Allgemein

Vorschau

Knapp 200 Diafilme sind nun gesichtet, eine erschlagende Menge an Bildern, die verdaut und verarbeitet werden wollen. Einige Scans vorab, um auf die bevorstehende Diaschau im nächsten Winter schmackhaft zu machen. Es gibt allerdings noch viel zu tun…


Ich bin wieder hier !



Seit einigen Wochen bin ich nun wieder zuhause, zurück von meiner langen Reise. Schneller als erwartet habe ich mich wieder hier eingelebt, nicht zuletzt dank des Chienbäse. Ein Bewerbungsschreiben, ein Vorstellungsgespräch und schon anfangs März eine neue Stelle bei einer Versicherung. Der Kulturschock blieb mir bei meiner Rückkehr nach Europa bzw. nach Paris nicht erspart. Mit meinen abgelaufenen Veloschuhen und abgegriffenen Kleidern kam ich mir in der französischen Metropole etwas schäbig vor.


Meine Reise ist also – physisch – zu Ende. Ein Leben lang wird sie in meinem Kopf rumgeistern und mich jeweils für kurze Momente in die weite Welt entführen. Anstatt eines abgegriffenen Zuckerbeutelspruches ziehe ich ein bisschen Statistik vor:

17’373 gefahrene Kilometer (rund 7.5 Millionen Radumdrehungen)

(so sieht ein Schwalbe Marathon XR nach 11’880 Km aus)

343 Tage unterwegs, 115 Tage ohne Radfahren (Ruhe- und Krankheitstage, Sightseeing, Visumsbeschaffung etc.)

19 Platten

(Service beim Chini-Bagh Hotel in Kashgar/China)

1’171 Stunden auf dem Sattel (sieben Wochen Tag und Nacht nonstop)

18 bereiste Laender: Schweiz, Italien, Slovenien, Kroatien, Bosnien-Herzegowina, Serbien-Montenegro, Bulgarien, Griechenland, Türkei, Iran, Turkmenistan, Usbekistan, Tadjikistan, Kirgistan, China (Xinjiang, Tibet), Nepal, Indien, Vereinigte Arabische Emirate (eine Nacht in Dubai), Frankreich

(wenige Meter trennen uns noch von China)



10.5 Stunden betrug der laengste Radeltag:
von Torbat-e Heydariyeh nach Mashhad, den ganzen Tag kämpfte ich gegen den Wind an, zur Abwechslung einen Platten, erst um zehn Uhr abends erreichte ich den mörderischen Stadtverkehr von Mashhad, um Mitternacht hatte ich endlich eine Unterkunft gefunden)

174 Km: die längste Tagesetappe (Brescia-Gardasee-Verona-Vicenza-Castelfranco Veneto)

47 Tage mit einem Pensum von mehr als 100 Km

(Kleidervorschrift in Iran)



14.8 km/h: Gesamt-Durchschnittsgeschwindigkeit

23 km/h: die hoechste Tages-Durchschnittsgeschwindigkeit (die Abfahrt runter nach Kashgar)

6.52 km/h: tiefste Durchschnittsgeschwindigkeit (in 6:09 Stunden satte 39 gefahren, oder besser gesagt gestossen, als es vom Guge Kingdom im Sutley-Tal in Tibet wieder rauf ging zum tibetischen Hochplateau)

19 Tage die laengste Etappe ohne Ruhetage: von Kashgar bis nach Ali/Shiquanhe (Westtibet), dazwischen einige spektakuläre Pässe, so der Chiragsaldi (4’980 M), Kirgizjangal (4’950 M), Kosbel (4’290 M), Khitai (5’190 M), Satsum La (5’350 M), Qieshan La (5’400 M). Der Kudie Pass war mit 3’300 M. der einzige “3’000-er” Pass.

(Holzsammeln in der baumlosen tibetischen Hochebene ist nicht gerade einfach)

5’400 M.ü.M. der hoechste mit dem Velo gefahrene Pass (Qieshan La) ; zu Fuss wars der Drölma La (5’700 M.üM.) auf der Umrundung des Berges Kailash in Tibet

1’725 Höhenmeter die grösste erklommene Höhendifferenz an einem Tag: Savognin-Julierpass-Pontresina-Berninapass

3’008 Hoehenmeter: die laengste Abfahrt an einem Tag, von Nyalam (Tibet) – Zhangmu – Barabise (Nepal)

260 Dollar die teuerste Uebernachtung: im Hotel Continental in Dubai (aufgrund des verpassten Anschlussfluges von der Emirates Airline übernommen)


(ein typischer Truckstopp in Tibet)

50 Grad Celsius: höchste Temperatur (Dasht-el Kavir Wüste im Iran)

5 befahrene Wüsten: Dasht-el Kavir (Iran), Karakum (Turkmenistan), Kizilkum (Usbekistan), südlicher Rand der Taklamakan (Xinjiang/China), tibetisches Hochplateau

800 Franken geschätzte Kosten für Visas und sonstigen Permits


(der Gegenwert von 100 Dollars in usbekischen Som)

billigster Benzinpreis: in Turkmenistan, im Bereich von wenigen Rappen


Ein (be)sinnliches Erlebnis

Stephane und ich machen uns auf den Weg nach Indien. Letztmals waren wir vor genau drei Monaten auf dem Aksai Chin Hochplateau zusammen unterwegs. Das blaue Tor mitten in der dichtbesiedelten Ortschaft zeigt uns an, dass wir indisches Hoheitsgebiet betreten. Zollbehoerden sind keine auszumachen. Erst nach 100 Metern finden wir eingepfercht zwischen Kraemerladen die Immigrationsbehoerden. Nachdem wir den ueblichen Fackel ausgefuellt haben, sind wir offiziell in Indien, im Bundesstaat Uttar Pradesh, sechs Mal so gross wie die Schweiz. In UP, wie der Bundesstaat in Indien genannt wird, leben 166 Millionen Menschen, so viel wie in Frankreich, Italien und Spanien zusammen !

PLEASE HORN

Es stellt sich bald heraus: Velofahren in Indien ist spannender als jedes Videogame ! Man ist stets bedacht, von den Tata-Lastwagen nicht in den Graben gedraengt zu werden. Es wird nicht situativ gehupt, sondern praeventiv. Busse und Trucks druecken durchgehend auf die Hupe, wenn sie eine Ortschaft durchfahren. Diese verdammten Hupen sind ohrenbetauebend und gehen uns schon sehr bald auf die Nerven. Der Laermteppich in Staedten ist nicht auszuhalten. Man weicht Velofahrern, Rikshas, Autorikshas, Bussen, Autos und den heiligen Kuehen aus, die sich alle gleichzeitig bemerkbar machen wollen, obschon der Vekehr oft stillsteht.

Die Fahrraeder der Marken Herkules, Hero, Atlas und Avon sind nicht zu unterscheiden: Einheitsgroesse, schwarz, ein Gang. Gemaechlich schlendern die vielen Velofahrer mit 15 Kilometer pro Stunde ihres Weges. Das Spiel wiederholt sich einige Male: ein Inder will es uns zeigen, ueberholt uns und versucht, uns abzuhaengen. Wir nutzen moeglichst lange den Windschatten aus, bis der Inder irgendwann voellig ausser Atem in eine Nebenstrasse abzweigt. Ansonsten eignen sich schwerbeladene Traktoren gut als Schrittmacher.

Bis nach Delhi wird die Strasse topfeben sein. Rohrzuckerplantagen zieren die eintoenige Landschaft. Am Morgen herrscht oft eine neblige Stimmung. Dies vermag die Augenfaelligkeit der Ueberbevoelkerung und der ausgedehnten Armut nicht zu verschleiern. Die wuchernden Slumsiedlungen, oft zwischen Bahngeleise und Strasse gelegen, spotten jeder Beschreibung. Wer mit dem Fahrrad unterwegs ist, rennt nicht von Flughafen zu Bahnhof zu Hotel zu Sehenswuerdigkeit und bekommt so die Facetten des taeglichen Lebens hautnah zu spueren. Abfallberge liegen ueberall herum, in denen Kinder und Frauen zusammen mit Kuehen, ausgemagerten Strassenkoetern und Schweinen nach etwas Ess- oder irgendwie Brauchbarem herumstochern. Kanaele und Fluesse sind pechschwarz gefaerbt. Die Luft ist dreckig. Meine Nase sieht abends wie nach einem Chienbaese aus ! Schon bald plagt mich ein hartnaeckiger Reizhusten, verursacht durch den Staub.

Bei jedem Halt werden Stephane und ich von lethargischen Schaulustigen umzingelt. Sehr wenige laecheln oder sprechen uns an. Obschon Indien waehrend rund 200 Jahren eine indische Kolonie war und Englisch nebst Hindi Amtssprache ist, beherrschen auf dem Lande nur sehr wenige Englisch. Wuerden wir die Inder nicht anlaecheln oder uns zu einem Spaesschen hinreissen lassen, verkaeme die Anglotzerei zu einer fuer uns peinlichen Angelegenheit. Wenn dann einer endlich den Mund auftut, ist oft nur ein undeutliches Lallen zu vernehmen. Umso deutlicher zeichnet sich dafuer eine rotbraune Masse in den Mundwinkeln ab: das Paan.

In Indien wie in ganz Suedchina und Suedostasien ist das Kauen der Betelnuss auesserst beliebt. Die zerhackten Nuesse werden mit Gewuerze, oft auch Tabak, in ein Blatt eingerollt und tel quel im Mund zerkaut. Der ueberschuessige Speichel wird am Boden und an Hauswaenden gespuckt. In engen Gassen sind die Waende bis zur Kniehoehe dunkelrot gefaerbt. Leider hilft das Paan nicht gegen Muecken. Mancherorts sind sie eine richtige Plage. Gegen diese laestigen Viecher scheint kein Kraut gewachsen zu sein, keine Radlerhose scheint dick genug zu sein. Ich kann nur hoffen, dass sich keine Anopheles-Muecke unter den Plagegeistern befindet.

Einladungen sind eher selten. Umso erfreuter sind wir, als uns ein junger Inder zu sich nach Hause einlaedt und uns sein Anwesen zeigt, in dem vier Generationen unter einem Dach leben. Ein anderes Mal laedt uns ein muslimischer Baba, der vor einer in Bau befindlichen Moschee Wache haelt, zu einem Tee ein. Um den Schrein eines Maertyrers faellt eine Frau in Ekstase. Ihre Schreie lassen uns aufzucken. Die boesen Geister sollen vertrieben werden. Der Maertyrer soll im Dezember 1992 getoetet worden sein. Wir schliessen daraus, dass dies anlaesslich der von Hindu-Extremisten erstuermten und zerstoerten Babri-Moschee aus dem Jahre 1528 geschehen ist.

Der Ganges: Rein, aber alles andere als sauber

Wir kommen in der heiligsten Stadt des Hinduismus an, Varanasi, besser bekannt unter dem Namen Benares. Seit ueber 2’500 Jahren pilgern Glaeubige zu den kilometerlangen Stufen am heiligen Fluss Ganges, der am Berg Kailash, dem Sitz des Gottes Shiva; entspringt. Waehrend sich die Hinduisten durch eine rituelle Waschung im Fluss eine Reinwaschung vor Suenden erhoffen, soll ein Sterben und Verbrennen am Fluss vor einer Wiedergeburt schuetzen. Wer von Europa direkt nach Varanasi fliegt, unterliegt einem regelrechten Kulturschock.

An zwei Kremationsstaetten werden ununterbrochen Leichen verbrennt, der beissende Rauch brennt in den Augen. Ab und zu schwimmen Leichenteile herum. Hunderte Meter lange Leinen, an denen die im Ganga mit starker Lauge weichgeklopften Kleider und Laken der Waeschereien getrocknet werden. Bueffelherden suchen Abkuehlung im Nass, waehrend die Aermsten der Armen den heiligen Tieren nachlaufen, um den Mist mit blossen Haenden zu sammeln und ihn zum Trocknen fladenartig an Waende zu klatschen. Die getrockneten Fladen dienen als Brennmaterial. Riesige Kanaele leiten die Abwaesser unbehandelt in den Fluss. Die bestehenden Klaeranlagen sind voellig unzureichend und wegen der andauernden Stromunterbrechungen ohnehin nicht funktionsfaehig. Die Werte der Sauberkeitsparameter liegen um das Hunderttausend- bis Millionenfache ueber den Grenzwerten. Ein Tropfen Gangeswasser ist eine Generalattacke auf den menschlichen Koerper!

Weniger die Tatsache, dass sich die Inder in dem voellig verdreckten Fluss baden, ist abstossend, sondern die Unsitte, dass die Notdurft in aller Oeffentlichkeit entlang des ganzen Ufers verrichtet wird. Ein beissender Gestank von Exkrementen und Kuhmist liegt ueber den Ghats und vielen Teilen der Stadt. Wie laesst sich das bloss in den heissen Sommermonaten aushalten ?

In Benares verabschiede ich mich endgueltig von Stephane. Meine Reise geht bald zu Ende. In der potthaesslichen Industriestadt Kanpur komme ich erst nach Einbruch der Dunkelheit an. Die Tage sind zu dieser Jahreszeit zu kurz, um ohne Hast 120 Kilometer am Tag fahren zu koennen. Die ersten vier Hotels sind – wer haette das in dieser Stadt gedacht – bereits voll. Ich werde langsam ungeduldig und ausfaellig. Ich lasse mir diese Luege nicht weiter gefallen und fange an, die Hotelbesitzer anzuschreien. Nur weil sie nicht im Besitz des bloeden Formulars fuer auslaendische Touristen sind, wollen sie mich nicht uebernachten lassen. Es bleibt mir nichts anderes uebrig, als im teuren “Mayfair Hotel” zu uebernachten.

Ein spaetes Weihnachtsfest

In Manpuri scheinen die Hotelbesitzer geschaeftstuechtiger zu sein. Das Zimmer ist dafuer ein Rattenloch und gleich neben dem Stromgenerator. Ich nehme die Einladung des Inders an, der mich waehrend den letzten 20 Kilometern begleitet hat. Die vierkopfige Familie bewohnt ein kahles Betonzimmer, 4 mal 6 Meter gross. Der ganze Hausrat hat in zwei Bananenschachteln Platz. Eine Gluehlampe und ein kleiner Gluehofen sind die einzigen technischen Geraete. Zeitungspapier dient als Dekoration. Sie leben auesserst armselig und doch sind sie noch besser dran als die vielen Slumbewohner. Waehrend die Ehefrau “vegetables” kocht, kaufe ich 10 Samosas, Suessigkeiten, 2 Kg Aepfel, Rueben und Weissbrot ein. “My children very happy” strahlt Bigeldurbi ueber das ganze Gesicht, der zu meinem Erstaunen der hoechsten Priesterkaste angehoert. Ein richtiges Weihnachtsfest hat er seiner Familie beschert ! “My wife request you rest one day”, heisst es am naechsten Morgen. Diese Freundlichkeit kann ich gut verstehen, ich will aber an diesem Silvester noch Agra erreichen. Er versteht, “time costly”. “One piece foto sun?” kommentiert er die aufgehende Sonne. Ich gebe ihm 150 Rupees zum Abschied.

Abends erreiche ich endlich Agra. Meine Blutgruppe lechzt nach rotem Fleisch. Die auferzwungene vegetarische Curry-Masala-Diaet der letzten Wochen ist eintoenig. Im Pizzahut, das von der upper middle class frequentiert wird, werde ich fuendig und bestelle mir eine Lammfleisch-Koefte Pizza. Die neureichen Inder, allen voran das weibliche Geschlecht, haben einen deutlichen Hang zur Fettleibigkeit. Wellness und Fitness sind hier noch Fremdbegriffe.

Eine weitere Unsitte in Indien ist, von auslaendischen Touristen unverschaemt hohe Eintrittpreise abzuknoepfen, angeblich fuer die Restaurierung der Monumente. Wuerde Indien lieber weniger Geld fuer den Bau von Atombombomben ausgeben ! Der Anblick des Taj Mahal in Agra entschaedigt dann allerdings fuer diese Unpaesslichkeiten. In Delhi ist dann meine lange Veloreise zu Ende. Wie unglaublich schnell sind 333 Tage verflogen !

Bildergalerien

(Alle digitalen Bilder sind mit der Handykamera aufgenommmen worden)

Schweiz-Tuerkei

Iran-Zentralasien

Tibet-Indien


Zwischenlandung in Dubai

Ein kurzer Zwischenbericht aus Dubai: Der Abflug in Delhi heute Morgen hat sich verzoegert und ich habe meinen Anschlussflug nach Europa verpasst. Grosszuegig hat mich nun die Fluggesellschaft “Emirates” im Hotel Capitol untergebracht, mit 270 Dollars meine mit Abstand teuerste Uebernachtung bis anhin. Dubai ist das pure Gegenteil von Delhi: sehr sauber, ruhig, kein nerviges Gehupe, jeder Strassenzug perfekt gebaut, jedes Gruenplaetzchen liebevoll hergerichtet, alles wirkt neu, nichts ist kaputt, kein Randstein ist beschaedigt, der Strassenasphalt Formel-Eins tauglich, schlichtweg perfekt, aus einem Guss. Der Flug in der Boeing 777-300 mit Monitoren, vielen Videogames, einer grossen Musikbibliothek und etlichen zur Verfuegung stehenden Filmen, stimmt auf Dubai ein. “Play it again, Sam !” hiess es fuer mich diesen Nachmittag.

Irgendwie bin ich froh, Indien den Ruecken gekehrt zu haben. Das indische Voelkchen versucht bei jeder Gelegenheit, die Touristen ueber den Tisch zu ziehen. Wenn sogar beim Kauf von WC-Papier minutenlang gefeilscht werden muss, hat man irgendwann mal die Nase voll. Der Laerm und der Gestank sind ein Thema fuer sich.

Das Taxi, das um 6:30 vor dem Hotel stehen sollte , ist natuerlich mit einer halben Stunde Verspaetung gekommen. Man wollte noch andere Touristen mitnehmen, die allerdings zum “Domestic” Flughafen fahren wollten. In diesen Situationen heisst die Devise: grob sein und die Leute anschreien. Etwas das ich besonders hier in Indien gelernt habe. Der Taxichauffeur ist dann schnurstracks zum International Airport gefahren, seinem Versuch, mir noch zusaetzliche 50 Rupees fuer den
Transport des Fahrrades abzuknoepfen, war selbstverstaendlich kein Erfolg beschieden.

Das Security-Personal im Flughafen scheut sich gar nicht, fuer seine Dienste einen “Tip” zu verlangen. Mein suspektes Gepaeck haette nochmals durch einen Angestellten durchsucht werden muessen, mit einem kleinen Bakshish ist mein Gepaeck aber sofort auf das Rollband gelandet. Und meine Diafilme mussten – ohne Blickes gewuerdigt zu werden – nicht durch die Roentgenmaschine. Ich sah halt vertrauenswuerdig aus. Selbst meine Zeltheringe, die ich bloederweise im Handgepaeck hatte, haben unbesehen den Weg nach Dubai gefunden.

Ich geniesse nun die friedliche Abendstimmung hier in Dubai, werde wie ein Koenig im Hotel Capitol speisen und bereits Morgen in Paris sein.


Ruhe in Nepal

Nach einer Woche in Katmandu, wohlgenaehrt und gestaerkt durch unzaehlige Steak-Sizzlers, muss ich wieder raus in die frische Luft. Obschon die Hauptstadt Nepals nur 700’000 Einwohner hat, ist sie eine der schmutzigsten Staedt auf diesem Planeten. Diskussionen ueber Feinstaub werden hier keine gefuehrt. Politisch ist die Luft hingegen einigermassen rein. Vor kurzem haben sich die maoistischen Rebellen und die Regierung auf eine Uebergangsverfassung geeinigt, der ungeliebte Koenig Gyanendra hat seine Macht bis zu den Wahlen im Juli dem Regierungschef uebertragen.

Nicht sauber sind hingegen die neuen Bestimmungen, die geeignet sind, die Wanderfreuden zu trueben. Ab jetzt darf nur noch mit einem Fuehrer oder einem Traeger, fuer rund 9 Dollar am Tag, auf Trekkingtour losgezogen werden. Zur Sicherheit der Touristen, betonen die vielen Trekkingagenturen, die sich die Haende reiben. Laecherlich, denn die beruehmten Treks wie der Annapurna Circuit Trek, Sanctuary Trek oder Jomosom Trek sind breite Wanderpfade mit vielen Lodges und Unterkuenften am Wegesrand. Waehrend zwei bis drei Wochen wandert man mit einem leichten Tagesrucksack. Ein Verirren ist nicht vorstellbar und die Situation mit den Maoisten hat sich soeben erheblich beruhigt. Die westlichen, zahlungskraeftigen Touristen sind eine willkommene Einkommensquelle. Im nahegelegenen Bakhtapur wird man nicht verlegen, fuer die Besichtigung der Altstadt zehn Dollar Eintritt abzuknoepfen.

Nepal, in dem acht der zehn hoechsten Berge der Erde liegen, ist ein Paradies fuer Trekkingtouren und Bergsteiger. Es ist mir aber nicht recht nach Wandern zumute. Vielmehr verspuere ich Lust, wieder in die Pedale zu treten und noch bis nach Delhi zu radeln. Ich mache mich also Richtung Westen auf, durch die huegelige subtropische Landschaft Nepals. Sobald der Stadtverkehr Katmandus hinter mir liegt, kann ich wieder eine ruhige Fahrt durch Reisterrassen, Bananenplantagen und ueppigen Waeldern geniessen. Hier ist die Heimat der ethnischen Gruppe der Gurkhas, bekannt durch die weltweit hoch angesehenen Gurkha Soeldner, die sich vor allem in den Dienst der britischen und indischen Armee gestellt haben.

Ein Abstecher zum Dorf Bandipur, auf einem Sattel gelegen und 600 Hoehenmeter von der Hauptstrasse entfernt, ist nach meinem Geschmack. Ruhe, Beschaulichkeit, ein gemuetliches Guesthouse und gutes Essen. Ein Ruhetag und ein kleiner Spaziergang durch die umliegenden Doerfer tragen zur Entspannung bei. Am naechsten Morgen steht mir dann eine Abfahrt durch den dichten Nebel bevor.

In Pokhara, dem Ausgangspunkt fuer viele Trekkingtouren, verlaesst mich dann das Wetterglueck. Die einzigartige Sicht auf das Annapurna-Massiv wird durch Regenwolken verdeckt. Ich muss mich mit den feilgebotenen Postkarten und Posters vorlieb nehmen. Ich treffe die schrille Heather, die soeben von einer Trekkingtour zurueckkehrt und mit der ich einen Tag in Tibet unterwegs war. Wir haben uns manche Erlebnisse und Anekdoten zu erzaehlen.

Es geht staendig rauf und runter. Jeden Tag schaffe ich so rund tausend Hoehenmeter. Ich freunde mich langsam mit dem nepalesischen Kuechenzettel an: zu essen gibt es meist nur das Nationalgericht Dhaal Baat: Linseneintopf, Gemuesecurry und viel Reis. Ein Abstecher nach Tansing, wieder auf einem Huegel gelegen, belohnt mich mit einer Sicht auf das Terai, das Flachland im Sueden Nepals und Teil der Gangestiefebene. Kurz vor der indischen Grenze in Lumbini, dem Geburtsort Buddhas, treffe ich mich mit Stephane Soray. Rund um den Wallfahrtsort ist ein riesengrosser Park errichtet worden. Buddhistische Staaten aus aller Welt sind daran, buddhistische Tempel zu errichten. Leider sind diese Betonbauten ein billiger Abklatsch von Originalen und jegliche Handwerkskunst wird verschmaeht. Den kitschigen Tempeln fehlt jegliches Leben. Eine verpasste Chance, schade.


Namaste !

Viele werden sich fragen, wieso ich nicht die Festtage zuhause verbringe, obschon ich Tibet seit laengerem hinter mir habe. Nun, zum Leidwesen meiner Liebsten lasse ich meine Reise auf dem indischen Subkontinent ausklingen und werde Weihnachten und Neujahr in Indien verbringen. Die Verlockung, von Katmandu noch bis Dehli zu radeln, um einen Eindruck von Indien und dem Hinduismus zu erheischen, war zu gross. Ich befinde mich gerade in Varanasi (ehemals Benares genannt) am heiligen Fluss Ganges, wo sich taeglich Tausende von Pilger und Einheimischen einer rituellen Waschung unterziehen. Der Fluss selber hat mittlerweile den Reinheitsgrad einer Kloake erreicht. Indien ist laermig, bunt, nichts fuer klaustrophobisch veranlagte oder Koerpernaehe scheuende Menschen. Aber sehr faszinierend !

Allen fleissigen und weniger fleissigen Blog-Leserinnen und Lesern wuensche ich frohe Weihnachten und einen guten Rutsch ins 2007 !


Besetztes Land

Ich befinde mich auf dem legendaeren Friendship Highway, der von Lhasa nach Katmandu fuehrt. Was fuer ein Unterschied zur bisherigen Fahrt durch Westtibet: eine breite flache Piste, die ab Tingri durchgehend bis nach Lhasa asphaltiert ist. Strom und Handyempfang auf der ganzen Strecke, zahlreiche Ortschaften und Gasthaeuser, der Verkehr wird vor Lhasa ungewoehnlich dicht. Alles wirkt etwas sauberer und aufgeraeumter. Der Highway ist einiges touristischer als die suedliche Kailash-Route. Und ploetzlich strecken Kinder und Tibeter ihre Haende aus, um zu betteln. Anstatt des “Tashi deleh!” hoere ich oefters “Hello, money!”. Biker mit bunten Trikots auf organisierten Touren lassen sich fuer eine Stange Geld ihr Gepaeck von einem Begleitjeep transportieren.

Nachdem ich am Morgen noch den Shishapangma (8’012 m) auf meiner Rechten hatte, kann ich am spaeten Nachmittag zum ersten Mal den hoechsten Berg der Erde, den Mount Everest (8’848 m) bestaunen. Unverkennbar und maechtig ragt die “North Face” im roetlichen Abendlicht. Der Abstecher zum Mount Everest Base Camp erfordert eine Woche mit dem Rad. Das ist mir zu lange. Dank der zahlreichen Jeeptouristen finde ich rasch eine Mitfahrgelegenheit bis zum Rongbuk Gompa, dem hoechstgelegenen Kloster der Erde. Die Spitze des Everest verhuellt sich leider in Wolken. Erst bei Einbruch der Dunkelheit verziehen sich diese, sodass ich den Bergriesen im Mondlicht bewundern kann.

Am Fusse des Mount Everest

Viele Geschichten ranken sich um den hoechsten Berg der Erde, von den Tibetern Chomolungma genannt. Am 29. Mai 1953 erklimmen der Neuseelaender Sir Edmund Hillary und Sherpa Tenzing Norgay als erste Menschen den Gipfel. Die folgenden vier Bergsteiger, die den Gipfel erreichten, waren uebrigens Schweizer (wie auch die Erstbesteiger des nahegelegenen Lhotse, dem vierthoechsten Berg der Erde). Die meisten besteigen den Everest mit Sauerstoffmasken. Ohne derartige Hilfsmittel gelang es 1978 erstmals dem Suedtiroler Reinhold Messner und dem Oesterreicher Peter Habeler. Zwei Jahre spaeter bestieg Messner im Alleingang, ohne Sauerstoffmaske und waehrend der Monsunzeit den Berg, eine der groessten Leistungen in der Geschichte des Bergsteigens.

Der Everest ist zum Spielfeld der Eitelkeiten geworden. Jeder versucht einen neuen Rekord zu schlagen: der juengste Evererst-Summiter, der aelteste, der schnellste, die erste Abfahrt vom Gipfel mit dem Snowboard, die erste Frau, die meisten Besteigungen … Die Tatsache, dass jedes Jahr einige Bergsteiger am Berg verunfallen oder aus Erschoepfung zu Tode erfrieren, scheint die Faszination noch zu steigern. Am Base Camp, dem teuersten Zeltplatz der Erde (50’000 Dollar muessen fuer jede Expedition bestehend aus zehn Bergsteigern hingeblaettert werden …) gedenken viele Steintafeln der Verunfallten.

Kulturschutz auf chinesisch

Auf feinem Asphalt rolle ich weiter nach Lhatse. Ich besuche mehrere kleinere Kloester am Wegesrand, die in den letzten Jahren wieder aufgebaut worden sind. Nach dem gewaltsamen Einmarsch der Chinesen in den 50-er Jahren und der folgenden “Kulturrevolution” sind in Tibet 99 Prozent aller Kloester und Tempel systematisch vollstaendig zerstoert worden. Religioese Vertreter wurden hingerichtet, in Umerziehungslagern eingesperrt und gefoltert. Schaetzungen zufolgen kamen nach der gewaltsamen Besetzung Tibets rund eine Million Menschen ums Leben. In der offiziellen chinesischen Sprachregelung heisst es schamlos von “cultural protection in Tibet” und “peaceful liberation”. Von einer Selbstbestimmung ist in der “Tibet Autonomous Region” kein Hauch zu verspueren. Grundlegende Menschenrechte werden in Tibet nach wie vor missachtet und die letzten Demonstrationen sind stets blutig niedergeschlagen worden. Wen interessierts? Man will schliesslich Peking nicht mit Grundsatzerklaerungen ueber Demokratie in Verlegenheit bringen und auf lukrative Geschaefte verzichten.

Einblicke in tibetisches Klosterleben

Ich treffe in Shigatse ein, der zweitgroessten Stadt Tibets. Waehrend die gigantische Festung in Shigatse, der 1363 erbaute Dzong, bis auf die Grundmauern zerstoert worden ist und nun – wohl mit Hilfe von Disneyworld – in Rekordzeit und unter Missachtung der urspruenglichen Bauweise fuer den im Olympiajahr 2008 zu erwartenden Touristenstrom wieder aufgebaut wird, hat die Klosteranlage in Tashilunpo die Kulturrevolution halbwegs ueberlebt. Tashilunpo ist der Sitz des ehemaligen Panchen Lama, nach dem Dalai Lama die hoechste Autoritaet im tibetischen Buddhismus.

Der derzeitige 11. Panchen Lama ist 1995 – im Alter von 6 Jahren – nur drei Tage nach der Anerkennung durch den derzeitigen 14. Dalai Lama von den Chinesen aus Tibet entfuehrt worden. Sein Verbleib ist unbekannt und er gilt als juengster politischer Gefangener der Welt. Kein Wunder, dass der von der chinesischen Regierung gewaehlte 11. Panchen Lama von den Tibetern verschmaeht wird und in Tempeln nur Bilder des letzten “richtigen” 10. Panchen Lama zu sehen sind.

Von Shigatse aus mache ich einen kleinen Umweg suedoestlich nach Gyantse, dessen als uneinnehmbare Festung 1904 vom Briten Younghusband gestuermt worden ist. Weiter geht es zum heiligen See Yamdrok Tso. Der Weg fuehrt ueber den verschneiten Karo La Pass (5’086 m). Die Strassenarbeiter mit schwarzverschmierten Gesichtern trotzen der Kaelte. Naechstes Jahr wird die Strecke durchgehend asphaltiert sein. Gluecklicherweise klart der bewoelkte Himmel der letzten Tage auf. Der tuerkisblaue See und die schneebeckten Huegel auf der Nordseite sorgen fuer phantastische Lichtstimmungen.

In der verbotenen Stadt

Endlich erreiche ich Lhasa, die Hauptstadt Tibets, bis vor wenigen Jahrzehnten fuer Fremde praktisch unzugaenglich. Trotz Vorwarnungen ist es erschreckend festzustellen, wie wenig tibetisch Lhasa seit der chinesischen Invasion geworden ist. Fast alle tibetischen Quartiere sind durch farblose und kalte Betonbauten ersetzt worden. Noch vor wenigen Jahren ist das historische Quartier vor dem Potala Palast plattgewalzt worden, um dem Potala Square samt chinesischem Monument und der Hauptverkehrsader Platz zu machen. Einzig rund um den heiligsten Tempel Tibets, dem Jokhang, hat sich noch ein Stueck des alten Lhasa erhalten. Hier verbringe ich die meiste Zeit und schaue interessiert den aus aller Ferne hergereisten Pilgern zu, die den Tempel im Uhrzeigersinn umrunden. Viele vollziehen ihre Turnuebungen, indem sie sich den ganzen Tag lang vor dem Haupteingang auf den Boden werfen. Ich besuche die Kloester Sera und Drepung, die der Schulrichtung der Gelupga (“Gelbmuetzen”) angehoeren. In Drepung kann man am Nachmittag den Moenchen und Novizen beim Debattieren zuschauen.

“Happy Juarney”

Fuer etwas Heiterkeit sorgen die Sprachblueten des “Chinglish”, eigenartige Aneinanderreihungen von englischen Worthuelsen wie “Give you memorable feeling how delicious can not forget, special taste” oder “The flavour remains produced meticulous choiceness raw material. Best enjoyment Quality guarantee. Give first choose treasure Agreeable to taste “ (sic), wie sie auf der Verpackung von Biskuits zu lesen sind.

Waehrend meines Aufenthalts in Tibet habe ich keinen Zugang zu den dort lebenden, bzw. arbeitenden Han-Chinesen gefunden. Sie wirken etwas freudlos und zeigen wenig Anpassungsvermoegen. Anders kann ich mir nicht erklaeren, dass selbst bei Minustemperaturen die Tueren ihrer nicht-beheizten kahlen Restaurants sperrangelweit offen sind und das Essen kalt ist, bevor es noch auf den Tisch kommt. Einiges angenehmer sind mir da die tibetischen Gasthaeuser mit gemuetlichen Sitzbaenken und einem Ofen in der Mitte des Raumes, der mit Yakdung angefeuert wird. Eine Chinesin will mir fuer einen Tee (der zum Essen immer gratis serviert wird) 10 Yuan (ca. 1 Euro) abknoepfen. Mir platzt der Kragen ob dieser Frechheit und ich schreie die geldgierige Frau lauthals an. Andererseits muss das Hotelzimmer stets im voraus bezahlt werden, ansonsten man aus dem Tiefschlaf gerissen wird, damit die grimmige Angestellte ihren “Charge Room” eintreiben kann.

Ein duesteres Kapitel in Asien und speziell in China ist die Unsitte der Spuckerei, der unappetitliche Laute vorangehen. Selbst nette Damen verschliessen sich dieser Unart nicht. Ach ja, Deodorants finden in Tibet keine Verwendung; es ist unmoeglich, einen aufzutreiben.

Der laengste Downhill der Erde














Nach einer Woche Aufenthalt in Lhasa nehme ich den Bus zur nepalesischen Grenze und steige bei der Abzweigung zum Shishapangma Base Camp aus, von wo ich hergekommen bin. Ein letzter Doppelpass auf ueber 5’000 Metern ueber Meer steht mir bevor. Trotz klaren Wetters zieht ein starker Gegenwind auf, der mich auf dem letzten Kilometer zum Schieben zwingt. Die Sicht auf die Himalayaberge ist dafuer einzigartig und unbeschreiblich. Und die Aussicht, das mir die laengste Abfahrt der Erde bevorsteht, laesst mich die minus 10 Grad schnell vergessen. Die Abfahrt ist wahnsinnig: in rund 140 Kilometern geht es von knapp 5’200 Metern runter auf 800 Meter. Die Vegetation aendert im Zeitraffer, wird gruener, dichter und abwechslungsreicher.

Der Abschnitt von Nyalam bis zur nepalesischen Grenze ist am steilsten. Nach einem flachen, kurvenreichen Stueck oeffnet sich die Sicht auf die in die Bergflanke gehauene Strasse. Ich komme mir vor wie bei einer Achterbahn vor dem Start. Innert weniger Stunden kriege ich zuerst vereiste Baeche und spaeter dichte Laubwaelder zu sehen. Nach Monaten auf dem tibetischen Hochplateau sehe ich wieder einmal einen richtigen Wald! Die Temperaturen klettern auf 25 Grad. Schicht um Schicht kann ich mich ausziehen. Neuartige Duefte stroemen mir entgegen.

Nach der letzten chinesischen Ortschaft habe ich eine schwindelerregende Sicht auf Kodari, dem Grenzort Nepals, und der Freundschafts-Bruecke. Was fuer ein Wechsel! Buntbekleidete Frauen in Sandalen und einem anmutigen Laecheln. Ein reges chaotisches Treiben herrscht auf der Freundschaftsbruecke. Ich fuehle mich gleich wohl in Nepal. Ich befinde mich bereits im subtropischen Klima Nepals und kann kuerzaermlig Bananen von den Baeumen pfluecken.

In zwei Tagen fahren ich bis zur Hauptstadt Nepals, Katmandu. Die Strasse ist anfaenglich durch Erdrutsche in einem schlechten Zustand, bald fahre ich aber auf Asphalt. Erst nach Stunden merke ich, dass hier Linksverkehr herrscht. Ich lasse all die neuen Eindruecke auf mich wirken. In Katmandu treffe ich auf Stephane, mit dem ich von Kashgar aus zusammen losgezogen bin. Ich quartiere mich im Touristenghetto Thamel ein, das ganz auf die Beduerfnisse der Trekkingtouristen ausgerichtet ist: Trekkingshops, Reiseagenturen, gute Restaurants und Baeckereien, bestens ausgestattete Buecherlaeden und Souvenirhops. Die Sehenswuerdigkeiten heissen hier “La Dolce Vita”, “Fire and Ice” und “Tom und Jerry”. Man kann in Thamel keinen Meter laufen, ohne dass Sprueche wie “Rikshaw, ok?”, “Haschisch, ok?” oder “Tiger Balm, ok?” auf einen niederprasseln. Natuerlich sehe ich mir die hinduistischen Bauten an, allen voran den Monkey Temple und Pashupatinath, die Kremationsstaette der Hinduisten.

Eindruecke aus dem indischen Subkontinent

Die folgenden Links fuehren zu den letzten Bildern aus Tibet, Nepal und Indien:

Bildergalerie “Tibet-Indien”
Bildergalerie “Iran – Zentralasien”
Bildergalerie “Schweiz – Tuerkei”


Liestal – Lhasa: 15’265 km

Nun habe ich endlich Lhasa, die Hauptstadt Tibets erreicht. Nach 15’625 Kilometern und neun Monaten stehe ich vor dem beeindruckenden Potala Palast, einem Meisterwerk der Architektur und Wahrzeichen Tibets. Ein grosser Moment. Zugleich endet meine wunderbare, wenngleich manchmal nervenaufreibende Treterei in Tibet nach ueber 9 Wochen.

Hier in Lhasa herrschen tagsueber angenehme Temperaturen bis ca. 20 Grad. Anders war es vor einigen Tagen auf dem vorletzten Paess ueber 5’000 Metern. Tief verschneit und eiskalt. Umso mehr geniesse ich jetzt in einem ganz italienischen Cafe bei einem guten Espresso die Stimmung rund um den Jokhang, dem heiligsten Tempel Tibets. Und fuer die italienische Gesellschaft sorgt Isabella, eine Mitarbeiterin einer NGO, die mich bereits mit ihren Kollegen in Dushanbe (Tadjikistan) beherbergt hatte.

In den naechsten Tagen werde ich ausfuehrliche Berichte ueber die Fahrt suedlich des Kailash bis nach Saga und dem See Paiko Tso sowie ueber den touristischen Friendship Highway einschliesslich den Abstechern zum Everest Base Camp sowie zum heiligen See Yamdrok Tso nachliefern. Ich ruhe mich jetzt einige Tage aus, werde die Gelbmuetzen-Kloester rund um Lhasa besichtigen und hoffe, eine Fahrt bis zur nepalesischen Grenze organisieren zu koennen, um nicht den Friendship Highway nochmals radeln zu muessen.

A presto !


Abstecher zum Koenigreich Guge

Bereits frueher als erwartet melde ich mich aus dem fernen Tibet zurueck. Zur Zeit befinde ich mich in Tielong (Zhada), ca. 200 Kilometer suedlich von Ali (Shiquanhe). Wieder eine dieser Kleinstaedte im Niemandsland mit vielen Annehmlichkeiten einschliesslich Internet. Tielong ist das Sprungbrett fuer Besichtigungen der 20 km nahen Ruinen des Koenigreiches Guge. Dementsprechend sind viele auslaendische wie auch chinesische Touristen hier anzutreffen.

Nach drei Ruhetagen in Ali schwinge ich mich mit etwas schweren Beinen wieder auf den Sattel. Keine Ueberraschung, aber trotzdem eine willkommene Abwechslung: die ersten 80 Kilometer nach Ali sind seit einigen Jahren asphaltiert. Kurz vor der tibetischen Ortschaft Namru, wo ich mein erstes Tsampa verspeise, verlasse ich also den Highway 219 und wechsle auf eine holprige und steinige Piste rauf zu einem Pass von 5’325 M.ue.M, gefolgt von einem zweiten, den Ayi La (5’395 M.ue.M.). Die ueber 1’000 Meter Hoehendifferenz auf einer mehr schlechten als rechten Piste wollen erkaempft werden. Zwischendurch kann ich bei einer tibetischen Frau herrlich warme Wollsocken kaufen, die ich fuer die kuehlen Naechte, in denen das Wasser in den Trinkflaschen regelmaessig einfriert, dringend brauche. Die Fahrt durch das sandige Flussbett des Sutley Flusses, wo mir mein Velo staendig auszurutschen droht, ist lohnenswert. Ich radle durch eine bezaubernde Landschaft, umgeben von verwitterten und verwaschenen Berghaengen, eine Mischung aus Kappadokien und dem Grand Canyon.

Hier im Sutley-Tal, nahe Tsaparang, koennen die Ueberreste des Guge Koenigreiches besichtigt werden. Guge, in einem Seitental des suedwestlich verlaufenden Brahmaputra Flusses liegend, verdankte seinen Reichtum – wie die Koenigreiche Ladakh und Purang – dem Handel zwischen Tibet und dem indischen Subkontinent. Das Reich unterlag im 17. Jahrhundert Ladakh und zerfiel. Die Festung, die auf einem Felsen thront, wurde im Zuge der chinesischen Kulturrevolution arg zerstoert. Etliche Buddha-Statuten wurden vernichtet. Einzig die aus kunstgeschichtlicher Warte aussergewoehnlichen Wandmalereien haben die Verwuestungen einigermassen unbeschadet ueberlebt.


Auf dem Xinjiang-Tibet Highway

Es scheint schon fast zur Gewohnheit geworden zu sein, dass ich mir in Grossstaedten Magenprobleme einfange. Und so muss ich in Kashgar wieder einmal einen heftigen Durchfall mit Antibiotika behandeln. Die fuenf Tage verfliegen im Nu und wir zehn Radler im Chini Bagh Hotel haben alle Haende voll zu tun. Ich unterziehe meinen Drahtesel einer Rosskur und kann rund sieben Kilo “abspecken”, um so leicht wie moeglich unterwegs zu sein. Am 5. September starten wir alle gemeinsam, die meisten Richtung Tibet, wobei die zwei belgisch-hollaendischen Radlerpaare einen Bus nehmen, um sich den Weg am Rand der Taklamakan-Wueste zu ersparen.

Ich starte mit Stephane aus dem Welschland, der sich sein Velo nach Bishkek hat schicken lassen und vom Backpacker zum Tourenfahrer “aufgestiegen” ist. Dank gutem Asphalt spulen wir in den ersten zweieinhalb Tagen ueber 240 Kilometer ab. Die staubige und diesige Luft sorgt fuer eine vernebelte Stimmung auf den langen Pappelalleen. Die Truckfahrer, die konstant auf die ohrenbetaeubende Hupe druecken, nerven. Wir ueberholen zahlreiche Eselskarren und geniessen die Fahrt durch kleinere und groessere Ortschaften mit lebhaftem Markttreiben.

Nach Yecheng biegt eine Nebenstrasse in den Xinjiang-Tibet-Highway, der G 219, ein. Wer in diese Strasse einbiegt, hat nur ein Ziel: Tibet. Der Xinjiang-Tibet-Highway ist eine der haertesten Radstrecken. Er streift die Taklamakan-Wueste, fuehrt durch das Kunlun-Shan-Gebirge und das Aksai Chin-Plateau mit Paessen ueber 5’000 Metern, passiert die Hauptstadt von Westtibet, Ali, um den heiligen Berg Kailash (Kang Rinpoche) und den heiligen See Manasarovar zu erreichen und schliesslich auf den Friendship Highway (Lhasa-Katmandu) zu stossen. Von Kashgar bis Lhasa erwarten dem unermuedlichen Tourenfahrer 2’884 Kilometer, zumeist auf Wellblechpisten, Schotter und Sand, begleitet von heftigen Nachmittagswinden und kalten Naechten.

Es gilt vorsichtig zu sein, denn in Yecheng ist die bei Radlern gefuerchtete P.S.B (Police Security Bureau) anwesend, die Velofahrer davon abzuhalten versucht, auf die G 219 abzubiegen. Fuer Reisen durch das von China annektierte “Autonome Region Tibets” ist ein zusaetzliches Permit erforderlich, das man nur in Lhasa, nicht aber in Kashgar erhaelt. Zudem wird dieses Permit nur organisierten Gruppen mit chinesischem Fuehrer gewaehrt, nicht jedoch Individualtouristen. Und so muss man halt illegal durch Tibet reisen und vor der P.S.B auf der Hut sein. Kaum in Yecheng angekommen, ueberholt uns ein Streifenwagen in langsamer Fahrt und mustert Stephan und mich aus. Sie halten vor uns. Nun ja nicht anhalten ! Wir gruessen die Polizisten freundlich mit einem “Ni hao” und fahren unbeirrt weiter. Sie verfolgen uns noch eine Weile, doch bald lassen sie zum Glueck von uns ab. Nun wie nichts auf die G 219 und strampeln, was die Beine herhalten. Bald schon weicht die geteerte Strasse einer Schotterpiste, die sich zum 3’300 Meter hohen Kudie-Pass hinaufschlaengelt, einer Aufwaermuebung fuer die folgenden Paesse und der einzige 3’000-er Pass auf der ganzen Strecke. In Kudie passieren wir problemos einen Militaer-Checkpoint.

Von knapp 3’000 M.ue.M. klettern wir nun waehrend rund 50 Kilometern rauf zum Chiragsaldi La auf 4’980 M.ue.M. Die Anstrengung ist gross. Stephane muss sein Fahrrad mit Anhaenger auf den letzten Kilometern schieben, die Rosinen bekommen ihm nicht Wohl. Der Hoehenunterschied ist gewaltig und ich verspuere Kopfweh. Um nicht hoehenkrank zu werden, steigen wir schnell vom Pass ab, wo die Temperaturen auf den Gefrierpunkt gesunken sind. In holpriger Fahrt, in der uns die Haende einschlafen und fast einfrieren, brettern wir runter nach Mazar (3’800 M.ue.M.), einem Truckstopp. Wir lernen diese aneinandergereihten Baracken, wo man feine chinesische Nudeln serviert erhaelt und Biskuits zu ueberteuerten Preisen einkaufen kann, schaetzen. Jedes Restaurant bietet ein einfaches Dormitory, wo man sich zusammen mit den umherirrenden Maeusen breitmachen kann. Am Morgen lassen wir uns nochmals Nudeln kochen. Stephane, vermeintlicher Schnellesser, ist erstaunt, als ich meinen Teller, begleitet von einer Packung Milk-Cookies, innert Minuten leergefegt habe.

Wir nehmen uns einen “gemuetlichen” Tag von nur 50 Kilometern bis zum Beginn des naechsten Passes vor. Wellblech, Schotter und Bachueberquerungen bremsen uns ein, sodass wir ueber fuenf Stunden unterwegs sind. Wir kommen bei einem uyghurischen Strassenunterhalt-Camp unter, wo wir am Morgen zusammen mit der ganzen Mannschaft eine leckere Nudelsuppe essen. Die naechste Huerde, der Kirgizjangal Pass (4’955 M.ue.M) steht uns bevor. Mittlerweile sind wir gut akklimatisiert, sodass wir uns ohne Beschwerden den Pass hinaufkaempfen koennen. Ich klettere zu Fuss noch auf einen Huegel, wo ich eine atemberaubende Sicht auf das Kunlun-Shan Gebirge geniessen kann. Bis zum naechsten Truckstopp, Xaidulla, zehrt die sandige Waschbrettpiste an unseren Nerven. Wir sinken im Sand ein und kippen gelegentlich um, waehrend uns die Konvois der Militaerlastwagen einnebeln. Aus Wut bewirft Stephane irgendwann seinen Goeppel mit einem Stein.


Heather, eine englische 37-jaehrige Radfahrerin, gesellt sich fuer einen Tag zu uns. Das Wetter schlaegt um und von hinten naehert sich uns ein bedrohlicher Sandsturm. Heather ist ganz aufgeregt: “Oh, that’s exciting, that’s like in the films with the tornados. Don’t look behind! Just keep on cycling” Wir schaffen es gerade noch, unsere Zelte an einem einigermassen windgeschuetzten Ort aufzustellen. In der Nacht faengt es an zu schneien, sodass am Morgen unsere Behausungen und die umliegende Landschaft sich in einem weissen Kleid zeigen. Die schrille und aufgedrehte Heather faengt in ihrem japanischen Mini-Zelt an, Weihnachtslieder zu singen. Stephane und ich verabschieden uns von Heather und machen uns auf den Weg Richtung Khitai Pass (5’190 M.ue.M), dem bis anhin hoechsten Punkt auf meiner Reise. Hier faengt auch das umstrittene Aksai Chin Plateau an, von China verwaltet und von indischer Seite beansprucht. Eine der weltweit hoechsten Strassen auf ueber 5’000 Metern fuehrt waehrend rund 100 Kilometern durch diese strategisch wichtige Ebene im Nordosten Ladakhs.

Wir stossen auf das belgisch-hollaendische Quartett. Das Fahren in der Gruppe behagt mir nicht. Ich moechte meine Fahrt nach Tibet alleine geniessen. Stephane, der auf seiner ersten Velotour ueberhaupt unterwegs ist, beklagt sich ueber starke Nackenschmerzen und wird einige Tage spaeter auf einen Truck umsteigen. Ich verabschiede mich von allen und mache erst spaetabends Halt. Nach dem Satsum La (5’350 M.ue.M.) durchquere ich – 12’898 Kilometer nach meinem Start im Februar – die Grenze zu Tibet. Ab jetzt bin ich definitiv illegal unterwegs! Die Landschaft mit den weissen Schneebergen und den gelb-gruenen Huegeln wirkt bereits sehr tibetisch. Der hoechste Pass auf meiner Strecke steht mir bevor, der Qieshan La mit 5’400 M.ue.M., wo nur halb soviel Sauerstoff wie auf Meereshoehe eingeatmet werden kann. Bei der Abfahrt werde ich von Graupelregen ueberrascht. Ich beschliesse, da es erst vier Uhr nachmittags ist, noch weiterzuradeln. Gluecklicherweise klart dann der Himmel etwas auf und die Sonne beleuchtet die frisch verschneiten Huegel.

Die Strassen sind nach wie vor in einem schlechten Zustand. In Domar, der ersten tibetischen Siedlung, kann ich mich nach Tagen wieder mit warmem Wasser waschen. Ein sandiger Abschnitt entlang einem Salzsee nagt an meinen Kraeften. Weiter geht es dem Pangong Tso, einem See auf 4’250 Hoehe, entlang. Als ich in einem kleinen Fischrestaurant frischen Fisch in allen Variationen verspeise und sich die Abendsonne ueber den tiefblauen See mit den bunten Fischerbooten legt, fuehle ich mich ein klein wenig wie in der Costa Azzurra. In Rutok, eine von den Chinesen aus dem Boden gestampfte Kleinstadt treffe ich auf das belgische Radfahrerpaar Polle und Els. In Rutok ist wegen der Anwesenheit des P.S.B. Vorsicht angebracht. Die Luft scheint rein zu sein. Wir essen gemeinsam in einem Restaurant einen Teller Nudeln. Welch ein Schreck: als wir aufbrechen wollen, taucht ein Beamter in seiner unverkennbaren dunkelblauen Uniform auf, trinkt einen Tee und nimmt das Handy zur Hand. Oh nein, denken wir. Doch es passiert nichts. Wir begruessen ihn freundlich und verziehen uns rasch.

Die Strecke zwischen Rutok und Ali, der Hauptstadt von Westtibet (Ngari) scheint nach den Berichten anderer Velofahrer die uebelste Waschbrettpiste des ganzen Highway zu sein. Ich finde hier aber auf den ganzen 120 Kilometer eine Grossbaustelle vor und kann auf einer flachen, zehn Meter breiten Piste rollen, die wohl schon bald asphaltiert sein duerfte. Die unzaehligen tibetischen Arbeiterinnen und Arbeiter mit Mundschutz, die muehsam von Hand Steine meisseln und Schutzwaende und -daemme errichten, stehen im eigenartigen Widerspruch zu den schweren Caterpillar und Komatsu Baggern.

Als ich von einer Anhoehe endlich die Stadt Ali (Shiquane) erblicke, muss ich an einen Radler aus Dushanbe denken, der in gut schweizerischem Akzent ueber die Fahrt durch Tibet meinte: “And daad was joeschd so wontrfool!”. Ich denke mir nur: “That is just so crazy!”. Nach ueber 1’300 Kilometern durch einsame Wuesten, Hochgebirgen und -ebenen inmitten des Niemandslandes eine richtige Stadt mit Hochhauesern, voller Geschaefte, Restaurants und Taxis. Die Tibeter hier in Ali scheinen recht chinesisch zu wirken und dem Stadtleben nicht abgeneigt zu sein.

Es mag unlogsich klingen, doch in Ali begebe ich mich schnurstracks zum P.S.B. und stelle mich freiwillig. Vor fuenf Polizeibeamten der “Entry and Exit Administration” werde ich zu meiner bisherigen Fahrt verhoert. Ich gebe zu, durch Sumxi, Domar und Rutok gefahren zu sein, welche fuer Auslaender gesperrt sind und somit chinesisches Recht gebrochen zu haben. Die Sanktionen reichen von der Konfiskation des Velos, der Kuerzung der Visadauer, der Rueckweisung bis zur Busse. Ich werde mit 300 Yuan (ca. 45 Franken) gebuesst, werde auf das Rechtsmittel hingewiesen und erhalte fuer 50 Yuan das begehrte “Alien Travel Permit” fuer die Weiterfahrt zum Mt. Kailash und dem Guge Kingdom. In Ali scheint man einen modus vivendi im Umgang mit den “Gesetzesbrechern” gefunden zu haben. Sie nach Kashgar zurueckzuschicken, waere unverhaeltnismaessig. Also buesst man sie und laesst sie weiterziehen. Die Stimmung ist im Uebrigen auesserst freundlich und man gibt sich besorgt ueber moegliche Schneefaelle im Oktober.

Abends treffe ich mich der ganzen Schar der Velofahrer einschliesslich Stephane. In einer kitschigen tibetischen Disco froehnen wir dem Laster, kippen reichlich “Lhasa Beer, the beer of the roof of the world”, gehen mangels Toiletten ab und zu nach draussen, um auf die Strasse zu pinkeln und lassen das Tanzbein schwingen.

Bildergalerie

Beim letzten Bericht hat der Link zu den Bildergalerien nicht ganz geklappt. Hier gehts nun zu den Bildern vom Iran und denen von Zentralasien. Der Vollstaendigkeit halber die erste Bildergalerie. Hier (anklicken) kann ein Video angeschaut werden, das ich mit meiner Handykamera von der Fahrt nach Kashgar gedreht habe.Viel Spass und bis in etwa drei Wochen aus Saga.


Zwischen zwei Welten

Nach dem Ruhetag in Sary-Tash kann ich einigermassen gestaerkt meine Reise nach Osh fortsetzen. Obschon die Reise von rund 3’000 runter auf 1’000 Metern ueber Meer auf den ersten Blick entspannend toent, daempfen der Taldyk-Pass (3’610 M.ue.M) sowie der starke Gegenwind die Stimmung. In Osh herrschen sommerliche Temperaturen um 30 Grad und ich geniesse nach langer Zeit wieder die Vielfalt an Fruechten und Gemuesen. In Osh, das im usbekisch besiedelten Fergana Tal liegt, sieht man viel mehr schwarze usbekische Huete als die kirgisischen Kalpaks. Zusammen mit zwei Franzosen klappere ich die besten Restaurants ab und esse mich drei Tage lang voll. Wohlernaehrt und mit meinen Packtaschen voller Kalpaks, die es hier im Bazar guenstig zu ergattern gibt, suche ich einen Jeep, um den Weg nach Sary Tash nicht nochmals radeln zu muessen. Rachim, unterwegs mit seiner betagten russischen Volga, macht mir einen guten Preis. Wir verabreden uns am naechsten Tag um acht Uhr. Die Fahrt werde fuenf Stunden dauern und es habe nur fuer vier Passagiere Platz.

Bis wir tags darauf starten koennen, vergeht eine Ewigkeit. Rachim muss zuerst noch seine Laghman essen. Nach nur 500 Metern steht der Wagen still. Kein Benzin. Rachim muss zu Fuss einige Flaschen Benzin auftreiben. Dann biegt er in eine Nebengasse ein. Ich kann gerade noch verhindern, dass er zwei schwere Kisten mit Tomaten auf meinem Velo ablaedt. Seine Frau und die beiden Kinder steigen ein und ploetzlich finde ich mich eingepfercht auf dem Hintersitz mit vier anderen Passagieren. Ausgangs Osh haelt uns ein Polizist an. Rachim steigt schnell aus und bezahlt “ordnungsgemaess” den Bakschisch von 10 Som. Endlich kann es – gegen 11 Uhr – losgehen. Doch bereits beim ersten Bach haelt er an, um seine “machina” abzukuehlen und mit Wasser zu begiessen. Genau 14 Mal wird er in den naechsten 180 Kilometern anhalten, um frisches Kuehlwasser zu schoepfen. Um sechs Uhr abends treffen wir endlich in Sary Tash an. Ich komme mir vor, als waere ich hierhin geradelt. Ich mache Rachim klar, dass er die versprochene Leistung nicht vollumfaenglich erbracht hat und fordere einen Preisabschlag. Nur nach hitzigem minutenlangen diskutieren gewaehrt er mir zehn Prozent.

Am kirgisch-chinesischen Zoll uebernachte ich im einzigen Hotel. Etliche Lastwagen warten bereits vor dem chinesischen Zoll, der ueber das Wochende geschlossen hat. Es trieft nur vor Dreck. Ueberall liegt Altmetall herum, in der Naehe des Flusses verunziert Kot die Gegend. Am Morgen vergeude ich die Zeit mit der Suche nach einer CD mit dem kirgisisch-russischen Gassenhauer “jorni glasar” (schwarze Augen). Ich treffe auf ein Bikerpaar aus Amsterdam. Zusammen mit Jan und Jane harren wir vor dem kirgisischen Zoll aus, bis wir endlich durchgewunken werden. Zwischen den beiden Zollabfertigungen treffen wir noch auf den 54-jaehrigen Amerikaner Bill, mit dem wir eine halbe Stunde lang hilfreiche Tipps austauschen und Geld wechseln. Der Zeitumstellung tragen wir nicht Rechnung und so ist bereits Mittag und – Ordnung muss sein – der chinesische Zoll bis 14:30 Uhr geschlossen. In der Zwischenzeit treffen Polle und Els aus Belgien ein.

Zu fuenft warten wir nun sehnsuechtigst, bis wir am chinesischen Zoll abgefertigt werden. In zwei Tagen fahren wir durch eine abwechslungsreiche Landschaft runter nach Kashgar, einer wichtigen Etappe auf der alten Seidenstrasse. Die baktrischen Kamele kuenden die Taklamakan-Wueste an. Die Uyghuren sind in Kashgar zwar in der Mehrheit, werden aber mehr und mehr von den Han-Chinesen verdraengt. Das Stadtbild ist in den letzten Jahrzehnten sehr chinesisch geworden. Sportgeschaefte und grosse Supermaerkte mit einem unglaublichen Angebot ueben ebenso eine Faszination aus wie der weltberuehmte orientalische “Sunday Market” und der “animal stock market”, wo man zuschauen kann, wie Schafe geschlachtet werden oder Esel blutig mit Hufeisen beschlagen werden.

Wir logieren im Cini-Bagh Hotel, wo wir andere bekannte Tourenfahrer treffen. Es ist erstaunlich, wie sich die Wege kreuzen. Ich treffe Sander und Jessica, die ich in Samarkand kennengelernt habe wie auch Stephan Soray, den ich zuletzt vor ueber zwei Monaten in Yazd (Iran) gesehen habe und der das Wagnis eingeht, sich auf dem Sunday Market sein Ohrlaeppchen blutig rasieren zu lassen. Beat Blaser aus der Schweiz kenne ich erst von den Eintraegen aus den turkmenischen Guestbooks her. Beat und Polle und Els haben sich im Iran getroffen. Stephan (derjenige, der sich sein Velo nach Bishkek hat schicken lassen…) kennt jedermann, der in den letzten zwei Monaten in Kirgistan war. Und, und, und … Wir machen uns einen Spass daraus, dass eine Wort mit T nicht auszusprechen und verwenden stattdessen Toronto. Wir freuen uns – ausser Jan und Jane, die wegen Janes schmerzendes Knie leider ihre Reise unterbrechen muessen – auf die Fahrt durch die atemberaubenden Landschaften Torontos. Alle schreiben fleissig an ihren Webseiten und Blogs, verschicken Pakete, kopieren Karten und Reisebuecher, putzen und flicken ihre Velos. Und so vergeht die Zeit in dieser faszinierenden Stadt zwischen zwei Welten im Nu.

Bildergalerie “Iran und Zentralasien”

Ich werde nun laengere Zeit nicht mehr online sein. In der Zwischenzeit koennt ihr einige Bilder aus Iran und Zentralasien anschauen. Hier geht’s zur Bildergalerie.


Ein Tag in Sary Tash

Die Ausreise aus Tadjikistan geschieht ganz unbuerokratisch. Nach all den zahlreichen Checkpoints gewoehnt man sich langsam an diese stickigen Kabinen, deren Mobiliar sich gleicht: ein Ofen, ein Bettgestell aus Stahl, ein Schreibtisch mit einem alten Schulheft, einige Stuehle. Meine bisherige Reise sowie meine Herkunft (“Aaah, Italia Schampion”) macht dem Beamten genug Eindruck, um nicht weiter auf die nichtexistierende “customs declaration” zu bestehen. Noch einen steilen Kilometer und ich habe es bis zum Kizil-Art Pass (4’290 M.ue.M) , der die offizielle Grenze zu Kirgistan bildet, geschafft. Der Pass wird seinem Namen gerecht (Zidane hat im WM-Finalspiel die “kizil kart” erhalten …) : die Landschaft ist sienarot gefaerbt, die Baeche und Fluesse sind ebenfalls blutrot getraenkt. Erst nach 20 Kilometer findet sich der kirgisische Grenzposten wieder, wo man sich mit Formalitaeten nicht lange aufhaelt und man mir – mangels Stempels – mein Einreisedatum nicht attestieren will. Meinen Pass will man schon gar nicht sehen. Ja, ja, das Visum wird schon stimmen. “Magic Kirgistan” meint der dickbauchige Beamte, der minutenlang in seinem Playboy herumblaettert, bis er endlich das Foto von Cicciolina gefunden hat.

Magic Kirgistan

Die Landschaft ist tatsaechlich magisch. Hinter mir tuermen sich Schneeberge auf, waehrend ich durch eine von Sommerjurten geschmueckte Grasebene fahre, auf denen Pferdeherden umherziehen. Weniger rosig fuehlt sich mein Koerper an. Bereits den ganzen Tag war es mir leicht uebel, hatte Brechreiz und leichte Magenkraempfe. Vielleicht haette da ein Schluck gegorener Stutenmilch, Kymys, Abhilfe geschafft. Der starke Wind setzt mir noch zusaetzlich zu. Irgendwann muss ich anhalten und mich uebergeben. Die restlichen 15 Kilometer bis nach Sary Tash schaffe ich nicht mehr. Ich schlage im Windschatten des Strassendammes mein Zelt auf und werde von einer Mutter mit ihrem Sohn, die in der Naehe in einer Jurte leben, liebevoll umsorgt.













Am naechsten Morgen vollende ich das Vortageswerk und da es mir nach wie vor nicht allzu besser geht, mache ich an diesem 20. August nach einer Stunde Fahrt in Sary Tash bereits Halt. Im 500 Seelen-Dorf niste ich mich in einer der wenigen Hotels (gastrinizia) ein. Dass hier ueberhaupt solche Unterkuenfte zu finden sind, hat Sary-Tash seiner “strategischen” Lage zu verdanken.

Clara von der gastriniza bringt mir einen Eimer heisses Wasser zum Waschen. Nach einem Teller Nudeln, begleitet von einem Liter Cola, geht es mir etwas besser. Ausgeruestet mit Fotokamera und Schwarzweiss-Film nehme ich einen Augenschein in diesem kirgischen Dorf auf ueber 3’000 Metern ueber Meer. Es ist nach wie vor windig, das Thermometer klettert an diesem Tag kaum mehr als 15 Grad. Die Gegend ist kahl und baumlos. Olivgruen und Ocker dominieren die Landschaft. Es faellt auf, dass hier – im Unterschied zu zahlreichen Ortschaften im Pamirgebirge – Strom fliesst. Das Dorf in den Auslaeufern des Alay-Tals, von dem man den ueber 7’000 Meter hohen Pik-Lenin erreichen kann, sieht von weitem besser aus als von der Naehe. Leicht schmuddlig, ueberall ein bisschen Abfall. Pferde, Kaelber und Schafe grasen am Strassenrand.

Die einzige Strassengabelung im Dorf fuehrt in Abstaenden von jeweils weniger als hundert Kilometern in zwei sehr unterschiedliche Laender: im Sueden Tadjikistan, im Osten China. Bis nach Osh im Norden, wo der Pamir Highway endet, fehlen 185 Kilometer. Die Schotterpiste zum Irkeshtam-Pass, der chinesischen Grenze, scheint einseitig befahren zu werden: vollbepackte Lastwagen importieren chinesische Ware, zumeist Textilien oder Elektrogeraete. Kirgistan hingegen scheint, ausser Altmetall aus aller Welt, nicht viel zu exportieren. Ein chinesischer Lastwagenchauffeur ist gerade daran, einen Platten zu reparieren. Die Dorfjugend hat sich eingefunden, um einen der ueber hundert Kilo schweren Stoffballen zu hieven, der auf die Anhaengerachse gefallen ist.
















Ich werde stets von Kindern gefolgt, die fotografiert werden moechten. In einem Kafe esse ich zwei Samsa, schaue zu, wie ein hagerer Mann mit einer waessrigen Loesung vergebens versucht, die fleckige Wand und den staubigen Fenstersims deckend zu bemalen. Ein Kamaz-Lastwagen aus Bishkek macht Halt. Eine ganze Familie steigt aus und isst – sichtlich unzufrieden mit dem Servierten – zu Mittag. Unweigerlich muss ich an die Kluft zwischen Sueden und Norden denken. Der Sueden mit einer starken usbekischen Minderheit ist traditionalistischer ausgerichtet und – vor allem im Fergana Tal – haeufiger von sozialen Spannungen gepraegt, waehrend der Norden wirtschaftlich erfolgreicher ist und einen grossen russischen Bevoelkerungsanteil hat. Nach dem Putsch und den Neuwahlen letztes Jahr haben die Kirgisen den Willen zur Einheit zum Ausdruck gebracht. Der aus dem Sueden stammende Praesident Kurmanbek Bakijev, mit einer Russin verheiratet, spannt mit dem Premierminister Feliks Kulov aus dem Norden zusammen.











Ich setze meinen Rundgang, begleitet von Kinderrufen, fort. Das Heu aus den Sommerweiden wird mit Lastwagen hergebracht und von Hand auf den Daechern gelagert. An diesem Nachmittag scheint am meisten Betrieb an der “Tankstelle” vor meiner gastrinizia zu herrschen. Reisende aus der Gegend um Osh tanken einige Liter Benzin, um es noch bis zu Osh zu schaffen, wo das Benzin, wie alle Waren, guenstiger zu haben sind. Eine Gruppe von Kirgisen aus Karakol, die stolz ihre Kalpaks tragen, lassen sich von mir ablichten. In einem Dorfladen entdecke ich einen jungen Blondschopf aus Lille. Der 23-jaehrige Julien ist im Maerz aus seiner Heimat gestartet. Der Hunger kommt langsam zurueck und so kocht uns Klara eine feine Reissuppe. Um 9 Uhr gehe ich zurueck in mein Zimmer, lese und schreibe im Licht der Gluehlampe einige Zeilen und packe meine Sachen fuer den morgigen Radeltag.


Gruss aus Kashgar

Ni hao ! Nun habe ich es bereits bis nach China geschafft. Es ist ein besonderes Gefuehl, nach den Holper- und Schotterpisten Zentralasiens und nach 11’626 Kilometern den riesigen chinesischen Grenzposten zu betreten, Formulare auszufuellen (nein, ich fuehre keine “animal” und “plant products” mit) und Fragen nach der Reiseroute (natuerlich Beijing …) zu beantworten. Zusammen mit zwei anderen Bike-Paaerli aus Amsterdam und Belgien, die ebenfalls vor der chinesischen Grenze gewartet haben, sind wir in zwei Tagen foermlich nach Kashgar geflogen. Hier in China muessen sich die meisten Velofahrer in Euphemismus ueben und tunlichst ein Wort vermeiden, das sich bloederweise in meiner Webadresse wiederfindet.

Nun, aus dem ersten Internet-Cafe habe ich es (noch) geschafft, meinen Blog zu sichten. Fuer den Fall der Faelle habe ich eine neue Adresse vorbereitet, sollte die alte hier gesperrt werden, wie das anderen Reisenden mit ihren Web-Tagebuechern ebenfalls geschehen ist: www.mauriziobici.blogspot.com. In den naechsten Tagen werde ich mich wieder, hoffentlich noch unter der alten, euch bekannten Adresse, melden. Bis dahin seid alle herzlich gegruesst ! Zai-jian Maurizio


Aufs Dach der Welt

Eigentlich haette ich Dushanbe mit vollen Kraeften Richtung Pamir-Gebirge verlassen sollen. Doch die Antibiotika-Kur, mein rekonvaleszenter Zustand sowie die heissen Temperaturen halten mich auf Sparflamme. Meine Beine fuehlen sich tonnenschwer an. Die Verpflegungsmoeglichkeiten am Strassenrand spotten oftmals jeder Beschreibung. Ich entwickle eine Allergie auf das Wort “Shorpa!” Sehr oft gibt es in den Chayhanas nur diesen braunen Eintopf zu essen, der in Wochenrationen tagelang vor sich hinkoechelt und auf seine Opfer wartet. Das gekochte Fleisch in Eimern am Boden – leicht mit Abfalleimern zu verwechseln – das anschliessend in ranzigem Oel gebraten wird, verdirbt einem den Appetit vollends. Und so verzweifle ich in den ersten Tagen nach Dushanbe und ziehe es vor, selber zu kochen. Sobald ich bei einer Chayhane nachfrage und das Wort Shorpa hoere, verziehe ich mich meistens rasch wieder. Nur widerwillig kocht mir ein Besitzer weissen Reis. Viel lieber scheint er seinen Eintopf zu schoepfen.


“Gorge riding”: herauf, herab und quer und krumm














Die Strasse ist nach wie vor in einem traurigen Zustand, sie fuehrt stets hinauf und hinunter. Kein Wunder, dass ich zwei weitere Platten in meiner langen Liste verzeichnen kann. Bei Obigarm fuehrt die Schotterpiste einem Fluss entlang und windet sich schliesslich bis zum Kahburabot-Pass (3’252 M.ue.M) hinauf, wo es stark windet, ich mich leicht erkaelte und die uebernaechste Nacht in meinem Schlafsack durchschwitze. Kurz nach dem Pass verkaufen Frauen Kefir (Joghurt), vom Bergbach gekuehlt, von dem ich gleich mal einen ganzen Liter trinke. Nach einer rasanten Abfahrt hinunter nach Khalaikum stosse ich auf den schlammigen Fluss Panj, der die Grenze zu Afghanistan bildet. Waehrend rund 500 Kilometern werde ich stets einen Steinwurf von Afghanistan entwerft radeln und habe afghanische Gebirge, Doerfer und sogar die zweihoeckrigen baktrischen Kamele (auch Trampeltiere genannt) im Sichtfeld. Die Fahrt durch das Panj-Tal ist atemberaubend. Sobald die Strasse eine Bergwand umwunden hat, reiht sich bereits die naechste dahinter auf. Einige Hoehenmeter sind zu ueberwinden, dafuer wird man jeweils mit bezaubernden Blicken aus der Hoehe belohnt.

Ich befinde mich jetzt in der autonomen Provinz Gorno-Badakshan, fuer welche ich mir eine spezielle Bewilligung besorgen musste, das sogenannte GBAO-Permit. Zudem werde ich inskuenftig zahlreiche Checkpoints passieren, wo ich jeweils “registriert” werde. Normalerweise muss man sich drei Tage nach der Einreise in Tadjikistan bei der OVIR-Behoerde (Fremdenpolizei) melden. Die Logik, wonach der Einreisestempel im Pass die Anwesenheit im Land bescheinigt, scheint hier noch nicht zu gelten. Natuerlich habe ich mich nicht gemeldet und so verbringe ich in Dushanbe einen Nachmittag lang mit der Suche eines Hotels, das mir eine Bestaetigung ausstellt, wonach ich gleich nach meiner Einreise dort logiert habe und beim OVIR gemeldet worden bin. Mit Dollars ist fast alles zu kriegen. Mit dieser Bestaetigung kann ich mich spaeter ruhigen Gewissens offiziell beim OVIR in Khorog melden, die mir einen Stempel in meinen Pass verabreichen. Anders als Kirgistan hat es Tadjikistan noch nicht auf die Reihe gekriegt, die administrativen Huerden fuer Touristen abzuschaffen.

Die Pamiri-Leute sind unglaublich offen, herzlich und gastfreundlich. Alle laecheln und winken mir freundlich zu. Nach der Zurueckhaltung der Tadjiken eine richtige Wohltat. Jedes Tal spricht einen eigenen Dialekt. Die Pamiri gehoeren uebrigens dem Ismailismus an, einer Abspaltung des Shiismus. Auch finden sich jetzt hier Chayhanes, in denen nebst Reisgerichten und Laghman (Nudeleintopf) noch weitere Koestlichkeiten wie Helva, eingelegte Aprikosen und Maulbeeren serviert werden.

Sobald ich irgendwo nach einem “Magasin” oder einer Chayhane frage, werde ich sofort zum Tee eingeladen. Meistens werden dann gleich noch Biskuits, Trockenfruechte, Nuesse, Bonbons, Brot und Kaymak (Butter) aufgetischt. Mehrmals kann ich im Garten auf einer takhta (Essgestell) schlafen. Kurz vor Khorog, der groessten Stadt in der Bergprovinz Badakhshan, werde ich von Abdullkhohichov Davlatchavam zum Cay eingeladen. Nachdem ich meinen Hunger bereits mit viel Brot und Butter gestillt habe, erhalte ich noch einen Riesenteller Plov (Reisgericht) serviert. Es sei nur “cam, cam”, ein wenig. Als ich diesen brav aufgegegessen habe, folgt eine feine Shorpa mit viel frischen Gewuerzen vom Garten. Nicht genug: nach der Shorpa wird schliesslich nochmals reichlich Fleisch aufgetischt. Zum Glueck kann der Schwiegersohn ein paar Brocken Englisch und wir reden viel. Der Wunsch, ein Mittagsnickerchen zu halten, wird mir von meinen Augen, die ich kaum mehr offenhalten kann, abgelesen. Als ich aufwache, ist es bereits fuenf Uhr und ich muss mich beeilen, Khorog noch vor Einbruch der Dunkelheit zu erreichen. Zum Abschied erhalte ich eine Tesbieh (Kette) aus Holz, einen Sack voller getrockneter Maulbeeren sowie ein Paar der in dieser Gegend typisch schweren Wollsocken geschenkt. Eine kaum zu ueberbietende Gastfreundschaft, welche die von den Iranern gefolgten Tuerken von der Spitze verdraengt. Und dabei sind die Leute hier arm, haben in den sehr kalten Wintermonaten keinen Strom und muessen mit einem Monatseinkommen von wenigen Dollarn auskommen.

Auf den Spuren Marco Polos

In Khorog lege ich zunaechst einen Ruhetag ein. Geplant war urspruenglich, von hier der M 41, dem Pamir Highway ostwaerts zu folgen. Jedermann schwaermt allerdings vom Wakhan Valley bzw. dem Wakhan Corridor, der zunaechst suedlich bis nach Ishkashim verlaueft, danach Richtung Nordosten. Suedoestlich vom Tal thront die Bergkette des Hindukusch. Die davorliegenden tieferen Berge oeffnen immer wieder den Blick auf die weissen Bergriesen. Auch historisch hat das Wakhan-Tal, von dem bereits Marco Polo in seinen Aufzeichnungen berichtet hat, Einiges zu bieten. Etliche kleinere und groessere Schreine, verziert mit den gigantischen Hoernern der abgelegen lebenden Marco Polo-Schafe, finden sich am Wegrand. Hot Pots und warme Baeder sind eine willkommene Abwechslung fuer die geplagten Radlerbeine. In diesem Tal, das Teil der alten Seidenstrasse war, gibt es zudem Ueberreste alter Kulturen wie etwa Petroglyphen (Steinzeichnungen) oder Festungen.

Nach der letzten Ortschaft im Tal steigt die Strasse, nunmehr grober Schotter, steil an. Hirtenjunge helfen mir, mein Rad den Hang hinauf zu schieben. In den naechsten zweieinhalb Tagen werde ich gerade mal drei Fahrzeugen begegnen: zwei Touristen- und einem Militaerjeep. Es geht in muehsamer Fahrt bzw. Schieberei rauf bis zum Kargush-Pass auf 4’344 M.ue.M. Kurz vor der Passhoehe werde ich von Hagelregen ueberrascht und ich suche in einer Hirtenhuette Zuflucht. Die Leute fuehren hier im Vergleich zu den Einwohnern in den Taelern, wo wenigstens Gemuese und Baume wachsen, ein sehr karges Leben. Nach dem Pass steige ich noch zweihundert Meter ab, um mich bestmoeglich zu akklimatisieren. Nach einer Sand- und Wellblechpiste erreiche ich dann – welch ein Luxus – den Asphalt des Pamir Highway, der in den 30er Jahren von den Soviets gebaut worden ist.


Willkommen in Kirgisien !

Ich befinde mich nun auf dem Pamir-Plateau auf rund 4’000 Metern ueber Meer. Ethnisch faengt hier bereits Kirgistan an, sichtbar an den von Maennern getragenen weissen Filzhueten mit schwarzem Kragen, den Pakals. Rinder und Yaks weiden neben den etlichen Sommerjurten, in denen ich oftmals zu Tee und Yakbutter eingeladen werde. Die Provinz Murghab umfasst den oestlichen Teil des Pamirs. In der gleichnamigen Stadt kommt man sich vor wie im wilden “Osten”. Das Angebot im Pazar ist natuerlich eingeschraenkt und die Preise aufgrund des muehsamen Transportes einiges hoeher als anderswo. Strom gibt es fuer eine Haelfte der Stadt abwechslungsweise nur jeden zweiten Tag. Erfreulicherweise bietet eine lokale Organisation Homestays an, in denen man Unterkunft und waehrschaftes Essen erhaelt. Und wenn man Glueck hat, fliesst im Quartier des Homestays gerade Strom! Die Spannung ist abends allerdings derart schwach, dass trotzdem mit Petrollampen beleuchtet werden muss. Ecotourism nennt sich das Ganze.

Welch eine Ueberraschung: kurz vor dem Neizatash-Pass (4’137 M.ue.M) haelt ein Jeep vor mir an und Seb steigt aus. Er ist mit deutschen Touristinnen und Freunden aus Dushanbe unterwegs. Ich kann etwas Ballast abwerfen und ihm einen Sack voller belichteter Diafilme mitgeben (die hoffentlich den Weg in die Schweiz unbeschadet nehmen werden :-)). Nach dem hoechsten Pass auf dem Pamir Highway, dem Akbaital auf 4’665 M.ue.M. geht es runter zum Kara Kul, dem hoechsten See in Zentralasien. Hier habe ich endlich gutes Wetter und ich kann den smaragdblauen See bewundern, bevor ein starker Gegenwind aufzieht und ich mein Zelt im Windschatten einer Anhoehe aufstellen muss. Leider haelt der starke Wind bei der Fahrt Richtung Kyzyl-Art Pass (4’282 M.ue.M), der die Grenze zu Kirgistan bildet, an. Nichtsdestotrotz: die Fahrt durch das Pamirgebirge war beeindruckend.


Durchs wilde Tadjikistan















Vor meiner Abreise in der Schweiz hatte ich zugegebenermassen ein leicht mulmiges Gefuehl beim Gedanken, alleine durch Tadjikistan, entlang der afghanischen Grenze und mitten in einem Drogenkorridor zu radeln. Noch vor weniger als zehn Jahren herrschte dort Buergerkrieg, viele Strassen sind von Landminen umsauent. Im Internet kursierten Geruechte ueber erschossene Tourenfahrer sowie die Anwesenheit von Taliban-Kaempfern, die meinen Gemuetszustand noch bestaerkten. Nachdem ich jedoch dem Grenzbeamten einen Bakschisch, ein kleines Trinkgeld bezahlt habe und die sechs weiss gestrichenen Baubaracken, welche den Grenzposten bilden, passieren darf, habe ich andere Gedanken im Kopf. Am augen- bw. “hinter”faelligsten ist der miserable Zustand der Strassen, welche diese Bezeichnung kaum mehr verdienen. Allerdings bewege ich mich in einem der aermsten Laender der Welt, dessen Haushaltsbudget kaum groesser ist als die Kosten eines teureren Hollywoodstreifens. Dafuer wartet Tadjikistan mit landschaftlichen Leckerbissen auf, die weltweit einzigartig sind. Das raue und karge Pamirgebirge, auch “Roof of the world” genannt, wird durch den bei Tourenfahrern beliebten Pamir-Highway erschlossen. Fast die Haelfte des Landes liegt auf einer Hoehe von mehr als 3’000 Metern ueber Meer.

Die Tadjiken sind ein iranisches Volk und ethnisch und sprachlich stark mit den Persern verwandt. Ich kann deshalb wieder meine bescheidenen Farsi-Sprachkenntnisse ausgraben. In der ersten Stadt nach der Grenze, Penjikent, mache ich im heruntergekommenen und ueberteuerten Soviet-Intourist-Hotel Halt. Ich bin erstaunt, dass es fliessendes Wasser nur waehrend zwei Stunden am Tag gibt, obschon das Land reiche Wasservorkommen hat. Zahlreiche Schilder von Hilfswerken und NGO’s machen auf die Hilfsprojekte, zumeist “water supply” aufmerksam. Die Strecke fuehrt ostwaerts einem Fluss entlang und steigt langsam an, waehrend sich das Tal verengt und die umliegenden Berge steiler und schroffer werden. Vom Asphalt ist so gut wie nichts uebrig geblieben. Ueber staubige Holperpisten geht es stets rauf und runter. Ich bekomme das extreme Kontinentalklima – sehr heisse Sommer und sehr kalte Winter – von der Sonnenseite zu spueren. Waehrend die grau-braune Landschaft fuer die Strapazen entschaedigt, scheinen die Tadjiken in diesem Teil des Landes eher zurueckhaltend zu sein.


Bevor ich die Hauptstadt Dushanbe erreiche, gilt es den Anzob-Pass auf 3’373 M.ue.M. zu erklimmen. Bei der Sommerhitze kaempfe ich mich ab, immer wieder vom Staub der hinaufkriechenden Lastwagen umnebelt. Rechtzeitig vor Sonnenuntergang, nachdem ich fuer ein paar Tadjiken posiert habe, erreiche ich den hoechsten Punkt der Strasse und kann die Sicht auf die vergletscherten Berge geniessen. Ein bescheidener Hirtenjunge laedt mich zum Cay ein und ich kann in seiner einfachen Huette uebernachten. Am naechsten Tag will ich die Abfahrt auskosten, doch bereits nach wenigen Metern werde ich von zwei giftigen und pflichtbewussten Hunden gejagt. Die Strasse ist derart holprig, dass ich nicht einfach losziehen kann und ich die klaeffenden Biesterchen erst nach einem Kilometer abhaengen kann. Dem gut asphaltierten Varzob-Tal, in dem der Praesident Rahmanov sein Anwesen hat, geht es nun in rasanter Abfahrt in das ueppig-heisse Dushanbe auf rund 700 M.ue.M. hinunter, wo ich 10’000 Kilometer auf meinem Tacho zaehlen kann.

In Dushanbe treffe ich auf der Suche nach einer Unterkunft auf Garth, einem Amerikaner, der auf seinem Gary Fisher Mountain-Bike unterwegs ist. Wir kommen ins Gespraech und er bietet mir spontan an, bei seiner frueheren Arbeitgeberin, der Relief International, einer Hilfsorganisation, zu uebernachten. Er benachrichtigt seine italienischen Freunde von CESVI, einer italienischen NGO (=non governmental organization; Nicht-Regierungs-Organisation). Anna, Matteo, Diletta und Isabella, die sich untereinander liebevoll Mamma, Papa, Junior und Senior nennen, nehmen mich in ihrem grossen Haus herzlich auf. Das “welcome loosers”-Plakat im Hof ist an die franzoesischen Kollegen gerichtet. Endlich kann ich wieder italienischen Kaffee, Salami, colonnata-Speck, gute Pasta und Rai geniessen. Doch nicht allzu lange, denn dieses Mal plagt mich ein heftiger Duennpfiff, sodass ich meine Weiterreise verschieben muss. Als Trost erhalte ich von der chinesischen Botschaft ohne Federlesens ein Dreimonatsvisum, das mir hoffentlich eine von Visaverlaengerungs-Geschichten unbekuemmerte Reise durch Tibet bescheren wird.

Die italienischen Freunde stellen mir schliesslich Seb(astian) Eugster vom DEZA (Direktion fuer Entwicklung und Zusammenarbeit) und seine Frau Monique vor, die uns und zwei weiteren Tourenfahrern zu einem gemuetlichen Znacht einladen. Und welch eine Freude: es gibt schweineechte Kloepfer zum Essen, von denen ich vor Tagen nur trauemen konnte.

Aufgrund der grossen Mitarbeiterschaft der unzaehligen NGO’s in Dushanbe findet man hier, man mag es fast nicht glauben, Supermaerkte, in denen man Marmelada de ciruelas aus Burgos, deutschen Bio-Fencheltee, Barilla-Pesto alla Ricotta e nocciole und die original Kinder-Ueberraschungen kaufen kann. Natuerlich zu westlichen Preisen, unerreichbar fuer die grosse Mehrheit der Tadjiken. Im Salsa Restaurant, in welchem die Gaeste fast ausschliesslich englisch, deutsch, franzoesich oder italienisch sprechen, kann man schliesslich ecuadorianische, mexikanische oder italienische Spezialitaeten probieren. Die Beschreibung im lonely planet (To find it look for the line of 4WDs owned by aid workers lunching on expense accounts and decrying the poverty) gefaellt meinen italienischen Gastgebern zwar nicht, hat aber etwas fuer sich.


Transoxanien – im Herzen der Seidenstrasse

Abgesehen vom aeusserst misstrauischen iranischen Grenzbeamten, der mich minutenlang ausmustert und seinen Blick vom Passfoto zu mir hin- und herschwenkt, gestaltet sich die Ausreise aus dem Iran problemlos. Da ich im Transitbereich uebernachten durfte, bin ich einer der ersten und wenigen Passagiere, die ‘abgefertigt’ werden. Es sind ueberwiegend Lastwagen, welche die Grenze Sarakhs passieren. Zum Glueck habe ich mir wenigstens noch den Bart abrasieren lassen, denn der Beamte ist sich nicht sicher, ob ich tatsaechlich der rechtmaessige Inhaber des Passes bin. Ich muss mir das Grinsen verkneifen. Immerhin bemerkt der Beamte, dass ich etwas laengere Haare habe und auch eine neue Brille trage. Schliesslich stempelt er aber das Ausreisedatum in meinen Pass und entlaesst mich mit einem ‘choda hafez’.

Ich kann nun ueber die Grenzbruecke zum turkmenischen Zoll fahren, wo ich um Jahrzehnte zurueckgeworfern werde. Ein heruntergekommener Raum in einem alten Haus dient als Grenzbereich. Zunaechst trete ich in ein toilettengrosses verrauchtes Buero ein, wo ein Beamter in Gesellschaft zweier Freunde gerade ein paar Samsas (gefuellte Teigtaschen) verspeist. Mein Name und die Passnummer werden zunaechst in ein Milchbuechlein eingetragen. Anschliessend werden mir nebenan 10 Dollar Eintrittsgebuehr abgeknoepft. Nachdem ich ein paar Fackel ausgefuellt habe, halten es die rund 8 Grenzbeamten sowie einige Soldaten mit doofen Safarihueten, die sich gegenseitig auf die Fuesse treten, nicht mehr aus und inspizieren mein Gepaeck. Ich darf saemtliche Packtaschen auf einem grossen Holztisch ausleeren. Ich spiele das Spiel mit und nutze die Gelegenheit, um meine Packordnung unter die Lupe zu nehmen. Sobald eine Packtasche kontrolliert worden ist, nehme ich mir reichlich Zeit, um meine Ausruestung sorgfaeltig zu versorgen. Irgendwann finden sie meinen MP3-Player. Ein hoeherer Beamter vollfuehrt fast Freudenspruenge, als er turkmenische Musik aus dem High-Tech-Geraet vernimmt. Zu meinem Erstaunen gibt die Reiseapotheke zu keinen Diskussionen Anlass. Nach einer Stunde ist die Neugier und Langeweile der Grenzbeamten gestillt und bei der sengenden Mittagshitze kann ich meine Fahrt durch Turkmenistan endlich starten.

5-Tage-Rennen durch Turkmenistan

Zwei Dinge fallen mir in Turkmenistan, stellvertretend fuer ganz Zentralasien, auf: die Goldzaehne der Einwohner und die “gazly suv”-Staende, in denen man sich mit Sprudelwasser und Sirup erfrischen kann. Turkmenistan, das vom Praesidenten Saparmurat Nyiazov – genannt Turkmenbashi (Vater der Turkmenen) – mit eiserner Faust regiert wird, ist touristisch einer der unzulaenglichsten Staaten. Touristenvisas gibt es nur fuer 10 Tage, einschliesslich einer Ueberwachungsperson und vorgegebener Reiseroute. Mehr Bewegungsfreiheit hat man mit einem fuenftaegigen Transitvisa. Allerdings mutiert diese zu einem 5-Tage-Rennen durch die Karakum-Wueste. 500 Kilometer in etwas mehr als 4 Tagen sind fuer einen vollbeladenen Radfahrer knapp bemessen. Von anderen Tourenfahrern wusste ich, dass ein hartnaeckiger Nordost-Wind einem das Leben schwer machen kann und manche auf einen Truck aufsteigen mussten. Was wird mich erwarten?

Der leichte Gegenwind stoert mich auf meinen ersten 90 Kilometern – einer Abkuerzung – noch nicht gross. Vielmehr ist es die ueppige Hitze und der Mangel an frischem Wasser, die an meinen Kraeften zehren. Die Strasse ist in einem derart schlechten Zustand, dass ich den ganzen Tag nur einer Handvoll Autos begegne. Gegen den spaeten Nachmittag wird die Landschaft merklich gruener – das Resultat eines grossangelegten Bewaesserungssystems. Ich kann bei freundlichen jungen Turkmenen in ihrem Hof uebernachten. Auf einem mit Teppichen ausgelegten Holzgestellen essen wir zusammen und werden von den Muecken fast aufgefressen. Aus dem alten Kamaz-Lastwagen laeuft turkmenische Popmusik. Dank meines Phrase-Books kann ich mich einigermassen verstaendigen. Anschliessend fliehen wir vor den Muecken und legen uns auf dem Dach des Hofgutes schlafen. In der Nacht erschrecke ich: es donnert und sturmartige Boeen reissen uns die Decken fast weg. Am naechsten Morgen bin ich erstaunt, als einige Tropfen vom wolkenbedeckten Himmel fallen.

Die naechsten drei Tage werden zumeist wolkenverhangen sein, sodass der Wind abdreht und mir zur Seite steht. Mit leichtem Rueckenwind fahre ich an drei Tagen je 130 Kilometer. Die Landschaft ist zwar eintoenig, durch das Wetterglueck bedingt geniesse ich aber die Fahrt. Die hauefigen Kontrollen durch junge Polizisten sind harmlos. Ein besonders stolzer Gockel steigt sogar auf mein Rad, tritt gleich mal kraeftig in die Pedale, kann das Gleichgewicht des schweren Gefahrts nicht mehr halten und fliegt prompt auf die Strasse.

Alle 50-70 Kilometer findet sich in der Wueste eine kleine Ortschaft mit genau einer Chayhane (Teehaus), in welcher ein Verpflegungspause zwingend ist. Und waehrend man dann seine Laghman (Nudelneintopf) verspeist, wird man meist gebeten, sich wie alle anderen Velofahrer ebenfalls in einem Guest-Book einzutragen. Viele Namen sind mir bekannt und manche sind mir bereits entgegengefahren. Einige beklagen sich ueber den Wind und wenige sind am letzten Tag vor Ablauf des Visums noch knapp 100 Kilometer von der Grenze entfernt ! Hier in Turkmenistan kann ich endlich auch richtige Kamelherden beobachten. Am vierten Tag treffe ich am spaeten Nachmittag bereits in Turkmenabat unweit der usbekischen Grenze ein. Meine Hoffnung, mir rasch ein guenstiges Zimmer zu finden und die Stadt zu geniessen, muss ich irgendwann mal begraben. Die Stadt verwirrt mich: sie hat kein richtiges Zentrum, die Strassen sind kilometerlang und sehr breit. Ich fahre den gleichen Boulevard einige Male hin und her. Mit Hilfe eines Taxifahrers finde ich dann endlich das guenstigste Hotel gemaess Reisefuehrer. Dieses hat aber vor kurzem dichtgemacht. Die Suche faengt von vorne an. Kurzum: erst um 22 Uhr habe ich ein Dach ueber den Kopf. Die Restaurants haben bereits geschlossen und so befehle ich einem Taxifahrer, mich irgendwohin zu fahren, wo es etwas Essbares gibt. In einem Hinterhof erhalte ich dann endlich Shashlik (Fleischspiesschen).

Am naechsten Morgen schlafe ich aus und kann dann in Ruhe nochmals durch die Stadt schlendern, welche von monumentalen Statuen und zahlreichen Bildern Turkmenbashis geschmueckt ist. Der Personenkult Turkmenbashis nimmt bizarre Formen an: so soll vor kurzem in der Hauptstadt Ashgabat eine der groessten Moscheen vollendet worden sein. An der Fassade prangen nebst Auszuegen aus dem Koran auch solche aus dem Buch Turkmenbashis “Ruhname” ueber die Geschichte der Turkmenen. Das Buch “Ruhname” ist fuer saemtliche Studenten zur Pflichtlektuere erhoben worden. Turkmenistan verdankt seine Stabilitaet den grossen Erdoel- und Erdgasvorkommen. Ein Liter Benzin kostet kaum 5 Rappen.

Nach Turkmenabat ueberquere ich den Fluss Amu-Darya, in der Antike Oxus genannt. Das Gebiet zwischen den Fluessen Amu-Darya und Syr-Darya wird auch Transoxanien genannt. Die beiden Fluesse speisen den Aral-See. Die groessenwahnsinnigen Kanalprojekte aus Sowjetzeiten zur Bewaesserung der Baumwollfelder haben dem Aralsee fast das gesamte Zuflusswasser genommen. Der See ist innert weniger Jahrzehnte auf einen Bruchteil der urspruenglichen Groesse geschrumpft. Die Fischerei, welche einstmals rund 60’ooo Leute beschaeftigte, ist vollstaendig zum Erliegen gekommen. Das Traurige ist, dass eine der weltweit groessten oekologischen Katastrophen vorhergesehen und in Kauf genommen worden ist.

Im Herzen der Seidenstrasse

In Usbekistan kann ich es endlich ruhiger angehen. In der ersten Ortschaft frage ich nach einer Chayhane. Ein Herr gebietet mir, ihm auf seinem Rad zu folgen. Minuten spaeter gesellen wir uns zu einer rund 50 Kopf starken Bankettmaennergesellschaft. Die Tische sind mit Trauben, Aepfeln, Melonen und allerlei Suessigkeiten reich geschmueckt. Trotz Woerterbuch gelingt es mir nicht, den Anlass fuer das Festessen in Erfahrung zu bringen. Was soll’s, das Essen schmeckt vorzueglich. Der Vodka darf bei solchen Gelegenheiten natuerlich nicht fehlen und ich darf mit Uemit, Istan und wie sie alle heissen anstossen. Ein, zwei, am Schluss werden es etwa wohl 8 Schuesseln Vodka sein (alle ex). Mittlerweile habe ich derart heiss, dass ich schweissgebadet bin und meine Kleider am Koerper kleben. Die bekanntesten Italiener in Zentralasien sind hier Adriano Celentano, Toto Cutugno und – wer haette es erahnt? – Michele Placido (der einen Kommissar in einer Mafia-Serie spielt). Bald fange ich an, “Azzurro” zu singen. Zum Glueck befinden sich in der Naehe einige dieser Essgestelle, wo ich meinen Rausch ausschlafen kann. Willkommen in Usbekistan !

Hier in Usbekistan befinden sich zwei glanzvolle Staedte an der Seidenstrasse, welche reich an islamischer Baukunst sind: Buchara und Samarkand. Eng verknuepft mit diesen beiden Staedten sind die Namen Dschingis-Khan und Tamerlan. Der auesserst brutale Mongolenherrscher Dschingis-Khan vernichtete die beiden hochzivilisierten Staedte anfangs des 13. Jahrhunderts. Der Handel auf der Seidenstrasse versiegte. Tamerlan, der rund 150 Jahre spaeter sein Reich mit der gleichen Bestialitaet wie Dschingis-Khan ausweitete, ernannte hingegen Samarkand zu seiner Hauptstadt und liess praechtige Moscheen, Medressen, Mausoleen und Karavansereien errichten.

Das beschauliche Buchara gleicht einem Freilichtmuseum. Allerdings ist es hier ueber 40 Grad heiss, sodass bereits vor Mittag mit dem Sightseeing Ende ist. In Samarkand hingegen ist es merklich “kuehler”. Geplant war, von Samarkand aus einige Tage nach Tashkent zu fahren, um dort ein China-Visum zu beantragen. Hier in Dushanbe erhaelt man aber problemlos ein 3-Monats-Visum, sodass ich mich bis zum Beginn des Tadjikistan-Visums am 20. Juli in Samarkand ausruhen kann. Als es mir in Samarkand langsam langweilig wird, sorgt der Diebstahl meines Velos fuer Aufregung.

Bildergalerie

Nach ueber fuenf Monaten “on the road” wird es Zeit fuer eine kleine Dia-Rueckschau. Hier geht es zu den Fotos (anklicken).


Ausgetraeumt ?

Es ist geschehen, was nicht passieren darf. Eine Horrorvision: mein Velo ist gestohlen worden ! Als ich am Sonntag vor einer Woche in einem Internet-Cafe in Samarkand sitze, ist mein Velo kurzerhand samt Schloss davongetragen worden. Als ich das Lokal verlasse und mein Fahrrad nirgends mehr sehe, stockt mir der Atem. Das darf nicht sein! Meine Reise so abrupt zu Ende? Ich schreie den Besitzer des Cafes an: “Where is my bicycle?” Der grinst nur bloede, laesst seine Goldzaehne glitzern und meint, ich haette doch das Velo lieber ins Lokal reingenommen, ich sei doch selber schuld. Die Polizei will er nicht benachrichtigen. Daraufhin renne ich zum Hotel zurueck und zusammen mit dem herzensguten Mr. Bahodir des Bred und Breakfast, wo ich lebe, gehen wir zur Polizei. Bis zum Vormittag wird am Tatort fotografiert, einvernommen und protokolliert, als sei ein Kapitalverbrechen passiert. Kurz vor vier Uhr duerfen Mr. Bahodir und ich dann uebermuedet endlich zurueck ins Hotel.

Am naechsten Morgen werde ich zur Polizeistation gefahren. Etwa 60 Polizisten und Helfer haben sich hier eingefunden und werden instruiert, um nach meinem Velo zu fahnden. Ich bin beeindruckt und beruehrt. Dennoch glaube ich nicht, dass mein Velo gefunden wird. Das wird fuer die naechsten Wochen und Monate irgendwo eingelagert, male ich mir aus.

Meine Reise beenden will ich wegen des Diebstahls auf keinen Fall. Mein Usbekistan Visum wird in wenigen Tagen ablaufen und ich kann nicht warten, bis mein Velo gefunden wird. Ein Ersatz muss her, koste es was wolle. Mein anderes Tourenbike express nachschicken zu lassen, kommt mir dann allerdings zu teuer zu stehen. Riesenglueck im Unglueck: Mr. Bahodir besitzt ein altes Mountain Bike, das er von einem franzoesischen Tourenfahrer praktisch geschenkt erhalten hat und das er mir spontan weiterverschenkt. Es sieht nicht schlecht aus und ich koennte mit diesem die Reise wagen. Per SMS teile ich meinem Bruder Pietro mit, welche Teile ich dringend benoetige, um das Rad tourentauglich aufzuruesten. Mein Plan ist, mit dem Bus nach Dushanbe (Tadjikistan) zu fahren, um dort das Paket in Empfang zu nehmen und dann meine Reise mit dem Rad fortzusetzen. Mental stelle ich mich bereits auf das “neue” Giant Bike ein.

Am Tag nach dem Diebstahl kommen der fallfuehrende Untersuchungsbeamte und acht weitere Polizisten vorbei. Sie haben von meinem Ersatz Wind bekommen und wollen den Fall nun kurzerhand abschliessen, andernfalls ich noch drei Wochen in Usbekistan bleiben muesse. Offenbar ist es ihnen nicht recht, ihrem Vorgesetzten eingestehen zu muessen, dass vor dem Hauptplatz ein Tourist beklaut worden ist. Eine neue Version der Sachlage haben sie bereits zusammengeschustert: ich war im Internet-Cafe, als ich rauskam, meinte ich, mein Velo sei gestohlen worden, ich habe die Polizei informiert und erst am naechsten Tag merkte ich, dass ja mein Velo im Hotel war und ich am Vorabend ohne Velo unterwegs war. Glaubwuerdig, nicht ?

Nun wird diese Geschichte stundenlang protokolliert, das neue MTB und der Hof des Hotels ausfuerlich beschrieben und fotografiert. Schliesslich muss ich in eine Videokamera grinsen und in etwa folgendes Statement zum Besten geben: ‘Hi, I am Maurizio, I found my bike. Yesterday as I left the Internet-Cafe I thought that my bike was stolen. That was the reason why I called the police. But I forgot that I went out without bike and that I had it in the hotel. It was my mistake and I am very sorry.” Genausogut haette ich auch sagen koennen, dass ich vorher Gras geraucht hatte und ich ein voelliger Idiot bin. Als wir fertig bin, darf ich das alte Protokoll zerreissen und verbrennen. Irgendwann kommt dann ein Vorgesetzter und wir alle binden ihm einen Baeren auf. Die Situation ist komisch und ich kann mir das Lachen kaum verkneifen. Mr. Bahodir meint, dass die neun Polizisten Besseres zu tun gehabt haetten, als nur “talk, talk, talk”. Es sei gut gewesen, gute Miene zum boesen Spiel zu machen.

Als ich tags darauf daran bin, das alte MTB auf Vordermann zu bringen, kommt ein Juristenpaar aus London, das am Vorabend im Hotel eingetroffen ist, vorbei. Sie haetten vor dem Registan-Platz einen etwa zehnjaehrigen Jungen auf einem Tourenbike fahren gesehen. Der Lenker und der Lowrider (vorderer Gepaecktraeger) seien Ihnen aufgefallen. Sie haetten sich gedacht, dass muesse mein Fahrrad sein, und haben den Jungen gestellt. Ob das wirklich mein Fahrrad sei? Lange bringe ich kein Wort heraus. Ich umarme Sam und Francesca, meine Helden ! Sie haben mein Fahhrrad wiedergefunden ! Der Dieb muss kalte Fuesse erhalten haben und sich des Fahrrades entledigt haben. Der Bub auf dem Velo hat wohl kaum das Velo gestohlen. Abends spendiere ich Vodka, Bier und Suessigkeiten. Nach der emotionalen Achterbahn kann ich das gut gebrauchen !

Mittlerweile hat nun der Untersuchungsbeamte mitbekommen, dass mein Fahrrad aufgetaucht ist. Dumm fuer ihn, dass nicht einer der zahlreichen Polizisten vor dem Registan-Platz den Jungen angehalten hat und er sich den Finderlohn von 300 Dollar ans Bein streichen kann. Er telefoniert mir ins Hotel: “Mr. Maurizio, we have to do the protokoll and the film again, with your real bike!” Zum Glueck kommt er nicht wie versprochen am naechsten Tag vorbei. Ich packe meine Siebensachen und verlasse Samarkand. Meine Vorfreude auf die bevorstehenden Berge im Pamir-Gebirge ist umso groesser.

Danksagung

Meine Lehren habe ich aus diesem Vorfall gezogen. Als ich diese Zeilen in einem Internet-Cafe in Dushanbe schreibe, steht das Velo meiner italienischer Gastgeber, Angestellte einer NGO, neben mir. Insbesondere meinem Bruder Pietro, aber auch meiner Schwester Lola und meiner Freundin Ruth, die zwei Tage lang fuer mich herumgerannt sind, winde ich an dieser Stelle einen Riesenkranz. Zum Glueck konnten wir das Paket nach Dushanbe noch stoppen und das Material beim Veloplus ganz unbuerokratisch umtauschen. Und natuerlich verbeuge ich mich nochmals vor Sam und Francesca fuer ihre Geistesgegenwart und ihre Entschlossenheit. Thanks Sam and Francesca, you are my heroes !


Heisse Fahrt durch die Kavir-Wueste

Nach drei Tagen Sightseeing in Esfahan gilt es, wieder kraeftig in die Pedale zu treten. Die Temperaturen sind im Zentraliran merklich hoeher als im Norden, wo es teils bewoelkt war oder mir einer der seltenen Regenschauer etwas Abkuehlung verschaffte. Noch heisser wird es in der Wuestenstadt Yazd, rund 300 Km suedoestlich von Esfahan, inmitten der Wuesten Dasht-el-Kavir und Dasht-el-Lut gelegen.

Unterwegs kann ich in einer Polizeistation uebernachten. Unterdessen verlieren die Iraner ihren ersten Fusballmatch. 150 Km vor Yazd will eine Karavanserai besichtigt werden. Dort hat sich ein englischer Tourenfahrer, Stevens, eingefunden, der aber in die entgegengesetzte Richtung faehrt. Zusammen schauen wir uns die Karavanserai an, kochen Pasta (mit frischen Pelati und viel Knoblauch) und verbringen den Abend mit einem aelteren Einheimischen und zwei Truckfahrern. Es ist zu heiss, um drinnen zu schlafen und wir machen uns auf dem Teppich vor dem Haus breit. Am naechsten Morgen kann der Wind nur jemandem zur Seite stehen. Ich kann mich gluecklich schaetzen: mit Rueckenwind fliege ich foermlich nach Yazd, dem Zentrum des Zoroastrismus, der wichtigsten Religion im Sassanidenreich (3.-7. Jahrhundert nach Chr.).

Die Altstadt aus Lehmziegeln, die unzaehligen Badgire (Windtuerme) und die kuppelbedeckten Basare laden zum Verweilen ein. Die Hitze zwingt dazu. Ich habe mein Turkmenistan-Visum im Auge und muss nach einem Besichtigungstag das Silk Road Hotel bereits verlassen, um nicht ins Hintertreffen zu geraten. Schade, denn dieses Hotel wie auch Yazd sind Hoehepunkte meiner Iranreise. Die Zimmer im Hotel sind wie in einer Karavanserai rund um den rechteckigen schattigen Hof angelegt. Man trifft auf andere Tourenfahrer, isst auf gemuetlichen, mit Teppichen ausgelegten Holzgestellen. Das Beste ist aber das Fruehstuecksbuffet, wo ich am Morgen satte zwei Stunden verbringe.

Ich bin bereit fuer die Wueste! Lieber 20 Liter Wasser zuviel mitnehmen als einen zuwenig, heisst die Devise. Ich fuehre etwa neun Liter mit. Einen Vorgeschmack auf die heissen Temperaturen habe ich auf der Fahrt nach Yazd bereits erhalten. Die Temperaturen klettern nun bis auf 50 Grad. Sobald man den Fahrtwind nicht mehr spuert, ist man pflotschnass vor Schweiss. Das Wasser in meinen Trinkflaschen ist schon nach kurzer Zeit warm, nach Stunden heiss. Das Trinken dient nicht der Erfrischung sondern einzig der Fluessigkeitszufuhr. Bei den Einheimischen informiere ich mich jeweils sehr genau, wo Wasser getankt werden kann. Oftmals sind auf meiner Karte Ortschaften eingetragen, die sich als verlassene Siedlungen entpuppen. Auf der anderen Seite bin ich ueberrascht, mitten in der Wueste auf eine Moschee zu stossen. Zu meiner Freude finde ich hier gekuehltes Trinkwasser a discretion. Herrlich !

Warnschilder weisen auf die Existenz von Kamelen hin. Was ich zu sehen und riechen bekomme, sind einzig Kadaver am Strassenrand. Die Mack-Trucks kennen keine Gnade. Rund 80 Km nordoestlich von Yazd mache ich im Oasendorf Kharanaq Halt, das inmitten einer abwechslungsreichen Gesteins- und Geroellwueste liegt. Die Morgen- und Abendstimmungen verlocken zu hauefigen Foto-Stopps. Was mir in der Tuerkei verwehrt blieb, kann ich hier endlich nachholen: ich kann in einer Karavanserai uebernachten. Die zu Konferenzzwecken sorgfaeltig restaurierte Karavanserai steht mir ganz alleine zur Verfuegung. Nach Kharanaq wird die Landschaft bald flacher, grauer und eintoeniger.

Schuster, bleib bei deinem Leisten !

Tabas ist die groesste Oasenstadt in der Wueste. Zwei Motoradfahrer aus Paris empfehlen mir, dort im Park zu uebernachten. Dass man im Iran in Parks unbehelligt zelten und uebernachten koenne, wurde mir immer wieder von den Einheimischen beteuert. Ich konnte mich jedoch nie mit dem Gedanken anfreunden, inmitten einer Siedlung quasi unter Beobachtung zu zelten. Der abgeschiedene Park in Tabas gefaellt mir aber sehr gut und bevor ich mein Zelt aufschlage, frage ich sicherheitshalber im nahegelegenen Buero des ‘Red Crescent’, einer Hilfsorganisation nach. Hier wird mir zuerst Tee und Wasser angeboten. Der Manager telefoniert lange rum, meint es sei zu heiss und es habe Muecken. Ich koenne jedoch in einer Mesaferkhune (guesthouse) uebernachten. Ich solle warten, jemand wuerde mich dahin fuehren. Ich bin erstaunt, als ploetzlich ein Polizist auftaucht.

Erst jetzt durchschaue ich die Hinhaltetaktik: der Manager ist der Auffassung, dass mein Visum nicht mehr gueltig sei. Vergebens versuche ich den beiden zu erklaeren, dass ich innert der viermonatigen Gueltigkeitsdauer in den Iran einreisen koenne und ab diesem Zeitpunkt ich 60 Tage im Iran bleiben koenne. Der Polizist ist bereits am Ende seines Lateins. Und so werden zu spaeter Stunde (es ist schon laengst dunkel) der Chief der Foreign Police und ein Regierungsvertreter bestellt. Nach einer Stunde treffen diese ein und wiegeln sofort ab. Das Visum sei in bester Ordnung. Der Coup des Managers hat Schiffbruch erlitten. Ich bin sauer. Es ist neun Uhr, ich habe noch nichts gegessen, habe keine Unterkunft, bin ungeduscht und haette um zehn schlafen wollen. Die einzige Genugtuung die mir verbleibt, ist die Blamage des Managers vor versammelter Beamten-Crew. Und dass ich die aufgetischte Wassermelone praktisch alleine aufgegessen habe. Uebrigens werde ich spaeter in Ferdows bei einer Polizeikontrolle wiederum mit der gleichen Begruendung zurueckbehalten. Die dortigen Polizisten scheinen die Weisheit ebenfalls nicht mit Loeffeln gegessen zu haben. Zum Glueck ist aber die Sachlage nach einer halben Stunde geklaert.

Waehrend die Hitze noch einigermassen zu ertragen ist, macht mir der Wind arg zu schaffen. Ich starte am Morgen jeweils kurz nach 5 Uhr. Doch bereits um acht, neun Uhr zieht ein kraeftiger Wind auf. Von Nordosten. Jeden Tag. Zermuerbend. Nach ueber einer Woche platzt mir der Kragen und ich werfe mein Rad in den Strassengraben. Anschliessend muss ich mich mit Musik von Lucio Battisti beruhigen: Le biciclette abandonate sopra il prato e poi, noi due distesi all’ombra, un fiore in bocca puo servire, sai… Abends treffe ich auf nette Leute, die mich mich Fruechten, Pistazien und Suessigkeiten verwoehnen. Bei einer gemuetlichen Unterhaltung kann ich mich wieder einfangen.

500 Kilometer nach Yazd wechselt die Wuestenlandschaft zur Steppe. Buesche nehmen an Anzahl und Groesse zu. Vermehrt sind Baumoasen auszumachen. In der Provinz Khorasan dominieren dann Pistazienplantagen. Hier ist auch das Zentrum des Safrans. In Feyzabad, ca 700 Km nordoestlich von Yazd, empfangen mich die Einheimischen besonders herzlich. Ich werde von Toeffahrern und Fahrraedern eskortiert, man will meine Unterschrift, ich erhalte eine Tesbieh (Rosenkranz) aus Kerbala geschenkt, man reicht mir Kirschen und Birnen. Ich bin erstaunt. Eine Dame meint, ich sei letzte Woche im Fernsehen erschienen, ich sei doch der Schweizer, der nach China fahre. Ja das stimmt. Aber vor einer Fernsehkamera habe ich nie gestanden. Hier muss sich es sich offenbar um meinen ‘Sitznachbar’ Roman handeln, der ebenfalls nach China unterwegs ist.

Spinning-Marathon der anderen Art

Meinen Plan, mir in Mashhad drei Ruhetage zu goennen, muss ich mit der Brechstange durchsetzen. 170 Kilometer fehlen mir am letzten Tag vor Mashhad. Als ich am Morgen um 7 Uhr starte und mir der Wind die Haare nach hinten kaemmt, weiss ich, dass es ein ganz langer Tag wird. Und so nehme ich 11 Fahrstunden lang – der laengste Radeltag bis anhin – den Kampf gegen den Wind auf. Bei Bergabfahrten komme ich kaum mehr als auf 18 Kilometer pro Stunde. Ein Unglueck kommt selten allein und ich darf nach ueber 2000 pannenfreien Kilometern wieder einen Platten flicken. Erst als die Dunkelheit einbricht, legt sich der Wind. Die letzten 35 Kilometer fahre ich auf einer dichtbefahrenen Autobahn. Der halsbrecherische Verkehr in Mashhad nimmt meine Konzentration nochmals gehoerig in Anspruch. Die Suche eines preisguenstigen und akzeptablen Hotelszimmers braucht ebenfalls Zeit. Erst um Mitternacht kann ich mich voellig ausgepumpt und micht leichten Magenkraempfen in einem Hotelzimmer breitmachen. Ich bin zu muede um zu duschen und lege mich gleich hin.

In Mashhad kontaktiere ich Mohammed, der mir von Hanif aus Tabriz mitten in der Wueste per SMS innert Minuten vermittelt worden ist. An seine Adresse konnte Ruth mir ein Paket mit einer neuen Isomatte nachschicken, da der alten in der heissen Wueste die Luft ausgegangen ist. Mohammed ist ein feiner Mensch. Er bereitet sich auf eine Weltumrundung mit dem Fahrrad vor. Leider fehlt im noch einiges Material. Wer also noch einige alte Velopacktaschen hat, kann ihm diese gerne spenden!

Er fuehrt mich zum Schrein des Imams Reza, des achten shiitischen Imams und des einzigen der insgesamt zwoelf, der im Iran begraben liegt. Obschon der Reisefuehrer davon sprach, dass es Nicht-Muslimen nicht erlaubt sei, den Schrein zu besuchen, meint Mohammed, nur Nicht-Glauebigen sei der Eintritt verwehrt. Er habe schon viele zum Schrein gefuehrt, auch ein schwedisches Bruederpaar. Seit einem Bombenanschlag im Jahre 1997 herrscht eine strenge Personenkontrolle und die Mitnahme von Fotokameras (nicht jedoch von Handys) ist nicht mehr erlaubt. Die Anlage rund um den Schrein ist in den letzten Jahren stark erweitert worden. Ganze Quartiere wurden plattgewalzt, um neue attraktive Plaetze zu schaffen. Vor den alten Moscheen mit den goldenen Iwanen (Boegen) sitzen Abertausende von Glaeubigen auf Teppichen. Die Shiiten bahnen sich einen Weg durch die vollstaendig mit Spiegelkacheln verzierten Raeume, in denen sich die goldigen massiven Tore spiegeln. Es herrscht eine euphorische Stimmung gemischt mit Trauer ueber den Tod des Imams, der von einem Kalifen hinterlistig vergiftet worden ist.

Die letzten zwei Tage bis zur iranischen Grenzstadt Sarakhs kann ich wieder ruhiger angehen. In Sarakhs wird mir der Abschied vom Iran nicht leicht gemacht: mein gebrochener Velostaender wird umsonst geschweisst, ein Coiffeur rasiert mich gratis, in der Backstube wird mir Brot geschenkt und ein Schneider will naeht mir ohne Bezahlung meine ausgeleierten Velohandschuhe. Schliesslich darf ich in der Transitzone der Zollanlage uebernachten, wo sich die Waechter liebevoll um mich kuemmern.


In Buchara angekommen

Ciao! Rechtzeitig zum Italien-Deutschland Halbfinalspiel bin ich in Buchara (Usbekistan) eingetroffen, zeitgleich habe ich mir (wieder einmal) Verdauungsprobleme eingefangen. Dass die meisten Reisenden hier ebenfalls von solchen Reise-Unzulaenglichkeiten berichten, ist ein schwacher Trost. Nach einem halben Kilo Joghurt hat sich mein Magen wieder beruhigt, wie es scheint (remember Hanifs advice: eat a lot of joghurt!). Das Halbfinale habe ich mir nur bis zur Haelfte der Verlaengerung angeschaut. Ich war nach 21 Stunden auf den Beinen zu muede und musste schlafen gehen. Per SMS erhielt ich dann die freudige Nachricht. Grande squadra azzurra ! Forza Italia !

In den naechsten Tagen werde ich einen ausfuerlichen Bericht ueber die Fahrt durch die Wueste Kavir im Iran veroeffentlichen, den ich euch noch schuldig bin. Freut euch auf einige zauberhafte Wuestenimpressionen. Nach der Wueste bin ich dann endlich in Mashhad, dem wichtigsten Pilgerort der Shiiten im Iran, eingetroffen. Ich wollte mir dort unbedingt noch drei Ruhetage goennen und musste zuletzt einen 11-Stunden Marathon (exklusive Platten!) bei einem auesserst hartnaeckigen Gegenwind hinlegen. Danach war ich erledigt. Die Ruhetage waren bitternoetig. Entgegen aller Hinweise in den Reisefuehrern konnte ich als Nicht-Muslim den Schrein des Imams Reza besuchen. Der Begleitung von Mohammed Tajeran und meinem Vollbart sei Dank! Die riesige Anlage rund um den Schrein, die dort versammelten Abertausende von Glaeubigen und die friedliche Stimmung waren eindruecklich. Einziger Wermutstropfen: Fotografieren verboten ! Na ja, ich konnte nicht widerstehen und hab mit der Handykamera trotzdem fleissig geknipst.













Nach Mashhad stand die bei Velofahrern gefuerchtete Turkmenistan-5-Tage-Transit-Durchquerung bevor. Rund 500 Kilometer in 4 1/2 Tagen eigentlich machbar, wenn da nicht der beruechtigte Nordost-Wind waere, der schon manchen Velofahrer in die Knie bezwungen hat. Wie es mir dabei ergangen ist und wie ich Turkmenistan, das von Turkmenbashi mit eiserner Faust regiert wird, erfahren habe, werde ich euch ebenfalls in einigen Tagen verraten. Und schliesslich gilt es, ueber die ersten Eindruecke in Usbekistan und meinen Vodkasuff bei 40 Grad (Temperatur wohlverstanden) zu berichten. Vielleicht der Grund fuer die Magenrevolte?

Bis bald Maurizio


Bezauberndes Iran

Salam aleykom ! Seid alle herzlich gegruesst. Es freut mich, dass ihr zwischen den WM-Fussballturnieren noch Zeit findet, in meinen Blog reinzuschauen. Leider habe ich den in den vergangenen Wochen aus verschiedenen Gruenden vernachlaessigt. Einer ist sicher der, dass mein Transitvisum fuer Turkmenistan exakt am 29. Juni beginnt und ich daher mein Stahlross an die Kandare nehmen musste. Waehrend 34 Tagen bin ich an 27 Tagen durchschnittlich 105 Kilometer gefahren und hatte wenig Ruhetage. Nichtsdestotrotz: Iran ist ein wunderbares, sicheres Reiseland !

Am 19. Mai betrete ich nach 5622 Kilometern erstmals iranischen Boden. Ein aufregender Moment. Was wird mich wohl im Iran erwarten, dass in letzter Zeit (und Jahren) von den Amerikanern in ein schlechtes Licht zu ruecken versucht wurde. Zunaechst heisst es, die Trekkinghosen ueber die kurzen Radlerhosen zu ziehen und sich der Kleidervorschrift zu beugen, die sich aber wegen der starken Sonneneinstrahlung als sinnvoll erweist. Nachdem das Einreisedatum vom 30.2.1385 in meinen Reisepass gestempelt worden ist, werde ich flugs zur Tourismusangestellten Ashref beordert, die mir die tuerkisch besiedelte Provinz West-Aserbaidjan naeherbringt. In der hauseigenen Bank am Grenzposten kann 100 Dollars zum bis anhin besten Kurs wechseln.

Nach den wechselhaften Gefuehlen in der Suedost-Tuerkei ist der erste Eindruck vom Iran sehr positiv. Die Staedte sind sauber und gepflegt und wirken nicht so heruntergekommen wie manche Strassenzuege in der Tuerkei. Die Iraner verstehen es, ihre Staedte mit grosszuegig angelegten Baumalleen und Parks einladend zu gestalten. Die braunen Ziegelsteine geben dem Stadtbild ein einheitliches Gepraege.

In den Strassen tumeln sich weisse Paykan-Limousinen, blaue Zamyad und Saipa Lieferwagen, die baerenstarken amerikanischen Mack-Trucks, von denen mir Flammen-Toni bereits erzaehlt hatte und – zu meiner Freude – zahlreiche Peugeot 405. Die Muck-Trucks stammen allesamt aus der Zeit vor der islamischen Revolution von 1979, in der das Pahlavi-Regime von Reza Shah von Ayatollah Khomeini gestuerzt wurde. Auf den 125-er Motorfahrraedern haben vierkoepfige (helmlose) Kleinfamilien ohne weiteres Platz. Die wenigen Hunde erweisen sich hier als zahnlos, liegen sie doch oft plattgewalzt am Strassenrand. Der Verkehr im Iran ist chaotisch, die Fahrweise der Iraner ist respektlos, gefaehrlich und dumm. Im Iran gibt es jaehrlich durchschnittlich 27’000 Verkehrstote. Weltweit einmalig! Fuer Velofahrer sind Rueckspiegel und Helm Pflicht.

Die Leute sind ebenfalls neugierig, jedoch nicht mehr so aufdringlich wie manchmal in der Tuerkei. Sie wirken kultiviert und weisen eine vornehme Zurueckhaltung auf. In den Strassen laufen viel mehr Frauen umher. Gemaess dem Hidjab zwar im vorgeschriebenen Tschador oder Kopftuch, die Atmosphaere wirkt aber durch die Praesenz des weiblichen Geschlechts – auch in Kleinstaedten, in der Nacht und in Restaurants – einiges freundlicher und entspannter. Die jungen Maenner legen grossen Wert auf ihr Aeusseres.

Verdauungsprobleme

In der grenznahen Stadt Maku muss ich mir eingestehen, dass es mit meinem Magen noch immer nicht zum Besten steht. Im Caffenet wird mir eine Suppe serviert, die ich im Hotel wenig spaeter oral ausscheide. In der Nacht dehydriere ich dann vollends. Am Morgen habe ich Muehe aufzustehen, ich bin voellig ausgelaugt, kraftlos. Ich begebe mich in eine Apotheke, wo mir der Englisch-Lehrer Akbal unter die Arme greift und mich zur Konsultation im Spital begleitet. Die nette Aerztin verabreicht mir ein paar Tabletten und raet mir eine Antibiotika-Kur (uebrigens kosten hier die Antibiotika nur noch etwa 20 Rappen!). Danach liege ich praktisch den ganzen Tag im Bett und versuche mich bestmoeglich zu erholen. Saftlos mache ich mich nach diesem Ruhetag wieder auf die Socken. Meine Ernaehrung besteht aus Bananen, Salzbiskuits und stark gezuckertem Tee. Ein Platten (Nummer 11 oder 12 …) erschwert mir den Start, ein Regenschauer kurz vor Marand daempft die Stimmung zusaetzlich.


Auch im Iran laesst die erste Einladung nicht lange auf sich warten und ich kann bei Eivaz, dem Direktor einer kleinen Schule uebernachten, obschon seine Mutter vor fuenf Tagen verstorben ist. Eivaz wohnt mit seiner Frau und seiner Tochter in einer kleinen Wohnung. Geschlafen und gegessen wird auf dem Teppich. Eivaz Sympathiebekundungen fuer Bin Laden befremden mich. Ich kann ihm beim Gebet zuschauen, das ab und zu von einigen Gaehnern unterbrochen wird.

Endlich in der Millionenstadt Tabriz angekommen, mache ich in einem Fotogeschaeft Bekanntschaft mit Mehrad, einem Fahrradfreak und Computerprogrammierer. Er hilft mir ein sauberes und guenstiges (will heissen um die umgerechnet 6 Franken) Guesthouse ausfindig zu machen. Noch am gleichen Abend kommt dann Hanif vorbei, mit dem ich bereits vorgaengig E-mail Kontakt hatte und der mir von Rod, dem neuseelaendischen Tourenfahrer, vermittelt worden ist.

Der 22-jaehrige Englisch-Student Hanif hat es sich zur Aufgabe gemacht, Velofahrer durch den Verkehrs- und Geschaeftsdschungel von Tabriz zu lotsen. Generalstabsmaessig hat er alles vorbereitet und seine Liste ist lang: ein lonely planet (fuer etwa 9 Franken zu kaufen…), Iran-Karte auf Farsi, Velo-Ersatzteile, Apotheke, Grundwortschatz auf Farsi, Stadt-Rundgang etc.

Hanif ist ein hellwacher und ehrgeiziger Junge und hat manchen guten Rat zur Seite. Sein Redeschwall will nicht aufhoeren: … and take care of the Mack-Trucks, they are very dangerous; and I will show you afterwards the Iranian calendar, look at the date when you buy food; and one thing more: take your knife always with you; and I will tell you one thing more: never forget to eat lots of yogurt, it’s the insurance for your stomach; and…. Am Morgen fuehrt er mich zu Saed Mohammeds Shop, wo den geplagten Fahrraedern von Tourenfahrern aus aller Welt umsonst ein Service verpasst wird.

Hanif fuehrt mich zum besten Dizi-Lokal von Tabriz, wo das Brot gleich selber gebacken wird. Von dieser nahrhaften Spezialitaet (auch Abgusht genannt), die als Mahl der armen Leute gilt, bin ich besonders angetan: in einem Tongefaess wird ein Eintopf aus Lammfleisch, Fett, Kartoffeln, Kichererbsen und Tomaten serviert. Das Fladenbrot wird in kleine Stuecke gerissen und mit der Bruehe vermischt. Nun isst man das aufgeweichte Brot. Die festen Ingredienzen werden anschliessend mit einem Moerser zu einer Masse zerstampft, welche auf das Brot gestrichen wird. Dazu wird eine Zwiebel und Joghurt gegessen.

Um meinem Magen die noetige Erholung zu goennen, verbringe ich einen weiteren Tag in Tabriz und folge der Einladung von Mehrhad. Die Familie von Mehrhad unterscheidet sich von der einer europaeischen in keiner Weise. Gegessen wird am Tisch. Kopftuecher werden zuhause keine getragen. Die Mutter setzt auf Homoeopathie. Mehrhads Vater, Notar von Beruf, stoert sich am schlechten Ruf, der Iran und den Iranern leider anhaftet. Die Iraner seien Menschen und nicht mit der Regierung und deren Einstellung gleichzusetzen. “Tell them, we are not terrorists!” Viele Iraner distanzieren sich deutlich von der derzeitigen Regierung und scheinen sich mit den zahlreichen Einschraenkungen des taeglichen Lebens arrangiert zu haben. Es gibt im Iran fast alles zu haben, auch Alkohol !




Von Tabriz nach Esfahan

In zwoelf Tagen fuehrt die Reise von Tabriz nach Esfahan im Zentraliran. Ich moechte die Kurden von einer anderen Seite kennenlernen und mache einen Abstecher in die Provinz Kordestan nach Sanandaj (500 Km suedlich von Tabriz). Die Leute wirken hier direkter und noch gastfreundlicher. Alt und jung traegt hier fast durchwegs die traditionelle Bekleidung bestehend aus dem Patol (Schlabberhosen), der Kava (Hemd), dem Pishtwen (Gurt) und einem Klav (Hut). Die Frauen tragen farbige Kopftuecher. Dadurch, dass die iranischen Kurden der shiitischen Glaubensrichtung angehoeren, fuegen sie sich gut in das iranische Voelkergemisch ein. Trotzdem: die Region wird vom Staat vernachlaessigt und ist eine der aermsten. Feldarbeit ist meistens noch reine Handarbeit.

Im kurdischen Divanderreh werde ich beim Kauf von Tomaten von zahlreichen Kurden umzingelt. Osman, ein Bodybuilder mit frappanter Aehnlichkeit zu Eddie Murphie und Amateur-Bergsteiger, fuehrt mich in sein Sanitaer-Geschaeft, das sich im Nu mit Schaulustigen fuellt. “Hadji” David, ein Englischlehrer (schon wieder einer…) laedt mich zu seiner Familie ein, wo ich traditionelles Essen kosten darf. Der Titel “Hadji” verweist auf eine Pilgerreise bzw. einen Pilgerflug nach Mekka. David wie auch zahlreiche Iraner moechten ueber die Laender ihrer Gaeste moeglichst viel erfahren. Ich kann immerhin seine Vorstellung, wonach man in christlichen Kirchen Bier trinken koenne, korrigieren.

Ein paar Mal kann ich in einfachen Bauernhuetten schlafen. Ein anderermal gestaltet sich die Zeltplatzsuche wegen der kahlen Landschaft schwierig und ich frage einen Bauernjungen, ob ich in der saftigen Obstplantage mein Zelt aufstellen kann. Der Junge kann mit der Neuigkeit des aus der Schweiz stammenden Velofahrers nicht hinter dem Berg halten und in der Nacht erhalte ich Besuch von etwa zehn Jugendlichen auf ihren lauten Motorraedern. Sie entfachen ein Feuer, bringen Tee und Essen vorbei. In ihrem kleinen Dorf scheint nicht viel Abwechslung zu herrschen. Es kommt ein wenig Festivalstimmung auf, doch mich wurmt es schon, dass nun jeder weiss, wo ich am zelten bin. Zwei aufgedrehte Jungs beginnen, Heroin zu rauchen. Dies scheint die anderen und sogar einem verheirateten Paar um die Dreissig nicht zu stoeren. Der Heroinkonsum ist weitverbreitet und die Droge gibt es hier spottbillig zu kaufen. Das Paar beruhigt mich. Die Jungs seien alle in Ordnung und ich koenne ungestoert schlafen. Ich koenne auch bei Ihnen uebernachten. Da ich schon muede bin, lehne ich dankend ab (haette ich die Horror-Geschichte von Muradiye gekannt, haette ich natuerlich sofort eingewilligt).

Fahrrad-Begegnungen

Im Iran begegne ich erstmals anderen Tourenfahrern. Ausgangs Tabriz stosse ich auf einen Franzosen, der seit 14 Monaten unterwegs ist. Nach nur 30 Km biegt leider Jean-Francois (Link) nach rechts ab, um in die Tuerkei einzureisen und nach Hause zu fahren. In Khomeyn, der Heimatstadt des gleichnamigen Ayatollahs, spricht man mich auf Hossein Asgary (Link) an, der hier lebt und ebenfalls mit dem Rad um die Erde gereist sein soll. Seine Telefonnummer ist bald ausfindig gemacht. Wir rufen ihn an und in einer Viertelstunde trifft er bereits ein. Er entpuppt sich allerdings als professioneller Rennfahrer des Iranian Cycling Teams. Er nimmt sich Zeit fuer mich, laedt mich zu einem vorzueglichen Kebap ein, erklaert mir sein Training, kauft mir Bananen ein und begleitet mich ein Stueck weit (mit dem Auto). In Golpeyagan spricht mich ein iranischer Tourenfahrer an, der auf dem Weg zur Arbeit ist. In der Fabrik bereitet er mir ein Omelett zu. In Esfahan werde ich spaeter die mutige Bea Trachsel (Link) aus der Schweiz kennenlernen, die alleine mit dem Rad in die Mongolei faehrt.

Esfahan nesf-e jahan – Esfahan ist die halbe Welt

Endlich treffe ich in Esfahan, einem Juwel Persiens, ein. Esfahan weist praechtige Moscheen mit blauen Kuppeln und den unter UNESCO-Schutz stehenden praechtigen Imam-Platz auf. Pittoresk sind ferner die wunderschoenen Bruecken, die Minarette, Medressen und Parkanlagen. Esfahan ist aber auch das Zentrum der Handwerkskunst und den Silberschmieden, Tuchdruckern und Miniatur-Malern kann rings um den Imam-Platz und im Bazar bei der Arbeit zugeschaut werden. Esfahan ist eine wunderschoene Stadt, in der man stundenlang herumspazieren, Tee trinken und die islamische Architektur bewundern kann. Das Timing stimmt und am Flughafen von Esfahan treffe ich auf Traugott Benz, einem in der Naehe von Bern lebenden Bauingenieur. Westlich von Esfahan arbeitet er am groessten Staudamm Irans mit. Der Zufall will es, dass wir fast zeitgleich in Esfahan eintreffen. Zu meiner Erleichterung bringt er mir einen Kilo frischer Diafilme aus der Schweiz mit. Cheili motshakheram!


Gemischte Gefuehle

Das Alleinsein macht mir in den ersten Tagen nach Ruths Abschied zu schaffen. Etwas lustlos gehe ich ans Werk und radle ostwaerts. In Kozluk verbringe ich eine unruhige Nacht in einem Motel, dem Seyit Dinlenme Tesisleri. Die 5 tuerkischen Lira sind noch zuviel fuer dieses Rattenloch. Das Schloss meines Zimmers ist aufgebrochen und so verbarrikadiere ich mein Zimmer wie auch den Nebenraum, von welchem man auf den Balkon gelangen und in mein Zimmer sehen kann. In der Nacht versucht jemand prompt, sich Eingang in das Nebenzimmer zu verschaffen, wodurch ich sofort aufgeweckt werde. Mit einem nagelbeschlagenen Stock – reine Vorsichtsmassnahme – harre ich reglos in meinem Bett aus. Ein Junge schaut aus dem Balkon in mein Zimmer, wird aber von einem anderen zurueckgepfiffen. Zum Glueck passiert aber nichts.

Am naechsten Tag, einem sonnigen Sonntag, besteht die Hauptbeschaeftigung der Kurden darin, am Strassenrand zu picknicken. Fast jede Familie winkt mir zu und will mich zu einem Tee oder Essen einladen. Eine Gruppe, die gerade daran ist, ein geschlachtetes Schaf zu haeuten, ruft mich beim Namen herbei. Abdelkadir, der Cousin vom Grossgrundbesitzer F.T., und weitere bekannte Gesichter haben sich an einem schattigen Platz eingefunden, um die Grillkunst in Reinform zu zelebrieren. Ich komme nicht darum herum, eine laengere Pause einzulegen und – trotz anhaltenden Magenproblemen – vom frischen Kebap zu kosten.

Die Landschaft verengt sich zu einem Tal, in dem das Militaer in den zahlreichen Wachtuermen ausharrt und – immer noch – auf PKK-Terroristen Ausschau haelt, die ja ueber die hohen Berge trekken koennten. Nach wild Zelten ist mir nicht zumute und so frage ich sicherheitshalber eine Familie, ob ich mein Zelt auf ihrem Grundstueck aufstellen kann. Am naechsten Tag werde ich offenbar von einem Soldaten dabei beobachtet, wie ich von der alpinen Landschaft ein Bild schiesse und werde sofort hinaufbeordert. Ich gebe ihm zu verstehen, dass ich weiterfahre, doch er zeigt mir sein Gewehr und macht unfreundliche Gesten. Es bleibt mir nichts anderes uebrig, als den Hang hinaufzuklettern. Die drei Soldaten wollen nur kurz meinen Pass sehen und bieten mir sofort Ayran und Brot an. Nach einer Weile belangloser Plauderei (ohne heikle Themen anzuschlagen) kann ich meine Fahrt wieder – fuer kurze Zeit unbehelligt – fortsetzen.

In Bitlis werfen einige Buben Steinchen nach mir. Ich zeige Ihnen den Stinkefinger und mache mich aus dem Staub. Unglaublich ! Von solchen Vorfaellen hatte ich zwar schon gehoert, es ist aber trotzdem erschreckend zu erfahren, dass Kinder bereits so boesartig sein koennen. Die Begegnungen mit den Jungen sind hier mehrheitlich muehsam. Bereits als ich mit Ruth unterwegs war, wurden wir in Kleinstaedten von Kindern umzingelt, die ungehalten und forsch auf uns eingeredet haben. Tourist ! Tourist! Einmal laufen mir ein paar Kinder hinterher und einer reisst sogar am Lenker. Das ist zuviel des Guten und ich schreie ihn lauthals an, sodass er ganz bleich wird und zu einer Salzsaeule erstarrt. Zweimal noch werden mir Steine nachgeworfen. Keine gefaehrlichen Situationen. Doch dass sich diese Situationen hier im armen Suedosten der Tuerkei haeufen, wo die Strassen oft nur noch Schotterpisten sind, gibt mir zu denken. Bei Hirtenjungen halte ich nicht mehr an. Sie schreien mich bereits von weitem verzweifelt an, und betteln um ‘Pull, Pull’ (Geld), Zigaretten oder Streichhoelzern.

Kurz vor dem Van-See kann ich wieder eine bezaubernde Karavanserai, die Alaman Hani, bewundern. Ich waehle die noerdliche Route dem See entlang mit einzigartigen Blicken auf den 4058 Meter hohen Suephan Dagi. Nordoestlich des Sees wird die Landschaft sehr vulkanisch: Basaltgesteine, Wasserfaelle und kilometergrosse Lavafelder, die in der Naehe des Tenduerek Passes (2644 M.ue.M.) entspringen. Ein Kurde armenischen Urprungs laedt mich zum Tee ein. Er glaubt wohl besonders klug zu sein und bietet mir an, mich mit seinem kleinem Lastwagen fuer 100 tuerkische Lire den (nicht sonderlich anstrengenden) Pass hinaufzuchauffieren. Sehe ich wirklich wie ein Idiot aus? Das er ein teacher sei, kaufe ich ihm nicht ab. Nichtsdestotrotz kann ich ein paar schoene Bilder von seinen drei lieblichen Kindern und sogar von seiner Ehefrau im Schleier knipsen.

Ich fahre an Muradiye, am nordoestlichen Zipfel des Van-Sees, vorbei. Diesen Ort wird ein schweizerisches Paar, das einige Tage spaeter ebenfalls mit dem Fahrrad hier vorbeifahren und in der Umgebung zelten wird, ein Leben lang nicht vergessen. Sie werden in der Nacht von 5 Maennern ueberfallen. Anschliessend wird die Schweizerin unter Waffendrohung vergewaltigt, waehrend der Partner zuschauen muss. Beim Gerichtstermin ist die Bevoelkerung ausser sich und will die fuenf hochgradig Kriminellen lynchen. Solche hoechst grausamen Vorfaelle trueben natuerlich die Freude am Veloreisen. Dennoch waere es falsch, die gesamte Bevoelkerung dafuer verantwortlich zu machen.

In Caldiran, das auf einer kargen Hochebene auf ueber 2000 Metern ueber Meer und in unmittelbarer Naehe zur iranischen Grenze liegt, uebernachte ich in einem guenstigen und sauberen Hotel. Eshref, der nebenan eine Lokanta fuehrt, bereitet mir auf Wunsch hin eine guten Teller Pasta zu. Zusammen mit seinen Freunden verbringe ich den Abend in seinem Lokal. Den Kurden hier geht es wirtschaftlich miserabel. Zudem herrscht ein unwirtliches Klima. Wahrend 5 Monaten im Jahr liegt hier Schnee. Nach dem Tenduerek Pass zeigt sich erstmals der Berg Ararat, an dessen Fusse Dogubayazit (30 Km vor der iranischen Grenze) liegt. Dort bleibe ich einen Tag, goenne mir einen Haarschnitt und eine Rasur bei einem Berber (um nicht allzu hoehlenbewohnermaessig an der iranischen Grenze zu wirken), finde endlich einen passenden Rueckspiegel fuer mein Velo und fahre zum grossartigen Ishak Pasa Palast rauf. Der frisch renovierte İshak Paşa Sarayı wurde im 17. Jahrhundert von einem kurdischen Emir und dessen Sohn erbaut und vereint in einzigartiger Weise armenische, georgische, persische, seldschukische und osmanische Baustile.


Rojbas !

Bei leicht regnerischem Wetter verlassen wir Malatya. Bald hellt es jedoch auf und bei Sonnenschein koennen wir am Ortsausgang von Kale auf einer Terrasse mit wunderbarer Sicht auf den aufgestauten Firat Nehri (Euphrat) und die umliegenden grünbraunen Hügel einen Balik (Fisch) verzehren. Wohlgestaerkt geht es danach über die Brücke, wo uns auf der anderen Seite ein Kommandant der Jandarma `ins Visier genommen` hat und uns vorführen laesst. Er ist freundlich, will sich aus Langeweile die Zeit etwas vertreiben und durchloechert uns mit Fragen. Ein junger Jandarma bringt uns Cay und Wasser, stolpert fast dabei und erntet von seinem Vorgesetzten den Kommentar ‘Jandarma!’, als sei die Tolpatschigkeit ein Markenzeichen der Jandarmas (etwa vergleichbar mit den Carabinieri in Italien).

In Elazig (100 km oestlich von Malatya) quartieren wir uns in ein leicht schmuddliges Hotel ein und kochen – wie schon oft – im Bad unsere Pasta. Der Duft verstroemt sich im Hotel und der Angestellte klopft schon bald an unserer Tür und sagt etwas von ‘Yekmek’ (Essen) und zeigt uns eine Kochgelegenheit. Da die Tomatensauce ohnehin bereits gekocht ist, ziehen wir es vor, unser Mahl im Zimmer fertig zu kochen.


Wir verlassen die fruchtbare Ebene um Elazig und radeln nach einer leichten Steigung dem Hazar See entlang, der einige haessliche unbewohnte Ferienbauten aufzuweisen hat. Nach dem See kommen wir zum Ursprung des Dicle Nehri (Tigris) und geniessen die Fahrt durch das enge Flusstal. Es ist bereits nach 18 Uhr und Maurizio bemerkt einen schleichenden Plattfuss. Da es bald eindunkelt, muss er den Reifen von Zeit zu Zeit aufpumpen, um nicht noch mehr wertvolle Zeit mit der Reparatur zu verlieren. Das Militaer ist in dieser Gegend praesent und patrouilliert mit Jeeps und Panzerwagen – Maschinenpistolen stets einsatzbereit. Wachtürme auf Erhebungen beobachten uns. Die 20 Kilometer bis Ergani wollen wir noch schaffen und so fahren wir in die Nacht hinein.

Um 20.30 Uhr treffen wir dann endlich im rudimentaer beleuchteten Ergani ein, wo zu dieser Tageszeit nur noch Maenner, und dies in Scharen, unterwegs sind. Wir ziehen natuerlich die Aufmerksamkeit auf uns. Ein Junge will uns den Weg zum einzigen Hotel zeigen und führt uns in eine dunkle Gasse. Ein anderer im Anzug kommt herbeigeeilt und gibt uns mit Handzeichen zu verstehen, dass der Junge uns ausrauben wollte. Er zeigt uns schliesslich eine (die einzige…) wenig vertrauenerweckende Unterkunft. Uns ist der Ort nicht ganz geheuer und wir fragen, ob der Platz wirklich sicher sei. Der Herr im Anzug, der eine Art Dorfschützer zu sein scheint und eine Alkoholfahne schwingt, zeigt Maurizio seine Knarre, die er mit sich traegt: ‘Polis.’. Er macht die zwei Jungs, die sich um die Herberge kümmern, ganz nervoes. Erst als er sich aus dem Staub gemacht hat, kehrt Ruhe ein. Die zwei netten Jungs bestellen uns Essen und unterstuetzen Maurizio bei der Reparatur seines Plattfusses. Auf die Frage, wer der andere gewesen sei, antworten sie nur ‘piss’. Die beiden lassen sich nicht davon abbringen, uns das Essen zu bezahlen (7 türkische Lira), dabei kostet das Zimmer gerade mal doppelt soviel. Bei Tageslicht sieht dann das stark kurdisch besiedelte Ergani einiges freundlicher aus. Mehr als anderswo laufen die Maenner hier mit den traditionellen weiten Schlabberhosen und einem hellen Kopftuch herum.


Wir steuern Diyarbakir, die Kurdenmetropole an, wo noch vor einigen Wochen heftige Auseinandersetzungen zwischen den Sicherheitskraeften und Demonstranten stattgefunden haben. Wir sichten einen Migros-Supermarkt und kaufen fast zwei Kilo Müsli ein. In einem Hotelzimmer ganz nach dem Geschmack von Ruth richten wir uns für zwei Tage ein. Mit dem Minibus machen wir einen Abstecher in das malerische Mardin, dessen Post in einem Herrschaftshaus untergebracht ist und der unterbeschaeftigte und gutgelaunte Direktor uns in seinem Büro einen Cay servieren laesst. Das anschliessende Essen in der Lokanta schmeckt zwar vorzüglich, doch unsere Maegen rebellieren und wir müssen dies mit Durchfall bezahlen. Wieder in Diyarbakir, bereits Nacht, will Maurizio seinen Vorrat an Antibiotika aufstocken (das hier – rezeptfrei – etwa nur einen Drittel des schweizerischen Preises kostet!). Waehrend sich Maurizio an der Theke bedienen laesst, wartet Ruth auf einem Stuhl am Eingang der stark frequentierten Apotheke und schreibt – nichts Boeses ahnend – SMS. Ploetzlich schreit Ruth laut auf (als wollte sie einen Koepek erschrecken), Maurizio dreht sich um und rennt zusammen mit einem anderen Kunden los. Doch der Dieb ist weg. Dieser wollte mit einem klassischen Entreissdiebstahl Ruths Handy entwenden. Zum Glück blieb es beim Versuch, denn beim Handgemenge fiel es auf den Boden und der dreiste Dieb musste davon ablassen. Wir kommen mit dem Schrecken davon.

Nur wenige Kilometer nach Diyarbakir kann Maurizio bei einer Wegkreuzung wieder einmal seinen Drahtesel auf den Kopf stellen, seinen zehnten Platten reparieren und gleichzeitig das etwas verknautschte Felgenband auswechseln. Ein etwas penetranter Herr redet dabei ununterbrochen auf uns ein und spricht schliesslich das Zauberwort ‘misafir’ aus. Sein Cousin faehrt kurze Zeit spaeter in seinem dicken Jeep vorbei und gibt uns zu verstehen, in der naechsten Ortschaft beim groessten Haus am Dorfrand Halt zu machen. Wir fahren entlang saftiger, dunkelgrüner Weizenfelder, die durch Blumenwiesen und Mohnfelder unterbrochen werden. Bald sehen wir das grosse Haus und F.T. kommt uns in seinem Jeep entgegen. Sein Anwesen ist herrschaftlich. Er ist Ingenieur Agronom, Grossgrundbesitzer und offensichtlich wohlhabend. Wir erhalten ein Gaestezimmer, das groesser als die gesamte Wohnung von Ruth ist. Die ganze Familie wird uns vorgestellt. Nach dem Essen verschwinden die Maenner nach unten, wo gepafft wird, Okai 101 gespielt und der Bedienstete Cay serviert. Sobald das Glas Cay leer ist, heisst es in einem leicht strengen Ton: ‘Ramazan, Cay!’. F.T. ist wie das ganze Dorf, das im Zuge der Reformen Atatürks umbenannt worden ist, armenischer Abstammung. Als ich das Wort ‘armenisch’ auf meiner Strassenkarte aufschreibe, streicht F.T. es durch: ‘Problem militar’. Am naechsten Morgen tischt uns Ramazan im Garten ein fürstliches Kavalti (Zmorge) auf. Die Magenprobleme bestehen weiter und wir machen in Silvan Halt, wo wir mangels Hotel im ‘teachers house’ ein Zimmer erhalten. Am naechsten Tag steht uns dann ein sehr schwerer Abschied bevor. Ruth nimmt einen Minibus nach Dyiarbakir und von dort das Flugzeug nach Hause..


Hier in der überwiegend kurdisch besiedelten Teil der Türkei (ca. 12 Millionen Kurden) versuchen wir – soweit die Sprachkenntnisse ausreichen – den Kurden auf den Zahn zu fühlen. Das Laecheln der Kurden verwandelt sich zu einem breiten Grinsen, wenn man sie mit ‘Rojbas’ begruesst..

In den 80er und 90er Jahren sind im Südosten der Türkei im Krieg zwischen dem Militaer und der kurdischen Arbeiterpartei – der PKK – rund 37,000 Menschen, ganz überwiegend Kurden, ums Leben gekommen. Zahlreiche Kurden sind brutal gefoltert worden, aus ihren Doerfern vertrieben und zwangsumgesiedelt worden. Wie sieht die Situation heute aus ? Misshandlungen und Folter geben gemaess Angaben von amnesty international nach wie vor Anlass zu grosser Sorge. Die Kurden werden ihrer Herkunft wegen benachteiligt und systematisch von gewissen staatlichen Aemtern ausgeschlossen.

Unbefriedigende Menschenrechtslage

Ein 40-jaehriger Iraner kurdischer Herkunft, den wir in einem Internet-Cafe antreffen, verlor in den 80er Jahren beim irakischen Giftgasangriff saemtliche 20 Familienmitglieder auf einen Schlag und lebt seither in Norwegen als Fluechtling. Er ist sichtlich verbittert über die taeglichen Schikanen und Benachteiligungen von Kurden. Die Polizei verweigere den Kurden Empfehlungsschreiben. Der Gebrauch der kurdischen Sprache, des Kurmanci, wird allenfalls geduldet ist aber ansonsten nach wie vor verpoent und hat in der von Atatürk proklamierten türkischen Einheit keinen Platz.

Zwar sind gewisse Verbesserungen im Hinblick auf einen allfaelligen EU-Beitritt zu verzeichnen, doch die halbherzigen Reformen der Regierungen sind Flickwerk geblieben. 1982 ist Kurmanci in der türkischen Verfassung verboten worden. 2002 ist es wieder zugelassen worden. Seit Maerz dieses Jahres dürfen regionale Sender in Kurdisch senden, allerdings nur 45 Minuten pro Tag und maximal 4 Stunden pro Woche, wobei die Beitraege mit türkischen Untertiteln gesendet werden müssen. Kein Wunder, dass die meisten Kurden RojTV (ehemals MedTV bzw. MedyaTV) mit Sitz in Daenemark via Satellit empfangen.

Maurizio erinnert sich an ein Gespraech in Istanbul mit einem ‘colonel retraite’, dessen Mutter Kurdin war. Auch er erzaehlt über die Benachteiligungen von Kurden. Aus Angst will er ungenannt bleiben und will sich nicht ablichten lassen. Ein Angestellter einer Tankstelle ist offenherzig: in ‘Isvicre’ (Schweiz) herrsche ‘cok democrasi’ (viel Demokratie), mehr noch als in Europa. In der Türkei hingegen werden Kurden nach wie vor diskriminiert Einige Kurden ziehen sogar ueber den Staatsgruender Atatuerk her..

In zahlreichen Gespraechen mit Türken wird klar, dass die Idee einer türkischen Einheit tief in den Koepfen sitzt. ‘I don’t like the curds.’ musste sich Maurizio in Westanatolien oft anhoeren. Viele Tuerken raten sogar von Reisen in den Suedosten ab und empfehlen wegen der angeblich zahlreichen Terroristen, lieber den Bus zu nehmen. Ein Lehrer in Silvan meint, dass die Kurden doch zufrieden sein müssten, sie haetten heutzutage Internet. Auf unsere Einwaende, dass erstens nicht alle Kurden Zugang zum Internet haetten und zweitens das Internet einen demokratischen Staat nicht davon entbinde, die Sprachenfreiheit zu gewaehrleisten, will er nicht eingehen. Die Lehrer in Silvan sind jung und stehen mehrheitlich am Anfang ihrer Laufbahn, die im unbeliebten Südosten ‘abverdient’ werden muss. Dabei wird offenbar auch die Erkenntnis gewonnen – wie ein Lehrer uns mitteilt – dass das kurdische Volk nicht anders sei wie das tuerkische und gleichen Gewohnheiten nachlebt. Derselbe Lehrer bedauert deshalb, dass sich seine (tuerkische) Familie un ihn sorgen wuerde, nur weil er im kurdischen Gebiet unterrichte.

Wir haben den Eindruck erhalten, dass die Türkei die Terroristen-Geschichte aufbauscht, um die augenfaellige Praesenz des immensen Militaers und die damit einhergehende Einschüchterung rechtfertigen zu koennen Trotz dieser Situation sehen die Kurden ihre Lage gegenueber den 80er Jahren als markant verbessert. Sie wirken positiv eingestellt und hoffnungsvoll. Eigentlich ein guter Boden fuer eine solide politische Loesung, die einer Demokratie wuerdig waere..


Als ‘misafire’ unterwegs

Von Kayseri waere das 90 Kilometer entfernte Pinarbasi gut in einer Tagesetappe zu erreichen gewesen. Die an der Landstrasse gelegene Seldschuken-Karavanserai ‘Karatay Hani’ aus dem 13. Jahrhundert weckt unsere Neugier. Bei der Einfahrt ins Dorf verheddert sich die Kette von Maurizios Velo derart unglücklich, dass ein laengerer Halt noetig ist, um die Kette aufzubrechen und wieder zu vernieten. Schon nach wenigen Minuten sind wir von den maennlichen Dorfbewohnern jeglichen Alters umzingelt. Für Ruth wird sofort ein Stuhl hergebracht. Maurizio schlaegt die etlichen Ratschlaege der Schaulustigen, die mit Ochsengewalt an der Kette zerren wollen, etwas veraergert in den Wind. Ruth verfolgt gespannt die ganze Szene, und die Heimkehr der Kühe im Hintergrund rundet das Bild ab. Nach getaner (nicht notwendig erfolgreicher!) Arbeit wird Maurizio Tee, Wasser, Seife und ein Handtuch gereicht. Nun koennen wir uns – begleitet von einer riesigen Kinderschar – endlich die wunderschoene Karavanserai zu Gemüte führen. Wir sind danach spaet dran und Eile ist angesagt. Leider hat Maurizio bei der Reparatur übersehen, dass sich zwei, drei Kettenglieder arg verbogen haben und die Kette nun munter über die Zahnkraenze hin und her springt. Nachdem die laedierten Kettenglieder ersetzt sind, fahren wir einige Kilometer, müssen aber wohl oder übel bald Halt machen. Waehrend Maurizio eine stilvolle Übernachtung in der Karavanserai vorzieht (und das Zurückradeln gegen den Wind nicht scheut), setzt sich Ruth mit der Zeltübernachtung hinter einer heruntergekommenen Tankstelle durch. Wir kochen am Eingang der Damentoilette, wo wir von erdnussgrossen Kaefern belaestigt werden. Die freundlichen Angestellten der Petrol Ofisi haben Erbarmen mit uns und wir duerfen uns im Innern aufwaermen.

















In Pinarbasi stocken wir unseren Vorrat an Schafskaese auf. Die Stadt liegt bereits auf über 1’500 m.ü.M. Die Strasse steigt nun stetig an. Die weite Landschaft ist eben und karg, im Hintergrund sind schneebedeckte Berge zu sehen, es wird merklich kaelter. Schafherden ziehen vorbei. Ein quirliger und herzlicher Hirte stellt sich als Metin vor und gibt uns zu verstehen, das wir bei seinem ‘arkadas’ (Freund) Tunay Tarkay in der naechsten Ortschaft übernachten koennen. Er kritzelt den Namen auf einer Postkarte, mit der wir uns im Weiler Olukkaya, wo uns die Bewohner mit riesengrossen Augen anstarren, durchfragen. Wir treffen Tunay Tarkay vor dem schoensten Haus der Ortschaft an und eroeffnen ihm unser Ansinnen. Ohne grosse Worte laechelt er uns zu und laedt uns als ‘misafire’ (Gaeste) zu sich nach Hause, wo uns seine Schwester, seine Ehefrau und sein 6 Monate altes Kind erwarten. Tunay und Cemile Tarkay sind auesserst gastfreundlich und ein untypisches türkisches Paar. Er ist Physikprofessor in Ankara, sie Textillehrerin. Seit 20 Jahren ein Paar aber erst seit einem Jahr verheiratet. Sozialistischer Gesinnung verbringen sie ihre Ferien, wenn nicht gerade in Olukkaya, gerne in Kuba. Cemile ist tschetschenischer Herkunft waehrend Tunay aus dem Kaukasus stammt (wo genau konnten wir mangels genuegender Kommunikation nicht in Erfahrung bringen). Das Haus hat der Urgrossvater vor hundert Jahren gebaut.

Wohlgestaerkt verabschieden wir uns am naechsten Morgen. Cemile hat uns bereits lieb gewonnnen: ‘I like you very much’. Sie gibt uns noch reichlich Proviant mit. Unmittelbar nach unserer Abreise faengt es an zu regnen. Auf der Passhoehe haelt ein alter Mercedes-Lastwagen, Jahrgang 1976, an. Ein junges franzoesisches Paar in Begleitung eines Schaeferhundes steigt aus. Anais und Arnaud bereiten uns in dem zu einer Wohnung umfunktionierten Laderaum einen Kaffe. Sie kehren aus einer Reise nach Nepal zurueck. Kaum aus dem Lastwagen, wird der Regen wieder heftiger. Bei der folgenden Talfahrt fallen Ruth vor Kaelte fast die Haende ab (kein Wunder, die Windstopperhandschuhe sind laengst durchnaesst), sodass Maurizio gentlemen-like seine noch trockenen Handschuhe opfert. Nach einer weiteren Stunde Regenfahrt knurrt unser Magen derart stark, dass wir die Suche nach einem Unterstand aufgeben und im Regen die Böreks von Cemile hineinschoppen. Ein tuerkischer Lehrer beobachtet uns und ruft uns sofort zu sich nach Hause. Er feuert rasch den Kamin ein, wir improvisieren ein Zvieri, er bietet uns seinen hausgemachten Bal (Honig) an, wir steuern Schafskaese bei. Nach einer halben Stunde ist der Regenspuk vorbei, die Sonne scheint durch, doch – au weia – ein Platten (Nummer 7 glaube ich) haelt uns wieder einmal auf. Nach einem letzten Pass erreichen wir endlich Gürün, das zwischen Kayseri und Malatya liegt.

Nach Gürün führt uns die Fahrt durch ein herrliches canyonartiges Tal. Ockerfarbene kahle Bergflanken kontrastieren mit der grünen Flussoase. In der kleinen Ortschaft Darende werden wir gleich von jungen Jandarmas in Beschlag genommen und freundlich zum Tee eingeladen. Pro Tag nehmen wir übrigens durchschnittlich vier bis fuenf Einladungen an. Ebensoviele wenn nicht noch mehr müssen wir aus Zeitgründen leider ausschlagen. In der kleinen Ortschaft Asagiulupinar fragen wir nach einem geeigneten Plaetzchen für unser Zelt. Die teetrinkende Maennerrunde bringt wenig Verstaendnis für unser Vorhaben auf und schlaegt uns stattdessen vor, bei einem Bauern zu übernachten. Das nahende Gewitter und der einsetzende Regen lassen uns einlenken. Mehmet Ali Cep nimmt uns zu sich nach Hause, wo seine Ehefrau und die fünf Kinder bereits warten.

Als wir in Malatya (700 km südoestlich von Ankara) ankommen und den ersten grossen Supermarkt ansteuern, nimmt uns gleich ein junger Soldat in Beschlag. Er habe uns bereits bei unserer Ankunft gesehen und da er selber gerne Velo fahre, moechte er uns unbedingt kennenlernen. Spontan bietet er uns an, in seiner Wohnung, die er mit zwei Militaerkameraden teilt, zu übernachten. Ümit Seven (links auf dem Bild oben), 22 Jahre alt, Helikoptermechaniker, umsorgt uns wie eine Mamma. Die dreckige Waesche kommt flugs in die Waschmaschine. Im In-Lokal von Malatya laedt er uns zu Manti (Mini-Teigtaschen) mit Joghurt und viel Knoblauch ein. Jegliche Bezahlungsversuche unsererseits scheitern klaeglich.

Ümit kennt als Soldat die aktuelle Lage im Südosten des Landes und segnet unsere Reiseroute ab. Die Lage ist in dieser Gegend etwas angespannt und das Militaer plant in naher Zukunft eine grosse ‘operasyion’, wie den Zeitungen entnommen werden kann. Ümits Kompagnon Goekhan (rechts auf dem Bild oben), der am darauffolgenden Tag als Zeuge vor Militaergericht aussagen muss und deswegen frei hat, übernimmt am naechsten Morgen den Hütedienst. Mit seiner Hilfe buchen wir eine Sunset-Sunrise-Tour zum Nemrut Dag und reisen am Mittag bereits ab. Unsere Velos und unser Gepaeck koennen wir in der Wohnung von Ümit lassen.

Der Nemrut Dag (Link) ist mit 2’150 Metern Hoehe einer der hoechsten Berge des noerdlichen Mesopotamiens. Auf dem Gipfel thronen die Überreste des Grabmals des Koenigs Antiochos I. Theos (69-36. v. Chr.). Beeindruckend sind die Haeupter der riesigen Goetterstatuen am Fusse des künstlich aufgeschütteten, 150 Meter hohen Grabhügels. Kaum am Gipfel angelangt, zieht dichter Nebel auf und die Sonne laesst sich in den folgenden zwei Stunden nur für wenige Sekunden blicken. Den ‘Sunrise’ koennen wir am Morgen wegen anhaltenden Nebels und Regens abhacken und dafür zwei Stunden. In Malatya erwartet uns Ilyas, ein weiterer Freund und Arbeitskollege von Ümit (der übers Wochenende nach Ankara gefahren ist). Tags darauf begleitet er uns bis zum Ortsausgang. Wir sind gespannt auf den kurdischen Teil der Türkei.


Kappadokien zu(m) zweit(en)


In Aksaray, 200 km südoestlich von Ankara, wartet Maurizio vergebens beim Otogar (Busbahnhof). Ruth ist nach Kayseri geflogen und hat dort einen Bus nach Aksaray genommen. Samt ihrem sperrigen Gepaeck wird sie auf einer einsam gelegenen Tankstelle einige Kilometer vom Otogar entfernt abgeladen. Nach einigen hektischen Telefonaten wird ein Bustaxi organisiert, das uns spaet nach Mitternacht vors Hotel faehrt. Der anhaltende Regen am naechsten Tag ermuntert uns nicht zum Start. Nachdem wir das Velo von Ruth ausgepackt und zusammengebastelt, etwas zum Essen eingekauft haben und bereits zweimal zum Tee eingeladen worden sind, geht die Reise um drei Uhr nun in trauter Zweisamkeit weiter. Der Regen hat zwar nachgelassen, dafuer erwartet uns gleich nach der Stadt ein hartnaeckiger Gegenwind. Der Anstieg wird so noch anstrengender. Wir sind froh, nach 15 Kilometern nach rechts abbiegen zu koennen, um nun den Wind nur noch von der Seite zu spüren. Wir sind unsicher, ob die naechste Ortschaft eine Unterkunft bietet und so entschliessen wir uns – Ruth zaehneknirschend – in einer für Kappadokien typischen Tuffstein-Hoehlenwohnung zu übernachten. Frühmorgens begrüsst uns ein geselliges Hirten-Bruderpaar mit seiner Schafherde, dem Esel und den fünf Koepeks (Hunden). Bei etwas Sonnenschein koennen wir – Ruth mehr schlecht als recht ausgeruht – die Reise fortsetzen.

Bald treffen wir in Selime ein, das wegen seiner beeindruckenden Tuffsteinkegeln bekannt ist. Im Dorf werden wir sofort von den Schülern in ihren blauen Schuluniformen umzingelt, die uns ihre ‘Hello’ und ‘What’s your name?’ zurufen. Schon bei der ersten Gasse werden wir von einer Grossfamilie zum Tee eingeladen. Weiter oben treffen wir auf Abidin Abur, der uns stolz die traditionelle Backstube seiner Frau zeigt und uns gleich einige noch warme Fladenbrote und Goezlemes mit auf den Weg gibt. Waehrend wir um die Steinkegel herumwandern, passt er auf unsere Velos auf. Zum Abschluss laedt er uns in sein kleines Haus ein, wo wir am Boden sitzend die leckeren mit Spinat gefüllten Goezlemes und Ayran serviert bekommen. Zum Glueck beherrscht Maurizio ein paar Brocken Tuerkisch, so dass doch das Wichtigste (Alter, Beruf, Zivilstand, Reiseroute etc.) ausgetauscht werden kann. Beim Ortsausgang von Selime haengt sich uns – wohl zum Schutz vor den gefürchteten Hirtenhunden, die es auf die strammen Velofahrer/innenwaden abgesehen haben – ein schwarzer Koepek an, der uns unglaubliche 20 Kilometer durch das malerische Ihlara-Tal bis zu unserem Tagesziel Güzelyurt begleitet.

Hier erhalten wir einen kleinen Vorgeschmack auf die riesige Untergrundstadt, die uns spaeter erwarten wird. In der kleineren von Güzelyurt ist echte Kletterkunst gefragt. Die verschachtelten und engen Gaenge koennen leicht klaustrophobische Anfaelle hervorrufen. Kaum am Tageslicht ruft schon der Baerenhunger, der mit Tomaten, Gurken, Schafskaese und Ekmek (Brot) gestillt werden will. Der Weg nach Derinkuyu fuehrt durch eine islaendisch anmutende Vulkanlandschaft, die mit einem riesigen tuerkisblauen Kratersee ueberrascht. In Derinkuyu aergert sich Maurizio ueber ein verstaubtes Gesetz des Kültürministeriums, das den Gebrauch von Fotostativen in der Untergrundstadt verbietet. Nichtsdestotrotz (schliesslich gibt es auch Ministative) erkunden wir die uralte Stadt, die sich ueber 20 Stockwerke unter dem Boden erstreckt und 30’000 Menschen Platz bot. Sie diente den Bewohnern als Schutz vor den an der Seidenstrasse haeufigen Überfaellen. Wichtige Verbindungsstollen konnten bei Gefahr mit metergrossen Steinen verriegelt werden. Heute kann nur ein kleiner Teil über acht Stockwerke besichtigt werden.

Die Fahrt fuehrt uns weiter nach Üchisar und Goereme, dem Herzen Kappadokiens. Die Burg von Üchisar bietet einen atemberaubenden Blick über die weitlaeufige maerchenhafte Tuffsteinlandschaft. Wir koennen uns kaum sattsehen. Im trendy Goereme nisten wir uns wieder im Traveller’s ein, wo wir ein hübsches Hoehlenzimmer zugewiesen erhalten – einiges angenehmer als unsere erste ‘Hoellenübernachtung’. Gekocht wird auf dem Dach des Hotels bei untergehender Sonne mit praechtiger Sicht auf die Stadt. Das Menu ist Coralli con piselli e ricotta, Salat und Cola Turka.

Bevor wir Richtung Kayseri aufbrechen, kurven wir noch durch die eindrückliche Landschaft und bestaunen die bizarren Steinformationen. Genug von den Touristenbussen und den zahlreichen Souvenirstaenden verlassen wir Ürgüp, nicht ohne einen letzten Tee bei einem schweizbegeisterten Teppichhaendler getrunken zu haben. Bei der Routenwahl verhauen wir uns maechtig und, anstatt den direkten und flachen Weg zu nehmen, steuern wir geradezu auf einen Berg zu, der uns zu unzaehligen Pausen und Schiebepartien zwingt. Nach zwei Stunden erreichen wir endlich Aksalur,wo wir verschwitzt eine Einladung zum Tee annehmen – bald ist das halbe Dorf um uns versammelt. Ausgangs des Dorfes warnt uns ein Bauer auf einem Esel vor drei boesen Koepeks. Mit Aesten und Trillerpfeife bewaffnet, koennen wir die mit eisigen Stachelhalsbaendern bestueckten und grimmig bellenden Vieher erfolgreich vertreiben. In sicherer Distanz suchen wir uns ein Campingplaetzli unter freiem Himmel aus.

Am naechsten Mittag erreichen wir nach einer schoenen Talfahrt Incesu (30 km vor Kayseri). Wir werden sofort von einer jungen Frau, der Kulturbeauftragten in Incesu (‘Incesi Beledyiesi Kültür Evi’) in Beschlag genommen. Sie zeigt uns die sehr gut erhaltene Karavanserai ‘Karamustafapasa’ aus dem 17. Jahrhundert, in der die Kamelkarawanen auf der Seidenstrasse Schutz und Unterkunft fanden. Als wir endlich aufbrechen wollen, bemerkt Maurizio seinen sechsten Platten. Kayseri, 330 Kilometer südoestlich von Ankara entfernt, erreichen wir am spaeten Nachmittag.