Ein Tag in Sary Tash
Die Ausreise aus Tadjikistan geschieht ganz unbuerokratisch. Nach all den zahlreichen Checkpoints gewoehnt man sich langsam an diese stickigen Kabinen, deren Mobiliar sich gleicht: ein Ofen, ein Bettgestell aus Stahl, ein Schreibtisch mit einem alten Schulheft, einige Stuehle. Meine bisherige Reise sowie meine Herkunft (“Aaah, Italia Schampion”) macht dem Beamten genug Eindruck, um nicht weiter auf die nichtexistierende “customs declaration” zu bestehen. Noch einen steilen Kilometer und ich habe es bis zum Kizil-Art Pass (4’290 M.ue.M) , der die offizielle Grenze zu Kirgistan bildet, geschafft. Der Pass wird seinem Namen gerecht (Zidane hat im WM-Finalspiel die “kizil kart” erhalten …) : die Landschaft ist sienarot gefaerbt, die Baeche und Fluesse sind ebenfalls blutrot getraenkt. Erst nach 20 Kilometer findet sich der kirgisische Grenzposten wieder, wo man sich mit Formalitaeten nicht lange aufhaelt und man mir – mangels Stempels – mein Einreisedatum nicht attestieren will. Meinen Pass will man schon gar nicht sehen. Ja, ja, das Visum wird schon stimmen. “Magic Kirgistan” meint der dickbauchige Beamte, der minutenlang in seinem Playboy herumblaettert, bis er endlich das Foto von Cicciolina gefunden hat.
Magic Kirgistan
Die Landschaft ist tatsaechlich magisch. Hinter mir tuermen sich Schneeberge auf, waehrend ich durch eine von Sommerjurten geschmueckte Grasebene fahre, auf denen Pferdeherden umherziehen. Weniger rosig fuehlt sich mein Koerper an. Bereits den ganzen Tag war es mir leicht uebel, hatte Brechreiz und leichte Magenkraempfe. Vielleicht haette da ein Schluck gegorener Stutenmilch, Kymys, Abhilfe geschafft. Der starke Wind setzt mir noch zusaetzlich zu. Irgendwann muss ich anhalten und mich uebergeben. Die restlichen 15 Kilometer bis nach Sary Tash schaffe ich nicht mehr. Ich schlage im Windschatten des Strassendammes mein Zelt auf und werde von einer Mutter mit ihrem Sohn, die in der Naehe in einer Jurte leben, liebevoll umsorgt.
Am naechsten Morgen vollende ich das Vortageswerk und da es mir nach wie vor nicht allzu besser geht, mache ich an diesem 20. August nach einer Stunde Fahrt in Sary Tash bereits Halt. Im 500 Seelen-Dorf niste ich mich in einer der wenigen Hotels (gastrinizia) ein. Dass hier ueberhaupt solche Unterkuenfte zu finden sind, hat Sary-Tash seiner “strategischen” Lage zu verdanken.
Clara von der gastriniza bringt mir einen Eimer heisses Wasser zum Waschen. Nach einem Teller Nudeln, begleitet von einem Liter Cola, geht es mir etwas besser. Ausgeruestet mit Fotokamera und Schwarzweiss-Film nehme ich einen Augenschein in diesem kirgischen Dorf auf ueber 3’000 Metern ueber Meer. Es ist nach wie vor windig, das Thermometer klettert an diesem Tag kaum mehr als 15 Grad. Die Gegend ist kahl und baumlos. Olivgruen und Ocker dominieren die Landschaft. Es faellt auf, dass hier – im Unterschied zu zahlreichen Ortschaften im Pamirgebirge – Strom fliesst. Das Dorf in den Auslaeufern des Alay-Tals, von dem man den ueber 7’000 Meter hohen Pik-Lenin erreichen kann, sieht von weitem besser aus als von der Naehe. Leicht schmuddlig, ueberall ein bisschen Abfall. Pferde, Kaelber und Schafe grasen am Strassenrand.
Die einzige Strassengabelung im Dorf fuehrt in Abstaenden von jeweils weniger als hundert Kilometern in zwei sehr unterschiedliche Laender: im Sueden Tadjikistan, im Osten China. Bis nach Osh im Norden, wo der Pamir Highway endet, fehlen 185 Kilometer. Die Schotterpiste zum Irkeshtam-Pass, der chinesischen Grenze, scheint einseitig befahren zu werden: vollbepackte Lastwagen importieren chinesische Ware, zumeist Textilien oder Elektrogeraete. Kirgistan hingegen scheint, ausser Altmetall aus aller Welt, nicht viel zu exportieren. Ein chinesischer Lastwagenchauffeur ist gerade daran, einen Platten zu reparieren. Die Dorfjugend hat sich eingefunden, um einen der ueber hundert Kilo schweren Stoffballen zu hieven, der auf die Anhaengerachse gefallen ist.
Ich werde stets von Kindern gefolgt, die fotografiert werden moechten. In einem Kafe esse ich zwei Samsa, schaue zu, wie ein hagerer Mann mit einer waessrigen Loesung vergebens versucht, die fleckige Wand und den staubigen Fenstersims deckend zu bemalen. Ein Kamaz-Lastwagen aus Bishkek macht Halt. Eine ganze Familie steigt aus und isst – sichtlich unzufrieden mit dem Servierten – zu Mittag. Unweigerlich muss ich an die Kluft zwischen Sueden und Norden denken. Der Sueden mit einer starken usbekischen Minderheit ist traditionalistischer ausgerichtet und – vor allem im Fergana Tal – haeufiger von sozialen Spannungen gepraegt, waehrend der Norden wirtschaftlich erfolgreicher ist und einen grossen russischen Bevoelkerungsanteil hat. Nach dem Putsch und den Neuwahlen letztes Jahr haben die Kirgisen den Willen zur Einheit zum Ausdruck gebracht. Der aus dem Sueden stammende Praesident Kurmanbek Bakijev, mit einer Russin verheiratet, spannt mit dem Premierminister Feliks Kulov aus dem Norden zusammen.
Ich setze meinen Rundgang, begleitet von Kinderrufen, fort. Das Heu aus den Sommerweiden wird mit Lastwagen hergebracht und von Hand auf den Daechern gelagert. An diesem Nachmittag scheint am meisten Betrieb an der “Tankstelle” vor meiner gastrinizia zu herrschen. Reisende aus der Gegend um Osh tanken einige Liter Benzin, um es noch bis zu Osh zu schaffen, wo das Benzin, wie alle Waren, guenstiger zu haben sind. Eine Gruppe von Kirgisen aus Karakol, die stolz ihre Kalpaks tragen, lassen sich von mir ablichten. In einem Dorfladen entdecke ich einen jungen Blondschopf aus Lille. Der 23-jaehrige Julien ist im Maerz aus seiner Heimat gestartet. Der Hunger kommt langsam zurueck und so kocht uns Klara eine feine Reissuppe. Um 9 Uhr gehe ich zurueck in mein Zimmer, lese und schreibe im Licht der Gluehlampe einige Zeilen und packe meine Sachen fuer den morgigen Radeltag.
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