Kamerun

Auf und ab in Kamerun


Mittlerweile bin ich bereits im Congo, doch zunächst einmal zurück nach Nigeria, um mit der hinkenden Berichterstattung einigermassen Schritt zu halten. In Calabar nehmen meine Reisegefährten Sarah und Rob und ich die Fähre nach Kamerun nehmen. Wir erfahren, was es heisst, in Afrika mit einem Boot unterwegs zu sein. Die Fähre legt erst am Samstag-Morgen um 6 Uhr los, doch alle Passagiere übernachten auf der Fähre. Entsprechend  herrscht daher am Freitag Abend Hochbetrieb. Wo am Vortag noch alles leergefegt war, sieht jetzt wie ein Ameisenhaufen aus. Mamans mit ihren „marmites“, ihren grossen Kochtöpfen, haben sich eingefunden. An Kiosken stapeln sich Süssgetränke, Biskuits und die im englischsprachigen Raum weitverbreiteten Toastbrote. Am Brot erkennt man hier in Afrika, wer früher das Sagen hatte. Aus Bars dröhnt laute Musik. Einige Stromgeneratoren tragen dazu bei, den Lärmpegel zu erhöhen. Geldwechsler sind ebenfalls zur Hand. Praktisch. Man erscheint einfach und der Rest ergibt sich von alleine.


Lastwagen werden entladen, die Fähre mit Kisten und Kartons vollbepackt. Mein Velo verschwindet irgendwo zwischen meterhohen Stapeln von Cargoware. Wir richten uns auf einer Sitzbank ein. Sarah schläft auf der Bank, Rob darunter, ich auf dem Gang. Beengte Verhältnisse, man hat hier aber keine Berührungsängste. Zum Glück kühlt eine riesige Klimaanlage den Raum nieder. Um 4 Uhr werden wir dann von den nigerianischen Grenzbeamten wachgerüttelt. Die Ausreiseformalitäten sind zu erledigen, alle haben das Schiff zu verlassen. Schlaftrunken warten wir vor dem kleinen Büro. Anstehen scheint nicht die Stärke der nigerianisch-kamerunischen Passagiere zu sein. Immer wieder gibt es „sneaker“, die sich irgendwo hineinschleichen. Es folgen hitzige Grundsatzdiskussionen über elementare Verhaltensregeln. Nach knapp einer Stunde sind wir endlich an der Reihe. Danach müssen sich alle Passagiere in einer Reihe aufstellen und vor dem Bootssteg nochmals eine geschlagene Stunde warten. Die einzigen drei Weisse, irgendwo mittendrin, werden aufgerufen und dürfen als erste aufs Schiff. Womit wir uns vermutlich keine Freunde schaffen.


Wir legen am Nachmittag um 16 Uhr im Militärareal von Tiko an. Der Mount Cameroon, ein 4‘090 Meter hoher, aktiver  Vulkan, der höchste Berg Westafrikas, baut sich majestätisch im Hintergrund auf. Wir verlassen mit einem Taxi das Sperrgebiet, beobachten, wie Militärs eine Zivilperson mit einem Stock verprügeln. Die nahegelegene Stadt Limbé mit den schwarzen Lava-Stränden gefällt uns sehr gut. Die Stimmung ist entspannt, der gegrillte Fisch vorzüglich. Es ist das Zentrum der anglophonen Bevölkerung Kameruns, umgeben von Bananen-, Palmöl- und Kautschukplantagen. Die Plantagen gehören praktisch ausschliesslich der CDC, Cameroon Development Corporation, dem zweitgrössten Arbeitgeber nach dem Staat.

Kamerun ist ein Scharnier zwischen West- und Zentralafrika. Kulturell und landschaftlich sehr abwechslungsreich. Als Afrika in Miniatur wird Kamerun gerne gerühmt: von den Sahellandschaften am Tschad-See ganz im Norden, bis hin zu den dampfenden Regenwäldern im Kongo-Becken,  Lebensraum von Pygmäen.

Die Regenzeit hält zwar nur zögerlich Einzug, am Fusse des Vulkanes befindet sich aber Debunscha, auf Platz Zwei der regenreichsten Orte der Welt liegend. Trotzdem wollen Rob und ich den Mount Cameroon besteigen und unser Glück versuchen. Die ersten  1‘000 Höhenmeter erklimme ich mit dem Velo. Das Klima in Buéa, früher Hauptstadt der deutschen Kolonie, ist etwas erträglicher als auf Meereshöhe, abends muss ich sogar erstmals seit Monaten die Windjacke anziehen.

Begleitet von unserem Guide Daniel und drei Trägern, machen wir auf die Socken. Wir wandern zuerst durch Bananen-Plantagen, Yamsfelder, vorbei an Jack-Fruchtbäumen, die von den Deutschen von Südamerika nach Afrika importiert wurden. Der glitschige Pfad steigt stetig an, durch dichten Wald und meterhohe Farnhaine. Grassavanne löst den Wald ab und wir sind bald im ersten Camp in „Mann’s Spring“ auf rund 2‘400 Meter über Meer. Angenehm kühle Temperaturen von 20 bis 10 Grad herrschen hier. Wir kochen unsere Spaghetti und grillieren zwei Fische. Die Sauce reichern wir mit leckeren Pilzen an, welche die Träger gesammelt haben.


Am nächsten Tag laufen Rob, Daniel und ich los. Sarah bleibt im Camp, um ihre Knie zu schonen. Normalerweise wird die direkte Route von Buéa zum Gipfel gewählt, der sogenannte Guinness-Trek.  Von Mann’s Spring hingegen zieht sich der Weg dahin, zunächst vorbei an einigen Kratern, die am Vulkanausbruch von 1999 entstanden sind.  Der Weg ist nicht allzu steil, aber langgezogen, führt stundenlang durch steinige und kantige Lavafelder, auf denen ich mit meinen Sandalen gut aufpassen muss. Daniel mit seinen Plastiksandalen und die Träger mit ihren Flip-Flops vollbringen hier hingegen wahre Kunststücke.


Fünf Stunden benötigen wir bis zum Gipfel. Da wir den gleichen Weg wieder zurück laufen müssen, legen wir nur wenige und sehr kurze Pausen ein. Die letzte Stunde vor dem Gipfel wird rutschiger. Zudem macht sich nun auch die Höhe etwas bemerkbar und ein starker Gegenwind bläst uns ins Gesicht. Erleichtert erreichen wir dann um zwölf Uhr den Gipfel. Wir haben Glück mit dem Wetter, es ist zwar bewölkt aber es fällt kein Regentropfen.

Der Abstieg ist danach ein Zuckerschlecken. Dennoch merken wir gegen den späten Nachmittag die Müdigkeit, immerhin sind wir insgesamt neuneinhalb Stunden zügig marschiert. Erschöpft treffen wir in Mann’s Spring ein. Nach dem Essen verziehen wir uns sofort in unsere Schlafsäcke und schlafen wie Murmeltiere. Am nächsten Morgen verabschieden wir uns. Rob und Sarah trekken Richtung Süden zur Küste, während ich nach Buéa zurück wandere. Rob und Sarah, Mediziner, fliegen kurz darauf nach London, werden zwei Monate lang Frankreich mit dem Rad bereisen und danach ihre Arbeit in Südafrika aufnehmen, wo ich sie dann hoffentlich in ein paar Monaten wiedersehen werde. In einem Radeltag bin ich dann in Douala, wo mich Guillaume, ein Couchsurfer erwartet.


Douala ist die wirtschaftliche Metropole von Kamerun, dem Hafen sei dank. Eine eher unattraktive Stadt mit vielen Expats. Das Leben hier ist vergleichsweise sehr teuer. Nachtschwärmer kommen aber auf ihre Kosten. Douala sei die nachtaktivste Stadt von ganz Westafrika, heisst es. Ich kann mich aber nicht dafür begeistern, mein Budget mit alkoholischen Getränken zu strapazieren und bin erleichtert, dass mich Pfarrer Jean-Pierre aufnimmt. Der Kontakt ist mir von Hubert aus Le Caylar in Frankreich vermittelt worden, der mich vor einigen Monaten ebenfalls beherbergt hat. Er bringt mich in der Procure des Missions Catholiques unter, eine Oase in dieser Stadt, Terrasse mit Aussicht auf den Mont Cameroon und Swimming-Pool. Und die Pfarrer der Eglise de Saint-Esprit von Omnisport tun alles, damit ich mein Visum für die RDC  – Demokratische Republik Kongo – rasch erhalte. Ein Taxi steht mir den ganzen Tag zur Verfügung, der Lingala-sprechende Père Chatelin aus Brazzaville begleitet mich. Gleichentags erhalte ich mein Visum – mit 180 Schweizerfranken das bis anhin teuerste.


Schneller als erwartet kann ich also aus Douala rausfahren Richtung Hauptstadt Yaoundé. Die Strecke führt durch Regenwald, steigt ständig an. Am Strassenrand wird frisch gefangenes Wild – Bushmeat angepriesen: Warane, Porc-épic, Wildkatzen, Biche. Lastwagen, die mächtige Tropenhölzer transportieren, sogenannte „grumiers“ fahren mir entgegen. Die Holzindustrie ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor in ganz Zentralafrika. Auf der häufigsten Banknote der zentralafrikanischen Währungsunion, der 1‘000 CFA-Note, sind schwere Baumaschinen abgebildet, die Hölzer abtransportieren. Beunruhigend ist die Tatsache, dass sich in den letzten 15 Jahren die Holzproduktion in Kamerun verdreifacht hat. Die Schweiz trägt übrigens fleissig zu dieser Situation bei: was die Holzimporte für die Schweiz anbelangt, liegt Kamerun an zweiter Stelle.


Yaoundé, die „ville aux sept collines“, liegt auf rund 800 Metern über Meer, das Klima ist etwas kühler. Die Orientierung fällt nicht leicht in dieser Stadt. Die Stadt liegt eingebettet inmitten unzähliger Hügel. Velofahrer gibt es bei all diesen Steigungen ganz wenige. Als ich aber nach einem anstrengenden 100 Kilometer und 1000 Höhenmeter-Ritt, bei einer Luftfeuchtigkeit nahe an 100-Prozent, endlich an  den Brasseries de Cameroun vorbeifahre, dem Nationalstolz der Kameruner, zischt ein Rennvelofahrer im „Française des Jeux“-Trikot an mir vorbei. Apollinaire, ein Sprinter, der 2003 am Giro d’Italia teilgenommen hat, und immer noch mit jenem mittlerweile in die Jahre gekommenen und arg strapazierten Alu-Rad unterwegs ist. „Un veteran“, nennt ihn Yves Ngué Ngock, der Sieger der Tour du Cameroun und 16. an der Tour du Gabon – La Tropicale Amissa Bongo – den ich ebenfalls zufällig antreffe, als ich nach einer Woche Yaoundé verlasse.  Apollinaire begleitet mich ins Zentrum. Dort holt mich dann Ernestine ab. Eigentlich hätte ich bei einem anderen Couchsurfer weilen müssen. Dieser verweist mich aber am Tag meiner Ankunft per SMS an Ernestine.


Ernestine ist sehr gastfreundlich, sie begleitet mich zu den Botschaften von Gabun und Kongo-Brazzaville, ist geduldig. Leute aufzunehmen tut der gelernten Sozialarbeiterin gut, vor einem Jahr hat sie ihre zehnjährige Tochter verloren. Sie lebt in einem Vorort von Yaoundé, in Mimboman, einem der zahlreichen Hügel. Vom Rond-Point in Mimboman geht es nochmals einen Kilometer auf einer Piste zu ihrer einfachen Bleibe, die sie mit einer überfrechen Maus teilt. Nach einem Regenfall verwandelt sich die Strasse in eine Schlammpiste. Fliessendes Wasser gibt es keines, Regenwasser wird daher gesammelt.

Ich treffe in Yaoundé übrigens wieder das österreichische Paar Sabine und Hans-Peter an, die ich in Bamako kennengelernt habe. Sie sind mit Motorrädern auf Afrikaumrundung unterwegs. In den nächsten sechs Tagen bekomme ich Etienne, den anderen Couchsurfer, nicht zu Gesicht. Und auch nicht das Fresspaket, das mir Mélanie an seine Adresse geschickt hat. Vor über zwei Wochen ist es bereits  in Douala eingetroffen. Etienne beteuert mir täglich, dass er in seinem Postfach noch nichts erhalten habe. Die Post hier in Kamerun sei halt unzuverlässig und langsam.

Ich habe ein komisches Gefühl, traue der Sache nicht ganz. Ernestine und ich begeben uns zur „Poste de colis“. Die anfänglich wenig auskunftsfreudige Dame wird mit der Zeit immer hilfsbereiter. Ein Paket aus der Schweiz sei nicht angekommen. Aber unter drei Kilo könne es als „lettre recommandée“ eingehen. Sie telefoniert einer Kollegin. Ja, ist eingegangen. Vor über zwei Wochen. Bei der Post in Nlongkak. Die Post funktioniert wunderbar in Kamerun !  Mit dem Taxi begleitet uns ein Postbeamter dorthin. Er klärt ab: ja, das Paket sei dort, Etienne sei schriftlich benachrichtigt worden. Ich telefoniere ihm: „Etienne, ich bin bei der Post in Nlongkak, das Paket ist hier, komm bitte sofort her!“ Nach wenigen Minuten trifft er tatsächlich ein, holt das Paket ab. Angeblich sei er nicht benachrichtigt worden. Was soll’s, Ende gut, alles gut.