Syrdarja muss ich dann auf die Hauptverkehrsachse wechseln. Nach der Brücke über den Fluss geben sich alle Fischverkäuferinnen ein Stelldichein. Die Fische sind halb geräuchert und riesig.

Zahlreiche Granatäpfel-Stände am Strassenrand sorgen für weitere Abwechslung und ich werde mit Saft und Früchten beschenkt. 

Der Fluss Syrdarya entstammt dem Fluss Naryn in Kirgistan, dem ich vor einigen Wochen gefolgt bin und mündet in den nördlichen Aralsee. Ein ausgedehntes Bewässerungssystem, das zu Sowjetzeiten wegen der Baumwollproduktion forciert wurde, entzieht dem Fluss sein Wasser. Die Umweltkatastrophe wurde in Kauf genommen: der Aralsee ist praktisch ausgetrocknet und nur noch ein Schatten seiner selbst. 

Bei einem Pumpwerk frage ich den Wärter in seinem Kapäuschen, ob ich nebenan zelten könne. Neben einem alten verlassenen Haus finde ich einen Schlafplatz. 

Die Fahrt durch das steppenhafte Gebiet mit ehemaligen Kollektivfarmen ist gar nicht so langweilig und meistens gelingt es mir, auf weniger befahrenen Strassen unterwegs zu sein. 

In Zomin ist dann mit dem flachen Abschnitt Schluss. Von hier steigt die Strasse zunächst sanft an, dann geht es richtig bergauf. Unterwegs erhalte ich eine Flasche Bier geschenkt. Bei einem Aussichtspunkt mit Blick auf einen Stausee mache ich kurz Halt. Junge Usbeken mit dem obligaten weissen Chevrolet made in Usbekistan lassen sich mit mir fotografieren. 

Wegen der Augengeschichte bin ich etwas in Bedrängnis gekommen mit meinem Zeitplan. Dennoch lasse ich mir den Abstecher in den Zaamin Nationalpark nicht nehmen. Ich habe wenig Informationen darüber gefunden. Es gibt ein paar teure Hotels dort, eine neue Seilbahn. Wandern und Zelten sind aber verboten, es ist militärisches Gebiet an der Grenze zu Tadschikistan. 

Ich fahre einfach mal drauf los und schaue, was mich in der Schweiz Usbekistans erwartet. Wenige Kilometer vor dem Checkpoint zum Park finde ein nettes Family guesthouse, genau meine Kragenweite. Ein einfaches Zimmer bei einer Familie, ein freundlicher Gastgeber und zum Abschied erhalte ich Äpfel und Baumnüsse geschenkt. 

Ich bin bereits auf 1’300 Metern, nachts ist es kalt, tagsüber angenehm. Ich bezahle beim Checkpoint die Eintrittsgebühr und ab jetzt heisst es nicht zuviel Zeit verlieren und die 40 km und 1’500 Höhenmeter bis zum Nachmittag bewältigen, bevor ich mein Zelt irgendwo aufschlagen darf. 

Ein 700 Jahre mächtiger Walnussbaum am Strassenrand hält mich zunächst auf. Die gelb-braunen Herbsttöne gefallen mir sehr. Im Sommer ist es hier sehr grün und angenehm frisch und viel los. Es ist ein beliebter Ausflugsort, um der drückenden Sommerhitze zu entkommen.

Ich gewinne beständig an Höhe und bin dann bald in Zaamin, wo das Sanatorium aus den 70-er Jahren eine markanten Punkt setzt. Hier gibt es neuerdings auch eine Seilbahn, für die ich leider keine Zeit habe. 

Nach einer kurzen Mittagsrast fahre ich weiter und bald ist die Passhöhe auf 2450 Metern erreicht. Der Anblick auf der anderen Seite offenbart die Berge zur tadschikischen Grenze. Zwei, drei Kilometer und dann ist Schluss mit dem Asphalt. Offenbar kehren hier alle um und nur die wenigsten fahren hier weiter. 

Ein Usbeke rät mir eindringlich ab, weiterzufahren, die Strasse sei zu schlecht (tatsächlich ist die Piste für tadschikische Verhältnisse ausgezeichnet und mit dem Rad sogar ein Hochgenuss). ‘Betreten verboten’-Schilder spornen mich an, keine Zeit zu verlieren. Ich möchte es nicht darauf ankommen lassen. 

Endlich dann bin ich durch, es ist bereits nach 16 Uhr. Auf einer Anhöhe sehe ich Handwerker, die ein neu erstelltes Haus isolieren. Genau auf deren Höhe habe ich meinen ersten richtigen Platten am Hinterrad. Damit hat sich die Frage der Übernachtung auch gleich erübrigt, denn sie bieten mir an, im halbfertigen Haus zu schlafen. Der junge 35 jährige Besitzer Oqilbek kommt vorbei. Er wolle hier ein Hotel eröffnen, in einigen Jahren soll ja die Strasse neu gemacht sein. Die Lokalität ist ausgezeichnet ausgesucht, die Aussicht unschlagbar. 

Nun, es wird im kleinen Zimmer eingeheizt, einer kocht und bald wird die erste Flasche Vodka geöffnet und angestossen. Die Stimmung ist gut. Offenbar freuen sich die drei Handwerker über meinen unerwarteten Besuch. Und zwar derart, dass wir am Schluss drei leere Flaschen Vodka entsorgen. Um Mitternacht bin ich sturzbesoffen, anders kann ich es nicht ausdrücken. 

Am nächsten Tag starte ich spät, erst um 11 Uhr. Mein Kopf brummt und es fängt gleich mit 500 Höhenmeter Steigung zum nächsten Pass an. Na gut, dann kann ich den Restalkohol noch rausschwitzen. Die Strasse wird wirklich nicht oft befahren und ist teilweise zugewachsen. 

Es folgen herrliche 20 einsame Kilometer auf einer recht ordentlichen Piste bis zur ersten Ortschaft. Und schon bald fährt Oqilbek in einem Lada neben mir und lädt mich zum Essen im Haus seines Onkels ein. 

Nach einer Stärkung fahre ich dann weiter, damit ich anderntags Samarkand erreichen kann. Die Ortschaften nehmen zu, ein geschützter Zeltplatz schwierig zu finden. Ich frage daher nach Bakhmal in einem Dorf, ob ich irgendwo mein Zelt aufstelle könne. Nicht ganz unerwartet werde ich dann gleich von Shirmad eingeladen. Nun steht mir die Schlussetappe nach Samarkand bevor. Zunächst ein paar Höhenmeter und dann wird es wieder flach. 

Nach einem Lavash-Döner in Osmat und einem Schwatz mit Usbeken an einer Strassenkreuzung fahre ich noch zwei Stunden bis Bulungur. Dort möchte ich nochmals kurz etwas Kleines essen, bevor ich die letzten 30 Kilometer nach Samarkand in Angriff nehme. Die Entscheidung wird mir abgenommen. Ich fahre an einem Restaurant vorbei, laute Musik und viele festlich gekleidete Männer winken mir energisch zu. Keine Chance, ich werde schon fast reingezerrt. Eine ‘little wedding’, eine Verlobungsparty steuert gerade ihrem Höhepunkt entgegen. 

Ich werde gleich reich bewirtet und ein bisschen unwohl ist mir schon, verschwitzt, unrasiert und seit fünf Tagen ohne Dusche. Am T-Shirt zeichnen sich schon Slazkrusten ab. Macht nichts! Schon bald lande ich auf der Tanzfläche und schwinge das Tanzbein zu Modern Talkings ‘Cheri cheri Lady’. Einfach herrrlich. Was für ein Spass! Wenn es am schönsten ist, soll man bekanntlich gehen. Nach einer Stunde verabschiede ich mich. Meine Packtaschen werden noch zünftig mit Früchten gefüllt.

Die Alternativroute schenke ich mir nun, da ich in Verzug bin, und steuere die direttissima zu. Viel Verkehr aber genügend Platz auf der Schulter. 

Die Sonne geht langsam unter. Punktlandung. Bei Sonnenuntergang erreiche ich Samarkand und peile den berühmten Registan-Platz an. Erinnerungen an 2006 werden wach, als sich hier ein Drama abgespielt hat. Ich checke, wie damals, gleich um die Ecke im Bed and Breakfast Bahodir ein, ein beliebter Treffpunkt für Reisende. Der Sohn von Mr. Bahodir selig ist erfreut über mein Erscheinen und kann sich noch gut an mich erinnern. Er ist gerührt über die Fotos von seinem Vater, die ich ihm mitgebracht habe.


The Big Apple Zentralasiens

Mittlerweile bin ich in Almaty, der inoffiziellen Hauptstadt Kasachstan angekommen und geniesse das kulinarische Angebot. Aber erstmal zurück nach Kirgistan und Karakol.

Ich starte spät von Karakol, kurz vor Mittag. Es ist sonnig, angenehm. Die heutige flache Etappe wird mit 50 Kilometern kurz werden. Ich möchte vor einem kleinen Pass, einige Kilometer vor der Grenze übernachten. 

Dort werde ich in einem Dorf fündig, es gibt ein Homestay uns so kann ich bei Nurlan und seiner grossen Familie übernachten. Als ich mit Nurlan auf der Holzbank vor seinem Haus sitze, flitzt ein anderer Radler an uns vorbei. Ich rufe ihm zu, doch er hört mich nicht. 

Macht nichts. Ich werde Alexandre am nächsten Tag begegnen, er hat nach dem Pass gezeltet. Der 33-jährige Maschineningenieur stammt aus der Normandie und ist seit sieben Monaten mit einem Rad am Reisen, das er selber zusammengeschweisst hat (hier sein Blog: https://ltdg-adventure.travelmap.net ). Wir werden bis Almaty zusammen unterwegs sein.

Ça passe ou ça casse. Wir verstehen uns gut und so fahren wir zusammen zur kasachisch-kirgischen Grenze, und ich habe für die nächsten Tage ein Fotomotiv und muss das Stativ nicht aufstellen und mich mühsam in Szene setzen. Obwohl der Grenzübertritt entspannt ist – ich kann 30 Tage visumsfrei einreisen – bin ich doch etwas aufgeregt. Kasachstan, das neuntgrösste Land der Welt, ist für mich Neuland. 

Auffällig ist zunächst der Strassenzustand. Es rollt sich hier besser als in Kirgistan. Das Angebot in den Märkten scheint reichhaltiger zu sein. Flach geht es in die erste Ortschaft, wo wir an der Bushaltestelle vor der Moschee einen Mittags-Picknick veranstalten. Auch hier ist die Unsitte verbreitet, an Haltestellen, Monumenten oder schönen Plätzen in geselliger Runde Vodka zu trinken. Dagegen wäre ja nichts einzuwenden, wenn nicht die Flaschen einfach liegen gelassen würden, die irgendwann kaputt gehen und einen Scherbenhaufen hinterlassen.

In der ersten Kleinstadt Kegen kaufen wir zunächst eine SIM-Karte und lassen diese einrichten. Danach fragen wir im Hotel Kegen nach einem Zimmer. Die Dame, die offenbar für ein Taxiunternehmen arbeitet, ist wenig motiviert, wimmelt uns ab und so suchen wir das zweite Hotel auf. 

Dort schaffen wir es, uns innert einer Stunde rauswerfen zu lassen. Alexandre geht als erster duschen. Die schicke Duschkabine mit vielen Knöpfen, Hebeln und Lichtern ist leider nicht richtig angeschlossen und so merkt er während des Duschens nicht, dass Wasser ausläuft und ungewollt den Gang und das Nachbarzimmer unter Wasser setzt. Ein aufgebrachter Junge beschuldigt ihn, die Kabinentüre nicht verschlossen zu haben. Ich versuche zu beschwichtigen, doch der Jüngling redet sich in Rage, möchte Schadenersatz von uns. Er erklärt uns beide zu persona non grata. Es ist uns sowieso zu blöde, derart behandelt zu werden. Ruhig packen wir unsere Sachen und gehen zum Hotel Kegen zurück und kriegen diesmal ein Zimmer. Einfach aber zweckmässig. 

Unser Plan ist es, den eindrücklichen Charyn Canyon zu besuchen und danach durch ein Naturreservat und über einen 2’800 Meter hohen Pass nach Almaty zu fahren. Den zweiten Teil müssen wir wetterbedingt ans Bein streichen. 

Nach Kegen fahren wir gestärkt auf gutem Asphalt Richtung Charyn und bewältigen einige Höhenmeter. Alexandre ist seit dreizehn Tagen ohne Ruhetag unterwegs und macht ‘mauvaise fortune, bon cœur’, gut Miene zum bösen Spiel. Die Müdigkeit ist ihm langsam anzumerken. 

An einem Parkplatz zieht ein Falke die Aufmerksamkeit auf uns. Ich habe Mitleid mit dem Besitzer, meine zu glauben, dass er den ganzen Tag untätig rumsitzen muss und lasse mich für 3’000 Tenge (rund 5 Euro) fotografieren. Danach fährt ein rappelvoller Touristenbus vor und belagert die Stätte und steht dort regelrecht Schlange.

Wir verziehen uns rasch, fahren die letzte Steigung hoch. Jetzt geht’s runter, der Charyn Canyon wartet auf uns. Nicht nur der. Sondern auch ein visitor center, ein Restaurant, eine Imbissbude und unzählige Touristen. Vor 17 Jahren, als Kathrin und Andreas, Freunde aus der Schweiz, die ich auf dem Pamir seinerzeit kennengelernt habe, dort waren, muss es noch ganz ruhig und beschaulich zu und her gegangen sein. Andreas, von Beruf Fotograf, hat einige sehr schöne Bildbände publiziert, die man hier bestellen kann: https://www.maisoncatalina.fr/de/bestellung.html (übrigens betreiben nun Kathrin und Andreas ein tolles B+B unweit von Montpellier!).

Nicht weiter schlimm, denn die Touristen verziehen sich alle am Abend und wir geniessen das Privileg, mit dem Rad durch das ‘Valley of Castle’ fahren zu dürfen und beim Fluss zu zelten. 

Dort versuche ich mich etwas in der Nachtfotografie und mein drittes Bild ist ein Glückstreffer. In doppelter Hinsicht, weil die Bildkomposition stimmt. 

Am nächsten Morgen, es ist Freitag, der 13., stehe ich früh auf, um den Sonnenaufgang zu erleben. Als ich zurück beim Camp bin, ist es schon diesig und es zieht ein unsäglicher Wind auf. Es wird ungemütlich. Wir verdrücken rasch unser Müsli und packen zusammen. 2.7 Kilometer und 250 Höhenmeter zum Aufwärmen. Am Schluss veloschiebend. Der Preis für die Übernachtung am Fluss.

Danach 9 Kilometer bis zur Abzweigung zur Hauptstrasse. Der Wind pfeift uns frontal ins Gesicht und wir benötigen tatsächlich über eine Stunde für dieses kurze Stück. Die nächste grössere Ortschaft ist rund 70 Kilometer entfernt. Wir beraten uns. Derart gegen den Westwind anzutreten, macht keinen Sinn, ausser man ist wirklich masochistisch veranlagt. Zudem verheisst der Wind schlechtes Wetter, in Almaty regnet es bereits. Zähneknirschend müssen wir in den sauren Apfel beissen und wie begossene Pudel stehen wir also am Strassenrand, den Daumen hochhaltend.

Nach einer halben Stunde hat der Fahrer eines leeren Kleinbusses Erbarmen mit uns und nimmt uns bis Shelek mit. 

Dort ist es bereits sehr bewölkt und frisch. Bald fängt es an zu regnen. Wir müssen hier einen Tag im Hotel Rosa zwangspausieren. Ein anderes französisches Radlerpaar hat sich ebenfalls hier einquartiert. Viel unternehmen kann man in dieser Ortschaft nicht, ausser eine Runde um den unattraktiven Basar zu drehen, Laghman zu essen und Tee zu trinken. Es wird praktisch den ganzen Tag lang regnen. 

Endlich geht es weiter. Den Plan mit den Bergen haben wir ja schon begraben, es hat stark geschneit. Auffallend in Shelek sind übrigens die oberirdischen Gasleitungen.  

Wir finden eine ruhige Nebenstrasse südlich der zwei Hauptachsen, die nach Almaty führen. Dort sind wir dann fast ganz alleine und begegnen einigen Reitern mit ihren Herden. 

Wir möchten nochmals wild zelten, bevor wir in Almaty ankommen. Sicherheitshalber steuere ich eine Stunde vor Sonnenuntergang in Qarakemer den Dorfladen an, um dort nach Wasser zu fragen. Dem Wasser vom Fluss traue ich nicht und wir wissen ja nicht, wo wir zelten werden. 

Es findet gerade Inventur statt und die beiden Verkäuferinnen Natalia und Natalia haben eine helle Freude an uns zwei durchgeschwitzten Radlern. Wir bekommen Vodka und Speck serviert. Es läuft laute Rockmusik. Zum Abschied gibt es umsonst Schokolade, Brot und Bier. Die lebensfrohe Natalia senior lacht über ihren Buckel. Ihre Lebensfreude lasse sie sich deswegen nicht nehmen, scherzt sie. Der Kurzbesuch in diesem Laden ist der Aufsteller an diesem Sonntag.

Endlich fahren wir los. Die letzten Sonnenstrahlen sorgen für ein paar schöne Stimmungsbilder. La pomme est pour le vieux singe. Soviel Zeit muss sein. Ein Zeltplatz ist rasch gefunden. Unter einem grossen Baum, geschützt vor dem Nachtfrost, schlagen wir unsere Zelte auf. Ein paar Hunde bellen in weiter Entfernung und der Muezzin ruft zum Gebet auf.

Die letzten 20, 30 Kilometer bis Almaty sind nervenaufreibend. Der Verkehr nimmt zu und wir versuchen, die grossen Achsen zu vermeiden. Doch viele Lastwagen und SUV’s kommen uns gefährlich nahe. Schon am Morgen berührt uns ein SUV beinahe und wir erschrecken beide. Ich zeige dem Fahrer den Vogel. Dieser hält am Strassenrand an und wartet auf uns. Wie nett von ihm. Was das soll, gibt der bärtige, rund 30-jährige, bärtige Typ in Latschen uns zu verstehen. ‘Normalni’, alles fein meint er. Nein, schön ist es nicht, was ich gemacht habe. Was er getan hat, ist auch nicht schön aber vor allem lebensgefährlich. Er merkt es mir an, dass ich da keinen Spass verstehe und zieht von dannen.

Almaty. Elektrotrotinetts, Hunde an der Leine, Nagel- und Kosmetikstudios, ein reichhaltiges gastronomisches Angebot: die fast Zwei-Millionenstadt ist europäisch geprägt. Mit dem Zentralasien, das ich im Wakhan-Korridor oder im Pamir erlebt habe, hat es nicht mehr viel gemeinsam. 

1997 hat Almaty den Status als Hauptstadt verloren, ist aber immer noch das geschäftliche, wissenschaftliche und kulturelle Zentrum des Landes. Für Alexandre ist hier erstmal Schluss. Er packt seine Satteltaschen und wird nach Bangkok fliegen, um dort seine Reise fortzusetzen.

Die Tage verbringe ich mit Museumsbesuchen, zeichnen und schlendern. So besuche ich etwa das Museum für Volksmusikinstrumente, das ganz aus Holz gebaut ist. Und gleich beim Park der 28 Panfilowzy (Soldaten) kann die wuchtige Skulptur bewundert werden. Diese ist in Andenken an eine 28-köpfige Infanterie aus Almaty errichtet worden, die im 2. Weltkrieg getötet wurde. 

Dahinter ist die russisch-orthodoxe Holzkathedrale aus dem Jahre 1907.

Almaty heisst auf kasachisch ‘Vater des Apfels’ in Anlehnung an die Apfelplantagen. Eine Sorte sticht hier heraus: die grossen Aport-Äpfel, von denen es leider in der Gegend nicht mehr allzu viele gibt. Die meisten Grundstücke, auf denen der Apfel wuchs, sind mittlerweile verbaut worden. 

Die Orientierung ist einfach in Almaty.  Aufwärts heisst Süden Richtung Ile-Alatau-Gebirge und abwärts Norden. Die Strassen sind streng in Nord-Süd-Richtung angelegt, damit die frische Luft von den Bergen besser zirkulieren kann. 

Auffallend viele Bäume hat es zudem in der Stadt, die wegen der vielen Auto-Abgase nicht zu den saubersten gehört. In Zentralasien, wo es im Sommer wegen des kontinentalen Klimas jeweils sehr heiss wird, weiss man, wie man sich dagegen schützt. Viel unversiegelter Boden, Wassergräben, Bäume und Sträucher. Helle Fassaden. Bäume und nochmals Bäume. Vielleicht wird man sich in ein paar Jahren in Europa vermehrt vom zentralasiatischen Städtebau inspirieren lassen. Im Mikrorajon Samal 1 wuchern Bäume und Sträucher um die Wette. Wilde Ecken inmitten einer Grossstadt. Es muss nicht immer perfekt sein.

Ein Besuch im ‘grünen Basar’ darf nicht fehlen. Dieser muss sehr sehenswert sein, habe ich gelesen. Absolut, einer der aufgeräumtesten, übersichtlichsten und attraktivster Basare, die ich hier in Zentralasien gesehen habe. Und mit Stil. Alle Verkäuferinnen, Metzger und Fruchthändler tragen die gleiche weiss-grüne Uniform.

Klassische Gerichte wie Plov oder Laghman gibt es hier für einen Apfel und ein Ei, umgerechnet zwei bis drei Franken. Für mich heisst es nun, während meiner Reise eine Zugreise anzutreten. Ich werde mit dem Nachtzug nach Shymkent fahren und eine flache und wenig spannende Strecke von 700 Kilometern überspringen.


Herbstzeit in Kirgistan

Meinen letzten Reisebericht habe in Jangi Talap am Fusse des auf 3000 Metern liegenden Bergsees Song Köl geschrieben. Wegen Regenfällen blieb ich dort etwas ‘hängen’. Ein anderer Radler kam dort runter und berichtete davon, dass es in der Nacht geschneit habe und zeigt mir Fotos.

Da es wieder stark regnet (und am Song Köl schneit) sehe ich davon ab, den Moldo Pass in Angriff zu nehmen. Es geht also in einem Tag Richtung Westen durch ein sehr weites Tal bis nach Naryn. Unterwegs lässt sich eine Herde von baktrischen Kamelen, auf Deutsch Trampeltier, durch meine Anwesenheit nicht aus der Ruhe bringen. Endlich kann ich sie von der Nähe begutachten.

In der Abenddämmerung erreiche ich das auf 2’050 Metern gelegene Naryn, eine Stadt an der Seidenstrasse mit rund 41’000 Einwohnern. Von hier führt eine Strasse über den Torugart-Pass nach China. Heute die wichtigste Verbindungsstrasse zum grossen Nachbarn. Die Stadt ist mit rund 14 Kilometern extrem langgezogen. Ein wirkliches Zentrum ist nicht auszumachen. Trotzdem finde ich dank GPS ein nettes Guesthouse. Es ist bereits dunkel.

Ich habe es mir zur Angewohnheit gemacht, in den Städten die lokalen Museen zu besuchen und das Kulturprogramm etwas zu pflegen. Sonntags sind diese aber häufig leider geschlossen. Die Besitzerin meiner Unterkunft ist zufälligerweise die Museumsdirektorin und als sie mein Skizzenbuch sieht, lässt sie das Museum an diesem Sonntag eigens für mich öffnen.

Die nächsten Tage soll es schön bleiben. Also nichts wie los Richtung Tien Shan Gebirge. Wobei ich mich im Grunde genommen schon in dieser Grosslandschaft befinde, die vereinfacht gesagt von der Kysilkum-Wüste und dem Ferghana-Tal im Westen, dem Karakorum, dem Tarim-Becken mit der Taklamakan-Wüste im Südwesten und der Dschungarei begrenzt wird. Fast 2’500 Kilometer lang.

Der Tien Shan ist in mehrere, langestreckte Gebirgszüge mit Höhen bis über 7’000 Meter unterteilt, zwischen denen ausgedehnte Hochebenen bestehen. Das 198’000 Quadratkilometer umfassende Kirgistan befindet sich fast vollständig im Tien Shan. Mit rund 6 Millionen Einwohnern ist das Land eher dünn besiedelt. Der höchste Punkt des Landes ist der Khan Tengri mit 7’010 Metern an der Grenze Kasachstan, China und Kirgistan. Vom Khan Tengri aus führt der südliche Inyltschek-Gletscher, der weltweit grösste Gletscher ausserhalb der Polarregionen sage und schreibe 60 km westwärts.

Aus Schweizer, ja sogar aus Baselbieter (und genau genommen auch aus Schwarzbubenländerischer) Sicht ist der Khan Tengri, der nördlichste Siebentausender, bemerkenswert. Die Drittbesteigung erfolgte nämlich unter anderem durch Lorenz Saladin aus Nuglar-St. Pantaleon, einen Steinwurf von meiner Heimatgemeinde Liestal entfernt. Und endete leider tödlich für ihn beim Abstieg. Die (leider auch) jung verstorbene Annemarie Schwarzenbach hat die Fotos Saladins aufbereitet, recherchiert und ein Buch über seine Expedition geschrieben (https://www.sac-cas.ch/de/die-alpen/einfacher-bursche-und-reiche-tochter-18162/). Zurück zur Gegenwart. Während es im Sommer hier sehr grün ist, zeigt sich die Landschaft nun in warmen Herbstfarben. Die Farben Ocker, Gelb und Olivgrün dominieren die Landschaft. Im Kontrast dazu der blaue Himmel und die schneebedeckten Berge im Hintergrund. Die meisten touristischen Jurtcamps haben ihre Zelte jedoch bereits abgebrochen.

Bei einem Yurtcamp stehen die Jurten zwar noch, aber es ist alles verschlossen. Ich zelte nebenan, habe  eine grüne Wiese, fliessendes Wasser, Tisch und Bank und meine Ruhe. Bis ein weisser Lada vorbeifährt. Die zwei Herren sehen aus wie Förster oder Jäger. Wer sie sind und was sie dort machen, weiss ich nicht. Sicherheitshalber frage ich den stämmigen und sympathischen Adam und seinen Freund Karim, ob es in Ordnung sei, hier zu zelten. Sicher doch. Ich könne auch in einer Jurte schlafen. Ohne Teppiche ist es dort aber nicht gemütlich und ich ziehe mein Zelt vor. Sie beschenken mich mit Gemüse,  begutachten detailliert meine Ausrüstung und überzeugen sich davon, dass ich nicht kalt haben werde in der Nacht.

Die Nacht wird zwar kalt werden und das Wasser gefriert in den Trinkflaschen ein. Doch sobald sich die ersten Sonnenstrahlen zeigen, wird es wieder angenehm. Zum Radeln reichen mir tagsüber die kurzen Hosen aus.

Adam gibt mir am Vorabend zu verstehen, dass ich in der Ortschaft Oruk Tam nach seinem Bruder Kanat fragen und ihm das von uns dreien geschossene Foto geben soll. Gesagt, getan. Und so komme ich zur Mittagszeit zu einer warmen Mahlzeit. Der Bruder ist zwar nicht anwesend, aber seine Frau und die Töchter sind zu Hause und scheinen über meinen Besuch nicht überrascht zu sein. Ich bewege mich nun zwischen 2’300 und 2’700 Metern. Es geht auf und ab und ich sammle fleissig Höhenmeter. Die Landschaft erinnert zunächst an das Graubünden.

Mit zunehmender Höhe verschwinden die Birken und Tannen und ein karges, weites Hochgebirge verschafft sich Platz.

Riesige Herden von Schafen und Pferden sehen von weitem wie Ameisen aus. Der Fluss Naryn gibt die Richtung vor und sorgt für wunderbare Bilder.

Gegen Abend erreiche ich eine Anhöhe mit Blick auf den Fluss Bolgart.und den gleichnamigen Weiler.

Dort gibt es sogar Zimmer und ich kann dort schlafen. Nächstentags geht es dann ausgeruht weiter.

Bei meiner Durchschnittsgeschwindigkeit im tiefen zweistelligen Bereich sind die 65 Kilometer bis zur Passhöhe nur unter Zeitdruck zu schaffen, zumal die Tage recht kurz sind. Zudem ist es dort zum Zelten wohl nicht geeignet. ‘Prendre son temps est le meilleur moyen de n’en pas perdre’, lautete schon das Motto des Reiseschriftstellers Nicolas Bouvier. Vor allem möchte ich nochmals eine Nacht im Hochgebirge verbringen und die Abgeschiedenheit in dieser Höhe geniessen.

Nicht so hingegen ein junger britischer Radler. Er möchte unbedingt noch über den Pass. Wir furten über einen Fluss und er zieht dann eilig weiter, während ich an der Sonne ein Brot mit Erdnussbutter, Käse und eine Birne verspeise. Das Wetter scheint trotz einiger Wolken zu halten.

An einem windgeschützten Plätzchen auf 3’400 Metern finde ich ein ebenes Stück Gras, das gerade so Platz für mein Zelt hat. Die Aussicht: ganz grosses Kino.

Die Nacht ist mit minus sieben Grad erträglich. Kurz nach Sonnenaufgang wärmt die Sonne bereits das Zelt und ich freue mich, noch die restlichen 500 Höhenmeter bis zum Tossor Pass auf 3’896 Metern zu radeln, die letzten Meter dann eher das Velo schiebend.

Dass nun Wolken aufziehen und es merklich kälter wird, kann mir egal sein. Ich habe den Pass erreicht, esse meine tiefgekühlte Banane und runter gehts. Bin zufrieden, dass ich es um diese Jahreszeit noch über einen so hohen Pass geschafft habe.

Sagenhafte 2’200 Höhenmeter mit nur sehr wenigen Pedalteltritten bis runter zum Yssik-Kul See. Eine Downhill Abfahrt, die seinesgleichen sucht. Und die äusserst zahlreichen und schreckhaften Yaks suchen jeweils panikartig das Weite, wenn ich heranrausche und mich mit Interjektionen lauthals bemerkbar mache.

In Tossor kann ich endlich mein Zelt trocknen und ein Guesthouse suchen.Die Etappe bis Karakol wird nicht zu den schönsten gehören. Eine Überführungsetappe sozusagen, in der es darum geht, die 100 Kilometer möglichst rasch runterzuspulen.

Sie beinhaltet zudem eine ‘Pantalonade’, wie es im französischen Jargon heisst. Durch das wechselhafte Wetter bedingt ziehe ich mein ganzes Sortiment an Kleidern an und aus. Unterwegs fährt mir eine Radlerin aus Litauen entgegen, ein kurzer Schwatz und schon geht es weiter.

Am Morgen erheische ich noch einige Blicke zum Yssykköl. Die Besonderheit des grössten Gebirgssees nach dem Titicacasees in Südamerika liegt darin, dass er trotz seiner Höhe von über 1’600 Metern und Temperaturen von minus 20 Grad im Winter nie zugefriert.

Es ist Erntezeit und überall sieht man Berge von Äpfeln, Birnen und Kartoffelsäcken am Strassenrand aufgereiht. Alles in allem schlage ich mich gut durch bis Karakol, trotz des doch starken Verkehrs und einiger nähesuchende Vehikel. Ich werde oft vom Asphalt abgedrängt und fahre am Schluss auf der Piste nebenan.

Gegen Abend zeigt sich dann doch kurz die Sonne und sorgt für das klassische Dilemma. Eigentlich möchte ich raschmöglichst mein Tagesziel erreichen. Doch ich kann nicht anders als anzuhalten und bei diesen wunderbaren Lichtstimmungen ein paar Aufnahmen zu machen.  Vorzugsweise mit Ladas oder einem alten Gaz-Truck drauf. Es wirkt pittoresker.

Ein glücklicher Zufall ist, das ich am Samstag Abend in Karakol ankomme und sonntags jeweils der berühmte Viehmarkt stattfindet. Einziger Wermutstropfen: er fängt schon in der Nacht an. Also rasch einchecken, duschen, essen und schlafen gehen.

Von ganz Kirgistan reisen die Tiertransporte hier bereits am Samstag Abend an, um sich einen guten Platz im Bazaar-Gelände zu ergattern.

Ich laufe um 5 Uhr los, es ist still, dunkel, null Verkehr.  An einer Kreuzung biegt ein Lada ab. Zu dieser Zeit fährt man noch nicht zum Bäcker sondern einzig zum Bazaar. Ich kann mitfahren und erspare mir 30 Minuten Gehzeit.

Es herrscht ein regelrechtes Gedränge. Autos und Kleinlaster verrichten Millimeterarbeit, um durchzukommen. Zunächst passiere ich die Fraktion der Fettschwanzschafe.

Es folgen die Pferde und danach die Rinder und Kühe. Bei den Pferden halte ich gebührenden Abstand. Bei den Kühen ist dies nicht möglich. Ich komme mir vor wie an einem Openair.

Bei Sonnenaufgang herrscht so etwas wie Festivalstimmung. Als hätte man die Nacht durchgezecht. Viele sind vom weiten Weg und vom Ausharren müde. Bei Tageslicht und im Gedränge ist man dann plötzlich wieder hellwach, trägt aber eine gewisse Müdigkeit mit sich.

Ich bahne mir den Weg durch die Menschenmenge und das Vieh. Wenn man Pech hat, entleert dieses gerade seinen Darm.

Es ist ein gesellschaftliches Erlebnis, eine jahrhundertealte Tradition. Die Tiere werden penibel genau begutachtet. Es wird verhandelt, gescherzt, Geldscheine werden gezählt. Man läuft umher schaut sich die Tiere an. Eine prächtige Kuh kostet dabei rund ‘doksan besch’, diese Zahl höre ich am häufigsten. Will heissen 85’000 Som, also etwa rund 850 Franken. 

Zwischendurch suche ich die Esstände auf, trinke einen Kaffee und Mantis. Dort sind ein paar Gäste über dem Tisch eingeschlafen. Das Ereignis dauert bis etwa 10 Uhr, dann fängt sich die Masse an zu lichten und die ersten Mercedes-Transporter mit den neu erstandenen Tieren starten ihren Motor und produzieren eine Wolke von Abgasen. Nicht allen Tieren passt das.

Waren die Tiere während der Schau ruhig, herrscht nun plötzlich Aufregung. Es wird um die Wette gewiehert, geblökt und gemuht.  Gewissen Pferden merkt man, dass ihnen auf dem neuen Transporter unwohl ist.

Karakol hat rund 69’000 Einwohner und macht einen aufgeräumten Eindruck. Die Strassen sind grosszügig angelegt, grösstenteils neu asphaltiert, ebenso die Gehsteige. Die Stadt ist Ausgangspunkt für Trekkingtouren in die umliegenden Berge. Möglicherweise stammt der Wohlstand von der nicht allzu weit liegenden Goldmine Kumtor.

Karakol nennt auch auch ein kleines Ortsmuseum ihr Eigen, auf das ich mich besonders freue. Es beherbergt nämlich eine Dauerausstellung mit Original-Fotografien der Genferin und Reiseschriftstellerin Ella Maillart, die 1932 Zentralasien bereiste. Und damit schliesst sich sozusagen der Kreis zu Lorenz Saladin. 1939 fuhr Maillart zusammen mit Annemarie Schwarzenbach in einem Ford von Genf nach Kabul. Kirgistan und die Schweiz.  Die Entwicklungsorganisation Helvetas ist hier schon seit Jahrzehnten präsent. Neuerdings fördert die Schweiz hier den Wintertourismus.

Die Dauerausstellung ist von ausgezeichneter Qualität. Ich bin begeistert und kann mich an diesen alten Fotos kaum sattsehen. Die Museumsdirektorin vertraut mit dann an, dass sie im Besitz der alten Kamera von Maillart sei und ich darf diese dann auch in die Hand nehmen.

Die zwei Ruhetage in Karakol gehen rasch vorbei. Ich komme kaum zur Ruhe, mache meine ganze Wäsche, reinige mein Rad, erstelle ein Backup meiner Bilder, kaufe Esswaren ein, plane die Weiterfahrt.

Ach ja. Und man kann nicht Karakol verlassen, ohne Ashlan Fu probiert zu haben. Eine kalte würzig-scharfe Suppe mit Glasnudeln, Laghman, Gemüse und Fleisch. Sie ist derart populär, dass es sogar eine ‘Ashlan-Fu alley’ hier gibt. Das Gericht wurde von Dunganen, chinesischen Muslimen, Ende des vorletzten Jahrhunderts importiert, als sie in Karakol Zuflucht fanden.


Kirgistan – Pferde und Pässe

Kirgisen mögen ja ausgezeichnete Reiter sein. Hinter dem Steuer eines Farzeuges hingegen brillieren sie nicht. Nach einigen Ruhetagen in Osh, in denen ich mir die grösste Mühe gebe, mich durch die Speisekarten der besten Restaurants rauf und runter zu essen, breche ich von der zweitgrössten Stadt Kirgistans gestärkt auf. Etwas Gesellschaft leisten mir in Osh dabei eine Radlerin aus Basel, Ann, und Martin aus England. Beide habe ich auf dem Pamir kennengelernt. Beide werden den Flieger zurück in die Schweiz bzw. nach Georgien nehmen.

Die Etappe wird lange, doch die Beine sind ausgeruht. Der Anstieg nach Özgun kann mir nichts antun. Die Stadt ist zur Mittagszeit lebhaft. Rasch ein Teller Manti und eine Krug Grüntee in einer Oschchona und schon geht es weiter.

In Dschalalabat finde ich nach etwas Umherirren endlich eine Unterkunft am Stadtrand. Ein Zentrum ist in der drittgrössten Stadt des Landes nicht wirklich auszumachen. Wirklich sehenswert ist sie nicht. Zusammen mit einem anderen Reisenden aus Ungarn lassen wir uns ein Jandex-Taxi bestellen, das Pendant zu Uber, um im nobelsten Restaurant essen zu gehen. Das Taxi, alles andere als nobel: ein Daewoo Matiz mit einem Gewicht ungefähr eines F1-Wagens. Meine Wenigkeit nimmt auf dem Beifahrersitz Platz. Kurz vor dem Aurum Restaurant biegt der Daewoo abrupt nach links ab, als in der stehende Kolonne auf der Gegenfahrbahn eine Lücke aufgeht. Ein Verkehrsrüpel meint, die Kolonne rechts in hohem Tempo überholen zu müssen und ich sehe ihn direkt auf mich zufahren. Auweia. Eine Knautschzone gibt’s ja beim Daewoo anders als bei einem F1-Boliden ja praktisch nicht. Es knallt. Zum Glück trifft er dann nur das Hinterrad und wir steigen unverletzt aus. Während sich die zwei Fahrer gegenseitig anschreien, verlassen wir die Unfallstelle. Die sollen das untereinander ausmachen.

Das Wetter ist nun etwas unbeständig und es schneit auf den hohen Pässen. Der Kyzilart Pass, den ich vor einigen Tagen befahren habe, ist bereits im weissen Kleid. Von Djalalabat möchte ich Richtung Nordosten über die Fergana Bergkette fahren. Es gibt nur einen Passübergang und dieser sei stark verschneit, heisst es. Touristen mussten mit ihrem Jeep umdrehen. Nun, es ist schwierig an aussagekräftige Informationen über den Strassenzustand zu gelangen. Ich fahre einfach mal los.

Die Kirgisen mögen vielleicht etwas zurückhaltender als die Tajiken bzw. die Pamiri sein, dennoch werde ich immer wieder mit Äpfeln, Bananen oder dem feinen Brot beschenkt, das frisch aus dem Ofen mit Erdnussbutter oder Nutella besonders fein mundet.

An der Kreuzung zur Passstrasse verschränken alle die Arme. Zuviel Schnee. Hüfthoch. Ich solle über die neue Strasse mit dem Tunnel fahren. Der Tunnel ist aber gar noch nicht fertig gebaut und die Chinesen dort werden mich sicher nicht mit offenen Armen empfangen. Ich fahre also weiter Richtung Pass, mache aber zunächst bei der letzten Ortschaft Halt.

Im Homestay wird ebenfalls nur der Kopf geschüttelt, ich könne es ja gerne probieren. Tatsächlich hat es zünftig geschneit. Doch bekanntlich schmilzt Schnee an der Sonne. Und am nächsten Tag halte ich einen Kleinlaster an und frage den Lenker, wo er denn hinfährt. Nach Kasarman, heisst es. Ausgezeichnet! Das heisst, dass es einige wieder über den Pass wagen. Die Gegend ist bekannt für die Walnuss-Wälder und es ist gerade Erntezeit. Der Anblick von richtigen Wäldern ist schon fast ungewohnt für mich.

Chaotische, ja dramatische Szenen dann auf den letzten zwei Kilometern am Pass. Ein Lada ist in eine Grube gestürzt, das Hinterrad hängt in der Luft.

Zwei Kleinlaster stecken fest, nachdem sie ins Schlingern geraten sind. Schaufeln werden geholt. Die Arbeiten müssen dann unterbrochen werden, als sich eine riesige Herde von Schafen die Vorfahrt erzwingt.

Behelfsmässig werden die abgelaufenen Pneus mit Seilen, Plastik und Weiss-Gott-Noch-Womit abgekleidet. Einzig Ketten sind nicht mit von der Partie. Dabei wäre mit solchen die Fahrt ein Kinderspiel gewesen.

Eine Familie versucht von der anderen Seite mit einem Audi A100 ebenfalls ihr Glück. Doch die Vorderräder drehen durch. Selbst Walter Röhrl zu seinen besten Zeiten hätte mit diesem Vehikel seine liebe Mühe gehabt. Der Kalpakträger fleht einen Touristenjeep an, ihn doch ‘tschüt-tschüt’ zu ziehen, nur ein bisschen. Die zwei Kinder und seine Frau tun mir leid, dass sie in eine solche verzweifelte und gefährliche Lage gebracht werden.

Ich werde die steckengebliebenen Laster den ganzen Tag lang nicht mehr sehen. Nach der langen Abfahrt zelte ich in der Nähe der Strasse. Ich vermute, dass die Insassen des Lasters die Nacht in der Fahrerkabine verbringen dürfen und sich mit dem Singen von ‘Last Christmas’ bei Laune halten dürfen.

Nach der teilweisen matschigen Abfahrt dann bin ich endlich wieder in wärmeres Gebiet und kann mein Zelt auf einem leeren Jurtenplatz aufstellen.

Im Dorf Kasarman auf 1’300 m beeindrucken die alten Sowjetbetonbauten mit den ‘schönen grossflächigen Abplatzungen auf Betonfertigteiluntergrund’, wie es in der Sprache des Fachmannes heisst. Auf dieser Höhe herrschen noch angenehme Temperaturen um die 20 Grad, die Tage werden aber merklich kürzer.

Nun geht es Richtung eines Passes auf 2’800 Metern. Doch zuerst geht es rauf und runter und am späten Nachmittag finde ich bei einem Bach einen wunderbaren Zeltplatz an einem Pfad entlang eines alten Birkenwaldes. In einer bei Reisenden beliebten App wird er als ‘Paradise wild camping’ angepriesen und es ist nicht zuviel versprochen. Einen lauschigeren Übernachtungsplatz neben einem Bach und hundertjährigen Birken kann man sich wirklich nicht vorstellen.

In Afrika war ich noch mit physischen Reiseführern unterwegs, etwa dem 838 Gramm leichten ‘Rough Guide West Africa’, handlich wie ein Ziegelstein. Klassische Reiseführer führe ich nach wie vor mit, allerdings als PDF auf meinem Handy.

Apps wie iOverlander, Maps.Me oder Komoot sind bei der Tourenplanung hilfreich. Daneben gibt es noch spezifische Facebook-Gruppen oder eine Whatsapp-Gruppe namens ‘Cycling East’ mit über 1000 Mitgliedern. Dort kann man fleissig Informationen austauschen und Fragen wie ‘Where can I find a bike box in Bishkek?’, ‘Does anyone know the best sim card for Ouzbekistan?’ aufwerfen. Man erfährt auch, dass tatsächlich waghalsige Radler momentan durch Afghanistan reisen. Die wichtigste Informationsquelle sind nach wie vor andere Reisende, sei es virtuell oder physisch.

Zurück zum wunderbaren Zeltplatz. Am nächsten Morgen geht es zunächst ein kurzes Stück flach. Hier erinnert mich die Landschaft mit dem ausgetrockneten ockergelbem Gras an die Tiras-Berge in Namibia. Mit dem Unterschied, dass hier nicht Zebras sondern Pferde als Staffage dienen.

Das Pferd gehört unzertrennlich zu Kirgistan. Dank des Pferdes konnten die nomadisierenden Kirgisen sich im gebirgigen Land fortbewegen, jagen und Kriege führen. Nach der Sowjetära erlebten die Pferdezucht, der Verzehr von Stutenmilch und traditionelle Reitspiele eine Renaissance.

1000 Höhenmeter geht es nun rauf. Die Schotterpiste ist recht passabel und fahrbar. Vielleicht stehe ich noch unter dem Eindruck der Pisten Tajikistans und bin deswegen so optimistisch. Einige Serpentinen entschärfen glücklicherweise die steilsten Stellen.

Am Morgen kannte ich nicht einmal den Namen des Kara Soo Passes und ich wusste nicht, was mich auf der anderen Seite erwartete. Die Aussicht nach der Passhöhe Richtung Naryn-Tal haut mich dann förmlich um. Ich kann mir einen Freudenschrei nicht verkneifen. Damit hätte ich nicht gerechnet.

In Europa wäre dies -asphaltiert – ein Alpenpass erster Güte. Ich geniesse die Abfahrt runter zur Ortschaft Kök-Jar, wo die Strasse wieder asphaltiert ist. Ich pumpe die Reifen wieder voll auf, damit ich einen Kilometer nach der Ortschaft ernüchtert wieder Luft ablassen kann.

Die 20 km Wellblech auf Schotter hätte ich mir gerne ersparen können. Ich muss recht rabiat über die Piste gebrettert sein. Jedenfalls habe ich am nächsten Morgen einen Platten, ein klassischer ‘snakebite’: mit dem Pneu hart aufgeschlagen, sodass die Felge aufgesetzt und den Schlauch beschädigt hat. Ich repariere rasch den Schlauch, doch Eile ist nicht angesagt, da es ohnehin anfangen wird zu regnen und ich daher noch in Jalang Talap bleibe, bis wieder besseres Wetter die Weiterfahrt erlaubt.

Gefahrene Kilometer: 2’628, Fahrzeit 221 Stunden, Höhenmeter 29’870. Platten: 1.


Pamir Highway zum Zweiten

Nach der ersten Runde (Dushanbe-Khorog-Wakhan Korridor-Lake Zorkul-Murghab-Akbaital-Pass-Bartang Valley) bin ich wieder in Khorog, wo ich mir zwei Ruhetage gönne.

Von Khorog gibt es drei Varianten, um nach Murghab, im Herzen des Pamir zu gelangen: auf der am stärksten befahrenen und grösstenteils asphaltierten M41, dem Pamir Highway, dem Wakhan Korridor an der Grenze zu Afghanistan und dazwischen gibt es noch das Shugdara Tal. Dieses möchte ich entdecken.

Auf seinen 142 Kilometern nimmt der Fluss rund 40 Nebenflüsse von den mächtigen Bergen ringsherum auf und verwandelt sich in einen wasserreichen Fluss, der im Winter nie zugefriert. Die Vegetation ist im Tal üppig, ändert sich von Obstgärten, Auwäldern und Buschvegetation.

Als ich frühmorgens starte, merke ich, wie meine Beine etwa zittrig sind, mein Immunsystem auf Hochtouren läuft und ich am schwächeln bin. Eigentlich hätte ich auf dem Absatz kehrt machen müssen. In Tibet ist mir das einmal passiert: ich verliess das Guesthouse in einem kleinen Dorf und schaffte es keine 50 Meter weit. Mein Körper schrie nach einem Ruhetag. Ich checkte wieder im Hostel ein und verbrachte den Tag im Bett.

Ich wäge ab und wage es, fahre bis Roshtkala in gemütlichen Tempo. Immerhin fast 1000 Höhenmeter und 5 Stunden. Unterwegs esse ich fleissig Sanddornbeeren. Die sind zwar wegen der Dornen mühsam zu pflücken aber sollen viele Vitamine haben. Und die gibt es hier wie Sand am Meer.

Im kleinen Dorf Vezdara soll es ein Homestay geben. Kurz vor dem Dorf dann eine Überraschung: die Strasse ist gut einen halben Meter unter Wasser. Entweder baden gehen oder über einen Feldweg das Velo schieben. Ich entscheide mich für die zweite Variante.

Ich kann bei Atogol schlafen und vor drei Uhr lege ich mich schon mal hin und ruhe mich aus. Glück für mich. Weil er anderntags früh nach Dushanbe zurückfährt. Hier hat er sein kleines Landhaus, schlicht aber idyllisch zwischen einem Bach und der Dorfschule gelegen. Anderntags fühle ich mich etwas besser, dafür plagt mich langsam ein Husten. Die Landschaft wird dafür umso bezaubernder.

Die Menschen sind wie im Wakhan sehr gastfreundlich und meistens lehne ich die Einladungen zum Tee schweren Herzens ab, nehme dann aber vor Mittag dankend doch eine an.

Ich bin froh, dass es hier Homestays gibt und mich so etwas schonen kann. Nach der letzten Ortschaft steigt die Strasse an und gibt endlich den Blick frei auf den Peak Engels (6507 m) und Peak Karl Marx (6723 m).

Dann folgt ein etwas mühsamer Abschnitt mit ein paar Schiebepassagen. Der Mainasa Pass auf 4’244 m ist nicht mehr weit. Die Strasse wechselt die Flussseite und dort findet sich ein idealer Zeltplatz. Bei der Brücke kann ich windgeschützt kochen und schon bald bin ich im warmen Schlafsack. Es wird mit minus 7 Grad eine kalte Nacht werden.

Die letzten Kilometer am frühen Morgen sind ein Genuss. Die Abfahrt bis zum Pamir Highway wird dann ruppig. Wer hier rauf will, schiebt sein Rad drei Stunden lang. Eine Flussfurt nocj und die ersten Lastwagen erinnern mich daran, dass ich auf der M41, dem Pamir Highway, bin. Ein ganzer Konvoi von Radlern fährt an mir vorbei. Ich werde sie kurz darauf einholen. Da ich einen Abstecher nach Bulunkul, zum ‘Hohen See’ eingeplant habe, verliere ich nicht allzu viel Zeit mit Smalltalk und mache mich auf den Weg. Sie sind schwer beladen und ich fahre ihnen gleich davon. Endlich wieder ein Pass, auf dem ich mein Rad nicht schieben muss. Der Asphalt weicht zwar einem feinen Schotter. Ich kann aber bis zum Koytezek-Pass auf 4271 Metern fahren.

Hier wird die Landschaft sehr karg, weitläufig. Die Hochebene wird von den Pamir-Kirgisen als Weidefläche genutzt. Kurz vor Alichur biege ich dann links ab, noch 16 km Kampf gegen den Wind und auf einer sandigen Wellblechpiste.

Das Timing ist perfekt, die letzten Sonnenstrahlen beleuchten das 400-Seelendorf, als ich Bulunkul erreiche. Hier wurde übrigens mit minus 63 Grad der Kälterekord Zentralasiens gemessen.

Die Fahrt von Bulunkul nach Alichur ist dann recht gut und vergnüglich. Und sehr einsam. Zu Beginn fahre ich auf einen Aussichtspunkt hinauf. Der Blick auf den See ist sensationell. Danach geht es eine Ebene runter, entlang eines Flusses mit einem kontrastierenden grünen Ufer. Und bald erreiche ich einen kleinen Geysir. Danach ist die Strecke kurzweilig, wellig und kurvenreich, aber gut zu befahren.

Bald erreiche ich die Ortschaft Alichur auf 3860 Metern. Den einzigen Dorfladen möchte ich aufsuchen und frage einen Herrn mit einem Kalpak, der traditionellen Kopfbedeckung, wo sich der Laden befinde. Er sei der Ladenbesitzer und zeige mir gern den Weg dorthin.

Geistesgegenwärtig sage ich zu ihm: ‘Adin minut, pashaulsta. Ya vi snaiu!’ (Eine Minute, Bitte. Ich kenne Sie). Ich suche auf meinem Handy die alten Bilder von 2006 und zeige ihm ein Bild: “Das bin ja ich” ruft er freudig aus. Zwei Bilder habe ich damals von ihm geschossen. Eines mit seinem Sohn und eines mit seiner Tochter. Wir machen ein paar frische Fotos und verabschieden uns herzlich.

Alichur hat sich nicht gross verändert. Eine Handvoll Homestays gibt es immerhin. Ecotourismus ist angesagt und drängt sich auf, da viele, egal ob mit Rad oder Jeep, hier Halt machen wollen und sich von den Strapazen erholen möchten. Strom ist Mangelware, abends muss der Generator für ein paar Stunden angeworfen werden.

Von Alichur möchte ich das über 100 km entfernte Murghab in einem Tag erreichen und fahre deshalb früh los.

Nun, es wird die bislang schnellste Etappe meiner Reise mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 20.4 km/h werden. Unglaublich schnell, wenn ich bedenke, dass ich für 2’214 Kilometer insgesamt 190 Stunden benötigt habe. Teilweise hatte ich sogar einen Schnitt von nur 7 km/h. Dem Rückenwind gebührt der entsprechende Dank. Und den Sowjets für die gut gebaute Asphaltstrasse. Unterwegs treffe ich einen englischen Radler an und wir fliegen zusammen Richtung Murghab. Um 14 Uhr sind wir schon beim Checkpoint. Bevor ich mein Zimmer beziehe, kaufe ich mir eine Wassermelone im Basar. Zu gross ist die Lust nach dieser gesunden Erfrischung.

Zufällig ist am nächsten Tag der Unabhängigkeitstag Tadschikistans. Gleich gegenüber meinem Guesthouse finden Feierlichkeiten, Ansprachen und Tänze statt und es herrscht eine Volksfeststimmung.

Das lasse ich mir natürlich nicht entgehen gehen und mische mich unter die Menschenmenge.

Mit einem Jeep geht es dann weiter bis zum Karakul, dem Schwarzen See. Die Strecke über den Ak-Baital Pass möchte ich nicht noch einmal abfahren. Karakul ist ein 380 km² grosser abflussloser See, umgeben von Bergriesen. In der gleichnamigen Ortschaft übernachte ich mit einem sympathischen deutschen Paar, in deren Jeep ich mitfahren durfte. Ein Pass auf 4’232 Metern ist zunächst zu erzwingen. Am Pass angekommen, drehe ich mich um, geniesse nochmals diesen grandiosen Anblick. Pamir Highway at it’s best: Weite, Einsamkeit, schneebedeckte Berge, schnurgerade Strasse.

Von hier hat man einen wunderbaren Blick auf das Transalaigebirge und den höchsten Berg, den Pik Lenin, der seit 2006 nun Pik Abuali ibni Sino heisst.

Eine Abfahrt und der Schlussanstieg zum tadschikischen Zoll steht mir bevor. Die Anlage ist ausgebaut worden, Solarpanels und neue Gebäude heben die Bedeutung hervor. Doch das alte Kapäuschen mit einem Tisch und Stuhl, wo ich mit Kugelschreiber wie anno dazumal in einem Schulheft eingetragen werde, ist nach wie vor geblieben.

Nach 44 Tagen verabschiede ich mich also von Tadschikistan. Spannend war es, vor allem nach 17 Jahren die Änderungen zu beobachten und mich ein Stück weit wieder in meine Pilgerreise nach Tibet hineinversetzen zu können. Bekannte Gesichter wieder zu treffen. Erneut die unglaubliche Gastfreundschaft und Herzlichkeit der Menschen erfahren zu können. Und neue Ecken, Gegenden und Pisten zu entdecken. Anstrengend und schweisstreibend war es. Ich muss wohl sicher vier Kilo abgenommen haben.

Noch ein paar Hundert Meter und der berühmte Steinbock, der die Grenze zu Kirgistan bildet und den Kyzilart-Pass auf 4’336 Metern ziert, erhebt sich majestätisch vor mir. Nun folgen 20 Kilometer Niemandsland, wo ich mein Zelt aufstelle. Die Zeltplatzsuche ist ja eine Wissenschaft für sich. Idealerweise ist ein Zeltplatz gut versteckt und von der Strasse nicht einsehbar, windgeschützt, weist eine weiche grasige Unterlage sowie sauberes Wasser in der Nähe auf und ist landschaftlich reizvoll. Dieser gefällt mir ganz gut, ist zumindest gut vor Wind geschützt.

Nächstentags fahre ich zum kirgischen Zoll. Dummerweise folgen mir dann zwei Jeeps mit zahlreichen Touristen, wodurchich Zeit verliere. Einige von Ihnen haben keine Einreisegenehmigung und die Beamten suchen die Listen vergebens durch. Sie werden an der Grenze übernachten müssen. Ich beklage mich nicht. Nach eineinhalb Stunden werde ich endlich durchgelassen, erhalte den Stempel in meinem Pass und mit einem breiten Grinsen meint der bis anhin mürrische Beamte: Welcome to Kirgistan!

Vor meiner Abreise war die Grenze noch geschlossen und ich malte mir schon aus, mit einem Jeep nach Dushanbe zurück fahren und einen Riesenumweg über Usbekistan nehmen zu müssen. Ich bin überglücklich. Für mich heisst das, dass ich noch im September die Pässe in Kirgistan in Angriff nehmen kann.

Sary Tash ist bald erreicht. Der Gegenwind kann mir nichts anhaben. Die Sicht ist diesig. Die Schneeberge und der Pik Lenin sind von der Weite nicht mehr zu erkennen. An diesem Ort musste ich 2006 eine Zwangspause einlegen. Wer wissen will, warum, möge diesen Bericht lesen.

Der Ort ist zwar etwas bunter geworden, eine Tankstelle steht an der Hauptkreuzung. Die Strasse nach China ist nun asphaltiert und es gibt nun eine Handvoll Guesthouses mit warmer Dusche und sauberen Betten. Einige Läden, in denen ich eine SIM-Karte mit 4G-Netz kaufen kann. Getankt wird aber nach wie vor vorwiegend aus Kanistern. Und Berge von Kuhdung zeugen davon, dass Strom und Wohlstand noch keine Selbstverständlichkeiten sind.

Der Rest bis Osh, der zweitgrössten Stadt von Kirgisistan, ist schnell erzählt. Auf nun durchgehendem Asphalt sind wieder jeweils Pässe zu bezwingen.

So der Taldyk-Pass auf 3’615 Metern und später der Cherchyk-Pass auf 2’408 Metern. Die Landschaft wird grüner, die Berge sind oft rot gefärbt. Herden von Pferden sind neben oder auf der Strasse zu sehen.

Deutlich zugenommen hat auf diesen Abschnitt der Verkehr. Zahlreiche Lastwagen zeugen von der Nähe Chinas. Etwas mühsam ist einzig der Gegenwind.

Endlich in Osh angekommen. Städte sind eine Hassliebe für Radler, die sich durch den Stadtverkehr durchkämpfen müssen, abgedrängt werden, sich nicht mehr so willkommen fühlen. Andererseits ist das kulinarische Angebot gross. Man trifft auf andere Reisende und kann die Batterien wieder aufladen und Pläne für die Weiterfahrt schmieden.


Zorkul, Bartang und Peitsche

Nach fast drei Wochen bin ich zurück in Khorog, der Hauptstadt von Berg-Badakhshan. Nun heisst est erstmal Wunden lecken, den Bauch vollschlagen und mich wieder neu sortieren kann.

Eigentlich wollte ich in Murghab einen Bericht veröffentlichen, doch das Internet war leider zu langsam. Deshalb fällt dieser Post etwas länger aus. Also lieber dafür die Mittagspause nutzen.

War die Strecke ab Khailaikum aufgrund der Strassenarbeiten der Chinesen teilweise Pflicht, so ist die Fahrt ab Khorog nach Ishkashim und durchs Wakhan Korridor nun Kür. Keine Bauarbeiten mehr. Die neue Seidenstrasse führt von Khorogh direkt nach Murghab. Ich starte früh um 7 Uhr, geniesse die Morgenstimmung und mache mich erstmals wieder mit den Strassenverhältnissen vertraut. Auffallend sind die grossen Strommasten aus Metall, die entlang der Strecke neu gebaut werden. Tadschikistan möchte Strom nach Afghanistan exportieren.

Wie damals übernachte ich im Sanatorium in Avj. Dieses hat sich abgesehen von bunten Lichtern im Eingangsbereich nicht gross verändert. Die Zimmer sind immer noch heruntergekommen, die Matratzen steinhart, das Plumpsklo eklig. Und doch ist die grüne Anlage bei der lokalen Bevölkerung sehr beliebt, die sich im nicht ganz so heissen Bad, wo die Fliesen sich von der Wand lösen, aufwärmen. Es ist Samstag und entsprechend viel los. Ein soziales Erlebnis.

In Ishkashim, dem Grenzort zu Afghanistan, ist nicht viel los. Ohnehin ist Sonntag. Und die Grenze seit der Machtübernahme der Taliban geschlossen. Ab hier fängt nun der Wakhan Korridor an, die Strasse führt nun Richtung Nordosten. Schon Marco Polo hat mit seinem Vater und Onkel 1275 diese Gegend bereist. Nach ihm werden die wilden Schafe mit den mächtigen Hörnern benannt, die viele Schreine und Mazare zieren.

Der Wakhan Korridor wurde Ende des 19. Jahrhunderts während des Great Game zwischen Russland und Grossbritanien um die Vorherrschaft in Zentralasien als Pufferzone errichtet.

Die im Wakhan lebenden Pamiri betreiben vor allem Ackerbau und Almwirtschaft. Sie unterhalten ein ausgeklügeltes Bewässerungssystem, gehören dem Ismailitentum an, sind sehr aufgeschlossen und legen viel Wert auf Bildung.

Ursprünglich waren sie Zoroastrier und Buddhisten. Zeugnisse davon sind noch vorhanden. Etwa die Festung bei Qazideh.

Im kleinen Dorf Boibar gönne ich mir zur Mittagsrast eine Melone, lasse sie halbieren und verschenke eine Hälfte. Ich komme wenig später mit Männern ins Gespräch und es stellt sich heraus, dass die Ladenbesitzerin die Tochter eines Pamiri ist, der mich 2006 beherbergt hat. Ich habe ein Foto dabei und sie ist ganz gerührt, als sie sich als Kind auf dem Foto erkennt.

Seit 2014 gibt es im Pamir viele Homestays, Ausdruck eines nachhaltigen Tourismus. Unter der Federführung der Aga-Khan-Stiftung und der Pamir Eco-Cultural Tourism Association in Khorogh ist ein Netzwerk von Privatpersonen aufgebaut worden. Ich bin nicht weiter auf die spontane Gastfreundschaft angewiesen und die Menschen können ihre Haushaltskasse mit einigen Somoni aufbessern. Ich nehme diese Annehmlichkeit gerne in Anspruch, werde aber doch immer wieder zu Tee, Brot und Joghurt eingeladen. ‘Chai budisch’ (möchtest Du Tee) wird hier inflationär gebraucht.

Für umgerechnet 13 Schweizerfranken kann man in einem traditionellen Pamirhaus übernachten, erhält Tee, Nachtessen und Frühstück. Das Pamirhaus ist am erhöhten Oberlicht erkennbar und enthält die obligatorischen fünf geschnitzten Säulen: früher standen sie für die Götter des Zoroastrismus, heute für die Mitglieder der Familie Mohammeds. Die vier Ebenen der Dachluke stehen für die Elemente Erde, Wasser, Feuer und Luft.

In Zumudg werde ich vom Imam Shogumbek zum Tee eingeladen. Da Mittag ist, nehme ich die Einladung gerne an. Der Dastarkhan, ein Tischtuch, wird auf dem Teppich ausgebreitet. Nun wird Tee, entweder Schwarz- oder Grüntee gebracht. Dazu gibt es feines Brot, Aprikosenkonfitüre, Butter, getrocknete Maulbeeren, Joghurt und Konfekt. Die ganze Prozedur braucht Zeit, Eile ist hier fehl am Platz.

Das Tal ist breit und umgeben von 6000 Meter hohen Bergen. Es ist Erntezeit und entsprechend viel los auf den Feldern.

Die Strasse ist sehr schlecht, wellig, steinig, holprig. Damit finde ich mich gerne ab. Ich komme nur sehr langsam voran. Nicht weiter schlimm. Für Ablenkung sorgen Sehenswürdigkeiten in der Nähe. Etwa die alte buddhistische Stupa aus dem 8. Jahrhundert in Vrang.

Oder das Museum im Yamg, wo sich im ältesten Pamirhaus eine schöne Sammlung von Musikinstrumenten und Gebrauchsgegenständen befindet. Der Lehrer Mamadov führt mich umherum, spielt auf einem traditionellen Instrument und ich darf ihn sogar abzeichnen.

In der Ortschaft Zong zeige ich anfangs Dorf zwei Jungen ein Foto einer Familie, die mich bei meiner ersten Reise durch Tajikistan beherbergt hat. Nazar sei gleich nebenan. Tatsächlich, ich bin soeben an einer Gruppe von Herren vorbeigefahren, die an einem Auto am schrauben waren bzw. schon zum Feierabendbier bzw. -Vodka übergegangen sind.  Ich gehe auf Nazar zu, zeige ihm das Foto von damals.

Er erkennt mich sofort wieder und ist völlig aus dem Häuschen vor Freude. Er kriegt sich kaum ein. Spontan fahren wir mit einer alten Lada ans Ufer des Panj und das Wiedersehen wird zusätzlich mit Vodka begossen.

Die Fahrt mit der Lada ist ein Erlebnis für sich. Zunächst muss es angestossen werden, der Trick mit dem Kabel und dem Schraubenzieher zieht nicht. Es stinkt nach Benzin, während der Fahrt öffnet sich die Türe, es klappert und rattert. Schumi neben mir gibt Vollgas.

Natürlich kann ich bei Nazar übernachten, die Cousins kommen herbei und es wird ein lustiger Abend, insbesondere weil er sichtlich angeheitert ist. Zum Glück spricht seine Tochter etwas Englisch. Erinnerung werden wieder wach. Mit seinem damals 14-jährigen Sohn sind wir eine Ewigkeit in der Dunkelheit gelaufen, um uns in einem Hot Pool zu waschen. Derweil hatte seine Frau eigens noch Brot für mich gebacken. Als kleines Geschenk habe ich einen Kartoffelschäler und ein Sackmesser, beide von Victorinox, dabei.

Danach wird es wieder ernst. Ich bin bereits auf rund 2800 Metern über Meer. Ab der letzten Ortschaft Langar steigt die Strasse an, es geht auf 3700 Metern über Meer rauf.Oft muss ich das Rad schieben. Auf einem Hochplateau angekommen, ist die Sicht atemberaubend.

Die Strasse ist sehr einsam, ich bin fast ganz alleine unterwegs, treffe nur zwei Motorradfahrer an. Hinter einem Hügel finde ich etwas Schutz vor dem Wind und kann mein Zelt aufstellen.

Bei Kargush dann muss ich einen Checkpoint passieren. Ich möchte ins noch abgelegenere Zorkul Strict Natur Reserve einreisen, wofür ich in Khorogh ein Special Permit erhältlich machen und viermal antraben musste. Der Checkpoint scheint berüchtigt zu sein, doch nach einiger Rumfragerei und einer oberflächlichen Sichtung des Gepäcks werde ich endlich reingelassen.

Die ersten 10 km sind strassentechnisch ganz übel. Dafür ist die Sicht auf den Fluss Pamir, wo auf der gegenüberliegenden afghanischen Seite baktrische Kamele grasen, unbezahlbar. Bevor die Piste den Fluss verlässt, zelte ich wild und koche mir eine Brühe und gönne mir eine Dose Tomatensardinen. Den Überdruck auf dieser Höhe beachte ich nicht und so wird die Sauce beim Öffnen in alle Richtungen verteilt.

Das Grummeln im Bauch während der Nacht verheisst zudem nichts Gutes. Nächstentags bin ich kraft- und saftlos, habe Durchfall. Nach 10 km muss ich schon pausieren. Ein junger Franzose, Julien, fährt mir entgegen, sichtlich  mitteilungsbedürftig. Mir kommt die Ablenkung gerade recht. Irgendwann raffe ich mich auf, doch die nächste Steigung ist entmutigend.

Schilder weisen darauf hin, dass Jagen und das Halten von Tieren verboten ist. Mindestens doppelt so viele Herden sichte ich in der Ferne. Und Murmeltiere ohne Ende. Ganz fette und nicht mehr ganz so flinke.

Weit komme ich heute nicht, möchte es aber doch bis zur nächsten Wasserstelle schaffen. Ich schiebe mir lustlos einen Snickers rein und fahre die restlichen 12 Km weiter, bis ich an einem Gehöft gelange. Dort frage ich, ob ich mein Zelt aufstellen könne, doch die Oma winkt sofort ab und lässt mich rein. Ein beissender Geruch von gebranntem Kuhdung weht mir ins Gesicht, doch ich bin froh, nicht noch das Zelt aufstellen zu müssen.

Sofort erhalte ich Tee und Essen, doch nach Nahrung ist mir nicht zumute. Trotz Daunenjacke, Schlafsack und Decke ist mir kalt und kann nicht einschlafen. Um 10 Uhr nachts dann plötzlich ein heftiger Brechreiz, ich schaffe es gerade noch über die Kante des Podestes. Den Rest schildere ich lieber nicht.

Derart dehydriert und geschwächt kann ich nicht weiterfahren und bleibe daher bei Nasarbek und seiner Familie und kann ihnen dabei zuschauen, wie sie die Ziegen und Kühe melken, die Milch verarbeiten und Brot gebacken wird. Sie wohnen normalerweise im Tal, verbringen aber vier Monate hier oben und kümmern sich um die Tiere und die Milchproduktion. Es sei die beste Zeit des Jahres meint er. Ein Junge weckt mich am Nachmittag dann auf: er habe ein Murmeltier erlegt.Am späten Nachmittag kommt dann der Bruder von Nasarbek und vier Freunde vorbei. Vodka wird aufgetischt und ein Fleischgericht. An den Schenkeln vermute ich stark, dass es kein Ziegenfleisch ist.

Am nächsten Tag kann ich dann gestärkt endlich losziehen. Ein Pass auf 4455 Meter ist zu bezwingen. Vorher aber zieht eine Jurte die Aufmerksamkeit auf mich. Nun bin ich im kirgisischen Siedlungsgebiet. Aman ist gerade daran, ein Schaf zu häuten, ich darf ihm dabei zusehen.

Danach erhalte ich in der Jailoo, der Sommerjurte, den Ehrenplatz, bekomme feines Brot, Smetana, Joghurt und Tee aufgetischt. Es sei der letzte Tag hier auf der Alm, meint Aman, bevor sie wieder zurück nach Murghab ziehen. Welch ein Glück für mich, in dieser einladenden Jurte diese Gastfreundschaft noch erleben zu dürfen.

Bestens gestärkt fahre ich zur Passhöhe rauf, wo ich eine Herde Marco Polo Schafe erschrecke. Ich blicke nohmals Richtung Südwesten, nur wenige Kilometer von Afghanistan, Pakistan und China entfernt. Die Abfahrt auf der nun recht guten Piste ist herrlich. Als ich in der kleinen Ortschaft Jarty Gumbez ankomme, habe ich das Gefühl, irgendwo im Norden zu sein. Der Schwefelgeruch stammt von einem hot pot. Was für eine Wohltat, im erst 2017 eröffneten Guesthouse unterkommen zu können und mich im heissen Bad aufzuwärmen.

Die Etappe bis Murghab ist dann Hammer. Ich bin jetzt auf dem Pamir, dem Dach der Welt. Die Piste fährt sich bestens, endlose Weiten, sanfte Steigungen. Umgeben von Felsen, Berggipfeln und Hügeln.

Danach mache ich einen Abstecher zu den Felszeichnungen von Shakthi, auf knapp 4200 M.ü.M. Es handelt sich um die weltweit höchstgelegensten Felszeichnungen, rund 10’000 Jahre alt. Urban Sketchers der Steinzeit.

Der Pamir Highway, die von den Sovjets erbaute Hochgebirgsstrasse, ist bald erreicht. Auf gutem Asphalt rolle ich nun Richtung Murghab, treffe unterwegs zwei junge Radler an.

Der wilde Westen des Pamirs auf 3630 Metern über Meer weist ein paar neuere Bauten auf, ist aber ansonsten nach wie vor ein staubiger, trostloser Ort.

Der Fahrzeugpark, vorwiegend bestehend aus Ladas, Moskwitch und Gaz-Trucks, hat hier eindeutig musealen Charakter. Im Basar, bestehend aus drei Reihen Containern, mag man sich nicht lange aufhalten. Ich fülle meine Vorräte auf uns fahre anderntags auf recht gutem Asphalt bis kurz vor der Passhöhe des Ak-Baital, wo ich an einem windgeschützten Platz mein Zelt aufstelle.

Am Pass auf 4655 Metern ist es dann mit rund 4 Grad doch recht frisch und ich schaue zu, rasch abzusteigen. Doch die Strasse ist auf der anderen Seite mühsam, viel Wellblech, dazu noch Wind.

Nach einigen Kilometern biege ich dann auf eine einsame Piste nordwestlich ab. Der Wind pfeift mir auf dieser Hochebene direkt ins Gesicht. An einer Wegbiegung nach endlos langen Kilometern dann ein paar Meter Höhenunterschied und damit ein Windschutz.

Am nächsten Tag folgt dann ein malerischer Abschnitt entlang des Koikubel Flusses, wo Yaks grasen. Einzig eine Jurte sehe ich auf der anderen Flusseite. Es wird ein einsamer Tag werden.

Bei einem Meteoriten Krater führt die Piste dann wieder Richtung Nordwesten. Wieder Gegenwind und leichter Regen. Ich trete kräftig in die Pedale, das Wetter scheint umzuschlagen. Endlich dann treffe ich auf erste Hirten, bei denen ich übernachten kann.

Dann folgt die Abfahrt ins berüchtigte Bartang Tal, mittlerweile sehr beliebt bei Radfahrern. Auf einer Strecke von rund 300 km geht es 2000 Höhenmeter runter. Tönt eigentlich ganz entspannt. Nur verstecken sich dazwischen noch rund 5000 Höhenmeter Anstiege. So jedenfalls nach einschlägigen Internetseiten und Komoot. Wo genau, ist mir ein Rätsel geblieben. Laut meinen GPS-Aufzeichnungen sind es nur 2000 Höhenmeter Gegenanstiege. Immerhin. Und die Piste ist wohl die schlechteste, die ich je befahren habe. Steinig und holprig. Die vollbeladenen Radfahrer mit klassischem Setup und schmalen Reifen, denen ich begegne, tun mir leid. Aber auch ich schaffe in 5 Stunden nicht mehr als 50 km.

Wer nicht im Bartang war, hat den Pamir nicht gesehen, schrieb einst ein russischer Forschungsreisender. Das Herz des Pamirs, wo die Berge am schroffsten sind, die Wege am gefährlichsten und die Gastfreundschaft am herzlichsten. Bei den Flussfurten ist etwas Vorsicht angezeigt. Ein europäisches Paar hat die Wucht des reissenden Flusses unterschätzt und ist mit dem Leben davongekommen.

Zelten ist in dieser Gegend eher schwierig, zu viel Geröll. Abgesehen davon gibt es in jeder Ortschaft Homestays. Es ist bewundernswert, wie sich die Menschen in dieser unwirtlichen Gegend kleine Oasen geschaffen haben und Subsistenzwirtschaft betreiben. In Savnob komme ich beim Lehrer Mulkabek unter. Mit seinem Kailash-T-Shirt ist er mir sofort sympathisch. Sein Garten ist aufgeräumt, verspielt. Im Hintergrund ragt der 5990 Meter hohe Peak Labnazar.

Aufmerksam kümmert er sich um seine Gäste, heizt abends extra die Sauna für mich ein und gibt mir zum Abschied frische Tomaten und Brot.

Positiv fällt ein neues Wasserkraftwerk auf, das vor drei Jahren in Betrieb ging und Strom für sechs Ortschaften liefert. In Siponj dann kann ich uralte Petroglyphen bewundern. Und bald habe ich wieder die afghanischen Berge vor mir, statte Abdul und seiner Familie wieder einen Besuch ab und bin zurück in Khorogh.Da skorova! Bis bald, Maurizio

Gesamtkilometer 1536, Fahrzeit 136 Stunden.


Central Asia reloaded

29.7.2023 um 2 Uhr morgens lande ich in Dushanbe, der Hauptstadt Tajikistans. Trockene, heisse Luft weht mir entgegen. Es ist 27 Grad warm. Auf den Tag genau nach 17 Jahren befinde ich mich wieder in der Hauptstadt Tajikistans, einer ehemaligen Sowjetrepublik.

Da stehe ich nun, ich armer Tor, und bin so klug als wie zuvor. Etwas reiseerfahrener auf jeden Fall aber nicht ganz so tüchtig wie damals, 2006, als ich in 165 Tagen von Liestal bis hierhin geradelt bin und mit rund 40 kg Gepäck exakt 10’020 Kilometer benötigt habe. Und davor dem bosnischen Winter bei minus 18 Grad im Zelt getrotzt habe; gegen die kroatische Bora, dem Wind aus dem Landesinneren, gekämpft habe;  etliche eiskalte Regengüsse in Serbien-Montenegro erdulden musste; mich in der Türkei vor den Hirtenhunden, den Shivas Kangal, in Acht nehmen musste; bei über 40 Grad durch die iranische Wüste Dasht-el-kavir den Gegenwind verflucht habe; in Usbekistan mein Velo gestohlen wurde und ich von der Polizei zu einer Falschaussage genötigt wurde.

Ich wollte schon immer wieder diese Gegend noch einmal ausgiebig bereisen. 2009 wollte ich nach Kirgistan fliegen, aber es gab Unruhen. 2020 war ich kurz davor, einen Flug zu buchen, als aus bekannten Gründen jegliche Reisetätigkeit zum Erliegen kam.

Natürlich bin ich gespannt zu erfahren, was sich seither geändert hat. Mittlerweile hat sich der Tourismus entwickelt, gerade bei Abenteuer suchenden Radfahrern, ist dieses Land sehr beliebt geworden, aber auch viele Gruppenreisende sind nun unterwegs. Visas sind viel einfacher erhältlich oder für viele Länder gar nicht mehr nötig. Am 29.7.2018, genau vor fünf Jahren, kam Tajikistan dann leider in negative Schlagzeilen, als eine Gruppe von Radfahrern Zielscheibe eines extremistischen Angriffs wurden und vier, unter anderem auch ein Schweizer, getötet wurden.

Die Anreise über Istanbul klappt wunderbar. Im neuen, riesengrossen Flughafen Havalimani, das einem luxuriösen Einkaufstempel gleicht, stosse ich dann am Gate zum Weiterflug auf zwei Spanier, die ebenfalls mit dem Velo nach Dushanbe fliegen. Auch sie kommen im Greenhouse Hostel unter, wo sich alle Radler ein Stelldichein geben und fleissig Informationen austauschen.

Ich verstehe mich sofort prächtig mit Jurgi, einem Psychologie-Professor und Unai, einem IT-Spezialisten, beide aus Bilbao. Besser könnte meine Reise nicht anfangen. In zwei Tagen erkundschaften wir die Hauptstadt Tajikistans, besuchen das Antiken-Museum, wo sich der 13 Meter lange Buddha aus Lehm befindet und probieren das Nationalgericht Osch. Ich bin erstaunt, wie sich die Stadt entwickelt hat. Wo waren seinerzeit alle die Supermärkte nach westlichem Standard und alle Guesthouses und Unterkünfte?

Ich bin sofort im Element und im Reisemodus, betreibe fleissig Networking. Ich gönne mir in dieser Backofenhitze zunächt einmal drei Akklimatisierungstage, möchte auch mental hier ankommen, mich langsam auf das lokale Essen umstellen. Es wird fordernd genug werden. Die Temperaturen tagsüber sind unerträglich, über 40 Grad heiss. Am besten hält man es in einem gekühlten Supermarkt oder im Zimmer mit Klimaanlage aus.

Sozusagen mit dem Plan B bin ich nach Zentralasien gestartet, wollte zunächst eine Rundreise in Tajikistan unternehmen, um danach über Usbekistan nach Kirgistan einzureisen. Seit der Pandemie und wegen Scharmützeln an der kirgisisch-tajikischen Grenze ist diese seit Jahren leider geschlossen. Eine winzig kleine Hoffnung hatte ich vor meiner Abreise, dass sich dies noch ändern könnte. Just als ich im Greenhouse bin, wird die Grenze für Touristen wieder geöffnet. Die Neuigkeit macht dank Social Media schnell die Runde und so lasse ich mich nicht ein zweites Mal bitten und schreibe umgehend der zuständigen kirgisischen Behörde eine Email, die mir dann postwendend antwortet, dass ich über den Pamir Highway einreisen dürfe. Wow, damit hatte ich nicht gerechnet.

Tja, dafür habe ich dann ein bisschen zuviel Gepäck mit dabei. Ich wollte nämlich in Dushanbe ein Depot einrichten. Ich verschenke daher ein paar meiner aus der Schweiz mitgebrachten Viktualien und werde erst in Khorog ein kleines Depot einrichten können. Bevor ich dann endlich losfahre, muss ich noch eine Stunde lang Tetris spielen und versuchen, alle meine Siebensachen in meinen Taschen zu verstauen. Im Verlaufe der nächsten Tage wird sich die Packordnung dann schon noch ergeben.

Endlich geht es los. Ich bin aufgeregt und kann es kaum fassen, dass ich wieder ‘per velociped’ unterwegs bin. In den ersten Tagen geht es gleich richtig zur Sache. Nach 30 km bin ich schon durchgeschwitzt, es ist 35 Grad heiss, ich muss literweise Wasser trinken, mache Halt an einem kleinen Shop, wo mir der Besitzer einen leckeren gut gesalzenen Maiskolben reicht, gerade zur richtigen Zeit.

Danach geht es in Fayzobod an der Mineralwasser-Fabrik vorbei. Ab jetzt werde ich hauptsächlich Wasser aus Leitungen und Bächen trinken, das ich jeweils filtere oder behandle. Der limitierende Faktor in den ersten Tagen ist eindeutig die Hitze. Ich pausiere über drei Stunden im Schatten eines Baumes, wo mich ein älterer Tajike ausruhen lässt und eine zuckersüsse Wassermelone spendet. Er betreibt einen kleinen Shop nebenan und ist Selbstversorger. Ein ausrangierter LKW dient als Laden und Wohnfläche.

Am ersten Tag gönne ich mir noch ein Zimmer bei Khurshed, einem grossen Fan italienischer Popmusik der 80er Jahre. Ich bin schon auf 1600 Metern und es ist angenehm kühl in der Nacht.

Die gleiche Strecke bin ich ja schon damals gefahren, einige Abschnitte kommen mir noch sehr bekannt vor. Aber es hat deutlich mehr Verkehr. Der Fahrzeugpark ist ebenfalls moderner geworden. Auffallend: die Vielzahl der Opel Zafira, die als Minibusse fungieren.

Bis Obigarm ist die Strasse nun asphaltiert, danach kommt ein Teilstück, das den Namen Strasse nicht mehr verdient. Hier fahre ich an der grössten Baustelle Tajikistans vorbei, dem Wasserkraftwerk Roghun. Ein umstrittenes Megaprojekt mit einem Schüttdamm von eineinhalb Kilometern Länge. Die Strasse wird grösstenteils nach Fertigstellung überflutet werden.

Um die Hitze einigermassen zu ertragen, habe ich mir aus einer PET-Flasche einen Wasserspender gebastelt und besprühe mich regelmässig mit Wasser.

In einem schattigen Tal suche ich mittags Zuflucht in einer Oschchona, wo ich auf einer Tapchan, einer erhöhten, quadratischen Sitzfläche, wieder zu Kräften komme.

Ein Herr nebenan zeigt mir die noch funktionierende alte Mühle. Der grosse Stein, der unermüdlich seine Runden zieht, sei 200 Jahre alt, meint er.

Übernachten werde ich in einer Bauarbeitersiedlung. Exponiert am Fluss zu zelten macht mich nicht an und so lande ich in einer Baracke, wo ich mit Tajiken die Nacht verbringe.

Mein Eindruck ist, dass diese einfachen, kleinen Oschchonas, Gaststätten, nicht mehr ganz so häufig anzutreffen sind wie damals. Wenn ich aber eine zur richtigen Zeit finde, ist es ein Segen, dort Tee zu trinken, Spiegeleier und Brot zu essen und mit den Tajiken einfache Konversation zu führen.

Bei der Abzweigung zum Rasht-Tal mache ich einen kurzen Abstecher, um einen Schattenplatz in der ersten Ortschaft zu finden. Ich fange an einer Tankstelle an zu zeichnen und spontan werde ich von einem Herrn zu einem leckeren Essen eingeladen. Nicht auf sich warten lassen aber auch die Magenprobleme. Zum Glück aber nichts Ernsthaftes und nach ein, zwei Tagen stellt sich der Magen wieder ein.

In Qala-I-Hussein kann ich im Gästezimmer einer Moschee schlafen. Ich bin froh, mich hier wieder richtig waschen zu können, koche draussen dann meine Nudeln, um anderntags den Khaburabot-Pass auf 3´252 Metern in Angriff zu nehmen. Die Steigung ist zum Glück moderat, die Strecke zieht sich aber hin. 25 km und 1´400 Hm. Tönt nicht nach viel, aber mit Gepäck und auf einer MTB-Strecke doch ein gutes Stück Arbeit.

Die Abfahrt ist dann ein Hochgenuss, die Strasse windet sich durch Felsformationen, ist abwechslungsreich. Zahlreiche Imker am Wegesrand gehen ihrer Arbeit nach. Von dieser Gegend stammt der beste Honig Tajikistans.

Die Tajiken sind sehr gastfreundlich, viele winken mir zu und laden mich immer wieder zum Tee ein. Für kleine Einkäufe wie zwei Äpfel oder eine Packung Streichhölzer wollen sie gar kein Geld annehmen.

Junge am Wegesrand schenken mir sogar eine Melone. Sie ist dann zu meiner Enttäuschung nicht ganz so rot und schmackhaft, aber die Geste zählt.

Lustigerweise übernachte ich wieder oft an den gleichen Orten wie damals, nur dass sich die Umstände geändert haben. Beim kleinen Bergsee Hausi Kabuz konnte ich noch bei der Schenke einkehren und auf der Tapchan schlafen. Jetzt zelte ich direkt am See. Die ganze Anlage wird renoviert. Das Bad im See ist erfrischend und herrlich. Mit einem ganz alten Tretboot aus Lenins Zeiten drehen ein Arbeiter und ich noch eine Runde, als Paddel dienen zwei Schaufeln.

Ab Qhalaikum bin ich dann an der Grenze zu Afghanistan. Es ist faszinierend, jeweils die sehr sauber hergerichteten Dörfer einen Steinwurf entfernt zu beobachten und den eingehüllten Bewohnern zuzuwinken. Ab hier fangen auch die Strassenarbeiten der Chinesen an, vor denen einige Radler gewarnt haben.

Die Intention der neuen Seidenstrasse ist klar. Es geht nicht darum, die Reisezeit der Tajiken innerhalb dieses Gebietes zu verkürzen, sondern Waren, Trucks und Konvois aus China sollen möglichst schnell auf vierspurigen Strassen befördert werden können.

Kein Aufwand wird hier gescheut, um dieses Vorhaben umzusetzen. Dabei ragen 5000 Meter hohe Berge unweit des Grenzflusses Panj mächtig in die Höhe. Jeder Quadratmeter Landfläche ist für die Bewohner lebensnotwendig. Ich staune nicht schlecht. Da werden ganze Berghänge weggesprengt, Tunnels gebaut und mit der ganz grossen Keule wird hier angerichtet.

Dabei hätte es gereicht, die Strasse aus Sowjetzeiten moderat auszubauen und andauernd zu unterhalten, anstatt sie ganz verfallen zu lassen. Die Strasse ist tagsüber gesperrt, sodass ich frühmorgens um 5 Uhr starte. Ich habe Glück, bei der ersten Sperre fahre ich einfach weiter, während alle Fahrzeuge in der Hitze warten müssen. Sturheit gepaart mit Freundlichkeit helfen weiter. Der chinesische Vorarbeiter gibt mir barsch zu verstehen, ich solle rasch weiter. Dabei rollen vom Hang oben meterhohe Steinblöcke runter. Ich warte den passenden Moment ab, habe keine Lust, hier stundenlang zu warten, und in einem Kraftakt hebe ich mein Velociped über die Steine und weg bin ich.

Bei der zweiten Sperre lässt mich der Chinese dann nicht mehr durch. Hier wartet schon das deutsche Radlerpaar, Dennis und Maike aus Köln, das ich in Duschanbe kennengelernt habe. Ich mache aus der Not eine Tugend und zeichne kurzerhand den chinesischen Aufseher und kann ihm dann sogar ein Lächeln entlocken.

Zwei Tage fahre ich dann mit Dennis und Maike zusammen. Einmal zelten wir im Dorf Dashtak, tags darauf im Schulhof der Siedlung Shidz. Die Kinder sind natürlich neugierig auf die Europäer und die Bewohner jeweils sehr wohlwollend.

Nach Dashtak fängt es dann tatsächlich an zu regnen. Endlich erträgliche Temperaturen. Nach 18 km dann eine einladende Oschchona, wo wir unser zweites Frühstück zu uns nehmen. Bei Vanj fahren wir an einer grossen Arbeitersiedlung vorbei. Wie sich manche Orte doch sehr geändert haben.

Ich wurde damals ja etliche Male zum Schlafen eingeladen und habe mir daher Fotos ausgedruckt und kleine Geschenke mitgebracht, um diese Menschen aufzusuchen. Die Nachbarn erkennen jeweils die Gastgeber sofort, leider waren diese nicht mehr im Ort, sondern in Duschanbe.

Nach wie vor gibt es Abschnitte, an denen die Chinesen noch nicht Hand angelegt haben.

Wilde zerklüftete Flusstäler, kilometerhohe Berge ragen in die Höhe. Eine schroffe Bergwelt.Dem Grenzfluss entlang zu fahren, ist anstrengend. Es geht immer wieder hinauf, herab und quer und krumm, sodass auf 70 km bald 1´000 Höhenmeter gesammelt werden. So richtig in einen Rhythmus kommt man dabei nicht.

In Choshtchandez trennen wir uns dann. Eingangs der Ortschaft erkenne ich wieder die kleine Holzbank, auf der ich 2006 erschöpft von der Mittagshitze mich ausgeruht und einem vorbeigehenden Herrn gefragt hatte, ob es ein Teehaus im Dorf gebe. Die Gastfreundschaft, die ich danach von Abdul und seiner Familie erfahren hatte, verschlug mir die Sprache. Die Gastfreundschaft der Pamiri, die der Glaubensrichtung der Ismailiten angehören, ist unglaublich.

Ich wurde wie ein Gott empfangen, Speisen nach Speisen wurden aufgetischt, konnte danach ein Nickerchen machen und zum Abschied wurde ich mit handgestrickten Socken und getrockneten Maulbeeren beschenkt. Solche Momente gaben mir auf meiner damaligen Reise die nötige Motivation. Ich hatte mir damals versprochen, aus Dankbarkeit diese herzensgute Familie wieder einmal zu besuchen. Nun löse ich endlich dieses Versprechen ein. Vor vier Jahren haben Freunde aus Liestal Abdul einen Brief und Fotos von mir überbracht und er hatte eine Riesenfreude gehabt. Seither bin ich mit seinem Sohn auf Facebook befreundet und ich hatte ihm angetönt, dass ich irgendwann einmal wieder aufkreuzen würde. Ich zeige der Nachbarin ein Foto von Abdul und sie zeigt auf das Nachbarhaus. Schon nach wenigen Metern kommt mir dann freudig Abdul entgegen, wir umarmem uns lange, Freudentränen fliessen. Die damalige Begegnung ist mir immer noch in frischer Erinnerung geblieben.

Mit seinem 37-jährigen Sohn kann ich mich dank Google Translator einigermassen verständigen. Ich darf beim Cousin duschen. Als ich mit Nusrim zur Schule laufe, fährt uns ein abgekämpftes Radlerpaar aus Frankreich und Polen entgegen. Was für ein Zufall. Ich habe sie im Greenhouse kennengelernt und natürlich werden sie gleich mit eingeladen.

Nächstentags strample ich die 32 Kilometer bis nach Khorog runter. Diese Kleinstadt erkenne ich überhaupt nicht wieder. Hochhäuser, Kaffees, Homestays, Restaurants, viele Shops. Damals hatte ich meine liebe Mühe, in diesem grossen verschlafenen Dorf überhaupt eine Bleibe zu finden und konnte nach vielem Rumfragen in einem Privatzimmer schlafen. Jetzt ist hier der Bär los, sodass ich in einer netten Unterkunft meine Batterien aufladen, meine Weiterreise planen und mich um ein Permit für eine entlegene Gegend kümmern kann. In wenigen Tagen soll der seit 1994 regierende Präsident Rahmon die Stadt besuchen, fleissig wird daher noch Kosmetik betrieben und Schlaglöcher behelfsmässig ausgebessert.

Ich bin froh, nochmals nach Tajikistan gekommen zu sein. Zwar waren teils Abschnitte der Strecke Qhalaikum -Khorog aufgrund der Bauarbeiten alles andere als beschaulich. Der malerische Aspekt ist oft flöten gegegangen. Es herrscht auch viel mehr Verkehr als 2006. Lastwagen und Trucks sind Vorzeichen einer bevorstehenden Entwicklung, die tiefgreifende Änderungen nach sich ziehen wird. Es ist zu befürchten, dass die kleinen Dörfer, grüne Oasen in dieser wilden Gebirgslandschaft, vermehrt mit Landflucht zu kämpfen haben werden. Dennoch geniesse ich nach wie vor die Gebirgslandschaft und die Freundlichkeit der Menschen hier.


Weitwandern auf dem Sentiero Roma

Nachdem ich letztes Jahr im September die Via Alta Verzasca, eine wilde, technisch anspruchsvolle Gratwanderung der Spitzenklasse gewandert bin, wollte ich dieses Jahr wieder eine Woche mit Rucksack und Wanderschuhen unterwegs sein. Es kam mir gerade recht, dass ich vor kurzem vom Sentiero Roma hörte. Eine Höhenwanderung im südlichen Bergell auf der italienischen Seite, von Hütte zu Hütte. Nach Ansicht der Bergsteigerlegende Walter Bonatti befindet sich hier der schönste Granit auf der Welt. 


Lagunenroute

In Uyuni treffe ich endlich Sabine und Tinu an, die seit diesem Frühling in Südamerika unterwegs sind (hier ihr Bericht und ihre Fotos zur Lagunenroute: www.siempre-pedalar.ch). Wir sind seither in Kontakt und nun habe ich sie endlich eingeholt, nicht zuletzt, weil sie hartnäckige Magenprobleme hatten und Peru quasi überspringen musste.
Auf die Lagunenroute habe ich mich schon lange gefreut. Sie führt im äussersten Südwesten von Bolivien, in der Region Sur Lipez, auf einer Höhe von 4´300 bis 4´900 Höhenmetern. Starke UV-Strahlung tagsüber und sehr kalte Nächte wechseln sich ab. 
Von Uyuni bis San Juan sind es flache 140 Kilometer auf Schotter, danach 350 Kilometer bis San Pedro de Atacama in Chile. Nur die letzten 45 Kilometer sind geteert, der Rest ist eine Piste, Wellblech, Schotter und Sand. Ideales Terrain, wenn man bikepack-mässig unterwegs ist. Mit einem konventionellen Tourenrad ist die Strecke schwieriger zu befahren und das Rad ist manchmal zu schieben.
Auf der Strecke, für die acht bis zehn Tage zu veranschlagen sind, ist die Versorgung schwierig. Aus der Not machen wir eine Tugend. Wir, d.h. Sabine und Tinu sowie Laura und Pierre, mit denen ich schon unterwegs war. Eine Gruppe, die gut harmoniert, wie sich herausstellen wird. Es fahren viele Jeeptouren durch die Gegend  und wirbeln mächtig Staub auf. Und so geben wir einer der zahlreichen Reiseagenturen drei Pakete mit Lebensmitteln und entbehrlichen Ausrüstungsgegenständen mit, um sie unterwegs zu deponieren.
Nach drei Ruhetagen in Uyuni und vier Pizzen tut man sich schwer, wieder in die Gänge zu kommen. Wir machen daher erst relativ spät um 8 Uhr morgens ab, um langsam wieder in die Gänge zu kommen und uns an den Radler-Reisealltag zu gewöhnen. Wir wollen die Startzeit in den nächsten Tagen allmählich vorverlegen, denn am späten Vormittag setzt normalerweise Südwestwind ein, der das Fahren noch mühsamer macht. Erst um 9 Uhr ist die Karawane bereit und setzt sich in Bewegung. Weit kommt sie allerdings nicht. Nur vier Kilometer bis zum Lokomotiv-Friedhof.
Die alten Dampflokomotiven stammen aus dem 19. Jahrhundert, als sie hier noch gebaut wurden.  Um 11 Uhr starten wir endlich, nachdem wir etliche Fotos geschossen haben. Es geht los !
Um die Mittagszeit treffen wir in der kleinen schmucklosen Ortschaft Vinto ein, in der wir unseren Lunch einnehmen. Die Hitze macht uns zu schaffen und wir sind danach alle schlapp und schlafen fast am Tisch ein. Nur mit Anstrengung können wir uns motivieren, in der Nachmittagshitze noch ein paar Kilometer runterzuspulen. 
Gemäss Beschrieb anderer Radler können wir die kürzeste Strecke entlang der Eisenbahn nehmen und man kann so die “Hauptstrecke” vermeiden (wieso denn auch, eine halbwegs gute Piste praktisch ohne Verkehr). “Eccellent and fun cycling” wird versprochen. Mitnichten. Der Pfad neben der Eisenbahn ist butterweich und wir können nur neben den Geleisen fahren. Selbst für mich als Bikepacker ist die Strecke alles andere als lustig und wir quälen uns schliesslich eineinhalb Kilometer durch eine weiches Feld zurück zur Piste. Danach geht es flotter unterwegs bis zum Fluss Rio Grande, wo wir wild zelten. 
Am nächsten Tag geht es relativ problemlos unterwegs (wobei ich nur für mich reden kann; ich bin am leichtesten unterwegs und habe 27.5 Zoll Räder, hinten 2.6 Zoll breit) und abends sind wir dann in San Juan. Hier ist die letzte Möglichkeit, um noch “richtig” einzukaufen. Wir kommen in der Cabañas de Sal für 35 Bolivianos pro Person unter (5 Dollar). Einem charmanten Hotel aus Salszteinen gebaut, das wir für uns alleine haben. Die Hochsaison ist zum Glück vorüber. Ich dusche, erledige die Wäsche, kaufe noch ein paar Fressalien und Brot ein. Ich lande im Büro der Commission de Agua, wo mir wärmstens empfohlen wird, die Nekropolis zu besichtigen.
Sie ist nur einen halben Kilometer entfernt und diente in der Inkazeit, um wichtige Persönlichkeiten zu bestatten. Aus Vulkansteinen wurden Hügel gebaut, in denen die Verstorbenen mit Beigaben beigesetzt wurden.
Das Eintrittsticket bezahle ich lustigerweise bei einem Herrn, der mich eingangs San Juan nach Trinkwasser gefragt hatte. Die Ortschaft ist sehr überschaubar. 
Am nächsten Tag geht es richig los. Zunächst flott auf einer Ebene bis zum Militärposten Chiguana, wo wir unsere Wassersäcke auffüllen. Fortan sind wir als Feuerlösch-Fahrzeuge unterwegs.
Danach ein flacher Abschnitt auf einem Salzsee und schliesslich fängt ein steiniger, holpriger und teils steiler Anstieg an. Ein Vorgeschmack auf das, was uns erwarten wird. 
Optimal, damit wir uns an die widrigen Umstände gewöhnen können.
Der Himmel zieht nach dem Lunch zu und wir werden von einem Sandsturm und einem kurzen Gewitter heimgesucht, der sich glücklicherweise rasch verzieht.
Nach der Passhöhe auf 4´200 Metern kommt die Sonne wieder raus und die Welt ist wieder in Ordnung, die Bergspitzen sogar verschneit.
Es ist fast windstill und wir können schon  bald unser Tageswerk beenden und unsere Zelte vor dem rauchenden Vulkan Ollague aufschlagen. 
Am nächsten Tag habe ich einen guten Tag, breche vor den anderen auf und fahre in meinem Tempo bis zur ersten Laguna, der Laguna Cañapa.
Wer mit Flamingos nichts anfangen kann, der sei gewarnt, sollte die Lagunenroute unbedingt meiden. Es gibt zahlreiche Lagunen mit Tausenden von Flamingos zu bestaunen. 
Danach geht es bis zur Laguna Hedionda, wo ich um die Mittagszeit ankomme. Dort müsste im völlig überteuerten Ecohotel unser Paket schon seit zwei Tagen auf uns warten. Alle Jeeptouren sind auch grad hier und machen Mittag (alle Touren gleichen sich aufs Haar und halten alle zur gleichen Zeit an den gleichen Orten an). Ernüchterung macht sich bei mir (und später bei den anderen) breit, weil das Fresspaket noch nicht eingetroffen ist. Ich haue den Fahrer der Agentur Cordillera an, der nichts dafür kann, ich muss aber meinen Ärger loswerden. Er tut mir nachher leid, er kann uns aber ganz gut verstehen. Die Agentur hat uns hoch und heilig versprochen, dass das Paket rechtzeitig eintreffen werde und gutes Geld für den “Encomienda”-Dienst kassiert.  
Es gibt übrigens drei Arten von Tourenfahrern auf der Lagunenroute: die leichten Bikepacker wie ich (ich habe rund 12 Kilo Gepäck, dazu Essen und teilweise bis zu 12 Liter Wasser mit dabei), die herkömmlichen Tourenfahrer mit klassischem Setup (vier Packtaschen plus Lenkertasche und Packsack) und dann gibt es noch die Spezie der “locos japoneses”, wie ich sie nenne.
Japaner, die mit 80 bis 100 Kilogramm unterwegs sind, auf abgelaufenen schmalen Reifen mit wenig Profil. Die sich auf dieser Route quälen und die grösste Zeit ihr Maulesel schieben, kaum mehr als 20 bis 30 Kilometer weit kommen an einem Tag. Und als wäre dies nicht genug.  Sie bauen auf ihrer Route noch Umwege über 5´700 Meter hohe Pässe ein. Hut ab. Das Wort Stamina haben sie verinnerlicht.
An der Laguna Hedionda können wir, zusammen mit dem Japaner Tatsuro, im Esssaal schlafen. Das erspart uns, im starken Wind die Zelte aufzuschlagen. Ohnehin ist bei mir die Schlafqualität am Leiden: bei meiner leichten Exped Synmat Ultralight Liegematte gehen Tag für Tag die verklebten Nähte auf, sodass ich bald schon auf einem Ballon schlafe.
Am nächsten Tag hält tatsächlich ein Jeep der Cordillera an und überbringt uns unser Fresspaket. Vorgezogene Weihnachten ! Der Frust vom Vortag ist vergessen und nachdem wir unsere Taschen vollbepackt haben, fahren wir zwar schwer beladen aber frohen Mutes weiter. 
Die Freude dauert bei mir genau 23 Minuten lang. Urplötzlich geht meine Pinion-Schaltung schwer, ich kann die Kurbel beim Schaltvorgang nur mit Mühe rückwärts drehen. Ein paar Umdrehungen später blockiert die Kurbel, ich kann nicht mehr treten. Bei einer herkömmlichen Kettenschaltung kann man sich zu behelfen wissen, doch bei einer Pinion-Getriebeschaltung, die nur von Spezialisten mit Spezialwerkzeug geöffnet werden kann ? Keine Chance. Aus die Maus. Game over. Das war´s dann gewesen. Ich male mir bereits aus, wie ich am Pistenrand zelte und nach einer Mitfahrgelegenheit nach Uyuni oder San Pedro Ausschau halte, während die anderen die Lagunenroute weiter “geniessen”.

Doch zu meinem grossen Glück fahre ich mit Tinu, der ebenfalls eine Pinion-Schaltung fährt (und sie nach 6´500 Km in Uyuni auswechseln musste…). Auf der linken Seite hat sich eigenartigerweise der Verschlussring hinter der Kurbel gelöst. Kann die Pinion-Schaltung etwa mit dem Druck auf dieser Höhe nicht gut umgehen? Tinu hat ein Spezialwerkzeug dabei, um auf der Zahnkranzseite einen Verschlussring mit acht Löchern am Kettenblatt zu lösen. Leider sind die Lochgrössen des Verschlussringes an der linken Seite unterschiedlich (wieso das Leben kompliziert gestalten?) und wir müssen die Stifte anschleifen. Mit etwas Glück schafft es Tinu, den Ring anzuziehen, sodass ich weiterfahren kann. Riesenerleichterung! 

(Foto Martin Kämpfer)

Und wenn wir schon beim Material sind, ein kurzer Erfahrungsbericht.  Bei der Ortlieb-Rahmentasche ist nach wenigen Wochen der Reissverschluss bzw. der Schlitten aus Kunststoff kaputt gegangen (jedes Wolljäckchen unter 50 Franken aus Zara hat einen stabileren Schlitten aus Metall…). Die hinteren Gravel-Packs von Ortlieb in der Grösse von vorderen Packtaschen hingegen haben sich bestens bewährt. Bei Bedarf montiere ich einen zusätzlichen Packsack auf den Gepäckträger.  

Ein kleiner Exkurs zu einigen Ausrüstungsgegenstände, die ich besonders gut mag, weil sie leicht, funktionell und stabil sind (von oben links nach rechts unten). Der Klappbecher von Sea to Summit ist sehr platzsparend und leicht. Bilder und Videos schiesse ich mit der Sony-DSC -RX100-III. Das Stativ von Tamrac (ZipShot Mini) öffnet sich von selbst in wenigen Sekunden und ist sehr leicht. Die Eagle Creek Kleidertasche kann satt befüllt werden und passt perfekt in die Radtaschen. Mit dem Steripen kann Wasser mühelos (mit UV-Bestrahlung) gereinigt werden. Laptop habe ich nicht dabei, dafür Handy und klappbare Tastatur. In der wasserdichten Lendentasche von Ortlieb, meine zweite Haut, hat es Platz für Dokumente und Geld. Der kleine Rucksack von Osprey ist zusammengefaltet gross wie die Faust eines Kindes und sehr praktisch. Dünne Handschuhe aus Polartec sind unentbehrlich, wenn es abends rasch sehr kalt wird. Das Schweizer Taschenmesser: kein Kommentar. Ein Muss. Und ein Buff-Halstuch gehört zu jeder Reise dazu. Mit dem dünnen habe ich selbst Minustemperaturen überlebt. 
Zurück auf das Altiplano. Es wird eine anstrengende Tagesetappe, rauf zu einem Pass, danach auf Sand und im Gegenwind runter bis zum Hotel del Desierto.

(Foto Martin Kämpfer)

Ich kann noch knapp fahren und muss nicht schieben. Im Windschutz des Gebäudes für die Unterkunft der Chauffeure können wir unsere Zelte aufstellen. Mario, der Aufpasser, hat ein grosses Herz, wie er selber betont und Mitleid mit den sich abkämpfenden Velofahrern. Der Japaner Tatsuro schafft es auch noch bis hierhin, obwohl er zu 80 Prozent sein Rad schieben muss.
Es wird eine sehr kalte Nacht bei minus 12 Grad.
Laura und Pierre kommen mit ihrer Ausrüstung an ihre Grenzen. Ich schlafe mit langer Unterwäsche, Pullover und Daunenjacke und das Zwiebelprinzip bewährt sich.  
 
Am Morgen warten wir jeweils, bis die ersten Sonnenstrahlen sich zeigen. Zu kalt ist es, um vorher zu starten.
Eine kurze und eher entspannte Etappe führt uns zum bekannten Árbol de Piedra, ein sieben Meter hoher Pilzfelsen, von Sand und Wind geformt. 
Und der eher an den Kopf eines frischgeschlüpften Krokodils erinnert. 
Wir amüsieren uns über die Jeeptouristen, die alle praktisch gleichzeitig ankommen, in Flipflops, Shorts und T-Shirts aus den beheizten Jeeps aussteigen und nachdem sie sich vor dem Felsen abfotografiert haben und der Fahrer nach 20 Minuten “Vamos, vamos!” schreit, schon wieder verschwunden sind. 
Die Felsformationen hinter der Hauptattraktion sind genau so faszinierend und bieten vor allem guten Windschutz, um das Zelt aufzustellen. Es ist fast Vollmond und im hellen Schein des Mondes wirken die Felsen noch mysteriöser. 
In der Laguna Colorado angekommen, gönnen wir uns einen Ruhetag. Der nur eineinhalb Meter tiefe See hat eine rote Färbung aufgrund der dort herrschenden Algenart und des hohen Mineralstoffgehaltes. Und das zieht Tausende von Flamingos an. 
Gestärkt können wir unsere Fahrt fortsetzen. Es wird wieder eine anstrengende Etappe werden. Zunächst bis Huayllajara, wo wir unser zweites Esspaket in Empfang nehmen. 
Eine mühsame Querung eines Feldes, für die meisten heisst es dort schieben. Danach eine Steigung, wo ich oben angekommen auf die anderen warte. Ein Landcruiser fährt einige Zeit später vorbei und in breitem Baselbieterdeutsch meint Daniel “Die andere chöme au glii!”. Da er ein BL-Nummernschild hat, halte ich ihn an und geniesse es, mit Baselbietern auf 4´700 Meter einen Schwatz zu halten. Celine und Daniel sind seit zwei Jahren auf den beiden amerikanischen Kontinenten unterwegs (www.break-a-way.net). Es stellt sich bald heraus, dass wir gemeinsame Bekanntschaften aus der Reiseszene haben. Und sie vermachen mir ein Fresspaket, damit wir Älplermakronen zubereiten können, inklusive Bier zum Runterspülen. 
Doch das müssen wir uns zunächst abverdienen. Es steigt weiter, der eisige Wind bläst uns ins Gesicht und wir kämpfen uns auf der Wellblechpiste, bzw. dem Strauss an Pisten, weiter voran. 
Endlich erreichen wir den Pass Sol de Mañana auf über 4´900 Metern und das nahegelegene Geysirfeld. 
Die letzten Sonnenstrahlen verwandeln das sehr aktive Geothermiefeld aus Geysire, Schlamm-Löchern und Fumarolen in eine unwirkliche Szenerie, die uns in den Bann zieht. Entsprechend geraten wir etwas in Verzug, um unsere Zelte im starken Wind aufzustellen.
Wir suchen uns ein Plätzchen am Rand des Feldes und kommen so in den Luxus einer prächtigen Bodenheizung. Die ist so stark, dass ich ohne Schlafsack einschlafen und die vom Baselbieter Paar geschenkten Äpfel und Gemüse am Morgen gargekocht sind. 
Anderntags geht es auf einer recht guten Piste runter zur Laguna Chaviri mit Thermalbad. Umgeben von tiefblauem Himmel und farbigen Bergen. 
Danach vorbei an der Salvador-Dalí-Wüste (so benannt wegen der bizarren Felsbrocken, die an die Gemälde des Surrealisten erinnern). 
Endlich erreichen wir die Laguna Blanca und die Laguna Verde, wo wir in verlassenen Häusern einen guten Windschutz finden. Faszinierend sind die versteinerten Korallen, die daran erinnern, das sich hier früher ein grosses Meeresgebiet befand.
Die Vicuñas am Wegesrand werden immer zutraulicher und laufen beim Anblick eines Radlers gar nicht mehr weg sondern lächeln in die Kamera.
Wir werden mit einer bezaubernden Abendstimmung belohnt und sind froh, dass wir mit den Velos unterwegs sind und so Zeit und Muse haben, solche Momente für uns alleine geniessen zu können. 
Am letzten Tag geht es an der Laguna Verde am Fuss des Vulkans Licancabur vorbei. Die Farbe wechselt je nach Wind zwischen Türkis und dunklem Grün. Blei und Arsen sind u.a. dafür verantwortlich. Das mögen die Flamingos nicht, weshalb wir hier keine antreffen. 
Eine letzte Steigung, in der uns der Wind fadengerade in das Gesicht bläst. So leicht entkommen wir der Lagunenroute nicht. Eine letzte mentale Prüfung. Wir erreichen endlich den bolivianischen Zoll und danach fängt bester Asphalt an. 
Wenige Kilometer und dann steht uns eine 42 Kilometer lange Abfahrt bevor mit einem Höhenunterschied von sagenhaften 2´300 Höhenmetern ! Wir fliegen regelrecht in einen Backofen nach San Pedro de Atacama. Ein sehr touristischer Ort in Chile, wo wir die Annehmlichkeiten des Tourismus geniessen und, typisch Radler, in eine Art Lethargie verfallen und uns ausgiebig ausruhen. 
Man soll aufhören, wenn es am Schönsten ist. Zwar gäbe es noch ein paar abgelegene Passübergänge nach Argentinien, doch allzu viel Zeit habe ich nicht mehr. Nach dieser tollen Fahrt in einer guten Gruppe fühle ich mich gesättigt. Ich kann mich glücklich schätzen, eindrückliche und schöne Landschaften in Ecuador, Peru, Bolivien und Chile mit dem RAW von MTB Cycletech entdeckt zu haben. 
 
 
 

Altiplano Ahoi

Mittlerweile bin ich etwas ins Hintertreffen geraten mit meinem Reisebericht. Seit dem letzten zieren sechs neue Ein- und Ausreisestempel meinen Pass und ich habe fünfmal die Grenze gewechselt. 

Also zurück nach Peru und nach Cusco, der alten Inkahauptstadt, dem Zentrum des Inkareiches. Dort beschränke ich mich auf die Sehenswürdigkeiten in der Stadt und unternehme einen geführten Ausflug, um die Ruinen von Chinchero, die Salzminen von Maras, Moray, Ollantaytambo und Pisaq im Schnelldurchlauf zu besichtigen.  Den Spiessrutenlauf auf Macchu Picchu zusammen mit 2´499 anderen Touristen tue ich mir nicht an.
Hingegen kann ich ein von Eco-Solidar unterstütztes Projekt in der Nähe von Pisaq besuchen. Pukllasunchis, die 1981 von einer engagierten Schweizerin gegründete Partnerorganisation, die eine interkulturelle Modellschule in Cusco unterhält, führt mit grossem Erfolg seit vierzehn Jahren ein Radioprogramm, um das kulturelle Selbstbewusstsein der indigenen Bevölkerung, von Kindern und Frauen zu stärken.
Alex, langjähriger Mitarbeiter, führt mich durch die Räumlichkeiten von Pukllasunchis und zeigt mir das Aufnahmestudio. Das Radio ist nicht Zweck sondern Mittel, um das indigene Wissen und Kulturgut, das im offiziellen Schulprogramm und in den Medien keinen Platz hat, sichtbar zu machen. Die diskriminierte indigene Bevölkerung erhält dadurch eine Stimme. Schüler und Lehrer befassen sich mit dem lokalen Wissen der ländlichen Gemeinschaft, mit den Traditionen, Bräuchen und ihrer Weltanschauung. 
Die von den Schülern erarbeiteten Themen werden auf Tonband aufgenommen. Pukllasunchis und deren Mitarbeitende unterstützen dabei die Lehrer und bilden diese aus. Ethnologen und Pädagogen bereiten anschliessend die Themen auf, damit sie ausgestrahlt werden können. 
Die Radioprogramme werden zweisprachig gesendet: in Spanisch und Quechua, der lokalen Sprache. Zur Prime Time abends werden die von Pukllasunchis profesionell aufgearbeiteten 15-minütigen Programme in der Gegend von Cusco und Puno ausgestrahlt. Diese erfreuen sich mittlerweile grosser Beliebtheit bei der ganzen Bevölkerung. 
Die fertigen Sendungen dienen zudem auch als Unterrichtsmaterial und können so mehrfach verwendet werden. 
Luis, Marco und der Chauffeur Percy holen mich frühmorgens ab und wir fahren zum hochgelegen Dorf Amaru. Dort hat eine Schulklasse gerade eine Volksfabel vorbereitet und trägt diese mit der technischen Unterstützung von Marco vor.
Nach den Aufnahmen gibt Luis ein Feedback und animiert die Lehrerin dazu, die Kinder freier vortragen zu lassen und sich nicht streng an das Manuskript zu halten. Spontaneität und Improvisation sollen Raum haben und hilft vor allem den Kindern, die weniger gut Texte auswendig lernen können, sich mutiger einzubringen.
Wir machen eine Runde durch die Schule und sehen, wie Kinder mit Bohnen, Samen und Maiskörnern Zeichnungen gestalten. Alltägliche Szenen aus dem harten Dorfleben. 
Luis strahlt wie ein Maienkäfer. “Soy muy feliz”, meint er. Die Ausbildung der Lehrkräfte trägt Früchte, erzählt er begeistert. Diese Lehrerin hat die von Pukllasunchis duchgeführte Weiterbildung offenbar verinnerlicht und im Schulunterrricht umgesetzt. Das freut Luis, der seiner Tätigkeit mit Herzblut nachgeht, immens.
Vor der Schule haben sich zufälligerweise die Eltern der Schulkinder eingefunden, um sich mit dem Direktor zu besprechen. Dieser nutzt die Gelegenheit und lässt Luis eine kurze Rede halten, um die Eltern auf die Arbeit von Pukllusanchis und dem Radioprogramm aufmerksam zu machen.    
Nach diesem aufschlussreichen Tag fahren wir zurück nach Cusco. Zeit für mich, weiterzuziehen. Mit dem Nachtbus fahre ich direkt nach Copacabana am Titicacasee. Das ist zumindest die Absicht. Um halb vier Uhr morgens steht der ganze Verkehr vor Juliaca still. Eine Strassenblockade: Steine, Glasscherben, Unrat und brennende Pneus blockieren praktisch den ganzen Tag den Verkehr. Die Bürger protestieren damit gegen den Bürgermeister, der ein längst überfälliges Programm, um den umliegenden Gemeinden Zugang zu Wasser zu verschaffen, immer noch nicht umgesetzt hat. Alle Reisenden sämtlicher Busse müssen aussteigen und 10 Kilometer durch Juliaca laufen und auf einen Collectivo hoffen, der sie nach Puno bringt. Nun, da ich einen fahrbaren Untersatz mit dabei habe, radle ich die 45 Kilometer nach Puno. Am Nachmittag dann kann ich per Bus nach Copacabana weiterreisen, wo ich erst bei Dunkelheit eintreffe. 
 
Dort hole ich mir eine Magenverstimmung ein und muss drei Tage zwangspausieren. Endlich geht es weiter. Mit öV fahre ich in den Nordwesten Boliviens bis zum Dorf Curahuara de Carangas. In La Paz steige ich um, habe Riesenglück, das sich gleich ein Baño publico um die Ecke befindet und ich gleich ein Colectivo für die Weiterfahrt finde. 
Endlich wieder auf dem Drahtesel ! Um wieder auf Betriebstemperatur zu kommen, steht mir gleich eine 100-Kilometer Etappe nach Sajama beim gleichnamigen Nationalpark und Vulkan bevor. Der grösste Teil auf Asphalt, die letzten 15 Kilometer auf einer sandigen Piste.
 
Von Sajama fahre ich bis zum Grenzort Tembo Quemado, wo ich noch bestmöglich Proviant für die nächsten vier, fünf Tage einkaufe. Von hier reise ich nach Chile ein. Das Ganze hat einen Haken: in Chile werde ich durch Nationalparks fahren und es gibt keine Läden in den wenigen winzigen Ortschaften. Und die Chilenen sind streng, was die Einfuhr von Lebensmitteln anbelangt. Alles, was nicht industriell verpackt ist, muss entsorgt werden. Sprich: keine Früchte, keine Gemüse, kein Brot etc. 
 
Ich fahre zunächst dem Lago Chungará entlang mit Blick auf den Vulkan Parinacota. Ich dachte, dass die Strasse nach Parinacota geteert sei, doch sie wird neu gebaut und ist eine einzige Baustelle, holprig und staubig. Immerhin ist der Blick auf den Vulkan und die Lagune mit Flamingos und grasenden Alpacas einzigartig. 
Vom Nationalpark Lauca geht es dann südlich zur Reserva Nacional Vicuñas. Ich bin nun ganz alleine auf einer sandigen und holprigen Piste, erklimme einen Pass und fahre runter zu heissen Quellen. Zu meinem Erstaunen entdecke ich hier viele Strausse.  In der Abgeschiedenheit stelle ich mein Zelt auf. Wildes Zelten wie ich es liebe.
 
Am nächsten Tag gelange ich zu einer Kreuzung. Ab jetzt teile ich die Piste mit vielen Lastwagen, die zum Salar de Surire bolzen, um dort Borax aufladen. Borax oder Natriumborat ist ein selten vorkommendes Mineral und entsteht bei der Austrocknung von Salzseen. Es wird u.a für Glasuren, Keramiken und für die Emailproduktion verwendet. 
Gemäss Auskunft von anderen Radlern soll es auf der ganzen Strecke von fünf Tagen keine Verpflegungsmöglichkeit geben. Umso erfreuter bin ich, als ich im Weiler Ancuta einige parkierte Lastwagen erblicke und darauf schliesse, dass sich dort ein Truck-Stop befinden muss. Tatsächlich, ein kleines Restaurant mit einem kleinen Shop, in dem ich sogar Avocados, Tomaten und Brot kaufen kann. In solch abgelegenen Gebieten gilt das Hauptaugenmerk eines Tourenradlers dem Strassenzustand, der Verpflegung und dem Zugang zu Trinkwasser. 
Nach einer sehr kalten Nacht im Zelt, während der mir das ganze Wasser vereist, entdecke ich nochmals einen kleinen Truck-Stop, wo ich Brot kaufen kann. Bald erreiche ich eine Anhöhe und sehe den Salar de Surire. Nach einem kurzen Schwatz in der Polizeistation Chiclaya fahre ich östlich des Sees. Gegen zwei Uhr mache ich Halt, esse Brot, Paté und Zwiebeln, der starken UV-Strahlung und dem Wind ausgesetzt. Ich muss mich danach motivieren, um mein Tagesziel zu erreichen. Es geht nur langsam voran, die Wellblechpiste bremst mich ein. Noch 15 Kilometer, sprich mindestens eineinhalb Stunden. Doch ich habe nicht mit einer drei Kilometer langen Sandpassage gerechnet, nochmals zusätzlic 45 Minuten. Endlich erreiche ich dann die heissen Quellen von Polloquere, wo sich bereits sechs andere französische Radler eingefunden haben. 
Das wohlverdiente Bad lasse ich mir nicht nehmen und springe gleich rein. Herrlich!
Am nächsten Tag starten wir alle zusammen und nehmen eine 2 km lange Abkürzung über bolivianisches Territorium, trotz Abmahnung seitens der chilenischen Polizisten. 
Dies erspart uns einen Umweg über einen 4´700 Meter hohen Pass. Was uns nicht erspart bleibt, ist der Gegenwind und die Wellblechpiste. In einer verlassenen Ortschaft beschliesse ich, mich von der Gruppe zu verabschieden. Es ist erst drei Uhr und ich möchte noch weiter. Doch allzu weit komme ich nicht. Der Wind zieht noch stärker auf, die Piste wird noch sandiger. Allzu weit werde ich heute nicht kommen. 
Ein Minibus hält an und der Fahrer Orlando, von einem pensionierten deutschen Paar gebucht, hat alle sechs Radler samt Velos mitgenommen. Sie grinsen mich alle an. Ich kann nicht widerstehen und steige auch ein und erspare mir eine Tagesetappe bis zur bolivianischen Grenze. Dafür kann ich ein gemütliches Beisein in der Gruppe geniessen und meine restliche Schokolade teilen.
Von Grenzort Colchane fahren Laura, Pierre und ich Richtung Uyuni, während die anderen zur Küste nach Iquique radeln. Ben und Cécile haben nämlich auf dem Gepäcktäger ihre Gleitschirme mit dabei und Iquique scheint der Thermik wegen ein weltbekannter Ort für diesen Sport zu sein. 
Wir haben Glück, die anderen Pech. Mit Rückenwind fahren wir auf einer Piste dem Salar de Coipasa entgegen, dem zweitgrössten Salzsee in Bolivien. Am Rand der Wüste ist das Salz verkrustet, fühlt sich an, als würde man eine Meringue essen. Es knirscht fortwährend. Inmitten des Sees liegt die kleine Ortschaft Coipasa, wo wir übernachten. 
Der Salar de Uyuni hingegen ist mit 10´000 Quadratkilometer die grösste Salzpfanne der Erde. Es ist ein unwirkliches, surreales Gefühl, 70 bis 80 Kilometer am Stück auf dieser topfebenen, weissen Fläche zu fahren. Kein Lebewesen. Nur Weite. 
Das Licht ist gleissend hell. Es gibt zahlreiche Pisten, die gut zu befahren sind. Zum Glück habe ich das GPS mit dabei, denn die wenigen Inseln tauchen erst bei einer Distanz von 20 bis 30 Kilometern im Horizont auf. 
Wir fahren zunächst an der Isla Pescador vorbei und später zur Isla Incahuasi, ein sehr beliebter Ausflugsort für Touristen. Wohl eine der Hauptattraktionen in Bolivien.
Zu Recht. Denn auf dieser Insel scheinen sich alle Kakteen der Umgebung der letzten Jahrhunderte versammelt zu haben. Meterhohe und bis zu 1´200 Jahre alte Exemplare der Echinopsis atacamensis finden sich hier dichtgedrängt auf dieser kleinen Insel. 
Ein Naturwunder, ein unvergleichliches Spektakel. Für einen Tourenradler ist es ein Traum, auf der östlichen, windgeschützten Seite das Zelt auf dem betonharten Salar aufzustellen. Ich habe mir eigens Nägel gekauft, um die Zeltheringe nicht zu verbiegen. Vor Sonnenuntergang verschwinden ohnehin alle Touristen und man ist für sich alleine hier. 
Den Sonnenaufgang um 5.43 Uhr lasse ich mir nicht entgehen, stehe bereits vor fünf Uhr auf. Ein lang gehegter Traum geht für mich in Erfüllung.
Um neun brechen wir dann auf, fahren nochmals 70 Kilometer in absoluter Monotonie bis zum Hotel de Sal, wo sich alle geführten Touren nach dem frühmorgendlichen Besuch der Isla Incahuasi einfinden, um ihre Lunchpakete zu verspeisen.
Noch wenige Kilometer bis wir wieder Asphalt unter den Pneus haben. Die letzten 23 Kilometer bis nach Uyuni fliegen wir regelrecht mit Geschwindigkeiten von 25 bis 35 Kilometern pro Stunde. 
Uyuni mag nicht sonderlich attraktiv sein, die Häuser scheinen wie hier üblich, unvollendet zu sein. Nur die Fassaden werden verputzt, während man bei den Seiten die roten Backsteine sieht. Doch hier gibt es Unterkünfte, einen Markt mit einem anständigen Angebot an Früchten und Restaurants. Als erstes deponiere ich die mit einer von Schweiss mit einer Salz kruste überzogenen Kleider in einer lavanderia. Hier treffe ich auch endlich Freunde aus der Schweiz: Sabine und Tinu, die seit längerem in Südamerika unterwegs sind und mir vorausgefahren sind (www.siempre-pedalar.ch). Wir gönnen uns eine Pizza und bei einigen Flaschen Bier brüten wir darüber, ob wir die anstrengende Lagunenroute im Südwesten Boliviens wagen sollen, für die man 8-10 Tage mit dem Rad veranschlagen sollte. 
 

Ausangate Traverse

In Cusco, der Hauptstadt der Inkas, deponiere ich rund vier Kilo Gepäck im Guesthouse. Für den Ausflug in die Gegend des Ausangate möchte ich möglichst leicht unterwegs sein. Auf diese Ausfahrt freue ich mich schon lange. Drei Stunden Busfahrt und drei Tage Bikepacking vom Feinstein. Das Leckerbissen sieht übrigens so aus: auf den ersten 30 Kilometern sind 1´500 Höhenmeter zu erklimmen, grösstenteils auf Wanderpfaden.
In Tinke verpflege ich mich, kaufe noch etwas Brot und Früchte ein und breche frohen Mutes auf. Es geht streng bergauf. Schon nach wenigen Kilometern ziehen wie üblich die nachmittaglichen Gewitterwolken auf, pünktlich wie ein Schweizer Uhrwerk. Bei einem der letzten Häuser fälle ich die Entscheidung: Zelt aufstellen. 
In dieser abgeschiedenen Gegend sollen Velofahrer und Wanderer regelmässig bestohlen werden, so etwa ein Tourenfahrer. Eigenartig, weil die Erfahrung zeigt, dass in dichten Siedlungsräumen die Kriminalität am grössten ist. Handelt es sich bloss um Kinderstreiche oder sind es die Berggeister, die Rache an die westlichen Touristen nehmen, die zu Tausenden tagtäglich Macchu Picchu in Beschlag nehmen?
 Ich gehe auf Nummer sicher und will deshalb, solange noch Häuser in Sichtweite sind, mein Zelt bei Einheimischen aufstellen. Alejandro, 32 Jahre alt, Vater von fünf Kindern, Alpaca-Züchter und Bergführer, meint, dass er auch Zimmer vermiete. Für einen Obolus von 10 Soles (3 Franken) wird mir ein Bett hergerichtet und ich kann beruhigt den Hagelsturm vorbeiziehen lassen. Ich bin bereits auf fast 4’300 Meter über Meer.
Während Alejandro später in die Stadt fährt, begleite ich seine Frau und die Tochter Viky, wie sie ihre Alpacas und Schafe eintreiben und spiele mit den Kindern Fussball.
Der jüngste Sohn führt mir stolz vor, wie er ein ausgedientes Laufrad mit einem Stück Draht lenkt. Ein Spiel, das ich oft in Afrika beobachtet habe. Ich kann die Faszination der Kinder für rollende Laufraeder sehr gut verstehen. 
Ich bin mir nicht sicher, ob die Familie bereits zur Ethnie der Q´eros gehört. Die Frauen tragen hier jedenfalls ihre traditionelle, bunte Kopfbedeckung und das Kleinkind auf dem Rücken, eingewickelt in farbige Tücher. Die entlegenen Dörfer der Q´eros liegen auf über 4´400 Meter in der schneebedeckten Vilcanota-Gebirgskette. Ich werde später einem solchen Weiler begegnen.
Die Menschen leben in ganz schlichten Lehmhütten in einfachsten Verhältnissen. Die Q´eros führen ihre Herkunft auf die ersten Inka zurück und waren die einzigen, die sich vor der Invasion der Spanier retten und ihre Traditionen bewahren konnten. Sie gelten als lebendige Zeugen einer vergangenen Inka-Kultur. Verehrt werden die Mutter Erde – Pachamama – und Berggeister, die Apu. Darunter der mächtige Apu Ausangate. Majestätisch ragt er im Hintergrund auf, während die Alpakas grasen und sich auf eine frostige Nacht vorbereiten. 
Der freundliche Alejandro lässt mir zum Morgenessen eine Omelette, Käse, Kartoffeln und einen Mate de coca zubereiten, will aber nichts dafür. Bei Sonnenschein fahre ich direkt dem Ausangate zu. Mit 6´384 Metern ist er der höchste Gipfel der Cordillera Vilcanota. Erstmals wurde er 1953 von einer Gruppe Bergsteigern, einschliesslich Heinrich Harrer, bezwungen.
Nach einigen Kilometern gelange ich nach Upis, wo sich Thermalbäder befinden und heisse Quellen blubbern und Schwefelgeruch ausbreiten – und eben auch ein Velofahrer bestohlen wurde – Link. Jetzt fängt die Trekkingroute an und für mich “hike a bike”. Ich bin wortwörtlich erleichtert, einige Kilos Material in Cusco deponiert zu haben. Fahren ist nicht mehr möglich, immerhin muss ich das Stahlross nicht tragen, sondern kann es noch stossen und schieben. Zu meiner Linken türmt sich das vergletscherte Felsmassiv auf. Der Anblick entschädigt für die Strapazen. 
Auf dem ersten Pass, dem Abro Arapu auf 4´800 Metern, geniesse ich die Aussicht. Ein Bergführer mit seinen drei Pferden kommt mir entgegen. Er komme grad vom Rainbow Mountain, ein bei Touristen beliebtes Ausflugsziel, das von Cusco aus in einem Tag absolviert wird.
Es ist Mittag und Wolken ziehen wie bestellt auf. Ich fahre einem Alpaka-Trampelpfad runter, bin unschlüssig, ob ich das Zelt aufstellen soll. Ich wage es, trekke runter bis zur Laguna Pucacocha, wo ich zu allem Übel einen Fluss furten muss. Mittlerweile bin ich geübt darin – Island sei Dank. Das Rad dient als Stütze für meine Arme und wird vorsichtig nach vorne bewegt, während ich meine Füsse von Stein zu Stein balanciere. 
Mit Erleichterung mache ich am Himmel blaue Flecken aus. Die dunklen Wolken verziehen sich und ich kann den zweiten Pass, den Abro Apuchata (4´900 Meter) in Angriff nehmen. 
Wieder geht es ständig rauf, mit viel Kraft zerre ich das Rad über das unwegsame Gelände. In dieser Höhe ist Hektik fehl am Platz. Ich führe die Bewegungen in Zeitlupe aus, damit mir die Puste nicht ausgeht.
Es geht vorbei an Alpaka-Herden, die ruhig vor türkisfarbenen Lagunen grasen und ihre neugierig-vorsichtigen Blicke auf mich richten. Endlich erreiche ich ausgelaugt und müde nach fünf Uhr die Passhöhe.
Da es um sechs bereits dunkel wird, suche ich rasch einen Zeltplatz oberhalb der Höhe in einer Senke. Seit sieben Uhr morgens war ich unterwegs, habe nur kurze Essens-Pausen eingelegt, und bin dabei nur 23 Kilometer vorwärts gekommen. Ich stimme damit überhaupt kein Klagelied an. Im Gegenteil: inmitten dieser grandiosen Berglandschaft empfinde ich diese Mischung aus Anstrengung, meditativ-kontemplativem Vorwärtskommen und Einsamkeit als beruhigend und erfüllend. 
Die Nacht überstehe ich gut, trotz des gelegentlichen Krachens der Gletschermassen, das mich ab und zu erschaudern lässt. Wiederum ist der Himmel am Morgen klar. Die ersten Sonnenstrahlen beleuchten den Gletscher und ich geniesse meinen morgendlichen Kaffee und bin voller Freude auf die Aussicht – auf das Bergmassiv und die bevorstehende Abfahrt. 
Steil geht es runter zur Laguna Ausangatecocha. Sicherheitshalber wechsle ich vorher die Bremsbeläge aus. Alpakas fliehen vor mir. Vor der Kulisse aus Fels, Eis und Schnee geben sie schon fast ein kitschiges Bild ab. 
Der Weg führt mich nun zunächst durch ein Sumpfgebiet, danach entlang von Furchen, das von Lama- und Alpakaherden stammen. Die Berge im Hintergrund nehmen rötliche Farben an. 
Ich komme an einer Q´ero Siedlung (?) vorbei und begebe mich hinunter ins Tal, wo ich nach einigen Kilometern zur “Hauptstrasse” gelange. 
 
Auf dieser flachen Schotterpiste geht es nun mehrheitlich leicht bergab, entlang von Felsschluchten, Terrassenfeldern und verschlafenen Siedlungen.
Vor Pitumarca holt mich dann der Regen ein. Ich entscheide, noch bis zum Cusco-Puno Highway zu radeln, wo ich dann in einem Minivan rasch eine Mitfahrgelegenheit nach Cusco finde.
 
Zwei Stunden später, in strömendem Regen, bin ich wieder an der Plaza de Arma, umgeben von hochpreisigen Restaurants, McDonald’s, Starbucks, Wechselstuben, Reisebüros und Frauen, die den müden Inka-Trail-Wanderern Massagen anbieten. Fazit: ein kleines, aber äusserst eindrückliches Nutshell-Abenteuer! Man soll aufhören, wenn es am Schönsten ist. Deshalb werde ich nun bald Peru verlassen. Vorher werde ich aber noch ein von Eco-Solidar unterstütztes Projekt besuchen. Ich bin gespannt darauf! 
 

Peru’s Great Divide

 
Endlich wieder auf dem Rad. Vorher gönne ich mir aber in Lima die beste Ceviche in town im Punto Azul. Die Wartezeit, bis man endlich an einen Tisch gesetzt wird, kann ich mit einem Pisco sour überbrücken. Raus aus Lima, rauf in die Berge auf der stark befahrenen Carretera Central. Von der Busstation Yerbateros raten mir alle dringlich ab, ein sehr unsicherer Ort. Ich nehme daher einen Minivan nach Chosica und von dort mit dem Bus nach San Mateo, einem kleinen Ort, in dem  Mineralwasser auf 3200 Metern abgefüllt wird. Nach einer Woche auf Meereshöhe spüre ich, wie der Sauerstoff knapp wird. Knoblauch und Koka-Blätter helfen mir, mich an die Höhe anzugewöhnen.
Ich will mich zunächst akklimatisieren, fahre deshalb am nächsten Tag nur 700 Höhenmeter und zelte bei der Plaza und der Schule des kleinen Dorfes Chocna. Ich hoffe, dass ich so einigermassen höhenfit bin für die nächsten Tage. Einzig mit dem freundlichen Gemeindearbeiter Maita komme ich ins Gespräch dieses 40-Seelen Dorfes. 
Ich fahre ein Stück auf der bei Tourenfahrern bekannten Peru’s Great Divide: Garant für einsame Schotterpisten, grandiose Berglandschaften und Höhenmeter bis zum Abwinken. Morgens ist es meist schön und klar. Am Vormittag ziehen dann Wolken auf, bis dann gegen ein oder zwei Uhr sich die ersten Regentropfen bemerkbar machen. Manchmal auch erst später. 
Ich komme relativ gut vorwärts und möchte gerne den Punta Ushuayca erklimmen. Am Morgen bleibt mir das Herz stehen. Ein Einheimischer auf einem Esel unterwegs treibt zwei Kühe und einen Stier vor sich her und befiehlt mir – zu meinem eigenen Schutz – “Bajate! El toro quiere cornear!”. Runter in die Böschung, der Stier ist nicht gut drauf. Sie überholen mich und als ich gemütlich vor mir herfahre, sehe ich plötzlich den Stier auf mich zurennen. Ich kann mich noch hinter einen Zaun retten. Puuh, Glück gehabt. 
Auf einer Höhe von 4´630 Metern, es ist erst ein Uhr, kommt dann in der Ferne ein Gewitter auf, ein Berggipfel in der Nähe wird innert kurzer Zeit eingeschneit.Soll ich noch weiter und es wagen, über die Passhöhe zu fahren? Blitze und das laute Donnern nimmt mir die Antwort rasch ab. Schnell stelle ich das Zelt auf. Und tatsächlich: etwa eine halbe Stunde später setzt Graupelregen und danach Schnee ein. Drei Stunden verbringe ich im Zelt, bis es endlich aufhört zu schneien. Ich muss immer wieder die Zeltwände von innen abklopfen, wenn das Zeltdach wegen des Schnees durchhängt. 
Ich krieche aus dem Zelt und das Schauspiel, das sich mir bietet, ist unbeschreiblich und gewaltig. Die Wolken haben sich teilweise verzogen, ich kann die umliegenden Berge, alle frisch verschneit, in der Abendsonne bewundern. Die Lichtstimmungen ändern schnell und ich kann mich nicht sattsehen. Imax hoch zwei.
Ich befinde mich ganz alleine inmitten dieser grandiosen Landschaft, fühle mich zufrieden, erfüllt und gleichzeitig ehrfürchtig. Ein besonderer Moment, unvergesslich. Die untergehende Sonne verfärbt den Himmel in Gelb-, Violett- und Blautöne.
Als die Sonne ganz untergegangen ist, mache ich mich rasch daran, einen Tee und eine Nudelsuppe zuzubereiten. Schnee zum Wasserschmelzen gibt es ja genug. Am nächsten Morgen ist der Himmel klar, dafür ist es umso eisiger mit etwa minus 7 Grad.
Der schwierigste Moment ist, wenn ich aus dem warmen Schlafsack herauskriechen muss. Doch der Himmel ist klar, sobald die ersten Sonnenstrahlen scheinen, fühle ich, wie es wärmer wird.
 Ich geniesse es, durch die verschneite Landschaft zu radeln, noch die letzten 300 Höhenmeter bis zum Pass Ushuayca auf 4´930 Metern zu erklimmen.
Auf der anderen Seite scheint es nicht so stark geschneit zu haben. Die Berglandschaft ist auch hier überwältigend, es folgt eine Lagune und danach eine langgezogene Abfahrt. 
Von der kleinen Ortschaft Tanta folge ich dem Rio Cañete und dem Flusstal. Der Fluss ist eine Aneinanderreihung von kleinen türkisfarbenen Lagunen und Wasserfällen, sicherlich eines der Höhepunkte dieser Strecke.
Zwischen Tanta und Vilca wird derzeit eine Strasse gebaut, bis vor einigen Jahren war dies ein reiner Singletrack. Nur noch ein Kilometer, bis Vilca direkt angebunden ist. In wenigen Wochen wird der Singletrack ganz verschwunden sein, dafür sparen sich die Einwohner einen Umweg von 3 Stunden.
In Vilca angekommen, gönne ich mir eine “trucha”, eine Forelle. Im Hintergrund eine alte Steinbrücke aus Kolonialzeiten und ein Wasserfall. Es finden sich hier in der Gegend überall Fischzuchten.
Ich folge weiter dem Cañete Tal, komme vorbei an wunderbaren Lagunen, etwa die Lagune Huallhua. 
Huancaya ist ein kleines touristisches Dorf, von wo aus Wanderungen zu den Lagunen, Wasserfällen und Felszeichnungen unternommen werden. Es sind aber nur einheimische Touristen, denen ich hier begegne.
Es scheint im Dorf irgendeine Festlichkeit abgehalten zu werden, ein Jubiläum. Auf dem Sportplatz hat sich die übliche Blaskappelle eingefunden. Grillstände, Schaulustige und einige Persönlichkeiten in Anzug und Kravatte, die eine Weinflasche herumreichen, vervollständigen das Bild. 
Irgendwannn erreiche ich eine Asphaltsstrasse und steige nun wieder rauf von rund 3´000 auf 4´000. Eine enge, sehr kurenreiche, gleichmässig steigende Strasse, herrlich zum Befahren. Hohe, steile Felswände, die es dem GPS verunmöglichen, ein brauchbares Signal zu empfangen. Highlight ist dann ein enger Cañon.
Als es anfängt zu regnen, erreiche ich die winzige Ortschaft Tinco de Yauricocha. Während vier Frauen vor dem Dorfladen Socken stricken, macht ein Einheimischer auf die riesige Fussgänger-Hängebrücke aufmerksam.
Die 1948 erbaute Brücke diente dazu, das Erz der Minen über das Tal zu transportieren. Dieses wird heute auf dem Landweg transportiert und die Brücke ist nun für Fussgänger geöffnet.
Am nächsten Morgen lasse ich mir das Schauspiel nicht entgehen und steige rauf, um über die fast einen Kilometer lange Brücke zu laufen. Es ist übrigens die höchstgelegene Fussgängerbrücke. 
Ich breche hier meine Treterei ab, denn ich will mich nun Richtung Altiplano bewegen. In eineinhalben Tagen anstrengender Busfahrt fahre ich bis nach Cusco, der ehemaligen Inka-Hauptstadt.

Auf Projektbesuch in Peru

 
Der Bus von Cuenca kommt puenktlich um drei Uhr in Huaquillas, der Grenzstadt auf der ecuadorianischen Seite, an. Wenige Hundert Meter und ich waere in Peru. Jedoch ist der Grenzposten vor einigen Jahren ausgelagert und ausgebaut worden. Und so muss ich rund 8 Kilometer zurückfahren zum offiziellen Grenzuebergang, über eine Stunde warten, bis ich endlich nach Aguas Verdes einreisen kann und mich mit Jose von Prominnats treffen kann. Prominnats ist ein Programm von Ifejant, einer Partnerorganisation von EcoSolidar und steht für  Programa de microfinanzas de los ninos, ninas y adolescentes trabajadores. 
 
Der Grenzort kommt mir vor ein bunter Ameisenhaufen: sehr umtriebig, geschaeftig, dreckig. Kein Ort um sich wohlzufuehlen. Viele sind hier auf der Durchreise, die Hotels ueberteuert und laut. Es ist ja keine Feriendestination. Immerhin gibt es auf der peruanischen Seite ein Casino – Glueckspiele sind in Ecuador verboten. Auf den Strassen wimmelt es nur so von Menschen, die zwischen Ecuador und Peru pendeln. Geldwechsler soweit das Auge reicht. Auf dreiraedrigen Fahrraedern (triciclos) oder Motocargera werden meterhoch Waren gestapelt und hin und her transportiert. Gerade viele Waren sind wegen der Steuern in Ecuador einiges teuerer als in Peru – Autofelgen kosten das Dreifache.
Fliegende Strassenhändler überall. Verkauft werden Kuchen, Fruchtsäfte, Maiskolben, Socken, Naturheilprodukte. Einer bietet sogar frische Ziegenmilch an und läuft mit seinen zwei Ziegen umher. Abends werden Kleidersstände abgebaut und die Garküchen machen sich dann breit, währenddem der Dreck des Tages von Gemeindeangestellten aufgesammelt werden. Vor einigen Jahren verlief hier die Panamericana und man mag sich gar nicht vorstellen, um wieviel lauter, stickiger und enger das Leben hier gewesen sein muss, als Kolonnen von Trucks, Bussen und Fahrzeugen tagsüber und nachts vorbeizogen, ganz zu schweigen von den langwierigen Zoll- und Grenzformalitäten. Der Grenzübertritt Huaquillas – Aguas Verdes ist der grösste im Norden Perus.
Ich kann den von Prominnats unterstützten vierzehnjaehrigen Ruben begleiten. Nachmittags, ausser Sonntag, geht er zur Schule. Am Morgen arbeitet er. Mit einer einfachen Schubkarre verdingt er sich und transportiert allerlei Waren zischen den beiden Laendern: Bananen, Weinkartons und Whisky. Obwohl Kinderarbeit offiziel verboten ist, macht es keinen Sinn, über die Realitaet hinwegzusehen. Prominnats und Ecosolidar wollen daher die Kinder in ihren Rechten stärken, sie unterstützen und begleiten, damit sie nicht ganz unter die Räder kommen. Wenn sie schon arbeiten, sollen sie zumindest mit einem Teil des Ersparten in ihre Zukunft investieren können. Gespräche mit den Eltern, der Schule und der Gemeinde sind daher notwendig und wichtig.  
An guten Tagen könne er bis zu 15 Dollar einnehmen, an weniger guten nicht mal die Hälfte. Am Wochenende, wenn am meisten los, laufen die Geschäfte gut, meint er. Mit Hilfe von Prominnats hat er sich eine “carreta” fuer rund 200 peruanische Soles (rund 60 Dollar) anschaffen können. Vorher habe er sich jeweils fuer drei Soles pro Tag eine borgen müssen. Noch drei Jahre muss er zur Schule, bis er die Sekundarstufe beendet hat. Danach möchte er, wie viele andere, Polizist werden. Dazu muss er einen Vorbereitungskurs belegen, fünf Monate lang, 100 Dollar pro Monat, die Eintrittsprüfungen schlagen mit 150 Dollar  zu Buche. Er gibt sein verdientes Geld der Mutter ab, die einen Teil anspart, damit er sich später seinen Traum erfuellen kann. Der Vater kann als Nachtwächter einer Crevettenzucht die Familie nicht alleine ernähren. Die Mutter betreibt im Aussenbezirk von Aguas Verdes einen kleinen Lebensmittelladen. 
Am nächsten Tag besuche ich Elder, einem 14-jährigen Burschen aus einem Armenviertel.  Die sechsköpfige Familie lebt sehr einfach. Elder ist der jüngste von vier Kindern, er wirkt für sein Alter reif, gefasst und fühlt sich von meinem Besuch geehrt. Der Vater transportiert Waren mit einer “tricicla”, die Mutter ist Hausfrau. Die Wände der Behausung sind aus Backsteinen, Bambusrohren und Karton, das Dach aus Wellblech. Die Einrichtung verdient den Namen armselig: eine alte Sofagruppe, ein paar Stühle, Tisch, ein Gestell mit Röhrenbildschirm, kitschiger Dekoration und ein paar Habseligkeiten. In der Küche laufen Hühner, Küken und eine Ente umher. Hier schält er die Knoblauchzehen, nachdem er morgens um 6.30 seine Ware an Stammkunden abgeliefert hat.  Um Mittag nimmt er sich für einen Sol eine Moto und geht danach zur Schule. Ab und zu spielt er draussen schon gerne Fussball und er hat eine Freundin, mit der er sich dann und wann trifft. Auch er möchte gerne später Polizist werden und wird auf dieses Ziel hin sparen. 
 
Elder hat vor Jahren angefangen, einen Handel mit Knoblauch aufzuziehen. Er kauft einen 50 Kilogramm Sack von Knoblauch, der Preis variiert je nach Saison von $ 80 bis 140. Er schält danach in mühsamer Handarbeit die Knoblauchzehen und verkauft sie im Detailhandel und in der Gastronomie weiter mit einer fast doppelten Marge. Montag ist der mit Abstand umsatzstärkste Tag, weil nach dem konsumfreudigen Wochenende der Bedarf an Knoblauch am grössten ist. 
Mit dem Bus fahre ich von Tumbes nach Lima in 23 Stunden in einem modernen Bus mit Liegebetten. “Lima la horrible” weist ein heisses Wüstenklima auf, dass allerdings durch den kalten Humboldtstrom abgekühlt wird. Dieser sorgt im Winter (d.h. im Mai bis Oktober) auch durch die Wasserkondensation dafür, dass oft ein Küstennebel herrscht, der die ganze Stadt umhüllen kann. Nachdem ich mich im Geschäftsquartier San Isidro in einer Jugendherberge einquartiert habe, treffe ich mich anderntags bereits mit Julio Ancajima von Prominnats-Ifejant, der Partnerorganisation von EcoSolidar, im Distrikt Villa Maria del Triunfo und im Quartier Nuova Esperanza. Grösser könnte der Gegensatz der Quartiere nicht sein.
Hier befindet sich ein grosses Armenviertel von Lima. Die teils bunten einfachen Häuser sind dicht an den Hängen der kargen, staubigen Hügel gebaut. Die ruppige, staubige Strasse wird von Mototaxis und Kleinbussen angefahren. In einem der “Asentamientos humanos”, eines der Wohnviertel mit Namen wie Heroe del Senepa, Chacon, Maya und 8 de ottubre, liegt die von Prominnats geführte Casita de Cultura. Ein Hort, eine Schule, ein Versammlungsraum, ein Zufluchtsort, ein Lichtblick für die Kinder.
Neun Kinder aus den umliegenden Vierteln haben sich ebenfalls eingefunden. Nach einer Vorstellungsrunde klären sie mich über die verschiedenen Tätigkeiten auf, wie etwa Tanzen, Volleyball, Filme, Spiele, Handwerk, Zeichnen, Fussball oder Hütedienst auf. Die Kinder haben sich selber zu organisieren, und wählen für jede Tätigkeit eine Verantwortlichen. Die Kinder geben bereitwillig Auskunft. So erzählt uns der zehnjärige Raimundo, wie sie in der Pasteleria, einer Backstube, Kuchen und Muffins backen, die Zutaten einkaufen, ausrechnen, wie viel Gewinn sie erwirtschaften und diesen dann – nach demokratischer Abstimmung – sinnvoll eingesetzt wird. 
Die Kinder lernen neben den handwerklichen Fertigkeiten noch weitere Qualitäten. Sie üben sich darin, Verantwortung zu übernehmen, alle miteinzubeziehen, Entscheide zu diskutieren und zu fällen, diese umzusetzen, einzuhalten und sich gegenseitig zu kontrollieren. Und offenbar macht es Ihnen Spass und sie blühen teilweise richtig auf. Die Casa de Cultura wurde vor rund zehn Jahren von freiwilligen Kanadiern gegründet und fortlaufend verbessert. Im Zuge der Zeit wurde sie als Schule anerkannt und ist dieses Jahr baulich abgeschlossen worden und heute in einem guten Zustand.
Wir ziehen eine Runde durch die Wohnviertel, besuchen das Haus (bestehend aus einem grossen Zimmer) der Familie von Raimond. Obschon Raimond auch zu Hause mitarbeiten muss, nimmt er seine Pflichten aus dem Programm Prominnats sehr ernst. Dies freut den Vater, der die Familie mit Maurerarbeiten über die Runden bringt, sehr. 
Alle zwei Wochen müssen sie Wasser kaufen und ihren Tank von 1´100 Liter befüllen, das von einem Tanklastwagen transportiert wird. 45 Sol kostet eine Füllung (rund 15 CHF). Für eine sechsköpfige Familie ergibt dies ein Wasserverbrauch von 13 Litern pro Person und Tag. Einiges weniger als die 300 Liter in der Schweiz. 
Wir unternehmen einen Ausflug “ins Grüne”, verlassen das Armenviertel und kommen in ein staubiges Gebiet, wo man mühsam versucht, Kaktusfeigen und Kürbisse anzupflanzen. Im Hintergrund sehen wir die riesige Zementfabrik. Edgar, 11 Jahre alt, bekundet eher Mühe damit, Anweisungen zu befolgen. Dafür ist er ein Organisationstalent, möchte, dass sich alle in irgendeiner Form beteiligen. Für unseren Ausflug hat er eine Decke mitgenommen, um die mitgenommen Früchte, Brote, Fruchttsäfte und Süssigkeiten auszubreiten und er macht sich daran, alles gerecht zu verteilen und reicht mir als Gast jeweils als Erster das Essen.
Rosita und Sheyla, 12 und 11 Jahre alt, erzählen mir von den Problemen: kein Zugang zu Wasser, die Abfallentsorgung, eine schlechte Gesundheitsversorgung und die “pandilleros”, Diebe und Räuber. Nach dem gemeinsamen Lunch spielen die Kinder mit einem Ball, rennen umher und es rührt mich zu sehen, wie unbekümmert und froh sie sind. Sie sind hier aufgewachsen und kennen keine andere Umgebung, erhalten durch ihre Tätigkeit in der Casa de Cultura Wertschätzung und einen würdevollen Umgang. Zudem haben sie eine sinnvolle Beschäftigung und kommen nicht in Versuchung, in die Kriminalität abzurutschen.  Wir haben die Zeit längst überschritten und laufen wieder zurück, schweren Herzens verabschieden wir uns. Sie fragen mich, wann ich wiederkomme. Ich bin sehr gerührt und beeindruckt von der Begegnung mit diesen Kindern.
Andertangs begleitet mich Julio Angajima von Ifejant in das nördlich gelegene Quartier Puente Piedras. Dort besuchen wir die Schüler der Schule Jose Antonio Encinas, die am Nachmittag in der Backstube Muffins herstellen. Das Quartier ist etwas gepflegter als dasjenige von Villa Maria del Triunfo, doch die Menschen wohnen hier auch in sehr einfachen Behausungen, an steilen Hügeln am Rande der Stadt. 
Für mich waren es sehr spannende, aufwühlende und ergreifende Momente, die ich hier in Peru mit diesen Kindern erleben durfte. Ich bin beeindruckt von deren Willen, Motivation und Begeisterung. Ich werde daher gerne EcoSolidar mit einem Betrag unterstützen. Und es würde mich sehr freuen, wenn noch weitere sich ebenfalls solidarisch zeigen und zumindest für ein paar wenige Kinder ein Lichtblick ermöglicht wird, um vielleicht eines Tages aus dieser Armut ausbrechen zu koennen.
 
  • Mit 40 Franken ermöglichst Du einem arbeitenden Kind, während eines Jahres den regelmässigen Besuch eines Kurses, in dem es über seine Rechte aufgeklärt wird und einen geschützten Rahmen für seine Anliegen findet.
  • Mit 70 Franken unterstützt Du die Weiterbildung einer freiwilligen Person, die lokal arbeitende Kinder betreut und unterstützt.
  • Mit 100 Franken ermöglichst Du einen Workshop, in dem sich arbeitende Kinder aus einem Armenviertel austauschen und organisieren können. 

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Ganz herzlichen Dank fuer deine Spende !

 


Ruta de los Volcanes

Nach den Festlichkeiten der Mama Negra in Latacunga und einem Ruhetag nehme ich den Bus rauf zum Vulkankrater Quilatoa. War ich beim Cotopaxi noch auf der Cordillera Central, befinde ich mich jetzt in der Cordillera Occidental, auf der anderen Seite des Hochtales. Ich kann grad noch ein paar Bilder schiessen, bevor der Himmel sich schliesst und Nebel aufzieht. Und dieses winterliche Wetter wird am nächsten Tag so bleiben, sodass ich mich nicht motivieren kann, weiterzuziehen.
Nach zwei Übernachtungen suche ich dann aber doch das Weite. 8 Grad kalt, es kommt mir vor wie an einem Morgen im Spätherbst. Warm angezogen rase ich bis nach Zumbahua runter, wo ich mich noch verpflege. Erstaunlich, dass hier an den Marktständen in dieser Höhe auf rund 3´500 Metern so viele tropische Früchte verkauft werden. Frauen frittieren hier Fisch und Empanadas, die Hunde warten schon sehnsüchtig darauf, die Reste verschlingen zu können.
Die asphaltierte Strasse, die an dieser Ortschaft vorbei führt, geht direkt runter zur Costa, dem westlichen Küstenbereich, wo sich die Fruchtplantagen befinden. Und auf dieser Strasse werden sie in die Sierra, die zentrale Andenregion transportiert. Es wird ein angenehmer Radeltag, an dem ich auch so etwas wie einen Rhytmus finde. Nach Zumbahua zunächst eine gleichmässige Steigung von 8 Kilometern. Danach verlasse ich den Asphalt und biege auf eine gute Piste ab und steige noch bis auf 4´100 Metern rauf. 
Wie der Elefant und die Giraffe zum afrikanischen Busch gehören, kann man sich die Anden nicht ohne Andenkamele vorstellen. Diesen begegne ich hier immer wieder. Es gibt ja vier Arten derer: Lamas, Guanakos, Alpakas und Vikunjas. Ich muss mich präzisieren, ansonsten reissen mir Biologen den Kopf ab. Die Lamas bilden mit den Vikunjas die Gattungsgruppe der Neuweltkamele. Jedenfalls sind die Lamas, die ich sehe, die vom Guanako abstammende Haustierform.
Ebenfalls sind in dieser Gegend viele “chozas” zu sehen. Einfache Behausungen aus Lehm mit Strohdächern. Oftmals sind es leerstehende Schutzhütten für Hirten – und vom Regen oder der Dämmerung fliehende Radler. 
Die Sonne will nicht recht rauskommen. Im Gegenteil. Ich bin so hoch, dass oft Nebelschwaden vorbeiziehen und die Landschaft in ein geheimnisvolles Kleid einhüllen.
Auf der letzte Passhöhe, bevor es runter zur Kleinststadt Angamarca geht, erzählt mir ein Chauffeur, dass es dort “los italianos” gebe. Ich komme bereits um 15 Uhr an, es findet zufällig grad der Wochenmarkt statt. Ansonsten wirkt die bei näherer Betrachtung gar nicht so hässliche Ortschaft sehr verschlafen.
Ich finde ein einfaches Hospedaje mit Küche, jedoch kein Wifi. Zum Glück, denn so habe ich Zeit, herumzuspazieren und mit den Menschen ins Gespräch zu kommen. Ein Leichtes im Vergleich zur anonymen Grosstadt. Etwa mit der 82-jährigen Teresa und deren Nachbarin. Sie ist geistig sehr fit und erzählt mir, dass sie einen Sohn habe aber nie verheiratet war, weil der Partner sie für eine andere verlassen habe. Immerhin hat sie heute sieben Enkelkinder. Sie redet immer wieder gut über die Italiener, die hier Freiwilligenarbeit verrichten. Und über den ehemaligen italienischen Pfarrer. Aber ich soll nicht alleine in das Gebiet des Paramo reisen, dort sei einmal eine gringa verstorben. 
“Los italianos” sind nicht in der Pfarrei, sondern unterwegs und kommen erst um Mitternacht an. Auf dem Dorfplatz vergnüge ich mich mit den Menschen. Ein Mikrokosmos, mit Protagonisten wie aus einer Erzählung: Dorfpolizist, Dorftrottel,  Besoffener, Schönling, Mechaniker, Jüngling, das gutgelaunte Mädchen, der Greise, die Marktfrau, der Sonderling. Jeder kennt jeden. Alle wissen über alle irgendeine Geschichte zu erzählen.
Am nächsten Morgen ist es wechselhaft. Soll ich es wagen, hoch in die Berge zu reisen ? Ich bin unschlüssig, suche die Pfarrei auf, wo ich den jungen Giacomo aus Vicenza und Erika aus Brescia kennenlerne. Giacomo bereitet mir echten italienischen Kaffee zu und wir plaudern lange. Er sei einmal mit dem Velo von Vicenza nach Holland geradelt und habe in Basel Halt gemacht. Er sei in Südamerika am Reisen gewesen und ist jetzt hier seit Februar hängengeblieben und hat sich verpflichtet, zwei Jahre lang mitzuhelfen. Es klopfen immer wieder Einheimische an: eine benötigt Saatgut, der andere braucht Unterstützung beim Bau eines Daches. Um zehn Uhr breche ich auf und mein langes Tagewerk beginnt. 
Zunächst eine Abfahrt runter auf 2´800 Metern, dann rund 1´000 Höhenmeter rauf. Drei Stunden später gönne ich mir ein kurzes Mittagessen und es geht weiter. Der einzige motorisierte Verkehr, ein Kleinlastwagen, begegnet mir, als ich bereits ganz oben bin. Tja, zu spät. Ich bin jetzt schon oben.
Hier oben leben die Menschen in einfachen chozas, völlig abgeschieden. Und ist Angamarca bereits eine andere Welt im Vergleich zu einer Stadt im Hochtal, stellt das harte Leben in den abgeschiedenen Weilern nochmals eine andere Lebensform dar: harsch, karg, fordernd. Ich mag nicht daran denken, falls hier mal ein medizinischer Notfall eintreten sollte. Alleine vier Stunden Fussmarsch sind es bis Angamarca. Und wo gehen die Kinder zur Schule? Geniessen sie überhaupt eine Schulbildung, die diesen Namen verdient? Wahrlich kein Zuckerschlecken, als Kind hier aufzuwachsen. 
Ich komme mir vor, als sässe ich in einem Flugzeug und würde auf die Wolkenfelder runterblicken, so hoch bin ich hier im Paramo. Immer wieder Nebelschwaden, eine Abfahrt, dann wieder eine Steigung, ein kleiner Wasserfall, rosa Blumen. Ich begegne immer wieder Kindern, die Schafe oder Kühe hüten, begleitet von Lamas und Hunden. Kinder haben hier keine andere Wahl als mitzuhelfen. 
Es wird ein langer Tag. Noch 10 Kilometer bis Simiatug, es ist fünf Uhr. Ich frage mehrmals nach, ob ich auf dem richtigen Weg bin. “Si, es todo bajada”, alles Abfahrt, heisst es. Das sollte man nicht allzu wörtlich nehmen, denn es verstecken sich noch 400 Höhenmeter in dieser Abfahrt. 
Das Landschafts-und Wolkenspektakel in der Dämmerung mit Blick runter zur Costa ist zwar wundervoll. Doch es steht mir noch ein holpriger Abstieg bevor und, als es bereits dunkel ist, noch ein drei Kilometer langer Anstieg, begleitet von einer Schar von bellenden Hunden, die sich nur durch das grelle Licht der Stirnlampe in Schach halten lassen. Auf die letzten Höhenmeter hätte ich gerne verzichtet. 
Endlich in Simiatug angekommen, quartiere mich im einzigen Hospedaje für 8 Dollar ein, sauber und mit warmem Wasser. Obschon Samstag ist, scheint nicht viel zu laufen. Eine Handvoll Jungs spielt im Parque vor der kleinen Kirche in der Kälte Volleyball, das hier beliebt zu sein scheint. In einer Kneipe ist eine Tochter daran, ihren sturzbesoffenen Vater, der das Reisgericht auf den Boden verschüttet hat und mit dem Kopf auf dem Tisch eingeschlafen ist, nach Hause zu zerren. Als er endlich nach draussen befördert worden ist, kann ich endlich meine Bestellung aufgeben. Da ausser weissem Reis nicht mehr viel übrig ist, bereitet mir die Köchin eine Tortilla aus Eiern, Peperoni und Zwiebeln. Im Restaurante de pasajeros um die Ecke gönne ich mir anschliessend noch eine Suppe aus Maniok. Der Besitzer erkennt mich, er hat mich oben gesehen und mir dort bestätigt, dass alles “bajada” sei. Ich muss grinsen.
Ich bin am nächsten Morgen enttäuscht, da es wieder bewölkt ist, trotz des klaren Nachthimmels. Doch es klart dann ploetzlich auf. Ich nehme mir daher eine Camionetta nach Yuruk-Uksha. Vielleicht kann ich so noch einen Blick auf den Chimborazo erheischen?
Von dort fahre ich dann nach Pachancho, einer Wild-West-Siedlung bestehend aus etwa 15 Häusern und  – welch eine Überraschung – einer kleinen Käserei mit rezentem Käse. Für 2.5 $ nehme ich mir einen kleinen, vorzüglich schmeckenden Laib mit. 
Esfolgt ein Anstieg und oben angekommen erblicke ich endlich den Chimborazo, mit 6’627 Metern der höchste Vulkan Ecuadors, leider etwas verdeckt. Im Hintergrund türmen sich bedrohliche Gewitterwolken auf. Die Landschaft hier ist sehr karg, die Vegetation besteht aus Grasbüscheln, Horstgräsern, Flechten und Kräutern. 
 Das Lichtspektaktel ist zwar sehr pittoresk, im Vordergrund noch Sonnenschein, dann sogar eine Herde Vikunjas (oder doch Alpakas ?).
 
Aber ich muss jetzt Gas geben, wenn es mich hier oben auf 4´300 Meter erwischt, wird es ungemütlich. Endlich erreiche ich die Kreuzung mit der Asphaltstrasse, in der Ferne ist frisch gefallener Schnee zu sehen. Ich warte bibernd am Strassenrand und halte den nächsten Bus nach Riobamba an. Dort angekommen fahre ich gleich nach Cuenca weiter, wo ich sechs Stunden später um zehn Uhr nachts, muede vom Geballer der nonstop laufenden Actionfilme, ankomme. 
 
Die nächsten Kilometer werde ich erst wieder in Peru radeln. Zunächst freue ich mich aber, ein Projekt von Ecosolidar im Zusammenhang mit Kinderarbeit in Aguas Verdes gleich nach der Grenze zu besuchen. Ecuador ist ein sehr vielfältiges Land – die Küstenregion, la Sierrra, der Amazonas und die Galapagos-Inseln, von dem ich nur einen Bruchteil gesehen habe. 
 
Doch schon jetzt steht fest, dass ich mit Ecuador tolle und intensive Radelerlebnisse verbinden werde und zumindest einen kleinen Einblick in das Hinterland erhalten habe. Los empedrados – die Kopfsteinpflaster – und die kläffenden Hunde werde ich allerdings nicht vermissen. 

Cotopaxi y Mama Negra

Busfahren in Ecuador ist noch einfacher als in Afrika, wo man frühmorgens auftaucht und dann das tut, was die Afrikaner sehr gut können und wofür ich sie bewundere: warten. Warten, bis der Bus doppelt und dreifacht belegt ist. Und hoffen, dass dies am gleichen Tag passieren wird. In Otavala fahre ich um 8 zum Busbahnhof. Alle 20 Minuten fährt ein Bus nach Quito, 5 Minuten später sitze ich im Bus, einen Kaffee in der Hand und “geniesse” Mad Max auf spanisch. 
 
In Quito angekommen, fahre ich die 18 Kilometer zum Guesthouse und bin einmal mehr dankbar, dass ich mit dem GPS navigieren kann. Ich hole das Paket ab und fahre gleich los nach Tumbaco. Dort suche ich die Casa del Ciclista von Santiago Lara auf. Es gibt einige dieser Unterkünfte für Radler. Meistens sind es velobegeisterte Einheimische mit einem grossen Grundstück. Dasjenige von Santiago gibt es bereits seit 17 Jahren und es sind bereits tausende Radreisende hier vorbeigekommen. Santiago ist eine Legende in Ecuador. 
Um drei Uhr fängt es an zu stürmen, blitzen und donnern und innerhalb von 40 Minuten schüttet es aus Kübeln und alle Zelte sind komplett  unter Wasser.  Auch diejenigen von Clement und Aurelien, die zwei jungen Franzosen, die ich an der Lagune Chiriacu angetroffen habe. Sie tun mir leid. Ihr Pässe können gerettet werden, nicht jedoch das Kindle. Abends zeigt sich dann der Himmel wieder von der charmanten Seite.
Am nächsten Morgen fahre ich los, folge teils der Trans Ecuador Route. Ich treffe eine Gruppe von Damen auf Mountain Bikes, für mich ein erfreuliches Zeichen der Emanzipation. Ich folge Ihnen eine Weile, lasse sie dann aber ziehen, weil ich bergab auf den ecuadorianischen Paves nicht so schnell bin.
Ich nehme eine Alternativroute, die sich eher als Backpacking anfühlt und weniger als Bikepacking. Ich entferne mich von der Route gemaess GPS und lande prompt beim Eingang eines Schwimmbades. Da ich nicht zurueck moechte, suche ich mir selber einen eigenen Weg. 
Zunächst einem lauschigen Weg entlang einem Bach, dann über eine Brücke.
Irgendwann ist dann Schluss. Ich muss die hinteren Taschen abnehmen und das Velo einen steilen Pfad hinaufschieben. Derweil schlagen die Mücken wieder zu. Saubiester.
Der 79-jährige Sergio erbarmt sich meiner, zerschlägt zunächst noch eine Melone für seine Kuh und hilft mir. Ich schenke ihm eine Mandarine und wir plaudern eine Weile. Sein ältester Sohn wollte in Italien beruflich Fuss fassen, doch sprachlich ging es nicht. Und so lebt er seit 20 Jahren in Madrid. Die Töchter studieren in Quito. Während er erzählt, drescht er Weizen und vescheucht immer wieder die herannahenden Hühner. Sergio strahlt Gutmütigkeit und Zufriedenheit aus. Er mag seine Tiere, das merkt man ihm an. Beim Abschied umarmt er mich, sichtlich erfreut über den unerwarteten Kurzbesuch.  
Doch schon bald werde ich wieder von Scharen von bellenden Hunden gejagt. Es wimmelt nur so von diesen Kötern. Es ist heiss, auf meiner Haut bilden sich Blasen. Und wieder muss ich zu einem Bach runterlaufen und auf der anderen Seite wieder das Velo stossen. Kilometer fresse ich so nicht. Als ich in der kleinen Ortschaft Pintag am frühen Nachmittag ankomme, ist der Himmel bereits grau. Ich beschliesse, im einzigen Hostal, dem Vista Hermosa, zu übernachten und bin froh über diese Entscheidung, denn bald danach setzt starker Regen ein. Keine Frage, die Trockenzeit ist bald rum. Als der Regen aufhört, ziehe ich eine Runde im Ort, wo die Menschen daran sind, die Häuser mit Farbe aufzufrischen und einen Lastwagen bunt zu dekorieren. Morgen fangen die Feierlichkeiten zu Ehren der Virgen del Rosario und San Geronimo an.  
Am nächsten Morgen regnet es. Kein Cotopaxi. Ich checke um 9 Uhr aus und plane vage, mit dem Bus nach Machachi fahren zu können, um dann anderntags – gutes Wetter vorausgesetzt – auf den Nationalpark Cotopaxi zu fahren. Doch die Virgen und San Geronimo machen mir einen Strich durch die Rechnung. Am Vortag war Pintag noch eine verschlafene Kleinstadt, heute sind die Gassen überfüllt. Um 10 Uhr fängt eine Art Karnevalsumzug an. Eine dieser Überraschungen, die ich auf Reisen liebe.
Buntbekleidete Menschen überall, Blaskapellen sind am Proben, fantasievoll dekorierte Wagen, tanzende, singende und Gitarren spielende Einwohner, traditionell gekleidet in Trachten,  Strassenhändler, die Ballone, Hüte und Zuckerwatte anpreisen. Die paar Regentropfen können mir nun egal sein. 
Ich schaue dem Treiben und dem Umzug belustigt zu, begebe mich zum Parque, wo dann sogar ein paar Sonnenstrahlen durchdrücken.
Die tanzenden Formationen werden von Herren begleitet, die den Zuchauern selbstgebrautes Maisbier aus Kübeln reichen. Ein häufiges Motiv der vorausfahrenden dekorierten Wagen sind übrigens Kondore und Kolibris. Auf beide scheinen die Ecuadorianer stolz zu sein. Während erstere eine Spannweite von über drei Metern erreichen können, beherrschen die zweiteren den Seit- und Rückwärtsflug mit ihren 40 bis 50 Schlägen pro Sekunde. 
Wunderbar, dass ich das hier erleben darf. Ich esse eine Ceviche a la trucha, mit Forelle aus einer naheliegenden Lagune. Es herrscht eine ausgelassene, fröhliche Stimmung. Nächste Woche soll es eine Parade mit Pferden, Reitern und vaqueros – Cowboys – geben und anschliessend die Toros del Pueblo, ein Stiertreiben in der Arena, in der angetrunkene Hobby-Toreros ihren Mut unter Beweis stellen können.
Ich komme dann mit Ricardo, einem Quiteño, ins Gespräch, da er mein Velo begutachtet. Er fährt selber MTB und ist ein guter Freund von Santiago Lara, Mister ‘Casa de Ciclista’ aus Tumbaco. Er ist mit Kind und Kegel, Schwager und Schwiegermutter aus Texas unterwegs und er bietet mir an, mit seinem Pick-Up bis zur Laguna de Secas mitzufahren. Toll! Unterwegs kehren wir noch ein und ich komme in den Genuss von traditionellem Essen, begleitet von einem Glas warmen Morocho (Maisgetraenk), das wohl das Herz eines Vegetariers hätte höher schlagen lassen.
Dort zelte ich und hoffe, dass das Wetter auftut, um den Fuss des 5´897 Meter hohen Cotopaxi, dem zweithöchsten Berg in Ecuador nach dem Chimborazo, in Angriff nehmen zu können. 
Tatsächlich, die Sonne scheint am nächsten Tag. Nichts wie los. Zunächst runter nach Pintag und dann die Abzweigung nehmen. Doch Ernüchterung macht sich breit. Erstens bin ich wieder einmal auf einer “empedrada”, dem ecuadorianischen Kopfsteinpflaster. Ich mag Schotter- und Erdpisten, mit Sand kann ich umgehen, mit Wellblech arrangiere ich mich.  Diese Pavés sind aber eine einzige Tortur und Frustgaranten, egal ob rauf, runter oder flach. Ätzend. Und wenn ich 1’000 Höhenmeter fahren muss, möchte ich nicht mit einer langen Abfahrt beginnen. Ich schlucke die bittere Pille und begebe mich zum Tiefpunkt dieses Abschnitts.
In der letzten Ortschaft lädt mich die Wirtin des einzigen Grills zu einem Glas “chicha” ein, selbstgebrautes Maisgetränk. Während ich die grillierten Eingeweide dankend ablehne, pinkelt ein Strassenköter an mein Vorderrad. Die Hunde hier geben sich wirklich alle Mühe, sich bei mir verhasst zu machen. 
Ich werde jetzt einen Tag lang keiner Menschenseele begegnen. Die Piste steigt und steigt. Der Himmel wird derweil grauer und grauer. Fängt es bald an zu regnen? Im Hintergrund zieht der Himmel zu. Es donnert bereits.
Ohne GPS wäre ich längst verloren und haette mich verfahren. Zur Abwechslung fahre ich durch tropischen Höhenwald. Der Boden ist teils aufgeweicht vom Regen.
Plötzlich befinde ich mich an einem Hang. Doch, ich bin richtig. Aber müssen diese Schiebepartien sein ? Ich befinde mich immer noch in der Höhenstufe der Tierra Fria, dem Hauptsiedlungsraum der Anden von 2´000 bis 3´500 Metern. Ich bin nun auf 3´300 Metern und plötzlich schaut mich ein Stier aus rund Hundert Metern Entfernung grimmig an. Zum Glück kann ich durch ein Gatter. Doch der Stier wandert weiter oben durch den Zaun, das löchrig ist wie Schweizer Käse. Verdammt, weiter vorne dann eine Gruppe von weiteren sechs Stieren. Ich habe keine Lust, die Corrida Pintag´s von nächster Woche vorzuziehen. Doch zum Glück wenden sie sich ab. Dafür erschrecke ich, als mich eine Andenmöwe im Sinkflug anschreit. Ich bin auf 3´500 Meter, der Himmel ist duester und die vereinzelten Tropfen verdichten sich zu Regen. 
Die leerstehende Schutzhütte in der Ferne ist ein Geschenk des Himmels. Ich bin im Trockenen. Da es um vier Uhr immer noch regnet, mache ich mich daran, das Zimmer “wohnlich” zu “gestalten und säubere es mit Hilfe einer zusammengepressten PET-Flasche, einem Backenknochen und einem Zweig eines Busches: Schaufel, Schaber und Besen. Räucherstäbli, eigens für solche Fälle mitgebracht, verdecken den erdigen Mistgeruch.
Nebel zieht dann abends auf, es ist 6 Grad kalt. Ich bin froh, nicht draussen in der Nasskälte zelten zu müssen, ein Dach ueber dem Kopf zu haben und geniesse meinen Eintopf.
In der Nacht wache ich auf und sehe den Sternenhimmel. Perfekt. Um 6.30 bin ich schon auf dem Velo und es wird ein “dia muy chevere”. Grosses Kino. Die Sonne im Rücken, den Cotopaxi in voller Pracht vor mir, flach ansteigende, gut zu befahrende Schotter- und Erdpisten. Und das auf dem komfortablen RAW mit Pinion-Getriebe mit Keilriemen, das butterweich schaltet. Genussradeln pur.
Ich bin in meinem Element, im Hoch, kann mich nicht sattsehen, hab’ ein Bilderbuch vor mir, einer der höchsten aktiven Vulkane. Ich steige bis auf 3´871 Metern gemäss meinem GPS. Und vor lauter Cotopaxi vergisst man gerne den gegenueber liegenden Vulkan Ruminahui (4’721 M), einem erloschenen Vulkan.
Am Schluss noch ein Abstecher zur Laguna de Limpiopungu, danach steht mir die wohlverdiente Abfahrt bevor. Zunächst auf der Hauptstrasse, 10 Meter breit und planiert – Touristen sei Dank. Und danach wartet ein enger Singletrail durch einen dichten Nadelwald auf mich. Grossartig. 
Ich fahre bis nach Latacunga. Und irgendwie scheinen mir die Feierlichkeiten in den Schoss zu fallen. Am Abend findet ein sehr lebhafter, karnevalsähnlicher Umzug zu Ehren der Virgen Maria de la Merced statt, der Mama Negra, der Schutzpatronin des Cotopaxi seit dem Vulkanausbruch 1742.
Den einzelnen Formationen gehen Männer voraus, die auf dem Rücken ein Gestell tragen, bunt dekoriert mit ganzen Schweinen (!), Meerschweinchen, Gemüse und Alkoholflaschen. Da die ganze Pracht rund 70 kg schwer wiegt, folgt ein Mann mit einem Tisch, damit der erste sich ab und zu ausruhen kann, nachdem er sich wild gedreht hat. Es folgen in Trachten gekleidete tanzende Männer und Frauen, Blasmusiker, Trommeln. Die Mama Negra mit schwarzer Maske reitet auf einem Pferd. Es werden immer wieder selbstgebraute Mixturen an die Zuschauer verabreicht. Dann gibt es noch weiss maskierte Gestalten, “Los Huacos”, die eine Art Reinigungsritual vollziehen. Sie schnappen sich ein Opfer, umkreisen es tanzend, schlagen mit einem Geweih oder Stock und einem Kräuterbündel auf dieses und geben ihm irgendein Gebräu zu trinken. Die Utensilien erinnern mich irgendwie an diejenigen zur Reinigung meiner Unterkunft auf dem Weg zum Cotopaxi! 
 Was für ein Tag: am Morgen noch einsam in der Weite Richtung Cotopaxi unterwegs und abends mitten im Umzug zu Ehren dessen Schutzpatronin. “Chevere, chevere”, wie die Ecuadorianer zu sagen pflegen.

Start in Ecuador

Endlich geht es los ! Mein Flug mit Iberia bringt mich von Zuerich ueber Madrid nach Quito, wo ich puenktlich lande und das bestellte Taxi bereits auf mich wartet. Da der Velokarton nicht in das Taxi passt, entsorge ich halt gleich den Karton vor Ort und demontiere das Vorderrad, damit mein Stahlross hinten auf dem Sitz Platz hat. Der neue Flughafen von Quito liegt rund 36 km vom Zentrum entfernt und als wir um 19 Uhr im Hostal Revolucion eintreffen, ist es bereits dunkel. Quito, die Hauptstadt von Ecuador, ist nur 20 km vom Aequator entfernt und mit 2’850  Metern die hoechstgelegene Hauptstadt der Welt vor Sucre in Bolivien. Sie liegt in einem fuer die Anden typischen schmalen Laengstal. Auf- und durchatmen heisst es erst mal in dieser Hoehe. Ich werde mir ein paar Tage goennen, um mir die Stadt anzuschauen und mich zu akklimatisieren.

Meine Reise habe ich minutioes geplant. Allerdings ist mir eine kleine Unachtsamkeit passiert, die mich zu einer Planaenderung zwingen wird. Den Clip mit Korrektur fuer die Sportbrille habe ich zuhause vergessen. Und so darf meine Mutter fuer mich express mit DHL (das heisst langsam?) ein Paket aufgeben. Drei Tage soll es gehen. Und tatsaechlich: innerhalb von zwei Tagen trifft das Paket nach Etappen in Leipzig, Amsterdam und Panama bereits in Guayaquil in Ecuador an. Ich nutze die Zeit, um mir die aufgrund der Kolonialvergangenheit roemisch-katholische gepraegte Stadt anzuschauen, auf den Turm der Basilika raufzusteigen und durch die Gassen des historischen Zentrums zu schlendern. Was mir sehr gut gefaellt, ist die Vielfalt an mir noch unbekannten Fruechten: etwa die Baumtomate, Babaco (Bergpapaya), Chirimoya, Granadilla, Pitajaya (Drachenfrucht, schmeckt wie Kiwi) und noch viele weitere. Fruchtsaefte – Jugos – gibt es an jeder Ecke. Kein Wunder, das Klima in Ecuador begunstigt den Anbau von tropischen Fruechten, Kakao, Kaffee und vor allem von Bananen. Ecuador ist eines der wichtigsten Exportlaender, was Bananen anbelangt.  

Natuerlich lasse ich es mir nicht nehmen, mich mit dem Teleferico, der Seilbahn, auf fast4’000 Meter befoerdern zu lassen und eine gigantische Sicht auf die Stadt und den Vulkan Cotopaxi zu bewundern. Anschliessend wandere ich mit einer spontan zusammengewuerfelten Gruppe von Touristen und zwei Einheimischen mit ihrem Hund auf den Vulkan Ricu Pichincha auf 4’627 Metern rauf. Es scheint ein Volkssport zu sein, hier raufzusteigen, egal ob mit Wanderschuhen und Helm oder in ganz einfachen Turnschlappen. Mit leichtem Kopfweh steigen wir wieder runter, eine junge Suedtirolerin geraet bei einer Kletterpartie in Panik und ich muss ihr gut zureden und sie beruhigen, damit sie den Abstieg schafft. 

Nun, das Paket mit dem Clip fuer die Sonnenbrille ist nun bereits in Guyaquil. Doch die Muehlen von DHL mahlen hier langsam, die Zollformalitaeten scheinen kompliziert zu sein. Nach zwei Tagen bemueht man sich, mich per Mail anzuschreiben und zu fragen, ob ich mit der Verzollung einverstanden sei. Was soll das fuer eine Frage? Habe ich eine Alternative? Ich muss die bittere Pille schlucken und zu den 139 CHF Transportkosten noch 71 US-Dollar berappen. Der US Dollar ist uebrigens seit einigen Jahren die offizielle Waehrung hier. Die Dinge wollen nicht recht vorangehen und so entscheide ich nach vier Tagen, Quito zu verlassen und nach Norden zu fahren, obschon ich nach Sueden fahren wollte. Nicht ohne meinen Unmut bei DHL Schweiz zu deponieren. Die Aussicht, noch drei, vier Tage in einer stickigen Grosstadt ausharren zu muessen, zwingt mich zu handeln. Abgesehen davon, dass im Backpacker einige Australier bis fruehmorgens feiern und jeweils besoffen um drei Uhr das ganze Haus aufwecken.

Ich sattle also mein neues Velo, ein RAW von MTB Cycletech, deren neues Flaggschiff und fahre zunaechst run d550 Hoehenmeter runter nach Tumbaco, wo die alte Eisenbahnlinie zu einem Veloweg ausgebaut wurde. Eine herrliche Strecke, um mich warmzufahren. Keine steilen Anstiege, sondern alles eher flach mit sanften Steigungen. Es ist am ersten Tag sehr heiss mit fast 35 Grad, die Sonnencreme ist irgendwo in einer Packtasche weit unten verstaut und so verbrenne ich mir leicht die Arme. Es braucht ein paar Tage Zeit, bis alle Handgriffe stimmen, jedes Objekt und Ausruestungsteil sein Plaetzchen in einer der Taschen auf dem Velo gefunden hat, ich eins werde mit meinem RAW.

Die ersten Kilometer in einem fremden Land, in einem mir unbekannten Kontinent und mit einem neuen Velo sind sehr aufregend. Sobald ich die ersten Kilometer aus Quito rausfahre, spuere ich, dass es die richtige Entscheidung war. Auf dem Velo fuehle ich mich befreit. Das Vorankommen, das Entdecken und mich Ueberraschen lassen, macht einfach Spass, treibt mich an. Als Ersatz fuer die Sonnenbrille habe ich uebrigens fuer 5 USD eine Schweisserbrille gefunden, die ich auf meine Brille aufsetzen kann. In Tumbaco esse ich Fisch, Ceviche, ein Gericht aus Garnelen gegart in Limettensaft, gewuerzt mit Chili und Koriander. Das Essen ist hier genial, reichhaltig, viele Maisarten, Gemuese. So laesst es sich gut leben als Radler. Und es ist hier auch dringend noetig, weil die Steigungen und der Streckenbelag brutal sein koennen.

Auf diesem Trip werde ich vor allem auf Pisten und Jeeptracks unterwegs sein, weg vom Asphalt und von der Panamericana. Es handelt sich in Ecuador um die Strecke TEMBR – Trans Ecuador Mountain Bike Route. Und schon bei einem ersten Canyon kommen Hochgefuehle auf und ich geniesse es, auf diesen verschlungenen und einsamen Wegen unterwegs zu sein. Na ja, nicht ganz einsam, weil bei einem Pause auf einer Wiese ich regelrecht von Insekten aufgefressen werde und danach alleine am rechten Bein 23 Stiche habe, die vor allem in der Nacht einen ueblen Juckreiz verursachen. Die ecuadorianischen Hunde, von denen es nur so wimmelt, habe ich schon nach einem Tag auf dem Kicker. Sie koennen recht aggressiv werden und es werden Geschichten von Tourenradlern kolportiert, die gebissen wurden. Vorsicht und lautes Schreien ist angesagt.

In einer kleinen Ortschaft, in Yaruqui, uebernachte ich in einem einfachen Hostal. Danach geht es bis nach El Quinche weiter, wo sonntags ein sehr belebter Markt stattfindet, in dem allerlei Waren angepriesen werden und das Zentrum rammelvoll ist. Ich spuele den Staub im Rachen mit dem frischen Saft einer Kokosnuss runter und fahre weiter bis nach Guayallabamba, wo ich mir ein leckeres Mittagessen goenne. Anstatt Brot wird hier Popcorn und geroesteter Mais gereicht. Jetzt folge ich der Panam – der Panamericana – fuer ein paar Kilometer. Zunaechst eine rasante Abfahrt und danach in der bruetenden Hitze ein schweisstreibender Anstieg, an einem Aussichtspunkt vorbei. Toll, schon auf den ersten Metern haelt ein Auto hinter mir an und reicht mir 8 Mandarinen, der Fahrer haelt den Daumen hoch und grinst mich an. Wie einfach doch Radler mit solch kleinen Gesten gluecklich zu stellen sind !

Ich nehme eine Seitenstrasse und mache Bekanntschaft mit dem beruechtigten ecuadorianischen Kopfsteinpflaster. Langgezogene, nie enden wollende holprige Steigungen. Selbst die Abfahrten auf diesem Belag sind muehsam. Da schon fuenf Uhr ist – um sechs dunkelt es ein – suche ich mir einen flaches Stueck Land ausser Sichtweite und schlage mein Zelt auf.

Am Morgen durchziehen Nebelschwaden die Taeler. Tagsueber wird es dann wieder recht warm. Die Strasse steigt an, ich komme in eine kleine Ortschaft, Malchinqui, wo ich meine Vorraete wieder aufstocken kann. Die einzige Bude, die offen hat, serviert nur Salchipapas, Fritten und Wuerste. Das erspare ich mir. Ich kaufe mir noch ein paar Snacks und Bananen und ziehe weiter.

Nun faengt die Steigung auf einer mit Furchen durchzogenen Erdpiste richtig an. Im ersten Gang kaempfe ich mich Meter um Meter hoch. Das GPS zeigt mir noch 14 Km bis zum hoechsten Punkt, wo eine Lagune ist. Als ich das Hoehenprofil studiere, wird mir etwas bange. Rund 1’400 Hoehenmeter wollten heute erklommen werden. Doch die Landschaft entschaedigt fuer die Strapazen.

Endlich flacht die Strecke etwas ab und ich kann etwas entspannter radeln, die Landschaft geniessen.

Ich bin nun schon auf ueber 3’300 Meter und die Sicht auf das Tal ist beeindruckend. Vor mir liegt tropischer Hoehen- und Nebelwald, weiter unter Anbaugebiet. Ich stosse auf Einwohner des Dorfes Malchinqui, die hier an den steilen Bergwaenden Blaubeeren sammeln und mir natuerlich ein paar Handvoll reichen.

Die Menschen sind freundlich, zu Spaessen aufgelegt und scheinen den Ausflug in der Gruppe zu geniessen. Die Kinder sind neugierig. Ein kleiner Junge, Luis, wuenscht mir alles Gute fuer die Weiterfahrt: Senor, che le vaya todo bien!

Ich bin jetzt ganz einsam, die Strasse steigt wieder an. Grosse Steinbrocken saen die Strasse, sodass ich ab und zu das Velo stossen muss. Bald habe ich das Gefuehl, in einem Regenwald zu fahren. Ich verfahre mich, muss wieder zurueckfahren. Doch landschaftlich wird es immer reizvoller.

Auch die Pflanzenwelt ist ungewohnt. Botaniker haetten in Ecuador ihre helle Freude. Ecuador besitzt eine einzigartige Vielfalt an Pflanzen und Tieren. Und so kann ich es trotz fortgeschrittener Stunde nicht sein lassen, ueber die ungewohnten Formen und Farben zu staunen. Es ist nun schon drei Uhr, noch 5, 6 km. Doch die wollen erkaempft werden.

Es geht ein Stueck runter und wieder rauf. Gemaess GPS bin ich zwar immer noch richtig, doch ploetzlich befinde ich mich auf einer Weide und nicht mehr auf einem Pfad, die Rinder suchen das Weite. Das Einzige, was ich vor mir habe, ist ein riesiger Hang mit Furchen.

Mir bleibt nichts anderes uebrig, als zu Schieben, denn ans Fahren ist schon lange nicht mehr zu denken. Zum Glueck ist es sonnig, denn sobald Wolken aufziehen, wird es rasch kuehl mit Temperaturstuerzen von 10 bis 15 Grad. Mit dem normalen Tourenrad haette ich hier schon laengst kapitulieren muessen. Die naechste Herausforderung steht mir bevor: ein Zaun. Vier neugierige Pferde beobachten mich, wie ich den Zaun muehsam aufmache und vorsichtig das Velo hieve. Um vier wollte ich auf der Lagune sein, daraus wird nun nichts. Ich laufe weiter, Meter um Meter gewinne ich an Hoehe und bin schon auf ueber 3’600 Metern. Dummerweise lauft linkerhand ein Pfad mit dem Zaun zusammen und ich merke, dass ich wieder ueber den Zaun muss. Diesmal kann ich aber den Zaun nicht oeffnen, sondern muss das ganze Gepaeck entfernen und dann muehsam das Velo ueber den Zaun heben und dabei aufpassen, dass sich meine Oberschenkel nicht am Drahtzaun aufschuerfen. Ich koennte schreien vor Wut, doch es nuetzt nichts. Noch ein Kilometer, 500 Meter und dann faellt mir ein Stein vom Herzen, ich bin ploetzlich erleichtert, euphorisch und ich weiss, wieso ich mir das alles antue und sich das lohnt. Der Anblick der Lagune Chiriacu auf fast 3’750 ist wie Balsam auf die Seele.

Eine tolle Ueberraschung ist, das ich hier ein Zelt erblicke. Zwei franzoesische Brueder aus der Bretagne, Clement und Aurelien, sind ebenfalls mit dem Rad unterwegs. Sie haben sich vor zwei Monaten in Kolumbien fuer umgerechnet 300 Euro Mountainbikes gekauft und sind seither als Tourenradler unterwegs. Davor waren sie mehr als ein Jahr lang als Backpacker und mit einem Van unterwegs gewesen. Doch mit dem Rad unterwegs zu sein, sei fuer sie die schoenste Art zu reisen.

Bis nach Otavalo sind es zwar nur 15 km, doch es ist schon 5 Uhr und deshalb schlage ich mein Zelt neben dem der Gebrueder Trotel (sic!) auf. Es tut gut, sich mit Gleichgesinnten austauschen zu koennen und diesen einzigartigen Ort und die Abendstimmung geniessen zu koennen. Nach dem Nachtessen – Pasta mit Tomaten, Knoblauch, Erdnuessen und Rosinen – schluepfen wird in den warmen Schlafsack, denn die Temperatur betraegt gerade noch 3 Grad. Um acht Uhr sind wir schon im Zelt.

Am naechsten Morgen scheint die Sonne und wir lassen uns Zeit mit dem Zusammenpacken. Wir verabschieden uns und ich fahre zur groesseren der zwei Lagunen weiter.

Die Lagunas de Mojanda sind von Otavalo aus auf einer 15 km langen Kopfsteinpflasterstrasse zu erreichen, die eine durchgaengige Steigung von ca. 7 Grad hat. Selbst die Abfahrt hat es in sich und auch hier bin ich froh, dass ich mit Scheibenbremsen unterwegs bin.

Um Mittag erreiche ich dann endlich Otavalo, eine Kleinstadt bekannt fuer den bunten Markt und ein beliebtes Touristenziel. Die Stadt ist gepflegt mit einem reichhaltigen Angebot an Laeden, Hostals und Restaurants. Ich steuere zunaechst ein Restaurant an und verpflege mich. Danach geniesse ich eine heisse Dusche und bin ueber die ersten dreieinhalb Tage Radfahren ganz zufrieden. Ich bin langsam auf Betriebstemperatur und bereit fuer die weiteren Pisten entlang der Vulkanroute. Das Paket ist nun nach fast einer Woche in Ecuador doch noch dem Hostal Revolucion zugestellt worden und nach etlichen Reklamationen meinerseits erhalte ich sogar die Transportkosten wegen den Unanehmlichkeiten zurueck erstattet. Morgen gehe ich mit dem Bus nach Quito. Hasta pronto !


Bald wieder unterwegs…

Mein letzter Beitrag ist nun auch schon eine ganze Weile, ja schon ein paar Jahre her. Natürlich war ich in der Zwischenzeit immer wieder mal unterwegs: u.a. in Marokko im Atlas Gebirge am Trekken; in Uganda auf dem Ruwenzori; in Albanien und letztes Jahr mit dem Rad in Ladakh und Zanskar. Als ich dort auf ganz üblen Pisten unterwegs war, fiel der Entscheid, das nächste Mal mit einem Mountainbike, breiten Reifen und einem bikepacking-Setup unterwegs zu sein. Jetzt ist es soweit: in ein paar Tagen werde ich wieder unterwegs sein… Diesmal auf dem südamerikanischen Kontinent. Auf der Suche nach abgelegenen Schotterpisten und Pässen, in den Anden und auf dem Altiplano. Ganz besonders freut mich, dass ich mit dem neuen Flaggschiff von MTB Cycletech, dem RAW, unterwegs sein werde. Ich bin gespannt, wie sich mein neuer Drahtesel bewähren wird.


Alpenroute

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Bevor ich schweizerischen Boden betrete – ich bin einen Steinwurf von Genf entfernt – lasse ich die letzten Tage in den französischen Alpen Revue passieren. Zurueck nach Korsika. In Bastia nehme ich die Fähre nach Italien. Als ich dort das Cyber Kaffee verlasse, rauscht ein Tourenradler an mir vorbei. Ich hole Olivier bald ein. Auch er nimmt die Fähre nach Savona. Olivier ist aus der Nähe von Lausanne und will nächstes Jahr auf der östlichen Route nach Südafrika radeln. Er kennt sich in den französischen Alpen gut aus und so tauschen wir eifrig Informationen.
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Einmal in Savona angekommen, verabschieden wir uns auch schon. Ich radle der Küstenstrasse entlang, der Via Aurelia, bis nach Ventimiglia und danach Richtung französische Grenze. Die Strände sind vollgepfropft mit Muessiggaengern, die sich Ellbogen an Ellbogen in der Mittagssonne aalen. Ich staune nur darueber, dass sich die Leute dies freiwillig antun, die wohl das Gleiche von mir denken werden. Ich klappere zahlreiche Veloläden ab, denn ich brauche für die nächsten Tage ein paar Beinlinge. Ein Veloweg einige Kilometer vor San Remo sorgt für einige ruhige und erholsame Momente und laesst die stark befahrene Hauptstrasse vergessen. Vorbildlich. Vielleicht liegt es daran, dass die Velolobby in San Remo dank des Eintagesklassikers Milano – San Remo, la Classicissima, staerker als anderswo ist.
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Kurz vor dem Feiertag “Ferragosto” sind die Campingplätze ausgebucht, was mir mehr als recht sein kann, denn ich habe keine Lust, eingepfercht in einem Kaninchenstall und für Lärmimmissionen noch Geld auszugeben. Stattdessen fahre ich ab Ventimiglia Richtung Norden. Es wird eine lange Etappe von über 140 Kilometer. Ein Zeltplatz ist im engen Flusstal unmöglich zu finden. Ich erreiche die letzte Ortschaft auf italienischem Boden, Fanghetto, in der Dunkelheit. Im idyllischen Dorf leben noch zwei Einheimische, ansonsten nur Touristen, Niederländer und Franzosen, die hier ihre Sommerresidenz in einem renovierten Steinhaus haben. Für die Übernachtung suche ich mir eine Steinbank neben dem Brunnen in einer Arkade aus. Fliessendes Wasser und ein Dach ueber dem Kopf, mehr brauche ich nicht. Ich bin zufrieden. Doch schon bald wird mir eine leerstehende Vorratskammer inklusive einer warmen Dusche angeboten. Dazu ein Plauderstuendchen. Eine angenehme Ueberraschung. Ich bin gluecklich.
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Am nächsten ‘Tag bin ich während eines Intermezzo von 40 Kilometer in Frankreich. Ich peile den Colle di Tenda auf 1870 M an, der suedlichste der grossen Alpenpaesse. Er fährt sich trotz Verkehr und vielen Motorradfahrern gut. Die verschwinden dann ohnehin alle im Tunnel und die letzten rund 7 Kilometer und spektakulaere 46 Haarnadelkurven bin ich dann abgesehen von einer Schafherde und vier boesen Hirtenhunden praktisch alleine. Die Beinlinge kann ich nun ganz gut gebrauchen, denn bald fängt es an zu regnen, es kuehlt ab. Die Strasse ist im oberen Teil dann ungeteert, eine richtig tolle Passstrasse.
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Dichte Nebelschwaden ziehen dann am Schluss auf und als ich endlich auf der Passhöhe bin, kann ich im dichten Nebel nur mit Muehe eine der zahlreichen militaerischen Festungen finden. Im Regen und Nebel zu zelten ist nicht sonderlich einladend. Sehr willkommen fuehle ich mich aber in der Festung auch nicht. Ein enger Gang führt in einen kleinen Vorraum. Drei kleine Gänge führen zu Schiessluken, während eine Treppe vier Stockwerke runter in die absolute Dunkelheit einlädt. Von dort fuehrt dann ein abfallender Tunnel direkt in die Hoelle, wie es mir vorkommt. Das Ganze ist mir dann doch etwas unheimlich und gruselig und ich steige rasch wieder die Treppen hoch. Ich habe keine Lust, noch weiter den Untergrund zu erforschen. Die Zeltstangen finden nur mit Kraftaufwand Platz im engen Vorraum. Es zieht fürchterlich und die Wassertropfen hängen schwer in der Luft. Ein paar Podcasts lenken mich zum Glück etwas ab.
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Am nächsten Tag hat sich der Nebel nicht verzogen. Ich warte zunächst ab, entschliesse mich dann aber, keine zweite Nacht in dieser Militärfestung  verbringen zu wollen. In der Talsenke wird das Wetter wohl besser sein. Auf der italienischen Seite zeigt sich dann bald ein Bergrestaurant, wo ich mit dem sympathischen Paar Giorgio und Gaby aus Cuneo ins Gespräch komme. Schweren Herzens lehne ich ihr Angebot ab, bei Ihnen in Cuneo zu übernachten, denn ich will noch zum Fusse des nächsten Passes fahren. Das Wetter klart nun endlich etwas auf.
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In Borgo San Dalmazzo trockne ich zunächst mein Zelt in einem öffentlichen Park und geniesse nochmals einen Espresso in der gegenüberliegenden Bar. Dort stellt mir, wie sich später herausstellen wird, der Bürgermeister Paolo, unuebliche und interessante Fragen über meine Reise. Auch hier wird mir eine Bleibe angeboten – doch ich bleibe nicht, dafuer bei meinem Plan. Ich fahre dem Valle di Stura auf einem ruhigen Veloweg fernab vom Verkehr bis zur Abzweigung zum Colle della Lombarda, wo ich am Flussufer wild zelte.
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Der Col de la Lombarde (2350 M) ist von der italienischen, nördlichen Seite her, gut zu fahren. 24 Kilometer lang, durchschnittlich knapp sechs Prozent Steigung mit einigen wenigen flacheren Abschnitten. Die Campingplätze sind in diesen Sommertagen meist ausgebucht, sodass meine warme Dusche noch einige Tage warten muss. Ich bin nun auf der Route des Grandes Alpes, die vom Mittelmeer bis zum Lac Léman über die französischen Alpen führt. Leider nicht nur bei Velofahrern beliebt.

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Es geht nun rauf zum Col de la Bonette, 2715 M hoch. Nach dem Pass führt noch einen steilen Kilometer lang “la plus haute route de l´Europe”, wie grossmundig auf Schildern prangt, rund um den Cime de la Bonette zu einem Monument. Es gibt noch hoehere Gebirgsstrassen in Europa, was aber von den Franzosen nicht gerne gehoert wird. Kaum dort angekommen und mein Velo abgestellt, um zu Beweiszwecken ein Foto zu schiessen, werde ich von ungeduldigen Motorradfahrern schon höflich gebeten, doch das Velo auf die Seite zu schieben. Oh-Oh. Das kommt bei mir nach drei Stunden Schwitzen und Treten am Berg, und nachdem ich Hunderte von vorbeirasenden Motorradfahrern ertragen musste, ganz einfach schlecht an. Immerhin kommen meine lauten Schimpftiraden bei den anderen Velofahrern gut an.
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Immerhin treffe ich noch “normale” Radler an. Wie den 66-jährigen André aus Toulouse, der von einer dreimonatigen Tour auf dem Balkan und in Albanien zurückkehrt. Erst vor wenigen Jahren habe er mit Velotouren angefangen. Es habe ihm unglaublich gut gefallen in Albanien, er habe sich in das Land verliebt, die Leute seien sehr freundlich gewesen. Doch sobald er wieder hier in Europa eingetroffen sei, habe es ihm abgelöscht. Die Leute seien gestresst, weniger freundlich. Er vermisse die Gastfreundlichkeit. Er bereue, dass er nicht als Jugendlicher Veloreisen unternommen habe. Die Einfachheit dieser Reiseart und die Begegnungen haetten ihm den Horizont geoffnet.

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Die nächsten Tage geht es stets mit Durchschnittsgeschwindigkeiten von 6 bis 8 km/Std rauf und mit fast zehnfacher Geschwindigkeit in langen Abfahrten wieder runter. Nach dem Col de Vars, 2111 M, finde ich dann endlich einen Campingplatz, um wieder einmal eine warme Dusche zu nehmen. Dort finde ich auch den Freak Christopher, 46 Jahre, aus Cumbria/England. Er ist in den Sommermonaten unterwegs, um die höchsten Alpenpässe zu besteigen und zu wandern. Anstelle von Wasserbidons hat er zwei Champagnerflaschen am Velorahmen und Korken zieren die Speichen seiner Raeder. Er ist in seinem Leben schon weit herumgekommen und geniesst umso mehr die Alpen.

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Der Col de l`Izoard (2360 M) ist landschaftlich auf den letzten Kilometern der “Casse Déserte”, einer Verwitterungslandschaft, besonders reizvoll. 32 Mal fuehrte die Tour de France ueber diesen Pass. Unterwegs erinnern zwei Schilder an einem Felsen an die Radlegenden Fausto Coppi und Louison Bobet.

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Der Col du Lautaret, 2058 M, ist nur die Vorstufe bzw. auf der Abzweigung zum Col du Galibier, 2677 M , einem Klassiker der Tour de France, ein Pass Hors Categorie, der schon sehr oft gefahren wurde.

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Nun gibt es einen etwas flacheren Abschnitt zwischen St. Michel de Maurienne und Lanslebourg. Von einem der “schönsten Dörfer Frankreichs”, wie es am Dorfeingang von Bonneval-sur-Arc heisst, führt die Strasse zum Col de l´Iséran, mit 2764 M der höchste ueberfahrbahre Gebirgspass Europas. Der riesige Parkplatz vor dem Dorfeingang und die Hundertschaften von Touristen, die das Dorf belagern, sind dann weniger schoen. Auf der anderen Seite des Passes liegt der Skiort Val d´Isère und eine lange Abfahrt bis nach Bourg St. Maurice. Erst sieben Male fuehrte die Tour de France ueber diesen Pass.

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Bevor das grosse Gaehnen bei der Aufzaehlung all dieser Paesse aufkommt: frueher als erwartet ist es geschafft. Der Cormet de Roselend (1967 M) führt durch eine wasserreiche Schlucht und einem Staudamm.

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Die Paesse flachen nun ab. Der Col de la Saisie (1633 M) liegt im Skiort Saisie, wo ich einen Nachmittag lang im Tourismusbüro verbringe und den Entwurf zum vorliegenden Artikel schreibe, während es draussen bestaendig regnet. Um sechs Uhr Abends endlich hoert es etwas auf, sodass ich mich auf dem Weg zum Camping mache. Da ich aber keine Dusche benoetige, reut es mich, die 11 Euro in diesem Drei-Sterne-Camping auszugeben, wo man fuer eine warme Dusche nochmals einen 1-Euro-Jeton einwerfen muss. Auf dem Campingplatz wird das erwartete Nachtgewitter nicht trockener sein als anderswo und das waldige Gebiet eignet sich ohnehin gut, um wild zu zelten. Ich fahre weiter und bei der erstbesten Gelegenheit frage ich einen Herrn, der gerade Mountainbikes in einer Garage verstaut, um Wasser. Wir kommen ins Gespraech und Herve bietet mir spontan und umsonst sein Winterchalet zur Uebernachtung an ! Toll !

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Am naechsten Tag aendere ich dann meinen Plan, lasse zwei kleinere Paesse rechts liegen und fahre schnurstracks Richtung Annecy und an die schweizerische Grenze unweit von Genf. Mein Freund Jan verreist in zwei Tagen und ich moechte ihn noch sehen. Unterwegs faehrt er mir entgegen und begleitet mich zu seinem neuen Wohnort in Frankreich. Mit seiner gleichnamigen Frau hat er mich bei der Abreise vor zwei Jahren waehrend einiger Tage begleitet. Die Schweiz ist nun in Sichtweite !

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Maestrale, Mirto e Mare

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Nun, nach zwei Wochen Erholung in Sizilien heisst es für mich, wieder in den Sattel zu steigen. Von Palermo aus gelange ich mit der Fähre der Tirrenia nach Cagliari. Nebenan harren Tunesier mit vollbeladenen Autos, meterhochem Gepäck, Fahrrädern und Scootern auf den Autodächern in der Hitze aus. Es ist Hochsaison, die Fähre ist voll, die Schlafsessel sind ausgebucht. Mit Glück ergattere ich in der Bar noch einen Stuhl und einen Tisch. Lege mich dann um Mitternacht am Boden auf meiner Schlafmatte hin.

In Cagliari werde ich von Enrico, einem Warmshower, herzlich aufgenommen. Warmshowers ist ein Netzwerk für Tourenradler, das in Europa und in den Staaten weit verbreitet ist. Erstaunlicherweise gibt es aber in ganz Sardinien nur drei Warmshowers. Enrico ist noch kein Jahr mit dabei und der erste der Insel.

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In einem Tag geht es über eine tolle Schotterpiste und den Wald des Monte Arcuso nach Portoscuso, einem Fischerdorf. Dort besuche Bruno, den ich in Addis Ababa seinerzeit kennengelernt habe und ich folge gerne seiner Einladung, ihn zu besuchen. Er wohnt in Rom, verbringt aber vier Monate im Jahr in seinem Heimatdorf.

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Er zeigt mir die Umgebung, die Reste der Tonnara, wo die Fischer von der Matanza, dem Thunfisch-Schlachten, zurück kamen. Wir besuchen auch eine naheliegende Nuraghe. Ein Steinturm und eine Siedlung aus der Bronzezeit, rund 3´500 Jahre alt. Die Nuraghenkultur  in Sardinien ist allgegenwärtig. Es gibt rund 7´000 dieser Turmsiedlungen auf der Insel. Der Wind Maestrale pfeifft uns ins Gesicht, naheliegende Korkbäume sind richtiggehend flachgelegt worden und wachsen horizontal.

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“Maestrale, Nuraghe e Mare – piu´ Sardegna di cosi´ non puoi avere!”, meint Bruno. Nun, den Mirto hat er vergessen, ein alkoholisches Kräutergetränk. Das holen wir aber nach dem Abendessen nach.

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Ich fahre dann einem Küstenabschnitt entlang bis zur Costa Verde. Es gibt hier einige reizvolle Küstenfelsen. Aber halt auch Touristen und Camper, wobei sich der ganze Rummel sehr in Grenzen haelt, nicht zuletzt weil die Faehrpreise erheblich gestiegen sind in dieser Saison. Zeit, um die Küste zu verlassen und zunächst einmal einer happigen 13 % Steigung von drei Kilometern in der Mittagshitze zu trotzen. Es geht dann wieder runter, dann wieder rauf zum Passo di Bidderdu auf 492 M, und dann wieder runter.

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Meine Route führt mich nun durch das Landesinnere, durch hügelige und bergige Landschaften, ­­­vorbei an vielen kleinen Dörfern und Korkeichen. Die Insel ist mit 1.5 Millionen Einwohnern nicht sehr dicht besiedelt und wildes Zelten problemlos möglich. Im Dorf Nureci möchte ich eigentlich nur Wasser tanken. Die Wände der Häuser sind mit grossen Malereien geschmückt. Ich plaudere mit Einheimischen und werde auf den über dem Dorf liegenden Brunnen geführt, wo ich dann gleich übernachte. Frisches Bergwasser findet sich oft am Wegesrand.

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Die Sardinier scheinen auf den ersten Augenblick nicht allzu kontaktfreudig, doch sobald man sie begrüsst und anfängt, mit ihnen zu plaudern, zeigen sie sich von einer sehr gastfreundlichen und herzlichen Seite. So schenkt mir der Gemeindeangestellte Paulo, nachdem wir lange während der Mittagshitze geplaudert haben, ein halbes Kilo Käse und eine Salami.

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In einem anderen Dorf, Sarule, werde ich dann von pensionierten Herren in ein hitziges Gespräch verwickelt. Sie fangen damit an, dass an jenem Tag ein Trauertag sei. Berlusconi sei nun vom Kassationsgericht verurteilt werden und er müsse begnadigt werden. Mit meiner Meinung halte ich natürlich nicht hinter dem Berg. Berlusconi ist eine Schande für Italien, für ganz Europa und es ist unbegreiflich, dass viele Italiener diesem Kriminellen (ganz offiziell darf man ihn nun Betrüger nennen) noch die Stange halten. Jeder Anwesende lädt mich derweil zu einem Getränk ein. Da erst 10 Uhr morgens ist, verzichte ich auf Bier und Wein. Der barista Gesuino gibt mir aber noch eine Flasche Inchusa Bier mit.

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Während der ganzen Zeit ist es in Sardinien heiss, meist um die 35 Grad. Ich zelte oft in Wälderlichtungen. Für wenige Kilometer fahre ich mit dem Franzosen Thierry aus Annecy, für zwei Wochen in Sardinien und Korsika unterwegs und schon richtig schön verbrannt. Wir suchen einen Platz zum Zelten. Das Kirchlein San Pietro bietet sich da mit Sitzbänken, Festplatz und Brunnen gut an. Zufälligerweise fährt gerade in jemen Moment ein anderer Radler, Peter, Professor an der Universität Amsterdam, an uns vorbei. Er gesellt sich zu uns. Ich zeige dann beim Einschlagen des Zeltherings besonderes Geschick, da ich einen Wasserschlauch treffe und den ganzen Platz überflute. Nicht das erste Mal, bereits in Namibia ist mir das auf einem Zeltplatz passiert.

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Jedes Dorf hat seine Eigenheit. Oschiri ist die Stadt der “Panadas”, eine Art Calzoni bzw. Empanada, wie man sie aus Spanien kennt. Pattada hingegen ist bekannt für die handgefertigten Taschenmesser im Stile der französischen Laguiole. Der Griff wird aus Widder-Horn hergestellt. Nur der Preis von über 100 Euro hält mich davon ab, ein solches Teil zu ergattern.

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Ich treffe dann zwei Motorradfahrer aus Mailand an. Die Brüder Gabriele und Riccardo sind unterwegs zu den Eltern, die seit 38 Jahren ihren Urlaub in Sardinien verbringen. Spontan laden sie mich ein und so verbringe ich einen Nachmittag am Strand, kann Pasta alla bottarga essen und einen geselligen Abend verbringen. Gabriele ist übrigens Künstler und sein beliebtes Motiv sind afrikanische Tiere in Städten. Hier der Link http://www.gabrieleburatti.com

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In Santa Teresa di Gallura nehme ich dann die Fähre nach Bonifacio, das für einen kleinen Kulturschock sorgt. Man fährt in einen felsigen Fjord hinein, in dem sich die riesigen luxuriösen Yachten im kleinen Hafen tumeln. Der Anblick ist eigentlich angenehm. Das einstmals verschlafene Städtchen ­wird von Touristen richtiggehend erdrückt, ist Opfer des eigenen Charmes. Sobald man das Rad in der Nähe eines Kaffees anlehnt, wird man angewiesen, es zu entfernen. Und für die Nacht muss ich mit einem überfüllten Campingplatz Vorlieb nehmen.

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Die Insel ist im Belagerungszustand. Touristen ueberall. Erst nach rund 80 Kilometer kann ich endlich etwas dem Trubel entfliehen. Nun zeigen sich dafuer Hausschweine ueberall auf der Strecke. Die Gastfreundlichkeit wie in Sardinien vermisse ich hier allerdings. Auch an das Gruessen ohne Laecheln muss ich mich erst langsam wieder angewoehnen.

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Immerhin gibt es ein paar schoene Steigungen und Abfahrten. Auch die Tour de France ist hier vorbeigekommen, was an den farbigen Fahnen und den Beschriftungen auf der Strasse zu sehen ist. Nach wenigen Tagen dann bin ich dann schon in Bastia, wo ich die Faehre nach Savona nehme.

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Uebrigens laeuft die Spendenaktion fuer Helvetas immer noch weiter und wer sein Reisebudget nicht allzu arg strapaziert hat, ist gerne willkommen, einen Beitrag zu leisten. Vielen Dank.


U cannolo siciliano

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Nach den letzten Ereignissen und der Ermordung eines Oppositionspolitikers in Tunis scheine ich wiederum zum richtigen Zeitpunkt das Land verlassen zu haben. Die Fähre bringt mich nach Sizilien und Trapani. Hier erwarten mich meine Eltern, um ihren Sohn nach 688 Tagen freudig umarmen zu können.

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Als wir um Mitternacht  mit der Fähre anlegen, ist von ihnen jedoch keine Spur zu sehen. Ich rufe sie an. Sie schlafen in der Pension. Da die Fähre mit über zwei Stunden Verspätung ablegt, teile ich das noch rechtzeitig per SMS mit. Allerdings wird das Boot die Verspätung bis Trapani aufholen können, meine SIM Karte aber nicht mehr funktionieren.IMG_7004 (1024x683)In Trapani verbringen wir zusammen einen Tag, machen einen Ausflug nach Erice, das hoch oben auf einem. Ich fahre dann mit dem Velo los, zunächst Richtung Küste, vorbei an den Salinen von Trapani, wo einige Flamingos zu sehen sind. Nach Marsala entdecke ich zu meinem Erstaunen, dass sich an der Küste ein recht gut ausgeschilderter Veloweg befindet. Ich nehme den bis nach Agrigento.

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Sizilien ist der richtige Ort, um mich langsam wieder an Europa zu gewöhnen. Der Kulturschock sitzt noch nicht so tief. Die Sizilianer sind keine Meister, was Ordnung, Disziplin und Sauberkeit anbelangt. Was mir nach Afrika auffällt, sind die leeren Felder, nur sehr wenige Schafe und Hirten sehe ich. Dörfer sind ausgestorben, praktisch keine Menschen sind unterwegs. Was hingegen die Preise für Gemüse und Früchte anbelangt, scheint Sizilien weltweit das beste Preis-Leistungsverhältnis zu haben. Sonnengereifte Tomaten, die noch diese Bezeichnung verdienen, für einen halben Euro. Wunderbare saftige Pfirsiche für einen Euro das Kilo.

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Essensmässig ist Sizilien ein Schlaraffenland. Wie sehr habe ich mich nach dem Essen hier gesehnt: Salami, Pecorino, Oliven, Pasta, Gelato, la granita… und dann die cannoli siciliani, eine Spezialität, von der ich oft geträumt habe, als ich in der Wüste gegen Hitze und Wind gekämpft habe. Ein Gebäck mit Ricotta gefüllt, das schwer auf dem Magen liegt.

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In anderen Bereichen steht Sizilien allerdings ganz schlecht da. So scheint das Abfallwesen ein Sorgenkind zu sein. Strassenränder und Parkplätze müssen als Mülldeponien herhalten. Abfall wird wild entsorgt. Die Insel ist dreckiger als die meisten Orte, die ich in Afrika gesehen habe. Auch das illegale Bauen scheint ein Volkssport zu sein. Immerhin hat die Insel im Kampf gegen die Mafia Fortschritte gemacht.

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Unterwegs duftet es nach wildem Fenchel und reifen Feigen. Olivenhaine, Kapernsträucher, Kaktusfeigen und Weinreben säumen den Weg. Die Insel ist bergig, hügelig. Ich fahre vorbei an La Sciacca,  einem Fischerort, und zelte am Strand. Hier werde ich dann von “Camperisti” aus Palermo zum Abendessen eingeladen.

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Als ich in Agrigento während der Mittagshitze Rast mache, fährt ein Vespa mit Schweizer Nummernschild an mir vorbei. Sofort steige ich aufs Rad in der Hoffnung, ihn einholen zu können. Vergeblich. Jedoch dreht dieser um und fährt mir plötzlich entgegen. Es ist ein pensioniertes Basler Paar, die mit einer Sonderedition eines dreirädrigen Ape vier Wochen lang Sizilien erkundet. Für mich ist es das erste Gespräch auf Schweizerdeutsch seit langem. Und das letzte unter sengender Sonne. Das nächste Mal suche ich mir lieber  einen Schattenplatz.

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Unterwegs treffe ich immer wieder Afrikaner an: aus dem Senegal, Marokko, Nigeria und Eritrea. Zwei Eritraern schenke ich eine halbe Melone. Sie seien vor zwei Wochen in Lampedusa gestrandet und nun in einem Zentrum untergekommen. Ich kann mit Ihnen ein paar Worte Amharisch tauschen, worüber sie sehr amüsiert sind.

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Ich fahre an der Scala dei Turchi vorbei. Ein Felsen aus Tuffstein, das einen schönen Strand umgibt. Ich habe keine Zeit, um ein Bad zu nehmen und fahre zur Mittagszeit weiter.

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Ich will mich beeilen, denn ich will ins Landesinnere, nach Milena. Spontan besuche ich hier Katie, ihre Eltern und ihr Ehemann Ivano, die im Raume Basel ein Elektrikergeschäft führen. Der Abschnitt von Agrigento zum Dörfchen Milena, das über 400 Meter hoch liegt, ist landschaftlich reizvoll. Beeindruckend ist auch die Tatsache, dass in dieser Gemeinde die Strassen sehr sauber sind und keine wilde Müllentsorgung und Littering betrieben wird. Hier in Milena kann ich dann den wohl besten Cannolo Siciliano bei der Pasticceria Palumbo geniessen.

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In einem Tag geht es dann über hügelige Landschaften zur Provinz Enna. Die Stadt Enna ist die höchste Provinzhauptstadt von ganz Italien. Noch rund 20 Kilometer bis Valguarnera, wo ich wieder meine Eltern treffe, die den Sommer auf ihrem Landsitz verbringen, umgeben von Oliven- und Birnenbäumen. Zu meiner Schande muss ich eingestehen, dass ich das letzte Mal vor elf Jahren in Sizilien war.

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Es wird zu meinen Ehren ein Fest organisiert, an dem sogar der Sindaco, der Bürgermeister erscheint und eine kleine Rede hält.  Zum Abschluss meines Aufenthaltes in Valguarnera organisiert mein Pate, il Padrino, einen Reitausflug. Zu Fünft galoppieren wir rings um das Dorf. Anschliessend wird ein Männerabend veranstaltet, an dem Pecorino, Pasta Aglio e Olio, Salsiccie und Dolci verspiesen werden.

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Lesotho und Revolution zum Zweiten

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Nervenkitzel zum Abschluss meines Afrika-Aufenthaltes. Die Ruhe vor dem Sturm. Nachdem ich mir in Südafrika und Lesotho eine Auszeit genommen habe, fliege ich am 2. Juli nach Kairo zurück. Ich komme um 5 Uhr 40 an. Es ist bewölkt. Der Wüstenstaub und der Smog decken die 20-Millionenstadt Kairo in einen grauen Schleier ein. Sobald ich vom Flieger aussteige, kleben mir die Kleider am Leibe. Ich bin mir diese schwüle Hitze nicht mehr gewohnt. Im winterlichen Südafrika ist es derzeit angenehm frisch. Ich bin etwas besorgt und gespannt. In den letzten Tagen gab es anlässlich des einjährigen Jubiläums des neuen Präsidenten Morsi Demonstrationen und Kundgebungen auf dem Tahrir-Platz. Unzufriedenheit, Unmut macht sich breit. Wirtschaftlich geht es bergab mit dem Pharaonen-Staat. Auch die undemokratische Richtung, die Morsi und die Muslimbrüder eingeschlagen haben, behagt vielen nicht. Das Land ist tief gespalten.

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Ein Taxi bringt mich westlich des Nils in den Stadtteil Mohandiseen, wo ich mein Velo bei drei jungen Studenten aus England, Amerika und Italien untergestellt habe. Sie studieren in Edinburgh “Internationale Beziehungen” und absolvieren einen Arabisch-Intensivkurs. An diesem Tag werden sich die Ereignisse überstürzen. Nachdem ich etwas Schlaf vom Nachtflug nachgeholt habe, begebe ich mich zum Sprachinstitut, wo Steve, Sam und Marco studieren. Alle anwesenden Studenten verfolgen gespannt und aufgeregt die aktuellen Geschehnisse im Fernsehen. Die Leute fordern den Rücktritt von Morsi, während dieser, gedeckt von den Muslimbrüdern, nicht im Geringsten daran denkt. Wieso auch ? Er ist demokratisch gewählt worden. Das Militär stellt sich auf die Seite der Demonstranten – und Morsi ein 48-stündiges Ultimatum, um eine friedliche Lösung herbeizuführen. In wenigen Stunden wird es ablaufen. Was wird passieren ? Nach Ablauf der Frist entmachtet das Militär putschartig Morsi.

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Freudenjubel bricht bei den Menschen aus. In der ganzen Stadt werden Feuerwerke gezündet, Autofahrer hupen, schwenken Fahnen, Gewehrschüsse werden abgefeuert. Mit dem mitgebrachten südafrikanischen Rotwein und Billtong stossen wir auf die zweite Revolution an. Steve geht spätabends noch auf den Tahrir-Platz, um die vibrierende Volksfest-Stimmung vor Ort zu erleben, während die meisten Sprachstudenten noch in dieser Nacht unter Waffenschutz nach Jordanien evakuiert werden. Meine drei Gastgeber wollen noch in Kairo bleiben.

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Es wird eine sehr kurze Nacht werden. Ich fahre am nächsten Tag ins Zentrum. Ich habe ganz andere Sorgen. Ich will ein Paket aufgeben, um ein paar Kilogramm für den Flug nach Tunesien abzuspecken. Die dicke, sperrige Wolldecke aus Lesotho kann ich zudem in den naechsten Wochen nicht gebrauchen. Und ich muss noch den Flug buchen. Die Taxifahrer sind erfreut über den Ausgang der Demonstrationen. Das Leben in der Metropole scheint normal weiter zu gehen. Ich begebe mich zum Tahrir-Platz, wo bloss eine Handvoll Demonstranten übriggeblieben ist. Es herrscht eher Katerstimmung, viel Abfall liegt herum, beissender Gestank von Urin liegt in den Strassen. Ich wäge ab. Es ist Donnerstag, ich könnte bereits am Freitag fliegen. Aber ohne einen Blick auf die Pyramiden und die Sphinx zu erheischen, moechte ich nicht verreisen. Also buche ich für den Samstag und besuche am Freitag mit meinen Gastgebern die Pyramiden. Auf den letzten Drücker sozusagen. Wir sind praktisch die einzigen ausländischen Touristen.

Die Muslimbrüder lassen die Absetzung ihres Präsidenten nicht ohne weiteres auf sich sitzen und blasen nach dem Freitagsgebet zum Angriff, während Kampfjets den ganzen Tag lang die Macht des Militärs demonstrieren. Es folgen Gegendemonstrationen, Sitzproteste, in denen drei Mursi-Anhänger getötet werden. Die Intialzündung für weitere Tote. Abends dann erhalten meine Gastgeber die Nachricht, dass sie in den nächsten Stunden zwingend evakuiert werden. Ein Taxifahrer bringt mich um 5 Uhr morgens zum Flughafen. Die Strassen sind leergefegt, wir kommen gut voran. Doch auf halber Strecke fahren wir im Vorort Nasr City in eine Protestaktion rein, Stacheldraht und Panzerwagen versperren die Hauptverbindung zum Flughafen. Mir ist leicht mulmig. Zum Glück habe ich aber das Taxi fünf Stunden vor dem Flug (der ohnehin noch zwei Stunden Verspätung haben wird) bestellt. Wir nehmen einen Umweg. Endlich treffe ich dann im Flughafen ein und kann einchecken. Und ausatmen.

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Doch nun zurück nach Südafrika, nach Lesotho. Ich stelle mein Velo bei Sam, Steven und Marco in Kairo ein und fliege runter nach Johannesburg, wo der Winter Einzug hält. Nachts ist es kalt und eisig, tagsüber sonnig und frisch. Die Luft ist rein, der Himmel stahlblau. Zusammen mit Shawna, eine Peace Corpse Volunteer, die ich seinerzeit in Lesotho kennengelernt habe, verbringen wir zunächst einige Tage in Südafrika, in Clarens und im Golden Gate National Park.

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Dieses Bergland, drei Viertel so gross wie die Schweiz, hat mir auf meiner Durchreise bereits sehr gut gefallen, die Leute waren sehr freundlich. Die Stimmung ist enstpannt, die Leute gehen gemächlich ihren Alltagsgeschäften nach, die meisten Männer tragen einen Kobo, eine dicke Wolldecke. Verhandeln ist hier verpönt. Man wird nicht übers Ohr gehauen. Die meiste Zeit verbringe ich in Mohales Hoek, wo Shawna ihrer Tätigkeit als Peace Corps Volunteer beim Ministry of Agriculture nachgeht. Sie lebt hier in einem landestypischen Rondavel mit einem Strohdach. Einige Meter entfernt ein aus Wellblech improvisierter Stall für die vier Schafe von Ntaté Lefu, der mich wie üblich mit einem breiten Grinsen begrüsst.

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Langweilig kann es einem in einem bergigen Land nicht werden. Im Hinterhof von Mohales Hoek gibt es viele Hügel und so unternehmen wir viele Wanderungen, erkunden Höhlen, Schluchten und besteigen einige Berge. Es macht Spass, frühmorgens loszubrechen, einen Gipfel anzupeilen und dorthin zu trekken. Unterwegs treffen wir immer wieder Schafhirten an. Unser treuer Begleiter ist jeweils Seriti, auf Sesotho Schatten, ein frecher junger Hund, der stetig an Vertrauen gewinnt, es sichtlich geniesst, Berge hinaufzukraxeln und besonders Freude daran hat, Schafherden und Kinder zu verscheuchen. Bei einer Wanderung verweigert er jegliche Nahrungs- und Wasseraufnahme. Wir befürchten schon, dass er vergiftet wurde. Doch zum Glück wird er abends wieder seine gewohnte Ess-Aggression finden, um die wir für einmal froh sind.
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Als erstes nehmen wir den Hausberg von Mohales Hoek in Angriff: Thaba Linoha, der Schlangenberg. Die Tage sind kurz und so starten wir in der Dunkelheit im Schein unserer Stirnlampen. Beim ersten Aussichtspunkt eröffnet sich das Tal, Morgennebel hängt schwer in der Luft und gibt in der Dämmerung ein tolles Farbspektakel ab. Von weitem studieren wir die kahle Bergflanke, um eine geeignete Route ausfindig zu machen. Das lose Geröll und ein paar Felsstufen zwingen uns zu besonderer Vorsicht. Selbst Seriti wird es dann irgendwann einmal zu bunt, er winselt und will über ein paar Felsen getragen werden. Doch nach ein paar Stunden haben wir es geschafft, sind oben und können endlich die Aussicht auf die Berge und das benachbarte Flusstal bestaunen.
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Mit dem Mietauto unternehmen wir dann später einen Ausflug ins Landesinnere und zur höchsten Strasse des südlichen Afrika. Unterwegs bestaunen wir einige Dinosaurier Fussabdrücke und Felszeichnungen von Buschmännern. Dann geht es ständig bergauf, bis zum höchsten Punkt auf über 3’255 M zum Tlaeeng Pass, der höchsten befahrbaren Strasse im südlichen Afrika. Unser kleines Mietauto kann natürlich nicht mithalten mit den übermotorisierten SUV’s aus Südafrika, die für ein verlängertes Wochenende nach Lesotho zum Skifahren und Snowboarden brettern. Im Afriski-Resort gibt es das Ganze Drumherum, das man an einem Skiort findet: Ski – und Snowboardverleih, Après-Ski, Restaurant, Bars, Chalets, Backpacker und trendiger Laden. Ach ja, und eine niedliche, kaum halben Kilometer lange Piste, die mit Kunstschnee am Leben erhalten wird. Aber fuer  uns gibt es keinen Platz zum Schlafen. Ausser im Mietwagen, in dem wir eingepackt in den Schlafsäcken eine eisig-kalte Nacht verbringen.

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Wir fahren anschnliessend zum Katse-Dam. Ab hier ist die Strasse nicht mehr geteert und in einem schlechten Zustand. Für die 60 Kilometer nach Thaba Tseka benötigen wir fast vier Stunden. Dass wir mit dem Auto unterwegs sind, spricht sich bei den anderen Peace Corps Volunteer dank BlueBerry schnell rum und so nehmen wir unterwegs noch zwei Kolleginnen mit, die zur Hauptstadt Maseru fahren wollen.

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Diesmal habe ich ausgiebig Zeit für ein Ponytrekking, zwei Tage bin ich zusammen mit meinem 20-jährigen Guide Ntaté Ntabo auf Schusters Rappen unterwegs. Der beste Ort, um ein solches Trekking zu organisieren, ist die Malealea Lodge im Suedwesten des Landes. Es ist eindrücklich, wie die Ponies durch steile Abschnitte und loses Geröll vorankommen. Wir trekken ins Tal des Ribaneng, schlafen dann in einem kleinen Dorf.
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Eine unschoene Szene erleben wir, als wir in einem Minibus unterwegs sind. Ploetzlich haelt der Verkehr an, ein Bus hat sich aus welchem Grund auch immer quer zur Strasse gestellt. Ein entgegenkommendes Taxi weicht auf das holprige Feld aus, brettert mit unverminderter Geschwindigkeit darueber. Ploetzlich geht die hintere Tuere auf, eine uebergewichtige Mutter mit einem Kleinkind auf dem Ruecken gebunden faellt aus dem Fahrzeug und knallt auf den Boden, rollt einige Male. Die Frau blutet im Gesicht, schreit verzweifelt. Der Zustand des Kindes scheint kritisch zu sein.

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Zurück in Johannesburg habe ich einen halben Tag Zeit, die ich nutze, um ein paar Stunden im aufschlussreichen Apartheid-Museum zu verweilen. Dann geht es wieder zurück nach Kairo. Von dort fliege ich dann weiter nach Tunis. Nach Ägypten ist Tunesien eine richtiggehende Umstellung. Tunis ist sauber, europäisch, geordnet. Ein grosser Boulevard lädt zum Flanieren ein. Die Tunesier leben einen moderaten, aufgeschlossenen Islam. Frauen in Burkas sind hier nicht zu sehen. Kopftücher sind eher die Ausnahme. Abends schliessen alle Laeden. Ich fühle mich wohl hier. Die Tunesier sind kontaktfreudig. Viele Jugendliche sind neugierig auf meine Meinung über Tunesien, wo der arabische Frühling vor über zwei Jahren sich wie ein Brandfeuer ausgebreitet hat.

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Drei Tage lang absolviere ich mein Pflichtprogramm. Das touristische Städtchen Sidi Bou Said, das moderne Museum Bardo, wo viele einzigartige Mosaike aus Karthago höchst professionnel und zeitgemässs ausgestellt sind. Trotz Hitze kann ich mich doch  noch dazu überwinden, einige Steinhaufen in Karthago anzuschauen. Wohlwissend, dass  der Roemer Cato mit seinem “ceterum censeo carthaginem esse delendam” im Senat durchdrang und die Stadt im Dritten Punischen Krieg dem Erdboden gleichgemacht wurde.

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In Tunesien freue ich mich auch, wieder einmal ein traditionelles Hammam zu besuchen, wo ich von einem Masseur durchgeknetet und geschrubbt werde. Ich verirre mich in der UNESCO-geschützten Medina, wo die Händler im ägyptischen Vergleich richtiggehend zahm sind. Es ist jetzt im Juli eindeutig zu heiss, um noch das Landesinnere von Tunesien und die Wüste zu erkunden. Doch aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Inshallah ! Von Tunis nehme ich die Fähre, die mich in sechs Stunden nach Sizilien, meinem Heimatland bringt !

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Umbruch in Ägypten

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Nach der Gastfreundlichkeit der Sudanesen und der Abgeschiedenheit in der nubischen Wüste erfordert Ägypten eine Umstellung. Die Lebensader Ägyptens, das Nildelta, ist dicht besiedelt. Einen ersten Eindruck vom Land erhalten mein Radlerkollege Sekiji und ich, als wir mit der Fähre anlegen und über 600 Passagiere der Fähre gleichzeitig den Zoll passieren wollen. Gedränge, Gestubse. Träger mit riesigen Gepäckstücken auf dem Kopf tragend meinen, Vortritt zu haben. Beamte schreien Leute an, drangsalieren mit Schlagstöcken. Die Passagiere von hinten schubsen, von allen Seiten versuchen sich Leute einzuschleichen. Keine Spur von Disziplin. Chaos pur. Der Höhepunkt ist, als in einem engen Gang ein kleines Röntgengerät darauf wartet, sämtliches Gepäck zu durchleuchten. Sekiji und ich haben kaum Platz mit unseren beladenen Rädern, müssen alle Packtaschen auf das Fliessband legen. Trotz der klaustrophobischen Verhältnisse drängeln sich die Träger, die pro Gepäckstück entlöhnt zu werden scheinen, unerbittlich vor. Vor allem die in schwarzen Tschadors gehüllten übergewichtigen Mütter meinen, Vortritt zu geniessen. Es wird mir zu bunt. Mit gespielter Theatralik und einer Prise Humor fange ich an zu fauchen, zu fluchen, herum zu kommandieren, mich mit Ellbogen nach vorne zu kämpfen und mir jeglichen ungewollten Körperkontakt zu verbieten. Die Beamten scheint mein Gebaren zu amüsieren. Es nützt. Schon bald sind wir endlich draussen und können die wenigen Kilometer nach Assuan in Angriff nehmen.
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Der unorganisierte, undisziplinierte und chaotische erste Eindruck verfestigt sich übrigens im Strassenverkehr. Nicht, dass ich mich auf Überlandfahrten bedroht fühle. Aber in den Städten habe ich noch nie so viele, ich kann es nicht anders beschreiben, dumme Verkehrsteilnehmer gesehen. Ägypten hat sich den Ruf des gefährlichsten Verkehrs in Afrika reichlich verdient. Etwa die Hälfte der Fahrzeuge fährt nachts bewusst ohne Licht ! Die Strassenbeleuchtung sei ja ausreichend, um den Weg zu sehen. Wenn ein lebensmüder Fussgänger die Strasse überqueren möchte, wird auf das Gaspedal gedrückt und kurz aufgeblendet.
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Auch zu Fuss ist die Mobilität nicht immer einfach. In Assuan gleicht es einem Spiessrutenlauf, durch den Souk zu laufen. Ich gerate hier in die Haare mit einem Händler, der Sekiji beim Vorbeilaufen mit einem rüden und sehr lauten “Ni hao!” anschreit. Seit der “Revolution” vor zwei Jahren und dem Sturz Mubaraks bleiben die Touristen aus. Die Tourismusindustrie leidet seither sehr stark, steckt in einer tiefen Krise. Die Händler sind richtiggehend verzweifelt, stürzen sich dementsprechend auf die wenigen Reisenden.
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Nun, was mir vorher nicht bewusst war: der Tourismus in Ägypten konzentriert sich stark auf die pharaonischen Sehenswürdigkeiten und die Badeorte Hurghada und Sharm El Sheich. Seit den Unruhen durch islamische Fundamentalisten in den Neunziger Jahren ist das individuelle Reisen im Land eingeschränkt. Gefahren wird oftmals im Konvoi oder begleitet durch Polizeieskorten.
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Nichtsdestotrotz. Der organisierte Besuch des 250 Kilometer südlich von Assuan liegende Tempel von Abu Simbel lohnt sich allemal. Zahlreiche Cars, Busse und Minibusse starten gemeinsam um vier Uhr morgens, eskortiert durch die Polizei. Eindrücklich ist die Tatsache, dass der gesamte Berghügel, indem sich der Tempel findet, Stein um Stein abgetragen wurde, um 200 Meter verschoben und 65 Meter höher verlegt wurde.
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Den Ägyptern wird nachgesagt, dass sie stolz seien. Stolz, Ägypter zu sein. Dass sie auf die Hochkultur ihrer pharaonischen Vorfahren stolz sind, bezweifle ich. Die Schaufenster der Telekommunikations-Firmen sind blitzblank und sauber, während die Vitrinen, welche die Gräber im Tal der Könige schützen, die Handabdrücke einiger Tausend Besucher präsentieren. Obwohl Fotografieren und Blitzen in den meisten Gräbern untersagt ist, wird jeder Wächter gegen ein kleines Bakschisch gerne über das Verbot hinwegsehen. Und beim Bau des gigantischen Nasser Staudammes war geplant, den ganzen Tempel von Ramses II in Abu Simbel und viele weitere nubische Kulturstätten einfach zu überfluten, ohne sich um deren Rettung zu kümmern. Nur dank der UNESCO und der Hilfe von zahlreichen Wissenschaftlern und Staaten konnten die wichtigsten gerettet werden. Einige erst, nachdem sie schon überflutet wurden.
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Sekiji und ich fahren von Assuan dem Nil entlang nach Luxor. Unterwegs halten uns ein paar Tempel auf. So der dem Krokodil-Gott Sobek gewidmete Tempel in Kom Mombo, wo auch mumifizierte Krokodile bestaunt werden können. Besonders beeindruckend ist der gigantische Tempel von Horus in Edfu.
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Die Fahrt ist nicht unangenehm. Anders als in touristischen Orten, wo man ständig von Verkäufern, Rikscha-Fahrern und Guides zuweilen aufs Ärgste drangsaliert wird, werden wir unterwegs sogar zum Tee eingeladen. In guter Erinnerung bleiben wird mir die Begegnung mit einem Schuldirektor und der Lehrerschaft, die mich äusserst freundlich empfangen. Doch ich muss den vor mir liegenden Sekij wieder einholen und kann leider nicht allzu lange bleiben.
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In Erinnerung bleibt mir auch die Begegnung mit einem Jugendlichen. Ich bin daran, eine dieser Wasserspender zu fotografieren, aus denen man gekühltes Wasser trinken kann. Grossartig und toll, dass man sie überall an öffentlichen Stellen findet, denke ich mir. Dieser Junge fragt mich, wozu ich dies abfotografiere. Ich wolle doch dem Westen nur ein schlechtes Bild vermitteln, die Armut zeigen. Der Typ legt nun richtig los. Hört mir schon gar nicht zu. Er ist sichtlich angespannt und hasserfüllt. Er hasse Amerika und Israel und er hasse mich. So, so, Bürschen. Nun bin ich an der Reihe, mittlerweile haben wir eine stattliche Zuhörerschaft. Ich bin sehr ruhig aber laut. Ich frage ihn, ob er denn wirklich glaube, dass er ein guter Muslim sei, wenn er einem völlig Unbekannten, dessen Herkunft er noch nicht einmal wissen möchte, ins Gesicht sagt, er hasse ihn. Er solle sich einfach schämen. Menschen wie er seien eine Schande für sein Land und nicht der Wasserspender vor der Moschee.
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Das Gebiet entlang des Niles zwischen Kairo und Luxor ist unterentwickelt, überbevölkert. Die Armut und Unzufriedenheit hat in den Neunziger Jahren zu Aufständen von islamischen Extremisten geführt. Trauriger Höhepunkt dieser Auseinandersetzungen war 1997, als 68 ­Menschen in Luxor im Tempel von Hatschepsut getötet wurden. Jedem Schweizer wird sich noch an das Ereignis gut erinnern können, denn 36 davon waren Schweizer.
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Luxor ist an Denkmälern sehr reich. Die Stadt ist ein Anziehungspunkt für Touristen, sehr gepflegt und angenehm, wenn man von den lästigen Rikscha-Fahrern einmal abseht, die einem nach dem zehnten “Nein, Danke” und nach einer halben Stunde immer noch hartnäckig verfolgen. Einzigartig ist das Tal der Könige, in dem 64 Gräber gefunden wurden. Der bekannteste unter ihnen dasjenige des Tutenkhamun. Armer Pharao ! Mit 19 Jahren verstorben, wurde er mit unglaublich vielen Schätzen begraben. Die liegen nun alle im Museum in Kairo. Einzig die zerbrechliche und transportunfähige Mummie ist splitternackt ohne jeglichen Schmuck ganz alleine im Grabe geblieben.
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Absolut eindrücklich in Luxor ist eine Heissluftballon-Fahrt. Die werden im Backpacker, wo wir unterkommen, günstig angeboten, für rund 40 US-Dollar. Keine Frage, da machen wir mit! Die Fahrt ist einfach sensationell. Vor allem, weil unser Pilot talentiert ist und über die Tempel schwebt. Was wir erst im Nachhinein erfahren ist, dass vor wenigen Wochen der schwerste Unfall in der Geschichte des Heisluftballons hier in Luxor passiert ist und 19 Menschen getötet wurden.
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Von Luxor gibt es drei Routen, um nach Kairo zu gelangen. Entlang des Nils, entlang dem Roten Meer und die Western Desert Route, die mit 1’300 Km allerdings doppelt solange ist wie die beiden ersten. Zudem bläst um diese Jahreszeit der Wind Khamsin unerbittlich von Norden. ich verzichte gerne darauf, die Erfahrungen im Sudan zu wiederholen. Sekiji und ich trennen uns in Luxor. Er begleitet mich einige Kilometer ausgangs Luxor. Eine kurze Umarmung ohne viele Worte, aber Wehmut liegt in der Luft. Wir wissen beide, dass wir eine sehr tolle Zeit zusammen verbracht haben, die Fahrt durch den Sudan einer der Höhepunkte unserer Reise war. Sekiji versucht sich auf der Western Desert Route, doch nach einigen Tagen erkrankt er und kehrt um. Er will zuerst nach Europa und nach Ablauf der drei Monate des Schengen-Visums von Kairo her die Route erneut in Angriff nehmen. Inshallah !
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Ich fahre entlang des Niles. Besonders auf diesem Abschnitt bis nach Kairo gab es in den Neunziger Jahren Aufstände, das Reisen ist eingeschränkt. Von Qena bis nach Minya werde ich von Polizeiwagen eskortiert, die sich alle 20 bis 30 Kilometer abwechseln. Das Ganze ist etwas sonderbar. Die Städte, in denen ich übernachte – Qena, Sohag, Asyut, Minya und Beni Suef, sind nicht sonderlich attraktiv. Die meisten Hotels nehmen keine Ausländer auf.
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Dank der Unterstützung der freundlichen Polizei finden wir aber nach teils langem Suchen dann doch noch eine bezahlbare Unterkunft. Nur selten finde ich Leute, die ein bisschen Englisch sprechen. Doch die meisten sind erfreut, einen Ausländer zu sehen. Und nicht dass ein falscher Eindruck entsteht. Meinen Aufenthalt hier in diesem Land moechte ich nicht missen. Übrigens kennt praktisch jeder hier in Ägypten die Stadt Basel. Dank zweier ägyptischen Fussballspieler, die beim FC Basel ihre Brötchen verdienen.
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Die letzten Kilometer von Beni Suef nach Kairo schenke ich mir, steige in einen Zug ein. Ich habe keine Lust, in die Megalopolis von Kairo, die wohl grösste Stadt Afrikas, mit dem Velo rein zufahren. Ägypten hinterlässt bei mir einen gespaltenen Eindruck. Von einer Demokratisierung ist nicht viel zu spüren. Das von den – immerhin demokratisch gewählten – Muslimbrüdern angeführte Land ist daran, den Staat und die Verwaltung noch stärker islamisch zu prägen. Die Scharia ist bereits verfassungsrechtlich verankert worden. Die Freiheitsrechte der Minderheiten und der koptischen Christen werden stärker eingeschränkt.
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In Kairo komme ich bei drei jungen Studenten aus Italien, UK und US unter, die ich in Luxor kennengelernt habe. Sie besuchen drei Monate lang einen Arabisch-Intensivkurs. Ich kann bei Ihnen mein Velo unterstellen. Meine Velo-Reise durch Afrika ist bald zu Ende. Das ist mir bewusst.
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Doch ich möchte Afrika noch nicht so schnell verlassen, will auch Zeit haben, die letzten 20 Monate zu verdauen, Revue zu passieren, Zeit haben, um zu schreiben, zu lesen, meine Fotos zu sichten, für längere Zeit an einem Ort zu bleiben. Ein günstiger Flug bringt mich runter nach Johannesburg, zurück zu einem meiner Lieblingsländer, nach Lesotho, wo der Winter Einzug haelt. Fuer einmal darf ich nun frieren!


Nubische Zaubernächte

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Die ganze Wüstenstrecke im Sudan von 1‘600 Kilometern treten Sekiji und ich gegen einen hartnäckigen Nordwind an. Die Landschaft hat nur wenige Reize zu bieten. Das Quecksilber klettert tagsüber auf 45 Grad, es ist heiss, unsere Haut fühlt sich wie Backpapier an. Ein streng muslimischer Staat, eine Militärregierung, die Freiheitsrechte einschränkt und ein Präsident, der sich vor dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag verantworten muss. Klingt nicht sehr verheissungsvoll.

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Und dennoch: nach und nach werden wir um den Finger gewickelt. Der Sudan wird zu meinen Lieblingsländern in Afrika gehören. Die Leute gehören zu den gastfreundlichsten auf dem ganzen Kontinent. Das Reisen im Land ist absolut sicher, die Leute sind stets sehr hilfsbereit, man fühlt sich willkommen, wird sehr oft zu einem Tee eingeladen. Nach und nach zieht uns Nubien, wie der Sudan früher hiess, in seinen Bann. Den Sudan auf das Krisengebiet Darfur und dem Präsidenten al-Baschir zu reduzieren, wäre ungerecht.

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Meine Hoffnung, durch den Sudan mit einem Reisegefährten zu reisen, verwirklicht sich in der Person des Japaners Sekiji, den ich in Äthiopien treffe. Ich bin froh, die lange Strecke gegen den Wind mit ihm zusammen zu fahren. Das bisschen Windschatten und etwas Gesellschaft macht die Fahrt erträglicher.

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Die Einreise in den Sudan gestaltet sich problemlos. Wir sind gespannt auf dieses Land.  Der Sudan öffnet sich langsam dem Tourismus, wir haben sogar ein Zwei-Monats-Visum ausgestellt erhalten. Die bürokratische Hürde der Registrierung bei der Ausländerbehörde ist allerdings noch nicht abgeschafft. Man soll dies gleich am winzigen Grenzort in Gallabat erledigen können, hiess es. Am nächsten Morgen klappern wir vergeblich alle Ämter ab. Es heisst stets, „Khartoum, Khartoum“. Um 9 Uhr legen wir unverrichteter Dinge los. Und erhalten gleich unsere erste Lektion. Um diesen Zeitpunkt sollte man bereits zwei Drittel des Tagespensums absolviert haben.

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Im Laufe der nächsten Tage verlegen wir den Start in die Nacht, wir werden später teilweise sogar um zwei Uhr nachts starten. Es ist dann einfach ruhiger und kühler. Manchmal sogar windstill. Landschaftlich verpassen wir ohnehin nicht viel. Entweder spendet uns der Mond Licht oder wir fahren im Schein der Stirnlampe. Es sind herrliche Momente, in der Kühle und Stille der Nacht loszufahren, die Sternschnuppen zu zählen und nach ein paar Stunden anzuhalten, um die Sonne aufgehen zu sehen.

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Sekiji und ich haben glücklicherweise die gleiche Einstellung und wir machen uns das Radlerleben nicht unnötig schwer. Der Wind und die Hitze machen uns bereits zu schaffen.  Wir übernachten in der Regel in sogenannten „Cafeterias“, einfachen Restaurants am Strassenrand, Truckstopps. Man erhält dort garantiert immer einen Teller „ful“, Bohneneintop mit Brot, oft Fleisch, manchmal Leber, Eier, falafel (Kichererbsen-Küchlein). Und kann dann für wenige Rappen ein Bett, bestehend aus einem einfachen Gestell und einem geflochtenen Netz, für die Nacht mieten. Und erspart sich sämtliche Camping-Aktivitäten und kann dann rasch in der Nacht aufbrechen.

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In Wad Medani stossen wir wieder auf den Blauen Nil, der in Äthiopien in Bahir Dar beim Lake Tana seinen Anfang nimmt. Bald sind wir in Khartoum, wo uns der symphatische Couchsurfer Steve, ein 64-jähriger Amerikaner  aufnimmt. Steve arbeitet als Lehrer bei der American School in Khartoum. Zunächst verrichten wir den obligaten Behördengang, entledigen uns einer läppischen Summe von umgerechnet 50 Dollar, um uns offiziell zu registrieren.

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Khartoum ist angenehm, für afrikanische Verhältnisse sehr geordnet, sauber. Der Weisse Nil trifft hier auf das Blaue Gegenstück. Obschon ein Alkoholverbot herrscht, gibt es aber Restaurants mit Live Musik, wo man zu Schnulzen das Tanzbein schwingen kann.  Man staune. So im Papa Costa. Ulkig und unterhaltsam. Nächstentags gönnen wir uns im Schwimmbad im „Greek Club“ etwas Abkühlung.

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Und zur Unterhaltung führen uns Steve und seine Freunde ausserhalb Khartoums, um einem nubischen Wrestling-Turnier beizuwohnen. Sobald die Sonne sich dem Horizont neigt und die Temperaturen erträglicher werden, bringen die Kämpfer die Stimmung in der randvollen Arena zum Kochen.

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Von Khartoum aus unternehmen Sekiji und ich mit dem Bus einen Ausflug zu der Sehenswürdigkeit Nummer eins im Sudan: der königliche Friedhof in Meroe. Zeugnis einer Hochkultur aus der Pharaonenzeit. 13 Jahrhunderte lang, bis zum 4. Jhd. n.Chr., herrschten die Kuschiten in Nubien, lieferten Sklaven und Gold an die Ägypter.

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Die Pyramiden sind nicht derart gigantisch wie die berühmten im Nachbarstaat, dafür hat man sie für sich ganz alleine. Die Stimmung am frühen Morgen und späten Abend ist einzigartig, wird nicht durch Massen von Schaulustigen und Souvenirhändlern vermasselt. Die paar wenigen Kameltreiber, die ihre Dienste anbieten, sind charmant  und man kann ­deren Überredungsversuchen nicht widerstehen, sich für ein paar wenige sudanesische Pfund auf ein Wüstenschiff zu setzen. Einzig ein paar Tausende Besucher jährlich bekommen die Relikten zu Gesicht. Lächerlich wenig im Vergleich zu den ägyptischen Besucherzahlen.

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Busfahrten im Sudan sind übrigens untypisch afrikanisch. Moderne chinesische oder koreanische klimatisierte Busse, kein einziger Passagier zuviel. Unterwegs werden kühle Getränke und Snacks gereicht. Gefahren wird auf feinem Asphalt, keine Bodenwelle, keine Schlaglöcher. Zurück in Khartoum trudeln drei weitere Tourenfahrer bei Steve ein, Richtung Süden fahrend. Das schottisch-dänische Paar Sam und Julie und Ambrose aus der Normandie. Zeit für uns, um den Kollegen Platz zu machen und uns wieder auf die Räder zu schwingen.

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Doch allzu rasch entlässt uns Khartoum nicht. Wir fahren in der Nacht los, in einem Vorort hüllt die aufgehende Sonne den Morgenverkehr in ein goldenes Licht. Wir können selbstverständlich der Versuchung nicht widerstehen und knipsen die Szenerie gebührend ab. Bis uns ein Vespafahrer etwas unfreundlich Einhalt gebietet und uns zur Polizeistation bittet. Fotografieren im Sudan ist eine heikle Angelegenheit, das ist uns bewusst. Doch anstatt einfach die Bilder zu sichten und zu löschen, wird ein Distriktschef aufgeboten. Uns ist bange. Zum Glück erscheint der nie und nach einer Teerunde und einer Stunde werden wir, ohne dass die Fotos gelöscht werden müssen, entlassen. Und so kann ich natürlich meinen Lesern den Stein des Anstosses auch nicht weiter vorenthalten:

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Für die 500 Kilometer bis Dongola kämpfen wir uns sieben ­Tage lang ab. Zugegeben, etwas neidisch sind wir schon auf andere Radler, die in entgegengesetzter Richtung nur zwei bis drei Tage benötigen. Sekiji und ich müssen kleine Brötchen backen, 50 bis 90 Kilometer am Tag, je nachdem wie stark es der Sandsturm Habub auf uns abgesehen hat. Spätestens um Mittag wird das Fahren bei dem Sturm und der Hitze zur Tortur. An Wasser mangelt es uns glücklicherweise nicht. Am Strassenrand finden sich häufig überdeckte Wasserstellen, wo man Wasser aus riesigen Tonkrügen schöpfen kann. Und unterwegs trinken wir paradoxerweise stets gekühltes Wasser. Die Verdunstung ist derart extrem, dass wir unsere Trinkflaschen in eine Socke stecken, die wir andauernd feucht halten und dadurch abgekühlt wird.

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Die Erleichterung ist gross, wenn wir mittags endlich eine kleine Cafeteria anpeilen können, um dort umgehend ein paar kühle Soda in wenigen Schlucken zu tanken, den obligaten Bohneneintopf zu verschlingen und uns auf den Betten breitzumachen, um den Rest des Tages bis zum abendlichen Bohneneintopf  zu dösen. Nicht immer finden wir ein lauschiges Plätzchen.

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In einer solchen kleinen gemütlichen Cafeteria erleben wir eine Schrecksekunde. Weniger wegen der faustgrossen Camel Spiders, die herumirren. Als wir um vier Uhr aufstehen, bemerkt Sekiji, dass seine Spiegelreflexkamera  und weitere Gegenstände in der Lenkertasche fehlen, sie jemand geklaut haben muss. Zwei Jungs und ein betagter Mann kümmern sich um die Cafeteria. Drei andere Gäste schlafen in jener Nacht ebenfalls dort. Im Umkreis von vielleicht 20 Kilometern ist keine andere Seele zu finden, allenfalls noch ein Schakal und die besagten Camel Spiders. Mir fällt am Vorabend auf, dass die zwei Burschen ständig auf die Ausrüstung von Sekiji schielen, zwischendurch flüstern. Um zwei Uhr morgens wache ich auf, sehe, wie die beiden Kerle sich mit einer Taschenlampe an das Rad von Sekiji heranschleichen. Ich mache mich bemerkbar, sie verziehen sich. Male mir nicht das Schlimmste aus, ahne nicht, dass die zwei derart bekloppt sein können, um einen Gast zu bestehlen.

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Wir wecken die ganze Bande auf, verlangen die Kamera von den zwei Schurken zurück. Jemand anderes kann es nicht gewesen sein. Die tun nichts dergleichen, leugnen alles ab, legen sich stinkfrech wieder schlafen. Der Alte, sichtlich verwirrt, brummelt ständig „Schakal, Schakal“. Wir warten bis zum Morgengrauen, bis die ersten zwei Truckfahrer anhalten.  Erklären denen, was vorgefallen sei, ziehen sie auf unsere Seite. Nun reden wir alle auf die Halunken ein, schüchtern sie ein. Wir drohen mit der Polizei. Ich gebe ihnen zu verstehen, dass aufgrund unserer Sachverhaltsschilderung die Polizei uns Glauben schenken wird, die Täterschaft mehr als augenfällig ist, ihnen aufgrund der geltenden Schari‘a die Hand abgehauen wird. Nun bekämen sie eine Chance: Kamera oder Hand ab !

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Ein Truckfahrer redet einem der zwei Gauner ins Gewissen, führt uns dann später zu einem Gebüsch hinter dem Gebäude. Dort ist die Kamera versteckt ! Ob der Chauffeur, der früher angeblich bei der Polizei angestellt war, ein Geständnis erzwingen konnte oder einfach ein guter Fährtenleser ist, wissen wir nicht. Jedenfalls ist der Vorfall jugendlichem Leichtsinn zuzuschreiben und untypisch für den Sudan.

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In Dongola gönnen wir uns zwei Ruhetage im einzigen für westliche Besucher ausgelegten Guesthouse. Der Tourismus steckt hier im Sudan ja leider noch in den Kinderschuhen, obschon es viel zu entdecken gäbe. Der Koreaner Isa führt seit sieben Jahren mit seiner Frau und den drei Kindern das Candaca Nubian Guesthouse, spricht gut arabisch, ist an nubischer Kultur interessiert und kennt Nordsudan wie seine Westentasche. Er organisiert für uns einen Ausflug. Wir besuchen ein nubisches Dorf, unternehmen eine Fahrt in einem traditionellen Boot und legen an einer Sandbank an, wo wir dann im Nil baden.

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Nördlich von Dongola wird die nubische Wüste abwechslungs- und erlebnisreicher. Das Gebiet ist wie schon seit Jahrtausenden reich an Goldvorkommen. Überall wird nach dem Edelmetall geschürft. Die Landschaft sieht teilweise völlig durchgebürstet aus. Menschen mit Gold-Detektoren irren in der einsamen Landschaft unter der brütenden Hitze herum. Wir können der Versuchung nicht widerstehen, unsere Nase in einer solchen staubigen Gold-Siedlung zu stecken. Es gibt hier viele Cafeterias, kleine Shops, pakistanische Parfumverkäufer, fliegende Teeverkäufer äthiopischer Herkunft. Steine werde zu Pulver zermalmt, Gold von Hand gewaschen.

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Unerwartet ist eines Morgens auch das Treffen mit einer riesigen Kamelherde von schätzungsweise 300 Tieren, die an den Nil geführt werden, um gefüttert zu werden. In 40 Tagen werden sie von der Sahara hierhin geführt. Viele überleben den langen Marsch nicht und verenden kurz vor der Futterstelle. Entlang der Strasse finden sich zahlreiche Kadaver, ein richtiger Friedhof.

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Sehenswert ist auch eine Moschee aus dem Jahre 1779, von Sheikh Idris erbaut. Boras, ein Nubier, der seit 15 Jahren in den Niederlanden lebt, vorher General war und aufgrund seiner politischen Anschauung für zwei Jahre ins Gefängnis gesteckt wurde, erzählt uns bei einer Runde Tee viel über die nubische Kultur. Er setzt sich für die nubische Zivilisation ein, die durch die weiteren geplanten Staudämme weiter gefährdet ist. Ganze Städte, Dörfer und historisch bedeutende Relikte der nubischen Kultur sollen unter Wasser gesetzt werden. Wie vor 40 Jahren beim Bau des Nasser Staudammes, als zahlreiche Kulturgüter unter Wasser verschwanden und der Tempel Abu Simbel in einer aufwendigen Aktion verlegt werden musste.

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Wir stecken dann über eine Woche in Wadi Halfa am südlichen Ende des Nasser Stausees fest und müssen auf die nächste Fähre warten, die nur wöchentlich verkehrt. Trotz einem Tag lang Anstehen unter der prallen Sonne und viel Diskutieren erhalten wir kein Ticket mehr. Das historische Wadi Halfa und 30 weitere nubische Dörfer im Herzen Nubiens wurden anfangs der 60-er Jahre im Zuge des Staudamm-Projektes überflutet. Endlich geht es dann los mit der völlig überfüllten Fähre. Ich schlaufe auf dem Deck, dichtgedrängt mit vielen anderen Passagieren. Die Fahrt bis nach Assuan in Ägypten dauert 20 Stunden. Und schon nach 2 Tagen hier in Ägypten sehnt man sich zurück an die sudanesische Gastfreundschaft und die Nächte unter dem nubischen Sternenhimmel !

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I survived Todonyang !

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Um von Nairobi nach Addis Ababa zu radeln, ist mehr als ein Monat nötig, insbesondere wenn man eine attraktive Route im Great Rift Valley und vorbei am Lake Turkana wählt. Ich beklage mich aber nicht, denn bis vor wenigen Monaten wurde in Nairobi überhaupt kein Visum für Äthiopien ausgestellt. Neuerdings gibt es für Overlander ein 30-tägiges Visum. Einziger Haken: es ist sofort gültig. Am 7. Februar erhalte ich also 30 Tage bis zum 6. März, werde also schon mal um drei Tage betrogen. Aber in Äthiopien ist halt alles anders, das werde ich noch zu spüren bekommen. Eine eigene Schrift (das Amharische), die Uhren gehen um 6 Stunden voraus, während das Datum um  Jahre zurückgeblieben ist.  Es ist Donnerstag, am nächsten Tag hätte es mit dem Sudan-Visum geklappt. Aber das Empfehlungsschreiben der schweizerischen Botschaft fehlt. Also bleibe ich das Wochenende in Nairobi. Nochmals zwei Tage, die mir abgeknöpft werden.  Zum Glück habe ich mit Tristen und Gee ein hilfreiches und gastfreundliches Paar getroffen, die mir auch auf den weiteren Weg bis zur Grenze viele Kontakte und Freunde vermitteln.

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Als ich das Sudan-Visum mein eigen nenne, kann ich endlich losfahren. Ich entscheide mich für die Variante Great Rift Valley, Lake Turkana und Lower Omo Valley. Ich werde nicht enttäuscht. Eine Vielzahl an faszinierenden Völkern und Stämmen auf kleinem Raum. Der Ostafrikanische Grabenbruch, der von Mosambik bis nach Äthiopien reicht,  sorgt dafür, dass Afrika in der Zukunft zweigeteilt sein wird. Viele Seen, fruchtbares vulkanisches Land, Vulkankegel und heisse Quellen zeugen von der Tätigkeit der Mutter Erde. Ich staune nicht schlecht, als ich einen Aussichtspunkt erreiche und erfahre, dass ich bereits auf 2‘666 Meter bin. Das Klima ist hier angenehm und auf einer Abfahrt bekomme ich sogar Gänsehaut. Die Nächte sind angenehm kühl.

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Passend zum Valentinstag fahre ich dem Lake Naivasha entlang, wo die grösste Blumenindustrie von Ostafrika liegt. Ich besuche den Hell’s Gate National Park, einen der seltenen Tierparks, in den man mit dem Rad rein darf. Elefanten sucht man allerdings vergeblich hier. In der Nähe wird ein geothermales Kraftwerk gebaut, der Baumaschinen-Verkehr führt durch den Park und sorgt dafür, dass es draussen mindestens so spannend ist. Giraffen und Zebras bis zum Abwinken. Immerhin, im Park sorgt die Begegnung mit einem Büffel (zum Glück in sicherer Entfernung von rund 100 Metern) für etwas Nervenkitzel. Und an einem Campingplatz am See kommen die Hippos nachts bis auf wenige Meter an das Zelt, allerdings geschützt durch einen elektrischen Zaun.

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In Nakuru sehe ich zum ersten Mal die Velo-Taxifahrer: Boda-Boda. Für rund 20 Shilling (ca. 20 Rappen) kann man auf den buntbemalten Rädern Platz nehmen und sich durch die Stadt chauffieren lassen. Diese Boda-Boda finden sich auch später in Eldoret, Geburtsort vieler kenianischer erfolgreicher Läufer. Ich muss nun auch rennen, die Zeit bzw. das Visum läuft mir davon. Ich will nicht mit abgelaufenem Visum bei der Immigrationsbehörde in Addis eintrudeln. Zudem ist das Gebiet nördlich von Kitale von den West-Pakot besiedelt. Die hitzköpfigen Hirten laufen hier bewaffnet mit AK-47 umher, verunsichern die Strecke, weshalb man auf dem Teilstück nicht radeln darf. In Kitale nehme ich daher einen Bus nach Lodwar.

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Gesagt, noch lange nicht getan. Busfahren in Afrika ist ein Erlebnis für sich. Früh um 7.30 kaufe ich ein Billett bei Eldoret Express. Abfahrt um 10 Uhr (auf afrikanisch heisst das bestenfalls 11 bis 12 Uhr). Nun, ich reserviere im Bus meinen Platz, laufe umher, quatsche mit Leuten, trinke Tee. Erst nach Stunden erfährt man tröpfchenweise, dass der Bus gar nicht fahrtüchtig sei, ein zweiter aber natürlich vorhanden sei, der aber dummerweise noch in der Werkstatt liege. Aber der komme in einer halben Stunde, wird mir immer wieder versichert. Diese halbe Stunde dauert mehr als einen halben Tag lang: l’heure élastique, wie ich in Westafrika gelernt habe. Winke, Winke, um 11 Uhr fährt der Bus der Konkurrenzgesellschaft Dayah Express schadenfreudig davon, Pech gehabt. Der zweite Bus von Dayah wird dann schon mal fleissig mit Gepäckstücken geladen und füllt sich. Das Gepäck meiner Reisegesellschaft liegt immer noch am Boden, kein Bus in Sicht. Die anderen Passagiere werden jetzt, nach über 4 Stunden, auch etwas ungeduldig, fangen an zu reklamieren. Kurz vor drei Uhr, ziehe ich die Handbremse und ergattere mir den letzten Platz im Nachbarbus. Trotz Protesten erhalte ich die 1‘000 Schilling nicht zurück erstattet. Was soll’s,  ich erspare mir aber eine weitere Nacht in Kitale. Um drei Uhr geht es los. Die Strecke ist auf der Michelin-Karte immer noch als Teerstrasse verzeichnet. Das war vor vielen Jahrzehnten. Der Asphalt ist aber schon seit langem einem ganz üblen Waschbrett gewichen. So übel, dass wir für die 300 Kilometer über zehn Stunden brauchen.

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Lodwar ist die grösste Stadt in Nordwestkenia und liegt 120 Kilometer südlich von Kakuma, einem riesigen Flüchtlingslager mit über 100‘000 Menschen, vorwiegend Südsudanesen. Lodwar hat dagegen nur 20‘000 Einwohner. Es ist hier sehr heiss, nachts sinkt das Thermometer, wenn man Glück hat, auf unter 30 Grad. Trockene und staubige Luft machen den Bronchien zu schaffen. Ob deswegen so viele Leute hier Khat kauen ? Jedenfalls scheint das Kraut mit euphorisierender Wirkung beliebt zu sein.

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Im Gebiet des Turkana-Sees finden sich katholische Missionen der Missionary Community of Saint Paul the Apostle. Der Gründer dieser Mission, ein Spanier, ist vor wenigen Tagen verstorben. In Nairokotome am Turkana See findet sich der Hauptsitz dieser Mission. Hier findet eine grosse Abdankungsfeier statt. Der Zufall will es, dass ich mich  just am Vortag in Lodwar befinde, mit dem Priester der Diözese von Lodwar bekannt gemacht werde, dieser mich bei sich aufnimmt und am nächsten Tag mit nach Nairokotome mitnimmt. Des einen Freud, des anderen Leid. Und mir so überdies die ersten 50 Km entlang des Turkana-Sees, die besonders sandig sind, ersparen kann.

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In Nairokotome, auch “little spain” genannt, hat die Mission eine grosse Kirche errichtet, in der sich nun über 500 Turkana einfinden, um während der vierstündigen Zeremonie dem Gründer Paco zu huldigen. In diesem abgelegenen Ecken von Kenia soviele Leute, insbesondere Einheimische zu sehen, ist ein spezieller Moment. Nach der Messe gibt es ein grosses Essen. 1 Kuh und 12 Ziegen sind geschlachtet worden. Später dann fahre ich mit einer Gruppe spanischer Landsleute an den See, um dort zu baden.

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Nach Nairokotome ist die Piste immer noch recht sandig, aber abgesehen von einigen Schiebepassagen in der prallen Sonne bei Temperaturen um die 40 Grad, gerade noch einigermassen erträglich. Kleine Siedlungen von Turkanas am Wegesrand, wenig Vegetation, steppenhafte Landschaften, Dornbüsche, Kamele zeichnen das Bild.

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In Todonyang kann ich dann wiederum bei der Mission bei Father Steven übernachten, den ich in Nairokotome kennenlerne. Viele Angestellte der Mission tragen T-Shirts mit der Aufschrift „I survived Todonyang“. Das Gebiet um den Turkana See und das Omo-Delta im Norden ist Heimat vieler verschiedener, traditionell lebender Stämme, die oft verfeindet sind. Hintergrund der Fehden sind Weidegründe, Wasser, Viehdiebstahl, der Überlebenskampf in einem harschen Umfeld. Besonders während Dürreperioden sind die Turkana gezwungen, Richtung Norden in das Omo-Flussdelta auf äthiopischer Seite vorzudringen, wo die Volksgruppe der Dassanech lebt.

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Vor zwei Jahren sind die Streitigkeiten in ein Massaker ausgeartet. An einem Tag sind 5 Dassanech und 26 Turkana umgebracht worden. Die über 1‘000 Menschen haben Todonyang Richtung Süden verlassen. Nur die Mission steht heute noch. Hier zwei interessante Artikel zu diesem Vorfall: newway, Spiegel.

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Viele Männer laufen mit Kalaschnikows herum. Schuld sind teilweise auch die Regierungen, die in diesen völlig abgelegenen Orten zu wenig Schutz bieten und sogar die Bevölkerung mit Waffen ausrüsten. Als ich auf der Piste im No Man’s Land im Dreiländereck Sudan-Kenia-Äthiopien mein Velo schiebe, kommen drei bewaffnete Männer auf mich zu, betteln mich an, verschwinden dann aber bald. Bedrohend ist die Situation nicht.

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Bevor ich den Polizeiposten in Äthiopien erreiche, darf ich noch zwei Platten flicken. Schon bald fahre ich dem Fluss Omo entlang, bis ich dann Omorate erreiche. Die Brücke über den Fluss ist vor Jahren eingestürzt. Die 5-minütige Fahrt mit einem einfachen Boot kostet in der Regel rund 20 äthiopische Birr. In der Regel heisst wenn man kein ferenji, kein Ausländer ist. Doch man verlangt von mir 300 Birr. Willkommen in Äthiopien ! Nach zähem Verhandeln bringe ich den Preis auf 100 Birr runter. Wie in keinem anderen Land habe ich derart gemischte Gefühle wie bei der Einreise nach Äthiopien. Die Lektüre von Reiseberichten von anderen Radfahrern ist eher abschreckend: steinewerfende Kinder, hartnäckiges Betteln, Abzocke, Unfreundlichkeit, Diebstähle.

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Zum Glück wird aber nicht so heiss gegessen wie gekocht wird. Im Omo-Tal bin  ich nicht mit Steinen beworfen worden, allerdings musste ich bereits in Arba Minch in einen Bus umsteigen. Mein „Radnachbar“ Sekiji hat da andere Erfahrungen gemacht: Kamera und Handy gestohlen. Aber was die Preise angeht, nervt die andauernde Diskriminierung der „ferenjis“ schon etwas.

Im Lower Omo Valley gibt es auf kleinem Raum eine Vielzahl an Völkern: die Banna, Hamer, Tsemay und die bekanntesten wohl die Mursi mit den Lippentellern. Diese Völker leben sehr traditionell, haben animistische Religionen und sind nicht selten untereinander verkracht. Oftmals betreiben sie reine Viehzucht. Auf den Strassen sind ganze Viehherden unterwegs, viele Esel beladen mit Wassercontainern behindern den Verkehr zusätzlich. Ich habe Glück und kann den Wochenmarkt von Key Afer besuchen, der vorwiegend von Tsemay und Banna besucht wird. Spannend ist am späten Nachmittag in einer Bude ein Glas Honigwein zu trinken.

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Ich bin jetzt in Addis Ababa, geniesse einige Tage im Quartier Piazza. Ich werde Richtung Bahir Dar und Sudan radeln. In der Nähe von Bahir Dar werde ich ein Hängebrücken-Projekt von Helvetas besuchen. Es wäre schön, wenn ich nicht mit leeren Händen dort ankommen müsste, weshalb ich mich auf die eine oder andere Spende freuen würde. Bis bald, Maurizio