Entlang der kroatischen Adria

Endlich wieder ein Moment der Ruhe, um meine Eindrücke niederzuschreiben. Nach dem Aufenthalt bei meiner Tante ging es in einer kurzen Etappe nach Venedig. Bereits in der Peripherie wurde ich von einem entgegenkommenden Velofahrer angehalten, der sich ebenfalls als begeisterter Tourenfahrer erwies. Gianni führte mich durch das ganze Verkehrschaos von Venedig zum Camping-Platz (Hotels in Venedig würden mein Budget überstrapazieren). Am nächsten Tag hatte ich die Schnapsidee, mit meinem Gefährt ein Foto auf der Piazza San Marco zu schiessen. Ein logistisches Problem bei all den unzähligen Brücken in der Altstadt von Venedig. Ich hätte mit der Autofähre zum Lido übersetzen müssen, von dort mit der Motonave dann zurück in die Nähe der Piazza und von dort “nur” noch zwei Brücken zum Passieren. Ich begnügte mich mit dem Lido und sah mir den Campanile von San Marco von der Ferne an.

Die Strecke bis Triest war flach, verkehrsreich und monoton. Unzählige Memento Moris am Strassenrand in Form von Plastikblumen oder Gedenktafeln lassen Italien nicht als fahrradfreundlich erscheinen. Oft wurde mir unfreundlich gehupt. Wenn mir der Verkehr zu viel wurde, flüchtete ich in eine Bar, wo mir nach ein bisschen Plauderei auch schon ein Kaffee angeboten wurde. Ein Koch war über meine Reisepläne derart begeistert, dass er mir einen riesengrossen Dessertteller offerierte. Die Ebene erlaubte es kaum, wild zu zelten. In Sichtweite ständig Häuser und Weiler, keine Sträucher oder Wäldchen. Ein Bauer schickte mich fort, es habe zu viele Verbrecher und Kriminelle.

Ich war froh, endlich Triest zu erreichen. In Italien suchte ich vergebens eine private Unterkunft und musste mit einem Hotel “vorlieb” nehmen. Ich liess mir von Einheimischen eine gute Beiz empfehlen und schlug nochmals kräftig zu. Der Kellner entpuppte sich als Kroatien-Kenner und konnte mir ein paar Tipps auf den Weg geben. Bevor ich Italien den Rücken kehrte, trank ich auf der Piazza Centrale den in Italien bisher teuersten Kaffe (3 €) und schon bald war ich in Slowenien, das ich jedoch nach rund 40 km bereits wieder verliess. Es stieg an und die Temperaturen näherten sich der Nullgradgrenze.

Die kroatischen Grenzwächter waren etwas verdutzt, als sie hörten, wohin ich reisen wollte. Sie gaben mir ein “Souvenir” in Form eines Einreisestempels auf meinen Pass. Dobro dosli ! Konnte ich mich in Italien gut verständigen, war ich jetzt ein Fremder, der nur wenige Worte verstand. Eine Abfahrt führte mich hinunter zum Golf von Kvarner direkt nach Matulji, wo der Karnevalsumzug sich gerade seinem Höhepunkt näherte. Unzählige Männer, mit Schafsfellen, Hammelhörnern, Blumenschmuck und Kuhglocken bekleidet, vollführten lustige Tänze. Das Glockengeläut zusammen mit der Live-Band und den dröhnenden Boxen strapazierten das Trommelfell arg.

Erster Platten

In Rijeka, wo ebenfalls Karneval gefeiert wurde, stieg ich in der heruntergekommenen staatlichen Pension (prenociste) ab, die noch aus der sozialistischen Stalin-Ära Titos stammte. Ein grässlicher Block ! Als ich nach einer Dusche mit dem Velo die Stadt erkunden wollte, bemerkte ich einen Platten am Hinterreifen, den ich aber erst spätabends nach dem Restaurantbesuch reparierte. Das Problem war schnell erkannt: mein Velohändler hatte auf meine “Touren-Dampfwalzen” (26 x 1.90 Zoll) filigrane dünne Schläuche, die erst noch für schmale Pneus bis 1.50 Zoll gedacht waren, montiert. Der Reibung gegen die Karkasse des schweren Schwalbe-Pneus hielt der Schlauch nicht stand. Ich ersetzte also diesen durch meinen Ersatzschlauch.

Die unerbittliche Bora

Bald machte ich mit der berühmt-berüchtigten Bora Bekanntschaft: die Bora ist ein stürmisch-kalter Wind aus dem Landesinnern. Zwei Tage plagten mich Gegenwind und orkanartige Sturmböen, die mich ein paar Mal aus dem Sattel rissen. Oftmals musste ich das Velo schieben und konnte kaum noch stehen. Ich wurde hin- und hergerüttelt, aufgehalten, dann wieder angestossen. Im Gebiet um Senj war die Bora fürchterlich und an ein Weiterkommen war nicht zu denken. Im Dorfladen fragte ich nach einem “Sobe” (Zimmer). Die Angestellte telefonierte kurz rum und nach wenigen Minuten kam der Tankstellenwart und nahm mich zu sich nach Hause, wo er mich ohne viele Worte in die Küche führte und mir einen Teller Nudelsuppe und in Kohl eingewickelte Frikadellen, Kartoffeln und Brot servierte. Gastfreundschaft auf kroatisch. Herrlich ! Die Bora tobte indessen die ganze Nacht unermüdlich weiter. Am Morgen stand ich halbherzig auf und nahm den Kampf gegen die Bora erneut auf. Irgendwann am Nachmittag liess die Windstärke nach.

Schreckliche Sehenswürdigkeit

Um den Weg etwas abzukürzen ging ich nicht runter bis nach Zadar, sondern wählte eine Nebenstrasse. Es war bereits um 16 Uhr, ich war ohne Unterkunft, die Abendsonne glühte rötlich. Nichtsahnend bog ich also in diese Landstrasse ein und traf bald in die Ortschaft Islam Latinski ein. Zwar wusste ich, dass ich mich in der Krajina befand, in welchem noch die Gefahr von Landminen herrschte. Doch was ich dort zu Gesicht bekam, war unheimlich. Es lief mir kalt den Rücken runter. Alle Häuser der Ortschaft waren vollständig verlassen, zerbombt, verbrannt, überall Einschusslöcher, Minenwarnschilder entlang der Strasse. Die Stimmung war gespenstisch. Es sah so aus, als hätten hier noch vor wenigen Tagen Bomben und Granaten explodiert und detoniert. Offenbar das Resultat einer ethnischen Säuberung. Ich fuhr einsam durch die folgende Ortschaft, Islam Grcki, welche das gleiche Bild abgab. Dieser Streckenabschnitt wühlte mich auf. Lange noch gingen mir die Bilder durch den Kopf.

Übernachtung im Pfarrhaus

Es war bereits nach 17 Uhr. Ich beeilte mich, in Benkovac einzutreffen. Offenbar verirren sich wenige Touristen hierhin. Es war bereits dunkel und kalt. Ich hatte 120 Km in den Beinen. Ans Zelten war nicht mehr zu denken (abgesehen davon war mir die Lust nach all den Minenwarnschildern auch etwas vergangen). Nach etlichem erfolglosem Fragen nach einem Zimmer blieb mir nichts anderes übrig, als beim Pfarrhaus anzuklopfen. Der Hilfspfarrer bat mich, nach zwei Stunden wieder vorbeizuschauen, bis der Pfarrer zurück sei. In der nahgelegenen Gaststube verspeiste ich eine Pizza. Die Einheimischen schauten mich misstrauisch an. Nach einer Stunde war der Pfarrer da. Er war bereits im Bilde und empfang mich sehr herzlich. Er hatte in Luzern und Wädenswil gewirkt und sprach recht gut Deutsch. Er erzählte mir von seiner Pfarrgemeinde. Von den 4´000 Einwohner sei etwa ein Drittel primar- oder mittelschulpflichtig. Für rund 60 arme Leute sei ein Mittagstisch eingerichtet worden. Vorwiegend ältere serbische Leute, die nicht flüchten wollten. Islam Latinski sei vollständig von Serben bewohnt gewesen. Diese seien von Kroaten vertrieben worden. Er hege gewisse Sympathien für Ante Gotovina, der leider im Hinblick auf die EU-Beitrittsverhandlungen geopfert werden müsse.

Platten Nummer zwei

Gestern wollte ich unbedingt Split erreichen, das ich nach 8 1/2 Stunden Fahrt in der Dunkelheit erreichte. Ich habe heute morgen etwas ausgespannt, den Fischmarkt besucht und den “Palast” des römischen Kaisers Diokletian besucht. Der gewaltige Palast mass ursprünglich 215 x 181 Meter und ist im Mittelalter nach und nach verbaut worden und ist heute ein Viertel mit Läden und Wohnhäusern. Die Schutzmauer ist nur noch teilweise intakt. Gestern abend übrigens traf es das Vorderrad: wieder ein Platten. Das gleiche Problem. Es ärgert mich, denn es wäre leicht zu vermeiden gewesen. Ich habe einen billigen chinesischen Schlauch gekauft, den ich anschliessend montieren werde.

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