Besetztes Land

Ich befinde mich auf dem legendaeren Friendship Highway, der von Lhasa nach Katmandu fuehrt. Was fuer ein Unterschied zur bisherigen Fahrt durch Westtibet: eine breite flache Piste, die ab Tingri durchgehend bis nach Lhasa asphaltiert ist. Strom und Handyempfang auf der ganzen Strecke, zahlreiche Ortschaften und Gasthaeuser, der Verkehr wird vor Lhasa ungewoehnlich dicht. Alles wirkt etwas sauberer und aufgeraeumter. Der Highway ist einiges touristischer als die suedliche Kailash-Route. Und ploetzlich strecken Kinder und Tibeter ihre Haende aus, um zu betteln. Anstatt des “Tashi deleh!” hoere ich oefters “Hello, money!”. Biker mit bunten Trikots auf organisierten Touren lassen sich fuer eine Stange Geld ihr Gepaeck von einem Begleitjeep transportieren.

Nachdem ich am Morgen noch den Shishapangma (8’012 m) auf meiner Rechten hatte, kann ich am spaeten Nachmittag zum ersten Mal den hoechsten Berg der Erde, den Mount Everest (8’848 m) bestaunen. Unverkennbar und maechtig ragt die “North Face” im roetlichen Abendlicht. Der Abstecher zum Mount Everest Base Camp erfordert eine Woche mit dem Rad. Das ist mir zu lange. Dank der zahlreichen Jeeptouristen finde ich rasch eine Mitfahrgelegenheit bis zum Rongbuk Gompa, dem hoechstgelegenen Kloster der Erde. Die Spitze des Everest verhuellt sich leider in Wolken. Erst bei Einbruch der Dunkelheit verziehen sich diese, sodass ich den Bergriesen im Mondlicht bewundern kann.

Am Fusse des Mount Everest

Viele Geschichten ranken sich um den hoechsten Berg der Erde, von den Tibetern Chomolungma genannt. Am 29. Mai 1953 erklimmen der Neuseelaender Sir Edmund Hillary und Sherpa Tenzing Norgay als erste Menschen den Gipfel. Die folgenden vier Bergsteiger, die den Gipfel erreichten, waren uebrigens Schweizer (wie auch die Erstbesteiger des nahegelegenen Lhotse, dem vierthoechsten Berg der Erde). Die meisten besteigen den Everest mit Sauerstoffmasken. Ohne derartige Hilfsmittel gelang es 1978 erstmals dem Suedtiroler Reinhold Messner und dem Oesterreicher Peter Habeler. Zwei Jahre spaeter bestieg Messner im Alleingang, ohne Sauerstoffmaske und waehrend der Monsunzeit den Berg, eine der groessten Leistungen in der Geschichte des Bergsteigens.

Der Everest ist zum Spielfeld der Eitelkeiten geworden. Jeder versucht einen neuen Rekord zu schlagen: der juengste Evererst-Summiter, der aelteste, der schnellste, die erste Abfahrt vom Gipfel mit dem Snowboard, die erste Frau, die meisten Besteigungen … Die Tatsache, dass jedes Jahr einige Bergsteiger am Berg verunfallen oder aus Erschoepfung zu Tode erfrieren, scheint die Faszination noch zu steigern. Am Base Camp, dem teuersten Zeltplatz der Erde (50’000 Dollar muessen fuer jede Expedition bestehend aus zehn Bergsteigern hingeblaettert werden …) gedenken viele Steintafeln der Verunfallten.

Kulturschutz auf chinesisch

Auf feinem Asphalt rolle ich weiter nach Lhatse. Ich besuche mehrere kleinere Kloester am Wegesrand, die in den letzten Jahren wieder aufgebaut worden sind. Nach dem gewaltsamen Einmarsch der Chinesen in den 50-er Jahren und der folgenden “Kulturrevolution” sind in Tibet 99 Prozent aller Kloester und Tempel systematisch vollstaendig zerstoert worden. Religioese Vertreter wurden hingerichtet, in Umerziehungslagern eingesperrt und gefoltert. Schaetzungen zufolgen kamen nach der gewaltsamen Besetzung Tibets rund eine Million Menschen ums Leben. In der offiziellen chinesischen Sprachregelung heisst es schamlos von “cultural protection in Tibet” und “peaceful liberation”. Von einer Selbstbestimmung ist in der “Tibet Autonomous Region” kein Hauch zu verspueren. Grundlegende Menschenrechte werden in Tibet nach wie vor missachtet und die letzten Demonstrationen sind stets blutig niedergeschlagen worden. Wen interessierts? Man will schliesslich Peking nicht mit Grundsatzerklaerungen ueber Demokratie in Verlegenheit bringen und auf lukrative Geschaefte verzichten.

Einblicke in tibetisches Klosterleben

Ich treffe in Shigatse ein, der zweitgroessten Stadt Tibets. Waehrend die gigantische Festung in Shigatse, der 1363 erbaute Dzong, bis auf die Grundmauern zerstoert worden ist und nun – wohl mit Hilfe von Disneyworld – in Rekordzeit und unter Missachtung der urspruenglichen Bauweise fuer den im Olympiajahr 2008 zu erwartenden Touristenstrom wieder aufgebaut wird, hat die Klosteranlage in Tashilunpo die Kulturrevolution halbwegs ueberlebt. Tashilunpo ist der Sitz des ehemaligen Panchen Lama, nach dem Dalai Lama die hoechste Autoritaet im tibetischen Buddhismus.

Der derzeitige 11. Panchen Lama ist 1995 – im Alter von 6 Jahren – nur drei Tage nach der Anerkennung durch den derzeitigen 14. Dalai Lama von den Chinesen aus Tibet entfuehrt worden. Sein Verbleib ist unbekannt und er gilt als juengster politischer Gefangener der Welt. Kein Wunder, dass der von der chinesischen Regierung gewaehlte 11. Panchen Lama von den Tibetern verschmaeht wird und in Tempeln nur Bilder des letzten “richtigen” 10. Panchen Lama zu sehen sind.

Von Shigatse aus mache ich einen kleinen Umweg suedoestlich nach Gyantse, dessen als uneinnehmbare Festung 1904 vom Briten Younghusband gestuermt worden ist. Weiter geht es zum heiligen See Yamdrok Tso. Der Weg fuehrt ueber den verschneiten Karo La Pass (5’086 m). Die Strassenarbeiter mit schwarzverschmierten Gesichtern trotzen der Kaelte. Naechstes Jahr wird die Strecke durchgehend asphaltiert sein. Gluecklicherweise klart der bewoelkte Himmel der letzten Tage auf. Der tuerkisblaue See und die schneebeckten Huegel auf der Nordseite sorgen fuer phantastische Lichtstimmungen.

In der verbotenen Stadt

Endlich erreiche ich Lhasa, die Hauptstadt Tibets, bis vor wenigen Jahrzehnten fuer Fremde praktisch unzugaenglich. Trotz Vorwarnungen ist es erschreckend festzustellen, wie wenig tibetisch Lhasa seit der chinesischen Invasion geworden ist. Fast alle tibetischen Quartiere sind durch farblose und kalte Betonbauten ersetzt worden. Noch vor wenigen Jahren ist das historische Quartier vor dem Potala Palast plattgewalzt worden, um dem Potala Square samt chinesischem Monument und der Hauptverkehrsader Platz zu machen. Einzig rund um den heiligsten Tempel Tibets, dem Jokhang, hat sich noch ein Stueck des alten Lhasa erhalten. Hier verbringe ich die meiste Zeit und schaue interessiert den aus aller Ferne hergereisten Pilgern zu, die den Tempel im Uhrzeigersinn umrunden. Viele vollziehen ihre Turnuebungen, indem sie sich den ganzen Tag lang vor dem Haupteingang auf den Boden werfen. Ich besuche die Kloester Sera und Drepung, die der Schulrichtung der Gelupga (“Gelbmuetzen”) angehoeren. In Drepung kann man am Nachmittag den Moenchen und Novizen beim Debattieren zuschauen.

“Happy Juarney”

Fuer etwas Heiterkeit sorgen die Sprachblueten des “Chinglish”, eigenartige Aneinanderreihungen von englischen Worthuelsen wie “Give you memorable feeling how delicious can not forget, special taste” oder “The flavour remains produced meticulous choiceness raw material. Best enjoyment Quality guarantee. Give first choose treasure Agreeable to taste “ (sic), wie sie auf der Verpackung von Biskuits zu lesen sind.

Waehrend meines Aufenthalts in Tibet habe ich keinen Zugang zu den dort lebenden, bzw. arbeitenden Han-Chinesen gefunden. Sie wirken etwas freudlos und zeigen wenig Anpassungsvermoegen. Anders kann ich mir nicht erklaeren, dass selbst bei Minustemperaturen die Tueren ihrer nicht-beheizten kahlen Restaurants sperrangelweit offen sind und das Essen kalt ist, bevor es noch auf den Tisch kommt. Einiges angenehmer sind mir da die tibetischen Gasthaeuser mit gemuetlichen Sitzbaenken und einem Ofen in der Mitte des Raumes, der mit Yakdung angefeuert wird. Eine Chinesin will mir fuer einen Tee (der zum Essen immer gratis serviert wird) 10 Yuan (ca. 1 Euro) abknoepfen. Mir platzt der Kragen ob dieser Frechheit und ich schreie die geldgierige Frau lauthals an. Andererseits muss das Hotelzimmer stets im voraus bezahlt werden, ansonsten man aus dem Tiefschlaf gerissen wird, damit die grimmige Angestellte ihren “Charge Room” eintreiben kann.

Ein duesteres Kapitel in Asien und speziell in China ist die Unsitte der Spuckerei, der unappetitliche Laute vorangehen. Selbst nette Damen verschliessen sich dieser Unart nicht. Ach ja, Deodorants finden in Tibet keine Verwendung; es ist unmoeglich, einen aufzutreiben.

Der laengste Downhill der Erde














Nach einer Woche Aufenthalt in Lhasa nehme ich den Bus zur nepalesischen Grenze und steige bei der Abzweigung zum Shishapangma Base Camp aus, von wo ich hergekommen bin. Ein letzter Doppelpass auf ueber 5’000 Metern ueber Meer steht mir bevor. Trotz klaren Wetters zieht ein starker Gegenwind auf, der mich auf dem letzten Kilometer zum Schieben zwingt. Die Sicht auf die Himalayaberge ist dafuer einzigartig und unbeschreiblich. Und die Aussicht, das mir die laengste Abfahrt der Erde bevorsteht, laesst mich die minus 10 Grad schnell vergessen. Die Abfahrt ist wahnsinnig: in rund 140 Kilometern geht es von knapp 5’200 Metern runter auf 800 Meter. Die Vegetation aendert im Zeitraffer, wird gruener, dichter und abwechslungsreicher.

Der Abschnitt von Nyalam bis zur nepalesischen Grenze ist am steilsten. Nach einem flachen, kurvenreichen Stueck oeffnet sich die Sicht auf die in die Bergflanke gehauene Strasse. Ich komme mir vor wie bei einer Achterbahn vor dem Start. Innert weniger Stunden kriege ich zuerst vereiste Baeche und spaeter dichte Laubwaelder zu sehen. Nach Monaten auf dem tibetischen Hochplateau sehe ich wieder einmal einen richtigen Wald! Die Temperaturen klettern auf 25 Grad. Schicht um Schicht kann ich mich ausziehen. Neuartige Duefte stroemen mir entgegen.

Nach der letzten chinesischen Ortschaft habe ich eine schwindelerregende Sicht auf Kodari, dem Grenzort Nepals, und der Freundschafts-Bruecke. Was fuer ein Wechsel! Buntbekleidete Frauen in Sandalen und einem anmutigen Laecheln. Ein reges chaotisches Treiben herrscht auf der Freundschaftsbruecke. Ich fuehle mich gleich wohl in Nepal. Ich befinde mich bereits im subtropischen Klima Nepals und kann kuerzaermlig Bananen von den Baeumen pfluecken.

In zwei Tagen fahren ich bis zur Hauptstadt Nepals, Katmandu. Die Strasse ist anfaenglich durch Erdrutsche in einem schlechten Zustand, bald fahre ich aber auf Asphalt. Erst nach Stunden merke ich, dass hier Linksverkehr herrscht. Ich lasse all die neuen Eindruecke auf mich wirken. In Katmandu treffe ich auf Stephane, mit dem ich von Kashgar aus zusammen losgezogen bin. Ich quartiere mich im Touristenghetto Thamel ein, das ganz auf die Beduerfnisse der Trekkingtouristen ausgerichtet ist: Trekkingshops, Reiseagenturen, gute Restaurants und Baeckereien, bestens ausgestattete Buecherlaeden und Souvenirhops. Die Sehenswuerdigkeiten heissen hier “La Dolce Vita”, “Fire and Ice” und “Tom und Jerry”. Man kann in Thamel keinen Meter laufen, ohne dass Sprueche wie “Rikshaw, ok?”, “Haschisch, ok?” oder “Tiger Balm, ok?” auf einen niederprasseln. Natuerlich sehe ich mir die hinduistischen Bauten an, allen voran den Monkey Temple und Pashupatinath, die Kremationsstaette der Hinduisten.

Eindruecke aus dem indischen Subkontinent

Die folgenden Links fuehren zu den letzten Bildern aus Tibet, Nepal und Indien:

Bildergalerie “Tibet-Indien”
Bildergalerie “Iran – Zentralasien”
Bildergalerie “Schweiz – Tuerkei”

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