I survived Todonyang !

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Um von Nairobi nach Addis Ababa zu radeln, ist mehr als ein Monat nötig, insbesondere wenn man eine attraktive Route im Great Rift Valley und vorbei am Lake Turkana wählt. Ich beklage mich aber nicht, denn bis vor wenigen Monaten wurde in Nairobi überhaupt kein Visum für Äthiopien ausgestellt. Neuerdings gibt es für Overlander ein 30-tägiges Visum. Einziger Haken: es ist sofort gültig. Am 7. Februar erhalte ich also 30 Tage bis zum 6. März, werde also schon mal um drei Tage betrogen. Aber in Äthiopien ist halt alles anders, das werde ich noch zu spüren bekommen. Eine eigene Schrift (das Amharische), die Uhren gehen um 6 Stunden voraus, während das Datum um  Jahre zurückgeblieben ist.  Es ist Donnerstag, am nächsten Tag hätte es mit dem Sudan-Visum geklappt. Aber das Empfehlungsschreiben der schweizerischen Botschaft fehlt. Also bleibe ich das Wochenende in Nairobi. Nochmals zwei Tage, die mir abgeknöpft werden.  Zum Glück habe ich mit Tristen und Gee ein hilfreiches und gastfreundliches Paar getroffen, die mir auch auf den weiteren Weg bis zur Grenze viele Kontakte und Freunde vermitteln.

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Als ich das Sudan-Visum mein eigen nenne, kann ich endlich losfahren. Ich entscheide mich für die Variante Great Rift Valley, Lake Turkana und Lower Omo Valley. Ich werde nicht enttäuscht. Eine Vielzahl an faszinierenden Völkern und Stämmen auf kleinem Raum. Der Ostafrikanische Grabenbruch, der von Mosambik bis nach Äthiopien reicht,  sorgt dafür, dass Afrika in der Zukunft zweigeteilt sein wird. Viele Seen, fruchtbares vulkanisches Land, Vulkankegel und heisse Quellen zeugen von der Tätigkeit der Mutter Erde. Ich staune nicht schlecht, als ich einen Aussichtspunkt erreiche und erfahre, dass ich bereits auf 2‘666 Meter bin. Das Klima ist hier angenehm und auf einer Abfahrt bekomme ich sogar Gänsehaut. Die Nächte sind angenehm kühl.

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Passend zum Valentinstag fahre ich dem Lake Naivasha entlang, wo die grösste Blumenindustrie von Ostafrika liegt. Ich besuche den Hell’s Gate National Park, einen der seltenen Tierparks, in den man mit dem Rad rein darf. Elefanten sucht man allerdings vergeblich hier. In der Nähe wird ein geothermales Kraftwerk gebaut, der Baumaschinen-Verkehr führt durch den Park und sorgt dafür, dass es draussen mindestens so spannend ist. Giraffen und Zebras bis zum Abwinken. Immerhin, im Park sorgt die Begegnung mit einem Büffel (zum Glück in sicherer Entfernung von rund 100 Metern) für etwas Nervenkitzel. Und an einem Campingplatz am See kommen die Hippos nachts bis auf wenige Meter an das Zelt, allerdings geschützt durch einen elektrischen Zaun.

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In Nakuru sehe ich zum ersten Mal die Velo-Taxifahrer: Boda-Boda. Für rund 20 Shilling (ca. 20 Rappen) kann man auf den buntbemalten Rädern Platz nehmen und sich durch die Stadt chauffieren lassen. Diese Boda-Boda finden sich auch später in Eldoret, Geburtsort vieler kenianischer erfolgreicher Läufer. Ich muss nun auch rennen, die Zeit bzw. das Visum läuft mir davon. Ich will nicht mit abgelaufenem Visum bei der Immigrationsbehörde in Addis eintrudeln. Zudem ist das Gebiet nördlich von Kitale von den West-Pakot besiedelt. Die hitzköpfigen Hirten laufen hier bewaffnet mit AK-47 umher, verunsichern die Strecke, weshalb man auf dem Teilstück nicht radeln darf. In Kitale nehme ich daher einen Bus nach Lodwar.

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Gesagt, noch lange nicht getan. Busfahren in Afrika ist ein Erlebnis für sich. Früh um 7.30 kaufe ich ein Billett bei Eldoret Express. Abfahrt um 10 Uhr (auf afrikanisch heisst das bestenfalls 11 bis 12 Uhr). Nun, ich reserviere im Bus meinen Platz, laufe umher, quatsche mit Leuten, trinke Tee. Erst nach Stunden erfährt man tröpfchenweise, dass der Bus gar nicht fahrtüchtig sei, ein zweiter aber natürlich vorhanden sei, der aber dummerweise noch in der Werkstatt liege. Aber der komme in einer halben Stunde, wird mir immer wieder versichert. Diese halbe Stunde dauert mehr als einen halben Tag lang: l’heure élastique, wie ich in Westafrika gelernt habe. Winke, Winke, um 11 Uhr fährt der Bus der Konkurrenzgesellschaft Dayah Express schadenfreudig davon, Pech gehabt. Der zweite Bus von Dayah wird dann schon mal fleissig mit Gepäckstücken geladen und füllt sich. Das Gepäck meiner Reisegesellschaft liegt immer noch am Boden, kein Bus in Sicht. Die anderen Passagiere werden jetzt, nach über 4 Stunden, auch etwas ungeduldig, fangen an zu reklamieren. Kurz vor drei Uhr, ziehe ich die Handbremse und ergattere mir den letzten Platz im Nachbarbus. Trotz Protesten erhalte ich die 1‘000 Schilling nicht zurück erstattet. Was soll’s,  ich erspare mir aber eine weitere Nacht in Kitale. Um drei Uhr geht es los. Die Strecke ist auf der Michelin-Karte immer noch als Teerstrasse verzeichnet. Das war vor vielen Jahrzehnten. Der Asphalt ist aber schon seit langem einem ganz üblen Waschbrett gewichen. So übel, dass wir für die 300 Kilometer über zehn Stunden brauchen.

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Lodwar ist die grösste Stadt in Nordwestkenia und liegt 120 Kilometer südlich von Kakuma, einem riesigen Flüchtlingslager mit über 100‘000 Menschen, vorwiegend Südsudanesen. Lodwar hat dagegen nur 20‘000 Einwohner. Es ist hier sehr heiss, nachts sinkt das Thermometer, wenn man Glück hat, auf unter 30 Grad. Trockene und staubige Luft machen den Bronchien zu schaffen. Ob deswegen so viele Leute hier Khat kauen ? Jedenfalls scheint das Kraut mit euphorisierender Wirkung beliebt zu sein.

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Im Gebiet des Turkana-Sees finden sich katholische Missionen der Missionary Community of Saint Paul the Apostle. Der Gründer dieser Mission, ein Spanier, ist vor wenigen Tagen verstorben. In Nairokotome am Turkana See findet sich der Hauptsitz dieser Mission. Hier findet eine grosse Abdankungsfeier statt. Der Zufall will es, dass ich mich  just am Vortag in Lodwar befinde, mit dem Priester der Diözese von Lodwar bekannt gemacht werde, dieser mich bei sich aufnimmt und am nächsten Tag mit nach Nairokotome mitnimmt. Des einen Freud, des anderen Leid. Und mir so überdies die ersten 50 Km entlang des Turkana-Sees, die besonders sandig sind, ersparen kann.

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In Nairokotome, auch “little spain” genannt, hat die Mission eine grosse Kirche errichtet, in der sich nun über 500 Turkana einfinden, um während der vierstündigen Zeremonie dem Gründer Paco zu huldigen. In diesem abgelegenen Ecken von Kenia soviele Leute, insbesondere Einheimische zu sehen, ist ein spezieller Moment. Nach der Messe gibt es ein grosses Essen. 1 Kuh und 12 Ziegen sind geschlachtet worden. Später dann fahre ich mit einer Gruppe spanischer Landsleute an den See, um dort zu baden.

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Nach Nairokotome ist die Piste immer noch recht sandig, aber abgesehen von einigen Schiebepassagen in der prallen Sonne bei Temperaturen um die 40 Grad, gerade noch einigermassen erträglich. Kleine Siedlungen von Turkanas am Wegesrand, wenig Vegetation, steppenhafte Landschaften, Dornbüsche, Kamele zeichnen das Bild.

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In Todonyang kann ich dann wiederum bei der Mission bei Father Steven übernachten, den ich in Nairokotome kennenlerne. Viele Angestellte der Mission tragen T-Shirts mit der Aufschrift „I survived Todonyang“. Das Gebiet um den Turkana See und das Omo-Delta im Norden ist Heimat vieler verschiedener, traditionell lebender Stämme, die oft verfeindet sind. Hintergrund der Fehden sind Weidegründe, Wasser, Viehdiebstahl, der Überlebenskampf in einem harschen Umfeld. Besonders während Dürreperioden sind die Turkana gezwungen, Richtung Norden in das Omo-Flussdelta auf äthiopischer Seite vorzudringen, wo die Volksgruppe der Dassanech lebt.

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Vor zwei Jahren sind die Streitigkeiten in ein Massaker ausgeartet. An einem Tag sind 5 Dassanech und 26 Turkana umgebracht worden. Die über 1‘000 Menschen haben Todonyang Richtung Süden verlassen. Nur die Mission steht heute noch. Hier zwei interessante Artikel zu diesem Vorfall: newway, Spiegel.

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Viele Männer laufen mit Kalaschnikows herum. Schuld sind teilweise auch die Regierungen, die in diesen völlig abgelegenen Orten zu wenig Schutz bieten und sogar die Bevölkerung mit Waffen ausrüsten. Als ich auf der Piste im No Man’s Land im Dreiländereck Sudan-Kenia-Äthiopien mein Velo schiebe, kommen drei bewaffnete Männer auf mich zu, betteln mich an, verschwinden dann aber bald. Bedrohend ist die Situation nicht.

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Bevor ich den Polizeiposten in Äthiopien erreiche, darf ich noch zwei Platten flicken. Schon bald fahre ich dem Fluss Omo entlang, bis ich dann Omorate erreiche. Die Brücke über den Fluss ist vor Jahren eingestürzt. Die 5-minütige Fahrt mit einem einfachen Boot kostet in der Regel rund 20 äthiopische Birr. In der Regel heisst wenn man kein ferenji, kein Ausländer ist. Doch man verlangt von mir 300 Birr. Willkommen in Äthiopien ! Nach zähem Verhandeln bringe ich den Preis auf 100 Birr runter. Wie in keinem anderen Land habe ich derart gemischte Gefühle wie bei der Einreise nach Äthiopien. Die Lektüre von Reiseberichten von anderen Radfahrern ist eher abschreckend: steinewerfende Kinder, hartnäckiges Betteln, Abzocke, Unfreundlichkeit, Diebstähle.

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Zum Glück wird aber nicht so heiss gegessen wie gekocht wird. Im Omo-Tal bin  ich nicht mit Steinen beworfen worden, allerdings musste ich bereits in Arba Minch in einen Bus umsteigen. Mein „Radnachbar“ Sekiji hat da andere Erfahrungen gemacht: Kamera und Handy gestohlen. Aber was die Preise angeht, nervt die andauernde Diskriminierung der „ferenjis“ schon etwas.

Im Lower Omo Valley gibt es auf kleinem Raum eine Vielzahl an Völkern: die Banna, Hamer, Tsemay und die bekanntesten wohl die Mursi mit den Lippentellern. Diese Völker leben sehr traditionell, haben animistische Religionen und sind nicht selten untereinander verkracht. Oftmals betreiben sie reine Viehzucht. Auf den Strassen sind ganze Viehherden unterwegs, viele Esel beladen mit Wassercontainern behindern den Verkehr zusätzlich. Ich habe Glück und kann den Wochenmarkt von Key Afer besuchen, der vorwiegend von Tsemay und Banna besucht wird. Spannend ist am späten Nachmittag in einer Bude ein Glas Honigwein zu trinken.

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Ich bin jetzt in Addis Ababa, geniesse einige Tage im Quartier Piazza. Ich werde Richtung Bahir Dar und Sudan radeln. In der Nähe von Bahir Dar werde ich ein Hängebrücken-Projekt von Helvetas besuchen. Es wäre schön, wenn ich nicht mit leeren Händen dort ankommen müsste, weshalb ich mich auf die eine oder andere Spende freuen würde. Bis bald, Maurizio

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