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Frühlingshaftes Westanatolien

Die Fahrt raus aus der Megalopolis Istanbul ist wegen des unglaublichen Verkehrs sehr anstrengend. Den Bosporus überquere ich mit einer Faehre und versuche schon gar nicht, über die neue Autobahnbrücke den Kontinent zu wechseln. Nach 50 Kilometern herrscht immer noch reger Verkehr. In Gebze nehme ich daher nochmals eine Faehre über das Marmara-Meer, fahre noch ein kurzes Stück der Küste entlang und nehme gleich eine erste Anhoehe in Angriff. Diese ist derart steil, dass ich nicht umhin komme, das Velo teilweise zu schieben. Saftig grüne Wiesen mit Obstbaeumen wechseln sich mit dichten Laubwaeldern ab. In dieser Hügellandschaft waehnt man sich bald im Jura, bald in den Pyrenaeen. Die Baeume stehen in voller Bluete und die Pollen fliegen mir um die Nase. ‘Wie schrecklich’, werden sich heuschnupfengeplagte Leute wie ich denken ! Nach einer nicht enden wollenden Niesattacke muss ich zur Chemiekeule greifen, wonach es mir bald etwas besser geht. An einem kuehlen Bach finde ich ein einladendes Plaetzchen, um mein Zelt aufzustellen. Eine heftige Sturmboe reisst dem Zelt drei Heringe aus dem Boden und schleudert sie in das Bachbett nebenan. Mit grossen Steinen beschwere ich die Heringe zusaetzlich.


Ich muss erst am 19. April wieder in Ankara sein, um hoffentlich am darauffolgenden Tag mein Turkmenistan-Visum abzuholen. Ich habe es daher nicht eilig, schaue weniger auf den Kilometerzaehler, lasse die Begegnungen auf mich zukommen und geniesse die warme Fruehlingssonne. In der kleinen Ortschaft Kizderbent, kaum 90 Kilometer von Istanbul entfernt, fahre ich an einer Teppichweberei vorbei. Ich halte natuerlich an, um den flinken Haenden der zahlreichen Damen bei der Arbeit zuzusehen. Beim Anblick eines Tourenfahrers in kurzen Veloshorts sind diese aus dem Haeuschen und rasch aus der Arbeitsstube. Die Chefin ruft sie vergebens zur Vernunft auf. Ich und mein Stahlross werden umzingelt und begutachtet. Die Vorlauteste wagt sich sogar auf mein Velo. ‘Berlusconi Kizderbent’, sprich der Bürgermeister, kommt vorbei und laesst sich ebenfalls von mir ablichten. Hundert Meter weiter werde ich zum Tee eingeladen.


Bei sonnigem Wetter fuehrt meine Fahrt weiter zum Iznik Goelü (See), der von endlosen Olivenhainen umsauent ist. In Iznik quartiere ich mich bei der Pension Kaynarca des leich exzentrischen aber sehr freundlichen Ali Bulmus ein. Eine solche Pension wünscht man sich in jeder Ortschaft: zentral, guenstig, sauber, Küche zur freien Benützung, Terrasse mit herrlicher Aussicht und Internet-Cafe nebenan. Ali lichtet alle seine Gaeste ab und auf seiner Webseite solltet Ihr mich daher finden. Nach Inegoel gilt es eine Steigung von rund 800 Hoehenmetern zu bezwingen. Die Strasse schlaengelt sich durch einen wunderschoenen Laubwald. Und wieder entdecke ich eine Schildkroete, die ich in aller Ruhe fotografieren kann.

Auf der Passhoehe in Nazifpasa schiesse ich zunaechst ein ‘Gipfel’-Bild. Kurz darauf naehert sich Salih Aksehir und stellt sich als Imam der 30-Familien-Gemeinde vor. Er hat eine Freude an den wenigen Touristen, die sich in diese Gegend verirren: ‘No Antalya-Tourist, Kültür-Tourist’. Andere Tourenfahrer aus Frankreich und Belgien seien ebenfalls hier durchgefahren. Ich frage ihn, ob ich die Moschee sehen koenne. Er willigt sofort ein und in Begleitung einer Kinderschar zeigt er mir die Moschee, setzt den Imam-Hut auf, singt mir ein paar Verse aus dem Koran vor, erklaert mir die Wappen mit den arabischen Insignien und schenkt mir sichtlich gerührt zum Abschied eine Tesbiah, einen Rosenkranz. In der waldreichen Landschaft, die mich stark an das Baselbieter Jura erinnert, macht das Zelten Spass.

In der modernen Stadt Eskisehir goenne ich mir nach drei Tagen im Zelt ein Hotelzimmer. In einem Hamam lasse ich mich gruendlich schrubben und einseifen. Als ich Eskisehir verlasse, faellt mir ein aelterer, armseliger Herr auf, der am Strassenrand den Abfall durchstoebert und Saecke damit fuellt. Es nimmt mich wunder, was er tut. Der braungebrannte und untersetzte Mann klaert mich auf: Aluminiumdosen sammle er fuer die ‘fabrika’. Für ein Kilogramm erhalte er eine türkische Lira (umgerechnet rund einen Franken). Pro Tag schaffe er fünf Kilogramm. Für ein Kilogramm muesse er 150 Dosen sammeln. Er zuckt mit der Schulter und sagt ‘Türkyie’, als wolle er mir zu verstehen geben, dass dies auch ein Teil der Türkei sei. Noch lange richte ich den Blick auf den Strassengraben, zaehle die Aludosen und rechne aus, wieviel der arme Mann dafuer erhaelt.

Die Landschaft wird flach, eintoenig und baumlos. Dementsprechend schwieriger gestaltet sich die Suche nach einem sichtgeschützten Zeltplatz. Der Brunnen des 70-jaehrigen Hassan kurz vor Kaymaz kommt da gerade richtig. Inmitten eines Kiefernhaines hat er eine richtige Oase fuer Durchreisende eingerichtet: WC, Esstisch, Liege- und Gebetsmatten. Alles liebevoll dekoriert. Spruchbaender und tuerkische Flaggen. Nach einer Runde auf dem vom Esel gezogenen Karren kann ich mein Zelt aufstellen. Am naechsten Tag komme ich nicht viel weiter. Ich will in Kaymaz meine Vorraete auffuellen und lande beim pittoresken Pazar. Hier kann ich endlich ein paar Schwarzweiss-Filme belichten. Im Unterschied zu den Herren, die sich gerne fotografieren lassen, muss ich bei den Frauen, die alle weisse Kopftuecher tragen, etwas vorsichtiger sein.

Wenige Kilometer spaeter mache ich einen Abstecher zu einer Felsformation, die mir bereits am Vorabend von weitem aufgefallen ist. Wieder einmal sichte ich – diesmal inmitten der Geroellhalde – eine Schildkroete. In Karakaya, der Ortschaft nebenan, werde ich von einem Auto angehalten. Ercan und sein Vater laden mich zu sich nach Hause zum Tee ein. Zum Abschied werde ich mit feinem Fladenbrot, hausgemachtem, frischem Schafskaese, Tomaten und Gurken beschenkt ! Meine Packtaschen sind prall gefuellt. Um drei Uhr, gerade mal 15 Tageskilometer in den Beinen, verlasse ich die Familie von Ercan. Dank Rueckenwind und flacher Topographie schaffe ich es bis zum Abend noch auf 75 Kilometer.

Am naechsten Tag laeufts nicht durchwegs rund: zunaechst haelt mich ein Plattfuss auf. Weiter nicht schlimm. Als ich den Platten repariert, alles eingepackt und mir die Haende gewaschen habe, bemerke ich am Vorderrad ebenfalls einen Platten. Was fuer ein Pech ! Mein Zeitplan geraet ins Wanken und ich treffe in Ankara erst um 21 Uhr ein. Am naechsten Tag, dem 20. April, kann ich endlich mein Visum bei der turkmenischen Botschaft in Empfang nehmen. Die Einladung des turkmenischen Aussenministeriums liegt vor. Nicht so das Paecklein mit Ersatzteilen, das mir Lola vor einigen Wochen an die Adresse von Turan geschickt hat. Im Hinblick darauf, dass Ruth am 23. April in Kayseri einfliegen wird, mache ich mich gleich wieder auf den Weg. Zunaechst muessen aber Seda und ich den kleinen Deniz Bora beruhigen: er will, dass mein Velo auf dem Balkon bleibt und faengt an zu heulen, als ich gehen will.

Ich fahre dem Tuz Goelü (Salzsee) entlang und lasse es mir nicht nehmen, auf der Salzkruste herumzulaufen. Die Strasse ist relativ stark befahren: sie fuehrt nach Kappadokien und runter bis nach Adana. Die Lastwagenfahrer, die ein aehnliches Schicksal wie ich teilen, auf und neben der Strasse tage- und wochenlang leben, laden mich des Oefteren zum Tee ein. Ein weiterer hat Erbarmen mit mir, haelt vor mir an und schlaegt mir vor, das Velo aufzuladen. Ein bloeder Taxifahrer macht sich einen Spass daraus, mich bei hoher Geschwindigkeit moeglichst nahe zu überholen und mir einen Schrecken einzujagen. Ich bin noch daran, ihm alle wüsten Verwünschungen auf den Weg zu geben, als das Hinterrad einen beunruhigenden Laut von sich gibt: ‘Pffft.’ Wieder ein Platten ! Langsam bin ich geübt und in etwas mehr als dreissig Minuten kann es weitergehen (den Pneu ziehe ich jeweils ohne Pneuheber auf: Danke fuer den Trick, Kilian!). Ein Lastwagenfahrer bietet mir wieder seine Hilfe an und fragt etliche Male nach, ob ich nicht doch lieber mit dem Laster mitfahren moechte.

Kurz vor Aksaray zieht ein Gewitter auf. Beim Otogar (Busbahnhof) erkundige ich mich nach den Busverbindungen zwischen Kayseri und Aksaray, suche ein nettes Hotelzimmer aus und begebe mich nach dem Abendessen zum Otogar, wo Ruth um Mitternacht eintrifft. Finalmente !


Sonnenfinsternis über Mondlandschaft

Die letzte ‘Sofi’ im 1999 war in der Region von Basel nicht sonderlich eindrücklich. Die anstehende totale Sonnenfinsternis über Kappadokien will ich mir auf keinen Fall entgehen lassen. Zudem kommt sie mir deswegen gelegen, weil der Weg dahin über Ankara führt, wo ich meine Visas werde beantragen müssen.

Ich stelle also mein Gefaehrt in der Apotheke von Isik, welche von der betagten Katze Vicks überwacht wird, ab. Mit dem Nachtbus fahre ich nach Kappadokien in Zentralanatolien. In Göreme habe ich mıt Rod Oliver (Link), einem in Amsterdam lebenden 37-jaehrigen Neuseelaender abgemacht. Ich habe Rod über das Internet kennengelernt und seit letzten Oktober stehen wir in Kontakt. Er hat eine ganz aehnliche Route wie ich gewaehlt, wobei er nach Istanbul geflogen ist. Rod befürchtet, dass Göreme ausgebucht sein könnte. Mit Hilfe von Isik und Sezer kann ich für die Nacht vom 28.3. ein Zimmer für Rod und mir in einer netten, aber etwas überteuerten Pension buchen.

Göreme ist bekannt für die aus dem weichen Tuffstein herausgehauenen Höhlenkirchen. Die Landschaft um Göreme besteht aus zahlreichen verschlungenen und engen Taelern, die von bizarren Gesteinsformationen umgeben sind. Das ‘Love Valley’ etwa besteht aus riesengrossen kerzenförmigen Steinblöcken. Im weissen Gestein verstecken sich etliche Höhlenwohnungen und Kirchen. Bei Sonnenschein wandern Caoilte (ausgesprochen Kilter), ein irischer Backpacker und ich stundenlang durch diese Taeler, in denen Pappeln wachsen, Baeche Kühle spenden und die Aprikosenbaeume in voller Blüte stehen. Gegen Abend erklimmen wir dann einen beliebten Aussichtspunkt, wo uns nach dem kitschigen Sonnenuntergang ein Quartett von Italienern die 7 Km nach Göreme mitfahren laesst.

In der Zwischenzeit ist Rod in der Pension eingetroffen. Wir verstehen uns bestens und plaudern bis ein Uhr morgens über unsere bisherigen Reiseerlebnisse. Wir haben die grandiose Idee, den Sonnenaufgang zu fotografieren und stellen den Wecker auf fünf Uhr. Als wir aufwachen, bemerken wir (leider zu früh) dass es noch stockdunkel ist. Noch gut Dreiviertel Stunden haetten wir laenger schlafen können ! Was soll’s, das Wetter koennte nicht besser sein. Keine Wolke in Sicht.

Rod und ich wechseln nach der ergiebigen Fotosession zunaechst zum ‘Traveller’, einem coolen und günstigen Dormitory in einer Tuffsteinhöhle. Caoilte stösst zu uns und wir debattieren lange, von welchem Punkt wir die Sonnenfinsternis erleben möchten. Mit Hilfe des Kompasses machen wir Südwesten aus, von wo der Mondschatten nahen wird. Schlussendlich nehmen wir ein Taxi und suchen den vom Vortag bekannten Sunset-Point aus. Dort herrscht bereits Jahrmarkt-Stimmung: Riesenplakate, Fernseh-Teams, Heissluftballone, ein Turkish-Viagra-Stand (gedoerrte Aprikosen …). Wir begeben uns auf ein etwa dreihundert Meter höheres Plateau, das eine grandiose Vogelperspektive bietet. Etwa 80 Leute haben sich hier eingefunden. Die Stimmung ist ausgelassen. Einige hollaendische Eclipse-Chaser nehmen Messungen vor und wissen einige interessante Details zu berichten (der Kern-Schatten etwa naehert sich mit einer Geschwindigkeit von 800 Metern pro Sekunde; durchschnittlich alle eineinhalb Jahre gibt es eine Sofi). Eine Gruppe von jungen Türkinnen und Türken albert mit uns dreien lange herum.

Es wird merklich kühler und windiger (nach den Messungen der Hollaender 8 Grad kaelter). Das Licht ist einige Minuten vor der totalen Finsternis gedaempft und braeunlich. Zwei, drei Minuten vorher aendert dann die Helligkeit rasch, bis es dann etwa im Verlaufe von vier Sekunden ganz dunkel wird. Wow ! Endlich kann der Lichtring um die Sonne, die Corona, ohne Schutzbrille betrachtet werden. Die Schaulustigen schreien, rufen aus, singen im Chor. Ohh ! Ahhh ! Eine unwirkliche Lichtstimmung. Der Horizont ist orange verfaerbt, die Lichter der umliegenden Ortschaften kontrastieren zur dunklen Landschaft, der Himmel ist dunkelblau. Der Heissluftballon unten am Sunset-Point hat es wegen des Windes nicht in die Höhe geschafft und so wird die Flamme offen brennen gelassen. Dreieinhalb Minuten Staunen, bis dann der Schatten leider viel zu schnell verschwindet und das Spektakel zu Ende ist. Noch ganz benommen laufen wir eines der lauschigen Taeler runter, wo sich uns ein israelisches Paerchen anschliesst.


Türkiye ‘ye hoşgeldiniz !













Willkommen in der Türkei ! Endlich wieder ein Lebenszeichen von mir. In der Zwischenzeit habe ich einiges erlebt. Um es gleich vorweg zu nehmen: die Gastfreundlichkeit der Türken ist kaum zu überbieten und herzerfrischend. Es handelt sich nicht etwa um einen abgegriffenen Slogan aus einem Hochglanzkatalog, sondern ist gelebte Wirklichkeit. Wenn man an die himmeltraurigen Geschehnisse beim WM-Qualifikationsspiel Schweiz-Türkei denkt, erhaelt man leider ein ganz falsches Bild von den Türken. An dieses Spiel bin ich bis jetzt eher selten erinnert worden und wenn dann mit Humor. Keine Spur von Feindseligkeit. Dass die Türken aber fussballfanatisch sind, ist nicht abzustreiten. Oft werde ich gefragt :’Fenehrbace? Galatasaray?’ Ich antworte dann immer: ‘Besiktas’ (die dritte Mannschaft aus Istanbul). Die Gastfreundlichkeit ist auch in Restaurants zu spüren, die personell oft überbelegt zu sein scheinen. Selbst bei dreistündigen Busfahrten wird man bewirtet und etliche Male erhaelt man das erfrischende Limonyiasi, um Haende und Gesicht einzureiben.

Es ist unglaublich, wie oft ich bereits in den ersten drei Tagen zum Tee, zum Essen und sogar zur Übernachtung eingeladen worden bin. Je weniger touristisch der Ort, desto freundlicher und hilfsbereiter scheinen die Leute zu sein. Wo man hingegen an Touristen gewöhnt zu sein scheint, wird man oft gefragt ‘Where do you come from?’. Es gaebe unzaehlige kleine Episoden zum Erzaehlen.

Aber alles der Reihe nach. Beim Grenzübergang Griechenland zur Türkei erschrecke ich zunaechst kurz, als mich der Zöllner nach einem Visum fragt. Habe ich da etwas übersehen? Das Visum entpuppt sich als 20 Euro teures Kleberlein (allerdlngs mit ’15 Euro’ beschriftet), das im Gebaeude nebenan wie eine Packung Zigaretten zu kaufen ist. Noch bin ich aber nicht drüber. Ein anderer Zoellner spannt mich vorher noch als Italienisch-Englisch Dolmetscher ein. Ein Georgier aus Kalabrien, der mit seinem Lieferwagen Pakete für Landsleute transportiert, darf seine ganze Ladung auf dem Gehsteig ausbreiten. İch staune darüber, wie er die ganze Fracht in der Wagen verstauen konnte. Der Zöllner versucht ihm klarzumachen, dass die Fracht nur mit einer Speditionsfirma die Grenze passieren darf. Nach dieser Machtdemonstration laesst er ihn aber schliesslich durch.

Ich passiere den Grenzfluss, der aufgrund des Hochwassers eher einem See gleicht. Ein Militaer auf der Bruecke macht ein Foto von mir, waehrend ich kurz darauf einer Schildkröte über die Strasse helfe, damit sie nicht wie ihre plattgewalzte Begleiterin endet. In Malkara, wo ich den Hotelpreis von 30 auf 15 neuen türkischen Lira runterdrücke, mache ich Halt. Malkara übt auf Touristen Null Anziehungskraft an und so falle ich ziemlich auf. Beim Mini Market wird mir sofort ein Tee angeboten und der Nachbarsjunge Yasin herbeigerufen, der ein bisschen Englisch spricht. Yasin führt mich durch seine Stadt und laesst mich eine doppelte Portion der in dieser Gegend berühmten Köfte – grillierte Hackfleischröllchen – probieren, waehrend Fenehrbace Galatasaray 3:2 schlaegt. Ich werde sehr freundlich empfangen und meine Konsumation geht auf Kosten des Hauses. Man scheint erfreut zu sein, dass sich ein Velofahrer in diese etwas heruntergekommene Stadt verirrt hat.

Tekirdag Köfteçi bis zum Abwinken

Am naechsten Tag wird es um die 20 Grad warm, erstmals kann ich kurzaermlig fahren. Fast schon zu warm für mich. Eigentlich hatte ich nur auf trockeneres nicht aber waermeres Wetter gehofft. In Tekirdag, das für seine Köfte bekannt ist, gibt es praktisch nichts anderes zu essen. Köfte salonu reiht sich an Köfte Restaurant. Wenn es hochkommt, liegt noch eine Çorba (Suppe) und Salat drin. Die grillierten Hackfleischröllchen verleiden mir sehr schnell und ich hoffe sehr, dass es in der Türkei noch etwas anderes zu essen gibt als diese gummigen Dinger.

Der naechste Tag bringt Regenschauer und Gegenwind, der den ganzen Tag anhaelt. Ich versuche schon gar nicht, mir vorzustellen wıe schnell ich bei normalen Bedingungen vorankommen würde. Ich kaempfe mich 5 Stunden lang bei einer Durchschnittsgeschwindigkeıt von 10 km/h ab. Ich motiviere mich mit dem Gedanken, dass es ‘eigentlich’ nicht schlimmer werden kann und der Tag irgendwann enden wird. Wenig spaeter überholt mich ein Lastwagen auf der Höhe einer Riesenpfütze und spritzt mich mit Dreck voll, waehrend mich von rechts ein deutscher Schaefer giftig anbellt und mir gefaehrlich nahe an das Hosenbein kommt. Die Situation ist komisch und ich muss lachen. Es kann also doch schlimmer werden ! Ein Tag zum Überspringen, denke ich mir und liege diesmal komplett falsch.

Bei Hüseyin, dem ‘çaycı’

Als ich endlich Silivri erreiche, beginnt es bereits einzudunkeln. Ich mache mich auf die Suche nach einer Unterkunft und frage mich durch. Schon bald kommt Hüseyin auf seinem Roller, mit dem er vor zwei Jahren bis nach Antalya runter- und die Küste wieder raufgefahren ist, daher. Er laedt mich zu sich nach Hause ein und ich nehme dankend an. Hüseyin, ein 40 Jahre alter Junggeselle, spricht zum Glück ein wenig Englisch. Wir essen etwas in seiner Stammbeiz, einem einfachen aber ausgezeichneten Lokal und verbringen schliesslich den Abend in einem überfüllten und rauchigen Kaffee, in welchem praktisch nur Çay konsumiert wird (in dem Fall eine Çayhane), geplaudert und Karten oder Backgammon gespielt wird. Unnötig zu erwaehen, dass es ausschliesslich von Maennern frequentiert wird. Bei den Fragen nach meiner Familie kann ich endlich erstmals mein ‘Familienalbum’ auspacken, das interessiert begutachtet wird.

Die Runde, darunter auch ein Bruderpaar, das eine Speditionsfirma betreibt, lacht sich kugelrund ab meinem Bild auf dem Handy von einem türkischen BMC-Lastwagen (das ich eigens für einen Kollegen geschossen habe, der abseits vom Mainstream Zeitschriften wie ‘Fernfahrer’ liest …): diese Dinger sind derart hart und unbequem zu fahren, dass etliche Witze über die Impotenz der BMC-Chauffeure kursieren (leider habe ich sie nicht gut verstanden). Um elf Uhr verlassen Hüseyin und ich das Lokal. Ein Abend, wie man ihn nicht missen möchte.

Am naechsten Tag, es ist Samstag, begleite ich Hüseyin zur Arbeit. Er arbeitet bei der Steuerverwaltung (soweit ich das verstanden habe) und hat als çayci eine wichtige Funktion inne: er serviert der 96 starken Belegschaft den ganzen Tag lang Tee. In seinem Reich, der kleinen Küche, geniessen wir ein typisches türkisches Morgenessen mit Tomaten, Gurken, Oliven, Kaese, Poca (mit Kaese gefüllte Brötli), Bal (Honig) und natuerlich Çay.












Ich verabschiede mich von Hüseyin und mache mich auf den Weg zur 16 Millionen Metropole Istanbul. Ein Horror für Velofahrer ! Bereits 50 Km vor Istanbul nimmt der Verkehr stark zu. Ich fahre auf einer dreispurigen Schnellstrasse und muss mir die Ohren zustöpseln. In Istanbul übernachte ich bei einer Freundin von Rahime, meiner Schwaegerin in spe. Isik und ihr Freund Sezer kümmern sich aufmerksam um mich. An zwei Tagen sehe ich mir die Touristenmagneten Ayasofia, Sultanahmet und die blaue Moschee und schlendere durch den grossen Bazaar.


Mal Prometheus, mal Epimetheus

Beim Grenzuebertritt von Bulgarien nach Griechenland komme ich mir gleich schlau wie Epimetheus vor. Nicht einmal die Grussformel kann ich aufsagen. Dass ich bei den Griechen landen koennte, war bei meiner Reiseroute fast voellig ausgeschlossen und so bin ich ohne Reiseinformationen ueber deren Land unterwegs. Etwas barsch haelt mir der Zoellner sein “Kalimera” entgegen. Das ‘Dober dan’ koenne ich mir fuer Bulgarien aufsparen.















Bei der ersten Gaststaette auf der Landstrasse bestelle ich einen Kaffee. Pavlos sitzt gerade in der Wirtschaft seiner Eltern und ruft lauthals ‘Mamma’, als ich eintrete. Braungebraunt, schwarzes Haar, dichte Augsbrauen und eine praechtige Alexandernase, von Beruf Sergeant in der griechischen Armee, haengt Pavlos gerade am Natel. Ich hoere gespannt dieser klangvollen und kraeftigen Sprache zu, die ein bisschen an das Spanische erinnert. Da die Mamma immer noch nicht kommt, fragt er mich: ‘Can I help you?’ Und wie ! Er erweist sich als guter Lehrer und in einer Schnellbleiche bringt er mir die wichtigsten Woerter bei.

Kassandra, die mir Regenwetter vorhergesagt hat, will ich natuerlich keinen Glauben schenken und so laesst Helios den Sonnenwagen im Stall. In Griechenland erwarten mich wieder europaische Preise, stolz wie Niobe. Bei stroemendem Regen vermeide ich es daher tunlichst, ein Hotel aufzusuchen. Bei der Zeltplatzsuche will ich ja keine Hybris begehen. Und um mir eine Phillippika von einem zornigen Bauern zu ersparen, begnuege ich mich mit einem verwilderten und struppigen Olivenhain. Der Boden ist vom anhaltenden Nieselregen bereits braun und richtig schoen aufgeweicht, sodass meine Schuhe fast vollstaendig darin einsinken. Nun beginnt die Sysiphos-Arbeit: schnell im Regen Zelt aufstellen, Innenzelt ausbauen, Zeltunterlage trocken wischen, Gemuese ruesten (es gibt Gemuesesuppe mit Ruebli, Lauch und Reisteigwaren), Benzinkocher parat machen, kochen, essen, Geschirr waschen, Isomatte aufblasen, Zaehne putzen, auf die Toilette gehen (zum Glueck hatte ich eine PET-Flasche dabei!) und, und… Die Lavendelduftkerze, die Licht und Waerme spendet und die Feuchtigkeit im Zaun haelt, erweist sich an diesem Abend als grosser Segen.

Am naechsten Morgen – immer noch bei Regen – habe ich die Ehre, das pflotschnasse Zelt im Matsch wieder abzubauen. Bei der naechsten Tankstelle behaendige ich einen Wasserschlauch und spritze die klebrige Masse von Ross und Reiter ab. Ich schaetze mich immerhin gluecklich, nicht das Los des Herakles teilen zu muessen, der die Stallungen des Augias saeubern durfte. Einigermassen sauber kann ich meine Odyssee fortsetzen.

Prometheus nachahmend, mache ich mir langsam Gedanken ueber den weiteren Verlauf meiner Reise. Bald wird der Sonnengott Helios um seinen verstorbenen Sohn Phaeton trauern und dieses Schauspiel will ich mir nicht entgehen lassen. Voraussichtlich werde ich von Istanbul mit dem Bus nach Ankara fahren, dort schon mal die Visas fuer die zentralasiatischen Laender beantragen, kurz nach Kappadokien zum Naturspektakel fahren und dann wieder zurueck nach Istanbul, um wieder auf den Sattel zu steigen. Ich hoffe aber, keine Eulen nach Athen zu tragen. Ob ich mich den Argonauten anschliessen werde und im Kaukasus nach dem Goldenen Vlies suchen werde, wird sich weisen. Jedenfalls darf ich meine Ankunft in Tibet nicht auf calendas graecas verschieben.











In Westthrakien halten mich die zahlreichen streunenden Koeter, die es mit Argusaugen auf Velofahrer abgesehen haben und wie der Hoellenhund Cerberus bellen, auf Trab. Leider finden sich auch zahlreiche ueberfahrene Tiere am Strassenrand. Ich werde Augenzeuge, wie ein Hund auf der Gegenfahrbahn von einem Minivan angefahren wird. Er winselt unaufhoerlich und dreht sich um den Schwanz. Gluecklicherweise faehrt kurz danach ein Bauer vor und nimmt das arme Geschoepf mit.

Das Wetter bessert sich endlich und das pflotschnasse Zelt kann luftgetrocknet werden. In Sapies, einer kleinen Ortschaft vor Alexandroupolis, faellt mir von weitem die Moschee auf. Ich unterhalte mich mit ein paar Jugendlichen, schuettle zwei aelteren Herren vor der Moschee die Hand und lasse mich im Kaffee nebenan einladen.













Am naechsten Tag spricht mich Sedat, der zwoelf Jahre in der Naehe von Frankfurt gearbeitet hat, auf Deutsch an und ist froh, seine Fremdsprachenkenntnisse auffrischen zu koennen. Sein Vater kommt heraus und gesellt sich zu uns. Sedat ruft seiner Frau zu, uns einen griechischen Kaffee zuzubereiten. Ein paar Glaeser Wasser duerfen natuerlich nicht fehlen. ‘Staatliches Wasser’ kommentiert er und meint wohl Hahnenwasser. ‘Ab gestern haben wir gutes Wetter, vorher nur Regen’. Plaudernd sitzen wir vor seinem Haus auf dem Dorfplatz und geniessen die Sonne. ‘Komm’ sagt er ploetzlich und zeigt mir die Moschee. Geduldig beantwortet er alle meine Fragen. Abends hoere ich im Zelt von weitem den Ruf des Muezzin. Tuerkei, ich komme !













Ach ja, an diesem Abend habe ich Geburtstag und schlafe gegen zehn Uhr muede und zufrieden in meinem Schlafsack ein. Einen halben Kilo schweren Fisch habe ich mir bereits am Vorabend gegoennt.


Wo Tomaten ein Pfund wiegen

Francesco hatte mich bereits gewarnt. Die Bulgaren haben es sich zum Volkssport gemacht, Touristen auszunehmen. Fast ueberall gelten zwei Preiskategorien: eine fuer die Einheimischen und die andere fuer uns. Trotz nahendem EU-Beitritt ist das Einkommen der Bulgaren nicht wesentlich hoeher als das der Serben. Der Durchschnittsverdienst uebersteigt vielleicht gerade mal 100 Euro. Und so muss man halt den Bulgaren gut auf die Finger schauen, das Restgeld aufmerksam zaehlen (mal ehrlich, wer tut das regelmaessig) und bei der Bezahlung im Restaurant die Quittung sorgfaeltig studieren, ob sich nicht Preise fuer nicht konsumierte Esswaren ausmachen lassen.

Beim Fruechte- und Gemuesekauf kommt es schon vor, dass der Verkaufer einfach eine Zahl nennt, ohne die Waren zu waegen. Den Vogel schiesst ein grossgewachsener Bulgare ab, der fuer eine Tomate eine Leva (etwa 75 Rappen) verlangt, und dies bei einem Kilopreis von 2.00 Leva. Auf die Waage, bitte schoen ! Aha, ploetzlich ist die Tomate nur noch 0.46 Leva wert. Immer noch eine schoene fette Tomate, aber kein Pfund schwer ! Ohne die Farbe der soeben erstandenen Frucht anzunehmen wiederholt er flugs das gleiche Spiel mit Walnuessen. Unglaublich.

Nach Sofia erwartet mich nasskalter Schneeregen. Ich denke mir, das wird schon aufhoeren und warte noch zu, die Regenhosen anzuziehen. Und so treffe ich in Dupnica voellig durchnaesst ein. In Sandanski warnen mich die Taxifahrer vor den Hotelpreisen. Ich gebe mich hartnaeckig und nach einigem Nachfragen gewahrt mir der Besitzer einen kraeftigen Preisabschlag und ich habe fuer 10 Euro ein sauberes Zimmer.

Die bulgarische Kueche erweist sich nach der fleischdominierten serbischen Gastronomie als Wohltat. Sooft es geht, suche ich eine MEXAHA (Gaststaette) auf und geniesse einen leckeren Schopska-Salat (Gurken, Tomaten, Zwiebeln und Schafskaese) und lasse mir Kavarma (geschmorte Fleischstueckchen mit Leber, Pilzen, Kartoffeln, Zwiebeln und Kaese im Tontopf) auftischen. Fuer umgerechnet 7-8 Franken kann man sich den Bauch vollschlagen.

Vom Regen habe ich langsam die Nase voll. Etwas vorschnell verlasse ich bereits wieder Bulgarien. Auf trockeneres Wetter hoffend peile ich nun die griechische Kueste an.


Wo ist Karadzic ?

Als ich an der Grenze in Serbien und Montenegro ankomme, winken mir die Zoellner von der Ferne zu und geben mir zu verstehen, sofort anzuhalten. Zwei weiss bekleidete Maenner mit Mundschutz kommen zu mir und desinfizieren sorgfaeltig meine Pneus. Ich mache mit den Ellbogen Fluegelbewegungen “Quak, quak ?”. Sie nicken. Aha, avijaria influenza. Auch hier sind die Zoellner sehr freundlich, fragen mich aus und klopfen ein paar Sprueche. Nach einer mittleren Steigung ist die von mir ausgewaehlte Strecke in Serbien flach, dafuer nimmt der Verkehr ab Uzice deutlich zu. Ich werde mit dem fuerchterlichen Gestank der Ladas, Zastavas und Yugos eingenebelt. Abgasnormen scheinen in Serbien nicht zu existieren. Ebensowenig eine geregelte Abfallentsorgung, leider wird der Strassenrand oft als Muellkippe missbraucht.

In Pozega richte ich mich wieder einmal im einzigen Soviet-Style-Hotel ein, das zu meinem Erstaunen renoviert ist. Auf Empfehlung von Einheimischen suche ich eine ausgezeichnete Grillbude auf, wo Sasa sich sofort meiner annimmt und seinem nicht Englisch sprechenden Arbeitskollegen den Dienst verrichten laesst. Sasa, 32 Jahre alt, hat mir viel zu erzaehlen. Die Jungen fuehlen sich von Europa isoliert. Die Serben sind Raucher Nr. 1 in Europa. In der Frage der Kriegsverbrechen sind die Serben gespalten. Viele sehen Karadzic und Mladic als Kriegshelden an. Die Jungen wuenschen sich mehrheitlich deren Auslieferung an das Kriegsverbrechertribunal.














In einem Kaffee in Kraljevo komme ich sofort ins Gespraech mit Dejan und Dragan. Dragan, der nebenan ein Malergeschaeft fuehrt, spricht ein bisschen Englisch, waehrend Dejan, der rechts vom Kaffee einen Fischladen besitzt, nur ein paar Brocken Englisch zum Besten geben kann: “He is Colour-Man, me is Fish-Man”, er zeigt auf den Kaffee-Besitzer, “and he is Fuck-Man !” Gelaechter. Er fragt mich: “Are you Green-Man?” “No, I’m Biking-Man.” (was sonst denn …). Dejan und Dragan teilen mir mit, dass vor einer Viertelstunde der Tod von Milosevic im Fernsehen bekannt gegeben worden sei. Fuer sie sei Milosevic ein Verbrecher, fuer die aeltere Generationen nicht unbedingt. Spaeter sehe ich in einem Vorplatz, wie eine Gruppe von Nationalisten ein Gebet zu Ehren ihres verstorbenen ehemaligen Praesidenten (und vermeintlichen – es gilt ja die Unschuldsvermutung – Kriegsverbrecher ) unter freiem Himmel halten.


In der Naehe von Krusevac muss ich meine Augen reiben: hier fahren noch die ausrangierten gelb-roten Busse der BLT, die frueher in Liestal, Frenkendorf und Lausen verkehrt haben, unermuedlich weiter.

Die Serben habe ich im allgemeinen als sehr hilfsbereit, freundlich und sehr zuvorkommend erlebt. Ich habe mich jederzeit sicher gefuehlt. Wo es ging, habe ich allerdings die Grossstaedte gemieden. Leider sprechen nur wenige Serben Englisch. Oft bin ich zu einem Getraenk eingeladen worden. An einem Kiosk habe ich nach dem Weg gefragt, sofort bin ich mit einer Cola beschenkt worden. In Aleksinac haelt mich ein mintgruener Lada, beladen mit vier Paletten auf dem Autodach, an. Peda, der fliessend Englisch spricht, will wissen wo ich hingehe. Er zeichnet mir ein Kroki von der naechsten Stadt, Nis. Gibt mir die Telefonnummer seiner Ehefrau, die er mit der Suche einer guenstigen Unterkunft beauftragt. Erklaert mir den Weg. Toll.

Ab Pozega kann ich uebrigens wieder die Regensachen auspacken. Die Felder sind ueberschwemmt, die Fluesse sind laengst ueber die Ufer getreten. In Nis schneit es dann ueber die Nacht und die Temperaturen sinken unter Null Grad. Bis Dimitrovgrad (Gruss an alle Dimitris !) spule ich die Kilometer runter. Mit Rueckenwind (endlich !!) fliege ich bis nach Sofia, wo ich zur Zeit in einem Backpacker-Hostel bin. Mit einem Italiener, Francesco, der hier in Bulgarien eine Pizzeria eroeffnen moechte, habe ich gestern Nacht Sofia erkundet. Im Hinblick auf den EU-Beitritt scheint ein bisschen Goldgraeber-Stimmung zu herrschen. Die Bilder der Ueberschwemmungen in Griechenland beunruhigen mich nicht allzu sehr, die waermeren Temperaturen im Sueden ziehen mich an. Ich hoffe aber, dass mich an der griechischen Kueste trockeneres Wetter erwartet.


Bruecke ueber die Drina

Nach dem unerfreulichen Zwischenfall bei der geldgierigen Dame in Dubrovnik habe ich meine Siebensachen gepackt und bin zum Busbahnhof, wo ich sofort von von Silvana angesprochen worden bin. Das Zimmer war zwar recht erbaermlich, dafuer guenstig. Umso freundlicher waren aber Silvana und ihr pensionierter Vater, der mit einer Rente von umgerechnet Fr. 250.– kaum ueber die Runden kommt. Er ruft mir immer “polako, polako”, langsam, langsam, zu.

Ich breche am Dienstag Richtung Bosnien und Herzegowina auf. Bald komme ich in der ersten Stadt, Trebinje an. Ich lasse bei einem Bankautomaten Geld raus, wechsle meine restlichen Kuna in Konvertible Mark und verlasse sehr bald die Stadt. Ich brauche Zeit, um in Bosnien anzukommen und das Gesehene zunaechst zu verarbeiten. Der Wechsel von Kroatien zu Bosnien ist abrupt. Bosnien ist deutlich aermer, alle Schilder sind auf kyrillisch angeschrieben, ich ziehe ploetzlich alle Blicke auf mich, falle sofort auf, die Hauser und Strassen sind heruntergekommen und verfallen, die Preise am Boden. Die kyrillische Beschriftung ist gewoehnungsbeduerftig (aber eine gute Einstimmung auf die zentralasiatischen Laender): PECTOPAH etwa heisst Restoran.

Fast jeder zweite hupt mir in Bosnien freundlich zu. Eines haben die Bosnier uns voraus: die allermeisten Autos sind voll besetzt. Solofahrten sind die Ausnahme. Hier wird nichts vergeudet.

Verschneites Bosnien

Der Winter hat Bosnien noch fest im Griff. Die Strasse fuehrt durch verschneite Huegellandschaften. Uebrigens befinde ich mich in der Republika Srpska. Nach dem Krieg ist im Dayton-Abkommen von 1995 der Status von Bosnien Herzegowina (BiH) definiert worden. BiH besteht aus zwei Entitaeten – die Foederation von Bosnien Herzegowin (51 % Prozent der Flaeche), welche die Gebiete um Sarajevo und entlang der kroatischen Grenze umfasst, und die Republika Srpska mit der Serben-Hochburg Banja Luka im Norden und dem Osten, wo ich durchradeln werde. Die beiden Staaten leben einigermassen friedlich zusammen, doch die ethnischen Linien sind im Krieg klar gezogen worden. Wo frueher muslimische Bosnier (Bosnjaken), orthodoxe Serben und katholische Kroaten miteinander lebten, haben sich nun Mehrheiten gebildet und viele Vertriebene sind nicht mehr zurueckgekehrt.

In Belica treffe ich auf die ersten EUFOR-Soldaten. Die EUFOR ist die groesste militaerische Aktion der EU und hat im 2004 die von der Nato geleitete KFOR abgeloest. Cedric und Gerard erzaehlen mir einiges ueber ihre Arbeit. Sie leben mit der heimischen Bevoelkerung zusammen und versuchen ihr auf den Zahn zu fuehlen und sich mit ihren Alltagsproblemen und -sorgen vertraut zu machen. Sie versuchen auch wirtschaftliche Bande zu Frankreich zu knuepfen. Klar, und dann es gilt noch die Kriegsverbrecher zu fassen und die Korruption und den Schmuggel zu bekaempfen. Die EUFOR sollte ihre Arbeit Ende Jahr beenden. Es faellt auf, dass viele Serben noch eher franzoesich als englisch sprechen. Dies kommt daher, dass Frankreich in der Vergangenheit und in den Weltkriegen Serbien eher die Stange gehalten hat.













Am naechsten Tag ist es sonnig, es kommt aber starker Gegenwind auf und ich kann mein Rad auf der vereisten Strasse kaum noch halten. Ich verfluche es und moechte es am liebsten wegschmeissen. In diesem Moment hupt die Schneepflugmaschine von hinten. Der Fahrer bietet an, mich mitzunehmen. Ich nehme dankend an. Doch schon bei der naechsten Ortschaft halte ich es nicht mehr aus und lasse mich ausladen. Das schlimmste Stueck habe ich vermeintlich hinter mir und ich glaube, wieder im Zeitplan zu sein, um mein Tagesziel zu erreichen. In Gacko versuchen zwei freundliche Polizisten, mich von meinem Vorhaben abzubringen: “Cememo: No, No, Mount Everest, No!” Das trifft sicht gut, dort will ich doch hin !














Es folgt der Aufstieg zur Ortschaft Cememo auf 1293 M.ue.M. Bei strahlend blauem Himmel komme ich oben an, doch die Temperaturen sind auf minus 6 Grad gesunken. Schnell ziehe ich meine Gore-Tex Jacke und Hose an. Die Abfahrt gestaltet sich zur Schlittelfahrt. Die Strassen werden nicht gesalzen, nur sehr spaerlich mit Kies bestreut. Ich gerate in eine Eisrinne. Das Vorderrad rutscht weg und ich kann meinen ersten Sturz nicht verhindern. Mein Tagesziel ist in weite Ferne gerueckt. Ich schaffe es gerade noch bis zum Anfang des Sutijeska National Park, wo ich mein Zelt an einer windgeschuetzten Stelle bei einem halben Meter Schnee montiere.














Tags darauf halten mich Schulkinder an, die mich unbedingt ihrem Schullehrer zeigen wollen. Ich gehe mit und sehe mir das Schulgebaeude an, das einer Bauruine gleicht. Fast saemtliche Fenster sind eingeschlagen. Nichtsdestotrotz haben die Kinder eine Freude und der Rektor alle Haende voll zu tun, um sie zu beruhigen und sie wieder auf die Schulbank zu bringen. Spaeter stosse ich wieder auf EUFOR-Soldaten, diesmal Italiener. Die jungen Soldaten sind begeistert von meiner Reise und winken mir lange zu. Ich werde ihnen spaeter noch ein paar Mal begegnen.

In Ustikolina faellt mir erstmals eine Moschee auf. Zwei junge Bosnjaken klaeren mich auf auf: es handelt sich um eine Rekonstruktion der alten Moschee von 1448, welche die aelteste in ganz Bosnien war; unweit in der Stadt Foca sind saemtliche 15 Moscheen zerstoert worden. In Ustikolina, Teil der Foederation von Bosnien und Herzegowina, leben vorwiegend Muslime, nur sehr wenige Serben. Wenige sind zurueckgekehrt.

Die Bruecke ueber die Drina

Die Strasse fuehrt durch ein Flusstal mit 39 Tunneln auf einer Strecke von 41 Kilometern. Die Tunnels sind nicht beleuchtet und beim laengsten muss ich in der Mitte in absoluter Dunkelheit anhalten (meine Stirnlampe ist zu schwach) und einige Minuten warten, bis endlich wieder ein Auto vorbeifaehrt. In Visegrad betrete ich die alte Bruecke und durchquere die Drina. Das alte sozialistische Hotel Visegrad mit dem ueblichen Charme der 60-er Jahre erwartet mich bereits. Visegrad ist durch den bosnischen Schriftsteller Schriftsteller Ivo Andric (1892 – 1975, Nobelpreis 1961) bekannt geworden. In seinem Buch “Die Bruecke ueber die Drina” (Link zum Anklicken) beschreibt er das Zusammenleben zwischen Muslimen und Christen.


Dubrovnik – Perle an der kroatischen Adria

Ich bin fast am Ende der Adria Magistrale und habe gestern Dubrovnik bei Nacht erreicht. Ich habe nun bereits ueber 1600 Kilometer gestrampelt.

Obwohl kleiner als etwa Zagreb, Split, Rijeka oder Pula, ist der Bekanntheitsgrad von Dubrovnik einiges groesser. Zu Recht, denn die als UNESCO-Weltkulturerbe geschuetzte Altstadt ist bezaubernd. Im Unterschied zu den anderen kroatischen Staedten, die ich gesehen habe, wirkt Dubrovnik viel sauberer und aufgerauemter. Dubrovnik, bis 1918 noch Ragusa genannt, war im 14. Jahrhundert eine unabhaengige Handelsrepublik und Gegenmacht von Venedig, das die Vorherrschaft in der Adria innehatte. Die Spuren des sinnlosen Bombardements der jugoslawischen Armee, welche 1991 Dubrovnik in Flammen aufgehen liess, sind groesstenteils beseitigt. Allein 700 Bomben gingen in der etwa 200 Meter langen Hauptstrasse in der Altstadt, der Placa, nieder !

Die Adria Magistrale war zu meinem Glueck und entgegen der Prophezeiungen, die mir im Vorfeld gemacht worden sind, maessig bis wenig befahren. Allerdings musste ich den Lastwagen immer schoen Platz machen. Erschreckend sind die aberhunderte von Kreuzen und Gedenktafeln am Strassenrand. Oftmals sind die Verunglueckten nicht aelter als 30 Jahre alt. Bei der halsbrecherischen Fahrweise gewisser Heisssporne mag das nicht erstaunen ! Andererseits finden sich nur sehr wenige Abschrankungen und Leitplanken an der Adria Magistrale. Dafuer finden sich auf exponierten Kurven bergseitig meterhohe Steinmauern, die vor der vom Landesinneren wuetenden Bora schuetzen.

Dalmatien hat sich bereits im Fruehlingskleid gezeigt. Die Temperaturen sind gestern, als sich die Sonne zeigte, bis auf 18 Grad hochgeklettert. Viele Baeume und Straeucher bluehen weiss und rosa. Es duftet und die ersten Blumen und Raupen lassen sich blicken. Und Ihr in der Schweiz habt meterhohen Schnee ! Schade, diesen Jahrhundertschnee und den Verkehrskollaps haette ich gerne miterlebt. Es ist jetzt sieben Uhr. Startschuss fuer den Chienbaese, den ich dieses Jahr leider verpasse ! Naechstes Jahr werde ich aber wieder einen Besen tragen. Gerade jetzt erreicht mich ein MMS von Kilian vom Chienbaes mit seinem, wie nicht anders zu erwarten, perfekt gezimmerten und gebundenen Besen. Hopp dr Baese, Kili !

Waehrend meinen Aufenthalten in Privatunterkuenften hatte ich oft die Moeglichkeit, etwas mehr ueber die Kroaten und ihre Denkweise zu erfahren. Die Unterkunft bei Filip und Marija Tomasovic war in dieser Hinsicht besonders aufschlussreich. Filip und Marija haben 25 Jahre in Frankfurt gelebt und sind vor 8 Jahren in ihr Heimatland zurueckgekehrt. Sie vermieten nun Apartments, die sie liebevoll und sauber hergerichtet haben. Waehrend den Sommermonaten haben sie beide Haende voll zu tun. Ihre sieben Zimmer sind fast vollstaendig ausgebucht.

Kroatien hat eine wechselvolle Geschichte zwischen Rom, Byzanz, Venedig und Oesterreich-Ungarn hinter sich. 1991 erklaerte Kroatien die Unabhaengigkeit. Die EU und auf Andraengen des damaligen Aussenministers Hans-Dietrich Genscher anerkannten bald einmal Kroatien als eigenstaendigen Staat. Kurz darauf wurde Kroatien als Mitglied in die Vereinten Nationen aufgenommen. Zu Ehren Genschers, der sich fuer Kroatien stark gemacht hat, sind Strassen, Restaurants und sogar eine Universitaet nach ihm benannt worden.

Die Serben in der Krajina hingegen, die ploetzlich eine Minderheit in Kroatien darstellten, hielten eigene Wahlen und vertrieben zahlreiche Kroaten. Im Zuge der kriegerischen Auseinandersetzungen wurden dann spaeter die Serben aus der Krajina vertrieben, so auch in der Ortschaft Islam Latinski, wo ich durchgefahren bin. Unter anderen wird Ante Gotovina fuer die Massenvertreibungen und ethnischen Saeuberungen verantwortlich gemacht. Da dieser dank Hinweisen der kroatischen Regierung zur Freude der Chefanklaegerin Carla del Ponte endlich an das Kriegsverbrechertribunal ausgeliefert werden konnte, sollte dem baldigen EU-Beitritt nichts mehr entgegenstehen. Gotovina stellt fuer die meisten Kroaten aber nach wie vor ein Volksheld dar. Zahlreiche Plakate und Bilder legen Zeugnis davon ab.

Genug im Geschichtsbuch geblaettert. Ich werde voraussichtlich morgen meine Reise durch Bosnien-Herzegowina fortsetzen.

Kleiner Nachtrag: habe soeben ueber zwei Stunden mit dem Besitzer des Internet-Cafes geplaudert, der mir sehr viel ueber die kroatische Geschichte erzaehlt hat. Ich habe ihm dann ueber den Chienbaese erzaehlt und im Tele-Basel haben wir erfahren, dass die Feuerwagen dieses Jahr aus Sicherheitsgruenden am Umzug nicht teilnehmen durften. Seit einigen Stunden regnet es ununterbrochen.

Da sich das Wetter auch am Montag nicht gebessert hat, bin ich erst am Dienstag Richtung Bosnien gestartet. Ich musste allerdings zuerst Unterkunft wechseln, weil die alte Dame mich ausnehmen wollte. Der Preis fuer das Zimmer war ueberdurchschnittlich hoch. Es kam dazu, dass ich am Sonntag meine Waesche von Hand gewaschen und aufgehaengt habe. Um sechs fing es an zu regnen, ich war noch unterwegs, und die gute Dame hat mir die Waesche nicht abgehaengt. Da ist mir der Kragen geplatzt. Sie wollte dann noch zusaetzliche 15 Kuna. Wir haben lauthals gestritten und ich habe mich geweigert, ihr die umgerechnet 3 Franken zu bezahlen.


Entlang der kroatischen Adria

Endlich wieder ein Moment der Ruhe, um meine Eindrücke niederzuschreiben. Nach dem Aufenthalt bei meiner Tante ging es in einer kurzen Etappe nach Venedig. Bereits in der Peripherie wurde ich von einem entgegenkommenden Velofahrer angehalten, der sich ebenfalls als begeisterter Tourenfahrer erwies. Gianni führte mich durch das ganze Verkehrschaos von Venedig zum Camping-Platz (Hotels in Venedig würden mein Budget überstrapazieren). Am nächsten Tag hatte ich die Schnapsidee, mit meinem Gefährt ein Foto auf der Piazza San Marco zu schiessen. Ein logistisches Problem bei all den unzähligen Brücken in der Altstadt von Venedig. Ich hätte mit der Autofähre zum Lido übersetzen müssen, von dort mit der Motonave dann zurück in die Nähe der Piazza und von dort “nur” noch zwei Brücken zum Passieren. Ich begnügte mich mit dem Lido und sah mir den Campanile von San Marco von der Ferne an.

Die Strecke bis Triest war flach, verkehrsreich und monoton. Unzählige Memento Moris am Strassenrand in Form von Plastikblumen oder Gedenktafeln lassen Italien nicht als fahrradfreundlich erscheinen. Oft wurde mir unfreundlich gehupt. Wenn mir der Verkehr zu viel wurde, flüchtete ich in eine Bar, wo mir nach ein bisschen Plauderei auch schon ein Kaffee angeboten wurde. Ein Koch war über meine Reisepläne derart begeistert, dass er mir einen riesengrossen Dessertteller offerierte. Die Ebene erlaubte es kaum, wild zu zelten. In Sichtweite ständig Häuser und Weiler, keine Sträucher oder Wäldchen. Ein Bauer schickte mich fort, es habe zu viele Verbrecher und Kriminelle.

Ich war froh, endlich Triest zu erreichen. In Italien suchte ich vergebens eine private Unterkunft und musste mit einem Hotel “vorlieb” nehmen. Ich liess mir von Einheimischen eine gute Beiz empfehlen und schlug nochmals kräftig zu. Der Kellner entpuppte sich als Kroatien-Kenner und konnte mir ein paar Tipps auf den Weg geben. Bevor ich Italien den Rücken kehrte, trank ich auf der Piazza Centrale den in Italien bisher teuersten Kaffe (3 €) und schon bald war ich in Slowenien, das ich jedoch nach rund 40 km bereits wieder verliess. Es stieg an und die Temperaturen näherten sich der Nullgradgrenze.

Die kroatischen Grenzwächter waren etwas verdutzt, als sie hörten, wohin ich reisen wollte. Sie gaben mir ein “Souvenir” in Form eines Einreisestempels auf meinen Pass. Dobro dosli ! Konnte ich mich in Italien gut verständigen, war ich jetzt ein Fremder, der nur wenige Worte verstand. Eine Abfahrt führte mich hinunter zum Golf von Kvarner direkt nach Matulji, wo der Karnevalsumzug sich gerade seinem Höhepunkt näherte. Unzählige Männer, mit Schafsfellen, Hammelhörnern, Blumenschmuck und Kuhglocken bekleidet, vollführten lustige Tänze. Das Glockengeläut zusammen mit der Live-Band und den dröhnenden Boxen strapazierten das Trommelfell arg.

Erster Platten

In Rijeka, wo ebenfalls Karneval gefeiert wurde, stieg ich in der heruntergekommenen staatlichen Pension (prenociste) ab, die noch aus der sozialistischen Stalin-Ära Titos stammte. Ein grässlicher Block ! Als ich nach einer Dusche mit dem Velo die Stadt erkunden wollte, bemerkte ich einen Platten am Hinterreifen, den ich aber erst spätabends nach dem Restaurantbesuch reparierte. Das Problem war schnell erkannt: mein Velohändler hatte auf meine “Touren-Dampfwalzen” (26 x 1.90 Zoll) filigrane dünne Schläuche, die erst noch für schmale Pneus bis 1.50 Zoll gedacht waren, montiert. Der Reibung gegen die Karkasse des schweren Schwalbe-Pneus hielt der Schlauch nicht stand. Ich ersetzte also diesen durch meinen Ersatzschlauch.

Die unerbittliche Bora

Bald machte ich mit der berühmt-berüchtigten Bora Bekanntschaft: die Bora ist ein stürmisch-kalter Wind aus dem Landesinnern. Zwei Tage plagten mich Gegenwind und orkanartige Sturmböen, die mich ein paar Mal aus dem Sattel rissen. Oftmals musste ich das Velo schieben und konnte kaum noch stehen. Ich wurde hin- und hergerüttelt, aufgehalten, dann wieder angestossen. Im Gebiet um Senj war die Bora fürchterlich und an ein Weiterkommen war nicht zu denken. Im Dorfladen fragte ich nach einem “Sobe” (Zimmer). Die Angestellte telefonierte kurz rum und nach wenigen Minuten kam der Tankstellenwart und nahm mich zu sich nach Hause, wo er mich ohne viele Worte in die Küche führte und mir einen Teller Nudelsuppe und in Kohl eingewickelte Frikadellen, Kartoffeln und Brot servierte. Gastfreundschaft auf kroatisch. Herrlich ! Die Bora tobte indessen die ganze Nacht unermüdlich weiter. Am Morgen stand ich halbherzig auf und nahm den Kampf gegen die Bora erneut auf. Irgendwann am Nachmittag liess die Windstärke nach.

Schreckliche Sehenswürdigkeit

Um den Weg etwas abzukürzen ging ich nicht runter bis nach Zadar, sondern wählte eine Nebenstrasse. Es war bereits um 16 Uhr, ich war ohne Unterkunft, die Abendsonne glühte rötlich. Nichtsahnend bog ich also in diese Landstrasse ein und traf bald in die Ortschaft Islam Latinski ein. Zwar wusste ich, dass ich mich in der Krajina befand, in welchem noch die Gefahr von Landminen herrschte. Doch was ich dort zu Gesicht bekam, war unheimlich. Es lief mir kalt den Rücken runter. Alle Häuser der Ortschaft waren vollständig verlassen, zerbombt, verbrannt, überall Einschusslöcher, Minenwarnschilder entlang der Strasse. Die Stimmung war gespenstisch. Es sah so aus, als hätten hier noch vor wenigen Tagen Bomben und Granaten explodiert und detoniert. Offenbar das Resultat einer ethnischen Säuberung. Ich fuhr einsam durch die folgende Ortschaft, Islam Grcki, welche das gleiche Bild abgab. Dieser Streckenabschnitt wühlte mich auf. Lange noch gingen mir die Bilder durch den Kopf.

Übernachtung im Pfarrhaus

Es war bereits nach 17 Uhr. Ich beeilte mich, in Benkovac einzutreffen. Offenbar verirren sich wenige Touristen hierhin. Es war bereits dunkel und kalt. Ich hatte 120 Km in den Beinen. Ans Zelten war nicht mehr zu denken (abgesehen davon war mir die Lust nach all den Minenwarnschildern auch etwas vergangen). Nach etlichem erfolglosem Fragen nach einem Zimmer blieb mir nichts anderes übrig, als beim Pfarrhaus anzuklopfen. Der Hilfspfarrer bat mich, nach zwei Stunden wieder vorbeizuschauen, bis der Pfarrer zurück sei. In der nahgelegenen Gaststube verspeiste ich eine Pizza. Die Einheimischen schauten mich misstrauisch an. Nach einer Stunde war der Pfarrer da. Er war bereits im Bilde und empfang mich sehr herzlich. Er hatte in Luzern und Wädenswil gewirkt und sprach recht gut Deutsch. Er erzählte mir von seiner Pfarrgemeinde. Von den 4´000 Einwohner sei etwa ein Drittel primar- oder mittelschulpflichtig. Für rund 60 arme Leute sei ein Mittagstisch eingerichtet worden. Vorwiegend ältere serbische Leute, die nicht flüchten wollten. Islam Latinski sei vollständig von Serben bewohnt gewesen. Diese seien von Kroaten vertrieben worden. Er hege gewisse Sympathien für Ante Gotovina, der leider im Hinblick auf die EU-Beitrittsverhandlungen geopfert werden müsse.

Platten Nummer zwei

Gestern wollte ich unbedingt Split erreichen, das ich nach 8 1/2 Stunden Fahrt in der Dunkelheit erreichte. Ich habe heute morgen etwas ausgespannt, den Fischmarkt besucht und den “Palast” des römischen Kaisers Diokletian besucht. Der gewaltige Palast mass ursprünglich 215 x 181 Meter und ist im Mittelalter nach und nach verbaut worden und ist heute ein Viertel mit Läden und Wohnhäusern. Die Schutzmauer ist nur noch teilweise intakt. Gestern abend übrigens traf es das Vorderrad: wieder ein Platten. Das gleiche Problem. Es ärgert mich, denn es wäre leicht zu vermeiden gewesen. Ich habe einen billigen chinesischen Schlauch gekauft, den ich anschliessend montieren werde.


Erste Eindruecke

Ausspannen in Grindelwald vor der Abreise

Ein lachendes und ein weinendes Auge

Kein einfacher Abschied fuer uns beide

Verschneiter Veloweg am Walensee

Zauberhafte Stimmung auf dem Aufstieg zum
Julierpass

Andy und Regi: Ueberraschung am Julierpass

Herrliche Abfahrt nach dem Bernina-Pass !

Diese zwei freundlichen Ciclisti haben mich ein
Stueck weit begleitet


Finalmente in Italia !

Nach Savognin nahm ich bestens ausgeruht und gestaerkt den Julier-Pass in Angriff und erklomm inmitten der verschneiten Buendner Landschaft Hoehenmeter um Hoehenmeter. Kurz vor der Passhoehe, als die Wolkendecke aufzureissen begann, begegneten mir Andy Schnyder und seine Freundin Regi. Andy hatte am Vortag ein Konzert in Sils Maria. Nach nunmehr einigen Tagen Alleinsein freute ich mich, nochmals bekannte Gesichter anzutreffen. Andy ueberbrachte mir auch gleich die freudige Nachricht, dass eines meiner Bilder aus Galicien als Cover fuer die naechste CD seiner Band “Voice It” (mit der begnadeten Saengerin Lisette Spinnler aus Wittinsburg) auserwaehlt worden ist. Wenn das nicht tolle Neuigkeiten sind !

Husarenritt zum Julier- und Berninapass

Uebrigens wurde mir jetzt kurz vor dem Pass fleissig zugewinkt oder mit dem Daumen Anerkennung gezollt. In rasanter Abfahrt steuerte ich nach dem Pass St. Moritz an, das ich aber links liegenliess. In Pontresina entschied ich mich nach einer kurzen Rast und nach einem Gespraech mit einem Einheimischen fuer die Weiterfahrt zum Bernina-Pass, der im Gegensatz zum Julier-Pass groesstenteils schneebedeckt, deutlich verkehrsarmer jedoch nicht so anstrengend ist. Es daemmerte bereits, als ich erschoepft den Pass erreichte. Zu meinem Glueck war das Ospizio Bernina, das mit einem “preisguenstige Zimmer”-Schild auf sich aufmerksam machte, offen. Ueber 1’700 Hoehenmeter waren fuer heute genug. Zwar wollte man mir im nicht allzu stark frequentierten, dafuer umso angenehmeren Ospizio zunaechst das teuerste Zimmer anbieten. Nachdem ich aber mit dem Chef reden konnte, erhielt ich ein Zimmer zum Preis einer Uebernachtung im 6-er Massenschlag.

Uebernachtung im Ospizio Bernina

Am naechsten Morgen brach ich nach einem reichhaltigen Fruestuck und nach einem Schwatz mit einem sympathischen Bergfuehrer aus Bayern (der vor 30 Jahren mit dem Velo bis zum Berg Ararat gefahren ist) bei strahlendem Wetter durch die bezaubernde und weisse Bernina-Landschaft. Eine Abfahrt von etwa 30 Kilometern bis nach Tirano auf der italienischen Grenze stand mir bevor. Beim Grenzuebertritt wurde ich durchgewinkt. Eccomi in Italia! Und wieder einmal bewahrheitete sich, wofuer ich Italien mag: man erhaelt ueberall “un buon caffè”. Zum Glueck begnuegte ich mich in Tirano nur mit einem leichten Panino alla Bresaola, denn es ging danach wieder steil rauf zum Skiort Aprica (800 Meter Hoehendifferenz). In Breno suchte ich ein gepflegtes Bed+Breakfast als Nachtquartier aus und stellte in einem leeren Restaurant meinen Verdauungsapparat auf die Probe: Bruschette, gemischter Salat, Gnocchi di patate al gorgonzola, Hirschpfeffer, Polenta, Profiteroles, Wasser, Wein und caffè. Che bella mangiata !

Regentag

Den naechsten Tag fuhr ich praktisch nur in Regen, der zudem immer staerker wurde. Voellig durchnaesst kam ich in Brescia an, wo auf der Piazza Centrale “Ultras” (das sind Leute, die sich sonntags in Fussballstadien austoben) gerade gegen Polizeigewalt in den Stadien demonstrierten (Ausloeser war ein Vorfall im September, an dem ein Fussballfan von Polizisten komareif verpruegelt worden war). Zu meinem Leidwesen fand die Demo vor dem Ufficio di turismo statt, das aber am Samstag Nachmittag ohnehin geschlossen hat (welch eine Schande, da ist ja Aarau noch besser bestueckt!). In einer Tageszeitung vernehme ich vom beschaemenden Auftritt des Reformministers Calderoli, der in einer Fernsehsendung ein T-Shirt mit der umstrittenen Mohammed-Karikatur getragen hat. Man kann nur staunen, von welchem Saupack Italien regiert wird! Ich hoffe sehr, dass sich beim bevorstehenden Urnengang der Faux-Pas fuer die Regierungsparteien raechen wird. Die angespannte Stimmung der extremistischen Muslime ist durch das saubloede und kindische Benehmen des Ministers leider weiter angeheizt worden. Ich hoffe, dass sich mein italienischer Pass waehrend der weiteren Reise nicht nachteilig auswirken wird.

Marathon-Etappe

Von Brescia aus wollte ich unbedingt Castelfranco Veneto (kurz vor Venedig), wo meine Tante lebt, in einem Tag erreichen. Ich startete vor acht Uhr und war nach 80 km kurz nach Mittag bereits in Verona, das ich leider etwas vernachlaessigte. Der anhaltende Regen lud aber nicht unbedingt zu einer ausgedehnten Sightseeing Tour ein. Dopo un bel piatto di pasta (das Essen ist wenigstens eine Entschaedigung fuer den elenden Mordsverkehr in Italien) war keine Zeit zum Ausruhen und ich rechnete mir bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 25 km/h aus, kurz nach Einbruch der Dunkelheit in Castelfranco einzutreffen. Leider machte mir der Gegenwind einen Strich durch die Rechnung und so kam ich nach 9 1/2 Stunden Fahrzeit und 174 Kilometern erst um 21:30 an. Ohne die zahlreichen schmackhaften Orangen und Mandarinen, die von Sizilianern am Strassenrand feilgeboten wurden, waere ich wohl nicht ueber die Runden gekommen. Diese Etappe wird nicht leicht zu ueberbieten sein. Ich goenne meinen mueden Beinen nun zwei Tage Ruhe und geniesse das Nichtstun und das gute Essen, bevor mich meine Reise nach Venedig bringen wird. Meine Tante hat vergeblich versucht, mich von meinem Vorhaben abzubringen.


Wieder in Schwung

Zunächst Danke an alle Eure Kommentare, über welche ich sehr erfreut bin und die mich enorm anspornen. Der gestrige Ruhetag in Chur hat mir wohl bekommen. Mein Magen und der gesamte Verdauungsapparat kommen langsam wieder in Schwung. Ich habe mir gestern abend eine Wan-Tan-Suppe und ein Thai-Curry mit extra viel Reis gegönnt. Heute bin ich dann gestärkt um 8 Uhr morgens von Chur Richtung Lenzerheide, Tiefencastel und Savognin losgeradelt und konnte mir endlich am Berg den Kopf “freiradeln”.

Es ging zunächst praktisch über 2 Stunden im Schritttempo rauf. Zwar sind die Geschwindigkeiten nicht berauschend (5-7 km/h bei Steigungen von 9-13 %), sobald man aber den Rhytmus gefunden hat und sich an die Gemächlichkeit und Langsamkeit gewöhnt hat, kann man stundenlang radeln. Unzählige übermotorisierte deutsche Kombis oder Jeeps, vorzugsweise in schwarz und mit Blondinen auf dem Beifahrersitz, haben mich überholt. Gerade drei haben mir zugewinkt.

In Lenzerheide angekommen konnte ich mir einen Euphorieschrei über meine Tagesform nicht verklemmen. Danach gings recht steil nach Tiefencastel hinunter (merde: die verlorenen Höhenmeter wollen wieder erklommen werden), wo ich mir ein währschaftes Menu (Suppe und Spätzliteller) gegönnt habe. Obschon es erst drei Uhr nachmittags ist, habe ich beschlossen, hier in Savognin Halt zu machen. Ich befürchte, dass der Julier-Pass heute zuviel des Guten wäre. Immerhin war ich bereits über vier Stunden auf dem Sattel und dies meist bergauf (1’400 Höhenmeter). Bis zum Pass wären es noch weitere 1’000 Höhenmeter. Für heute habe ich genug geradelt und werde morgen über alle sieben Berge sein. Eigentlich schade, weil der Bruder von Ruth, Andi Schnyder, Schlagzeuger von Beruf, heute einen Auftritt mit seiner Band in Sils Maria hat und mich auf die Gästeliste gesetzt hat.

Das Tourismusbüro stellt gratis Internet während 24 Stunden zur Verfügung. Nach meinen Pizzocherl bin ich also wieder hier und kann nochmals meine Gedanken vollständig zu “Papier” bringen. Nachdem ich heute die erste Bergetappe heil überstanden habe, bin ich für die weitere Fahrt zuversichtlich. Bis gestern hatte ich da noch meine Zweifel. Ich gehe es am Anfang bewusst langsam an und sehe die ersten Wochen als Kraftausdauer-Training.

Noch ist mir nicht ganz bewusst, auf was ich mich da eingelassen habe. Ich konzentriere mich jeweils auf die unmittelbar bevorstehenden Schritte. China liegt in Gedanken noch fern. Es ist mir bewusst, dass einiges passieren kann und ich entsprechend meine Reisepläne werde ändern müssen.

Meine Ausrüstung

Wer sich für diese nicht interessiert, soll an dieser Stelle nicht weiterlesen. Der eine oder die andere wird sich aber fragen, was ich so alles mit mir mitschleppe. Ich fahre ein klassisches 26 Zoll Mountain Bike mit Diamantrahmen aus Chromstahl (MTP Cycletech Papalagi), das ich mir eigens habe zusammenstellen lassen. Die Laufräder hat mir der Meister Gerd Schraner aus Basel in reiner Handarbeit und Perfektion höchstpersönlich gebaut (nochmals vielen Dank !!). Er verwendet Messingunterlagsscheiben und die extradicken Speichen werden mit Metalldraht gebunden und gelötet. Fahrgenuss pur. Mit seinen Rädern hat Ivan Cotti 1997 den Girosieg eingefahren.

Die meisten Komponenten sind Shimano XT. Als Reifen die legendären Schwalbe Marathon XR (schwer und teuer), Gepäckträger aus Chromstahl vorne und hinten von Tubus. Zudem habe ich einiges Werkzeug (Imbusschlüssel. Zange, Kettenpeitsche, Kettennieter etc.) wie auch Ersatzmaterial dabei (Bremsbeläge, Kabel, Schmieröl, Kette, Schlauch, Reifen etc.).

Das ganze Material wird in vier Radtaschen, zwei Packtaschen und einer Lenkertasche verstaut. Ich habe Zelt, einen warmen Winterschlafsack, Seidenschlafsack, Isomatte, Benzinkocher, Pfannen und noch etlichen Kleinkram dabei. Die Bekleidung ist funktionell und für alle vier Jahreszeiten ausgelegt. Am meisten trage ich die langen Velohosen mit Windstopper-Einlage. Wenns zu kalt wird, kommt eine Gore-Tex Hose darüber. Eine Trekkinghose mit abnehmbaren Hosenbeinen darf ebenfalls nicht fehlen wie auch Thermosunterwäsche, Faserpelz, Windstopper-Handschuhe, Gore-Tex-Jacke und -Socken, kurzärmeliges Trikot, Windstopper-Jacke und, und, und… Neopren-Überzüge für die Veloschuhen dürfen auch nicht fehlen. Übrigens bereue ich bis jetzt keine Sekunde, mit Klickpedalen unterwegs zu sein. Die Kraftübertragung ist sehr direkt und erlaubt einen “runden” Tritt.

Die Apotheke ist umfangreich. Erwähnenswert sind die rezeptpflichtigen Medikamente (verschiedene Breitband-Antibiotika, Diamox gegen Höhenkrankheit). Die Impfungen beim Tropeninstitut waren zahlreich (Diphterie, Tetanus, Polio, Hepatitis A+B, Tollwut, japan. Encephalitis, FSME-Encephalitis, Masern, Mumps, Röteln und Abdominaltyphus) und durch meine Reisezusatzversicherung allesamt gedeckt.

Die Strassenkarten habe ich mir alle bereits in der Schweiz besorgt. Die Reiseführer lasse ich mir nach Bedarf nachschicken wie auch zuzsätzliche Diafilme und weiteres Material.

Die Fotoausrüstung ist in der Lenkertasche untergebracht und umfasst eine klassiche analoge Spiegelreflexkamera (Canon EOS 5) mit Zoomobjektiv 28-105 sowie eine Festbrennweite von 20 mm. Dazu Polfilter und Stativ (daher ist meine Velo so schwer !). Ich habe zunächst nur “50” Dia-Filme (Fuji Sensia 100 und Velvia 50) und einige Schwarz/Weiss-Filme mitgenommen.

Na ja, dann gibt’s halt noch den übrigen Kleinkram, der aber auch ins Gewicht fällt: MP3-Player, Handy, Feldstecher, Notizbücher, Stirnlampe, Mini-Aquarellset, etc.

Und jetzt das Wichtigste: der HELM. Ausser beim Berg bei kriechendem Tempo wird dieser immer (oder vielmehr meistens) getragen.


Abschied nehmen

Letzten Freitag konnte ich nun endlich von meinen Liebsten Abschied nehmen. Für das tolle Zmorge bei Lucio und Toni in der “Bude” sei nochmals gedankt. Der Abschied war wirklich rührend und es hat mich wirklich sehr gefreut, dass Ihr so zahlreich frühmorgens erschienen seid (Lucio, Toni, Flammentoni, Michèle und Niki, Paulo, Fabian, Pietro, Lola, Mama und Ruth … und natürlich Kilian). Nachdem ich mich bei meinem früheren Brötligeber, der Advokatur Gysin und Roth, ebenfalls verabschiedet hatte, konnte meine Reise endlich beginnen.

Ruth hat mich dabei die ersten drei Tage eskortiert. Geplant (oder eben besser gesagt eben nicht …) war ja, dass sie mich bis zum Julierpass begleiten würde. Zwar habe ich mittlerweile einige Velotouren unternommen, doch das enorme Gewicht meines neuen Stahlrosses samt Ausrüstung für vier Jahreszeiten (rund 35 kg Gepäck ohne Proviant) habe ich etwas unterschätzt. Nachdem Ruth und ich in Ormalingen beim Restaurant Schlüssel nochmals richtig zugeschlagen hatten (Cordon Bleu und viel Spätzli für mich), ging es rauf nach Anwil. Der Anstieg war brutal und ich dachte schon, ich schaffe es nicht mehr. Ohne Pause wär’s nicht gegangen. Staffelegg und Saalhöchi waren ebenfalls sehr herausfordernd mit dem vielen Gewicht. Es braucht wohl noch ein bisschen Angewöhnung. Etwas Ballast habe ich auch schon abgeworfen (etwa den Weltempfänger, den ich mühsam in Deutschland bestellt habe, Danke trotzdem Berthold!).

Wir machten Zwischenhalt in Aarau und Metmenstetten (in der Gegend um den Albis), wo wir in einem Bed + Breakfast einkehrten. Der Inhaber entpuppte sich als Heiri Müller (uns bis anhin unbekannt). Für Pferdebessesene: Heiri Müller chauffiert mit seinen zwei “Knaben” (zwei stattliche schwarze Frieser-Pferde) seit 18 Jahren beim jährlichen SCI (Pferdeconcours) während der Siegerehrungen die medaillenüberbringenden Schönheiten. Nebenbei ist er auch noch passionierter Züchter von Schweizer Schecken Hasen.

In Wädenswil am Zürchersee stand dann der härteste Abschied von meiner lieben Ruth bevor. Ich konnte wieder einmal erfahren, dass das Reisen zu zweit sehr viel Spass macht und seine grossen Vorzüge hat. Grazie mille Ruth, sei meravigliosa! Nachdem der Zug abgefahren war, fühlte ich mich richtiggehend verloren und orientierungslos.

Magenverstimmung

Einige werden mich nun schon über alle sieben Berge vermuten. Dem ist aber nicht so. Seit zwei Tagen habe ich ein unglaubliches Völlegefühl und Blähungen. Trotz Schwerarbeit will kein Staubsauger-Bärenhunger aufkommen, wie er bei Velotouren normal sein sollte. Vorgestern ass ich nur die Hälfte der Pasta. Gestern zwang ich mich dann schon richtiggehend, die Teigwaren aufzuessen (wie es mir beigebracht worden ist). Ich übernachtete übrigens auf dem Camping-Platz von Bad Ragaz, welches zu meinem Erstaunen das ganze Jahr offen hat. Offensichtlich war ich der einzige mit Zelt. Kommentar eines Mobilehomes-Bewohners: “ganz ä zäche”. Schön wär’s. Zwar wars draussen minus 5 Grad kalt, in meinem Schlafsack aber wohlig warm. Bis ein Uhr lag ich wach und hatte immer noch einen vollen (unverdaut, wie sich herausstellen sollte) Magen. Ich hielt es nicht mehr aus, kleidete mich an (brrrrrr) und wollte auf die Toilette. Nach wenigen Schritten überkam es mich aber schon und meine ganzen Kochkünste vom Vorabend breiteten sich vor mich aus (igitt). Wenigstens konnte ich dann noch einigermassen schlafen. Die ganze Aufregung und Anspannung der letzten Tage und Wochen hat mir wohl auf den Magen geschlagen.

Heute wollte ich endlich den Julier-Pass in Angriff nehmen. Derart geschwächt war jedoch nicht mehr an ein Weiterkommen zu denken. Nach wenigen Kilometern bereits merkte ich die mir abhanden gekommenen Kohlehydrate. So habe ich mich in Chur in einem gemütlichen Backpacker-Hotel einquartiert und gönne mir etwas Ruhe bis morgen.


E via si va !

Heute habe ich bei der iranischen Botschaft in Bern vorgesprochen, um die Visa-Angelegenheit zu klären. Mein Antrag ist leider liegengeblieben, da gewisse Angaben angeblich fehlten (die Kästchen habe ich allerdings nirgends entdecken können).

Nachdem ich dem Botschaftsangestellten also wunschgemäss meine Handynummer sowie eine Kopie meines C-Ausweises ausgehändigt hatte, bot er mir sehr freundlich einen Kaffee an und erteilte mir anschliessend das 60-Tage-Visum, dessen Gültigkeit er auf meine Bitte hin noch um einen weiteren Monat auf insgesamt vier Monate verlängerte. Ich werde nun bis anfangs Juni Zeit haben, um in den Iran einzureisen. Hoffentlich werden sich bis dahin die islamischen Gemüter etwas abgekühlt haben und die westlichen Länder ihre allzu rigorose Haltung im Atomstreit überdacht haben.

Ich geniesse jetzt noch die letzten Tage hier in der Schweiz. Meine Freundin Ruth wird mich am Freitag Morgen mutig bis zum Julier-Pass begleiten, allerdings ohne viel Gepäck. Ich freue mich nun riesig auf den Start.


Startverzögerung

Nein, ich bin noch nicht abgefahren ! Die iranische Botschaft hält noch meinen Reisepass in den Händen, den ich vor über drei Wochen mit dem Visumsantrag samt erforderlichen Formalitäten verschickt hatte. Entgegen den Auskünften, die ich erhalten habe, wonach der Pass in 10 bis 14 Tagen wieder retour sein sollte, warte ich immer noch vergebens darauf. Ohne Pass möchte ich es nicht riskieren loszuziehen und so werde ich noch etwas ausharren müssen.

Angesichts der derzeitigen Unruhen in islamischen Ländern wegen der Mohammed-Karikatur und der Haltung der westlichen Länder, Iran im Atomstreit vor den UN-Weltsicherheitsrat zu bringen, erscheint der Zeitpunkt, ein Touristenvisum für den Iran zu beantragen, nicht gerade ideal. Nichtsdestotrotz: ganz ungelegen kommt mir der verzögerte Start nicht, da ich mir so ein Gehetze in letzter Minute ersparen kann und ich noch in aller Ruhe die letzten Reisevorbereitungen treffen kann. In den letzten Wochen ging es etwas drunter und drüber und ich bin kaum zum Stillstand gekommen. Immerhin konnte ich noch die Rembrandt-Radierungen im Kunstmuseum Basel bewundern und zwei Tage in Grindelwald bei Zimmerlis geniessen. Ich nehme es nun etwas gelassener und hoffe, dass ich bald werde starten können.

Danke

Bei dieser Gelegenheit möchte ich mich bei all denen bedanken, die mich in irgendeinerweise unterstützt haben und mich “ertragen” mussten. Angefangen von meiner Freundin Ruth, meinen Eltern (la Mamma, die unglaublich leiden muss..), meinen Geschwistern, meinem Zügelteam (grazie mille a Giuseppe, Flammen-Toni, Salvi, Paolo, Lola und Ruth), meinen technischen Helfern (Kilian für den Mechaniker-Lehrgang in natura und Beda für denjenigen auf Papier, Toni für die Eigenkonstruktion eines Bidonhalters und Lucio für die Bereitsstellung von Gerät und Material), der ganzen Advokatur Gysin und Roth für das tolle Abschiedsgeschenk (MP3-Player mit satten 6 Gigabyte, wow!).

Ein grosser Dank gebührt all jenen, die mir zu Kontakten im Ausland verholfen haben (Rahime, Anita M., Moni, Salvi, Oleg, Andy …) und selbstverständlich auch all jenen, die ich im Ausland werde besuchen können und mich vor Ort irgendwie unterstützen werden. Ein Dankeschön all jenen, die am Abschiedsfest für Trank und Speis gesorgt haben und natürlich Flammen-Toni, Toni und Nicola für die tatkräftige Mithilfe bei der vorgängigen Putzaktion. Den “Wildhünden” danke ich dafür, dass sie mir den Raum zur Verfügung gestellt haben. Danke auch allen, die ich jetzt nicht speziell erwähnt habe und mir sonstwie bei meinem Vorhaben Unterstützung geleistet haben.

Übrigens stehe ich in Kontakt mit Roman, der gestern (planmässig) seine einjährige Velotour starten konnte. Roman hat eine ähnliche Route wie ich gewählt und wer weiss, vielleicht werden wir uns unterwegs sogar treffen können.


Stationen meiner Reise

Meine lange Reise wird mich der alten Seidenstrasse entlang durch faszinierende Landschaften aus 1001 Nacht bis aufs Dach der Welt nach Tibet führen.

Als Vorgeschmack auf das Himalaja-Gebirge werde ich mir zunächst einen Weg durch die Schweizer Alpen bahnen müssen. Nach Venedig, der Heimatstadt Marco Polos, geht es in den Balkan. Der dalmatischen Küste entlang werde ich bis nach Dubrovnik radeln, dann über Bosnien-Herzegowina und Serbien-Montenegro nach Bulgarien. Beim Bosporus setze ich nach Istanbul über. Weitere Stationen in der Türkei werden Ankara, Kappadokien, die Berge Nemrut Dag und Ararat, sowie der Van-See in Südostanatolien sein. Ich hoffe, am 29. März 2006 in Kappadokien zu sein, um die totale Sonnenfinsternis erleben zu können.

Nach der Türkei plane ich einen “kleinen” Schwenker in das Kaukasusgebiet (Georgien und Aserbeidschan), bevor ich mich – nunmehr zu einer wärmeren Jahreszeit – Persien widmen werde. Von der Stadt Isfahan, der Perle des Iran, geht es quer durch die Wüste Dasht-e-Lut nach Mashhad, einem wichtigen Wallfahrtsort der Shiiten. Für Turkmenistan wird mir mir wegen eines knapp bemessenen Durchreisevisums nicht viel Zeit übrigbleiben.

Die märchenhaft klingenden Städte wie Samarkand, Buchara und Chiva in Usbekistan mit ihren Medressen, Moscheen und Minaretten stellen Höhepunkte auf der Seidenstrasse dar. Buchara ist seit 2’000 Jahren Handelsstadt in einer grossen Oase mitten in der Sandwüste Kisil-Kum und ein Meisterwerk mittelasiatischer Architektur. Samarkand ist eine der ältesten Städte der Welt und wurde im 14. Jhd. vom Mongolen Tamerlan zur Hauptstadt seines riesigen Reiches erkoren. Das Registan ist heute der berühmteste Hauptplatz in ganz Usbekistan.

In Tadjikistan führt die Strecke der afghanischen Grenze entlang. Das Pamir Gebirge und der Pamir Highway – eine zu Sowjetzeiten errichtete Militärstrasse – liegen vor mir. Während 500 Kilometern verläuft die Strecke auf durchschnittlich 4’000 Höhenmetern. In Kirgistan setze ich beim Irkestam-Pass nach China über. Von Kashgar in der autonomen uighurischen Provinz Xinjiang am westlichen Rand der Wüste Taklamakan führt die Piste über die Kunlun Shan Berge und das Aksai Chin Hochplateau nach Tibet.

Der heilige Berg Kailash (Kang Rinpoche für die Tibeter) in Tibet ist das wichtigste Pilgerziel für vier Religionen: Buddhisten, Hinduisten, Jain und Bön. In seinem Umkreis entspringen vier Flüsse: Indus, Tsangpo-Brahmaputra, Sutley und Karnali. Südlich vom Kailash befindet sich der heilige See Manasarovar mit Blick auf das Gebirsgmassiv des Gurla Mandhata, dem weiblichen Gegenpol zum Kailash. Die Umrundung des 6’714 Meter hohen Kailash – die Kora – dauert drei Tage.

Nachdem ich das Mount Everest Base Campe erreicht haben werde, wird sich weisen, ob ich nach Lhasa oder nach Kathmandu weiterziehen werde.


Reise auf der Seidenstrasse




Bald ist es soweit. Anfangs Februar werde ich meinen neuen Chromstahl-Drahtesel einweihen und Richtung Osten starten. In Gedanken liegt der Start noch in weiter Ferne, noch bin ich mit den Vorbereitungen zu sehr beschäftigt. Lange genug habe ich, von Fernweh geplagt, davon geträumt, eine ausgedehnte Velotour in fremde Länder zu unternehmen. Aber wohin? Westwärts nach Santiago de Compostela habe ich mich 2002 vom Radreisefieber anstecken lassen. Das Jahr darauf bin ich zum Nordkapp raufgeradelt. Da im Süden meine Wurzeln liegen, soll es nun Richtung Orient gehen.

Gerne könnt ihr mich während meiner Reise, vom Sofa oder Bürotisch aus, bei einem Schluck Bier oder während der Mittagspause begleiten und nachlesen, was mir auf dieser Reise alles widerfahren wird.