Himmlisches Lesotho
Lesotho, ausgesprochen Lee-suu-thuu: ein Land, auf das ich mich während meiner ganzen Reise besonders gefreut habe. The Kingdom of the Sky, die Schweiz Afrikas, ist ein Kleinod im südlichen Afrika. Eine Enklave, völlig umgeben von Südafrika. Dreiviertel so gross wie die Schweiz. Weltweit das einzige Land, das komplett auf über 1‘000 Meter über Meer liegt. 80 % der Fläche sogar auf über 1‘800 M.ü.M. Ein Land, das mich von Beginn weg in seinen Bann zieht. In das ich mich verliebe. Trotz der gnadenlosen, brutalen Steigungen und Gegensteigungen, Rampen, Hügel, Kletter- und Schiebepartien. In keinem anderen Land schiebe ich das Rad soviel wie hier in Lesotho. Die Durchschnittsgeschwindigkeiten bewegen sich zwischen 7 und 11 km/h. Oftmals ist nach 50 Kilometer bereits Feierabend. Radfahrerisch sind die Verhältnisse hart bis extrem. Aber was für Landschaften und freundliche Leute ! Das Gruessen scheinen die Basotho erfunden zu haben. Es ist noch nicht aller Tage Abend, doch soviel weiss ich jetzt schon: Lesotho ist ein heisser Favorit für mein Lieblingsland in Afrika.
Doch erstmals zurück nach Port Elizabeth, wo ich mich vom sympathischen Schweizer-Paar John und Anne verabschiede und in drei Tagen der Küste entlang nach East London fahre. Eine gemütliche flache Etappe, müsste man meinen. Trugschluss. Hügel nach Hügel. Etwas, das ich in Südafrika vermisse, sind flache Etappen zwischendurch. Immerhin kann ich auf Anraten eines Einheimischen in einem Gemeinde-Naturreservat wild zelten. Das letzte Flusspferd sei vor 8 Monaten gesichtet worden, von daher könne ich beruhigt am Fluss beim Picknick-Platz mein Zelt aufschlagen. Bei der Hinfahrt sehe ich drei Giraffen, Warzenschweine, eine Herde Zebras, Antilopen. Und spüre danach eine ganze Armada von Mücken. In East London besuche ich den Bruder einer in der Schweiz lebenden, indischstämmigen Südafrikanerin, Lynette, deren Hochzeit ich vor meiner Abreise fotografieren durfte. Ich mache mit Brad an einer Tankstelle ab. Das Velo packen wir in den VW Golf, holen seine Freundin Sid ab und fahren nach Hause. Brad und Sid sind hilfsbereit und verwöhnen mich drei Abende lang mit ihren Kochkünsten. Brad hat ein paar Monate lang in Basel gelebt und mag sich noch sehr genau an Ortschaften und Lokalitäten erinnern. Thanks a lot Brad and Sid, you are wonderful !
Mit dem Bus fahre ich bis nach Kokstad durch das ehemalige Homeland der Transkei. Die wirtschaftlich am schwächsten entwickelte Region in Südafrika. Keine Bäume, erodiertes Land, einfache Hütten. Trotz sonnigem Wetter strahlt die Gegend Trostlosigkeit aus. Die Apartheid ist abgeschafft, trotzdem werden solche Gegenden es schwer haben, sich wirtschaftlich zu entwickeln. In Matatielé, entdecke ich die Touristeninformation ganz zufällig. Es fehlt ihr offensichtlich an finanziellen Mitteln aber auch an Reisenden und Informationssuchenden. Die Auskunft ist dafür nach meinem Geschmack. Der Angestellte setzt mich mit Dorfchef von Mafubé in Verbindung. Er befindet sich zufälligerweise in der Stadt. Ich darf auf seinem von fünf Hunden gut überwachtem Grundstück zelten. Einer dieser Köter scheint an Gedächtnisschwund zu leiden, bellt bis tief in die Nacht mein Zelt an und markiert sein Revier ordentlich. Zu meiner Freude zieht der Dorfchef für das Abschiedsfoto seine traditionelle Kleidung mit Leopardenfell an.
Nach einem Pass betrete ich in Qachas Nek auf knapp 2‘000 M.ü.M. Lesotho. Und es geht gleich los: rassige Abfahrten und steile Rampen wechseln sich ab. Flache Abschnitte gibt es nicht. Dafür einen kräftigen Gegenwind. Die Beine haben Mühe, hier irgendeinem Rhythmus, einer Regelmässigkeit zu folgen. Die Landschaft ist in gelben und ockerfarbenen Tönen gehalten, erinnert mich an Tadjikistan. Früher als erwartet streiche ich die Segel, suche im Dorf White Hill den Dorfchef auf. Wir diskutieren lange. Ofihlile Sekake weist mich darauf hin, dass Strom erst vor zwei Jahren eingeführt wurde, die Strassen vor zehn Jahren noch ungeteert waren. Kleine, wichtige Fortschritte.
Die Basotho, die Einwohner Lesothos, sind ein einheitliches, stolzes Berg- und Reitervolk. Sie sprechen Sesotho. Der grosse König Moshoeshoe hat es im 19. Jahrhundert verstanden, Stämme und Sippen im Kampf gegen eindringende Zulus und Buren zu vereinen. Im ehemals englischen Protektorat sind, anders als in Südafrika, keine Nachwehen der Apartheid-Politik zu spüren. Eine afrikanische Eigenheit ist den Basotho ebenfalls eigen: die Lautsprecher sind stets auf Maximalstufe eingestellt. Man hoere und staune, aus Bars, Minibussen und Geschaeftslokalen ist oft House-Music zu hören, sodass manchmal schon fast ein bisschen Street Parade-Stimmung herrscht.
In Mohales Hoek komme ich im FTC – Farmer Training Centre, unter. Es gibt hier billige Unterkünfte, zweckmässige Zimmer, Eimerdusche. Nebenan lebt in einem Rondavel, einer Rundhütte, umgeben von Bergen, ein paar Schafen und einem Froschteich, die Peace Corps Volunteer Shawna. Nach Guineé-Conakry gerate ich hier in Lesotho wieder in die Peace Corps-Mühle, werde von einem Peace Corps zum anderen weitergereicht. Am folgenden Tag ist Independence Day in Lesotho. Ich verbringe den Tag mit Shawna und Jacqueline in einem Waisenhaus der amerikanischen „Trust for Africa“ Foundation, erhalte einen Crash-Kurs in Sesotho.
Ein Abstecher führt mich über den Gates of Paradise Pass auf 2‘001 Metern nach Malealea. Das Dorf bildet eine Einheit mit der einzigen Lodge, die auf Nachhaltigkeit, sanftem Tourismus und Pony-Trekkings setzt. Von Lonely Planet sogar zu den Top 10 World Wide Value Destinations auserkoren. Im Zeltplatz treffe ich auf eine Schar von angehenden südafrikanischen Fotografen, mit denen ich – dem Maluti Mountain Beer sei dank – einen nachhaltigen und feuchtfröhlichen Abend verbringe.
Lesotho ist nicht mit Rohstoffen gesegnet, eines der ärmeren Länder auf dieser Welt. Allerdings ist die Alphabetenrate mit rund 85 % sehr hoch. Diamanten, Schafswolle (Mohair), Arbeitskraft und Wasser sind die grössten Exportprodukte. Da viele Minen in Südafrika geschlossen haben, ist die Arbeitslosigkeit in der Vergangenheit gestiegen. Erfreulicherweise hat aber Lesotho in den letzten Jahren ein grossangelegtes Dammprojekt – das Lesotho Highlands Water Project – in Angriff genommen, um den Wasserbedarf Südafrikas zu stillen. Der Katse und Mohale Dam sind bereits gebaut, haben für einen Aufschwung gesorgt. Die Infrastruktur, namentlich die Strasse, die von der Hauptstadt Maseru Richtung Osten führt, ist im Zuge dieses Projektes grösstenteils asphaltiert worden. Die Transportzeiten haben sich drastisch verkürzt.
Kurz vor Maseru biege ich nach Westen ab. In der Nähe von Nazareth komme ich beim Peace Corps Volunteer Heather unter. Zum Glück rechtzeitig, denn sobald ich in der Rundhütte im Trockenen bin, fegt ein Hagelsturm über die Landschaft. Die Sommerstürme, begleitet von Blitzen und Donnern, sind berüchtigt, töten viele Schafhirten. Selbst in kleinen, abgelegenen Dörfern finden sich Shops, die von Chinesen betrieben werden. Aber auch Pakistani sind geschäftstüchtig und laufen den Einheimischen den Rang ab. In Nazareth grüsse ich einen auf Arabisch. Er rede nur „small, small English“. Als ich die zwei Packungen Biskuits und zwei Orangen bezahlen möchte, wehrt er ab, meint das sei ein „gift“, will partout kein Geld von mir annehmen.
Nach Nazareth fängt der Alpenchallenge so richtig an: auf den nächsten 140 Kilometern gilt es zahlreiche Pässe zu erklimmen: den Bushmens Pass (2‘268 M), danach den God-Help-Me-Pass (2‘318 M), gefolgt vom Blue Mountain Pass (2‘634 M) und dem Likalaneng-Pass (2‘620 M). Jeweils um die 500 bis 800 Höhenmeter.
In Marakabei stelle ich dann nach 73 Kilometern und wohl über 2‘000 Höhenmetern mein Zelt vor der Polizeistation auf. Dort bin ich vor Dieben sicher, wiege mich in Sicherheit. Weit gefehlt ! Als ich am Morgen Kaffee kochen möchte, merke ich, dass mein Viktualien-Sack (bestehend unter anderem aus einem guten Stück Biltong) fehlt. Ein Hund muss es sich aus der Apsis geschnappt haben. Nach dieser Lektion nehme ich den Cheche’s Pass auf 2‘545 M in Angriff. In Mantsonyane kehre ich bei einem Camper ein. Das Essen (Beefragout, Cabbage und Papa) schmeckt hervorragend.
Das Hauptgericht in Lesotho ist Papa – Maisporridge. Mais wird überall in kleinen Mühlen gemahlen. Der Maiskolben ist derart bedeutend, dass er auf vielen der Decken prangt, welche die Basotho gerne tragen. Diese blankets sind allgegenwärtig. 1860 wurde der König Moshoeshoe I mit einer solchen Decke durch englische Händler beschenkt. Seitdem haben sie die Decken wie ein Lauffeuer ausgebreitet, denn sie sind praktisch, schützen vor Regen, Wind und Kälte. Traditionell ist auch der konisch geformte Basotho-Hut, der mokorotlo, der aber leider nicht mehr so häufig angetroffen wird. Seine Form hat er angeblich einem Hügel namens Qiloane Hill entliehen.
Noch ein Pass, der Mokhoabong Pass auf 2‘880 M, dann ist Thaba Tseka erreicht. Von dort schaffe ich es nicht in einem Tag bis nach Linakaneng, etwa 65 Kilometer weit entfernt. Zu viele Hügel und Steigungen. Aber schlimmer: als die mühsam erklommenen Höhenmeter zum etlichen Male wieder auf einer Abfahrt dahinschmelzen, verdunkelt sich der Himmel schlagartig. Ohrenbetäubende Donner kündigen Unheil an. Blitze schlagen in unmittelbarer Nähe nieder. Auf einer Anhöhe trotzt ein Trupp von mutigen Burschen, eingekleidet in Fellen, dem herannahenden Sturm. Ich vermute, dass diese Jungs ihren Initiationskurs zum Mann-Werden absolvieren. Die Szenerie wirkt unheimlich, wie aus einem Film. Der Hagelsturm holt mich ein. Ich habe nicht einmal Zeit, die Regenjacke aus meiner Packtasche hervorzukramen. Der Wind fegt mich auf die Seite. Kein Baum, keine Böschung. Ich kann nur noch neben dem Velo niederkauern, die Hände über dem Kopf verschränkt und lasse Hagel und Regen über mich ergehen. Nach einigen Minuten legt sich der Wind etwas. Durchgenässt, mit mulmigem Gefühl fahre ich runter zum Fluss. Unzählige Schafhirten werden in Lesotho jährlich vom Blitz getroffen, mag ich mich erinnern, irgendwo gelesen zu haben. Nicht sehr beruhigend. Bei der Brücke ruft mich ein Hirte, der unter einem Felsvorsprung Zuflucht gesucht hat, herbei. Ich klettere die erdige Böschung rauf und kann endlich ausatmen.
In Linakeng kann ich zum Glück, völlig durchnässt, beim Personalhaus einer kleinen Klinik übernachten und meine Kleider einigermassen trocknen. Auf den Menoaneng Pass auf 3‘045 M. schiebe ich praktisch durchgehend das Velo, werde aber auf der Höhe mit eindrücklichen Lichtspielen auf den Bergketten belohnt. Nach einer kurzen Abfahrt komme ich auf ein Strassenarbeiter-Camp mit einfachen Wellblechhütten. Jakob, der Aufseher, reinigt eine, die er als Hühnerstall verwendet. Für mich ein Geschenk, in dieser kalten und windigen Nacht nicht im Zelt schlafen zu müssen. Die nächste Nacht verbringe ich am Fusse des Kotisephola Passes (3‘240 M). Im Windschutz einer grossen Wellblechhütte, in der Schafe geschert werden. Auf wunderbar weichem Schafsdung. Erst beim Zubettgehen fällt mir der beissende Geruch des Naturprodukts auf.
Es geht nun runter zum berühmten Sani-Pass auf 2‘873 M. Die Prominenz verdankt der Pass nicht seiner Höhe, sondern den sehr steilen Serpentinen und dem äusserst schlechten Strassenzustand wegen. Ich verbringe einer Nacht bei Regen, Wind und Kälte im Zelt. Am nächsten Tag laufe ich dann mit einer Gruppe von Wanderern im Regen den Pass runter. Am Grenzübergang dann scheint die Sonne wieder.
Die Fahrt bis nach Durban bzw. Pinetown ist dann wieder alles andere als flach. Ich fahre entlang von Wäldern, zumeist Eukalyptus Plantagen. Der Höhepunkt dieser Fahrt ist folgende Szene: ich sehe, wie eine Frau aus einem Tannenwald mit einer Kiste auf dem Kopf rausläuft. Eine Kiste voller riesiger Steinpilze. Ich bin aus dem Häuschen. Eine zweite, dritte und vierte Frau gesellt sich hinzu. Mir läuft das Wasser im Mund zusammen. „Let’s do business!“, meine ich. 15 Rand wolle sie für eine Kiste. Ein lächerlicher Betrag von umgerechnet knapp 2 Schweizerfränkli. Ok, ich nehme mir zehn Stück für 10 Rand. Nach der Transaktion meint die Dame, ich solle nun verschwinden. Erst als ein Lieferwagen mit der Aufschrift „Bolé“ (bolet heisst auf französisch Steinpilz) anhält und die Frauen die Ware abliefern, begreife ich. In Dannybrook kann ich dann umsonst in einer leerstehenden Rundhütte schlafen. In Pinetown dann werde ich von Les Bowden, Inhaber eines Schreinerei, die massgefertigte Küchen herstellt, herzlich empfangen. Ich habe ihn in Namibia kennengelernt, als er mit Kollegen mit dem Töff unterwegs war. Thanks for your great hospitality, Les !
In einigen Tagen werde ich bereits in Mosambik sein. Es kann noch fuer das Alphabetisierungszentrum gespendet werden. Jede Spende zaehlt und es wird mich freuen, das gesammelte Geld persoenlich im Norden von Mosambik ueberreichen zu koennen. Vielen Dank fuer die Unterstutzung !
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