Kongo-Brazzaville

Gang nach Canossa

Den Aufmerksamen wird nicht entgangen sein, dass ich in den letzten zwei, drei Wochen wohl mit Siebenmeilen-Pneus unterwegs gewesen sein muss, der Kilometerzähler hingegen etwas schlapp gemacht hat.

Nun, in Yaoundé reift ein Bauchgefühl zu einem Beschluss, der sich übrigens durch die späteren Ereignisse als goldrichtig herausstellen wird: ich werde zügig durch Zentralafrika, einschliesslich Demokratische Republik Kongo, ex-Zaire, reisen  und nicht die ganze Strecke radfahren, und etwa Angola auslassen. In Kinshasa, so mein Plan, werde ich in einen Flieger steigen. Von hier gibt es bessere Verbindungen als von der Hauptstadt Brazzaville am anderen Ufer des Kongo-Flusses. Das Velo ist leicht und platzsparend und kann bei Bedarf in ein Buschtaxi, auf einem Truck oder sogar im Flugzeug mitgenommen werden.

 

Wieso ? Die Zeit rennt mir etwas davon, der schwarze Kontinent hat radfahrerisch noch Einiges zu bieten, vor allem im südlichen und östlichen Teil. Und vor allem: ein guter Freund wird mich Mitte Juni in Namibia besuchen – mit dem Rad. Ich bin nicht traurig darüber, in der tropischen Klimazone kürzer zu treten. Und dass ich das Schild „Vous franchissez l’Equateur“ nicht mit meinem Stahlross davor abfotografieren kann, sondern nur für einen Sekundenbruchteil aus dem Buschtaxi erspähe, na ja, ich werde darüber hinwegkommen. Eine Gelegenheit wird sich noch bieten l

Wie sich Radfahren in den Tropen anfühlt ?  Absolviert eine Trainingseinheit auf einem Hometrainer oder ein Spinningrad. Aber nicht im klimatisierten Fitnessstudio, sondern  im Tropenhaus, an einem Hitzetag und bei direkter Sonneneinstrahlung. Bevor man überhaupt auf dem Foltergerät Platz genommen hat, alleine vom blossen Rumstehen, sich am Kopf Kratzen und sich über die Sinnhaftigkeit des Vorhabens Gedanken zu machen, kullern die Schweisstropfen schon munter hinunter. Sobald man nun aber den Puls um einige Schläge erhöht, und anfängt zu treten, sind Trikot und Hose pitschnass. Und es ist nicht schwierig zu erraten, wann sie bei einer Luftfeuchtigkeit um die 90 Prozent wieder trocken sein werden. Um die ganze Angelegenheit noch reizvoller zu gestalten, sind vorher Mücken und Insekten bestochen worden, damit sie Hetzjagd auf Weisse mit einer leckeren weil seltenen Blutgruppe machen und allen Insektenschutzmitteln Lügen strafen. Meine Beine jucken ordentlich, sind aufgekratzt, die Schürfungen heilen in diesem Klima nur schlecht.

 

Doch zurück nach Zentralafrika, zum Gastgeber der letzten CAN – Coupe Afrique des Nations: Gabun. Landschaftlich gesehen einmalig.  Das Land auf Höhe des Äquators besteht zu zwei Dritteln aus Regenwald. Dichter tropischer Wald mit einer reichhaltigen Flora und Fauna. Eine kleine Kostprobe der Tierwelt gibt es, wie schon in Kamerun, kostenlos am Strassenrand zu bestaunen. Immerhin hat der 2009 verstorbene Diktator Omar Bongo 11 % des Landes unter Naturschutz gestellt. Übrigens: Er war (und wird es auch hoffentlich bleiben) der am längste herrschende Staatschef in Afrika: 42 Jahre lang regierte er das Land.

Nur gerade 1.5 Millionen Einwohner hat Gabun. Mit 5 Einwohnern pro Quadratkilometer einer der am dünnsten besiedelten Staaten Afrikas. Aber dank Erdöl, Rohstoffe und Tropenhölzer einer der reichsten, das Las Vegas von Zentralafrika. Von überall kommen sie her, um hier Arbeit zu suchen: aus Mauretanien, Senegal, dem Tschad, Mali, Burkina Faso, Kamerun, Congo. Ladenbesitzer sind zumeist Malier, Mauretanier oder – wie in ganz Afrika wie es scheint – Libanesen.  Alle lästern sie über die Gabuner, die nicht im Ruf stehen, ausgesprochene „Büezer“ zu sein. „Des fainéants“ bekommt man oft zu hören. Hand- und Schwerarbeit überlassen sie lieber den afrikanischen Ausländern. Lebensmittel müssen importiert werden, die Landwirtschaft wird stark vernachlässigt. Immerhin, sie verstehen sich im Organisieren von Sportveranstaltungen.

 

Vor wenigen Wochen fand die Rundfahrt „La Tropicale Amissa Bongo“ statt, geehrt durch die Anwesenheit des „blaireau“ Bernard Hinault. Der junge niederländische Arzt in spe Tom, selber begeisterter Rennvelofahrer, darf den Tourarzt assistieren und dicht hinter dem Peloton die Rundfahrt verfolgen. In seiner Freizeit steigt Tom selber viel aufs Rennrad. Und er hat als Amateur selber an einigen Frühjahrsklassikern teilgenommen: Mailand-San Remo, Golden Amstel Race, Paris-Roubaix. Er absolviert gerade ein Praktikum am Hôpital Schweitzer in Lambaréné, lebt auf dem Campus des Spitals, zusammen mit anderen jungen Ärzten und Biologen, die am Forschungslabor ein Kraut gegen die Malaria tropica züchten. Ich kann drei Tage bei Tom bleiben, das Museum von Albert Schweitzer, das alte, frisch renovierte Urwaldspital besuchen und ein bisschen am Leben im Campus teilhaben.

 

Der Friedensnobel-Preisträger Albert Schweitzer hat 1913 das berühmte Urwaldspital am Fluss Ougouée gegründet. Aus dem Oberelsass in der Nähe von Colmar stammend, promovierte er in Theologie, Philosophie und Medizin, war Professor und begnadeter Organist. Er hat eine Ethik des „Respect de la vie“, Ehrfurcht vor dem Leben vertreten. Prägend ist sein Satz: „Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will.“, der sich auch in der alten Hausordnung des Spitals niederschlägt. Der Einsatz von Insektenschutzmitteln war verpönt und es wird nahegelegt, die armen Kreaturen lieber von Hand hinaus zu befördern. Bereits 1914, als der Erste Weltkrieg ausbrach, wurden er und seine Ehefrau als Deutsche von den Franzosen unter Hausarrest gestellt. Einige Jahre später, als das Elsass zu Frankreich angeschlossen wurde, erhielt er die französische Nationalität.

Eine sympathische Begegnung habe ich in Bifoun, einem  700-Seelendorf. Respektive Strassenkreuzung. Nach Westen geht es nach Libreville, südlich liegt Lambaréné. Ich komme in der Dämmerung an, suche einen Platz zum Schlafen. Der Japaner Seko spricht mich an. Er ist ein JICA-Volunteer. Die Japanese International Cooperation Agency ist das Pendant zu den amerikanischen Peace Corps. Zwei Jahre bleibt er hier, mit Schwerpunkt Landwirtschaft. Ich darf bei ihm schlafen, er lädt mich zu einem Teller Bush-Meat ein, bereitet mir ein tolles Morgenessen, zeigt mir seinen Gemüsegarten. Ich bekomme wohl mehr von der japanischen Gastfreundschaft als von der gabunischen Landwirtschaft mit. Thanks Seko !

Der Reichtum von Gabun schlägt sich übrigens in den Preisen nieder. Ein Halbliter-Wasserbeutel kostet hier das Doppelte als in Kamerun. Die Lebensmittelpreise sind um rund 30 % teurer. Dafür ist das Essen gut, leckere Pouletspiesschen und Fisch. Mit Servietten und auf Alupapiere. Das will etwas heissen.

 

Indem ich ab und zu auf den „öffentlichen Verkehr“ umsteige, bekomme ich noch andere Facetten zu Gesicht: etwa zu sechst eingepfercht in einem Toyota Corolla durch staubige und holprige Pisten zu rasen. Oder in einem Iveco-Truck viereinhalb Stunden für eine Strecke von 55 Kilometern auszuharren – wohlverstanden irgendwo zwischen Brazzaville und Pointe Noire, den beiden wichtigsten Städten im Congo. Die Holztransporter, die grumiers, die im Halbstundentakt an mir vorbeiziehen, wirbeln mächtig Staub auf. Die Chauffeure stammen allesamt aus Malaysia. Seit Guinea habe ich keine so staubigen Pisten mehr gesehen.

Die Republik Kongo, auch Kongo-Brazzaville genannt, nicht zu verwechseln mit dem grossen Bruder, der Demokratischen Republik Kongo, ex-Zaire. Dazu später. Soviel vorweg: das Demokratisch ist reiner Euphemismus. An der Grenze Gabun – Congo treffe ich wieder das österreichische Paar Hanspeter und Sabine an. Ich werde sie bis Brazzaville noch einige Male antreffen, da ich ja nun meine Reisegeschwindigkeit angepasst habe.

Die Piste von der Grenze bis nach Dolisie ist genau nach meinem Geschmack: nicht allzu gute Piste, staubig, viele kleine Dörfer, in denen ich bei den Chefs de village übernachte. Freundliche Leute, die mir kiloweise Orangen schenken. Und der Hammer: die Leute fragen zwar auch hier nach einem cadeau, aber oft nach einer Zeitschrift, etwas zum Lesen. Worauf mein Exemplar der „Jeune Afrique“ flugs den Besitzer wechselt. Die Stadt Dolisie ist eine angenehme Überraschung, sauber, aufgeräumt. Die grosse zweistöckige Markthalle, von einem italienischen Architekten entworfen, schafft Ordnung und Übersicht im Marktgeschehen. Jedenfalls ist es nicht schwierig, das Bush-Meat auszumachen, inklusive Affen. Die „marmites“ der Mamans sind ebenfalls für Überraschungen gut. Während der Trockenzeit sind die „chauve-souris“, Fledermäuse eine Delikatesse.

In der Hauptstadt Brazzaville ruhe ich mich bei der Couchsurferin Chantal, einer Französischlehrerin, in ihrem geschmackvoll eingerichteten Haus, aus, bevor ich dann, nach einer unruhigen Nacht und leichtem Durchfall, den Weg nach Kinshasa antrete. Ich ahne es irgendwie, es wird ein Gang nach Canossa. Die Fähre nach Kinshasa habe ich schnell ausfindig gemacht. Ein heilloses Durcheinander herrscht auf dieser. Viele Polio-Kranke. Was sie auf ihren Dreirädern zu transportieren vermögen, ist zollfrei.  Kongolesen kriegen sich in die Haare. Einige, die sich auf die Fähre geschlichen haben, werden von Sicherheitsleuten unsanft hinausbefördert. Trotz allem bin ich einigermassen guter Dinge, halte ein nettes Schwätzchen mit einem Angestellten.

Kinshasa. Wir legen an. Das Durcheinander scheint nun grösser zu sein, weil alle gleichzeitig aufs Land wollen. Ich habe Mühe, mein Velo um und über Kanister, Säcke und Waren zu tragen. Werde angerempelt, Langfinger versuchen an meinen Hosentaschen Hand anzulegen. Ich bin endlich draussen, laufe die Rampe hinauf. Werde dort von Polizisten freundlich empfangen, Passkontrolle. Das Tor wird geöffnet, ich darf sogleich in ein Büro rein. Dort inspiziert ein übergewichtiger Polizist mein Visum, das ich in Kamerun für 200 Dollar erstanden habe. Es sei ungültig, weil es nicht im Wohnsitzstaat ausgestellt worden sei. Schwachsinn, alle meine zehn Visas habe ich irgendwo in Afrika erhalten. Aber mit einer solchen Tour habe ich fest gerechnet, die Korruption ist berüchtigt hier im Kongo. Ich bleibe ruhig, nehme es mit Humor. Habe schon mal ein, zwei 10-Dollarscheine parat. Gebe ihm zu verstehen, dass ich bereit bin, ihm diese zu schenken. Nichts. Der Typ füllt ein Formular aus, auf dem ich das Wort „Refoulement“  lesen kann.  Mittlerweile ist auch Jean, der Chauffeur von Richard, meinem Kontakt in Kinshasa, eingetroffen. Er kann mir aber auch nicht weiterhelfen.  Nun werde ich von drei Polizisten bestimmt wieder hinausbefördert, ich solle auf die Fähre, die in Kürze nach Brazzaville fährt, zurück. Es erscheint Luigi, ein Angestellter der italienischen Botschaft. Richard hat ihn benachrichtigt. „Il va rester ici !“, befiehlt er den Kongolesen. Konsularischer Schutz nennt sich das. Aber die Typen lassen nicht los, ich muss auf die Fähre, das Chaos ist jetzt noch grösser als vorhin. Eingepfercht in einem kleinen Raum harre ich eine halbe Stunde aus, hungrig, dummerweise macht sich der Durchfall bemerkbar. Mein Pass ist immer noch in der Gewalt des Polizisten, der mich nach Brazza begleiten wird. Ich bin zwar stinksauer, aber ruhig. Das Theater wird in Brazzaville weitergehen, wie soll ich dort mit einem  verfallenen Visum rein? Endlich werde ich gerufen, darf wieder durch das Chaos raus. Mein Visum ist annulliert, ich kriege, Luigi sei dank, nach 5 Stunden endlich ein 7-Tages-Transitvisum, für sagenhafte 310 Dollar, verhandelt wird nicht. Benvenuto al Congo !

Immerhin, ich bin heilfroh, auf Richard und Nelly zählen zu können, Freunde von Pierluigi, dem Direktor von Helvetas Burkina Faso. Beide sind hier im Kongo, wie auch rund 37‘000 weitere, bei den Vereinten Nationen tätig. Die eigentliche Verwaltung des Kongo. Und der starken Präsenz der UN sei Dank: die Preise hier in Kinshasa sind ungeheuerlich hoch. Hotelzimmer ab 100 Dollar. Ich komme bei Freunden von Richard und Nelly im Präsidentenviertel Gombe in einer luxuriösen Wohnung mit Swimming-Pool unter, mit ihren drei kleinen Kindern haben sie in ihrer Wohnung keinen Platz mehr. Als Italiener stellt Richard noch gleichentags seine Kochkünste unter Beweis. Beiden winde ich einen Kranz, sie haben sich fürsorglich um mich gekümmert und mir sehr geholfen. Merci beaucoup !

Am Sonntag dann endlich der Abflug. Das Taxi erscheint pünktlich um 7 Uhr morgens. Die 30 Kilometer bis zum Flughafen auf ausserordentlich schlechter Strasse. Vorbei an dichtbesiedelten Gebieten, am Stade des Martyrs und am völlig heruntergekommenen Stade Tata Raphaël vorbei. Dort wo 1974 der legendäre Boxkampf zwischen Muhammed Ali und George Foreman, the Rumble in the Jungle, in die Annalen einging. Der Flughafen, notabene für die zweitgrösste Stadt Afrikas mit mehr als 10 Millionen Einwohnern, ein Relikt aus den Sechzigerjahren, als „Kin la Belle“ kaum einen Zehntel der heutigen Grösse zählte. Lächerlich klein, unzeitgemäss und veraltet. 50 Dollar bezahlt jeder Passagier, Go-Pass, es bleibt schleierhaft, wozu diese Gebühr entrichtet wird. Jeder in Uniform will geschmiert werden. 200 Dollar soll ich für den Transport des Velos bezahlen. Ich bleibe standhaft, bin langsam geladen: das Velo ist ein Sportgerät und die South African transportiert diese kostenlos, ich bezahle gar nichts. Nach ein paar Telefonaten geben sie mir Recht. Ich bin froh, als der Check-In vorbei ist, trinke mit einem jungen Belgier, der bei Médecins sans frontières arbeitet, darauf ein Mützig-Bier.

In Johannesburg dann, halb so gross wie Kinshasa, ist der riesige, topmoderne und grosszügig angelegte Flughafen mit nur jedem erdenklichen Shop und Lounges der absolut krasse Gegensatz. Morgen geht es weiter nach Namibia. Mal schauen, ob ich dort endlich einen Elefanten in der Wildnis sehe, und nicht nur auf Bierflaschen oder Geldnoten.