All you need is plov. Das schien lange die durch den autoritären Herrscher Islam Karimov den Usbeken aufoktroyierte Lebenseinstellung gewesen zu sein. Wirtschaftlich abgeschottet. Politisch isoliert. Einer der repressivsten Staaten weltweit. Als Reisender war man zu Zeiten Karimovs bestenfalls geduldet. An den vielen Checkpoints wurde man jeweils argwöhnisch angeschaut. Und wehe dem Reisenden, der nicht sorgfältig alle Hotel-Registrierungen des OVIR aufbewahrte und bei der Ausreise vorlegen konnte. Damit ist jetzt Schluss. Es ist November 2023. Ich bin gespannt, was sich seit meinem letzten Besuch im Jahr 2006 alles getan hat. In den Kapäuschen der Checkpoints zwischen den Provinzen macht sich gähnende Leere breit. Dafür ist auf den Strassen umso mehr los. Einiges mehr. Touristen sind nun ausdrücklich willkommen und die bürokratischen Hemmnisse abgeschafft.
Back in the U.S.R.R. Das war die Befürchtung, als der Regime-Insider Mirziyoyev nach dem Tod Karimovs zum Präsidenten gewählt wurde. Doch mit seinem Reformwillen meinte er es ernst und verblüffte alle. Das Land, zwar immer noch autoritär aber nicht mehr so repressiv, ist definitiv im Aufbruch. Die Menschen atmen auf, erwachen von der Schockstarre. Eine kuriose unpolitische Tatsache aber bleibt: Usbekistan ist (neben Liechtenstein) das einzige ‚doubly landlocked‘ Land weltweit. Ein Binnenstaat, der ausschliesslich von weiteren Binnenstaaten umgeben ist.
Drive my car. Das meistgefahrene Auto in Usbekistan ist erwartungsgemäss ein Chevrolet. Seit 2008 produziert GM Usbekistan Autos im eigenen Land. Die alten Ladas, Schigulis und Moskvitch sind zwar auf dem Lande noch zahlreich, in den Grossstädten sind sie definitiv am Aussterben.
Get back. Zurück nach Samarkand. Zurück zum Registanplatz. Zurück zum Tatort. Dort, wo 2006, wenige Tage nachdem Italien die Fussballweltmeister feierte, für mich der GAU eintrat: mein Fahrrad wurde gestohlen! Ende Gelände. Das Gepäck hatte ich noch im Guesthouse, doch das Stahlross war weg. Aus der Traum. Und damit fing für mich eine emotionale Achterbahnfahrt an.
Help! ‚They cause more problems than they solve‘, hiess es damals über die Polizei im Reiseführer. Einvernahmen über Einvernahmen. Und ich wurde dann zu einer Falschaussage genötigt, musste mich formell vor laufender Kamera entschuldigen. Es war ein falscher Alarm meinerseits gewesen, unnötigerweise hatte ich für diese ganze Aufregung gesorgt. Die Polizei konnte so ihr Gesicht wahren, ich kam mir wie der letzte Trottel vor und das Rad war weg (hier kann die ganze Geschichte nachgelesen werden: https://ceraldi.ch/2006/07/26/ausgetraeumt/).
Not a second time. Ein zweites Mal lasse ich mich nicht mehr beklauen, habe ich mir damals geschworen. Jetzt bin bin ich aufgeregt, als ich mir in der Abenddämmerung meinen Weg durch die engen Gassen von Samarkand bahne. Schon bald sehe ich das Schild von B+B Bahodir. Es geht neben den Leuchtreklamen der ringsherum wie Pilze aus dem Boden schiessenden Hotels nun schon fast unter. Damals war es ein sehr beliebter Treffpunkt für Reisende. Trotz der harten Matratzen und den kratzenden Badetüchern. Und es ist praktisch so wie damals geblieben! Ich checke im B+B Bahodir. Die drei Söhne von Mr. Bahodir selig führen das Guesthouse weiter. Das Wiedersehen mit den Söhnen ist freudig, sie sind ganz gerührt, als sie die Fotos von ihrem Vater sehen. Sie mögen sich noch gut an den Vorfall erinnern und wir frischen die alten Erinnerung auf.
Das B+B Bahodir ist nur einen Steinwurf vom Registan-Platz entfernt, einer der prächtigsten Plätze Mittelasiens. 17 Jahre später ist hier der Bär los. Es herrscht eine regelrechte Jahrmarktstimmung rund um den Registan. Und das, obschon die Hochsaison vorüber ist. Tretvelos, Leihräder, Elektrotrotinetts in Reih und Glied, Verkaufsstände, Luftballons. Nur mit einem Eintrittsticket darf man den Platz betreten und die Medressen aus der Nähe bestaunen.
Mittlerweile lassen sich Einheimische zwischen dem Registan-Platz und der 800 Meter entfernten Bibi Khanim Moschee in offenen, elektrisch betriebenen Elektrobussen befördern. Manchen ist sogar diese Strecke zu weit.
Der Registan selber darf dann abends als Kulisse für eine kunterbunte Lichtshow dienen, um die Hundertschaft von Schaulustigen bei Laune zu halten. Den zumeist einheimischen Touristen gefällt es offenbar. 2006 war hier nicht viel los. Eine Handvoll europäischer Touristen. Praktisch kein Verkehr und sehr wenig Beleuchtung. Restaurants waren dünn gesät und am besten liess man sich im B+B ein einen Teller Plov kredenzen. Samarkand ist aus dem Dornröschenschlaf erwacht.
Vor allem den Einheimischen, die hier gruppenweise mit Reisebussen unterwegs sind, gönne ich es, dass sie nun endlich ihr eigenes Land bereisen können. Ich kann mich aber glücklich schätzen, diese Denkmäler zu einer anderen Epoche erlebt zu haben.
Nichtsdestotrotz sind die Bauten nach wie vor prächtig. So etwa die Moschee der Bibi-Chanum aus dem 15. Jahrhundert auf Befehl des Herrschers Timur (Tamerlan) erbaut.
Von hier ist es nicht mehr weit zur Nekropole des Shohizinda mit Mausoleen aus dem 9. bis 19. Jahrhundert.
Ticket to ride. Ich stelle mein Velo beim B+B Bahodir ein und nehme den Nachtzug nach Chiwa. Diesmal in der Holzklasse, d.h. mit sechs Betten pro Abteil, die offen sind. Nichts für klaustrophobisch veranlagte oder grosswüchsige Menschen. Seit 2018 gibt es eine direkte Zugverbindung nach Chiwa, vorher musste noch in Urgench für die letzten 30 Kilometer in eine ‚marhsrutka‘ umgestiegen werden.
Chiwa kenne ich noch nicht. Für viele Usbekistan-Reisende ist die Altstadt Ichan Qala der Höhepunkt einer Usbekistan-Reise überhaupt. Es handelt sich um eine Stadtoase von 700 mal 400 Metern, komplett von Stadtmauern umgeben und mit unzähligen Medressen, Moscheen und Palästen verziert.
Die Anlage ist wirklich beeindruckend und ein Freilichtmuseum. Und so schlendere ich durch die Gassen mit den unzähligen Hotels und geniesse, dass nicht mehr so viel los ist wie in den Sommermonaten.
Als ich am zweiten Tag Morgen gemächlich durch die Altstadt spaziere, kommt mir ein Tross von gutgekleideten Menschen entgegen. Ich vernehme ein paar Brocken Italienisch. Ich zücke den Fotoapparat und ein Herr mit weissen Haaren schaut mir in die Augen.
Tatsächlich, es ist der Staatspräsident Italiens, Mattarella, der in Usbekistan auf Staatsbesuch ist.
Nach zwei Nächten in Chiwa geht es mit dem Zug weiter nach Buchara. Auch diese Stadt hat das Schicksal aller Städte mit UNESCO-Kulturgütern ereilt: eine inflationäre Zunahme von Übernachtungsmöglichkeiten, touristische Infrastruktur, Souvenirshops und Touristen ohne Ende. Zu meinem Leidwesen kann das kulinarische Angebot nicht mit der Vielzahl an Unterkünften mithalten.
Buchara hat sich im Unterschied zu Samarkand den Flair der Altstadt erhalten können. Die Stadt ist 2500 Jahre alt, wurde durch Dschingis Khan erobert und zerstört und durch Amir Temur wieder aufgebaut und erlebte unter seinem Enkel Ulg’bek anfangs des 15. Jahrhunderts eine neue Blüte. Freilich nur, bis sie 300 Jahre später durch die Perser wieder zerstört wurde.
Vor Sonnenaufgang begebe ich mich zu einem der Wahrzeichen der Stadt, dem Chor Minor mit den vier Türmen. Ursprünglich war es Teil einer Medresa. Einer der vier Türme kollabierte 1995 und wurde eilig wiederhergestellt, ohne die Richtlinien der UNESCO zu befolgen. Billiger Zement und Stahl wurde verwendet. Das Wahrzeichen von Buchara ist aber nach wie vor das Kalon Minarett. Es steht im historischen Zentrum der Stadt.
Eine positive Überraschung ist das Chor Bakr, eine Nekropole wenige Kilometer von Buchara entfernt. Die Anlage ist zwar nicht ganz so prächtig wie diejenige um das Kalon-Minarett, dafür ist man hier praktisch alleine und nur sehr wenige Touristen verirren sich hierher.
Am späten Nachmittag lohnt sich ein Besuch der Zitadelle Ark, Residenz und Sitz der Khane und Emire von Buchara. Von hier hat man einen erhabenen Blick auf die Altstadt von Buchara.
The long and winding road. Vorgesehen war, von Samarkand über Tadschikistan und den Shahriston-Pass (bzw. -Tunnel) auf 3’300 Meter zurück nach Tashkent zu radeln. Genau die 5 Tage, die ich wegen der Augenlidentzündung pausieren musste, fehlen mir jetzt aber.
Ich lasse es mir aber nicht nehmen, zumindest über das Wochende nochmals nach Tadschikistan und nach Panjikent einzureisen. Es ist nur 60 Kilometer entfernt. Ein Visum ist heute nicht nötig. Unvorstellbar vor Jahren, dass man zwischen den zentralasiatischen Ländern derart unbürokratisch hin- und herreisen konnte.
Das Monument eingangs der Stadt aus Sowjetzeiten hat sich um keinen Deut verändert. Ich buche mir in Penjikent ein Taxi und möchte zumindest einen Ausflug zu den sieben Seen und dem Fan-Gebirge machen.
Einen tristeren und graueren Tag hätte ich mir nicht aussuchen können. Zudem scheine ich am Morgen grippeähnliche Symptome aufzuweisen. Am liebsten hätte ich dem Taxifahrer abgesagt und wäre im Bett liegengeblieben. Aber ich bin nun mal hier, ausruhen kann ich mich später. Immerhin müssen wir nach dem fünften See wegen eines Erdrutsches umkehren und sind dann am frühen Nachmittag schon wieder zurück. Es soll mir recht sein.
Ich haue mich für zwei Stunden aufs Ohr und spaziere danach zur Lenin-Statue und dem Tourist Inn Hotel. 2006 war das die einzige Unterkunft. Ohne Strom und fliessendes Wasser. Mittlerweile sind die Zimmer renoviert und ganz hübsch hergerichtet. Heute gibt es im Bazaar Bananen, Kiwis und Orangen zu kaufen. Damals nur eine Wunschvorstellung. Es scheint sich in Tadschikistan einiges getan zu haben.
Der Rest ist schnell erzählt: ich fahre zurück nach Samarkand. Nächstentags dann mit dem Zug nach Tashkent. Die Mitnahme des Velos ist problemlos. Einen Velokarton habe ich bereits vorher organisiert und hole diesen ab. Und zu meiner Freude werde ich noch zur schweizerischen Botschaft eingeladen.
Von Tashkent fliege ich nach Istanbul, wo ich drei Nächte bleibe. Obschon Ende November ist, wimmelt es nur so von Touristen. Dabei hatte ich es mir etwas ruhiger vorgestellt. Der Glanz scheint in Istanbul etwas abhanden gekommen zu sein. Vielerorts täte der Stadt ein bisschen Renovation gut. Am liebsten halte ich mich auf der Galata-Brücke auf, wo ich die zahlreichen Hobby-Fischer abzeichnen kann.
Das garstige Wetter ist wenig einladend und ich verziehe mich ins grandiose Archäologie-Museum und danach in die „Pudding-Bar“ bzw. dem Lale Restaurant in Sultanahmet, Treffpunkt von Reisenden auf dem Hippy-Trail in den 60-er Jahren.