Cotopaxi y Mama Negra
Busfahren in Ecuador ist noch einfacher als in Afrika, wo man frühmorgens auftaucht und dann das tut, was die Afrikaner sehr gut können und wofür ich sie bewundere: warten. Warten, bis der Bus doppelt und dreifacht belegt ist. Und hoffen, dass dies am gleichen Tag passieren wird. In Otavala fahre ich um 8 zum Busbahnhof. Alle 20 Minuten fährt ein Bus nach Quito, 5 Minuten später sitze ich im Bus, einen Kaffee in der Hand und “geniesse” Mad Max auf spanisch.
In Quito angekommen, fahre ich die 18 Kilometer zum Guesthouse und bin einmal mehr dankbar, dass ich mit dem GPS navigieren kann. Ich hole das Paket ab und fahre gleich los nach Tumbaco. Dort suche ich die Casa del Ciclista von Santiago Lara auf. Es gibt einige dieser Unterkünfte für Radler. Meistens sind es velobegeisterte Einheimische mit einem grossen Grundstück. Dasjenige von Santiago gibt es bereits seit 17 Jahren und es sind bereits tausende Radreisende hier vorbeigekommen. Santiago ist eine Legende in Ecuador.
Um drei Uhr fängt es an zu stürmen, blitzen und donnern und innerhalb von 40 Minuten schüttet es aus Kübeln und alle Zelte sind komplett unter Wasser. Auch diejenigen von Clement und Aurelien, die zwei jungen Franzosen, die ich an der Lagune Chiriacu angetroffen habe. Sie tun mir leid. Ihr Pässe können gerettet werden, nicht jedoch das Kindle. Abends zeigt sich dann der Himmel wieder von der charmanten Seite.
Am nächsten Morgen fahre ich los, folge teils der Trans Ecuador Route. Ich treffe eine Gruppe von Damen auf Mountain Bikes, für mich ein erfreuliches Zeichen der Emanzipation. Ich folge Ihnen eine Weile, lasse sie dann aber ziehen, weil ich bergab auf den ecuadorianischen Paves nicht so schnell bin.
Ich nehme eine Alternativroute, die sich eher als Backpacking anfühlt und weniger als Bikepacking. Ich entferne mich von der Route gemaess GPS und lande prompt beim Eingang eines Schwimmbades. Da ich nicht zurueck moechte, suche ich mir selber einen eigenen Weg.
Zunächst einem lauschigen Weg entlang einem Bach, dann über eine Brücke.
Irgendwann ist dann Schluss. Ich muss die hinteren Taschen abnehmen und das Velo einen steilen Pfad hinaufschieben. Derweil schlagen die Mücken wieder zu. Saubiester.
Der 79-jährige Sergio erbarmt sich meiner, zerschlägt zunächst noch eine Melone für seine Kuh und hilft mir. Ich schenke ihm eine Mandarine und wir plaudern eine Weile. Sein ältester Sohn wollte in Italien beruflich Fuss fassen, doch sprachlich ging es nicht. Und so lebt er seit 20 Jahren in Madrid. Die Töchter studieren in Quito. Während er erzählt, drescht er Weizen und vescheucht immer wieder die herannahenden Hühner. Sergio strahlt Gutmütigkeit und Zufriedenheit aus. Er mag seine Tiere, das merkt man ihm an. Beim Abschied umarmt er mich, sichtlich erfreut über den unerwarteten Kurzbesuch.
Doch schon bald werde ich wieder von Scharen von bellenden Hunden gejagt. Es wimmelt nur so von diesen Kötern. Es ist heiss, auf meiner Haut bilden sich Blasen. Und wieder muss ich zu einem Bach runterlaufen und auf der anderen Seite wieder das Velo stossen. Kilometer fresse ich so nicht. Als ich in der kleinen Ortschaft Pintag am frühen Nachmittag ankomme, ist der Himmel bereits grau. Ich beschliesse, im einzigen Hostal, dem Vista Hermosa, zu übernachten und bin froh über diese Entscheidung, denn bald danach setzt starker Regen ein. Keine Frage, die Trockenzeit ist bald rum. Als der Regen aufhört, ziehe ich eine Runde im Ort, wo die Menschen daran sind, die Häuser mit Farbe aufzufrischen und einen Lastwagen bunt zu dekorieren. Morgen fangen die Feierlichkeiten zu Ehren der Virgen del Rosario und San Geronimo an.
Am nächsten Morgen regnet es. Kein Cotopaxi. Ich checke um 9 Uhr aus und plane vage, mit dem Bus nach Machachi fahren zu können, um dann anderntags – gutes Wetter vorausgesetzt – auf den Nationalpark Cotopaxi zu fahren. Doch die Virgen und San Geronimo machen mir einen Strich durch die Rechnung. Am Vortag war Pintag noch eine verschlafene Kleinstadt, heute sind die Gassen überfüllt. Um 10 Uhr fängt eine Art Karnevalsumzug an. Eine dieser Überraschungen, die ich auf Reisen liebe.
Buntbekleidete Menschen überall, Blaskapellen sind am Proben, fantasievoll dekorierte Wagen, tanzende, singende und Gitarren spielende Einwohner, traditionell gekleidet in Trachten, Strassenhändler, die Ballone, Hüte und Zuckerwatte anpreisen. Die paar Regentropfen können mir nun egal sein.
Ich schaue dem Treiben und dem Umzug belustigt zu, begebe mich zum Parque, wo dann sogar ein paar Sonnenstrahlen durchdrücken.
Die tanzenden Formationen werden von Herren begleitet, die den Zuchauern selbstgebrautes Maisbier aus Kübeln reichen. Ein häufiges Motiv der vorausfahrenden dekorierten Wagen sind übrigens Kondore und Kolibris. Auf beide scheinen die Ecuadorianer stolz zu sein. Während erstere eine Spannweite von über drei Metern erreichen können, beherrschen die zweiteren den Seit- und Rückwärtsflug mit ihren 40 bis 50 Schlägen pro Sekunde.
Wunderbar, dass ich das hier erleben darf. Ich esse eine Ceviche a la trucha, mit Forelle aus einer naheliegenden Lagune. Es herrscht eine ausgelassene, fröhliche Stimmung. Nächste Woche soll es eine Parade mit Pferden, Reitern und vaqueros – Cowboys – geben und anschliessend die Toros del Pueblo, ein Stiertreiben in der Arena, in der angetrunkene Hobby-Toreros ihren Mut unter Beweis stellen können.
Ich komme dann mit Ricardo, einem Quiteño, ins Gespräch, da er mein Velo begutachtet. Er fährt selber MTB und ist ein guter Freund von Santiago Lara, Mister ‘Casa de Ciclista’ aus Tumbaco. Er ist mit Kind und Kegel, Schwager und Schwiegermutter aus Texas unterwegs und er bietet mir an, mit seinem Pick-Up bis zur Laguna de Secas mitzufahren. Toll! Unterwegs kehren wir noch ein und ich komme in den Genuss von traditionellem Essen, begleitet von einem Glas warmen Morocho (Maisgetraenk), das wohl das Herz eines Vegetariers hätte höher schlagen lassen.
Dort zelte ich und hoffe, dass das Wetter auftut, um den Fuss des 5´897 Meter hohen Cotopaxi, dem zweithöchsten Berg in Ecuador nach dem Chimborazo, in Angriff nehmen zu können.
Tatsächlich, die Sonne scheint am nächsten Tag. Nichts wie los. Zunächst runter nach Pintag und dann die Abzweigung nehmen. Doch Ernüchterung macht sich breit. Erstens bin ich wieder einmal auf einer “empedrada”, dem ecuadorianischen Kopfsteinpflaster. Ich mag Schotter- und Erdpisten, mit Sand kann ich umgehen, mit Wellblech arrangiere ich mich. Diese Pavés sind aber eine einzige Tortur und Frustgaranten, egal ob rauf, runter oder flach. Ätzend. Und wenn ich 1’000 Höhenmeter fahren muss, möchte ich nicht mit einer langen Abfahrt beginnen. Ich schlucke die bittere Pille und begebe mich zum Tiefpunkt dieses Abschnitts.
In der letzten Ortschaft lädt mich die Wirtin des einzigen Grills zu einem Glas “chicha” ein, selbstgebrautes Maisgetränk. Während ich die grillierten Eingeweide dankend ablehne, pinkelt ein Strassenköter an mein Vorderrad. Die Hunde hier geben sich wirklich alle Mühe, sich bei mir verhasst zu machen.
Ich werde jetzt einen Tag lang keiner Menschenseele begegnen. Die Piste steigt und steigt. Der Himmel wird derweil grauer und grauer. Fängt es bald an zu regnen? Im Hintergrund zieht der Himmel zu. Es donnert bereits.
Ohne GPS wäre ich längst verloren und haette mich verfahren. Zur Abwechslung fahre ich durch tropischen Höhenwald. Der Boden ist teils aufgeweicht vom Regen.
Plötzlich befinde ich mich an einem Hang. Doch, ich bin richtig. Aber müssen diese Schiebepartien sein ? Ich befinde mich immer noch in der Höhenstufe der Tierra Fria, dem Hauptsiedlungsraum der Anden von 2´000 bis 3´500 Metern. Ich bin nun auf 3´300 Metern und plötzlich schaut mich ein Stier aus rund Hundert Metern Entfernung grimmig an. Zum Glück kann ich durch ein Gatter. Doch der Stier wandert weiter oben durch den Zaun, das löchrig ist wie Schweizer Käse. Verdammt, weiter vorne dann eine Gruppe von weiteren sechs Stieren. Ich habe keine Lust, die Corrida Pintag´s von nächster Woche vorzuziehen. Doch zum Glück wenden sie sich ab. Dafür erschrecke ich, als mich eine Andenmöwe im Sinkflug anschreit. Ich bin auf 3´500 Meter, der Himmel ist duester und die vereinzelten Tropfen verdichten sich zu Regen.
Die leerstehende Schutzhütte in der Ferne ist ein Geschenk des Himmels. Ich bin im Trockenen. Da es um vier Uhr immer noch regnet, mache ich mich daran, das Zimmer “wohnlich” zu “gestalten und säubere es mit Hilfe einer zusammengepressten PET-Flasche, einem Backenknochen und einem Zweig eines Busches: Schaufel, Schaber und Besen. Räucherstäbli, eigens für solche Fälle mitgebracht, verdecken den erdigen Mistgeruch.
Nebel zieht dann abends auf, es ist 6 Grad kalt. Ich bin froh, nicht draussen in der Nasskälte zelten zu müssen, ein Dach ueber dem Kopf zu haben und geniesse meinen Eintopf.
In der Nacht wache ich auf und sehe den Sternenhimmel. Perfekt. Um 6.30 bin ich schon auf dem Velo und es wird ein “dia muy chevere”. Grosses Kino. Die Sonne im Rücken, den Cotopaxi in voller Pracht vor mir, flach ansteigende, gut zu befahrende Schotter- und Erdpisten. Und das auf dem komfortablen RAW mit Pinion-Getriebe mit Keilriemen, das butterweich schaltet. Genussradeln pur.
Ich bin in meinem Element, im Hoch, kann mich nicht sattsehen, hab’ ein Bilderbuch vor mir, einer der höchsten aktiven Vulkane. Ich steige bis auf 3´871 Metern gemäss meinem GPS. Und vor lauter Cotopaxi vergisst man gerne den gegenueber liegenden Vulkan Ruminahui (4’721 M), einem erloschenen Vulkan.
Am Schluss noch ein Abstecher zur Laguna de Limpiopungu, danach steht mir die wohlverdiente Abfahrt bevor. Zunächst auf der Hauptstrasse, 10 Meter breit und planiert – Touristen sei Dank. Und danach wartet ein enger Singletrail durch einen dichten Nadelwald auf mich. Grossartig.
Ich fahre bis nach Latacunga. Und irgendwie scheinen mir die Feierlichkeiten in den Schoss zu fallen. Am Abend findet ein sehr lebhafter, karnevalsähnlicher Umzug zu Ehren der Virgen Maria de la Merced statt, der Mama Negra, der Schutzpatronin des Cotopaxi seit dem Vulkanausbruch 1742.
Den einzelnen Formationen gehen Männer voraus, die auf dem Rücken ein Gestell tragen, bunt dekoriert mit ganzen Schweinen (!), Meerschweinchen, Gemüse und Alkoholflaschen. Da die ganze Pracht rund 70 kg schwer wiegt, folgt ein Mann mit einem Tisch, damit der erste sich ab und zu ausruhen kann, nachdem er sich wild gedreht hat. Es folgen in Trachten gekleidete tanzende Männer und Frauen, Blasmusiker, Trommeln. Die Mama Negra mit schwarzer Maske reitet auf einem Pferd. Es werden immer wieder selbstgebraute Mixturen an die Zuschauer verabreicht. Dann gibt es noch weiss maskierte Gestalten, “Los Huacos”, die eine Art Reinigungsritual vollziehen. Sie schnappen sich ein Opfer, umkreisen es tanzend, schlagen mit einem Geweih oder Stock und einem Kräuterbündel auf dieses und geben ihm irgendein Gebräu zu trinken. Die Utensilien erinnern mich irgendwie an diejenigen zur Reinigung meiner Unterkunft auf dem Weg zum Cotopaxi!
Was für ein Tag: am Morgen noch einsam in der Weite Richtung Cotopaxi unterwegs und abends mitten im Umzug zu Ehren dessen Schutzpatronin. “Chevere, chevere”, wie die Ecuadorianer zu sagen pflegen.
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