Central Asia reloaded

29.7.2023 um 2 Uhr morgens lande ich in Dushanbe, der Hauptstadt Tajikistans. Trockene, heisse Luft weht mir entgegen. Es ist 27 Grad warm. Auf den Tag genau nach 17 Jahren befinde ich mich wieder in der Hauptstadt Tajikistans, einer ehemaligen Sowjetrepublik.

Da stehe ich nun, ich armer Tor, und bin so klug als wie zuvor. Etwas reiseerfahrener auf jeden Fall aber nicht ganz so tüchtig wie damals, 2006, als ich in 165 Tagen von Liestal bis hierhin geradelt bin und mit rund 40 kg Gepäck exakt 10’020 Kilometer benötigt habe. Und davor dem bosnischen Winter bei minus 18 Grad im Zelt getrotzt habe; gegen die kroatische Bora, dem Wind aus dem Landesinneren, gekämpft habe;  etliche eiskalte Regengüsse in Serbien-Montenegro erdulden musste; mich in der Türkei vor den Hirtenhunden, den Shivas Kangal, in Acht nehmen musste; bei über 40 Grad durch die iranische Wüste Dasht-el-kavir den Gegenwind verflucht habe; in Usbekistan mein Velo gestohlen wurde und ich von der Polizei zu einer Falschaussage genötigt wurde.

Ich wollte schon immer wieder diese Gegend noch einmal ausgiebig bereisen. 2009 wollte ich nach Kirgistan fliegen, aber es gab Unruhen. 2020 war ich kurz davor, einen Flug zu buchen, als aus bekannten Gründen jegliche Reisetätigkeit zum Erliegen kam.

Natürlich bin ich gespannt zu erfahren, was sich seither geändert hat. Mittlerweile hat sich der Tourismus entwickelt, gerade bei Abenteuer suchenden Radfahrern, ist dieses Land sehr beliebt geworden, aber auch viele Gruppenreisende sind nun unterwegs. Visas sind viel einfacher erhältlich oder für viele Länder gar nicht mehr nötig. Am 29.7.2018, genau vor fünf Jahren, kam Tajikistan dann leider in negative Schlagzeilen, als eine Gruppe von Radfahrern Zielscheibe eines extremistischen Angriffs wurden und vier, unter anderem auch ein Schweizer, getötet wurden.

Die Anreise über Istanbul klappt wunderbar. Im neuen, riesengrossen Flughafen Havalimani, das einem luxuriösen Einkaufstempel gleicht, stosse ich dann am Gate zum Weiterflug auf zwei Spanier, die ebenfalls mit dem Velo nach Dushanbe fliegen. Auch sie kommen im Greenhouse Hostel unter, wo sich alle Radler ein Stelldichein geben und fleissig Informationen austauschen.

Ich verstehe mich sofort prächtig mit Jurgi, einem Psychologie-Professor und Unai, einem IT-Spezialisten, beide aus Bilbao. Besser könnte meine Reise nicht anfangen. In zwei Tagen erkundschaften wir die Hauptstadt Tajikistans, besuchen das Antiken-Museum, wo sich der 13 Meter lange Buddha aus Lehm befindet und probieren das Nationalgericht Osch. Ich bin erstaunt, wie sich die Stadt entwickelt hat. Wo waren seinerzeit alle die Supermärkte nach westlichem Standard und alle Guesthouses und Unterkünfte?

Ich bin sofort im Element und im Reisemodus, betreibe fleissig Networking. Ich gönne mir in dieser Backofenhitze zunächt einmal drei Akklimatisierungstage, möchte auch mental hier ankommen, mich langsam auf das lokale Essen umstellen. Es wird fordernd genug werden. Die Temperaturen tagsüber sind unerträglich, über 40 Grad heiss. Am besten hält man es in einem gekühlten Supermarkt oder im Zimmer mit Klimaanlage aus.

Sozusagen mit dem Plan B bin ich nach Zentralasien gestartet, wollte zunächst eine Rundreise in Tajikistan unternehmen, um danach über Usbekistan nach Kirgistan einzureisen. Seit der Pandemie und wegen Scharmützeln an der kirgisisch-tajikischen Grenze ist diese seit Jahren leider geschlossen. Eine winzig kleine Hoffnung hatte ich vor meiner Abreise, dass sich dies noch ändern könnte. Just als ich im Greenhouse bin, wird die Grenze für Touristen wieder geöffnet. Die Neuigkeit macht dank Social Media schnell die Runde und so lasse ich mich nicht ein zweites Mal bitten und schreibe umgehend der zuständigen kirgisischen Behörde eine Email, die mir dann postwendend antwortet, dass ich über den Pamir Highway einreisen dürfe. Wow, damit hatte ich nicht gerechnet.

Tja, dafür habe ich dann ein bisschen zuviel Gepäck mit dabei. Ich wollte nämlich in Dushanbe ein Depot einrichten. Ich verschenke daher ein paar meiner aus der Schweiz mitgebrachten Viktualien und werde erst in Khorog ein kleines Depot einrichten können. Bevor ich dann endlich losfahre, muss ich noch eine Stunde lang Tetris spielen und versuchen, alle meine Siebensachen in meinen Taschen zu verstauen. Im Verlaufe der nächsten Tage wird sich die Packordnung dann schon noch ergeben.

Endlich geht es los. Ich bin aufgeregt und kann es kaum fassen, dass ich wieder ‘per velociped’ unterwegs bin. In den ersten Tagen geht es gleich richtig zur Sache. Nach 30 km bin ich schon durchgeschwitzt, es ist 35 Grad heiss, ich muss literweise Wasser trinken, mache Halt an einem kleinen Shop, wo mir der Besitzer einen leckeren gut gesalzenen Maiskolben reicht, gerade zur richtigen Zeit.

Danach geht es in Fayzobod an der Mineralwasser-Fabrik vorbei. Ab jetzt werde ich hauptsächlich Wasser aus Leitungen und Bächen trinken, das ich jeweils filtere oder behandle. Der limitierende Faktor in den ersten Tagen ist eindeutig die Hitze. Ich pausiere über drei Stunden im Schatten eines Baumes, wo mich ein älterer Tajike ausruhen lässt und eine zuckersüsse Wassermelone spendet. Er betreibt einen kleinen Shop nebenan und ist Selbstversorger. Ein ausrangierter LKW dient als Laden und Wohnfläche.

Am ersten Tag gönne ich mir noch ein Zimmer bei Khurshed, einem grossen Fan italienischer Popmusik der 80er Jahre. Ich bin schon auf 1600 Metern und es ist angenehm kühl in der Nacht.

Die gleiche Strecke bin ich ja schon damals gefahren, einige Abschnitte kommen mir noch sehr bekannt vor. Aber es hat deutlich mehr Verkehr. Der Fahrzeugpark ist ebenfalls moderner geworden. Auffallend: die Vielzahl der Opel Zafira, die als Minibusse fungieren.

Bis Obigarm ist die Strasse nun asphaltiert, danach kommt ein Teilstück, das den Namen Strasse nicht mehr verdient. Hier fahre ich an der grössten Baustelle Tajikistans vorbei, dem Wasserkraftwerk Roghun. Ein umstrittenes Megaprojekt mit einem Schüttdamm von eineinhalb Kilometern Länge. Die Strasse wird grösstenteils nach Fertigstellung überflutet werden.

Um die Hitze einigermassen zu ertragen, habe ich mir aus einer PET-Flasche einen Wasserspender gebastelt und besprühe mich regelmässig mit Wasser.

In einem schattigen Tal suche ich mittags Zuflucht in einer Oschchona, wo ich auf einer Tapchan, einer erhöhten, quadratischen Sitzfläche, wieder zu Kräften komme.

Ein Herr nebenan zeigt mir die noch funktionierende alte Mühle. Der grosse Stein, der unermüdlich seine Runden zieht, sei 200 Jahre alt, meint er.

Übernachten werde ich in einer Bauarbeitersiedlung. Exponiert am Fluss zu zelten macht mich nicht an und so lande ich in einer Baracke, wo ich mit Tajiken die Nacht verbringe.

Mein Eindruck ist, dass diese einfachen, kleinen Oschchonas, Gaststätten, nicht mehr ganz so häufig anzutreffen sind wie damals. Wenn ich aber eine zur richtigen Zeit finde, ist es ein Segen, dort Tee zu trinken, Spiegeleier und Brot zu essen und mit den Tajiken einfache Konversation zu führen.

Bei der Abzweigung zum Rasht-Tal mache ich einen kurzen Abstecher, um einen Schattenplatz in der ersten Ortschaft zu finden. Ich fange an einer Tankstelle an zu zeichnen und spontan werde ich von einem Herrn zu einem leckeren Essen eingeladen. Nicht auf sich warten lassen aber auch die Magenprobleme. Zum Glück aber nichts Ernsthaftes und nach ein, zwei Tagen stellt sich der Magen wieder ein.

In Qala-I-Hussein kann ich im Gästezimmer einer Moschee schlafen. Ich bin froh, mich hier wieder richtig waschen zu können, koche draussen dann meine Nudeln, um anderntags den Khaburabot-Pass auf 3´252 Metern in Angriff zu nehmen. Die Steigung ist zum Glück moderat, die Strecke zieht sich aber hin. 25 km und 1´400 Hm. Tönt nicht nach viel, aber mit Gepäck und auf einer MTB-Strecke doch ein gutes Stück Arbeit.

Die Abfahrt ist dann ein Hochgenuss, die Strasse windet sich durch Felsformationen, ist abwechslungsreich. Zahlreiche Imker am Wegesrand gehen ihrer Arbeit nach. Von dieser Gegend stammt der beste Honig Tajikistans.

Die Tajiken sind sehr gastfreundlich, viele winken mir zu und laden mich immer wieder zum Tee ein. Für kleine Einkäufe wie zwei Äpfel oder eine Packung Streichhölzer wollen sie gar kein Geld annehmen.

Junge am Wegesrand schenken mir sogar eine Melone. Sie ist dann zu meiner Enttäuschung nicht ganz so rot und schmackhaft, aber die Geste zählt.

Lustigerweise übernachte ich wieder oft an den gleichen Orten wie damals, nur dass sich die Umstände geändert haben. Beim kleinen Bergsee Hausi Kabuz konnte ich noch bei der Schenke einkehren und auf der Tapchan schlafen. Jetzt zelte ich direkt am See. Die ganze Anlage wird renoviert. Das Bad im See ist erfrischend und herrlich. Mit einem ganz alten Tretboot aus Lenins Zeiten drehen ein Arbeiter und ich noch eine Runde, als Paddel dienen zwei Schaufeln.

Ab Qhalaikum bin ich dann an der Grenze zu Afghanistan. Es ist faszinierend, jeweils die sehr sauber hergerichteten Dörfer einen Steinwurf entfernt zu beobachten und den eingehüllten Bewohnern zuzuwinken. Ab hier fangen auch die Strassenarbeiten der Chinesen an, vor denen einige Radler gewarnt haben.

Die Intention der neuen Seidenstrasse ist klar. Es geht nicht darum, die Reisezeit der Tajiken innerhalb dieses Gebietes zu verkürzen, sondern Waren, Trucks und Konvois aus China sollen möglichst schnell auf vierspurigen Strassen befördert werden können.

Kein Aufwand wird hier gescheut, um dieses Vorhaben umzusetzen. Dabei ragen 5000 Meter hohe Berge unweit des Grenzflusses Panj mächtig in die Höhe. Jeder Quadratmeter Landfläche ist für die Bewohner lebensnotwendig. Ich staune nicht schlecht. Da werden ganze Berghänge weggesprengt, Tunnels gebaut und mit der ganz grossen Keule wird hier angerichtet.

Dabei hätte es gereicht, die Strasse aus Sowjetzeiten moderat auszubauen und andauernd zu unterhalten, anstatt sie ganz verfallen zu lassen. Die Strasse ist tagsüber gesperrt, sodass ich frühmorgens um 5 Uhr starte. Ich habe Glück, bei der ersten Sperre fahre ich einfach weiter, während alle Fahrzeuge in der Hitze warten müssen. Sturheit gepaart mit Freundlichkeit helfen weiter. Der chinesische Vorarbeiter gibt mir barsch zu verstehen, ich solle rasch weiter. Dabei rollen vom Hang oben meterhohe Steinblöcke runter. Ich warte den passenden Moment ab, habe keine Lust, hier stundenlang zu warten, und in einem Kraftakt hebe ich mein Velociped über die Steine und weg bin ich.

Bei der zweiten Sperre lässt mich der Chinese dann nicht mehr durch. Hier wartet schon das deutsche Radlerpaar, Dennis und Maike aus Köln, das ich in Duschanbe kennengelernt habe. Ich mache aus der Not eine Tugend und zeichne kurzerhand den chinesischen Aufseher und kann ihm dann sogar ein Lächeln entlocken.

Zwei Tage fahre ich dann mit Dennis und Maike zusammen. Einmal zelten wir im Dorf Dashtak, tags darauf im Schulhof der Siedlung Shidz. Die Kinder sind natürlich neugierig auf die Europäer und die Bewohner jeweils sehr wohlwollend.

Nach Dashtak fängt es dann tatsächlich an zu regnen. Endlich erträgliche Temperaturen. Nach 18 km dann eine einladende Oschchona, wo wir unser zweites Frühstück zu uns nehmen. Bei Vanj fahren wir an einer grossen Arbeitersiedlung vorbei. Wie sich manche Orte doch sehr geändert haben.

Ich wurde damals ja etliche Male zum Schlafen eingeladen und habe mir daher Fotos ausgedruckt und kleine Geschenke mitgebracht, um diese Menschen aufzusuchen. Die Nachbarn erkennen jeweils die Gastgeber sofort, leider waren diese nicht mehr im Ort, sondern in Duschanbe.

Nach wie vor gibt es Abschnitte, an denen die Chinesen noch nicht Hand angelegt haben.

Wilde zerklüftete Flusstäler, kilometerhohe Berge ragen in die Höhe. Eine schroffe Bergwelt.Dem Grenzfluss entlang zu fahren, ist anstrengend. Es geht immer wieder hinauf, herab und quer und krumm, sodass auf 70 km bald 1´000 Höhenmeter gesammelt werden. So richtig in einen Rhythmus kommt man dabei nicht.

In Choshtchandez trennen wir uns dann. Eingangs der Ortschaft erkenne ich wieder die kleine Holzbank, auf der ich 2006 erschöpft von der Mittagshitze mich ausgeruht und einem vorbeigehenden Herrn gefragt hatte, ob es ein Teehaus im Dorf gebe. Die Gastfreundschaft, die ich danach von Abdul und seiner Familie erfahren hatte, verschlug mir die Sprache. Die Gastfreundschaft der Pamiri, die der Glaubensrichtung der Ismailiten angehören, ist unglaublich.

Ich wurde wie ein Gott empfangen, Speisen nach Speisen wurden aufgetischt, konnte danach ein Nickerchen machen und zum Abschied wurde ich mit handgestrickten Socken und getrockneten Maulbeeren beschenkt. Solche Momente gaben mir auf meiner damaligen Reise die nötige Motivation. Ich hatte mir damals versprochen, aus Dankbarkeit diese herzensgute Familie wieder einmal zu besuchen. Nun löse ich endlich dieses Versprechen ein. Vor vier Jahren haben Freunde aus Liestal Abdul einen Brief und Fotos von mir überbracht und er hatte eine Riesenfreude gehabt. Seither bin ich mit seinem Sohn auf Facebook befreundet und ich hatte ihm angetönt, dass ich irgendwann einmal wieder aufkreuzen würde. Ich zeige der Nachbarin ein Foto von Abdul und sie zeigt auf das Nachbarhaus. Schon nach wenigen Metern kommt mir dann freudig Abdul entgegen, wir umarmem uns lange, Freudentränen fliessen. Die damalige Begegnung ist mir immer noch in frischer Erinnerung geblieben.

Mit seinem 37-jährigen Sohn kann ich mich dank Google Translator einigermassen verständigen. Ich darf beim Cousin duschen. Als ich mit Nusrim zur Schule laufe, fährt uns ein abgekämpftes Radlerpaar aus Frankreich und Polen entgegen. Was für ein Zufall. Ich habe sie im Greenhouse kennengelernt und natürlich werden sie gleich mit eingeladen.

Nächstentags strample ich die 32 Kilometer bis nach Khorog runter. Diese Kleinstadt erkenne ich überhaupt nicht wieder. Hochhäuser, Kaffees, Homestays, Restaurants, viele Shops. Damals hatte ich meine liebe Mühe, in diesem grossen verschlafenen Dorf überhaupt eine Bleibe zu finden und konnte nach vielem Rumfragen in einem Privatzimmer schlafen. Jetzt ist hier der Bär los, sodass ich in einer netten Unterkunft meine Batterien aufladen, meine Weiterreise planen und mich um ein Permit für eine entlegene Gegend kümmern kann. In wenigen Tagen soll der seit 1994 regierende Präsident Rahmon die Stadt besuchen, fleissig wird daher noch Kosmetik betrieben und Schlaglöcher behelfsmässig ausgebessert.

Ich bin froh, nochmals nach Tajikistan gekommen zu sein. Zwar waren teils Abschnitte der Strecke Qhalaikum -Khorog aufgrund der Bauarbeiten alles andere als beschaulich. Der malerische Aspekt ist oft flöten gegegangen. Es herrscht auch viel mehr Verkehr als 2006. Lastwagen und Trucks sind Vorzeichen einer bevorstehenden Entwicklung, die tiefgreifende Änderungen nach sich ziehen wird. Es ist zu befürchten, dass die kleinen Dörfer, grüne Oasen in dieser wilden Gebirgslandschaft, vermehrt mit Landflucht zu kämpfen haben werden. Dennoch geniesse ich nach wie vor die Gebirgslandschaft und die Freundlichkeit der Menschen hier.

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