Gambia

Toubab geniesst Teranga

Bevor ich mich in den nächsten Tagen in Guinea-Bissau auf Portugiesisch zu verständigen versuche, wird es Zeit, um wieder Bericht über meine Reise zu erstatten. Also zurück nach Dakar, wo ich zehn Tage verbringe.

Dakar ist die Hauptstadt Senegals, eine rasch wachsende Grossstadt auf der Cap Vert Halbinsel, dem westlichsten Punkt Afrikas, mit mehr als zwei Millionen Einwohnern und sogar einem Géant Casino mit anständigen Angebot an Käse. Der Versuchung, eine ganze Packung Roquefort mit einer Baguette aufs Mal zu verzehren, kann ich nicht widerstehen.  Ich kann bei Sacha, einem Genfer,  wohnen, der selber Velotouren in Westafrika und im südlichen Afrika unternommen hat und seit acht Jahren in einer Kunstgalerie arbeitet. Zwar hat er seine Wohnung nur noch für wenige Wochen, da er bald nach Bangkok ziehen wird. Dennoch hat er ein Zimmer für mich frei und so nutze ich die Gelegenheit, um mir eine längere Auszeit zu gönnen. Sacha ist unkompliziert, „easy-going“, ein Seelenverwandter und gibt mir gute Tipps für die Weiterreise. Jeredef Sacha !

Am Morgen trinken wir gleich beim Hauseingang jeweils Kaffee auf der Strasse bei einem der zahlreichen Nescafé-Stände: Verkäufer, die eine buntbemalte Tonne, seitlich mit zwei Rädern, oben mit gebogenem Vordach, einen Café au lait mit Schaum mit Hilfe von Kaffe- und Milchpulver zaubern, indem sie das Getränk x-mal von einem Becher in einen anderen schütten  Daneben ein Stand von 1.5 Quadratmetern Grösse, in dem Omelett-Zwiebeln-Sandwichs zubereitet werden, eingewickelt in „papier recupéré“,  Alt- und Zeitungspapier. Völlig normal hier. Auf einer Schadenanzeige einer Motorfahrzeugversicherung, einer Bankvollmacht oder einem seitenlangen gescheiten Elaborat irgendeiner NGO, aus dem man etwa Folgendes in Erfahrung bringen kann: The internal challenge in the Mandara Triangle comes from the Kenyan, Somali and Ethiopian governments‘ inability to adequately address situations that they are confronted with, in this case natural disasters such as drought and flooding. Interessant. Umwelt- geht in Dakar dem Datenschutz vor !

Am Rande vom Kermel-Markt, wo Gemüse, Früchte, Fleisch und Fisch angeboten werden, reihen sich die Maman’s, die in riesigen Töpfen das Morgen- und Mittagessen zubereiten. Thiéboudienne (Fisch mit Reis) ist das Nationalgericht, aber auch Maffé (Lammfleisch an schwerer Palmöl-Erdnusssauce) und Yassa (Fleisch oder Fisch an einer Zitronen-Zwiebelsauce) findet sich hier. Eine Radlerportion für etwa einen Franken. Toll sind hier im Senegal auch die zahlreichen kühlen und süssen Fruchtsäfte:  Bissap (Hibiskus-Sirup), aus Affenbrot oder Thiakry (eine Mischung aus Sauermilch, Couscous und Zucker). Grüne Orangen aus der Casamance, gut zum Pressen und Auslutschen, finden sich überall am Strassenrand. Wie auch Erdnüsse, und viel seltener, da die Saison längst vorbei ist, leckere Cashewnüsse. Insgesamt ist das Essen hier gar nicht so übel, vor allem, wenn es mit einer kühlen Flasche Gazelle-Bier runtergespült wird. Und wer vom Fisch genug hat oder einfach eine deftige Portion Eiweiss und Fett benötigt, der kann sich in einer Dibiterie verköstigen. Ein Fleischstand, in dem Hammelfleisch in groben Stücken grilliert wird, danach mit einem Beil mundgerecht verkleinert auf einem Stück Zementsack, im Idealfall auf Backpapier, mit einigen Scheiben rohen Zwiebeln angerichtet wird. Und beim Essen kann man genüsslich beobachten, wie Ziegen und Schafe, weiter im Süden dann auch Schweine,  in Abfallresten rumstochern.

Der Sandaga-Markt in Dakar ist chaotischer und staubiger. Hier finden sich auch die bunten Wax-Stoffe mit den bunten und lebhaften Mustern. Und Kleider, die in Europa in die Altkleidersammelstelle gegeben wurden. Hier kann ich meine Garderobe vervollständigen und kaufe ein langärmliges Hemd und Shorts. Unweit davon ist das Institut Français, eine kleine Oase inmitten dieser etwas hektischen Stadt.

In der Stadt tummeln sich Verkäufer von Handy-Guthabenkarten, Kokosnüssen. Menschen, die einige wenige Artikel – Ledergürtel, Socken, Unterhosen, einige Jeans –  am Boden ausbreiten. Eindrücklich ist auch ein Spaziergang am Strand in Cambéréne, nördlich der Halbinsel. Hunderte, Tausende von Senegalesen jeden Alters, die hier spazieren, joggen, sich im Nationalsport – der „Lutte“  – versuchen, Fussball spielen, sich auf irgendeine Art und Weise körperlich ertüchtigen. Eine friedliche, gelöste Atmosphäre. Trotz der in wenigen Wochen bevorstehenden Präsidentenwahlen.

Obschon der greise Maître Wade die Verfassung dahingehend ändern liess, wonach die Amtszeit des Präsidenten auf maximal zwei Mandate beschränkt ist, steht es ihm nicht danach, sich als erster danach zu halten und kandidiert prompt ein drittes Mal. Es wird gemunkelt, dass er seinen Freund Youssou N’Dour dazu bewogen haben soll, ebenfalls anzutreten, um den Gegenkandidaten Stimmen wegzunehmen.

 

Ein Pflichtbesuch ist bei der kaum einen Kilometer langen und UNESCO-geschützten Insel  île de Gorée angesagt,  früher ein Zentrum des Sklavenhandels. Heute steht das renovierte Sklavenhaus als Symbol für eine dunkle Epoche der Menschheit. Ich übernachte auf der Insel, um ­­­unbehelligt von den Tagestouristen die 1000-Seelen Ortschaft geniessen zu können, beim Sonnenaufgang auf die Festung zu laufen und den zahlreichen Strassenkünstlern, die bei ihren Ständen übernachten, bei der Morgentoilette zu stören.  Ein gemeinsamer Velo-Ausflug mit Sacha zum 40 Kilometer entfernten Lac Rose und durch den stickig-staubigen und anstrengenden Dakar-Verkehr bildet den Abschluss meines Dakar-Aufenthaltes. Der See, eigentlich Lac Retba genannt, hat seinen Namen wegen seiner rosa Färbung, verursacht durch hohen Salzgehalt und Bakterien. Am Ufer des Lac Rose war früher das Endziel der Rallye Paris-Dakar.

Am Montag breche ich dann endlich auf. Ein letztes Mal ein Nescafé mit einer Omelette-Baguette. Und sobald ich nach rund 30 Kilometern endlich dem Stadtverkehr entflohen bin und durch die ersten Dörfer radle, höre ich wieder die Kinder, wie sie mir auf Wolof „toubab, toubab“ zurufen. Der Weisse, der Weisse ! Wolof hat übrigens jeder von euch schon einmal gehört. Wer’s nicht glaubt, höre hier rein.

Das Mittagessen, Reis mit Fischbällchen, wartet bereits auf mich. Mohammed, ein Arbeitskollege von Sacha, empfängt mich freundlich, zeigt mir den Strand von Yenne, die Küste, wo er sich vor zwanzig Jahren wegen eines Erdrutsches eine offene Fraktur am Bein zugezogen hat. Seither macht er einen grossen Bogen darum. Um vier Uhr breche ich auf, abends treffe ich dann wieder Linda und Peter, ein holländisches Missionarspaar, die ich in der Zebra-Bar kennengelernt habe. Sie unterrichten in einer Schule für die in Senegal ansässigen Missionarskinder. Wegen einer Konferenz herrscht gerade Hochbetrieb, dennoch werde ich sehr wohlwollend aufgenommen, kann einige Kontakte knüpfen und mit vielen Leuten Schweizerdeutsch reden.  Und so geht es praktisch die ganze Woche weiter.  Die Senegalesen nennen es „Teranga“: man steht füreinander da, teilt gemeinsam. „Nous sommes ensembles“, heisst es immer wieder. Genuine Gastfreundschaft.

In Joal-Fadiout, dem Geburtsort von Lépolod Sédar Senghor, Schriftsteller und erster senegalesischer Präsident, interessiert mich die kleine Insel ganz aus Muscheln. Einige Baobabs und ein islamisch-christlich-gemischter Friedhof.  „Nous sommes ensemble“ geben mir die Leute zu verstehen. Auf der Insel Fadiout eine Moschee und eine Kirche. Mit Kirchturm. Und das in einem Land, in dem sich über 90 % der Bevölkerung zum Islam bekennen. Ob es bauliche Beschränkungen gibt, konnte ich nicht in Erfahrung bringen.

Der Islam hat in Senegal eine ganz eigene Ausprägung und ist durch Brüderschaften gekennzeichnet.  Am weitesten verbreitet ist die Muridiyya Sufi-Bruderschaft, deren Mitglieder die Muriden, just in der Woche, als ich Dakar verlasse, anlässlich des Magal nach Touba pilgern. Der Gründer dieser Brüderschaft, der hoch verehrte Ahmadou Bamba Mbacké liegt dort begraben. Die Muriden  haben einen grossen Einfluss auf Wirtschaft und Politik und beherrschen beispielsweise das Transportwesen. Ein Zweig der Muriden sind die Baye Fall, eher eine Lebensform der Wolof als eine Religion. Deren Anhänger sind an den Rastas und den bunten Hosen erkennbar. Bei einem solchen Baye Fall kann ich im Dorf Samba Dia übernachten. Die Ethnie der Wolof stellt in Senegal die Mehrheit dar. Ihre Sprache, ebenfalls das Wolof, wird heute praktisch von allen Volksgruppen gesprochen. Mit der Zeit wird die Angelegenheit unübersichtlich. Da gibt es noch die Toucouleur, die Pulaar reden, und die Fulbe, die Serer, die Mandinké, in der Casamance die Diola.

Unterwegs ist es mir nicht langweilig. Grosse Plakate mit einer lachenden Kleinfamilie und der Aufschrift „espacer les naissances“ ermahnen an das heikle Thema der Familienplanung. Buschfeuer werden gelöscht. Aasgeier kreisen um einen toten Esel. Ein Senegalese hält an, verscheucht die Vögel  und sammelt die Erde, auf denen sie soeben rumgetrampelt sind. Wozu er das tue, frage ich ihn. Mit der Hilfe eines Marabouts verhelfe die Erde zu einem Zauber: so soll bei einem Totschlag der Täter für die Polizei unsichtbar sein. Oder die Erde soll, ausgestreut vor einem Laden, dazu verhelfen, möglichst viele Kunden anzulocken. Auch diese animistischen Züge gehören zum senegalesischen Islam.

Ich fahre zum Siné-Saloum-Delta, fahre durch beeindruckende Palmen- und Baobabwälder, am angeblich grössten Baobab Senegals mit einem Umfang von 32 Metern vorbei. Früher wurden im Baobab die Gebeine der Geschichtenerzähler, der Griots aufbewahrt. Heute hausen Fledermäuse darin, ab und zu gestört durch neugierige Touristen. Mit einer „courrier“-Piroge setze ich auf die kleine Insel Djirnda über. Es ist heiss, die Fahrt dauert zweieinhalb Stunden, entlang an Mangrovenwälder. Ein Paradies für einheimische Tiere und Zugvögel.

Auf der Insel Djirnda steigen keine Touristen ab, ich bin der einzige Weisse und falle entsprechend auf. Dennoch sind die Senegalesen nie aufdringlich. Die Insel liegt inmitten von Mangrovenwäldern, in einiger Entfernung liegt der Friedhof idyllisch inmitten einer Gruppe Baobabs. Ich werde auf der Anlegestelle vom jungen Bijaram empfangen, der Bruder des Senegalesen Madumaj, den ich kurz vor der Abreise kennengelernt habe. „Mach dir keine Sorgen, ich ruf meine Mutter an, du kannst bei ihr schlafen.“  Ein Zimmer ist für mich liebevoll hergerichtet worden, Nachtessen wird mir zubereitet. Vorher will aber die Tradition, dass wir beim Dorfchef vorsprechen, der über meinen Besuch sehr erfreut ist. Sie geben mit zu verstehen, dass ich zu ihnen gehöre. Ich bin beeindruckt. Die Dorfjugend hat sich derweil eingefunden, um den Nachwuchs der Kämpfer des Nationalsports „Lutte“ anzufeuern.

Nach dem Morgenessen begleitet mich die ganze Familie zur „embarcadère“ und verabschiedet mich, als sei ich ein Verwandter. Die Reise geht weiter, zunächst mit der Piroge, danach wieder mit dem Drahtesel. An der senegalisch-gambischen Grenze treffe ich auf ein sehr sympathisches deutsches Radlerpaar, Julianne und Moritz. Wir setzen mit der Fähre auf Banjul, der Hauptstadt von Gambia, über. Ich trenne mich aber sogleich von Ihnen, da ich bei einer Couchsurferin, bzw. deren Kollegin Sue, eine Engländerin im Ruhestand, im Touristenzentrum Kololi drei Nächte bleiben darf. Thanks Sue ! In Gambia, dem kleinsten Staat  Afrikas, wird Englisch gesprochen. Nice, nice ! The Gambia ist langgezogen, 10 bis 50 Kilometer breit und ganz umschlossen von Senegal.

Ich fahre in den südlichen Teil von Senegal, in die Casamance rein. Bis zum Fischerdorf Kafountine.  Dort sind die zahlreichen Öfen, in denen Fische geräuchert werden, am dicken Rauch leicht auszumachen. Schon nach wenigen Minuten brennt der Rauch unerbittlich in den Augen und ich muss in eine „épicerie“ flüchten, um mir Papiertücher zu kaufen. Ich frage mich, wie die Menschen, die allermeisten stammen aus Guinea-Conakry, ihre Arbeit tagtäglich in diesem Qualm ohne jeglichen Schutz zu verrichten imstande sind. Ich laufe fast drei Stunden durch die unwirkliche Szenerie aus Rauch und Licht.

Von Kafountine nehme ich ein Grand Taxi, um schnellstmöglich nach Ziguinchor zu gelangen. Die hundert Kilometer sind durch Militärpräsenz hinreichend gesichert. Allerdings gibt es sporadisch nördlich dieser Strecke im Landesinnern einzelne Schusswechsel zwischen Rebellen und Militär. In Ziguinchor richte ich mich im Camping Casamance ein, der von einem französisch-senegalischen Paar geführt wird. Eine Zweitagestour mit wenig Gepäck führt mich in die Basse Casamance, bereits sehr grün und dichtbewachsen. Zu den Baobabs gesellen sich nun eindrückliche riesige Kapokbäume. Unterwegs besuche ich eine Krokodilfarm. Verschwitzt komme ich in Elinkine an und schaffe es gerade noch auf die Piroge, die zur einsamen Insel von Karabane fährt. Unterwegs verschnupfe ich mich wohl und verordne mir daher zwei Tage Genesung im Camping, auf dem eine familiäre Stimmung herrscht.

Im Camping haben sich Guy und Isabelle mit ihren zwei Zwillingspaaren und ihrem Truck eingerichtet. Das belgische Paar hat jahrelang im Kongo gelebt und muss nun den Papierkram erledigen, um auf den Grimaldi-Frachter nach Angola mitgenommen werden zu können. Cees und Marjan aus den Niederlanden hingegen, mit einem 16-Tönner unterwegs (der pro Liter gerade drei Kilometer schafft…), sind ebenfalls schon seit einiger Zeit hier auf dem Camping. Cees hat fünf Jahre im Sudan gelebt und vertreibt sich die Zeit damit, eine Baumhütte zu konstruieren.