Start in Ecuador

Endlich geht es los ! Mein Flug mit Iberia bringt mich von Zuerich ueber Madrid nach Quito, wo ich puenktlich lande und das bestellte Taxi bereits auf mich wartet. Da der Velokarton nicht in das Taxi passt, entsorge ich halt gleich den Karton vor Ort und demontiere das Vorderrad, damit mein Stahlross hinten auf dem Sitz Platz hat. Der neue Flughafen von Quito liegt rund 36 km vom Zentrum entfernt und als wir um 19 Uhr im Hostal Revolucion eintreffen, ist es bereits dunkel. Quito, die Hauptstadt von Ecuador, ist nur 20 km vom Aequator entfernt und mit 2’850  Metern die hoechstgelegene Hauptstadt der Welt vor Sucre in Bolivien. Sie liegt in einem fuer die Anden typischen schmalen Laengstal. Auf- und durchatmen heisst es erst mal in dieser Hoehe. Ich werde mir ein paar Tage goennen, um mir die Stadt anzuschauen und mich zu akklimatisieren.

Meine Reise habe ich minutioes geplant. Allerdings ist mir eine kleine Unachtsamkeit passiert, die mich zu einer Planaenderung zwingen wird. Den Clip mit Korrektur fuer die Sportbrille habe ich zuhause vergessen. Und so darf meine Mutter fuer mich express mit DHL (das heisst langsam?) ein Paket aufgeben. Drei Tage soll es gehen. Und tatsaechlich: innerhalb von zwei Tagen trifft das Paket nach Etappen in Leipzig, Amsterdam und Panama bereits in Guayaquil in Ecuador an. Ich nutze die Zeit, um mir die aufgrund der Kolonialvergangenheit roemisch-katholische gepraegte Stadt anzuschauen, auf den Turm der Basilika raufzusteigen und durch die Gassen des historischen Zentrums zu schlendern. Was mir sehr gut gefaellt, ist die Vielfalt an mir noch unbekannten Fruechten: etwa die Baumtomate, Babaco (Bergpapaya), Chirimoya, Granadilla, Pitajaya (Drachenfrucht, schmeckt wie Kiwi) und noch viele weitere. Fruchtsaefte – Jugos – gibt es an jeder Ecke. Kein Wunder, das Klima in Ecuador begunstigt den Anbau von tropischen Fruechten, Kakao, Kaffee und vor allem von Bananen. Ecuador ist eines der wichtigsten Exportlaender, was Bananen anbelangt.  

Natuerlich lasse ich es mir nicht nehmen, mich mit dem Teleferico, der Seilbahn, auf fast4’000 Meter befoerdern zu lassen und eine gigantische Sicht auf die Stadt und den Vulkan Cotopaxi zu bewundern. Anschliessend wandere ich mit einer spontan zusammengewuerfelten Gruppe von Touristen und zwei Einheimischen mit ihrem Hund auf den Vulkan Ricu Pichincha auf 4’627 Metern rauf. Es scheint ein Volkssport zu sein, hier raufzusteigen, egal ob mit Wanderschuhen und Helm oder in ganz einfachen Turnschlappen. Mit leichtem Kopfweh steigen wir wieder runter, eine junge Suedtirolerin geraet bei einer Kletterpartie in Panik und ich muss ihr gut zureden und sie beruhigen, damit sie den Abstieg schafft. 

Nun, das Paket mit dem Clip fuer die Sonnenbrille ist nun bereits in Guyaquil. Doch die Muehlen von DHL mahlen hier langsam, die Zollformalitaeten scheinen kompliziert zu sein. Nach zwei Tagen bemueht man sich, mich per Mail anzuschreiben und zu fragen, ob ich mit der Verzollung einverstanden sei. Was soll das fuer eine Frage? Habe ich eine Alternative? Ich muss die bittere Pille schlucken und zu den 139 CHF Transportkosten noch 71 US-Dollar berappen. Der US Dollar ist uebrigens seit einigen Jahren die offizielle Waehrung hier. Die Dinge wollen nicht recht vorangehen und so entscheide ich nach vier Tagen, Quito zu verlassen und nach Norden zu fahren, obschon ich nach Sueden fahren wollte. Nicht ohne meinen Unmut bei DHL Schweiz zu deponieren. Die Aussicht, noch drei, vier Tage in einer stickigen Grosstadt ausharren zu muessen, zwingt mich zu handeln. Abgesehen davon, dass im Backpacker einige Australier bis fruehmorgens feiern und jeweils besoffen um drei Uhr das ganze Haus aufwecken.

Ich sattle also mein neues Velo, ein RAW von MTB Cycletech, deren neues Flaggschiff und fahre zunaechst run d550 Hoehenmeter runter nach Tumbaco, wo die alte Eisenbahnlinie zu einem Veloweg ausgebaut wurde. Eine herrliche Strecke, um mich warmzufahren. Keine steilen Anstiege, sondern alles eher flach mit sanften Steigungen. Es ist am ersten Tag sehr heiss mit fast 35 Grad, die Sonnencreme ist irgendwo in einer Packtasche weit unten verstaut und so verbrenne ich mir leicht die Arme. Es braucht ein paar Tage Zeit, bis alle Handgriffe stimmen, jedes Objekt und Ausruestungsteil sein Plaetzchen in einer der Taschen auf dem Velo gefunden hat, ich eins werde mit meinem RAW.

Die ersten Kilometer in einem fremden Land, in einem mir unbekannten Kontinent und mit einem neuen Velo sind sehr aufregend. Sobald ich die ersten Kilometer aus Quito rausfahre, spuere ich, dass es die richtige Entscheidung war. Auf dem Velo fuehle ich mich befreit. Das Vorankommen, das Entdecken und mich Ueberraschen lassen, macht einfach Spass, treibt mich an. Als Ersatz fuer die Sonnenbrille habe ich uebrigens fuer 5 USD eine Schweisserbrille gefunden, die ich auf meine Brille aufsetzen kann. In Tumbaco esse ich Fisch, Ceviche, ein Gericht aus Garnelen gegart in Limettensaft, gewuerzt mit Chili und Koriander. Das Essen ist hier genial, reichhaltig, viele Maisarten, Gemuese. So laesst es sich gut leben als Radler. Und es ist hier auch dringend noetig, weil die Steigungen und der Streckenbelag brutal sein koennen.

Auf diesem Trip werde ich vor allem auf Pisten und Jeeptracks unterwegs sein, weg vom Asphalt und von der Panamericana. Es handelt sich in Ecuador um die Strecke TEMBR – Trans Ecuador Mountain Bike Route. Und schon bei einem ersten Canyon kommen Hochgefuehle auf und ich geniesse es, auf diesen verschlungenen und einsamen Wegen unterwegs zu sein. Na ja, nicht ganz einsam, weil bei einem Pause auf einer Wiese ich regelrecht von Insekten aufgefressen werde und danach alleine am rechten Bein 23 Stiche habe, die vor allem in der Nacht einen ueblen Juckreiz verursachen. Die ecuadorianischen Hunde, von denen es nur so wimmelt, habe ich schon nach einem Tag auf dem Kicker. Sie koennen recht aggressiv werden und es werden Geschichten von Tourenradlern kolportiert, die gebissen wurden. Vorsicht und lautes Schreien ist angesagt.

In einer kleinen Ortschaft, in Yaruqui, uebernachte ich in einem einfachen Hostal. Danach geht es bis nach El Quinche weiter, wo sonntags ein sehr belebter Markt stattfindet, in dem allerlei Waren angepriesen werden und das Zentrum rammelvoll ist. Ich spuele den Staub im Rachen mit dem frischen Saft einer Kokosnuss runter und fahre weiter bis nach Guayallabamba, wo ich mir ein leckeres Mittagessen goenne. Anstatt Brot wird hier Popcorn und geroesteter Mais gereicht. Jetzt folge ich der Panam – der Panamericana – fuer ein paar Kilometer. Zunaechst eine rasante Abfahrt und danach in der bruetenden Hitze ein schweisstreibender Anstieg, an einem Aussichtspunkt vorbei. Toll, schon auf den ersten Metern haelt ein Auto hinter mir an und reicht mir 8 Mandarinen, der Fahrer haelt den Daumen hoch und grinst mich an. Wie einfach doch Radler mit solch kleinen Gesten gluecklich zu stellen sind !

Ich nehme eine Seitenstrasse und mache Bekanntschaft mit dem beruechtigten ecuadorianischen Kopfsteinpflaster. Langgezogene, nie enden wollende holprige Steigungen. Selbst die Abfahrten auf diesem Belag sind muehsam. Da schon fuenf Uhr ist – um sechs dunkelt es ein – suche ich mir einen flaches Stueck Land ausser Sichtweite und schlage mein Zelt auf.

Am Morgen durchziehen Nebelschwaden die Taeler. Tagsueber wird es dann wieder recht warm. Die Strasse steigt an, ich komme in eine kleine Ortschaft, Malchinqui, wo ich meine Vorraete wieder aufstocken kann. Die einzige Bude, die offen hat, serviert nur Salchipapas, Fritten und Wuerste. Das erspare ich mir. Ich kaufe mir noch ein paar Snacks und Bananen und ziehe weiter.

Nun faengt die Steigung auf einer mit Furchen durchzogenen Erdpiste richtig an. Im ersten Gang kaempfe ich mich Meter um Meter hoch. Das GPS zeigt mir noch 14 Km bis zum hoechsten Punkt, wo eine Lagune ist. Als ich das Hoehenprofil studiere, wird mir etwas bange. Rund 1’400 Hoehenmeter wollten heute erklommen werden. Doch die Landschaft entschaedigt fuer die Strapazen.

Endlich flacht die Strecke etwas ab und ich kann etwas entspannter radeln, die Landschaft geniessen.

Ich bin nun schon auf ueber 3’300 Meter und die Sicht auf das Tal ist beeindruckend. Vor mir liegt tropischer Hoehen- und Nebelwald, weiter unter Anbaugebiet. Ich stosse auf Einwohner des Dorfes Malchinqui, die hier an den steilen Bergwaenden Blaubeeren sammeln und mir natuerlich ein paar Handvoll reichen.

Die Menschen sind freundlich, zu Spaessen aufgelegt und scheinen den Ausflug in der Gruppe zu geniessen. Die Kinder sind neugierig. Ein kleiner Junge, Luis, wuenscht mir alles Gute fuer die Weiterfahrt: Senor, che le vaya todo bien!

Ich bin jetzt ganz einsam, die Strasse steigt wieder an. Grosse Steinbrocken saen die Strasse, sodass ich ab und zu das Velo stossen muss. Bald habe ich das Gefuehl, in einem Regenwald zu fahren. Ich verfahre mich, muss wieder zurueckfahren. Doch landschaftlich wird es immer reizvoller.

Auch die Pflanzenwelt ist ungewohnt. Botaniker haetten in Ecuador ihre helle Freude. Ecuador besitzt eine einzigartige Vielfalt an Pflanzen und Tieren. Und so kann ich es trotz fortgeschrittener Stunde nicht sein lassen, ueber die ungewohnten Formen und Farben zu staunen. Es ist nun schon drei Uhr, noch 5, 6 km. Doch die wollen erkaempft werden.

Es geht ein Stueck runter und wieder rauf. Gemaess GPS bin ich zwar immer noch richtig, doch ploetzlich befinde ich mich auf einer Weide und nicht mehr auf einem Pfad, die Rinder suchen das Weite. Das Einzige, was ich vor mir habe, ist ein riesiger Hang mit Furchen.

Mir bleibt nichts anderes uebrig, als zu Schieben, denn ans Fahren ist schon lange nicht mehr zu denken. Zum Glueck ist es sonnig, denn sobald Wolken aufziehen, wird es rasch kuehl mit Temperaturstuerzen von 10 bis 15 Grad. Mit dem normalen Tourenrad haette ich hier schon laengst kapitulieren muessen. Die naechste Herausforderung steht mir bevor: ein Zaun. Vier neugierige Pferde beobachten mich, wie ich den Zaun muehsam aufmache und vorsichtig das Velo hieve. Um vier wollte ich auf der Lagune sein, daraus wird nun nichts. Ich laufe weiter, Meter um Meter gewinne ich an Hoehe und bin schon auf ueber 3’600 Metern. Dummerweise lauft linkerhand ein Pfad mit dem Zaun zusammen und ich merke, dass ich wieder ueber den Zaun muss. Diesmal kann ich aber den Zaun nicht oeffnen, sondern muss das ganze Gepaeck entfernen und dann muehsam das Velo ueber den Zaun heben und dabei aufpassen, dass sich meine Oberschenkel nicht am Drahtzaun aufschuerfen. Ich koennte schreien vor Wut, doch es nuetzt nichts. Noch ein Kilometer, 500 Meter und dann faellt mir ein Stein vom Herzen, ich bin ploetzlich erleichtert, euphorisch und ich weiss, wieso ich mir das alles antue und sich das lohnt. Der Anblick der Lagune Chiriacu auf fast 3’750 ist wie Balsam auf die Seele.

Eine tolle Ueberraschung ist, das ich hier ein Zelt erblicke. Zwei franzoesische Brueder aus der Bretagne, Clement und Aurelien, sind ebenfalls mit dem Rad unterwegs. Sie haben sich vor zwei Monaten in Kolumbien fuer umgerechnet 300 Euro Mountainbikes gekauft und sind seither als Tourenradler unterwegs. Davor waren sie mehr als ein Jahr lang als Backpacker und mit einem Van unterwegs gewesen. Doch mit dem Rad unterwegs zu sein, sei fuer sie die schoenste Art zu reisen.

Bis nach Otavalo sind es zwar nur 15 km, doch es ist schon 5 Uhr und deshalb schlage ich mein Zelt neben dem der Gebrueder Trotel (sic!) auf. Es tut gut, sich mit Gleichgesinnten austauschen zu koennen und diesen einzigartigen Ort und die Abendstimmung geniessen zu koennen. Nach dem Nachtessen – Pasta mit Tomaten, Knoblauch, Erdnuessen und Rosinen – schluepfen wird in den warmen Schlafsack, denn die Temperatur betraegt gerade noch 3 Grad. Um acht Uhr sind wir schon im Zelt.

Am naechsten Morgen scheint die Sonne und wir lassen uns Zeit mit dem Zusammenpacken. Wir verabschieden uns und ich fahre zur groesseren der zwei Lagunen weiter.

Die Lagunas de Mojanda sind von Otavalo aus auf einer 15 km langen Kopfsteinpflasterstrasse zu erreichen, die eine durchgaengige Steigung von ca. 7 Grad hat. Selbst die Abfahrt hat es in sich und auch hier bin ich froh, dass ich mit Scheibenbremsen unterwegs bin.

Um Mittag erreiche ich dann endlich Otavalo, eine Kleinstadt bekannt fuer den bunten Markt und ein beliebtes Touristenziel. Die Stadt ist gepflegt mit einem reichhaltigen Angebot an Laeden, Hostals und Restaurants. Ich steuere zunaechst ein Restaurant an und verpflege mich. Danach geniesse ich eine heisse Dusche und bin ueber die ersten dreieinhalb Tage Radfahren ganz zufrieden. Ich bin langsam auf Betriebstemperatur und bereit fuer die weiteren Pisten entlang der Vulkanroute. Das Paket ist nun nach fast einer Woche in Ecuador doch noch dem Hostal Revolucion zugestellt worden und nach etlichen Reklamationen meinerseits erhalte ich sogar die Transportkosten wegen den Unanehmlichkeiten zurueck erstattet. Morgen gehe ich mit dem Bus nach Quito. Hasta pronto !

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