Nubische Zaubernächte

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Die ganze Wüstenstrecke im Sudan von 1‘600 Kilometern treten Sekiji und ich gegen einen hartnäckigen Nordwind an. Die Landschaft hat nur wenige Reize zu bieten. Das Quecksilber klettert tagsüber auf 45 Grad, es ist heiss, unsere Haut fühlt sich wie Backpapier an. Ein streng muslimischer Staat, eine Militärregierung, die Freiheitsrechte einschränkt und ein Präsident, der sich vor dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag verantworten muss. Klingt nicht sehr verheissungsvoll.

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Und dennoch: nach und nach werden wir um den Finger gewickelt. Der Sudan wird zu meinen Lieblingsländern in Afrika gehören. Die Leute gehören zu den gastfreundlichsten auf dem ganzen Kontinent. Das Reisen im Land ist absolut sicher, die Leute sind stets sehr hilfsbereit, man fühlt sich willkommen, wird sehr oft zu einem Tee eingeladen. Nach und nach zieht uns Nubien, wie der Sudan früher hiess, in seinen Bann. Den Sudan auf das Krisengebiet Darfur und dem Präsidenten al-Baschir zu reduzieren, wäre ungerecht.

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Meine Hoffnung, durch den Sudan mit einem Reisegefährten zu reisen, verwirklicht sich in der Person des Japaners Sekiji, den ich in Äthiopien treffe. Ich bin froh, die lange Strecke gegen den Wind mit ihm zusammen zu fahren. Das bisschen Windschatten und etwas Gesellschaft macht die Fahrt erträglicher.

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Die Einreise in den Sudan gestaltet sich problemlos. Wir sind gespannt auf dieses Land.  Der Sudan öffnet sich langsam dem Tourismus, wir haben sogar ein Zwei-Monats-Visum ausgestellt erhalten. Die bürokratische Hürde der Registrierung bei der Ausländerbehörde ist allerdings noch nicht abgeschafft. Man soll dies gleich am winzigen Grenzort in Gallabat erledigen können, hiess es. Am nächsten Morgen klappern wir vergeblich alle Ämter ab. Es heisst stets, „Khartoum, Khartoum“. Um 9 Uhr legen wir unverrichteter Dinge los. Und erhalten gleich unsere erste Lektion. Um diesen Zeitpunkt sollte man bereits zwei Drittel des Tagespensums absolviert haben.

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Im Laufe der nächsten Tage verlegen wir den Start in die Nacht, wir werden später teilweise sogar um zwei Uhr nachts starten. Es ist dann einfach ruhiger und kühler. Manchmal sogar windstill. Landschaftlich verpassen wir ohnehin nicht viel. Entweder spendet uns der Mond Licht oder wir fahren im Schein der Stirnlampe. Es sind herrliche Momente, in der Kühle und Stille der Nacht loszufahren, die Sternschnuppen zu zählen und nach ein paar Stunden anzuhalten, um die Sonne aufgehen zu sehen.

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Sekiji und ich haben glücklicherweise die gleiche Einstellung und wir machen uns das Radlerleben nicht unnötig schwer. Der Wind und die Hitze machen uns bereits zu schaffen.  Wir übernachten in der Regel in sogenannten „Cafeterias“, einfachen Restaurants am Strassenrand, Truckstopps. Man erhält dort garantiert immer einen Teller „ful“, Bohneneintop mit Brot, oft Fleisch, manchmal Leber, Eier, falafel (Kichererbsen-Küchlein). Und kann dann für wenige Rappen ein Bett, bestehend aus einem einfachen Gestell und einem geflochtenen Netz, für die Nacht mieten. Und erspart sich sämtliche Camping-Aktivitäten und kann dann rasch in der Nacht aufbrechen.

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In Wad Medani stossen wir wieder auf den Blauen Nil, der in Äthiopien in Bahir Dar beim Lake Tana seinen Anfang nimmt. Bald sind wir in Khartoum, wo uns der symphatische Couchsurfer Steve, ein 64-jähriger Amerikaner  aufnimmt. Steve arbeitet als Lehrer bei der American School in Khartoum. Zunächst verrichten wir den obligaten Behördengang, entledigen uns einer läppischen Summe von umgerechnet 50 Dollar, um uns offiziell zu registrieren.

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Khartoum ist angenehm, für afrikanische Verhältnisse sehr geordnet, sauber. Der Weisse Nil trifft hier auf das Blaue Gegenstück. Obschon ein Alkoholverbot herrscht, gibt es aber Restaurants mit Live Musik, wo man zu Schnulzen das Tanzbein schwingen kann.  Man staune. So im Papa Costa. Ulkig und unterhaltsam. Nächstentags gönnen wir uns im Schwimmbad im „Greek Club“ etwas Abkühlung.

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Und zur Unterhaltung führen uns Steve und seine Freunde ausserhalb Khartoums, um einem nubischen Wrestling-Turnier beizuwohnen. Sobald die Sonne sich dem Horizont neigt und die Temperaturen erträglicher werden, bringen die Kämpfer die Stimmung in der randvollen Arena zum Kochen.

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Von Khartoum aus unternehmen Sekiji und ich mit dem Bus einen Ausflug zu der Sehenswürdigkeit Nummer eins im Sudan: der königliche Friedhof in Meroe. Zeugnis einer Hochkultur aus der Pharaonenzeit. 13 Jahrhunderte lang, bis zum 4. Jhd. n.Chr., herrschten die Kuschiten in Nubien, lieferten Sklaven und Gold an die Ägypter.

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Die Pyramiden sind nicht derart gigantisch wie die berühmten im Nachbarstaat, dafür hat man sie für sich ganz alleine. Die Stimmung am frühen Morgen und späten Abend ist einzigartig, wird nicht durch Massen von Schaulustigen und Souvenirhändlern vermasselt. Die paar wenigen Kameltreiber, die ihre Dienste anbieten, sind charmant  und man kann ­deren Überredungsversuchen nicht widerstehen, sich für ein paar wenige sudanesische Pfund auf ein Wüstenschiff zu setzen. Einzig ein paar Tausende Besucher jährlich bekommen die Relikten zu Gesicht. Lächerlich wenig im Vergleich zu den ägyptischen Besucherzahlen.

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Busfahrten im Sudan sind übrigens untypisch afrikanisch. Moderne chinesische oder koreanische klimatisierte Busse, kein einziger Passagier zuviel. Unterwegs werden kühle Getränke und Snacks gereicht. Gefahren wird auf feinem Asphalt, keine Bodenwelle, keine Schlaglöcher. Zurück in Khartoum trudeln drei weitere Tourenfahrer bei Steve ein, Richtung Süden fahrend. Das schottisch-dänische Paar Sam und Julie und Ambrose aus der Normandie. Zeit für uns, um den Kollegen Platz zu machen und uns wieder auf die Räder zu schwingen.

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Doch allzu rasch entlässt uns Khartoum nicht. Wir fahren in der Nacht los, in einem Vorort hüllt die aufgehende Sonne den Morgenverkehr in ein goldenes Licht. Wir können selbstverständlich der Versuchung nicht widerstehen und knipsen die Szenerie gebührend ab. Bis uns ein Vespafahrer etwas unfreundlich Einhalt gebietet und uns zur Polizeistation bittet. Fotografieren im Sudan ist eine heikle Angelegenheit, das ist uns bewusst. Doch anstatt einfach die Bilder zu sichten und zu löschen, wird ein Distriktschef aufgeboten. Uns ist bange. Zum Glück erscheint der nie und nach einer Teerunde und einer Stunde werden wir, ohne dass die Fotos gelöscht werden müssen, entlassen. Und so kann ich natürlich meinen Lesern den Stein des Anstosses auch nicht weiter vorenthalten:

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Für die 500 Kilometer bis Dongola kämpfen wir uns sieben ­Tage lang ab. Zugegeben, etwas neidisch sind wir schon auf andere Radler, die in entgegengesetzter Richtung nur zwei bis drei Tage benötigen. Sekiji und ich müssen kleine Brötchen backen, 50 bis 90 Kilometer am Tag, je nachdem wie stark es der Sandsturm Habub auf uns abgesehen hat. Spätestens um Mittag wird das Fahren bei dem Sturm und der Hitze zur Tortur. An Wasser mangelt es uns glücklicherweise nicht. Am Strassenrand finden sich häufig überdeckte Wasserstellen, wo man Wasser aus riesigen Tonkrügen schöpfen kann. Und unterwegs trinken wir paradoxerweise stets gekühltes Wasser. Die Verdunstung ist derart extrem, dass wir unsere Trinkflaschen in eine Socke stecken, die wir andauernd feucht halten und dadurch abgekühlt wird.

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Die Erleichterung ist gross, wenn wir mittags endlich eine kleine Cafeteria anpeilen können, um dort umgehend ein paar kühle Soda in wenigen Schlucken zu tanken, den obligaten Bohneneintopf zu verschlingen und uns auf den Betten breitzumachen, um den Rest des Tages bis zum abendlichen Bohneneintopf  zu dösen. Nicht immer finden wir ein lauschiges Plätzchen.

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In einer solchen kleinen gemütlichen Cafeteria erleben wir eine Schrecksekunde. Weniger wegen der faustgrossen Camel Spiders, die herumirren. Als wir um vier Uhr aufstehen, bemerkt Sekiji, dass seine Spiegelreflexkamera  und weitere Gegenstände in der Lenkertasche fehlen, sie jemand geklaut haben muss. Zwei Jungs und ein betagter Mann kümmern sich um die Cafeteria. Drei andere Gäste schlafen in jener Nacht ebenfalls dort. Im Umkreis von vielleicht 20 Kilometern ist keine andere Seele zu finden, allenfalls noch ein Schakal und die besagten Camel Spiders. Mir fällt am Vorabend auf, dass die zwei Burschen ständig auf die Ausrüstung von Sekiji schielen, zwischendurch flüstern. Um zwei Uhr morgens wache ich auf, sehe, wie die beiden Kerle sich mit einer Taschenlampe an das Rad von Sekiji heranschleichen. Ich mache mich bemerkbar, sie verziehen sich. Male mir nicht das Schlimmste aus, ahne nicht, dass die zwei derart bekloppt sein können, um einen Gast zu bestehlen.

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Wir wecken die ganze Bande auf, verlangen die Kamera von den zwei Schurken zurück. Jemand anderes kann es nicht gewesen sein. Die tun nichts dergleichen, leugnen alles ab, legen sich stinkfrech wieder schlafen. Der Alte, sichtlich verwirrt, brummelt ständig „Schakal, Schakal“. Wir warten bis zum Morgengrauen, bis die ersten zwei Truckfahrer anhalten.  Erklären denen, was vorgefallen sei, ziehen sie auf unsere Seite. Nun reden wir alle auf die Halunken ein, schüchtern sie ein. Wir drohen mit der Polizei. Ich gebe ihnen zu verstehen, dass aufgrund unserer Sachverhaltsschilderung die Polizei uns Glauben schenken wird, die Täterschaft mehr als augenfällig ist, ihnen aufgrund der geltenden Schari‘a die Hand abgehauen wird. Nun bekämen sie eine Chance: Kamera oder Hand ab !

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Ein Truckfahrer redet einem der zwei Gauner ins Gewissen, führt uns dann später zu einem Gebüsch hinter dem Gebäude. Dort ist die Kamera versteckt ! Ob der Chauffeur, der früher angeblich bei der Polizei angestellt war, ein Geständnis erzwingen konnte oder einfach ein guter Fährtenleser ist, wissen wir nicht. Jedenfalls ist der Vorfall jugendlichem Leichtsinn zuzuschreiben und untypisch für den Sudan.

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In Dongola gönnen wir uns zwei Ruhetage im einzigen für westliche Besucher ausgelegten Guesthouse. Der Tourismus steckt hier im Sudan ja leider noch in den Kinderschuhen, obschon es viel zu entdecken gäbe. Der Koreaner Isa führt seit sieben Jahren mit seiner Frau und den drei Kindern das Candaca Nubian Guesthouse, spricht gut arabisch, ist an nubischer Kultur interessiert und kennt Nordsudan wie seine Westentasche. Er organisiert für uns einen Ausflug. Wir besuchen ein nubisches Dorf, unternehmen eine Fahrt in einem traditionellen Boot und legen an einer Sandbank an, wo wir dann im Nil baden.

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Nördlich von Dongola wird die nubische Wüste abwechslungs- und erlebnisreicher. Das Gebiet ist wie schon seit Jahrtausenden reich an Goldvorkommen. Überall wird nach dem Edelmetall geschürft. Die Landschaft sieht teilweise völlig durchgebürstet aus. Menschen mit Gold-Detektoren irren in der einsamen Landschaft unter der brütenden Hitze herum. Wir können der Versuchung nicht widerstehen, unsere Nase in einer solchen staubigen Gold-Siedlung zu stecken. Es gibt hier viele Cafeterias, kleine Shops, pakistanische Parfumverkäufer, fliegende Teeverkäufer äthiopischer Herkunft. Steine werde zu Pulver zermalmt, Gold von Hand gewaschen.

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Unerwartet ist eines Morgens auch das Treffen mit einer riesigen Kamelherde von schätzungsweise 300 Tieren, die an den Nil geführt werden, um gefüttert zu werden. In 40 Tagen werden sie von der Sahara hierhin geführt. Viele überleben den langen Marsch nicht und verenden kurz vor der Futterstelle. Entlang der Strasse finden sich zahlreiche Kadaver, ein richtiger Friedhof.

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Sehenswert ist auch eine Moschee aus dem Jahre 1779, von Sheikh Idris erbaut. Boras, ein Nubier, der seit 15 Jahren in den Niederlanden lebt, vorher General war und aufgrund seiner politischen Anschauung für zwei Jahre ins Gefängnis gesteckt wurde, erzählt uns bei einer Runde Tee viel über die nubische Kultur. Er setzt sich für die nubische Zivilisation ein, die durch die weiteren geplanten Staudämme weiter gefährdet ist. Ganze Städte, Dörfer und historisch bedeutende Relikte der nubischen Kultur sollen unter Wasser gesetzt werden. Wie vor 40 Jahren beim Bau des Nasser Staudammes, als zahlreiche Kulturgüter unter Wasser verschwanden und der Tempel Abu Simbel in einer aufwendigen Aktion verlegt werden musste.

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Wir stecken dann über eine Woche in Wadi Halfa am südlichen Ende des Nasser Stausees fest und müssen auf die nächste Fähre warten, die nur wöchentlich verkehrt. Trotz einem Tag lang Anstehen unter der prallen Sonne und viel Diskutieren erhalten wir kein Ticket mehr. Das historische Wadi Halfa und 30 weitere nubische Dörfer im Herzen Nubiens wurden anfangs der 60-er Jahre im Zuge des Staudamm-Projektes überflutet. Endlich geht es dann los mit der völlig überfüllten Fähre. Ich schlaufe auf dem Deck, dichtgedrängt mit vielen anderen Passagieren. Die Fahrt bis nach Assuan in Ägypten dauert 20 Stunden. Und schon nach 2 Tagen hier in Ägypten sehnt man sich zurück an die sudanesische Gastfreundschaft und die Nächte unter dem nubischen Sternenhimmel !

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