Bruecke ueber die Drina

Nach dem unerfreulichen Zwischenfall bei der geldgierigen Dame in Dubrovnik habe ich meine Siebensachen gepackt und bin zum Busbahnhof, wo ich sofort von von Silvana angesprochen worden bin. Das Zimmer war zwar recht erbaermlich, dafuer guenstig. Umso freundlicher waren aber Silvana und ihr pensionierter Vater, der mit einer Rente von umgerechnet Fr. 250.– kaum ueber die Runden kommt. Er ruft mir immer “polako, polako”, langsam, langsam, zu.

Ich breche am Dienstag Richtung Bosnien und Herzegowina auf. Bald komme ich in der ersten Stadt, Trebinje an. Ich lasse bei einem Bankautomaten Geld raus, wechsle meine restlichen Kuna in Konvertible Mark und verlasse sehr bald die Stadt. Ich brauche Zeit, um in Bosnien anzukommen und das Gesehene zunaechst zu verarbeiten. Der Wechsel von Kroatien zu Bosnien ist abrupt. Bosnien ist deutlich aermer, alle Schilder sind auf kyrillisch angeschrieben, ich ziehe ploetzlich alle Blicke auf mich, falle sofort auf, die Hauser und Strassen sind heruntergekommen und verfallen, die Preise am Boden. Die kyrillische Beschriftung ist gewoehnungsbeduerftig (aber eine gute Einstimmung auf die zentralasiatischen Laender): PECTOPAH etwa heisst Restoran.

Fast jeder zweite hupt mir in Bosnien freundlich zu. Eines haben die Bosnier uns voraus: die allermeisten Autos sind voll besetzt. Solofahrten sind die Ausnahme. Hier wird nichts vergeudet.

Verschneites Bosnien

Der Winter hat Bosnien noch fest im Griff. Die Strasse fuehrt durch verschneite Huegellandschaften. Uebrigens befinde ich mich in der Republika Srpska. Nach dem Krieg ist im Dayton-Abkommen von 1995 der Status von Bosnien Herzegowina (BiH) definiert worden. BiH besteht aus zwei Entitaeten – die Foederation von Bosnien Herzegowin (51 % Prozent der Flaeche), welche die Gebiete um Sarajevo und entlang der kroatischen Grenze umfasst, und die Republika Srpska mit der Serben-Hochburg Banja Luka im Norden und dem Osten, wo ich durchradeln werde. Die beiden Staaten leben einigermassen friedlich zusammen, doch die ethnischen Linien sind im Krieg klar gezogen worden. Wo frueher muslimische Bosnier (Bosnjaken), orthodoxe Serben und katholische Kroaten miteinander lebten, haben sich nun Mehrheiten gebildet und viele Vertriebene sind nicht mehr zurueckgekehrt.

In Belica treffe ich auf die ersten EUFOR-Soldaten. Die EUFOR ist die groesste militaerische Aktion der EU und hat im 2004 die von der Nato geleitete KFOR abgeloest. Cedric und Gerard erzaehlen mir einiges ueber ihre Arbeit. Sie leben mit der heimischen Bevoelkerung zusammen und versuchen ihr auf den Zahn zu fuehlen und sich mit ihren Alltagsproblemen und -sorgen vertraut zu machen. Sie versuchen auch wirtschaftliche Bande zu Frankreich zu knuepfen. Klar, und dann es gilt noch die Kriegsverbrecher zu fassen und die Korruption und den Schmuggel zu bekaempfen. Die EUFOR sollte ihre Arbeit Ende Jahr beenden. Es faellt auf, dass viele Serben noch eher franzoesich als englisch sprechen. Dies kommt daher, dass Frankreich in der Vergangenheit und in den Weltkriegen Serbien eher die Stange gehalten hat.













Am naechsten Tag ist es sonnig, es kommt aber starker Gegenwind auf und ich kann mein Rad auf der vereisten Strasse kaum noch halten. Ich verfluche es und moechte es am liebsten wegschmeissen. In diesem Moment hupt die Schneepflugmaschine von hinten. Der Fahrer bietet an, mich mitzunehmen. Ich nehme dankend an. Doch schon bei der naechsten Ortschaft halte ich es nicht mehr aus und lasse mich ausladen. Das schlimmste Stueck habe ich vermeintlich hinter mir und ich glaube, wieder im Zeitplan zu sein, um mein Tagesziel zu erreichen. In Gacko versuchen zwei freundliche Polizisten, mich von meinem Vorhaben abzubringen: “Cememo: No, No, Mount Everest, No!” Das trifft sicht gut, dort will ich doch hin !














Es folgt der Aufstieg zur Ortschaft Cememo auf 1293 M.ue.M. Bei strahlend blauem Himmel komme ich oben an, doch die Temperaturen sind auf minus 6 Grad gesunken. Schnell ziehe ich meine Gore-Tex Jacke und Hose an. Die Abfahrt gestaltet sich zur Schlittelfahrt. Die Strassen werden nicht gesalzen, nur sehr spaerlich mit Kies bestreut. Ich gerate in eine Eisrinne. Das Vorderrad rutscht weg und ich kann meinen ersten Sturz nicht verhindern. Mein Tagesziel ist in weite Ferne gerueckt. Ich schaffe es gerade noch bis zum Anfang des Sutijeska National Park, wo ich mein Zelt an einer windgeschuetzten Stelle bei einem halben Meter Schnee montiere.














Tags darauf halten mich Schulkinder an, die mich unbedingt ihrem Schullehrer zeigen wollen. Ich gehe mit und sehe mir das Schulgebaeude an, das einer Bauruine gleicht. Fast saemtliche Fenster sind eingeschlagen. Nichtsdestotrotz haben die Kinder eine Freude und der Rektor alle Haende voll zu tun, um sie zu beruhigen und sie wieder auf die Schulbank zu bringen. Spaeter stosse ich wieder auf EUFOR-Soldaten, diesmal Italiener. Die jungen Soldaten sind begeistert von meiner Reise und winken mir lange zu. Ich werde ihnen spaeter noch ein paar Mal begegnen.

In Ustikolina faellt mir erstmals eine Moschee auf. Zwei junge Bosnjaken klaeren mich auf auf: es handelt sich um eine Rekonstruktion der alten Moschee von 1448, welche die aelteste in ganz Bosnien war; unweit in der Stadt Foca sind saemtliche 15 Moscheen zerstoert worden. In Ustikolina, Teil der Foederation von Bosnien und Herzegowina, leben vorwiegend Muslime, nur sehr wenige Serben. Wenige sind zurueckgekehrt.

Die Bruecke ueber die Drina

Die Strasse fuehrt durch ein Flusstal mit 39 Tunneln auf einer Strecke von 41 Kilometern. Die Tunnels sind nicht beleuchtet und beim laengsten muss ich in der Mitte in absoluter Dunkelheit anhalten (meine Stirnlampe ist zu schwach) und einige Minuten warten, bis endlich wieder ein Auto vorbeifaehrt. In Visegrad betrete ich die alte Bruecke und durchquere die Drina. Das alte sozialistische Hotel Visegrad mit dem ueblichen Charme der 60-er Jahre erwartet mich bereits. Visegrad ist durch den bosnischen Schriftsteller Schriftsteller Ivo Andric (1892 – 1975, Nobelpreis 1961) bekannt geworden. In seinem Buch “Die Bruecke ueber die Drina” (Link zum Anklicken) beschreibt er das Zusammenleben zwischen Muslimen und Christen.

One Response

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert