Burkina Faso

Vorhang auf für die Tour du Faso !

Endlich Zeit und Raum für eine erneute Berichterstattung, diesmal aus Burkina Faso und Benin, in denen ich meine persönliche burkinisch-beninische Rundfahrt  absolviert habe. Und an der ich mich während den letzten Wochen ein klein bisschen wie ein Tour-Star vorgekommen bin.

Burkina Faso. Bis 1984, als Thomas Sankara das Land in Burkina Faso – das Land der Aufrichtigen – taufen liess, hiess das Land Obervolta. Zwar eines der ärmsten Länder der Welt – ein Binnenland praktisch ohne Rohstoffe – dafür weist es einen unglaublichen Reichtum an Sprachen auf. Über 60 einheimische Sprachen werden in diesem Land gesprochen; praktisch alle paar Tage wechsle ich Sprachgebiet. Teilweise werden in benachbarten Dörfern, die einen Steinwurf entfernt sind, ganz unterschiedliche Sprachen gesprochen. Im Unterschied dazu herrscht in der Schweiz geradezu eine Sprachenarmut.

Das flache Land – zumeist Savannenlandschaft – weist im ersten Augenblick aus Sicht des Reisenden nicht allzu viele Sehenswürdigkeiten auf. Und dennoch ist es bei Touristen sehr beliebt: die Leute sind gastfreundlich, warmherzig. Trotz Armut sprüht das Land einen gewissen Optimismus aus und ist stolz auf sein Filmfestival FESPACO (Festival Panafricain du Cinéma). Wohl Afrikas wichtigster Filmevent, von internationalem Rang. Kein Wunder haben die Burkiner in Sachen Film in Westafrika die Nase vorne. Und worauf sie noch stolzer sind: auf die Tour du Faso, die grösste Radsportveranstaltung in Afrika. Seit über 25 Jahren wird sie mittlerweile abgehalten, für afrikanische Verhältnisse erstaunlich gut organisiert. Der Staat lässt sich diese Traditionsveranstaltung mehr als eine halbe Million Euro kosten. Das Velo ist sowohl im Volk wie auch als Sport gut verankert. Im Vergleich zu anderen Ländern ist die Dichte an Fahrrädern einiges grösser. Nicht zuletzt, weil ein Velo einiges erschwinglicher ist als ein Auto.

In Burkina Faso fahre ich zunächst im Südwesten durch eine Tafellandschaft aus Sandstein. Malerische Pisten, umzäunt von langgezogenen Baumalleen, wohl noch unter den Franzosen gepflanzt. In Banfora komme ich bei Mark und Caroline, einem englisch-burkinischem Paar, unter. Der Kontakt ist mir durch Missionare im Senegal vermittelt worden. Da Telefonieren in Afrika zwar billig ist – in jedem Land kaufe ich mir eine SIM-Karte – das Roaming aber selten funktioniert, kann ich Mark  und Caroline erst in Burkina Faso kontaktieren. Nichtsdestotrotz empfangen sie mich abends, einige Stunden später, sehr herzlich, mit offenen Armen, bereiten mir köstliche Spaghetti an Bolognese-Sauce zu. Mark weiss, was Radler mögen. Er selber hat vor über 20 Jahren auch Velotouren unternommen. Unter anderem auch in der Schweiz. Der Sustenpass ist ihm dabei in guter Erinnerung geblieben, musste er doch erschöpft auf der Passhöhe zelten. Jetzt lernt er die Sprache des Volkes der Peul, auch Fulbe genannt – Rinderzüchter und erkennbar an den Tätowierungen im Gesicht – um ihnen hier die Bibel näherbringen zu können. Glückerfüllt verlasse ich Mark und Caroline am nächsten Morgen. Anité !

In Bobo-Dioulasso gönne ich mir dann vier Ruhetage. Bobo ist mit 350‘000 Einwohnern Burkina’s zweitgrösste Stadt. Das Leben hier spielt sich gemächlicher und relaxter ab als in der Hauptstadt  Ouagadougou, im Volksmund Ouga genannt. Dank guter Gesellschaft in der zentral gelegenen Auberge „Le Cocotier“ – Achim, ein deutscher globetrottender Beamter und Jeremie, ein in Toulouse lebender Engländer und Buchhändler, geniesse ich die Zeit, schaue mir die alte Moschee und das alte Handwerkerviertel an. Und kann endlich wieder einmal ein Konzert, wiederum im Centre Culturel Français, geniessen. Diese französischen Kulturzentren in allen grossen Städten der frankophonen westafrikanischen Länder sind jeweils angenehme Rückzugsorte, um in einer lauschigen Atmosphäre ein kühles Bier – sei es eine Gazelle, ein Brakina oder eine  Béninoise – zu geniessen, Zeitungen zu lesen oder eben Konzerte, Theaterstücke oder Filme anzuhören bzw. anzuschauen.

Wieder unterwegs Richtung Ougadougou. Ich nehme einen wenig befahrenen Umweg südlich der Hauptachse, schlafe wieder in Dörfern bei den Chefs de village. Einmal in einem Maquis, für 1‘000 CFA bekomme ich ein betoniertes Zimmer. Keine zwei Minuten halte ich es dort drin aus, nicht wegen den Kakerlaken, sondern wegen der saunamässigen Hitze.  Wegen eines Regenschauers vor einigen Tagen ist die Luftfeuchtigkeit stark gestiegen. Ich bekomme einen Vorgeschmack auf das äquatoriale Klima. Das Zelt wird also draussen aufgestellt, dennoch fange ich beim Kochen wieder an zu Schwitzen.

Leider reicht die Zeit nicht, um in den Nazinga Game Park im Süden an der Grenze zu Ghana zu fahren, wo über 800 Elefanten leben und es praktisch ausgeschlossen sein soll, nicht auf einen solchen Riesen zu stossen. Hier darf man ganz offiziell die 35 Kilometer bis zum Camp mit dem Velo befahren. Macht nichts, dafür gibt es zahlreiche Begegnungen mit Velofahrerinnen. Und dem Radler Jeremie, 36 Jahre alt, den ich kurz nach Léo treffe. Das kleine klapprige Damenrad will nicht recht zu seiner hünenhaften Statur passen.  Jeden Tag fährt der Religionslehrer die 20 Kilometer von Yallé nach Léo, und zurück. Für 1000 CFA, umgerechnet zwei Franken. Nicht wie manche andere sieht er in mir zuerst den weissen Reichen, sondern „quelqu’un qui souffre beaucoup sur le vélo“. Wir fahren die letzten 15 Kilometer zu seinem Dorf, wo gerade eine vorösterliche Prozession abgehalten wird. Wir gesellen uns dazu, er hält anschliessend das Kreuz und führt es in die einfache Kirche aus Lehm. Die Dorfgemeinde ist sehr geehrt und erfreut über den spontanen Besuch. Noch nie hat ein Weisser an dieser Prozession teilgenommen. Die Kirchvertreter und ich üben uns anschliessend in der „causerie“ und plaudern über die Unterschiede zwischen Europa und Afrika. Ich stelle dann mein Zelt auf vor dem Haus von Jeremie, seiner Ehefrau Helena und den Kindern Isidor, Wilfried, Pascaline und Raoul. Wir melden dies pflichtbewusst beim „conseiller de la commune“  an. Dieser sitzt auf einer Bank, in sich zusammengesunken, breitbeinig, spielt mit einer Steinschleuder und ist nicht fähig, aufzustehen und mir anständig die Hand zu reichen. Und macht keinen Hehl aus seiner Geringschätzung für Leute, die sich noch nicht einmal ein Moped leisten können oder “qui s’emmèrdent sur le vélo“. Am nächsten Morgen schenkt mir Jeremie ein kleines fluoreszierendes Plastik-Kreuz, Made in Italy, mehr habe er nicht, er schenke es mir aber von Herzen, meint er.

In Ougadougou werde ich von Pierluigi, Direktor von Helvetas Burkina Faso, fürstlich bzw. wie ein Tourstar empfangen. Er organisiert mir ein Zimmer in einem von einer italienischen Mamma, Giuliana, und ihrem Sohn Andrea, geführten Bed+Breakfast. Und ein Treffen mit den „étalons“, den Fahrern der burkinischen Rad-Mannschaft. Diese sind soeben siegreich aus der Tour de CEDEAO zurückgekehrt, die von Lagos über Cotonou und Lomé nach Abidjan führt. Da die Burkiner offenbar besser in die Pedale treten als einen Ball treten können,  an der Coupe d’Afrique des Nations alle Spiele verloren haben und früh ausgeschieden sind, hat der Sportminister das unverbrauchte Budget umverteilt und der Radmannschaft neue Karbonräder gespendet.

Pierluigi nimmt die Gelegenheit beim Schopf und nutzt meine Anwesenheit, um eine Kurz-Reportage über ein Projekt im Osten Burkina’s drehen zu lassen. Südlich von Fada N’Gourma erwartet mich dann schon die Gemeinde Nagre. Am nächsten Morgen in der Früh erscheint dann das Kamerateam und das Helvetas-Team. Die Dreharbeiten, um die erfolgreich realisierten Projekte „Pistes rurales“ zu veranschaulichen, können beginnen. Diese „pistes rurales“, ländliche Pisten, binden die weit auseinander liegenden Gemeinden durch eine erosionsresistente Piste, die mit Steinen und Laterit aus der Umgebung gebaut wurden. Anstatt eines Bulldozer wird hier beim Bau Hand angelegt. Die lokale Bevölkerung ist mitbeteiligt, verdient und lernt etwas dazu. Die Gemeinden lernen sich untereinander besser kennen, die Zufahrtswege zum regionalen Markt wird stark verbessert. Mit dem verdienten Geld kann man sich zum Beispiel ein Velo kaufen. Das Rad schliesst sich. Die ganze Wirtschaft wird etwas angekurbelt. Zudem ist beim Bau der Projekte kein einziger Baum gefällt worden. Die Piste schlängelt sich um die Savannenlandschaft und die stämmigen Baobabs. Insgesamt also ein vorbildliches Projekt !

 

Der Harmattan-Wind bläst übrigens die ganze Zeit, von Nordosten her kommend, Staub und Sand. Einen blauen Himmel wie bei uns habe ich schon seit Monaten nicht mehr gesehen. Es fühlt sich an, als hielte mir jemand stets einen heissen Fön vor die Nase und ein anderer von hinten mit einer Schnur zöge. Die Durchschnittsgeschwindigkeiten sind nicht sonderlich hoch. Eine Hassliebe dieser Harmattan. Immerhin lässt das Lüftchen den Schweiss verdunsten. Während zweier Stunden muss ich mich aber jeweils während der Mittagshitze im Schatten flüchten, die Temperaturen sind um die 40 Grad.

Das Leben versüssen mir dafür die Früchte: Papayas, Orangen, Avocados und vor allem Mangos. Einfach göttlich. Weniger göttlich ist es allerdings, diese Frucht zu verspeisen. „There is no sexy way to eat Mangos“, meint ein Peace Corps Volunteer.  Um klebrige Hände kommt man nicht darum herum.  Die Leute sind insbesondere in Burkina sehr freundlich, winken mir oft zu, ich werde freundlich begrüsst und in Dörfern aufgenommen. Dennoch wecken afrikanische Sonderheiten auch Ärger, Kopfschütteln und Unverständnis in mir. Zum Beispiel etwa das chronisch fehlende Wechselgeld. „Y a pas de monnaie“  heisst es fast reflexartig. Man muss sich nicht wundern, wenn man auf  wird.  Und man muss sich nicht wundern, wenn man eine 500 CFA Cola mit einer 2‘000 CFA-Note bezahlt, nur 1‘000 CFA zurückbekommt und die Bedienung im „Maquis“  die Zauberworte von sich gibt, danach absitzt und ungeniert anfängt zu essen.

Verpflegungsstände gibt es an Strassenkreuzungen, an den „péages“, Stationen für Mautgebühren. In Burkina sind diese zwar leer, den fliegenden Händlerinnen bieten sie aber eine Verkaufsmöglichkeit: meist gekühltes Wasser in den Sachets, wie sie hier in Westafrika überall zu kaufen gibt. Das Angebot ist jeweils sehr lokal gefärbt, von Ort zu Ort verschieden: mal gibt es – herrlich – getrocknete Mangos und Cashewnüsse, dann nur noch getrocknetes Hammelfleisch, später nur Zitronen und selten Buschratte, plötzlich nur noch „gâteaus“. Dann Mangos zum Abwinken. Man nimmt – nicht immer – was man bekommt.

Den Frauen in Westafrika –und wohl in ganz Afrika wird am 8. März ein grosser Kranz, in Burkina ein Zahnkranz, gewunden. Beziehungsweise man nutzt die Gelegenheit, um die Garderobe aufzufrischen. Denn ein guter Teil der Bevölkerung trägt Kleider aus dem eigens für diesen Anlass hergestellten Tuch mit entsprechendem Logo, der überall mit Reden und Ständen gefeiert wird. Die Frauen haben hier eine schwere Last zu tragen: Kinder hinten eingepackt in Tücher und auf dem Kopf balancieren sie entweder 20 bis 30 Liter Wasser, Holz oder Töpfe oder Küchenmaterial. Und im Schatten liegende, vor sich hindösende Männer. Sicher ein etwas klischeehaftes Bild, das ich hier abliefere, aber halt aus dem Blickwinkel des Velofahrers oft zu beobachten.

Immerhin scheint es mir, ist die Emanzipation in Burkina ein klein wenig weiter fortgeschritten als in den Nachbarländern. Denn nirgendswo sieht man so viele Frauen auf Velos, zwar immer noch beladen mitsamt Nachwuchs im Rücken. Aber sicher weniger anstrengend als kilometerweit mit riesigen Schalen auf dem Kopf herumbalancierend herumzulaufen. In Benin hingegen sind teils die Brunnen mit zwei Meter hohen Wasserhähnen versehen, die wie Duschhähne aussehen. Clever: damit die Frauen, ohne die Schale vom Kopf zu nehmen, diese mit Wasser befüllen können !

Nur zwei Tagesetappen von Ngare entfernt stehen dann in der Region Atakora, nun bereits im Norden von Benin, die nächsten Projektbesuche an. Während drei Tagen absolvieren die Helvetas-Crew, Mitarbeiter der lokalen Nichtregierungsorganisation ERAD und ich etliche Besuche von Projekten, schütteln zahlreichen Maires, Chefs de Villages und Schuldirektoren die Hand, bedanken und erklären uns mit Hilfe von Megafonen, tauchen in die Menge von im Chor singenden Schulkindern. Jeweils begleitet von zwei Fernsehteams, lokalen Radios und einem Fotografen. Der Empfang, der unserer Delegation bereitet wird, ist überwältigend, berührend. Ein paar Mal kriege ich Gänsehaut. Musikanten, Volkstänze, Schulbands, Hunderte von Kinder, die „Monsieur Morissìo“ im Chor begrüssen .

Und natürlich kann ich dann auch endlich am 19. März – im Namen aller Spenderinnen und Spender – dem Maire der Gemeinde Matéri den Check im Betrage von CHF 7‘422.— überreichen. Mindestens CHF 6‘000.— wären nötig gewesen, um den baufälligen, mit Abfall gefüllten Wasserschacht in einen Brunnen mit Fusspumpe zu renovieren. Herzlichen Dank an alle Spender und die ganze Helvetas-Belegschaft, die mich in Benin freundlich empfangen hat ! Und weil die Projektbesuche aufschlussreich waren, werde ich im Menü “Helvetas” noch separat darüber berichten.

Weiter geht es. Richtung Süden. In den nächsten Tagen darf ich dann Bekanntschaft mit dem subäquatorialen Klima machen. Lange verdrängt, aber unvermeidlich bei einer Afrikadurchquerung. Innert ein, zwei Tagen steigt die Luftfeuchtigkeit drastisch an. Von der Savannenlandschaft geht es in eine grüne, dichtbewachsene Vegetation. Vom heissen Fön in den Dampfkochtopf. Ich leide in den ersten Tagen und werde mich noch an das feucht-heisse Klima gewöhnen müssen. Ich erinnere mich an die Worte von Ben, dem australischen Radler, der mir in der Westsahara begegnet ist: „Everything is just sticky“. Alles klebt, die Kleider sind feucht . Jegliche Tätigkeit – ausser unter einem Ventilator zu liegen  – öffnet die Schweissporen. Der von Süden wehende Wind zwingt mich zu meinem Ärger noch stärker in die Pedale zu treten. Mit der Folge, dass ich dann vollends durchnässt bin und bei der nächsten Gelegenheit fast zwei Liter kühles Wasser auf einmal runterschlucke.


In Abomey schaue ich mir die UNESCO-gechützten Paläste des Dan-Homeys Königreiches an. Endlich in Cotonou angekommen. 30 Kilometer vorher in Porto Novo, der Hauptstadt von Benin. Grosstadtverkehr. Ein Teppich von Zem – Zemidjans. Taxi-Töffahrer mit gelben Hemden als Ersatz für öffentlichen Transport. Ich treffe mich Daniel, Direktor von Helvetas Benin, er lädt mich zu sich nach Hause zu einem feinen Essen ein. Ich habe ihn kurz im Norden in Natitingou getroffen. Abends fahren wir zusammen zum Flughafen. Er und seine Ehefrau steigen in den Flieger, mit dem meine Freundin Mélanie – zusammen mit einem 20 Kilogramm schweren Fress- und Ersatzteilekoffer – mit etwas Verzögerung aus Paris ankommt. Frohe Ostern !

Die richtige Tour du Faso führt über 10 Etappen und 1‘298 Kilometer und endet am letzten Oktobesonntag auf der Avenue de l’Indépendence in Ougadougou. 2011 war ein deutsches Team, begleitet von einer TV-Produktionsfirma, dabei. Diesen Sommer soll im Kino ein Dokumentarfilm erscheinen. Dann heisst es: Vorhang auf !