Kirgistan – Pferde und Pässe
Kirgisen mögen ja ausgezeichnete Reiter sein. Hinter dem Steuer eines Farzeuges hingegen brillieren sie nicht. Nach einigen Ruhetagen in Osh, in denen ich mir die grösste Mühe gebe, mich durch die Speisekarten der besten Restaurants rauf und runter zu essen, breche ich von der zweitgrössten Stadt Kirgistans gestärkt auf. Etwas Gesellschaft leisten mir in Osh dabei eine Radlerin aus Basel, Ann, und Martin aus England. Beide habe ich auf dem Pamir kennengelernt. Beide werden den Flieger zurück in die Schweiz bzw. nach Georgien nehmen.
Die Etappe wird lange, doch die Beine sind ausgeruht. Der Anstieg nach Özgun kann mir nichts antun. Die Stadt ist zur Mittagszeit lebhaft. Rasch ein Teller Manti und eine Krug Grüntee in einer Oschchona und schon geht es weiter.
In Dschalalabat finde ich nach etwas Umherirren endlich eine Unterkunft am Stadtrand. Ein Zentrum ist in der drittgrössten Stadt des Landes nicht wirklich auszumachen. Wirklich sehenswert ist sie nicht. Zusammen mit einem anderen Reisenden aus Ungarn lassen wir uns ein Jandex-Taxi bestellen, das Pendant zu Uber, um im nobelsten Restaurant essen zu gehen. Das Taxi, alles andere als nobel: ein Daewoo Matiz mit einem Gewicht ungefähr eines F1-Wagens. Meine Wenigkeit nimmt auf dem Beifahrersitz Platz. Kurz vor dem Aurum Restaurant biegt der Daewoo abrupt nach links ab, als in der stehende Kolonne auf der Gegenfahrbahn eine Lücke aufgeht. Ein Verkehrsrüpel meint, die Kolonne rechts in hohem Tempo überholen zu müssen und ich sehe ihn direkt auf mich zufahren. Auweia. Eine Knautschzone gibt’s ja beim Daewoo anders als bei einem F1-Boliden ja praktisch nicht. Es knallt. Zum Glück trifft er dann nur das Hinterrad und wir steigen unverletzt aus. Während sich die zwei Fahrer gegenseitig anschreien, verlassen wir die Unfallstelle. Die sollen das untereinander ausmachen.
Das Wetter ist nun etwas unbeständig und es schneit auf den hohen Pässen. Der Kyzilart Pass, den ich vor einigen Tagen befahren habe, ist bereits im weissen Kleid. Von Djalalabat möchte ich Richtung Nordosten über die Fergana Bergkette fahren. Es gibt nur einen Passübergang und dieser sei stark verschneit, heisst es. Touristen mussten mit ihrem Jeep umdrehen. Nun, es ist schwierig an aussagekräftige Informationen über den Strassenzustand zu gelangen. Ich fahre einfach mal los.
Die Kirgisen mögen vielleicht etwas zurückhaltender als die Tajiken bzw. die Pamiri sein, dennoch werde ich immer wieder mit Äpfeln, Bananen oder dem feinen Brot beschenkt, das frisch aus dem Ofen mit Erdnussbutter oder Nutella besonders fein mundet.
An der Kreuzung zur Passstrasse verschränken alle die Arme. Zuviel Schnee. Hüfthoch. Ich solle über die neue Strasse mit dem Tunnel fahren. Der Tunnel ist aber gar noch nicht fertig gebaut und die Chinesen dort werden mich sicher nicht mit offenen Armen empfangen. Ich fahre also weiter Richtung Pass, mache aber zunächst bei der letzten Ortschaft Halt.
Im Homestay wird ebenfalls nur der Kopf geschüttelt, ich könne es ja gerne probieren. Tatsächlich hat es zünftig geschneit. Doch bekanntlich schmilzt Schnee an der Sonne. Und am nächsten Tag halte ich einen Kleinlaster an und frage den Lenker, wo er denn hinfährt. Nach Kasarman, heisst es. Ausgezeichnet! Das heisst, dass es einige wieder über den Pass wagen. Die Gegend ist bekannt für die Walnuss-Wälder und es ist gerade Erntezeit. Der Anblick von richtigen Wäldern ist schon fast ungewohnt für mich.
Chaotische, ja dramatische Szenen dann auf den letzten zwei Kilometern am Pass. Ein Lada ist in eine Grube gestürzt, das Hinterrad hängt in der Luft.
Zwei Kleinlaster stecken fest, nachdem sie ins Schlingern geraten sind. Schaufeln werden geholt. Die Arbeiten müssen dann unterbrochen werden, als sich eine riesige Herde von Schafen die Vorfahrt erzwingt.
Behelfsmässig werden die abgelaufenen Pneus mit Seilen, Plastik und Weiss-Gott-Noch-Womit abgekleidet. Einzig Ketten sind nicht mit von der Partie. Dabei wäre mit solchen die Fahrt ein Kinderspiel gewesen.
Eine Familie versucht von der anderen Seite mit einem Audi A100 ebenfalls ihr Glück. Doch die Vorderräder drehen durch. Selbst Walter Röhrl zu seinen besten Zeiten hätte mit diesem Vehikel seine liebe Mühe gehabt. Der Kalpakträger fleht einen Touristenjeep an, ihn doch ‘tschüt-tschüt’ zu ziehen, nur ein bisschen. Die zwei Kinder und seine Frau tun mir leid, dass sie in eine solche verzweifelte und gefährliche Lage gebracht werden.
Ich werde die steckengebliebenen Laster den ganzen Tag lang nicht mehr sehen. Nach der langen Abfahrt zelte ich in der Nähe der Strasse. Ich vermute, dass die Insassen des Lasters die Nacht in der Fahrerkabine verbringen dürfen und sich mit dem Singen von ‘Last Christmas’ bei Laune halten dürfen.
Nach der teilweisen matschigen Abfahrt dann bin ich endlich wieder in wärmeres Gebiet und kann mein Zelt auf einem leeren Jurtenplatz aufstellen.
Im Dorf Kasarman auf 1’300 m beeindrucken die alten Sowjetbetonbauten mit den ‘schönen grossflächigen Abplatzungen auf Betonfertigteiluntergrund’, wie es in der Sprache des Fachmannes heisst. Auf dieser Höhe herrschen noch angenehme Temperaturen um die 20 Grad, die Tage werden aber merklich kürzer.
Nun geht es Richtung eines Passes auf 2’800 Metern. Doch zuerst geht es rauf und runter und am späten Nachmittag finde ich bei einem Bach einen wunderbaren Zeltplatz an einem Pfad entlang eines alten Birkenwaldes. In einer bei Reisenden beliebten App wird er als ‘Paradise wild camping’ angepriesen und es ist nicht zuviel versprochen. Einen lauschigeren Übernachtungsplatz neben einem Bach und hundertjährigen Birken kann man sich wirklich nicht vorstellen.
In Afrika war ich noch mit physischen Reiseführern unterwegs, etwa dem 838 Gramm leichten ‘Rough Guide West Africa’, handlich wie ein Ziegelstein. Klassische Reiseführer führe ich nach wie vor mit, allerdings als PDF auf meinem Handy.
Apps wie iOverlander, Maps.Me oder Komoot sind bei der Tourenplanung hilfreich. Daneben gibt es noch spezifische Facebook-Gruppen oder eine Whatsapp-Gruppe namens ‘Cycling East’ mit über 1000 Mitgliedern. Dort kann man fleissig Informationen austauschen und Fragen wie ‘Where can I find a bike box in Bishkek?’, ‘Does anyone know the best sim card for Ouzbekistan?’ aufwerfen. Man erfährt auch, dass tatsächlich waghalsige Radler momentan durch Afghanistan reisen. Die wichtigste Informationsquelle sind nach wie vor andere Reisende, sei es virtuell oder physisch.
Zurück zum wunderbaren Zeltplatz. Am nächsten Morgen geht es zunächst ein kurzes Stück flach. Hier erinnert mich die Landschaft mit dem ausgetrockneten ockergelbem Gras an die Tiras-Berge in Namibia. Mit dem Unterschied, dass hier nicht Zebras sondern Pferde als Staffage dienen.
Das Pferd gehört unzertrennlich zu Kirgistan. Dank des Pferdes konnten die nomadisierenden Kirgisen sich im gebirgigen Land fortbewegen, jagen und Kriege führen. Nach der Sowjetära erlebten die Pferdezucht, der Verzehr von Stutenmilch und traditionelle Reitspiele eine Renaissance.
1000 Höhenmeter geht es nun rauf. Die Schotterpiste ist recht passabel und fahrbar. Vielleicht stehe ich noch unter dem Eindruck der Pisten Tajikistans und bin deswegen so optimistisch. Einige Serpentinen entschärfen glücklicherweise die steilsten Stellen.
Am Morgen kannte ich nicht einmal den Namen des Kara Soo Passes und ich wusste nicht, was mich auf der anderen Seite erwartete. Die Aussicht nach der Passhöhe Richtung Naryn-Tal haut mich dann förmlich um. Ich kann mir einen Freudenschrei nicht verkneifen. Damit hätte ich nicht gerechnet.
In Europa wäre dies -asphaltiert – ein Alpenpass erster Güte. Ich geniesse die Abfahrt runter zur Ortschaft Kök-Jar, wo die Strasse wieder asphaltiert ist. Ich pumpe die Reifen wieder voll auf, damit ich einen Kilometer nach der Ortschaft ernüchtert wieder Luft ablassen kann.
Die 20 km Wellblech auf Schotter hätte ich mir gerne ersparen können. Ich muss recht rabiat über die Piste gebrettert sein. Jedenfalls habe ich am nächsten Morgen einen Platten, ein klassischer ‘snakebite’: mit dem Pneu hart aufgeschlagen, sodass die Felge aufgesetzt und den Schlauch beschädigt hat. Ich repariere rasch den Schlauch, doch Eile ist nicht angesagt, da es ohnehin anfangen wird zu regnen und ich daher noch in Jalang Talap bleibe, bis wieder besseres Wetter die Weiterfahrt erlaubt.
Gefahrene Kilometer: 2’628, Fahrzeit 221 Stunden, Höhenmeter 29’870. Platten: 1.
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