Altiplano Ahoi

Mittlerweile bin ich etwas ins Hintertreffen geraten mit meinem Reisebericht. Seit dem letzten zieren sechs neue Ein- und Ausreisestempel meinen Pass und ich habe fünfmal die Grenze gewechselt. 

Also zurück nach Peru und nach Cusco, der alten Inkahauptstadt, dem Zentrum des Inkareiches. Dort beschränke ich mich auf die Sehenswürdigkeiten in der Stadt und unternehme einen geführten Ausflug, um die Ruinen von Chinchero, die Salzminen von Maras, Moray, Ollantaytambo und Pisaq im Schnelldurchlauf zu besichtigen.  Den Spiessrutenlauf auf Macchu Picchu zusammen mit 2´499 anderen Touristen tue ich mir nicht an.
Hingegen kann ich ein von Eco-Solidar unterstütztes Projekt in der Nähe von Pisaq besuchen. Pukllasunchis, die 1981 von einer engagierten Schweizerin gegründete Partnerorganisation, die eine interkulturelle Modellschule in Cusco unterhält, führt mit grossem Erfolg seit vierzehn Jahren ein Radioprogramm, um das kulturelle Selbstbewusstsein der indigenen Bevölkerung, von Kindern und Frauen zu stärken.
Alex, langjähriger Mitarbeiter, führt mich durch die Räumlichkeiten von Pukllasunchis und zeigt mir das Aufnahmestudio. Das Radio ist nicht Zweck sondern Mittel, um das indigene Wissen und Kulturgut, das im offiziellen Schulprogramm und in den Medien keinen Platz hat, sichtbar zu machen. Die diskriminierte indigene Bevölkerung erhält dadurch eine Stimme. Schüler und Lehrer befassen sich mit dem lokalen Wissen der ländlichen Gemeinschaft, mit den Traditionen, Bräuchen und ihrer Weltanschauung. 
Die von den Schülern erarbeiteten Themen werden auf Tonband aufgenommen. Pukllasunchis und deren Mitarbeitende unterstützen dabei die Lehrer und bilden diese aus. Ethnologen und Pädagogen bereiten anschliessend die Themen auf, damit sie ausgestrahlt werden können. 
Die Radioprogramme werden zweisprachig gesendet: in Spanisch und Quechua, der lokalen Sprache. Zur Prime Time abends werden die von Pukllasunchis profesionell aufgearbeiteten 15-minütigen Programme in der Gegend von Cusco und Puno ausgestrahlt. Diese erfreuen sich mittlerweile grosser Beliebtheit bei der ganzen Bevölkerung. 
Die fertigen Sendungen dienen zudem auch als Unterrichtsmaterial und können so mehrfach verwendet werden. 
Luis, Marco und der Chauffeur Percy holen mich frühmorgens ab und wir fahren zum hochgelegen Dorf Amaru. Dort hat eine Schulklasse gerade eine Volksfabel vorbereitet und trägt diese mit der technischen Unterstützung von Marco vor.
Nach den Aufnahmen gibt Luis ein Feedback und animiert die Lehrerin dazu, die Kinder freier vortragen zu lassen und sich nicht streng an das Manuskript zu halten. Spontaneität und Improvisation sollen Raum haben und hilft vor allem den Kindern, die weniger gut Texte auswendig lernen können, sich mutiger einzubringen.
Wir machen eine Runde durch die Schule und sehen, wie Kinder mit Bohnen, Samen und Maiskörnern Zeichnungen gestalten. Alltägliche Szenen aus dem harten Dorfleben. 
Luis strahlt wie ein Maienkäfer. “Soy muy feliz”, meint er. Die Ausbildung der Lehrkräfte trägt Früchte, erzählt er begeistert. Diese Lehrerin hat die von Pukllasunchis duchgeführte Weiterbildung offenbar verinnerlicht und im Schulunterrricht umgesetzt. Das freut Luis, der seiner Tätigkeit mit Herzblut nachgeht, immens.
Vor der Schule haben sich zufälligerweise die Eltern der Schulkinder eingefunden, um sich mit dem Direktor zu besprechen. Dieser nutzt die Gelegenheit und lässt Luis eine kurze Rede halten, um die Eltern auf die Arbeit von Pukllusanchis und dem Radioprogramm aufmerksam zu machen.    
Nach diesem aufschlussreichen Tag fahren wir zurück nach Cusco. Zeit für mich, weiterzuziehen. Mit dem Nachtbus fahre ich direkt nach Copacabana am Titicacasee. Das ist zumindest die Absicht. Um halb vier Uhr morgens steht der ganze Verkehr vor Juliaca still. Eine Strassenblockade: Steine, Glasscherben, Unrat und brennende Pneus blockieren praktisch den ganzen Tag den Verkehr. Die Bürger protestieren damit gegen den Bürgermeister, der ein längst überfälliges Programm, um den umliegenden Gemeinden Zugang zu Wasser zu verschaffen, immer noch nicht umgesetzt hat. Alle Reisenden sämtlicher Busse müssen aussteigen und 10 Kilometer durch Juliaca laufen und auf einen Collectivo hoffen, der sie nach Puno bringt. Nun, da ich einen fahrbaren Untersatz mit dabei habe, radle ich die 45 Kilometer nach Puno. Am Nachmittag dann kann ich per Bus nach Copacabana weiterreisen, wo ich erst bei Dunkelheit eintreffe. 
 
Dort hole ich mir eine Magenverstimmung ein und muss drei Tage zwangspausieren. Endlich geht es weiter. Mit öV fahre ich in den Nordwesten Boliviens bis zum Dorf Curahuara de Carangas. In La Paz steige ich um, habe Riesenglück, das sich gleich ein Baño publico um die Ecke befindet und ich gleich ein Colectivo für die Weiterfahrt finde. 
Endlich wieder auf dem Drahtesel ! Um wieder auf Betriebstemperatur zu kommen, steht mir gleich eine 100-Kilometer Etappe nach Sajama beim gleichnamigen Nationalpark und Vulkan bevor. Der grösste Teil auf Asphalt, die letzten 15 Kilometer auf einer sandigen Piste.
 
Von Sajama fahre ich bis zum Grenzort Tembo Quemado, wo ich noch bestmöglich Proviant für die nächsten vier, fünf Tage einkaufe. Von hier reise ich nach Chile ein. Das Ganze hat einen Haken: in Chile werde ich durch Nationalparks fahren und es gibt keine Läden in den wenigen winzigen Ortschaften. Und die Chilenen sind streng, was die Einfuhr von Lebensmitteln anbelangt. Alles, was nicht industriell verpackt ist, muss entsorgt werden. Sprich: keine Früchte, keine Gemüse, kein Brot etc. 
 
Ich fahre zunächst dem Lago Chungará entlang mit Blick auf den Vulkan Parinacota. Ich dachte, dass die Strasse nach Parinacota geteert sei, doch sie wird neu gebaut und ist eine einzige Baustelle, holprig und staubig. Immerhin ist der Blick auf den Vulkan und die Lagune mit Flamingos und grasenden Alpacas einzigartig. 
Vom Nationalpark Lauca geht es dann südlich zur Reserva Nacional Vicuñas. Ich bin nun ganz alleine auf einer sandigen und holprigen Piste, erklimme einen Pass und fahre runter zu heissen Quellen. Zu meinem Erstaunen entdecke ich hier viele Strausse.  In der Abgeschiedenheit stelle ich mein Zelt auf. Wildes Zelten wie ich es liebe.
 
Am nächsten Tag gelange ich zu einer Kreuzung. Ab jetzt teile ich die Piste mit vielen Lastwagen, die zum Salar de Surire bolzen, um dort Borax aufladen. Borax oder Natriumborat ist ein selten vorkommendes Mineral und entsteht bei der Austrocknung von Salzseen. Es wird u.a für Glasuren, Keramiken und für die Emailproduktion verwendet. 
Gemäss Auskunft von anderen Radlern soll es auf der ganzen Strecke von fünf Tagen keine Verpflegungsmöglichkeit geben. Umso erfreuter bin ich, als ich im Weiler Ancuta einige parkierte Lastwagen erblicke und darauf schliesse, dass sich dort ein Truck-Stop befinden muss. Tatsächlich, ein kleines Restaurant mit einem kleinen Shop, in dem ich sogar Avocados, Tomaten und Brot kaufen kann. In solch abgelegenen Gebieten gilt das Hauptaugenmerk eines Tourenradlers dem Strassenzustand, der Verpflegung und dem Zugang zu Trinkwasser. 
Nach einer sehr kalten Nacht im Zelt, während der mir das ganze Wasser vereist, entdecke ich nochmals einen kleinen Truck-Stop, wo ich Brot kaufen kann. Bald erreiche ich eine Anhöhe und sehe den Salar de Surire. Nach einem kurzen Schwatz in der Polizeistation Chiclaya fahre ich östlich des Sees. Gegen zwei Uhr mache ich Halt, esse Brot, Paté und Zwiebeln, der starken UV-Strahlung und dem Wind ausgesetzt. Ich muss mich danach motivieren, um mein Tagesziel zu erreichen. Es geht nur langsam voran, die Wellblechpiste bremst mich ein. Noch 15 Kilometer, sprich mindestens eineinhalb Stunden. Doch ich habe nicht mit einer drei Kilometer langen Sandpassage gerechnet, nochmals zusätzlic 45 Minuten. Endlich erreiche ich dann die heissen Quellen von Polloquere, wo sich bereits sechs andere französische Radler eingefunden haben. 
Das wohlverdiente Bad lasse ich mir nicht nehmen und springe gleich rein. Herrlich!
Am nächsten Tag starten wir alle zusammen und nehmen eine 2 km lange Abkürzung über bolivianisches Territorium, trotz Abmahnung seitens der chilenischen Polizisten. 
Dies erspart uns einen Umweg über einen 4´700 Meter hohen Pass. Was uns nicht erspart bleibt, ist der Gegenwind und die Wellblechpiste. In einer verlassenen Ortschaft beschliesse ich, mich von der Gruppe zu verabschieden. Es ist erst drei Uhr und ich möchte noch weiter. Doch allzu weit komme ich nicht. Der Wind zieht noch stärker auf, die Piste wird noch sandiger. Allzu weit werde ich heute nicht kommen. 
Ein Minibus hält an und der Fahrer Orlando, von einem pensionierten deutschen Paar gebucht, hat alle sechs Radler samt Velos mitgenommen. Sie grinsen mich alle an. Ich kann nicht widerstehen und steige auch ein und erspare mir eine Tagesetappe bis zur bolivianischen Grenze. Dafür kann ich ein gemütliches Beisein in der Gruppe geniessen und meine restliche Schokolade teilen.
Von Grenzort Colchane fahren Laura, Pierre und ich Richtung Uyuni, während die anderen zur Küste nach Iquique radeln. Ben und Cécile haben nämlich auf dem Gepäcktäger ihre Gleitschirme mit dabei und Iquique scheint der Thermik wegen ein weltbekannter Ort für diesen Sport zu sein. 
Wir haben Glück, die anderen Pech. Mit Rückenwind fahren wir auf einer Piste dem Salar de Coipasa entgegen, dem zweitgrössten Salzsee in Bolivien. Am Rand der Wüste ist das Salz verkrustet, fühlt sich an, als würde man eine Meringue essen. Es knirscht fortwährend. Inmitten des Sees liegt die kleine Ortschaft Coipasa, wo wir übernachten. 
Der Salar de Uyuni hingegen ist mit 10´000 Quadratkilometer die grösste Salzpfanne der Erde. Es ist ein unwirkliches, surreales Gefühl, 70 bis 80 Kilometer am Stück auf dieser topfebenen, weissen Fläche zu fahren. Kein Lebewesen. Nur Weite. 
Das Licht ist gleissend hell. Es gibt zahlreiche Pisten, die gut zu befahren sind. Zum Glück habe ich das GPS mit dabei, denn die wenigen Inseln tauchen erst bei einer Distanz von 20 bis 30 Kilometern im Horizont auf. 
Wir fahren zunächst an der Isla Pescador vorbei und später zur Isla Incahuasi, ein sehr beliebter Ausflugsort für Touristen. Wohl eine der Hauptattraktionen in Bolivien.
Zu Recht. Denn auf dieser Insel scheinen sich alle Kakteen der Umgebung der letzten Jahrhunderte versammelt zu haben. Meterhohe und bis zu 1´200 Jahre alte Exemplare der Echinopsis atacamensis finden sich hier dichtgedrängt auf dieser kleinen Insel. 
Ein Naturwunder, ein unvergleichliches Spektakel. Für einen Tourenradler ist es ein Traum, auf der östlichen, windgeschützten Seite das Zelt auf dem betonharten Salar aufzustellen. Ich habe mir eigens Nägel gekauft, um die Zeltheringe nicht zu verbiegen. Vor Sonnenuntergang verschwinden ohnehin alle Touristen und man ist für sich alleine hier. 
Den Sonnenaufgang um 5.43 Uhr lasse ich mir nicht entgehen, stehe bereits vor fünf Uhr auf. Ein lang gehegter Traum geht für mich in Erfüllung.
Um neun brechen wir dann auf, fahren nochmals 70 Kilometer in absoluter Monotonie bis zum Hotel de Sal, wo sich alle geführten Touren nach dem frühmorgendlichen Besuch der Isla Incahuasi einfinden, um ihre Lunchpakete zu verspeisen.
Noch wenige Kilometer bis wir wieder Asphalt unter den Pneus haben. Die letzten 23 Kilometer bis nach Uyuni fliegen wir regelrecht mit Geschwindigkeiten von 25 bis 35 Kilometern pro Stunde. 
Uyuni mag nicht sonderlich attraktiv sein, die Häuser scheinen wie hier üblich, unvollendet zu sein. Nur die Fassaden werden verputzt, während man bei den Seiten die roten Backsteine sieht. Doch hier gibt es Unterkünfte, einen Markt mit einem anständigen Angebot an Früchten und Restaurants. Als erstes deponiere ich die mit einer von Schweiss mit einer Salz kruste überzogenen Kleider in einer lavanderia. Hier treffe ich auch endlich Freunde aus der Schweiz: Sabine und Tinu, die seit längerem in Südamerika unterwegs sind und mir vorausgefahren sind (www.siempre-pedalar.ch). Wir gönnen uns eine Pizza und bei einigen Flaschen Bier brüten wir darüber, ob wir die anstrengende Lagunenroute im Südwesten Boliviens wagen sollen, für die man 8-10 Tage mit dem Rad veranschlagen sollte. 
 

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